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Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie ~~ Band 345 Juli 1966 Heft 3-4, S.129-224 Beitrage zur Chemie des Phosphors. XXVI%) Uber das Schwingungsspektrum und die Molekel-Struktur des Diphosphor-tetrajodids Von M. BAUDLER und G. FRICKE Inhaltsubersicht Das IR-Spektrum von kristallinem und in CS2gelostem PzJ4 (4000-35 cm-1) wird mit- geteilt. Bei der kristallinen Verbindung entspricht das Spektrum der Molekel-Symmetrie CZh (,,trans“-Form) in Ubereinstimmung mit dem Ergebnis der Kristallstruktur-Unter- suchung von LEUNG und WASER. Das IR-Spektrum der gelosten Substanz weist wesentlich mehr Banden auf und zeigt eine Reihe eindeutiger Unterschiede zu demjenigen der kristalli- sierten Verbindung. Diese Befunde schlieben fiir Diphosphor-tetrajodid in Losung die ,,traus“-Form aus und sprechen fiir das Vorliegen einer gewinkelten Molekel-Struktur, bei der beide PJ,-Gruppen gegeneinander verdreht sind (Symmetrie C,), wie sie schon friiher aus dem Wert des Dipolmoments abgeleitet wurde. Summary The IR spectrum of Pz14 in the crystalline state and in CS, solution (4000-35 cm-l) is reported. The I R spectrum of the crystalline compound corresponds to the molecular sym- metry Czh (“trans” form) in agreement with the crystal structure elucidated by LEUNU and WASER. The IR spectrum of P,14 in solution reveals essentially more bands and shows seve- ral significant differences to the spectrum of the crystalline compound. These results exclude the “trans” form for diphosphorus tetraiodide in solution but support the existence of a staggered configuration (C, symmetry) as concluded from the previously determined dipole moment. In einer fruheren Untersuchung ,) hat’tenwir fur Diphosphor-tetrajodid in Schwefelkohlenstoff-Losung ein endliehes Dipolmoment von 0,45 Debye ermittelt und daraus gefolgmt, daB der P,J,-Molekel in Loaung eine Konfi- guration zukommt, bei der beide PJ,-Gruppen im Mittel um einen Winkel von etwa 85” gegeneinander verdreht sind. Demgegenuber hatte die Ront- l) XXV. Mitteilung: M. BAUDLER u. K. HAIMBRSTROM, Z. Naturforsch. 20b, 810 e, M. BAUDLER u. G. FRICKE, Z. anorg. allg. Chem. 320, 11 (1963); vgl. auch (1965). M. BAUDLER, Angew. Chem. 73, 761 (1961). 9 Z. anorg. allg. Chemie, Bd. 345.

Beiträge zur Chemie des Phosphors. XXVI. über das Schwingungsspektrum und die Molekel-Struktur des Diphosphor-tetrajodids

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Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie

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Band 345 Juli 1966 Heft 3-4, S.129-224

Beitrage zur Chemie des Phosphors. XXVI%)

Uber das Schwingungsspektrum und die Molekel-Struktur des Diphosphor-tetrajodids

Von M. BAUDLER und G. FRICKE

Inhaltsubersicht Das IR-Spektrum von kristallinem und in CS2 gelostem PzJ4 (4000-35 cm-1) wird mit-

geteilt. Bei der kristallinen Verbindung entspricht das Spektrum der Molekel-Symmetrie CZh (,,trans“-Form) in Ubereinstimmung mit dem Ergebnis der Kristallstruktur-Unter- suchung von LEUNG und WASER. Das IR-Spektrum der gelosten Substanz weist wesentlich mehr Banden auf und zeigt eine Reihe eindeutiger Unterschiede zu demjenigen der kristalli- sierten Verbindung. Diese Befunde schlieben fiir Diphosphor-tetrajodid in Losung die ,,traus“-Form aus und sprechen fiir das Vorliegen einer gewinkelten Molekel-Struktur, bei der beide PJ,-Gruppen gegeneinander verdreht sind (Symmetrie C,), wie sie schon friiher aus dem Wert des Dipolmoments abgeleitet wurde.

Summary The IR spectrum of Pz14 in the crystalline state and in CS, solution (4000-35 cm-l) is

reported. The I R spectrum of the crystalline compound corresponds to the molecular sym- metry Czh (“trans” form) in agreement with the crystal structure elucidated by LEUNU and WASER. The IR spectrum of P,14 in solution reveals essentially more bands and shows seve- ral significant differences to the spectrum of the crystalline compound. These results exclude the “trans” form for diphosphorus tetraiodide in solution but support the existence of a staggered configuration ( C , symmetry) as concluded from the previously determined dipole moment.

In einer fruheren Untersuchung ,) hat’ten wir fur Diphosphor-tetrajodid in Schwefelkohlenstoff-Losung ein endliehes Dipolmoment von 0,45 Debye ermittelt und daraus gefolgmt, daB der P,J,-Molekel in Loaung eine Konfi- guration zukommt, bei der beide PJ,-Gruppen im Mittel um einen Winkel von etwa 85” gegeneinander verdreht sind. Demgegenuber hatte die Ront-

l) XXV. Mitteilung: M. BAUDLER u. K. HAIMBRSTROM, Z. Naturforsch. 20b, 810

e, M. BAUDLER u. G . FRICKE, Z. anorg. allg. Chem. 320, 11 (1963); vgl. auch (1965).

M. BAUDLER, Angew. Chem. 73, 761 (1961). 9 Z. anorg. allg. Chemie, Bd. 345.

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genstrukturuntersuchung von LEUNO und wASER3) gezeigt, da13 im P$,- Kristall beide PJ,-Gruppen ,,trans"-Stellung einnehmen. Damit lag die interessante Feststellung vor, dalj die P2J,-Molekel im Kristallgitter in einer anderen Konfiguration auftritt als in Losung. Zur wunschenswerten experi- mentellen Erganzung dieses Befundes nahmen wir die Untersuchung des Schwingungsspektrums des Diphosphor-tetrajodids in Angriff und sehen uns zur Veroffentlichung unserer Ergebnisse veranlafit, nachdem kiirzlich FRANRISS und MILLER^) beim Diphosphor-tetrachlorid P2C4 aus IR- und RAMAN-Spektrum fur alle drei Aggregatzustande der Verbindung gleicher- maBen die ,,trans! '-Konfiguration abgeleitet haben.

Fur die P,J,-Molekel in Losung ist auf Grund des 3lP-magnetischen Kern- resonanz-Spektrums 6 , die Bquivalenz beider P-Atome gesichert ; das chemi- sche Verhalten der Verbindung bei Ligandenaustauschreaktionen 6)7) beweist das Vorliegen einer P -P-Bindung, so daB die symmetrische Atomanordnung J2P -PJ2 keinem Zweifel unterliegt. Von den hierfur moglichen raumlichen Molekelformen sind diejenigen mit planaren P -PJ2-Gruppen (Diedersym- metrie, Punktgruppen DZh, D,, und D,) wegen der vorwiegenden Bindungs- betiitigung des Phosphors uber p3-Orbitale von vornhercin auszuschlieI3en. Die allein zur Diskussion verbleibenden Konfigurationen mit nicht koplana- rer P -PJ,-Anordnung (Achsialsymmetrie, Punktgruppen CZh, C,, und c2) unterscheiden sich in ihrem spektroskopischen Verhalten charakteristisch voneinander. Fur die im Kristall vorliegende ,,trans"-Form der Syrnmetrie C,, gilt die Ausschlieljungsregel, so dafi nur 6 der 1 2 Grundschwingungen IR- aktiv sind, wahrend fur die ,,cis"-Form der Symmetrie C,, 9 und fur die ,,staggered"-Form der Symmetrie C, alle 12 Grundschwingungen im IR- Spektrum zu erwarten sind. Demzufolge sollte das IR-Spektrum des Diphos- phor-tetrajodids in Losung - in ubereinstimmung mit dem gefundenen endlichen Dipolmoment der gelosten P2J4-Molekel - einen deutlich von dem der kristallinen Verbindung abweichenden Habitus zeigen.

Zur Priifung dieser Annahme haben wir die IR-Spektren von kristalli- siertem und in CS, gelostem Diphosphor-tetrajodid im Bereich von 4000 bis 35 cm-l aufgenommen*); die beobachteten Absorptionen sind in Tab. 1 auf- gefuhrt.

3, Y. CH. LEUNU u. J. WASER, J. physic. Chem. 60, 539 (1956). 4, ST. G. FRANEISS u. F. A. MILLER, Spectrochim. Acta [London] 21, 1235 (1965). 5, H. S. GUTOWSKY u. D. W. Mc CALL, J. chem. Physics 22,162 (1954). *) M. BAUDLER, Z . Naturforsch. 14b, 464 (1969). ') M. BAUDLER u. E. SOHREIBER, Z . Naturforsch. 20b, 494 (1965). *) Die Aufnahme des Spektrums der P,J,-Losung im fernen IR wird durch die relath

geringe Losliohkeit der Substanz auch im bestgeeigneten Losungsmittel Schwefelkohlen- &off2) (etwa 8-10 Gew.-%) erschwert; bei den erforderliohen Schichtdicken von 2 - 6 mm ist die Untergrundabsorption des Losungsmittels betriichtlich.

M. BAUDLER u. G. FRICKE, Molekel-Struktur des Diphosphor-tetrajodids 131

Im IR-Spektrum des kristallinen P,J4 finden sich insgesamt 8 Frequenzen. Die beiden starken Banden bei 330 und 300,5 em-l lassen sich zwei Grund- schwingungen zuordnen, bei denen vornehmlich die P - J-Bindungen bean- sprucht werden (Valenzschwingungen). Demgegeniiber kann die schwache Bande bei 207 f 2 cm-l zwanglos als Kombinationston gedeutet werden.

Tabelle 1 IR-Spektrum des Diphosphor-tetrajodids

kristallin cm-'

330

300,5 207 f 2

114

98 90,5 84 i 2 52 f 2

I Nujol) 1')

st

s t schw

s t

sschw m sschw schw

in CS. I Bemerkungen cm-1 I I

648 i 5 627 i 2 354 331 327 313 303 214 i 8 179 f 2 154 ? 116 f 2 109 f 2 98 i 2 91 zk 2 83 f 2

sschw sschw schw YSt

sst st sschw, Sch schw schw sschw m, Sch st schw schw sschw

2 . 327, 331 + 313 2 . 313

114 + 90, 2 . 1 0 9 2 . 9 1 2 . 7 7

*) Intensitat: st = stark; m = mittel; schw = schwach; s = sehr; Sch = Schulter.

Von den verbleibenden Frequenzen sind die durch besondere Intensitat gekennzeichnetenBanden bei 114und 90,5 cm-lsicher als Grundschwingungen anzusprechen, wahrend die schwacheren Absorptionen bei 98, 84 f 2 und 52 & 2 cm-l nicht zweifelsfrei zugeordnet werden konnen, zumal im Iang- welligen I R auch Schwingungen des Kristallgitters zu erwarten sind. Das beobachtete IR-Spektrum des kristallinen P,J, entspricht damit im wesent- lichen dem Erwartungsspektrum fur die Molekel-Symmetrie Czh, das 6 IR- aktive Grundschwingungen (je 3 der Klassen A, und B,) aufweist, von denen zwei hohere und vier niedrigere Frequenzwerte besitzen sollten. Der spek- troskopische Befund steht demnach im Einklang mit der rontgenographisch ermittelten ,,trans"-Struktur der P,J,-Molekel im Kristall.

Das IR-Spektrum des Diphosphor-tetrajodids in Schwefelkohlenstoff weist insgesamt 16 Frequenzen auf, von denen 5 mit grol3er Wahrscheinlich- keit Ober- oder Kombinationstone sind. Fiir die Betrachtung als Grund- schwingungen verbleiben demnach noch 11 Banden; mindestens 9 von ihnen 9*

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gehoren sicher zur P2J4-MolekelQ). Somit diirfte wegen der Zahl der beobachte- ten IR-Banden und der merklichen Unterschiede zum Spektrum der kri- stallinen Verbindung - vor allem in den Bereichen von 360-300 cm-l und 120-105 cm-1 - die Symmetrie CZh fur die P2J4-Molekel in Losung mit Sicherheit auszuschliefien sein *).

Die Entscheidung daruber, ob Diphosphor-tetrajodid in Losung die Molekel-Symmetrie C, oder C,, besitzt, ist auf Grund der bisher vorliegenden spektroskopischen Daten nicht eindeutig zu treffen. In den Spektren lassen sich jedoch verschiedene Hinweise fur die Molekel-Symmetrie C, finden.

Die IR-Absorption bei 303 cm-l ist wahrscheinlich a18 IR-aktive Schwingung der P,J,- Molekel zu betrachteng), bei der moglicherweise eine bevorzugte Beanspruchung der P-P- Bindung vorliegen konnte. Damit wurde sich die Zahl der nicht als Ober- bzw. Kombina- tionstone deutbaren IR-Frequenzen auf mindestens 10 erhohen, wiihrend bei der Sym- metric C,, nur 9 IR-aktive Grundschwingungen auftreten konnen (die 3 Grundschwingun- gen dcr Klasse A, sind IR-inaktiv). - Entspricht auch die sehr tiefe Frequenz bei 42 & 4 cm-l einer Grundschwingung der P,J,-Molekelg), so kann sic wohl nur als Torsions- schwingung gedeutet werden; diese ist iii der Punktgruppe C , IR-aktiv, nicht aber in der Punktgruppe C,, (Klasse A&.

Gegen die , ,cis"-Konfiguration spricht auBerdem die erhebliche sterische Behinderung der Jodatome sowie die gegenseitige Wechselwirkung der freien Elektronenpaare an den Phosphoratomen.

Auf Grund der angefuhrten Befundo besitzt die in Losung frei bewegliche Diphosphor-tetrajodid-Molekel sehr wahrscheinlich eine einfache achsial- symmetrische Konfiguration, bei der beide PJ,-Gruppen gegeneinander ver- dreht sind, wahrend das IR-Spektrum der kristallinen Verbindung im Ein- klang mit der rontgenographisch ermittelten ,,trans('-Struktur steht. Die molekiilspektroskopische Untersuchung bildet damit eine weitere Stiitze fur das Vorliegen der Molekel-Symmetrie C , beim gelosten Diphosphor- tetrajodid, die bereits am dem Wert des Dipolmoments der Verbindung ge- folgert wurde, und gleichzeitig eine Bestatigung des interessanten Sach- verhalts, daB die P,J4-Molekel in Losung eine andere Konfiguration besitzt als im Kri~tall.

Experimentelles D i p h o s p h o r ~ t e t r a j o d i d wurde nach B A U D L E R ~ ~ ) dargestellt ; Schmp. 125-6".

S c h w e f e l k o h l e n s t o f f wurde wie friiher beschrieben,) gereinigt. Nujol wurde in der Qualitiit ,,Uvasole"Q MERCK verwendet.

9, Die sehr schwache IR-Schulter bei 303 cm-l konnte eventuell auch von einer gering- fugigen Verunreinigung des P,J, durch PJ, herruhren ; dagegen spricht allerdings das re- produzierbare Auftreten auch bei frisch bereiteten Proben. - Die schwache IR-Frequenz bei 42 f 4 cm-l konnte nicht auf allen Spektren beobachtet werden; siehe dazua).

*) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen kamen A. H. COWLEY u. S. T. COREN (Inorg. Chem. [Washington] 4, 1200 (1965)) zum gleichen Ergebnis.

lo) M. BAUDLER, Z. Naturforsch. 13b, 266 (1958).

M. BAUDLER u. G. FRICRE, Molekel-Struktur des Diphosphor-tetrajodids 133

Zur spektroskopischen Untersuchung gelangten Losungen von P,J, in CS, (Konzen- tration 6-10 Gew.-%) und Anreibungen von histallinem PzJa in Nujol (in kapillarer Schicht). Die Vorbereitung der Proben erfolgte unter Sauerstoff- und Feuchtigkeitsaus- schlul3 in einem Schutekasten unter N, (,,glove-box").

In f r a ro t -Spek t r en : Die Spektren im kurzwelligen und mittleren I R wurden mit einem PBRHIN-ELMER-Infrarot-Gitter-spektrophotometer Modell 521 (4000- 250 cm-l) (CsBr-Kuvetten, Schichtdicken der Losung 0,08-0,5 mm) erhalten; bei einem Teil der Spektren wurden die Losungsmittelbanden kompensiert. - Die Aufnahmen der Spektren im fernen I R erfolgben mit einem Perkin-Elmer-Spektrophotometer Modell 301 (Zweistrahl- betrieb 300-70 cm-l; Einstrahlbetrieb 100-50 cm-l)ll) sowie mit einem Beckmann I R 11 Spektrophotometer (Zwei- und Einstrahlbetrieb 400-35 cm-l) 11) (Polyathylenkuvetten, Schichtdicken der Losung 2,0 und 5,O mm).

Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds der Chemischen Industrie fur die Unterstutzung dieser Arbeit.

11) Fur die Aufnahme der Spektren mochten wir Herrn Professor Dr. H. H. GWNT- HARD, Laboratorium fur Physikalische Chemie der Eidgenossischen Technischen Hoch- schule Zurich, sowie Herrn Professor Dr. E. 0. FISCHER und Herrn Privatdozent Dr. H. P. FRITZ, Anorganisch-chemisches Laboratorium der Technischen Hochschule Munchen, unseren besonderen Dank sagen.

Koln, Institut, fur Anorganische Chemie der Universitat.

Bei der Redaktion eingegangen am 15. Oktober 1965.