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LXXIX] 67 Heft 1 J Beitriige zur Ethologie sozialer Corviden. Von Konrad Lorenz (Wien). Angeregt durch die Versuche, die ich 1926 mit ether freifliegenden zahmen DoMe (Coloeus ~wnedula spermologus) angestellt babe, -- ich habe sic im Oktoberheft 1927 des Journals fiir Ornithologie verSffent- tieht- beschlol3 ich, in] n~chsten Jahre eine grSl]ere AnzaM dieser VSgeI an den Fretting zu gewShnen. VerscMedene Triebhandlungea meiner ersten DoMe, ,,Tschock", die ich hier unter diesem Namen fiihren will, liel]en auf eine recht komplizierte Soziologie und Ethologie der Art schliel3en. Denn wie so oft brachte aueh hier tier einzeln gehaltene Vogel ether gesellig lebenden Art ausgesprochen soziMe Triebhandlungen, die so natiirlich zwecklos erscheinen, ja oft durch das Reagieren der Artgenossen iiberhaupt erst verst~indlich werden. Um Zeit zu sparen, wollte ich znerst gekaufte erwachsene Dohlen verwenden~ was aber nieht zmn Ziele fiihrte. Man bekommt im Handel immer nur einzeln jung anfgezogene VSget oder scheue Wildfitnge. Letztere sind ftir meiue Zwecke setbstverst~ndlieh unverwendba b erstere sind, abgeseheu davon, daft es sieh meist um kSrperlieh minderwertige Individuen handelt, so gut wie immer in ihrem Triebleben auf den Mensehen umgestellt und betraehten diesen~ nicht aber ihre wirklichen Artgenossen, als ihresgteichen. In meinem frfiheren Aufsatz bin ich auf diese Dinge n~her eingegangen. Es ist nan besonders merkwiirdig, dal] solehe Vogel~ die nieht die Spur yon richtigem Artbewul~tsein be- sitzen, doch in ether Situation einen starken Herdentrieb zu ihresgleiehen entwiekeln, n~imlieh im Fluge: sie fliegen mit wahrer Leidensehaft aller- dings auch andersartigen Rabenv5geln nach, und zwar scheint auch hier ihre Einstellung sehr yon erstmaligen Eindriicken abhangig zu vein. Tschock lernte als erste fliegende RabenvSgel Nebelkr'~hen kennen und flog aueh dann noeh immer mit den wilden Nebelkr~hen, als er zuhause reichlich Gesellsehaft an Dohlen hatte. Dies ~nderte sich nur, a]s er eine junge DoMe adoptierte, fiihrte and ffitterte. Nach ErlSsehen des F~Lttertriebes hielt er sich wieder an die Gesellsehaft der Kr~hen. Vermenschlichend kann man also sagen: Er Melt sich w~hrend der Bsdzzeit fiir einen Menschen, zur Aufzuchtzeit fiir eine Dohle~ den Rest des Jahres flit eine Nebelkr~he. Interessant erscheint es immerhin, dal~ Tschock eine DoMe and nicht eine gleichzeitig vorhandene junge ~ebelkr~he adoptierte and 5*

Beiträge zur Ethologie sozialer Corviden

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LXXIX] 67 Heft 1 J

Beitri ige zur Ethologie sozialer Corviden.

Von Konrad Lorenz (Wien).

Angeregt durch die Versuche, die ich 1926 mit ether freifliegenden zahmen DoMe (Coloeus ~wnedula spermologus) angestellt babe, - - ich habe sic im Oktoberheft 1927 des Journals fiir Ornithologie verSffent- t i e h t - beschlol3 ich, in] n~chsten Jahre eine grSl]ere AnzaM dieser VSgeI an den Fretting zu gewShnen. VerscMedene Triebhandlungea meiner ersten DoMe, ,,Tschock", die ich hier unter diesem Namen fiihren will, liel]en auf eine recht komplizierte Soziologie und Ethologie der Art schliel3en. Denn wie so oft brachte aueh hier tier einzeln gehaltene Vogel ether gesellig lebenden Art ausgesprochen soziMe Triebhandlungen, die so natiirlich zwecklos erscheinen, ja oft durch das Reagieren der Artgenossen iiberhaupt erst verst~indlich werden.

Um Zeit zu sparen, wollte ich znerst gekaufte erwachsene Dohlen verwenden~ was aber nieht zmn Ziele fiihrte. Man bekommt im Handel immer nur einzeln jung anfgezogene VSget oder scheue Wildfitnge. Letztere sind ftir meiue Zwecke setbstverst~ndlieh unverwendba b erstere sind, abgeseheu davon, daft es sieh meist um kSrperlieh minderwertige Individuen handelt, so gut wie immer in ihrem Triebleben auf den Mensehen umgestellt und betraehten diesen~ nicht aber ihre wirklichen Artgenossen, als ihresgteichen. In meinem frfiheren Aufsatz bin ich auf diese Dinge n~her eingegangen. Es ist nan besonders merkwiirdig, dal] solehe Vogel~ die nieht die Spur yon richtigem Artbewul~tsein be- sitzen, doch in ether Situation einen starken Herdentrieb zu ihresgleiehen entwiekeln, n~imlieh im Fluge: sie fliegen mit wahrer Leidensehaft aller- dings auch andersartigen Rabenv5geln nach, und zwar scheint auch hier ihre Einstellung sehr yon erstmaligen Eindriicken abhangig zu vein. Tschock lernte als erste fliegende RabenvSgel Nebelkr'~hen kennen und flog aueh dann noeh immer mit den wilden Nebelkr~hen, als er zuhause reichlich Gesellsehaft an Dohlen hatte. Dies ~nderte sich nur, a]s er eine junge DoMe adoptierte, fiihrte and ffitterte. Nach ErlSsehen des F~Lttertriebes hielt er sich wieder an die Gesellsehaft der Kr~hen. Vermenschlichend kann man also sagen: Er Melt sich w~hrend der Bsdzzeit fiir einen Menschen, zur Aufzuchtzeit fiir eine Dohle~ den Rest des Jahres flit eine Nebelkr~he.

Interessant erscheint es immerhin, dal~ Tschock eine DoMe and nicht eine gleichzeitig vorhandene junge ~ebelkr~he adoptierte and

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fiitterte. Es ist das aber sehr erkli~flieh. Es ist air das Bestehen der Art nicht unbedingt notwendig, dab das Artbewugtsein angeboren set, da die Einstellung dureh erste Eindraeke, die ja normalerweise yon Eltern und Gesehwistern herrahren, vollst~ndig genfigt. \Vohl :d)er massen dem Vogel die Reaktionen anf artgleiehe Junge angeboren seth, da ja seine eigenen die ersten stud, die er zu sehen bekommk

Es ist klar, dab man bet derart in ihrem Artbewugtsein gestSrten VSgeln keinen guten ti]inbliek gerade in die Soziologie der Art bekommt.

Daher zog ich 1927 vierzehn Stack junge Dohlen auf. Ieh glaubte, dab diese vierzehn in ihrer Vielheit ein ungestSrtes Artbewul]tsein behalten warden, was sich ja aneh bewMlrheitete. Aber auch eine mit den Dohlen zusammen aufgezogene junge Elster behielt zu meinem Erstauaen ein vSllig ungestSrtes Artbewugtsein, obwohl sie erst als ganz erwaehsener Vogel zum ersten Male Artgenossen zu Gesiehte bekam. Man sieht also, wie versehieden sieh nahverwandte Gattungen in diesen Dingen verhalten.

Um den Dohlen eine ihnen zusagende Heimst~tte zu bieten, richtete ieh ihnen den Dachboden unseres ttauses als solehe ein. Da ich weir, dal] gSgel sich meist nicht ohne weiteres dnreh ein Fenster zurtiekfinden, dureh alas sie hinausgeflogen stud, woht weil es yon a.ugen ganz anders aussieht Ms yon innen, einen Gitterkiifig abet aueh yon anderen regel- miigig wiedererkennen, baute ieh einen Flugraum aus Drahtgitter vor das Bodenfenster. Der Kiifig hat eine breite gemauerte Daehrinne zur Unterlage und das geneigte Dach zur Riiekwand. Er nimmt fast die gauze Sehmalseite des Hauses ein, was einer Lgnge yon aber 10 m entspriebt, er ist mehr als 2 m boeh, die GrundflRehe ist 11/2 m breit. Die Dohlen gelangen vom Boden aus dureh eine enge Daeh- luke in den Flugraum. Fiir mieh ist der Kgfig yon augen tiber die Daehrinne dureh eine gerade Tiire zugiinglieh. Der Vork~ifig ist dureh eine @itterwand mit Tare in zwei ungleiehe HMften geteilt. In die grSl3ere mandet die Bodenluke und die T[ire, die in die Dachrinne geht. Ieh habe so die MSgliehkeit, immer einen Teit der Vggel als Loekmittel far die freifliegenden zurtiekbehalten zu k~innen, indem ieh vor dem Oeffnen der grogen Tare einige der Tiere in das kleinere Abteil locke und die Zwischent[ire sehliege. Die Mal3regeI hielt ich Nr not- wendig, da i& n i g t damit reehnen konnte, data so viete zuglei& auf- gezogene VSgel mir gentigend Anh~ngliehkeit beweisen warden, m n e s mir mSglieh zu maehen, ihnen die Nhrende Alte in tier Weise za er- setzen, wie ieh es bet Tsehoek getan hatte. Ohne Fahrer sind junge

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Dohlen vollkommen hilflos. Indem in einer Seha.r derart~ger Jungv6gel jeder beim andern Fiihrung sucht und keiner den Entschlul3 fassen kann, sich niederzulassen und keiner sich zum tteim zurtickfindet, irren sie in eng gesehlossener Schar, verzweifelt rufend, solange umher, bin sie sich endlich verfliegen.

Zun~chst wurde die beschriebene Anlage yon Tschock allein be- wohnt, der bereits votlkommen eingettogen war, als ich nacb dem Fltiggewerden die jungen Dohlen und die Elster hinaufbrachte. Bei der Uebersiedlung entflog mir eine der Dohlen. Als die dann die andern im Flngraum rufen h6~e, stellte sie sich yon selbst dort ein nnd liel~ sich ohne weiteres hineinloeken. Die Jungv6gel w~ren in ihrer neuen W,)hnung bald heimisch nnd gew6hnten sich rasch an die Art der Ffitterung. Um sie z~hm zu erh~lten, fiitterte ich sie nur aus der Hand. Da hierbei alle zugleich sieh auf reich setzen wollten und ~us Raumm~ngel oft einer auf dem Riicken eines andern landete, gab es viel Geflatter und Abstiirze. Ich hatte st~ndig H:Ande und Gesicht zerkratzt. Ich beobachtete iibrigens auch an andern fli~ggen jungen Sperlingsv6geln, dag sie aueh o h n e rgumliche Beengung sehr oft auf dem Riicken der Geschwister landen. Dabei wird regelm~gig der Sitzende abgeworfen, der Ankommende nimmt dann seinen Platz ein. Der Vorgang ist v ie l zu hgufig, als dab er als Zufall gedeutet werden k6nnte. Vielleieht ist dieses Anfliegen eigentlieh auf die Eltern ge- mfinzt~ die dann aut diese Weise, bewulgt oder unbewnl]t~ den Jungen passende SitzplStze zeigen k6nnten. Sowie die Jungen auch nur etwas zielsicherer ira Landen sind, verliert sich diese ttandlung vollst~ndig. - -

Als die jungen Dohlen richtig fliegen konnten, begann ich die Freifliegversuehe. Ieh maehte zun~chst die einzelnen V6gel dutch ver- schiedene Kombinationen bunter Taubenringe aus Celluloid an beiden Ftigen kenntlich. Im G--egensatz zu altberingten V6geln beachteten sie diese Anhiingsel in keiner Weise. Zu den ersten Versuehen wahlte ieh die beiden zahmsten V6gel Blaublau und Blaurot. Naehdem ieh alas Naehfliegen yon Zimmer zu Zimmer im Innern des I-Iauses zur Geniige mit ihnen geprobt barge, nahm ieh sie zungehst einzeln, bald aber beide zugleieh in den Garten. Dabei geriet einmal Bla~rot im Aufwind fiber dem ~aus hoeh in die Luft, gegraute sieh nieht wieder hernnter und verflog sieh. Nach zwei Tagen kam er spontan zuriiek. Sicher i s t e r nut dutch Zufall in I-I6rweite der eingesperrten Dohlen gekommen und hat so das Itaus wieder gefunden. Als ieh mieh auf d~s Naehfliegen yon Blaublau nnd Blaurot verlassen konnge, liel3 ieh sie und zwei andere JungvSgel zum ersten MaI mig Tsehoek znsammen

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veto Dach aus fliegen. ~ch trieb die andern VSgel in die absperrbare K~fighglfte und hielt sie alert zuriick. Als ich dann die ttaupttiire 8ffhete, war Tschock natih-Iich sofort dranl]en, die vier Jungen be- traehteten gngstlich und aufgeregt die ungewohate offene Titre. Als aber Tschock einmal aul~en vor tier Tare vorbei kam, sausten sie alle vier in dicht gedrgngtem Haufen hinaus. Sie flogen Tschock na.ch, da er aber keinerlei Racksicht auf sie nahm, verloren sie ihn beim ersten Sturzflug, den er machte. Sie begannen sofort verzweifelt zu rufen, aber keiner wagte ihm den Sturzflug nachzutun, und sie gerieten in den starken Aufwind, der bei dera meistens herrschenden Westwind fiber unserm Hans weht, immer h6her und hSher in die Luft. Diese Erscheinung habe ich sehr oft beim ersten Freiitug yon Gefangenschafts- v6geln bemerkt. Solche im Besitze ihres vollen Gefieders befindlichen V6ge]. die keine Uebung darin haben ira Winde zu man6verieren, geraten le[eht in Angst, wenn sie so unfreiwillig in die HShe geblasen werden. Jeder Angstzustand verhindert aber den Vogel, wenn er ihn nicht geradezu zum HShersteigen bringt, daran, die nStige Entschlu~- kraft aufztlbringen, die er zu jedem ,,Bergab" braucht. Die erreichte HShe regt die VSgel dann dazu an, so welt weg zu fiieges, dab sie sich dann nicht nachhause znriickfinden. Fast alle VSgel, die ich gleich beim ersten Freilassen verlor, fielen diesem Vorgang zum Opfer; ich habe noch keinen gesehen, der nicht in den Kgfig zuriick gewotlt w~re, hgtte er die Fghigkeit besessen~ ihn wiederzufinden. - -

Meine vier jnngen Dohlen stiegen immer hSher, wobei sie immer 8fter zn rufen begannen. ~Venn eine Dohlenschar im Fluge immer schneller hintereinander den Lockruf ansstSl~t, so bedeutet des nichts anderes, aIs dal] sie beabsichtgt, eine grS~ere Distanz zu fliegen; sie nimmt engere Stimmfiihhng, um kein Individnum zn verlieren.

Darauf reagierten, wie zu erwarten war, meine eingesperrten Dohlen damit, dal~ sie aueh zu rufen begannen und mitwollten. SchlieBlich kamen dann die vier freigelassenen Dohlen langsam und vorsichtig tiefer herab, und n~ch mehreren unentschlossenen Versuchen landeten sie wieder auf dem K~fig. Wenn ich eine auch nur etwas gr~l~ere Zahl der VSgel freigela~sen hgtte, hgtten sie sich sicher verflogen. Eine Sehar yon ~lteren VSgeln, die einander seit langem kennen, h~lt vieI fester zusammen. Im Freileben kann man beobachten~ da~ eine grSl]ere Schar alter V6gel am Aufbrnche gehindert wird, wenn eine Minorit~t ihrer Mitglieder noch sitzen bleiben will. Ieh sah des oft an d~ch- ziehenden Dohlenscharen, die at~f ihrem Zuge im Tntlnerfelde rasteten und Futter suehten. Wenn Bin Teil ges~ttigt auffiiegt und mit den

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beschriebenen Sammelrufen beginnt, stimmen die auf dem Boden be- findliehen VSgel ein, ohne aufzufliegen, und selbst wenn ihrer nur sehr wenige sind, kommt die Schar regehnhl3ig wieder auf den Boden herab. Den Gegensatz hierzu bildet das Auffliegen bet einem Alarm, wo ein Vogel, der eine Gefahr wahrgenommen hat, prompt alle andern mitreil3t. So genau sieht ein Vogel den andern an, w a r u m er auffliegt. Die oben besehriebene Riieksiehtnahme auf alle Mitglieder der Sehar ist dadureh arterhaltend, dal3 sie verhindert, dal3 die Sehar geteilt wird oder dab einzelne ihrer Mitglieder bet Ftitterung und I/.ast zu kurz kommen. Nut ist, wie bet vielen sozialen Triebhandhmgen, ihr phylo- genetisehes Entstehen sehwer zu erkl~ren~ denn gerade der sie aus- Nhrende Vogel hat nut einen sehr indirekten Nutzen daven.

Die vier freigelassenen jungen Dohlen verbraehten dann den Rest des !Pages tells auf dem Da.ehe, teJls anf dem @Jitter des Flugraums. Sie zeigten jetzt, naehdem sie gliieklich aus der Luft heruntergekommen waren, eine ausgesprochene Abneigung, sieh yon neuem in den freien Raum hinauszuwagen. Die Lust am Pliegen und an Flugspielen kam ihnen erst einige Woehen sphter. Dies stellt nicht das natiirliehe Ver- halten dar, sondern war darin begri~ndet, dal~ meine ,Jungdohlen yon 1927 zur Zeit, als sie im Freien zu fliegen begonnen h~tten, in einem reeht kleinen Raum eingesperrt waren. Unter nattirliehen Bedingungen sieht man nicht viel vom Fliegen,,lernen", weft es so I-Iand in Hand mit der Entwieklung der Flugwerkzeuge, mit derVerhornung der Kiele n~imlieh, ein- hergeht, dab der Beobaehter geneigt ist, die Unvollkomraenheiten im Fluge desVogelkindes auf die Unfertigkeit des Grol3gefieders zu sehieben. Auger- dem lernt eta Vogel im physiologisehen Alter blitzraseh fliegen, wenn er dasselbe abet ungeniitzt verstreiehen lassen mugte, nut sehr langsam. Es ist, als ob dann die Koordination komplizierterer Flugbewegungen, die zweifellos im Zentralnervensystem des Jungvogels, vielleieht in Form einer Art vererbter kini%sthetischer Erinnerungsbilder sehr vollkommen vorgebildet ist, verloren gehen wiirde, als ob also ein Vogel, der nie geflogen hat, das FIiegen ver lernen wiirde. Als erstes ausgebildet und zuletzt verlernt wird die Koordination des In-die-HShe- und Geradeaus-Fliegens, also des primitivsten und wahrscheinlich aueh phflogenetisch ~ltesten Flatterfluges. Dieses ungesehiekte Urvogel- flattern bet einem Vogel mit hoehspezialisierten Flugwerkzeugen ist dann mit ether der Faktoren, die zu dem oben besehriebenen, yore Vogel unbeabsichtigten In -die- ttShe- Geraten fiihren.

In der Folgezeit lieg ieh nun tllaublau und Blaurot, die beiden arts Naehfliegen gewShnten Dohlen, mit je zwei der anderen jungen

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Dohlen fliegen~ bis sie alle so ziemlich eingeflogen waren and ihren Dachboden als Aktionszentrnm betrachteten. Erst dann versuchte ich sie in den Garten hinunter zu locken, was ich bis dahin absichtlich vermieden hatte.

Als ich mm die Doh]en yore Garten aus rief (sie reagierten yon Anfang an ebenso wie Tschock gut auf meine Nachahmung des Dohlenlockrufes), zeigte es sich, dab sie ber eits viel zn lest an ihrem I-Ieim hingen, um sich so welt yon ihm wegzuwagen. So oP~ ich rief, flogen Blaublau nnd Blaurot nach mir hin, wurden aber irnmer auf halbem Wege nnsicher, kreisten einige Mate und kehrten gnf ihr Dach zurttck. SchlieNich trug ich sie auf der Hand durch das I-Inns in den Garten hinunter. Da ihaen das Treppenhaus nnbekannt war, wagten sie, solange wir uns darin befanden, nicht yon dem einzigen ihnen vertrauten Gegenstand, d.h. meiner Person, abzufliegen. Wenn sie es doeh einmM taten, kehrten sie sofort wieder auf meinen Arm zuriick. Aueh nnten im Garten hingen sie sehr lest an mir, wohl weil sie sieh auch dort nieht heimiseh Nhlten. Znrtick zn ihrer WohnstStte flogen sie sehon naeh diesem ersten Gartenausflng yon selbst, als i& sie yore Daeh aus rief, nnd naeh einigen wenigen solehen Spaziergiingen kamen sie auf meinen Rnf doch. yon selbst vom Bach zu mir in den Garten hernnter, zumal wenn ieh sie yon den am h6ehsten gelegenen Teilen unseres steil ansteigenden Grnndstiiekes rief, soda.l] sie nnr wenig oder gar- nieht bergab mugten, denn sie flogen noeh Iange Zeit lieber eine grSl3ere Strecke wagereeht als eine noch so geringe steil bergab. Bald ge- wghnten sieh au& die jeweils freien anderen jungen Dohlen mit Blaublau and Blaurot mir in den Garten naehzukommen. Da ieh es mm sehon wagen konnte, eine gr6gere Zahl zugleieh fliegen zu lassen, hatte ieh stets eine ganz stattliehe Sehar Dohlen um reich, sowie ieh in den Garten ging. Jetzt hatte ieh Gelegenheit, zu beobachten, dag Blaublan nnd Blaurot aneh nnter den iibrigen 12 jungen Dohlen zu- sammenhielten, was ja sieher aueh dem Verhalten yon Nestgesehwistern zueinander entspricht.

In jener Zeit sah ieh bei meinen jnngen Dohlen zum ersten Male eine Triebhandlung, die ich yon Tsehock her kannte und anch in meiner ersten Arbeit, wenn auch vielleicht nieht ganz riehtig, beschrieben habe. Als ieh ngmlich einen der VSgel, der sieh nieht in den Ki~fig loeken lassen wollte, kurzweg mit der Hand paekte, wurden plStzlich die zu- ngehst sitzenden Dohlen ganz aufgeregt, maehten sieh sehlank nnd lang, nnd dann begann eine, im n~ehsten Augenbliek abet alle ein lautes, metNlisch Mingendes S&narren anszustogen, wobei sieh alle vorbeugten

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und mit den Fliigeln schlugen. Tschock war im Inneren des Boden- raumes, als das Schnarren begann, kam aber sofort ebenf~lls schnarrend heransgestiirzt, um sofort mit Krallen nnd 8chnabel anf meine Hand toszugehen. Noch liingere Zeit~ nachdem ich den Jungvogel ausgelassen hatte, waren sgmtliche Dohlen sehr erregt und gegen reich scheu. Auch die Elster kam unter Ausstogen des Warnlautes ihrer Art herbei. Am ngchsten Tage ftihrte ich ein solches Schnarrkonzert absichtlich herbei, als ein Tell der V6gel im Freien war, um zu sehen, ob sie nun auf das Einfangen eines yon ihnen fliehen, oder herbeikommen wiirden. Im Augenblick, da ich nun eine Dohle in der Hand ha.tte, ring ~mch schon eine andere mit dem Schnarren an, und sogleich kamen sSmtliche an diesem Tage in ]Preiheit befindliche VSgel yon allen Seiten herbei- gestr/Smt. A~ich die Elster reagierte genau wie gestern. Wenn man bedenkt, daf~ die verschiedenartigsten Kteinv6gelarten ihre sich zum Teil gar nicht g]eichenden Warnlaute verstehen, d~s heig~, so auf sie reagieren, wie auf die der eigenen Art, so erscheint dieses Verhalten der Elster nicht so sehr merkw~irdig. Ich konnte reich davon iiber- zeugen, dal3 auf das Tacken einer M6nchsgrasmiicke, die einen sitzenden Turmfalken entdeckt hatte, sofort ein in der N~ihe briitendes Paar Grt~nlinge herbeikam und mit dem gezogenen, wie fr~gend klingenden Pfeifen, d~s den Warnlaut ihrer Art darstellt, in den Lgrm der Gras- mticke einstimmte. Dutch dieses gegenseitige Verstehen bilden die KleinvSgel eben eine Art Organisation gegen die ihnen gef~hrlichsten Rguber, vor allem gegen Eulen. Den Dohlen eigentiimlich ist tdso nut die Tatsache, dal3 die geaktion nicht durch den Anblick eines Rgubers, sondern dutch den eines in Not befindlichen Mitraben ~nsgelSst wird, nnd ferner die T~tlichkeit des daranf folgenden Angriffes. Meine Dohle.n kreisten in ganz eng geschlossener Schar unter ruckartigen Schwenkungen fiber mir und stiel3en yon Zeit zu Zeit andeutungsweise nach meinem Kopf. Zu einem t~tli@en Angriff steigerte sich abet dumals nur Tschock, aber nicht gegen meinen Kopf, sondern wiederum gegen die die Dohle haltende Hand. Die Elster flog nicht auf, sondern versuchte immer nut zn Fug, mir in den Riicken zu kommen. Der Angriff yon hinten ist ungemein bezeichnend flit die Elster, aber auch fiir den Kolkraben.

D~ meine Dohlen noch lange, nachdem ich die G-efangene wieder freigegeben hatte, aufgeregt waren und sogar am Abend dieses Tages durch ihr Migtrauen es wesentlieh erschwerten, sie wieder in den Kgfig zu loeken, so wagte ieh nieht~ so bald wieder den Sehnarreflex absiehtlich auszul6sen, well die V6gel sonst in kiirzester Zeit schen gemaeht worden w~iren. Im Lanfe der folgenden zwei Jahre habe ich dann sowieso oft

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genng @elegenheit geh~bt, fiber diese Reaktion Beoh~chtungen a n- zustellen. Dat~ es sich dabei mn eine rein angeborene Triebhandlung handelt, erhellt vor Mlem a,s der Art der sie auslSsenden Umst~nde. Zum Znstandekommen der Reaktion scheint notwendig zu sei~ dab ein Rabenvoget, sei er nun lebendig oder tot~ yon irgend einem Lebe- wesen, dassen Art markwiirdigerwaise ganz gleichgfiltig ist, g e t r a g e n wird. Sie wird nRmlich nicht hervorgerufen, wenn eine Dohle sonstwie in Not gargt~ wurde es zum Baispiet nicht~ Ms eine mit der Hinterzehe in einer M~sche des Kgfiggitters h~ngen blieb~ sich den Nagel aus- drehte und vor Schmerz nnd Angst alas Kreischen ~usstie~, das den Ausdruck hSehster Not d~rstellt. Sgmtliche Dohlen kiimmerten sich nicht im Geringsten um die Not des K~meraden, begannen gber sofort mit dem Schn~rrkonzert~ Ms ich herbeieilte nnd den Vogel, um ihn zu befl'aien, in die Hand n~hm. Schon durch diesa eine Beobachtung er- scheint es als erwi-esen, dM] die Verteidignng eines Genossen yon den Dohlen nicht bewuf3t und einsichtig, sondern rein triebhaft ansgefiihrt wird. Aber noeh sehr vieles andere spricht dafiir. Im Winter 1929--30 win'de die Leiche eines frisch verstorbenen Koloniemitgliedes iibarhaupt nicht beachtet, Ms gber eine zugleich gehMtene Nebelkrghe, die den Dohlen vollkommen vertra, ut nnd yon ihnen nicht gefiirchtet war, den Kad~ver mit dem Schngbel guch nur umwendete, h~tte sie sofort eine Rotte sehnarrender Dohlen auf dem Hals. Zur Ausl5sung des Schnarrens ist as aber g~r nicht notwendig, dM3 gerade eine Dohle odar deren Leichnam herumgeschleppt wird. Eine tote Elster~ die ieh den I)ohlen zeigt% brachta dieselbe Reaktion hervor, ja, as geniigte, ihnen einzelne. grSl3ere schwarze Federn vorzuhalten~ uln einen Sehnarrgngriff zu provozieren. Auf die schw~rzen Federn seheint es iiberh~npt sehr gnzukommen~ denn auf d~s Vorzeigen einer vollstgndig gerupften totei~ Dohle ra~giarten meine V/Sgal nicht, ebensowenig verteidigte sparer ein Dohlenpg~r seine n~ckten Jungen, die ich den V6geln ~nf der flgchen Hand hinhielt, wghrend sie wenige T~ge spgter, ~ls die Federhtilsen der Jungen gepl~tzt und ihre Federn sichtbar waren, reich bei dem gleichen Versuch prompt nnter Schnarren wiitend angriffen. Eine sonderbare Fehlteistung der in gade stehenden Triebh~ndhmg sMa ich im FriibjMlr 19~9. D~ wurde ein Schngrrkonzert, allerdings ohne t~t- lichen Angriff~ dadurch veranlM~t, d~l~ eine DoMe eine Kr~henschwung- feder zu Neste trug! Dgl~ abet der Anblick yon dunklen Federn auch nicht uabedingt n/Stig ist~ beweist ein F~l% we ich, vollst~ndig nn- absichtlich, ainen Schngrrangriff meiner Dohlen dadnrch ~uf reich zog, dal~ ich mit einer nassen, schwarzen Schwimmhose in der I ~ n d durch

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den Garten ging. Dieser Gegenstand seheint dureh seine Farbe und dureh sein schlappes Seblenkern genug Merkmale mit einem Corvidenkadaver gemeinsam zu haben, um bei den VSgeln die gleiehe Reaktion hervorzurufen. AuffMlend ist aber dann, dag die Dohlen auf eine ihnen vorgehaltene kohlsehwarze Ha.ustaube~ yon der man doeh meinen sollte, dag sie mehr MerkmMe mit einem Rabenvogel gemein- sam habe als eine sebwarze Sebwimmhose, nieht wie auf einen Raben- vogel reagierten, sondern vietmehr sinngem~13, ohne zu schnan'en, herbei- kamen nnd naeh der Taube hgekten. Alle mir bekannten Corviden wollen ,,umbringen helfen", wenn man andere VSgel, oder iiberhaupt Tiere, jagt, fgngt oder in der I~and h~itt. Es seheint also, dag die Sehnarreaktion der Dohlen durch die vorhandenen, gon den Raben- merkmMen abweiehenden Taubenmerkmale, trotz grol~er Zahl der gemein- samen Merkmale, vollstgndig unterdrtiekt wurde, weil eben die Merk- male der Taube eine eigene artgem~ge Reaktion ausl6sen, welehe die Sehnarreaktion ausschliegt. Da die Sehwimlnhose naturgemgg keine Spezialreaktion zur Folge haben kann, so geniigen bei ihr die wenigen gemeinsamen Merkmale, nm die Real~tion wie auf ,,Rgbenleiehe" aus- zul6sen.

Diese Sehnarreaktion, die, um es nun ganz allgemein zu fassen, dt~reh ,,Getragenwerden sehwarzer Gegenst~nde, gleiehgtiltig yon wem". ausgelSst wird~ ist nun doeh ziemlieh sieber auf Raubtiere ,,gemtinzt:', die eine DoMe oder einen sonstigen Rabenvogel gefagt haben und wegtragen wolten.

Der Zweek der Triebhandhng ist offenbar weniger, dem R~uber sein Opfer zu entreil~em, als ihn nieht zum Genusse seines Raubes kommen zu lassen und ihm so ffir die Z~kunft das Rauben yon Raben- v6geln zu verleiden. Es liegt nun die Frage nabe, warum die Doble sieh so ausschliel31ich auf den Anblick des Get6teten oder zmnindest Fortgetragenen eingestellt hat, ohne die Person des R~ubers zu be- riicksichtigen; man denke an den Angriff auf das eine sehwarze Feder tragende Dohlenweibehen! Ein 2Raubtier ernstlieh anzugreifen, welches n ie h t durch Mitsehleppen eines Rabenvogels den Sehnarreflex ausl6gt, f~llt keiner Dohle ein, h6ehstens, dag sie einmal auf einen fliegenden Ranbvogel mebr spielend als ernst stol~en. Nur die Eltern ganz kleiner Jnngen sehein hiervon eine Ausnahme zu maehen.

Kolkraben, Elstern und wahrseheinlieh a.ueh Kr~hen greifen aber jecles behaarte oder gefiederte Raubtier an, dessert sie iiberhaupt a,nsichtig werden, urn ihm wom6glieh die Gegend, in tier sie selbst leben, zu verekeln. Die Dohle ist aber zu solehen Angriffen sieher weniger ge-

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eignet, ~tls die genannten V6ge], die ja s~hntlich gr6ger sind, mit Aus- nahme der Elster, die ihrerseits ,nit ihrer unglaublichen Gewandtheit und vor allem Startfghigkeit selbst groge Raubtiere sicher noch besser zu quglen vermag, als sogar der groge Kolkrabe. Da die Dohle nun weder die Kraft eines R,aben oder einer Krhhe, noch die Schnelligkeit einer Elster besitzt, so hat sic sich darauf beschrgnkt, dan durch das Tragen der Beute wehrlosen R~uber, diesen jedoch mit gera~1ezu beispielloser Wut und Unbedingtheit, anzugreifen.

Es ist mir nieht bekannt, ob Kriillen eine dem Sehnarreflex der Dohlen analoge Reaktion besitzen, oder ob sie wenigstens, wie die Elster, auf diesen Ton der Dohlen ansprechen. Ich h~flte beides mindestens ftir sehr wahrseheinlieh, da sic ja wohl verwandtschaftlieh, ganz sicher aber biologiseh der Dohle viel n~her stehen, Ms die Elster. Leider waren sgmtliche von nfir bisher gebaltenen Krghen so wenig vollwertige Vertreter ihrer Arten, dag ieh mir aus ihrem VerhMten keine Schliisse zu ziehen gestatte. ]~]s seheint ganz unglaublieh sehwer zu sein, Krtihen, vor atlem Saatkriihen, zu wirklich gesunden VSgeln zu erziehen. Ieh babe hie selber Kr~ihen ausgenommen, und die Jung- tiere, die ieh erhielt, waren jedesmal sehon auf Lebzeiten geseh~tdigt. Wer daran zweifelt, dag Kriihen schwerer aufzuziehen sind als Dohlen, Kolkraben oder Elstern, der vergleiehe im ersten, besten Zoo die dort gehaltenen Tiere dieser Arten: Er wird fast nie einen struppigen Raben und kaum iiberhaupt je eine wirklieh glatte Kr~ihe zu sehen bekommen. Zur Beurteihng ether so komplizierten Reaktion w~ren daher speziell bet Kr~hen Freiheitsbeob~mhtungen ungeheuer erw[inscht, und ieh wiire ftir diesbeztigliche Angaben sehr dankbar.

Von Kolkraben abet weig ich sieher, dat~ sic nicht auf das Fangen oder Tragen andersartiger Corviden mit einem Drang, sic zu ver- teidigen, reagieren, sondera, wenn ein befreundeter Mensch einen a, nderen Rabenvogel jagt oder fiingt, sogar sofort an der gagd teilnehmen und ,,umbringen helfen" wollen, was wohl ihrem Verhalten zu jagenden Artgenossen entsprieht, l)er Rabe steht also aul3erhalb des Sehutz- und Trutzbtindnisses der tibrigen Corviden, an welchem abet auch die H~ller sicher kein Tell haben, die ja tiberhaupt biologisch mehr yon ihnen ~bweiehen als morphologisch. Wenn man die Yerwandtschaft- lichen Beziehungen der sozial zusammenarbeitenden Corviden unter- einander und zuln R'tben erwitgt, so kommt, man zu der VorsteItung, dab die Asozialit~tt dieses, in dan Familiencharakteren sieher am hSehsten spezialisierten Vogels sekund~rer Namr ist. Kolkraben ver- teidigen Artgenossen sehr naehdriicklich, wenn man diese f~ngt. Der

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dabei ausgestofgene Wutton hat sogar eine gewisse Aehnliehkeit mit dem S&narren der Dohten. Aber beim Raben wirkt diese H~ndlung viel weniger triebhaft Ms bei jenen. Es seheint ngmlieh notwendig zu sein, dag der zu verteidigende Rabe dem Verteidiger bekannt sei, denn mit meinem heuer aufgezogenen jungen Raben konnte ieh anfangen, was immer ieh woIlte, ohne die vorji~hrigen im geringsten aufzuregen, ja, sic zeigten dann oft nieht libel Lust, fiber die jtingeren Artgenossen herzufallen! Dag die persSnliehe Preundseha.ft bei den Raben eine gr6gere Rolle spielt Ms die ArtzugehSrigkeit, geht aueh daraus hervor, dag mein iiltester Kolkrabe reich in derselben Weise gegen einen mieh angreifenden Kakadu verteidigte, in der er gegen ein Stuhen- m~bdchen Stellung nahm, welches sieh bestrebte, seine Brant aus einem Gewirr yon Wollf~tden zu befreien, in das sieh letzterer Vogel, mit dem Strickstrumpf meiner Mutter spielend, eingesponnen hatte. Der Angriffston des einen Freund verteidigenden Kolkraben ist derselbe, dela sic beim Anbliek eines Hundes oder einer Katze ausstiegen, ebenso regehnN]ig beim Erblieken eines gewehrbewaffneten oder aueh nut jiigedihnlieh gekleideten Mannes. Er unterseheidet sieL. dureh seine Kiirze und Hiirte, sowie durch seinen nasalen Klang yon dem ge- wShnlichen Raufton des Kolkraben. Sehr ~hnlieh, aber noeh nasMer und viel hSher war der Ton nistender Nebelkr~ihen, wenn sic, in dem Bestreben, racine Raben aus der Umgebung ihres Nestes zu vertreiben, auf sie stiegen. Der Sehnarrton der Dohlen hatte nfit den Angriffs- tSnen yon Rabe und Nebelkriihe die H~rte und den nasalen Klang gemeinsam, untersehied sieh aber vor allem dadureh, dag er fortlaufend und ni&t in einzelnen Absiitzen ausgestogen wurde.

]oh habe in meiner ersten Arbeit der Ansieht Ausdruek gegeben, dag der Angriffston der Dohlen identiseh sei mit dem Quarren, das m~m hSrte, wenn die VSgel auf einen Raubvogel, oder nut spielend auf einander stogen, und ebenso identiseh mit dem Angsthmt des in hSchster Not befindliehen oder sieh w~hnenden Vogels. Bei n~herer Bek~nntseha:ft vermag rn~n jedoeh MIe drei Laut~ngerungen gut aus- einanderzuhMten. W~hrend der Angstlaut dutch seinen mehr kreischenden Klang unterseheidhar ist, sind das Sehnarren helm Angriff und das Quarren beim spielerisehen oder ernsten Stogen vor allem darin verschieden, dM] ersteres, wie gesagt, fortlaM%nd, ]etzteres nur in wenigen, rasch aufeinanderfolgenden, kurzen TSnen vorgebraeht wird. Das Stogquarren, das aueh etwas tiefer, weieher und weniger nasal klingt Ms das Angriffssehnarren, ist in gena u der gleiehen Bedeutung der Dohle~ den Kr~henarten und dem Raben gemeinsam und, auger

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vielleieht an der TonhShe, bei den einzelnen Arten kaum za unter- seheiden.

Da, wie aus dem Gesagten hervorgehen dtirfte, die Kameraden- verteidigung der Raben nieht mit vSlliger Sicherheit Ms arteigene Triebhandlung anzusprechen ist, dis Sehnarreaktion der Dohlen aber ganz sicher eine solche darstellt, w~re es nun yon grogem Interesse, zu wissen, wie sieh Kr~hen darin verhatten.

Ungemein bezeiehnend ftir den fast reflektorischen Charakter der Sehnarreaktion war damals, als ich diese Triebhandlung zum erstenmal genauer kennen and in ihrer Bedeutung verstehen lernte, aueh das Verhatten Tschocks. Dieser Vogel war im a]lgemeinen doeh gegen reich eitel Anhgnglichkeit und Z~rtliehkeit and hal]re dabei die jungen Dohlen, die bei seiner Einsteliung ftir ihn gar keine Artgenossen be- deutetem aus tlerzensgrund. Und trotzdem bek~tmpfte er reich sofort bis aufs Blur, wenn ieh eine der jungen Dohlen in die Hand nahm! In allen anderen Lebenslagen benahm sich Tschoek gegen die dungen nur feindselig, jagte sie stets yon meiner Seha]ter and verfo]gte sie in jeder Weise. Die Kleinen jedoeh warden dureh diese iiblen Er- fahrungen nieht gemtzigt, sondern liet%n ibm sperrend entgegen, so oft sie ihn sahen, insbesondere wenn er auf grSl3ere Distanz angeflogen kam. Sie erkannten Mso triebm~lJig die geringen Untersehiede zwisehen Jugend-and Alterskleid ihrer Art, denn untereinander bettelten sie sieh nie an. Sie kSnnen iibrigens aueh eine gewisse Erinnerung an ihre Eltern gehabt haben; denn sie waren in reeht vorgeschrittenem Alter in meinen Besitz gelangt.

Naeh einiger Zeit i~nderte Tschoek ziemlieh plStzlieh sein Verhalten gegen e ine bestimmte junge Dohle, und zwar gegen Linksgelb. Diesen Vogel adoptierte, fiihrte and ftitterte er. Ich lernte jetzt den Futter- loekton der Dohlen kennen, den auch der seine Gattin fi]tternde Dohlen- ehemann gebraueht. Dieser Ton ist einer der wenigen tierisehen Ver- st~ndigungsInittel, deren Genese ohne weiteres klar ist. Er ist eigent- lieh der ge~6hnliche Dohlenloekton ,kia", der dadureh abgeSndert ist, dal~ der Vogel den Kehlsack so stark gefttllt hat, dal3 er den Schnabel nieht 5ffnen kann, ohne etwas yon seiner Beute zu verlieren. Beim Loeken seiner Jangen stSgt der Vogel aueh dann denselben Ton arts, wenn er nur so wenig im Kehlsack hat, dal~ er sehr wohl das gewShnIiche ,,kia" mit offenem Sehnabel aasstogen kSnnte. Ja, er loekt sein Junges sogar bei nachweislicher Leere des Kehlsacks mit diesem Futterton, er benutzt also bei der Ftihrung gewissermagen Vorspiegelungen falseher Tatsaehen, auf die ihm das Jnnge jedes h'Ia.1 h ereinfNlt. Itatte aber umgekehrt

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Tsehock den Kehlsaek wirklich stark gefiillt, so bemerkte Linksgelb dies sofort, an& ohne dat~ Tsehoek seinen Loekton yon sieh gab, und begann zu betteln. Linksgelb folgte Tsehock wie sein Schatten. Weder zu Fag noeh in tier Luft war er jemMs weiter als zwei Meter yon ibm entfernt. Wenn er ihn doeh einmM verloren hart% war er ganz ver- zweifelt und hilflos. Mit hoeh erhobenem Kopf umhersp~hend irrte er, ummterbroehen rufend, herum, genau wie ein ~orloren gegangenes G~nsekiieken. Diese Abhangigkeit yon den ftihrenden Eltern l~gt sieh iiberhaupt nut mit der maneher junger Nestflii&ter vergleiehen. Das Merkwiirdige daran ist, dat3 sie erst entsteht, wenn die Jungen beginnen, mit den Eltern auf ]?uttersuehe zu gehen. Denn his damn, also bis lange naeh dem ;Pliiggewerden, zeigen sie keinerM Drang den Eltern naeh- zufliegen, sondern sitzen in der n~ehsten Umgebung der Nester und erwarten die fiitternden Alten, wie die meisten andern SperlingsvSgel es tun. Dieses nestfliiehterartige Fiihren der Jungen setzt bei den Dohlen also erst zu einer Zeit Bin, da andere Sperlingsv6gel setbst- st~ndig werden. Es erkl~Xrt die starken Untersehiede zwisehen den Reaktionen der jungen und der alten V6gel, vor allem die Reaktions- arrant und geringere Intelligenz der Jungen. Unter allen andern ein- heimisehen RabenvSgeln zeigen nut noeh die erwaehsenen Jungen der Saatkriihe eine ~hnliehe Unbeholfenheit. Ieh mSehte dMler vermnten, dal3 dieser Vogel eine ghnliehe Fortpflanzungsbiologie hat, was ja sc.hon dadureh, dal3 er aueh goloniebriiter ist, wahrseheinlieh gemaeht wird. Alle anderen RabenvSgel erreiehen sehon, sowie sie wirklieh fliegen kSnnen, ihre Eltern so ziemtieh an Intelligenz. Daher t~£llt ein Ver- gleieh zwisehen einer 2--3 Monate alten Dohle und einer ebensolehen Elster sehr zugunsten letzteren aus, w~hrend ein Jahr sp~ter die DoMe der Etster an Ged~ehtnis, bei Gitterversuehen, an Aktionsradius, kurz in fast jeder Iiinsieht iiberlegen ist. - -

Die Unf~thigkeit meiner jungen Dohlen, Probleme irgendwelcher Art selbst~tndig zu t6sen, wnrde mir dadurch besonders auff~llig, dag ieh st~indig Tsehoek und spgter aueh die junge Elster als Vergleiehs- objekte vor Augen hatte. Die jungen Dohlen begriffen z. B. das Wesen der Gitterttire I dnreh die sie doch jeden Morgen ins Freie flogen, ab- solat nieht. Wnrden sie anl3erhalb des Flugranmes durstig oder sehhfrig, s o strebten sie, wenn sie sieh anf dem Gitterdaeh nieder- gelassen hatten, geradewegs anf das Bodenfenster zu und kamen hie auf den Gedanken, den kleinen Umweg dutch die Tiire zu maehen. J e heftiger es sie nach dem Bodeninneren verlangte, desto nnmSglieher war es ihnen, sieh soweit yore Fenster zu entfernen, dag sie die Tiire

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im Gitter h~itten finden kSnnen. First wenn sie ihre Absict~t als un- durchfiihrbar anfgaben, kam es vor, dug sie znfgllig in die N~ihe der T[ire kamen, das Bodenfenster durch sie ohne dazwischentiegendes Gitter erblickten und sieh dann hineinfanden. Aber nietlt einmM dur& das hgufige Vorkommen dieses zufNligen Gelingens lernten sie, den Weg zielbewul3t zu finden. Wie zu erwarten, waren sie aueh nieht imstande, das Beispiel Tschoek's zu verwerten, tier ja den ganzen Tag dutch die Tiire aus- nnd einflog. Es wgre mir nun ein Kleines gewesen, eine Klappt[ire fiber dem Bodenfenster so anzubringen: dug aueh die jungen Dohlen sie h~ttten finden miissen. Ieh tat dies jedoeh absiehtlieh nieht, da ieh beobaehten wollte, in welehem Alter sie dieses spezielle Problem ebenso gut 16sen wiirden, wie alte VSgel. Als [[schock nhmlich den friseh erbauten Flugkgfig bezogen hatte, hatte er die Tiire von Anfang an begriffen, ohne dug ein Vorgang des Lernens zu beob- aehten gewesen w~tre. Die Antwort auf dieses ,,Warm" wurde mir in sehr eindrueksvoller Weise. Als ieh am 7. August die Dohlen einsperrte und eingesperrt hielt, weil ieh auf mehrere Wochen verreiste, hatte sieh ihr Verhalten der T[ire gegentiber in keiner Weise gettndert; Jcb mugte sie daher his dahin jeden Abend einzeln in den g~fig loeken. Als ieh sie dann bei meiner Riiekkunft am '2. September wieder freiliel3, begriffen sie die Tar ebenso sehnell und vollst~tndig, wie Tsehoek es getan hatte. Dug dieser Umsel~wung gerade zu einer Zeit eintrat, als die V6gel keine Gelegenheit hatten, die Tiir zu ,,lernen", zeigt besonders Mar, wie nicht ~tugere Umst~nde die F~higkeiten des Vogels fortbitden, sondern dug die geistigen F~thigkeiten einer gesunden Dohle in jener Jahreszeit eine gewaltige Vermehrung erfahren, was sieh auger bei Gitterversuehen auch noeh in anderer Weise ausdr~ckt. Da zugleich der Naehfliegetrieb erliseht und sich eine Neigung bemerkbar maeht, sieh dem Pfleger persiJnlich zu entfremden (aueh das innige ¥erh~ltnis zwisehen Tsehoek und Linksgelb 1/Jste sieh um diese Zeit), so kaml man wohl annehmen, dal3 alas tier Moment ist, in dem sieh die Familien aufl~Jsen. Selbst die Gatten alter Paare zeigen eine gewisse Ktththeit gegeneinander.

Um abet bei der zeitlichen Reihenfolge zu bleiben: Noeh im Friihsommer bekam ieh zwei weitere jm:ge Elstern, die offenbar yon einer Sp~ttbrut stammten, da sie noeh sehr kurzsehw~inzig waren. Zun~tehst waren sie sehr zahm, verwilderten abet sofort vollsthndig, als ieh sie zu den andern V6geln setzte, wie es Elstern bei einem derartigen Umgebungsweehsel sehr leieht tun, wenn man nieht strenge Gegenmagregeln trifft. Ihre Seheuheit war mir sehr unangenehm, da ich ihnen, die mir ja nieht aus der Hand fragen, dauernd Futter im

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Kgfig stehen lassen mut3te, was ja aueh emf meine Dohlen einen schleehten erziehlichen Einflul~ haben mul~te. Nach kurzer Zeit kam eine der beiden seheuen Elstern ans Versehen frei. Ieh hgtte nun yon einem Ba.nmvogel, der wie die EIster im Freien hie in HShlen gdlt, nieht erwartet, dab er iiberhanpt dazn zu bringen sein werde, nnter ein Dach zurtickzukehren, da ihm doeh jeder Baum eine ebenso gnte oder bessere Schlafgelegenheit bietet. Die freigekommene Elster kam nicht nur aufs Dach zuriick, sondern land auch, im G-egensatz zu den jungen Dohlen, yon selbst prompt zur Tiir hinein. I ch bemerkte sie erst abends, als ich wie gew6hnlieh die Dohlen einzeln in den giifig praktizierte, wie sie ruhig auf ihrem angestammten Sehlafplatz sal~. Diese Leistnng der noch knrzschwgnzigen, scheuen kleinen Elster er- staunte reich sehr and veranlaBte mich, jetzt auch meine zahme and votlstgndig ausgewaehsene Elster freiznlassen, was ieh bis dahin nle gewsgt hatte. Als ieh ihr die Tiire /Sffnete, war sie sofort im Freien. Zungehst lief und flog sie nnr mit den Dohlen auf dem Daehe nmher, bMd aber wurde sie aufgeregt, maehte sieh lang und diinn, genau wie alte Dotflen, wenn sie beabsiehtigen eine grSltere Distanz zu fliegen. Im n~ehsten Augenbliek sehog sie sehon davon nnd versehwand kerzen- geraden Pluges in der Ferne. Die Dohlen flogen so weit mit, wie es ihr damals noeh sehr kleiner Aktionsradins gestattete und kamen dann zn mir zurtidc Trotz meiner gestrigen Erfahrnng mit der anderen jungen Etster konnte i& mieh so wenig yon dem Vorurteil freimaehen, dag die Elster ~thnlieh reagieren mtisse wie die Dohlen, dag ieh ihr spontanes Zurtiekkommen ftir v/511ig unm6glieh hielt. Ieh steekte daher ein S~ekehen mit Mehlwtirmern in die Tas&e, mn den Vogel loeken zu kgnnen und wollte mieh eben aufmaehen, nm ibm naehzugehen, als ieh ihn dur& das Yenster wieder erbliekte. Die Elster kanl hoeh in Luft ebenso geradewegs, wie sie weggeflogen war, zuriiek und lieg sich, )iber dem l-Iause angelangt, in elegantem Sturzflug herunterfallen, nm nidlt ganz einen Meter yon mir entfernt zu landen. Ihr Verhalten erweekte den Eindruek, als ob sie das alles sehon sehr oft getan h~tte. Der Flng der sehneller sehlagenden und wendigeren Elster kann im K£fig viel vollkommener zur Ausbildnng gelangen als der der Dohlen, soda g aueh darin dis erstmalig freigelassene Elster in keiner Weise dem sehon seit einem Jahr freifliegenden Tschoek unterlegen war, denn der Aktionsradins dieser ersten Exkursion blieb nieht viel hinter dem der weitesten Fliige Tsehoeks zurtiek. Wie wenig die Orientiernngs- fghigkeit einer jungen Dohle dutch individuelles Lernen zunimmt, hatte ieh sehon im Vorjahre an Tsehoek erfahren, aueh hatte ieh beobaehtet,

Journ. i. Orn. LXXlX. Jahrg. Januar 1931. 6

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dal3 zum ersten MM in ihrem Leben freigelassene Dohlen nach wenigen Tagen den seit langer Zeit freien Tschock an Aktionsradius und Orientierungsf~higkeit iibertrafen, aber niemals h~tte ieh derartiges yon einem aeht Wo.chen ~lten Jungvogel erw~rtet.

Schon frtiher hatte ich vermutet, dal~ junge Elstern viel weniger und viel ktirzere Zeit yon ihren E!tern abh~ngig seien. Dies wm~de dutch das Verhalten dieser Elster bestgtigt. Sie leistete mir innerhMb ihres Gebietes wohl oft Gesellschaft, verlieg reich abet ebenso oft plStzlich und zeigte sieh tiberhanpt in keiner Weise auf meine Person angewiesen, zumindesten lieg sie keinerlei Ungemach vermuten, wenn sie reich aus den Augen veEoren hatte. Sie wurde im Freien vie] zghmer Ms sie im K~fig gewesen war. Wir tauften sie Elsa und sie lernte bald auf ihren Namen h6ren, d. h. mehr anf ihn achten als auf den Dohlenlockruf, mit dem ich die Dohlen rufe. Als sie vollst~ndig eingeflogen war, erschien ihr ,,CTebiet" viel kleiner, Ms es den ersten Aus- flfigen entsprochen h~tte, und an die Grenzen dieses einmM gew~ihlten Ge- bietes Melt sie sich dann sehr genau. ObwohI sie reich innerhalb dieser Grenzen gem begleitete, verliel3 sie reich sofort, sowie ich sie iiber- sehritt, und flog fast fluchtartig zu unserem i-Iau% dem Zentrum ihres Gebietes, zuriick. Zu diesem Verhalten hatte sie guten Grund. Bei Grenzfiberschreitungen wurde sie ngmlicb sofort wiitend von eineln alten Elsternpaar angegritlen, in deren Gebiet offenbar unser Garten lag. Elsa vermoehte sick ~iberhaupt nur dadurch zu harem dal~ sich die eingesessenen Etstern nicht niiher, als es diesen Grenzen entsprach, ans flaus heranwagten; sie, nicht Else, hatten also diese Grenzen ge- zogen. G egen Herbst schwand diese Feindschaft, und Elsa pflegte sieh dann viel in GesellsehM% ihrer fri]heren Verfolger und deren Kinder herumzntreiben. Im n~ichsten Frtihjahr ging es Elsa noch schleehter. Jetzt lag unser Haus auf strittigem Gebiet zwischen den Reiehen zweier Elsternpaoze. Besonders das 6stliche Paa.r lauerte geradezu darauf, dag Elsa sich yore Hause entferne. Die beiden VSgel sal3en oft stundenlang in den Wipfeln der benachbarten B~ume und liegen kein Auge yon Elsa, die sich auf dem Daeh des Hauses herumtrieb. Oft vergal]en die beiden Elsternpaare ihren Zwist miteinander und waren zu viert hinter E]sa her. [m Frt~hjahr 1929 hatte Elsa Ms zweij~.hriger, sieher miinnticher Vogel ein eigenes Gebiet erobert, das sie mit einer 1928 aufgezogenen~ offenbar weibliehen Elster teilt. Zur Brut sind die Beiden 1.929 wegen der Jugend des Weibehens nieht ge- schritten, wiewohl sie ein Nest bauten.

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Bemerken mSchte ich noch, da~ die BMzbewegungen des M~nnchens in keiner Weise mit denen der m~nnlichen DoMe fibereinstimmen. Der Etsterhahn umhiipft sein Weibchen mit hochgehaltenem Kopf, stark gestrgubtem Untergefieder und schief getragenem Schwanz und singt leisc dazu. Daxin erinnert er also vielmehr an manche Klein- vSgel a]s an andere Raben. Ein ~uBerlicher Unterschied zwischen Elsa und dem Weibchen besteht darin, dal3 die Armschwingen bet letzterem in ihrer ganzen L~nge griin schillern~ w~hrend sie bet Elsa eine breite, rot violett-irisierende Querbinde tragen. Es ist mir unbekannt, ob das ein konstanter Gesehlechtsunterschied ist; ich habe beide Varianten bet JungvSgeln im selben Nest gefunden.

Nach den Erfahrnngen mit Els~ m5ehte ich annehmen, dab junge Elstern ihren Eltern nicht in der Weise nachfliegen~ wie junge Dohlen es tun; der Trieb dazu fehlt ihnen fast vollstgndig. Dafiir sind sie abet, sowie sie richtig fliegen kSnnen~ ihren Eltern an selbstgndiger Orientierungst'~higkeit so gut wie ebenbfirtig, zumindestens innerhalb des recht engen Gebietes~ auf welches sieh ein altes Elsternpaar zur Brutzeit beschr5nkt. Daher ist so ein Jungvogel auch gar nicht un- glticklich, wenn er den Pfleger aus den Augen verliert, im Gegensatz zu Dohlen oder anderen mit einem Nachfolgetrieb versehenen jungen Tieren.

Da der Sperrtrieb bet Elstern regelm~tBig friiher erlischt als bet Dohlen, so seheinen sie kiirzere Zeit yon ihren Eltern geatzt zu werden ~ls diese. Hierbei ist noch zu be14icksichtigen, dab vom Menschen auf- gezogene JungvSgel meist lgnger sperren als sie es drauBen tun.

Ueber s~mtliche Dohlen, Tschoek inbegriffen, hatte Elsa bald die Oberhand. Wenn sie mit ether Dohle r~ufte, konnte m'~n auf das Deutlichste sehen~, um wieviel wendiger sie im engen Raum des Kgfigs flog und um wieviel sie vor allem ihren Gegner an SteigfAhigkeit iiber- tr~f: im Augenbliek hatte sie ihn tiberstiegen und zu Boden gedrfickt. Sie verfolgte insbesondere Tschock, der seinerseits die Oberherrschgft tiber die Dohlen hgtte. Den jungen Doh]en gegeniiber war sie ganz i~'iedfertig, n~ehdem sie sie einmsd yon ihrer Ueberlegenheit iiberzeugt ha.tte. Diese verstanden nun die Fehde zwischen ihr und Tschock in sehr interessanter Weise ~uszuniitzen: Tschoek pflegte n~mlich alle Dol~len mit alleiniger Ausn~hme seines Adoptivsohnes yore Futternapi~ den ich den VSgeln in der Hand vorhielt, wegzujagen. Wenn nun Elsa. zum Napf kam und ihrerseits Tschock wegjagte, so benntzten die Uebrigen sofort zielbewuBt die Gelegenheit satt zu werden, wobei ihnen Elsa, nie etwas tat.

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Als im fterbst GelbgTtin, das stgrkste ~{~nnchen unter den Jungen~ die I-Ierrsehaft fiber die Dohlen an sieh rig, iibertrng Elsa in sehr be- aehtenswerter Weise ihre Feindsehaft auf diesen Vogel. Aueh der jeweilige Herrscher einer Dohlensehar ist nS~mlieh nur gegen ,,Kron- priitendenten" b6se, gegen die in der Rangordnung fief unter ihm stehenden VSgel abet friedfertig. Bei nicht ausgesprochen sozialen VSgeln, die man zwingt, auf so kleinem Raum~ wie ein Flugk~ifig ihn darstellt, beisammenzuleben, pflegt sieh ja aueh eine genaue ,,Beig- ordnung" auszubilden~ abet dort gehen dann die St~irksten eben gerade auf die Sehwiiehsten los. Dieses VerhMten hS~tte ieh aueh yon der Elster erwartet und nie bei diesem wenig und nur zu gewissen Zeiten geselligen Vogel diese I-Iemmung vermutet. Dug die Dohlen auger dieser Hemmung zum S&utze tier Sehwiieheren no& eine Triebhandlung zur aktiven Unterdrtiekung yon Tyrannen haben, sei bier erwghnt. Sie wird im Laufe der zeitlieben Reihenfolge beschrieben werden.

Diese relative Vertrggliehkeit der Elster den Dohlen gegentiber fund ihr Ende, als sie gegen das Friihjahr 1999 ernstlieh in Portpflanznngs- stimmung kam: da brachte sie einige sehwaehe junge Dohten glattweg urn. Sie hatte eben den Trieb, ihr ,,Gebiet" yon Mitbewohnern zu siiubern.

Gegen alles, was nieht Rabenvogel war, wa.r sie immer sehon sehr angriffslustig gewesen. Sie zeigte sehon friih eine deutliche Neigung, jedes Tier, dem sie begegnete, sei es grog oder klein, Vogel oder S~tnger, probeweise einmM yon. hinten anzugreifen; diesen Trieb teitte sie mit meinen Kolkraben, nieht aber mit den Dohlen. Sie ngherte sieh ihrem Opfer stets yon hinten, indem sie seitwiirts, st~indig in fief geduekter, abflugbereiter Stellung an es heranhiipfte. War sie ibm dann so in aller Stille geniigend nahegekommen, so haekte sie mit aller Kraft zu, um fast gleichzeitig mit einem rasehem Fliigelschlag einen halben Meter zu retirieren. Ploh nun der Angegriffene, so erneute sie sofort ihren Angriff mit erh6hter Kt~hnheit, das heigt sie flog ihm meist yon hinten auf den Riieken. Setzte er sich aber zur Wehr, so flog sie nieht welt fort, wie Ruben es im gleiehen PMle tun, sondern sprang nur nnter lautem Sehaekern ein ganz kleines Stiiek zur SeRe und traehtete sofort wieder ihrem (:}egner in den Riieken zu kommen. Meinen freifliegenden Gelbhaubenkakadu brachte sie dadnrch geradezu zur Raserei. Nach einigen wtitenden Vorst6gen~ die yon fiirehterliehem Geschrei begleitet wurden, gab der groge Vogel den Kgmpf regelm~t?ig auf nnd flog so welt davon, da[3 sein Zorngekreiseh in der Ferne verklang.

Unsere ttunde versuehten anfangs naturgem~il~, die freche Elster zu fangen. Dann fiihrte die Elster den Verfolger in ganz engen Kl"eisen

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so lange herum, bis er einfach nicht mehr weiter konnte. Sowie er dann stehen bheb, sal~ sie sofort wieder nicht einen ganzen Meter ent- fernt vor seiner Nase und versuehte regelrecht, ihn zu weiterer Ver- folgung zu veranlassen, indem sie immer wieder abflog und sich sofort wieder schackernd vor die Nase des Hundes setzte. Die iiberrgsehend kurze Reaktionszeit erlaubt es der Elster~ alas Raubtier unglaublich nahe an sich heran kommen zu lassen, ohne erwischt zu werden.

Ein Kinofilm, den ich yon der beschriebenen Szene mit dem tlunde aufnahm, zeigt sehr schSn, wie genau der Vogel immer diese]be geringe Distanz zwisehen seiner Schwanzspitze und der Nase des Hundes auf- recht erhielt, was besonders auf solchen aufeinanderfolgenden Einzel- bildern sch5n zmn Ansdruek kommt, wo auf einem beide Tiere kaum 40 cm vbn einander am Boden sitzen, auf dem niiehsten aber immer noeh in derselben Distanz voneinander sieh in roller Fahrt befinden. Eine andere~ sehr zahme E]ster hatte die unangenehme Eigenschaft~ die beschriebene Reaktion auch dem Menschen gegenfiber zu bringen. Sie pflegte eine Zeitlang tgglieh beim Morgengrauen zu meinem Schlaf- zimmerfenster hereinzukommen und reich dann ganz fiirchterlich zu belgstigen. Wenn ich sie dann hinausjagen wollte, nahm sie mir gegen- fiber die gleiche Haltung ein, wie Etsa gegen die Itunde, und war dureh nichts zu verseheuehen. Weder dutch Wurfgesehosse noch durch einen umgekehrten Stuhl, der ffir Tschock der Inbegriff alles Schreek]ichen war, liel~ dieser freche Vogel sich einsehiichtern.

Noeh im Sommer 1927 konnte ich durch eine gltiekliche Zufalls- beobachtung an FreiheitsvSgeln meine Vermutung bestatigen, dal~ das beschriebene Iterausfordern und Miidehetzen yon Raubtieren bei der Elster eine al~eigene Triebhandlung darstellt: Ich sail niimlieh auf einer Wiese knapp am Rande eines hohen Kornfeldes eine Schar yon auf- geregt schnatternden Elstern sitzen, die immer abwechselnd hochflatterten und sieh wieder niederliegen.

Da ein tiefer Graben mir gute Deckung bot~ konnte ieh reich nahe genug an die VSgel heranschleichen, um folgendes zu beobachten: Auf der Mriese sagen 14 Elstern mit den K6pfen gegen das Korn gewandt und rtickten in tier an Elsa beobaehteten geduckten Ste]hng langsam vor. P15tzlieh kam aus dem Felde hervor in herr]iehem Sprunge ein Wiesel auf die n~chste E]ster zugeschossen.

Es erreichte aber sein Ziel genau so wenig wie mein Hund und wurde genau ebenso genasfiihrt. Im Augenbliek nan, da der ldeine t{iiuber seine Jagd anfgab und umkehrte, waren s~mtliche Etstern blitzsehnell hinter ihm her. Das Wiesel mull sehr hungrig gewesen sein, denn es

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kam wohl ein Dutzend Male aus dem Korn hervorgesprungen und schnellte fast meterhoch in die Luft, aber es gelang ihm ebensowenig wie dem Hund, den immer gleichgrol~en Vorsprung des Vogels zu ver- ringern. Neben den Elstern wirkte dieses Sinnbild aller Flinkheit geradezu plum[).

Ich kann mir nun sehr gut vorstellen, dab die Elstern auf diese Weise jedem Raubtier den Aufenthalt in dem yon ihnen bewohnten Gebiete so sauer machen, dal~ es vorzieht, anderswo zu jagen, womit dann wohl der Zweek der Triebhandlung fiir die Elstern erreicht sein diirfte.

Infolge ihrer kurzen geaktionszeit sind Elstern im Gegensatze zu Dohlen sehr wohl imstande, Heuschrecken zu fimgen. Zwar eutdecken sie diese schutzfgrbigen Insekten, solange sie stille sitzen, genau so wenig wie die Dohlen, aber sie fahren jeder wegspringenden Heuschrecke mit einem Satze nach und erh~schen sie im Augenblicke, wo sie lander.

Ueberhaupt scheint die Elster viel mehr aufs Tierfressen eingestellt zu sein, wenigstens schienen die meinen tierische Nuhrung viel mehr zu vermissen als die Dohlen.

Hier miichte ich erwi~hnen, dal~ meine Kolkr~ben auch stillsitzende Heuschrecken sofort sehen. Da kaum anzunehmen ist, dal3 sie ein feineres F~rbenunterscheidungsverm~gen oder eine bessere Optik des Auges besitzen als andere Corviden, mSchte ich annehmen, d~l~ bei ihnen die zentrale Verwertung ihres a,n sich dem jenes g]eichwertigen Bildes eine um so viel bessere ist. Dies steht auch mit ihrer sonstigen geistigen Uebertegenheit sehr gut fin Einklar.ge.

Aus allem Gesagten msl~ hervorgehen, dal~ die Dohlen bei jedem Vergleiche mit den gleichalterigen Elstern geradezu klgglich ab- schnitten. Die Abhgngigkeit yon der elter]ichen Ftihrung driickte sich bei meinen eltern- und fiihrerlosen Vggeln leider auch darin aus, dal~ ein ungeheuer hoher Prozentsatz verungliickte. Gleich im Juni verflogen sich drei Stack. Sie waren wohl durch irgend einen Zufall etwas weiter als gewShnlich vom Hause abgekommen. Ich sah noch zufgl]ig, wie sie in betritchtlicher Entfernung in der ihnen charak- telistischen Weise eng geschlossen and st~ndig lockend umherkreisten und schliel31ich donauabwgrts verschwanden. ~gch zwei Tagen w~r einer der drei wieder d~ die anderen beiden blieben verschollen. Sicher ist der kViedergekommene rein zufgllig in ttSrweite an unserm Ha.us vor- iibergekommen und dutch dus Rufen seiner eingesperrten Kameraden heimgelockt worden.

Der n~chste Vogel, der zugrunde ging, war Blaurot. Ihn fanden wir im ngchsten Jahre als Mumie in einem Schachte der Luftheizung.

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Kurz nach seinem Versehwinden fehlte leider Blaublau, also ungliick- lieher Weise gerade der zweite der besonders gez~hmten VSgel. Bis zu meiner Abreise am 7. VIII . 1927 versehwanden dann noch rasch hintereinander Linksgriin und Rechtsblau. Da die drei letztgenannten jeder einzeln verschwanden, bin ieh der Ansieht~ dag sie Ungltieksfatlen zmn Opfer gefallen sind, denn es ist mir geradezu unvorstellbar, dag eine junge Dohle Mlein davongeflogen sein soll. Wahrseheinlich wurden sie yon unsern Katzen gefressen.

Dafiir, daft der Mangel an Ftihrung t ier Cxrund dieser hohen Mortaliti~t war, sprieht au.eh die Tatsaehe, daft naeh dem im August vor sich gegangenen Umschwung in den Reaktionen der Dohlen keine einzige yon ihnen mehr verungliiekte~ wenigstens nieht in der Zeit vom 2. IX., dem Datum meiner Rfickkehr, his zum 4. XI. ; an diesem Tag sperrte ich n~mlich die g6gel :Nr den ganzen Winter ein, da sie eine bedrohliche Tendenz zeigten, sieh mit durehreisenden Dohlenwander- seharen zu vereinigen.

Wghrend dieser zweiten t~reiflugperiode flog Tsehoek wieder dauernd mit einer in der N~the hausenden, kleinen Nebelkri~hensehar. Jeden Morgen nach dem Freilassen sehraubte er sieh sofort hoch in die Luft hinauf und ruderte zielbewuftt in tier Riehtung davon, in der er die Krghen wugte. Zur Mittagszeit kam er dann stets zurtick, um se.iner Gewohnheit gemil~ mit uns Mensehen an unserem Mittagstiseh zu speisen. Ns~eh einer kurzen Verdauungspause flog er dann wieder zu seinen Nebelkri~hen. Um die jnngen Dohlen, aueh um Linksgetb, kiimmerte er si& tiberhaupt nieht mehr, wiihrend diese ihrerseits in dem Sinne yea ihm beeinfluftt wurden~ dab sie ihren Ausfltigen dieselbe Riohtnng gaben wie er den seinen.

Genau so wie Tsehoek zu mir hielt, hielten sie untereinander umso fester zusammen~ je welter sie yon ihrem Aktionszentmm entfernt waren, besser gesagt, je unbekannter ihnen ihre Umgebung war. Immerhin zeigten sie hie jenes innige, unbedingte ZusammenhMten, das man an den herbstliehen Wanderseharen beobaehten kann. Da sol&e Reise- gesellsehaften in einer ihnen unbekannten Gegend keine bestimmten Fatter-, Trink- und Sehlafpliitze haben k6nnen, wie die dort ansissigen V6gel sie besitzen, sondern vielmehr ihre Mahlzeiten und ihre Ruhe aufs Geratewohl abhMten, wo Zeit und Ort just giinstig seheint, hat also eine yon der Sehar abgekommene Dohle reeht wenig Hoffnung, diese wiederznfinden. Daher erseheint das geradezu iingstliche Zusammen- halten derartiger ¥6gel verst~i,ndlieh.

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Bei einiger Vertrautheit mit der Bewegungsweise der Dohlen sieht man diesen ~Vanderern ihren Mangel an LokMkenntnis sofort an. Abgesehen yon ihrer Tendenz, eine bestimmte Riehtung innezuhalten, solange sie hoeh in der Luft dahinstreiehen, verhalten sie sieh fast genau wie fiihrerlose JungvSgel ihrer Art: sowie sie zum Zweeke der Futtersuehe oder der Naehtruhe niedergehen, maeht sieh dieselbe IJn- sieherheit nnd Unentsehlossenheit bemerkbar. Man sieht dann dasselbe diehtgedr~ngte Umherkreisen und h/Srt dasselbe ewige ttin- und Wieder- rufen. Wenn sie dann gliieklieh alle gelandet sind, fliegen sie regel- m~gig noeh ein paarmal anf, ehe sie sieh ertdgiiltig beruhigen. Haben sie das Cxliiek, sehon aus der Luft am Boden sitzende Rabenv6gel zu ersp~hen, so sind sie des sehweren Entsehlusses iiberhoben und fallen geradezu blindlings bei diesen ein. Wenn ieh mieh jetzt im Oktober gegen Abend mit m einem zahmen Kolkraben auf irgend eihe Sandbank tier Donau begebe~ kann ieh mieh davon iiberzeugen, wie unglaublieh unvorsiehtig die sonst so seheuen Kri~hen und Dohlen halle bei mir einfallen, wenn sie den Strom entlang gezogen kommen. Es ist oft, als bes~ge ieh in dem Raben eine Art Tarnkappe. Auf dieser Eigensehaft ziehender Rabenv6gel beruht ja an& die Methode der Kr~henfi~nger auf der Kurisehen Nehrung. Warum gerade ziehende Dohlen und Kriihen diese auffallende Unsieherheit bekunden, ist nieht ohne weiteres klar, denn manche andere in Seharen ziehende V6gel, zumal kleinere, bewegen si& roll Entsehlossenheit, als ob sie yon einem gemeinsamen Willen beseelt wtirden, man denke an das gemeinsame Schwenken yon Staren oder Strandlgmfern. Ftir unserAuge erseheinen die Sehwenkungen der einzelnen Individuen oft absolut gleiehzeitig. Da ieh nieht annehmen mSchte, dag alle Mitglieder der Sehar jedes !VIM auf die gleiehen gufIern Reize mit derartiger Sieherheit gleieh und gleiehzeitig reagieren, was die alternative Erklgrung wiire, so glaube ich, dab ein Vogel mit der Sehwenkung beginnt nnd die andern ibm in einem unserm Auge nicht wahrnehmbaren Zeitintervall folgen. Ieh denke hierbei aneh an den Kinofilm yon der Elster und dem Hunde, wo man aneh nieht erkennen kann~ welches der beiden Tiere sieh zuerst in Bewegung setzt.

Aber aueh C_xrogvSgel mit relativ langer Reaktionszeit zeigen oft eine welt bessere ,,Organisation" ihrer Wanderseharen. Wildgansseharen z. B. bewegen sieh wie in tier Oegend ansi~ssige RabenviSgel mit roller Zielsieherheit. Dal~ diese Orientiertheit nieht wie bei den Klein- vogelseharen nut eine seheinbare ist, seheint mir der Umstand zu be- weisen, dag sie diese Orientierung v e r l i e r e n kiJnnen. Bei dem im DonautM im Herbste h:~iufigen Nebelwetter sieht man O~nsescharen, und

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naehdem das Wetter wieder klar geworden ist, Einzeltiere oder kteine Gruppen, die sichtlich im Nebel yon der Schar abgekommen sind, die sich in jeder Hinsicht ganz ahnlich verhalten, wie desorientierte RabenvSgel.

Die Wildganswanderschar unterscheidet sieh also in ihrem Be- nehmen yon einer ansiissigen Dohlensehar nur dureh ihr unbedingtes Zusammenhalten, alas dadurch notwendig gemacht wird~ daf~ ein Grof~teil der VSgel unorientiert sind, wie die versprengten Gruppen yon drei oder vier G~nsen naeh dem Nebel.

leh bin mh ~ bewuftt, dal3 die Annahme yon ortskundigen Fiihrern stark naeh Anthropomorphismus sehmeekt, aber seitdem ich erfahren habe~ wie prompt und wie genau meine Kolkraben einen weiten, nur einmal unter meiner Fiihrung gemaehten Weg allein wJederfanden, traue ich einer alten Grangalis die ungeheure Ged~chtnisleistung durchans zu, jeden Schlaf- und Weideplatz yon Lappland bis zum Donaudelta wiederzuerkennen. Es ist ja genugsam bekannt, da~ Tiere gerade im Zusammenhang mit dem Ortssinn ganz verbliiffende Ged~chtnisleistungen vollbringen.

Trotz der engen Beziehungen, welche die Mitglieder einer Dohlen- ko]onie verbinden, finder man bei ihnen, solange sie sich in ihrem Bmtgebiet befinden, kein derartiges Zusammenhalten. Aul]erhalb der Zugzeit haben n~mlieh RabenvSgel so fixe Gewohnheiten und eine so genaue zeitliche Einteilung des Tages, dag ein Zusammenbleiben der Sch~r unnStig wird, welt jeder Vogel die wenigen Plg.tze, an deren einem er seine Genossen sicher finder, jederzeit absnchen kann. Natiirlich weehsdn die Dohlen ihre Lieblingspl~itze je naeh deren yon der Jahreszeit abh~ngigen Ergiebigkeit an Beute, doch vo]lziehen sieh

so l che Aenderungen nie so schnell, dag nieht alle VSgel auf dem Laufenden blieben.

Besonders deutlieh war dieses Absuchen versehiedener MSglieh- keiten, wenn Tsehoek des Morgens nach dem Freilassen seine Nebel- kr~,hen suehen ging, wobei ieh seine Bewegungen gut mit dem Feld- stecher verfolgen konnte, wenn ieh reich auf das Dach nnseres Hauses postierte. Es sah sehr gut aus, wie er eilig nnd sehnnrgerade auf eine best]rotate Stelle des Waldrandes losruderte und, wenn er diese leer f~nd, in fast reehtem Winkel abbog und mit vollkommen ungeminderter Erfolgsicherheit ebenso geraden Fluges einen gewissen Platz auf den FeMern aufsuchte, wo er dann die Kr~hen so gut wie immer land. Genat~ ebenso verh~lt sich natiirlieh eine jede normale Dohle der Schar ihrer Siedlnngsgenossen gegen~iber.

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Vom Sehwarm der jungen Dohten, die sieh aber im Benehmen jetzt in ni&ts mehr ~on alten untersehieden, flog jeden Morgen nactt dem Freilassen ein grSgeres Konfigent naeh den friiher besehriebenen Aufbruehnformalit~ten auf die Felder hinaus. Niemals flog ein einzelner Vogel allein als erster aus. Wenn doeh einmal einer sieh dazu an- sehiekte, so kehrte er unter rasch hintereinander ausgestol3enen Stimm- fiihlungsrufen gleieh wieder zum Hans zuriiek. Und jetzt sah ieh eine Handlung wieder, die ieh im Vorjahre an Tsehoek gesehen und f~tseh- lieherweise als weibliehe V~'erbebewegung gedeutet hatte: die abgeflogene DoMe kam n~mtieh ganz niedrig tiber dem ant dem Daehe sitzenden Kameraden vorbeigenehwebt, entlastete dutch Znriieknehmen der Fltigel die Tragfl~iehe den Sebwanzes nnd bewegte dan leieht angehobene Steuer ranch in der ttorizontalen bin und her. Dies bedeutete eine Aufforderung zmn Mitfliegen, der jede damit bedaehte Doble nnfehlbar Folge leistet. Besonders h~ufig nab ieh diese Ausdrneksbewegungen zwisehen Ehe- gatten. Sie wird abet yon beiden Genchleehtern ausgefiihrt und hat nfit der weibliehen Paarungsauffordernng sieher niehts zu tun, obwohl die Bewegung an sieh genau die gteiehe ist.

Zu meinem geradezu grenzentosen Erstannen braehte sparer ein freifliegender, sehr zahmer Gelbhaubenkakadu mir gegeniiber in ganz gleieher Weise dienelbe Handlung. Da es doeh iiul~erst unwahrseheinlieh erneheint, dal~ zwei Gruppen yon einander unabh~ngig eine Triebhandlung in einer sieher nieht dureh parallele Anpassung zu erkl~renden, absoluten Gleiehheit aungebildet haben sollten, so bleibt als einzige mSgliehe Konsequenz die Annahme eines sehr grogen erdgesehiehtliehen Alters der Handhmg. Augerdem scheint es mir wahrseheinlieh, dag sie noeh vielen anderen VSgeln eigen sein dtirfte, da sie ~on zwei sieh so fern stehenden Gruppen, wie Sperlings~Sgel nnd Papageien es sind, ausge- fiihrt wird. Es gelang mir, yon Tsehoek einen Film anfzunehmen~ auf dem man gut sieht, wie er reich anfliegt, tiber mir angekommen, tiefer geht, mieh anwedelt und mit seharfer Wendung davonfliegt. Trotz meiner Bemiihungen ist mir das beim Kakadu nieht gelnngen, nnd jetzt ist rair dieser Vogel enttYemdet und bringt die Reaktion nieht mehr.

Das bet Tsehoek auf dem Film sehr aungesprochene betonte Ab- wenden knapp vor dem zum Mitttiegen aufgeforderten Frennd wird yon den Dohlen anch oR ohne Wedeln ausgeftihrt, vor allem dann, wenn dieser sieh sowieno nehon in der Lnft befindet.

Wenn eine Dohle nun ohne einen Versuch zu maehen, ihre @enossen in der besehriebenen Weise zum Mitkommen zn bewegen

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einfach yon der Kolonie wegfliegt, wie es Tsehock jeden Morgen tat, so kann man ganz sicher sein, dal] sie zu Freunden fliegt und genau weif}, wo sie diese zu suchen hat. Dieses Aufsuchen eines unsichtbaren und weir entfernten Zieles sieht stets sehr gut aus.

Den ganzen Tag fiber flogen dann einzelne VSgel odor kleine Gruppen zwischen der Kolonie und dem just zur Futtersuche bevor- zugten Platze bin und her, es bildete sogar die Regel, daB die Tiere mehr oder weniger vereinzelt heimkamen. Niemals abet ftog je ein einzelner aus, wenn alle andern daheim waren. Da die Dohlen alto zun~ehst ebenso wie Tsehoek die Mittagsstnnden zuhause verbraehten~ so erfolgte dann am frfihen Naehmittag immer ein ebenso forraeller Massenaufbrueh wie morgens.

Aus alledem geht horror, dab in der Kolonie immer gewul~t wird, ob noeh VSgel ausstiindig sind odor nicht. Da ein Z~hlen der jewei]s zu:hause befindliehen Kameraden sieher auszuschlieBen ist, glaube ich, dab jede Dohle fiber jeden ausitiegenden Siedlungsgenossen im Kopfe gewissermaBen Bueh ffihrt, welehe Aufgabe ihr dureh eine sehr ausge- sprochene Gruppenbildung erleiehtert wird, die die Vielheit der VSgel in eine leieht zu fibersehende geringe ZahI yon in sich fest zusammen- haltenden Einheiten trennt. Mensehlich gesproehen: der Vogel sagt nicht: ,..Es sind 1~ VSgel zuhause, folglieh 3 ausw~rts:', sondern : ,Es sind drauBen Gruppe A, Gruppe B und yon meiner Gruppe die Dohlen X, Y und ZK Das Zusammenhalten der Gruppen in sieh wird dann besonders deutlich, wenn diese, was manehmal vorkommt, verschiedene Ausflugsziele bevorzugen. Sehr merkwfirdig wirkt es, dab so eine Dohle nach den auswgrts fliegenden VSgeln ihrer Gruppe gar nicht hinsieht, sie also seheinbar gar nicht beachtet, sondern ruhig in ihrer jeweiligen TS~tigkeit fortfahrt. Mag nun ihre Aufmerksamkeit nnd damit ihre Bliekrichtung noch so sehr anderweitig gefesselt sein, so notiert sie deeh ganz genau, dab nnd in weleher Richtung Kameraden vorbeige- kommen sind, denn plStzlieh, oft erst naeh vielen Minuten, fliegt sie dana auf und den lgngst ant Horizonte verschwundenen so genau naeh, dab sie kaum einige Meter yon der Bahn abweicht, die jene besehrieben haben. Bis heute konnte ieh mir nicht darfiber klar werden, ob der Vogel hierbei den Weg tier andern so genau im indirekten Sehen zu verfolgen vermag, odor ob deren Bahn in dem Mage durch feste Ge- wohnheiten vorausbestimmt ist, dab der Naehkommende sie so genau innehalten kann. Letztere Annahme ist nicht so unwahrscheintich, wie es scheinen mSchte, denn manehe Tatsaehen spreehen daffir, dab die V6gel die r~iumliche Struktur ihres Gebietes zungchst ~iberhaupt nicht

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in dem Sinne einsichtig erfassen, wie wi res tun, sondern dab ihre Be- herrschung desselben genau genommen eine Summe yon sich netzartig iiberschneidenden Wegdressuren ist. Meine Kolkraben zum Beispiel wiederholten einen nnr einmal geflogenen Weg sklaviseh genau auch dgnn, wenn sie beim erstemnal mir, der ieh ihnen auf dem Fahrr~d entlang einer mehrfach gewundenen S t r~e vorausfuhr, nachfolgten und beim zweiten Male dasselbe Ziel Mlein aufsuchten. Dieses Verhalten war vet allem deswegen sinnwidrig, weft das Ziel yon unserem Hause aus sichtbar ist nnd sie also ohne weiteres in Luftlinie hgtten fliegen kSnnen. Wenn sie abet dasselbe Ziel erst auf mehreren verschiedenen Wegen besueht hatten, so wghlten sie in I~inkunft ganz einsichtig den zweckm~gigsten, d. h. kiirzesten.

Die Dohlen bleiben abet immer in hohem MM~e an das einmal Gewohnte gebunden, auch wenn es einen betr~chtliehen Umweg zmn Ziele bedeutet nnd der ger~de Weg scheinbar klar vor Augen liegt. Fiir Tsehock zum Beispiel war anfangs der Weg um unser ttaus herren uniibersehbar: Wenn er veto Fenster des Zimmers, das er darn'Ms bewohnte, um dgs Haus flog, so kehrte er immer auf dem Wege zurt~ck, den er gekommen war, und zwar auch dann, wenn er bereits drei Seiten des Hauses umflogen h~tte, also den Rtiekweg l~ngs der vierten Seite dreimM kfirzer gewesen wiire. Charakteristisch war es, dafI er dies in beiden Itiehtungen tat, also zwei Seiten yon beiden tliehtungen her bestrieh. Die r~umliche Struktur der kreisf6rmig gesehlossenen Bahn um ein undurehsiehtiges ttindernis war fiir ihn unerfagbar. Als er aber im ngehsten 3Mire auf das Daeh iibersiedelte, yon we aus die ri~umliehe Anordnung des Hanses natiirlieh vim iibersiehttieher war, ging die Saehe auf einmM doeh.

W~hrend also einfaehen r~umliehen Strukturen gegentiber die ~Vegdressur sehliel]lieh einem wirldieh einsiehtigen Verhalten Platz maehte, war dies bei etwas komplizierteren durehaus nieht immer tier Fall. Ein sehr gutes Beispiel hierfiir bet das Verhalten eines alten Dohlenpaares Gelbgrtin und Rotgelb, die im Frtihjahr 1929 bei mir brtiteten. Diese beiden V6gel batten ihr Nest im hintersten Abteil des Flugraums erbaut und die dadureh gegebenen oft sehr sehwierigen Umwegprobleme ganz ausgezeiehnet gemeistert. Mugten sie doeh, wenn sie den K~fig yon hinten angeflogen waren, 10 m welt geradlinig veto Nest weg, um zur Ttire zu gelangen, eine Aufgabe die den meisten VSgeln uniiberwindliehe Sehwierigkeiten bietet, yon diesen beiden aber jedesmal sofort ohne das geringste Z6gern gel~st wurde. Da sie aus allen andern mSgliehen Raumriehtungen kommend ganz gleieh

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zielbewul3t zur .Kgfigtiir hinein- und zum Nest hinfanden, machte es wirklich ganz den Eindruck, als ob bei ihnen Einsicht fiir die rgumliche Struktur des Kgfigs vorhandei1 wgre. Als jedoch die Jungen ausgeflogen waren und nur wenige Meter vomn Neste ei1tfernt herumsa.~en, geniigte diese geringe Aenderung in der Problerastellung, ura die V•gel zungchst vollstiindig versagen zu iassen, was bei wirklichera einsichtigen Er- fassen der Situatioi1 I1icht hiitte geschehei1 kidnnei1. [raraerhin brauchten sie kiirzere Zeit, rich in die Aenderung zu finden, als es bei einem ggnzlich neuen Problem gleicher Schwierigkeit der Fall gewesen wgre. Sie ersetzten eben die Einsicht durch eine Fghigkeit zur Selbstdressur, sie ,,lernen das Leben auswendig", wie Pincz treffend yon schwaeh- sinnigen Menschen sagt. Natiirlich koraraen so besonders komplizierte Aufgaben, wie sie der K~fig den V/Sgeln stellt, ira Freien kaura je vor, und so sah das stgndige zielsichere Ab- ui1d Zufliegen raeiner VSgel sehr ,,intelligent" aus. Besonders nett sah es aus, wenn die Sehar hoch am Hirarael yon weither nachhause kam und die VSgel dani1 im Sturz- flug herabsausten~ um dicht ura mich~ ja zura Tell auf rair zu landen.

Im Gegensatz zu Tschock wollten sie abet nichts yon mir wissen, wenn ich sie auf den Feldern traf. Sie warei1 da zwar gegen raich nicht ei1tfernt so seheu wie gegei1 F}erade, erkannten raich also sehr wohl, aber nut selten liel3en sie reich nahe herai1. Vor ai11derei1 Leutei1 flogen sie schon auf ungefiihr dieselbe Distanz auf, wie wilden Krghen. Gegen Mitre Oktober bin zeigten sie dann eine imraer wachsende Neigung, sich sowohl rait durchziehei1dei1 Dohlen als rait andersartigen RabenvSgeln, insbesondere Saatkrghen, zu vergesellschaften, wozu sie frtther, Tschoek natiirlich ausgenoramen, keinerlei Tendenz zeigten. Mit der Zeit wuchs ihr Aktionsradius stark an und sie waren iraraer seltei1er, nicht einmal raehr regelmgl~ig zur Mittagsruhepause, zuhause, dal~ ich Angst bekara, sie wiirden eines sdlSnen Tages ganz wegbleiben.

Daher schlol~ ich in tier Nacht yore 3. auf den 4. November die Kgfigtiire, die seit 2. September fiir alle VSgel ofl'engestanden hatte.

Ich hatte die VSgel in der letzten Zeit so wenig vor Augen gehabt, dal3 ich erst jetzt beraerkte, dal3 unter ihnen bereits eine aus- gesprochene Fortpflanzungsstiraraung herrschte. Besonders zwei V/Sgel, Gelbgriin und Rotrot, benahmen sich wie ein richtiges Paar, sie hielten dauernd ei1g zusammen, ftittertei1 sich gegenseitig aus dem. Kehlsacke und krauten einander den Hinterkopf. Meist fiel hierbei erstere Tgtig- keit dera Mi~nnchen, letztere den Weibchen zu, also genau so wie die Ta, uben- und Papageienpaare. Es konnte kaura eli1 Zweifel herrsehen, dab Gelbgrtin der Ma~n des Paares war. Es zeigte das so vielen Vogel-

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und iiberhaupt Tierm~nnchen eigene gespannte und prahlerische Gehaben, d.essen Ha,uptcharakteristikum darin besteht, dal3 jede, auch die kleinste Bewegung, mit iiberflt~ssigem Kraftanfwand ausgefiihrt wird. Er l id st•ndig mit gestr~ubtem Kopfgefieder um seine Brant herum nnd w~r gegen alle zu nahe kommenden Dohlen sehr reizbar. Diese erhShte Streitbarkeit war wohl mit der Grnnd, da~ sich in dieser ersten Zeit des Eingesperrtseins eine Umgruppierang der Rangordnung nnter meinen Dohlen votlzog, indem Gelbgriin Tschock aus seiner Herrscher- stellnng verdr~ngte, ein seltenes Ereignis, denn im Allgemeinen f~tlt es dem Untergeordneten nie ein, gegen den Vogel, der ihn einmal unterjocht hat, neuerdings aufzumucken. In diesem Falle mgchte ich die Urastetlung dgdurch erklaren, dal~ Tschock in der letzten Zeit so wenig Beziehungen zn den andern Dohlen unteAalten hatte, da~ sich die VSgel beim Einsperren gewissermal3en hen kennen lernten und dann Gelbgrfin bei einer neuerlichen Rauferei Sieger wnrde. Dal~ die Elster Etsg Yon Stand an Tschock in Rnhe liel] und (~elbgrt~n verfolgte~ babe ich schon erw~hnt. Einen anderen interessanten Fall yon einer Umstellung in der Rangordnnng erlebte id~ ira Herbst 19~9. Da kam Bin l~ngere Zeit abwesend gewesener Dohlenmaan znriick und besiegte nach erbittertem Kampf den Gelbgriinen. Hieranf verlobte er sich mit einem sehr kleinen und etw~s ktimmernden ~eibehen. Das alles geschah noch am Tage seiner Rt~ckkunft, und sehon ~m n~chsten gab Gelbgriin der Braut kampflos den Weg zum Futternapf frei, obwohl sie noch vor 2 Tagen in der Rangordnung der Schar der vorletzte Vogel gewesen war. So schnell iibertr~gt sich die Rangstethmg des einen Gatten anf den anderen.

Aehnlich wie die Elster gegen die als Kronpr~tendenten zun~chst in Frage kommenden VSgel am bSsesten war, war es auch Gelbgriin~ solange er herrschte. Gegen die in der Rangordnung tier unter ihm stehenden VSgel war er sogar sehr gutmiitig. Aneh im Uebrigen besteht zwischen zwei in der Rangordnung sich nahestehenden Dohlen immer ein etw~s gespanntes Verh~ltnis, w~hrend jeder Vogel dem sehr viel hSher stehenden reibungslos aus dem Wege geht.

Es diirfte hier am Platze sein, etwas n~her anf die Ausdrueks- bewegungefi der Dohlen, insbesondere diejenigen, die Xrieg oder Frieden bedeuten~ einzugehen. Wenn ein Vogel einen andern, racist natiirlich nntergeordneten~ zu vertreiben beabsichtigt, so richtet er sich mSglichst hoeh guf und geht mit steil emporgereektem Schnabet nnd knapp an- gelegtem CTefieder anf ihn zu. Das Annehmen dieser Stellung stellt sicher eine Intentionsbewegung dar, die nichts anderes ist, als ein Rudiment

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des Gegen- einander- in-die-HShe-fliegens, das wir Yon so vielen k~mpfen- den Vogelmiinnchen, so aueh vom Haushahn, genugsam kennen. Wenn der Angriffene nieht gutwillig weieht, sondern seinerseits dieselbe Stellung annimmt, so kommt es denn aueh regelmiigig in fliel3endem Uebergange zu dieser Art des Kampfes: die sieh gegen[iberstehenden VSgel werden immer liinger und l~Lnger und fliegen sehliel31ieh an einander empor, jeder bestrebt, den andern zu tibersteigen und auf den Rtieken zu werfen. Dies ist bei Dohlen die gew6hnliehe Form des nut auf persSnlieher Rivalit~t beruhenden Znsammenstol3es. Eine ganz andere Drohstellung wird angenommen, wenn zur Nistzeit eine angegriffene Dohle dem An- greifer nieht weiehen wilt, was besonders dann der Fall ist, wenn sie sieh in tier N~he ihres Nestes, oder aueh nur einer ihr geaegenen, potentietlen Niststelle befindet, also besonderen Weft auf ihren Sitzplatz legt. Dann str~ubt sie ihr Gefieder, insbesondere das des Kopfes und des Riiekens und senkt den I(opf sowie den etwas gefiieherten Sehwanz tier naeh unten, wobei letzterer meist naeh der Seite sehief verzogen wird, Yon der der Angrifl kommt. Zu dieser Defensivhaltung wird dann ein eigener Ton ausgestogen, ein hohes seharfes ,Ziek zick", bei dem der Sehwanz zuekt und das den ganzen KSrper zu ersehiittern seheint. Das Alles heil3t dann so viel wie: ,,Hier sitze ieh , dieser Platz ist mein Nest, ieh fliege yon hier anf gar keinen Fall ab und werde reich sitzend his zum Aeul3ersten verteidigen." War der Angriff nnr rein persSnlieh gemeint, so geht der Angreifer daraufhin sofort friedfertig weg, hat er aber selbst Absiehten auf den betreffenden Nistptatz, so fliegt er entweder dem anderen auf den Riieken~ womit er iibrigens selten etwas erreieht, oder aber, und das bildet die Regel, er geht in jghem Uebergange aus der gestreekten Angriffsstellung in die znletzt besehriebene Defensivstelhng tiber und die beiden sitzen sieh dann lange Zeit ziekend und drohend gegeniiber. Manchmal, wenn sie sieh sehr nahe sitzen, haeken sie aueh naeh einander, fast irrtmer abet. ohne einander zn treffen, denn unter solehen Umstg.nden riihrt sieh keiner der Beiden aneh nut einen Zentimeter yon der Stelle. Die @este ist eben die der Nestverteidigung, nnd jeder Vogel sitzt genan so lest, Ms ob er wirklieh sehon auf seinem Nest und seinen Eiern s~ige. Zur Zeit, da meine jungen Dohlen mit der Wahl ihrer Niststiitten besehiiftigt waren, h6rte das ewige Gezieke iiberhanpt kaum je ganz auf. Es seheint aber nur den noch nieht ganz fest gepaarten Dohlen eigentiimlich zu sein, denn VSgel alter Paare geben im gleichen Falle einen anderen Ton yon sieh~ der, wie wit noeh sehen werden, yon einer besonderen Reaktion gefolgt wird. Das ,,Zick zick" ist haupts~chlieh Sache der un-

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verheirateten jungen M~nner. Diese sitzen dann auch zickend in der erkgmpften tt6hhng, wobei dann der Ton wohl die Bedeutung des Zu-Neste-Loekens hat, wenigstens kro& Rotrot oft zu dem so be- sehiiftigten Cxelbgrtinen in einen Nistkasten.

Diese beiden V/Sgel hielten his kurz vor V(eihnachten zusammen, um sieh dann ganz pl6tzlieh umzupaaren. Ieh konnte diesen Vorgang leider nieht beobaehten, da ieh in Wien wohnte und die VSgel yon einem Bekannteu versorgt wurden, wiihrend ieh nut jeden Sonntag in nnser Haus kam, um nach dem Reehten zu sehen. An dem einen Sonntag waren die Beiden ein I-Ierz und eine Seele, nnd als ieh eine Woehe spttter zu den V6geln kam, ging Gelbgriin start mit Rotrot mit Rotgelb und verlfielt sich a usgesproehen feindselig gegen seine friihere Braut, die ihrerseits mit Gdbblau, dem zweitsti~rksten Miinnehen, verlobt war. Die Ursa&e dieses W e & s d s blieb mir vollkommen unklar. Es sehien mir aber, dab es den Tieren mit diesen neuen Verlobungen ernster set Ms mit der ersten. Besonders Gelbgriin und Rotgelb waren geradezu nnzertrennlich nnd sind sich aueh his zum Tode des Miinnchens treu geblieben. Es ersehien mir re&t merkwiirdig, dag V~igel, die e~'st im Alter yon zwei Jahren znr Fortpflanzung sehreiten, sich mit knapp aeht Monaten endgiiltig verloben.

Im Januar 1928 hstte meine Dohlenschar noell sehwere Verluste zu beMagen: ein Sturn~t rig das sgneebesehwerte Drahtgitter yon ether der Streben des Kgfigs los, dureh das so entstandene Loeb entkamen Linksgelb, Reehtsgelb und leider aueh Tschoek. Die VSgel konnten dann offenbar yon augen die sehr wenig anffNlige enge SpaRe nieht wiederfinden und sind wahrseheinlieh mit ziehenden Dohlen oder Krghen abgewandert. ,Iedenfalls habe ieh hie wieder etwas yon ihnen gehSrt oder gesehen. Jetzt hatte ich also nur mehr seehs yon den fiinfzehn Dohlen. Von diesen schied noeh ein Vogel, ngmlieh Linksblau, flit meine Beobaehtungen aus, well er nieht fliegen konnte. Er hatte ni~mlich offenbar Ms ganz ldeiner Nestvogel eine Krankheit durchgemaeht, die eine tiefe, durehgehende Seharte in seinem Oroggefieder hinterlassen hatte. Bet einer ni~ehtliehen Flatterei hatte er sieh dann fast sgmtliehe Sehwingen an der Stelle dieser Scharte a/bgebroehen.

Die Fortpflanzungsstimmung tier Nnf unbesehttdigten Dohlen flaute erst dann etwas ab, ats um Weihnaehten strengere Kglte einsetzte, nm abet bet Einsetzen milderen Wetters mit erneuter StN:ke zu erwaehen. Ieh habe immer den Eindruek, dal] vide VSgel, bliebe das Wetter warm, sehon im Sp~ttherbst zur Brut sehreiten wtirden, dab also die dutch innersekretorisehe Vorgt~nge bedingte Fortpflanzungsbereitschaft

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des Vogels schon knapp naeh der Manser besteht. DaB dann nur ~iul3ere Einwirknngen des Klimas den Vogel his zum Frfihjahr yon der Brut abhalten, wird durch die Beobachtung wahrscheinlich gemacht, dal] in miiden Herbsten sehr viele Vggel zu singen anfangen, ja manche wirklich zur Fortpfianzung schreiten.

Als Ende Februar die Kglte nachliel~ und die Dohlen wieder zu balzen begannen, brachten sie zun~chst noch unvollsti~ndig, bald aber immer deutlicher, eine neue Triebhandlung, und zwar meiner Meinung nach die interessanteste, die der Art eigen ist und die einige Parallelen zu der friiher beschriebenen Schnarreaktion hat.

Zum ersten Male sah ich sie am 4. Miirz, als Gelbgriin yon der Elster Elsa angegriffen wurde. Da stiel~ n~mlieh die angegrifiene Dohle einen mir neuen Ruf aus, der sich schwer in Buchstaben wiedergeben l~Bt. Ich glaube~ die beste Vorstellung yon dieseln Ton zu geben, wenn ich erwhhne, dal~ ich ihn damals in meinem Tagebuch mit ,,JSng" wiederzugeben suchte, aber sparer dann ,,Jiip" geschrieben habe. Indem er in rasehestem Staccato diesen Ruf wiederholte, flog Gelbgriin zu dem damals yon ibm und seiner Braut bevorzugten Nistkasten, auf dessen Anflngbrett er plStzlich Kehrt maehte nnd immer noeh jtipend gegen die ihn verfolgende Elster die friiher beschriebene Defensivhaltnng an- na]hm. Im gleiehen Augenbliek kam die Rotgelbe ebenfalls jiipend angeflogen und setzte sich in der gteichen Stellung ganz dieht neben den Gemahl, ebenso wie er gegen die Elster Front machend. W~hrend letztere nun drohend den Dohlen gegeniibersaK die unentwegt mit ihrem Konzert fortfuhren, und nicht recht wagte, tiitlieh zn werden, bemSehtig%e sich eine m~ehtige Aufregung der iibrigen Dohlen; eine nach der anderen begannen sie ebenfalls zu jiipen und flogen zum Nistkasten hin, um sieh dort um das Paar zn versammeln und in aufgeregten Drohstellungen in dessen Geschrei einznstimmen. Damals sah man den VSgeln deutlieh an,. dal~ sie dnrch den Jiipton der Genossen rein reflektoriseh in Wut versetzt win'den und keine Ahnung hatten, were eigentlich ihr Drohen gelten sollte, znmindest drohten sie nicht nach der Elster hin, noch kam es damals zu einem wirkliehen Angriff ihrerseits. Allein schon ihr ZnsammenstrSmen und ihr G-eschrei geniigte, um tier Elster die An- gelegenheit so unangenehm zu machen, dal~ sie sieh zuriickzog.

Ihre volle Ausbildung erlangte diese Triebhandlung erst, als die V6gel die Gesehleehtsreife erlang% batten. Nun griffen die zur Hilfe herbeieilenden Dohlen sehr tatkr~ftig den Angreifer an, und zwar dnrch- aus nicht nur die EIster, sondern aneh jede DoMe, die eine andere so intensiv verfolgte, dal~ diese zum Jiipen gebracht wurde. Allerdings

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war zu dieser Zeit, also im Sp~ttwinter 1929, so gut wie immer die Elster der StSrenfried, und es war sehr seh5n zu beobachten, wie dieser Reflex sich gegen sie bew~hrte, obwohl sie doeh jeder einzelnen Dohle im Kampfe weit iiberlegen war und ihr ganzes Sinnen und Trachten dan~eh ging, ihr @ebiet van Dohlen zu siiubern. Da also aueh K~mpfe yon Dohlen untereinander ein Jiipkonzert mit Zusammenlanf der ganzen Sehar nnd oft ti~tliehem Angriff auf den RuhestSrer bewirken, so glaube ich, dal3 der Trieb nicht gegen andersartige ~'einde gemeint ist, wie der ,,Sehnarrreflex", sondern vielmehr den Zweek hat, zu verhindern, dal? sieh ein Vogel zum Tyrannen atffwirft und die andern Kotoniemitglieder am erfblgrei&en Briiten hindert. Wiirde man eine gleiche Anzahl unsoziater VSgel, z. B. Elstern, zwingen, zur Brutzeit auf einem ~thnlieh engen Raum, wie eine Dohlensiedlung ihn darstellt, znsammen zu leben, so wiirde sieh nnfehlbar ein Paar zu Zwangherrsehern entwiekeln. Selbst wenn es gelingen sollte, dureh lange AneinandergewShnung der V6get zn erreiehen, dag der Trieb zur Gebietsabgrenzung einigermal3en ein- sehli~ft, die ,,Spitzentiere" also keine ernstliehen Versuehe machen, die Mitbewohner des Geheges einfaeh umzubringen, so wiirden sie doeh sti~ndig deren Nester zerst6ren, zumindest jenen am Nest nie die zur erfolgreichen Brut unbedingt erforderliehe Ruhe lassen. Da nattirli& VSgd nie imstande sein kSnnen, dureh bewul~te gemeinsame Hand- lungen Ruhest5rer in Sehaeh zu halten, so wie wir Menschen es tun, so mug jede siedlungsbriitende Art oder Gattung dies durch unbewu[tte ererbte Triebe erreichen. Dag es dabei vor allem auf die Sieherung der Einzelnester ankommt, liegt auf der [-Iand.

Sehr vide V5gel sind in der N~/he des Nestes oder auf demselben um ein vidfaehes mutiger als im gewghnliehen Leben und haben vor allem eine schier unilberwindliche Hemmung vom Nest aufzustehen, so- lange sie es bedroht glauben. Bei sehr vielen Siedlungsbriitern seheint dieses Verhalten noeh ausgesprochener und damn modifiziert, dag die Gatten eines Paares das Nest hie zugleieh verlassen, sondern immer einer Ms Wache znriiekbleibt. So seheint es bei Reihern, vielleieht auch bei Saatkri~hen zu sein. Genaneste Beobaehtnngen fiber Triebe und Hemmnngen, die bei anderen SiedlungsvSgeln den Sehutz der einzelnen Nester gewghrleisten, w~ren gugerst erwiinseht.

Die Dohlen zeigen nun nicht einmal andeutungsweise eine Neigung zum abwechselnden Waehestehen. Vielleieht liegt ihnen soteh an- dauerndes Ruhigsitzen nieht, oder vielleicht geniigt der kleinen and daher mit einem regen Stoffweehsel begabten Dohle der halbe Tag nicht, mn sieh mit Futter zu versorgen. MSglieherweise spielt aueh

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die Tatsache eine Rolle, d~g bei diesem HShlenbrtiter die begrenzte Anzahl der Nistgelegenheiten e inen besonders scharfen Konkurrenz- kampf um dieselben bedingt, der seinerseits einen besonderen Schutz tier begonnenen Bruten nStig macht, den ein einzelner Vogel zu leisten nicht imstande ist. Sicher ist es, dab n u r in Fortpflanzungsstimmung befindliche Dohlen auf einen Angriff mit dem Jiipgesehrei antworten und nut, wenn sie im Besitze einer HShlung sind, in die sie sich jfipend zur~ickziehen kSnnen. Augerdem ist der ,Jfipreflex" maso Mchter aus- zulSsen, je n~her der Vogel bei seinem Neste ist. In der Mlerniichsten Nghe des Nistkastens reagierte mein Mtes Brutpaar Gelbgrfin-Rotgelb, als sie im Frtihjahr 1929 wirklich Junge hatten~ auf das bloBe harmlose Herankommen einer der iibrigen Doh]en mit Jiipen und wiitenden An- griffen, immer aber erst nach Ueberschreitung einer ganz bestimmten und sehr eng gezogenen Grenze.

Natiirlich lernten die anderen sehr bald diesen gefghrlichen Bezirk vermeiden, und zwar taten sie das auch dann, wenn das Paar abwesend war. M~n kann sich ja aueh an sonstigen V6geln, die man im Zimmer regehn~Ng yon bestimmten Oertlichkeiten verjagt, davon iiberzeugen, dab sie meist nut den Ort und das unangenehme Ereignis assoziieren, ohne aber die An- oder Abwesenheit des Menschen miteinzubeziehen. Kolkraben und grebe Papageien tun letzteres Mlerdings sofort sinn- gemN3, dab heiBt, sie sind sofort ,,nuR gerade erst reeht" auf dem ver- botenen Platz, sowie der Pfleger den Rtieken kehrt. Die Dohten jedoeh gingen um nichts in der Welt an den gefMn'geladenen Nistkasten heran, mochten die Besitzer noch so welt weg sein, welch letztere sich darauf auch vollkommen zu verlassen schienen, denn sie liegen, als die Jungen sehon etwas grSfier waren, das Nest oft reeht lange allein. Da das einzige weitere Dohlemn~tnnehen aus dem J~hr 19~7, B]augelb, im Friihling 1928 entflog, so konnte ich nur in der knapp vormlgehenden Zeit Beobachtungen fiber das Verhalten yon nistenden Dohlenm~tnnchen zrLeinander anstellen, Und diese nicht, an reifen Tieren. Ich glaube aber nicht, dab wesentliche Abweiehungen yon dem Betragen letzterer bestanden.

Im Allgemeinen pflegten sich beide MSnner in gewappneter Neu- tratit~t aus dem Wege zu gehen, wenn sie sich begegneten. Dabei nahmen sie eine besondere Prahlhaltung ein, die darin bestand~ dab sie bei aufreeht getragenem ttalse den Schnabel abwgrts richteten, wodureh das Genick herausgedr~iekt und das lange, helle, zersehlissene Nackengefieder zur Geltung gebraeht wird. In einer sehr Nanlichen Stellung gehen und sitzen ttbrigens auch Ehepaare neben und bei-

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einander. Der auf die ]3rust gesenkte Schnabel drfiekt Friedfertigkeit aus, w~hrend im iibrigen ihr Gehaben einen drohend prahlerischen Eindruck machte.

Bei untergeordneten, vor allem jungen Dohlen, abet auch bei kleinen Streitigkeiten yon Paaren untereinander, sieht man oft eine Art Ver- sShnungs- oder Unterwiirfigkeitshaltung, bei der ebenfalls der Schnabel gesenkt, dabei aber in sehr ausdrucksvoller Weise veto Angreifer weg- gewendet wird. Der Vogel appel]iert also gleiehsam dadureh, dal~ er sich selbst wehrlos macht, an die sozialen Hemmungen des anderen und dies immer mit Erfolg, denn niemals hahe ich eine Dohle nach dem so dargebotenen Hinterkopf des Genossen hacken sehen. Abgesehen vom Schnabelsenken ist aber diese Demuthaltung sehr verschieden yon der, man mSchte sagen drohenden Friedenshaltung sich begegnender briinstiger 3/Lnnchen, denn w~hrend der gnadeflehende Vogel bei fast lotrechter KSrperhaltung in den Fersen einkniekt, also ~hnlich kl~gtich dasitzt, wie bei starkem Regen, tragen sieh letztere sehr wagereeht und stehen mit durchgedriiekten Fersen eigentilmlich hoehbeinig da. Dies. im Verein mit dem emporgereckten Hals und trotzdem gesenkten Sehnabel, gibt ihrem KSrper eine so vielfaeh gebrochene Linie, dag der Eindruck yon etwas gewollt Gespanntem, Sehwierigem entsteht~ das auch der Unvoreingenommene sofort als prahlerisch empfindet.

Wenn die beiden ~ n n c h e n aber doch einmat ernstlich aneinander- gerieten~ so hing der Ausgang des Gefechtes in erster Linie davon ab, we es stattfand. Wenn n~mlich eine der Nestanlagen n~ther war, so blieb immer der Besitzer derselben obenauf, land aber der Kampf auf @nzlich neutratem Gebiet statt, so war yon Anfang an der Sieg des Gelbgriinen sicher. Ich glaube, da$ das Uebergewicht des in Nestn~he befindlichen Vogels bei alten Dohldn, die ernstlich zur Fortpflanzung schreiten, noch vie1 ausgesprochener sein wird, als bei diesen unreifen Tieren. Auch war Gelbgriin, als er 1929 mit Rotgelb briitete~ viel leichter mit dem Jiipen bei tier Hand als bei den damaligen, mehr persSnlieh gemeinten Raufereien mit Blaugelb. Die Verteidigung der begonnenen Nester konnte 1928 schon deshalb keine so groge Rolle spielen, well meine Dohlen, als sie um die Mitre des M~rz zu Neste zu tragen begannen, zun~ehst eine merkwiirdige Verirrung des Nestbautriebes zeigten: Es trug niimlich jedes Paar an m e h r e r e n Stellen Niststoffe zusammen, ohne sieh fiir eine derselben entscheiden zu kSnnen. Erst wenn dann eine der Nestanlagen einen gewissen Grad der Vollendung erreicht hatte, wurden die anderen "unvollkommenen verlassen und nur noch an ersterer weitergearbeitet. Das Paar Gelbgriin-Rotgelb aber

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besaI~ zwei Nestanlagen in zwei nebeneinanderliegenden, a nalogen HShlungen neben zwei aufeinanderfolgenden Dachsparren, die es schein- bar nicht auseinanderkannte, denn beide VSgel trngen ihr MMeriM voll- kommen wah]los bald in die eine, bald in die andere HShlnng. Aehn- liches beobachtete ich vor einigen Jahren bei einem P~are yon ttans- rotschw~nzen, die ~mter dem langen Dache einer gedeekten Kegelbahn nistesten. Der Hoh]ranm unterm Dach wurde dureh Sparren in eine grol]e Zahl gleieher Teile geteilt, von denen drei nebeneinanderliegende je ein Nest aufwiesen, in deren mittelstem das P ~ r gebrfitet hatte. Der Vollendungsgrad der leeren Anlagen zeigte, dal~ sie erst ganz kurz vor dem Legen verlassen worden waren, ja vielleicht war es erst das erste Ei, das den VSgeln das eine Nest individueI1 kenatlich maehte. Leider hat alas Dohlenpaar im n~chsten Jahre eine andere, eindeutigere H~hle zur Brut benutzt and sich so um die LSsung der Frage gedrfickt.

W ~ r e n d normMe reife Dohlen im Allgemeinen unverheir~tet nieht zum Nestbau schreiten, baute das fiberz~hlige Weibehen~ Linksgriin, ein ziemlich vollst~ndiges Nest ganz flit sieh ~llein.

Aueh sonst zeigte dieser Vogel ein interess~ntes VerhMten: Links- gr[in verliebte sich schon im tiefen Winter in Blaugelb, der damals schon mit Rotrot verlobt war, und verfolgte ihn geradezu mit ihrer Liebe, obwohl er seinerseits durchaus nichts yon ihr wissen wollte. Sie suchte sieh Mso gar nieht gerade den st~rksten H~hn au% wie es Tier- weibehen angeblich immer tan, denn Griingelb war ja unbestrittener Herrseher, und Bla.ugelb spielte ibm gegenfiber eine recht kl~gliehe Rolle. Trotzdem versuehte sie niemMs, Griingelb seiner Frau abspenstig zu m~ehen, was sie dem andern M~nnchen gegeniiber ausgesprochen anstrebte. Immer wieder setzte sie sich mit dick gestra.ubtem Kopf dicht neben ihn him um sich yon ihm krauen zu lassen, aber immer hackte er blo13 wiitend auf sie los und jagte sie weg. Immer wieder versuchte sie nun ihrerseits ihn zu krauen, es hatte denselben Erfolg. Da land Linksgriin einen Ausweg: jedesmM, ~venn Blaugelb sich yon sei[ner rechtm~13igen Gattin Rotrot krauen liel], kam sie schnell und leise herbei und krante ihn yon der andern Seite. Da war er nun so ins Gekrautwerden vertieft, dal~ er den Betrug nicht merkte. Wenn er abet dann aufsah, jagte er sie doch regelm~l~ig weg. Rotrot fiber- sa]~ ihrerseits die Lage anscheinend vollst~ndig und verfolgte Linksgrfin mit glfihendem Ha~. der mit der Zeit immer starker wurde. Da Rotrot st~Lrker war oder, besser gesagt, in eine hShere Rangklasse gehSrte, so jagte sie Linksgrfin oft so lange herren, bis diese das tat, was yon

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Koloniegenossen verfolgte Dohlen immer tun, ngmlieh in ihre NisthShle kroeh und jtipte, was dann; wie oben beschrieben, den Streit regelmgl~ig beendigte. Langsam ~nderte aber Blaugelb sein Verhalten gegen Links- grfin. Er lid] sieh immer 5fter yon ihr krauen, ohne naeh ihr zu bellmen, selbst wenn er nicht gerade yon seiner Frau gekraut wurde, und tines Tages sah ich, wie er sie fiitterte. Trotzdem liebte er immer noeh Rotrot viel mehr. Wenn er mit dieser beisammen war und Linksgriin hinzukam, so ,,kannte" er sie nicht und jagte sie weg, traf er sie abet al]ein, so fiitterte er sie. In Anwesenheit seiner rechtmgltigen Gattin und vor allem in tier NiChe seines Nestes reagierte er auf Linksgrtin wie auf einen ,fremden Vogel", w~hrend er das Weibchen in ihr sah, wenn er sie allein und auf neutralem Gebiet traf. Am ~2. April sah ich dann zu meiner grenzenlosen Ueberrasehung die beiden Weibchen zu- sammen im Nest yon Blaugelb and Rotrot ganz vertrgglieh sitzen, ohne dag ieh vorher beobaehten konnte, dal~ ihre Feindsehaft allmgh]ich ab- genommen hi~tte. Wenn die beiden Weibchen gesehleehtsreif gewesen wgren~ w~re es interessant gewesen~ ob sie in dasselbe Nest gdegt hi~tten. Vielleicht aber kommen derartige Unstimmigkeiten eben gerade nur bei solehen unreifen VSge]n vet.

Zur Zeit, da die Fortpflanzungsstimmung meiner Dohlen auf ihrem HShepunkte war und sie den ganzen Tag Niststoffe tragend ab und zu flogen, erschien eines Tage eine ansehh~suehende fremde Dohle. Man kann sieh kanm vorstellen, mit weleher Wut dieser Artgenosse von meinen fiinf VSgeln verfolgt und scblieNieh vertrieben wurde. Ieh m5chte die Frage anregen, ob aueh die N[itgtieder einer sttickreicheren Kolonie einen Fremdling erkennen und gesehlossen gegen ihn vorgehen. Die im Januar 1930 in meinem Besitz befindliehen und bei dem herrsehenden wam~en Wetter stark fortpflanzungsgestimmten 16 Dohlen taten das ausgesproehen.

Als dann im Mai die Nester verlassen wurden, hielt sieh Blaugelb fast immer an Linksgrtin und flog viel mehr mit ihr als mit Rotrot. Ende Mai war ieh verreist, und als ieh am 3. VI. zuriiekkam, waren Blaugelb und Linksgriin versehwunden. Ieh gla,ube nieht, dag sie ver- ungliiekt sind, sondern meine, dab sie weggeflogen sind, denn sie batten in letzter Zeit auffallend lange Ausfltige miteinander gemaeht.

Die Dohle mit den abgebroehenen Sehwungfedern wurde dann yon einer Katze gefressen, sodat] ieh nur mehr 3 yon den 14 Stiick hatte, die ieh im Jahre 1927 aufgezogen hatte. Ieh braehte jetzt 3 Dohlen, die ich yon versehiedenen Seiten gekauft hatte, zu meinen 3 eigenen Dohlen und der Elsa. Diese lebt.en sich naeh anfSngticlmn Kgmpfen

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rasch ein, traten jedoeh nie in n~here Beziehungen zu den angesessenen Dohlen und imponierten niemals Ms richtige Mitglieder der Kolonie. Ven diesen 3 einzeln aufgezogenen VSgeln begann der eine, wohl ein W eibehen, sofort die Elster anzubalzen, eine balzte mieh an nnd die 3. zeigte ein ganz merkwiirdiges Verhalten. Sie war bei Bauersteuten aufgewa&sen und wotlte anfangs nieht auf dem hohen Daehboden wohnen bleiben. Beim ersten Freilassen war sie sofort versehwunden und wurde mir naehmittags yon einem etwa l 1/2 km entfernt gelegenen Bauernhause gemeldet, wo sie sieh selber zum Mittagessen eingeladen butte. Dort war sie gegen alle Leute bedingungslos zahm, wiihrend sie gegen reich immer sehr zuriiekhaltend blieb. Abends wurde sie gefangen und mir zuriiekgebracht. Ieh lieg sie jetzt ~ Tage ein- gesperrt. Als ieh sie am 3. wieder freilie.g, flog sie kerzengerade zu ihren Freunden und wurde mir abends wieder gebraeht. Das wieder- holte sieh nun mehrere Male, his ihr das allabendliehe Oefangen- werden bei den Leuten zu dmnm wurde und sie ihnen eines Abends wegflog and spontan naeh Itause kam. Von d a a b sehlief sie bei den andern Dohlen, verbraehte aber den ganzen Tag bei Fremden, denn sie hatte sich noch an andere Leute angefreundet und war bekannt und geaehtet in den umliegenden Ortsehaften. Die Leute glaubten, es sei Tsehoek~ der in der Gegend eine gewisse Beriihmtheit erlangt hatte. Besonders gem besuehte diese Dohle die 8trandbMer an der Donau. Als ieh sie einmal dort aufsuehte, erkannte sie reich sofort, das heil]t, sie war gegen mieh geradezu beleidigend seheu. Leider fiel sie im Januar 1999 einer Seu&e zum Opfer, die auger ihr noeh 7 andere VSgel hinwegraffte.

Ieh zog im Sommer 1928 16 Jungdohlen und wieder eine Elster auf. Diese VSgel braehte ieh naeh dem Fttiggewerden nieht alle zu- gleieh zu den freifliegenden V6geln auf den Boden, sondern braehte sie zuniiehst in einer gesehlossenen Kegelbahn unter, wo sie genug Raum zum Fliegen batten. Im Dach des Flugraumes vor dem Dohlenboden braehte ieh eine Klapptiire direkt tiber dem Bodenfenster an, wo aueh der dtimmste Jungvogel sie finden mugte, und naehdem die alten VSgel den Sehreek fiber diese Neuerung verwunden hatten, trug ieh gegen Abend des 19. VIo die erste mit einem nummerierten Ringe versehene Jnngdohle hinauf. Der letzte alte Vogel kam heim, bevor der junge die Klappttire gefunden hatte, und hinter ibm schlol] ieh die Tiir. Ieh bemerkte keine ernstliehe Anfeindung des Jungen seitens der Alten. Am n~ehsten Tag, abet erst naehmittag, 6ffnete ieh die Ttir. Als die alten V6gel vo]l Stallnmt hinaussttirmten, folgte der junge dem letzten

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yon ihnen glatt durch die Klapptiir und war sofort hoch in der Luft. Er wagte einen Sturzflug und landete gleieh wieder auf dem Dach des K~ifigs. Er flog eben, wie alle diesj~ihrigen Dohlen, viel hesser als die vorj~hrigen, ganz einfach deshalb, weft sie in einem viel gr61]eren Raum zu fliegen begonnen hatten. So trug ich in 2 bis 3t~gigen Abst~inden Sttick flit Sttiek dsr jungen Dohlen zu den alten auf den Boden. Ein- real nahm ich 3 zugleich und hatte es sofort zu bereuen. In der friiher besehriebeuen Weiss nur bei einander Fiihrung suehend, verflogen sieh die 3 sofort.

Mit Ausnahme 3er Kiimmerlinge, die eingingen, waren die 1928er Dohlen k6rperlieh viel besser beisammen Ms die 1927er, wohl weil ieh bei ihrsr Aufzueht mehr Herz und frisehe Ameisenpuppen und gar kein Pferdefleiseh verwendete. Die Jungv6gel flogen nieht nut besser, sondern sie verhielten sieh aueh punkto Gittsrverstehen, Tiirenfinden und Aktionsradius etwas intelligsnter, und der ruekartige Intelligenzfort- sehritt im August, wie ieh ihn oben besehrieben habe, trat bei ihnen noeh sehi~rfer und umsehriebener ein.

Ieh m6ehts hier einiges tiber die Versehiedenheit der Intelligenz bei Stricken derselben Art sagen. Man h6rt und liest jetzt so oft, dal3 die Tiere untersinandsr so vsrsehisdsn seien, wis wit Mensehen. Das trifft vielleieht fiir dis allerh6ehsten Si~uger zu, gilt abet fiir V6gel absolut nieht, zumindest nieht in dem Sinne, dag versehiedene Individuen einer !Art von allem Anfang an versehieden ,,begabt" seien. Die meisten Untersehiede. die man an Gefangensehaftsexemplaren, vor Mlem wiedsr bei hoehstehenden Arten, bsobaehtsn kann, beruhen nieht auf Anlage, sondern auf versehiedenem Vorleben und versehiedenem Ge- sundheitszustand und Konstitution der Tiers. Ein unglaublieh geringer Untersehied im physisehen Kri~ftezustand zweier V6gel bringt oft eine srstaunliehe grogs Diffsrenz der Reaktionen hervor. Eines der FIaupt- symptome einer, wenn aueh geringgradigen, konstitutionellen Minder- wertigkeit ist sin zu spiites Erl6sehen aller Triebe, die auf die Eltern Bezug haben, und sine damit einhergehends iibergroge Zahmheit. Der wirklieh vollwertige Vogel kann, solange er nieht etwa in seinem Sexualleben auf mieh Bezug nimmt, gegen mieh nieht zahmer und vertrauensvoller sein, als er draugen in der Natur gegen einen Art- genossen ist. Hiervon sind nattirlieh kleine und dumme VSgel aus-. genommen, die den Pfleger gar nieht als Individuum erfassen, sondern wie einen alten Baumstrunk oder wie sonst ein ungef~hrliehes und sogar nahrungsspendendes Stiiek Landsehaft behandeln und wom6glieh sein Gesieht anbalzen und naeh seinen H~nden wiitend beigen.

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Merkwiirdiger ~Veise erwachen in einem solchen halbert Kiimmerling geschlechtliche Regungen schon in friiher Jugend. Tschock z. B. be- griiJ]te reich mit Fliigel- und Schwanzzittern, als er kaum 3 Wochen fliigge war~ w~hhrend normale Dohlen damit erst bei ihrer Verlobung nach der ersten Mauser anfangen, allerdings also auch sdion lange vor der Geschlechtsreife. Ebenso begannen die, wie erwgtxnt gestinderen, 1928er Dohlen spgter zu balzen als die 1927er. Aber auch rein psyehische Reaktionen sind in hSchstem Mal~e yon Konstitutionen ab- hgngig, immer in dem Sinne, dal3 bei konstitutionell nicht vollwertigen Tieren Reaktionen fehlen, die in der Anlage vorhanden und dem normalen Freiheitsvogel eigen sin(t, nicht etwa, dal3 ein Individuum angeborenermal~en auf einen Reiz grunds~tzlich anders reagiert. Natur- gem~l] zeigen nun solche Reaktionen am leichtesten Ausfallserscheinungen~ die besonders kompliziert oder relativ neue Erwerbungen der Art sind. Da gerade die Handlungen der Brutpflege eine Menge derartiger Fein- heiten aufweisen, so ist es leicht verst~ndlich, dal3 in der Gefangen- schaft so wenige der in volle Brunst tretenden V~igel sich dann wirklich mit Erfolg fortpflanzen.

Um aber einige Beispiele flit bei K~immerlingen au,fallende Trieb- handlungen zu bringen: geine der yon mir erwachsen angekauften, yon Laienhand einzeln aufgezogenen Dohten brachte den oben als Sehnarr- reflex beschriebenen Angriffsakt beim Anblick einer herumgetragenen toten Dohle oder beim Fangen einer tebenden. Nachdem sie aber den Sommer freifliegend verbracht und die erste Grot~gefi~dermauser hinter sich hatten, brachten sie plgtzlich den besprochenen Reflex tadellos nnd vollkommen. (Da~ die erste Grol3gefiedermauser oder die damit eintretende G-eschlechtsreife eine Aenderung des Gesnndheitszustandes zum Bessern mit sich bringt, sah ich iibrigens bei Rabenkiiramerern wiederholt.) Ferner iiben bei mir nur die schSnsten und grSl]ten alten Dohlen das Einweichen harten Futters in Wasser, w~hrend nile andem Dohlen sich vergebens mit einer harten Brotrinde abmiihen. Natiirlich sind diese VSgel, bei denen diese Triebhandlung ausgefallen ist, voll- stgndig gulterstande, etwa das Beispiel tier sie richtig ausfiihrenden Genossen zu verwerten, daza gehSren ganz andere Denkfghigkeiten. Namentlich alas Einweichen scheint bei der Dohle eine ziemlich junge Erwerbung zu sein, denn die in ihren bezeiehnenden Rabeneigenschaften spezialisierten Corviden verlieren diesen bestimmten Trieb viel schwerer, als die in dieser I-Iinsicht primitivere Dohle. Bei Nebelkr~he und Kolkrabe sah ich schon ausgesprochene Kiimmerer diese ttandlung

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fehlmgrei ansfiihren. Fast ganz ebenso liogen die Dingo beim Verstecken yon Nahrungsbroeken durch Daranflegen yon unauffiilligen Gogen- stgnden.

Ein sehSnes Beispiel fiir das Verlorengehen yon Triebhandlungen ist auch Folgendes: Eine alte, sehr schSne und grol~e Dohle, die ich arts dem SchSnbrunner Zoo boka, m und die sich in joder I-Iinsicht a.ls Votldohle erwies, brachte folgende Triebhandlung: Wenn man ihr ein Vogelei mittlerer GrSBe reiehte (am besten fnnktionierte die Sache mit Taubeneinern), so haekte sie mit feinen vorsichtigen St5f~en ein ganz kleines Loeh hinein~ faf~te dann den Rand der Sohale in der Weise, dal~ sie die Spitze des Unterschnabels in alas Loch schob, nnd trug das Ei dann so mit der Oeffnnng nach oben an eine sichere Stelle, legte es wieder mit der Oeffhung nach oben bin und fraf~ es so vorsichtig aus. DaB diese f-Iandlungsweise angeborene Triebhandlung ist, wird aul]erdem durch ~ Memento wahrscheinlieh gemacht. Erstens ist das physikalische Problem, eine Fliissigkeit in einer Schale dadurch zu erhalten, dal~ die Oeffnnng nach oben gehalten wird, viol zu schwer fiir ein Dohlenhirn, sah ich doch bis jetzt eigentlieh nnr Schimpansen diese Aufgabe mit Einsicht 15sen. Es erscheint also ausgesehlossen, dal] dieses Stiiek yon Coloeus dieses Verfahren selbst ,,erfunden" hat. Zweitens brachten meine iibrigen Dohlen diese Triebhandlung auch, aber an un- rechter Stelle; sie zerbissen zwar Taubenoier in der plumpsten Weise und verloren dabei s/~ des Inhaltes, wandten aber das ganze beschriebene Verfahren anf Pflaumen an~ die sie so, und nur so, yon den Pflaumen- bgumen nach Hause trugen. Nie sah ich eine yon ihnen eine solche Frucht einfach im ge5ffneten Schnabel tragen, was viol zweck- entsprechender gewesen wgre, da die Haut, an der sie die Pflaumen trugen, oft rib und sie die Beute verloren. Es liel~en sich noch mehrere Beispide yon diesem Verlorengehen yon Triebhandlungen bei nieht vollen Individuen anfiihren~ aber ieh mull bier noch einen Fall yon nmgekohrtem Verhalten berichten, trotzdem (odor gerade weft) es sich nicht gut. mit der eben entwickehen Ansicht voreinen l~f~t. TschoGk, der, wie fraher erwghnt, in der Tierhandlung gekauft und durchaus keine ,,Volldohle" war, pflegte in seiner Jugend, das heil~t vor der ersten Kleingefiedermauser, geeignete Gegensti~nde in den Fiilaen zu tragen, und zwar brachte er sie immer erst im Fluge aus dem Schnabel in die Klauen, genau ebenso wie Kolkraben es tun. Fiir dieses merkwtirdige Auftreten einer der Art sonst nieht eigenen Triebhandlung bei einem nieht ganz normalen Stiick wtil3te ieh keine andere Erklfirung, als dal~ der den Corviden urspriinglich eigene Trieb bei Coloeus ver]oren ge-

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gangen, bei diesem Vogel abet, sozusagen krankhafterweise, zum Durch- bruch gekommen ist.

Im Gegensatz zum Vorjahre liel~ ich 1928 immer alle Dohlen zu gleicher Zeit frei, da ich reich ja anf die alten VSgel, die unbedingt die Fiihrung hatten, veflassen konnte. Hierbei war deutlich zu beob- achten, wie die Jungv6gel allgemeinen ~tulteren Reizen gegentiber weniger schreekhaft und fahrig waren als die alten, andererseits aber ungeheuer fein anf das geringste Zeiehen yon Bennruhigung seitens ihrer Fiihrer reagieren. Bei den fiihrerlosen Jungv~geln im Vorjahre hatte dies ein ganz eigentiimliches Verhalten gezeitigt. Obwohl ihre Sehar ungehener dreist und dureh Dinge, die erwachsene Dohlen erschrecken~ kaum zu beunruhigen waren, sttirzten sie oft, scheinbar ohne jeden Grund, in hSchster Angst davon: Bei genauester Beobaehtnng sah ich dann, dal3 eine solche Panik immer dadnreh hervorgerufen wurde, dal3 einer der VSgel dureh irgend eine Kleinigkeit, etwa das Umkippen eines Steinehens, erschreckt worden war nnd dureh die Zeiehen seiner Angst im Neben- mann eine sehon wesentlich st~rkere induzierte, die sich im lawinen- artigen blitzraschen Anwachsen yon einem Individuum auf das andere iibertrug, bis die Schar davonstob, den zuerst Ersehrockenen mitreil]end~ der natiirlieh keine Ahnung hatte, dab das ursprtingliche Steinehen~ das, w~re er allein gewesen~ ihn nie zum Anffliegen gebracht hatte~ die Ursache der al]gemeinen Flucht sei.

Bemerkenswert ist nnr, dab junge Dohlen~ die atte zu Fiihrern baben, sehr wohl wissen~ nach wessen Zeiehen sie sieh zu richten haben, und nur auf das Ersehrecken der Erwachsenen und nicht auf das yon ihresgleichen reagieren. Dal~ in diesem Sonde~alle Mut und nicht nur wie sonst bei VSgeln allein die Furcht dutch das Beispiel iibertragen werden kann, bewiesen mir sp~iter die bei mir erbriiteten JnngvSgel, die~ dem Beispiel ihrer Eltern folgend, mir aus der Hand fraBen, obwohl sie reich vor ihrem Ausfliegen nie erblickt hatten, sehr zu meinem Erstaunen, denn ich hatte nicht erwartet~ daf~ sie aueh nut im geringsten zahmer sein wiirden als gleichaltrige freilebende JungvSgel.

Wenn die gemisehte Schar der 1927er und 1928er Dohlen im Sommer 19~8 eine grSI~ere Distanz flog, so befanden sich im All- gemeinen die ~]teren Dohlen vorne ~md unten yon den jiingeren. Die alten fluggewandten VSgel fliegen fast immer yon erhShten Punkten steil naeh unten ab, um raseh und miihe]os in Fahrt zu kommen, wahrend die jungen zun~ehst aneh yon hoehgelegenen Abflugorten genau ebenso davonrudern, wie wenn sie yon ebenem Erdboden abft6gen. Die Jtmgen halten ganz allgemein Fliigel und Schwartz welter often

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und die dadurch bedingte geringere Fl~chenbelastung hat yon selbst ein geringeres Flugtempo zur Fotge. Ich will dahingestellt sein lassen, ob dieses weite Offenhalten der tragenden Fl~chen Ursache oder Wirkung der allgemeinen ,,Tendenz nach oben" junger und flugungewandterVSgel ist. Sieher spielt bei der grSfieren Geschwindigkeit tier Erwachsenen auch der Umstand mit, daft sie zu der Zeit, da sie Junge fiihren, gerade st~rk in der Groggefiedermauser sin& wodurcb ja ihre Minimal- gesehwindigkeit erhSht wird. Dies alles bringt es mit sich, dalt die alten V6gel - - sieher ganz unbewu~t - - riehtungsbestimmend wirken.

Da ieh die grogen Verluste des Jahres 1927 hauptsfichlich Katzen zur Last legte, so suchte ieh ihnen 1928 dadureh vorzubeugen, daft ich die VSgel in den ersten Morgenstunden, we Katzen noch unterwegs sind, eingesperrt liefi nnd ihnen erst mn ungef~ihr 10 Uhr die Freiheit sehenkte, eine Mat3nahme, die vollen Erfolg hatte. Jeden Abend, wenn die V6gel schon sehliefen, mu~te ieh dann leise anf das Daeh hinaus- klettern und vorsiehtig die Klapptiire sehliegen, denn jedes Ger~iusch gab zu einer ffirchterliehen Flatterei Anlag, da die Dohlen im Dunkeln aueh mir gegenilber sehr schreekhaft waren, im Gegensatz zu meinen Kelkraben.

Die I927er Dohlen ktimmerten sicb nieht viel um ihre jiingeren Genossen, zum mindesten nahm keine einen 28er Vogel an Kindes- statt an, wie Tsehoek es im Vorjahre mit Linksgelb getan hatte. Die JungvSgel ihrerseits flogen den Aelteren sehr getreu naeh und iiber- nahmen yon allem Anfang an genau deren t~gliche Gewohnheiten und (}epflogenheiten. So gingen sie zum Beispiel sofort mit den alten V6geln auf den Boden nieder, was die vorj~ihrigen lange nicht gewagt batten. Sie zeigten aueh sehr bald gar keine Fureht vor meinem frei- fliegenden grogen Gelbhaubenkakadu, w~hrend die 1927er Dohlen lange Zeit brauehten, mn sich an den grogen Vogel zu gewShnen, tier ihnen oft aus reinem Uebermute unter markersehtitterndem Geschrei nachflog.

Wenn ieh nieht die Gesellschaft der jungen VSgel aufgelSst und sie einzeln tier alten eingegliedert h~tte, w~re sieher keine so vollst~indige Anpassnng an die Gebr~iuche letzterer erfolgt.

Interessant war die Gruppenbildung nnter dan Jungv~geln naeh ihrem Umzug anf den Dachboden: Ihr Zusammenhatten richtete sich genau nach der zwisehen der Umquartierung der Einzelnen verflossenen Zeit und d~mit nach der Ringnummer tier Tiere, die ja jedes bei dem Umfangen mit fortlaufenden Nummern bezeichnet wnrden. Dies war jedenfalls darauf zuriiekzufiihren, dag sieh z. B. Nr. 1 nach seiner Ueber- siedlung des 2 Tage sp~ter naehfolgenden Nr. 2 noch gut entsinnen

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konnte, den 3 Wochen sp~iter nachfolgenden Nr. 14 aber nicht wieder- erkannte. So hielten dann~ und zwar Jahre hindur&, die nab aufein- anderfolgenden Nummern eng zusammen, w~hrend welt auseinander- liegende sich dauernd kiihl gegeniiberstanden. Ich muf~ aber hier betonen, daf; alte, miteinander b~freundete Dohlen sich auch nach monatelanger Trennung sofort wiedererkennen. Zu der erw~ihnten Gruppenbildung mag iibrigens noch ein weiterer Umstand beigetragen haben: die in der Kegelbahn eingesperrten VSgel wurden n~imlich durch das st~tndige Wegfangen ihrer Oenossen, die ihrer ,,Meinung" nach ja sicher gefressen worden waren, immer scheuer und scheuer, w~hrend die einmal iiber- siedelten ihren Zahmheitsgrad beibehielten, sodaB die niederen Nummern dauernd zahmer blieben als die hohen, was natiirlich zur Festigung der Gruppierung beitragen konnte.

l~Iit Ausnahme der Zeit t~gli& veto Tagesanbruch his 10 Uhr befanden sich meine Dohlen nun den ganzen Sommer 19~8 in vollkommener Freiheit, ohne dab ich den VeNust eines einzigen Vogels zu beklagen gehabt h~itte. Ob das nun dem morgentlichen Eingesperrtsein oder der ]~iihrung der erfahrenen erwachsenen Dohlen zu verdanken war, wage ich nicht zu entscheiden.

Als daun gegen Ende Oktober die VSgel wieder Lust zu zeigen begannen, sieh mit fremden RabenvSgeln zu vergesellsehaften, sehlog ieh sie wieder dauernd ein, mn nieht ihr Abwandern befiirehten zu miissen.

Im Anfang 3-anuar 1929 zeigten die 3 restliehen 19~7er Dohlen bereits eine sehr ausgespro&ene Fortpflanzungsstimnmng, die aber bei der bald einsetzenden tibergrogen KNte wieder erloseh.

Gerade in der allerseh~rfsten K~lte wurden meine Dohlen leider yon einer mit schweren Durchfiillen einhergehenden Seuehe erfagt, dis nieht weniger als 7 VSgel dahinraffte, unter welehen sieh gliieklieherweise keiner der zweij~hrigen VSgel befand. Ieh hatte den Eindruek, dag die DoN[en sehr darunter litten, daft das ihnen gereiehte Wasser so rasch gefror, dag vor allem die in niederer Rangklasse stehenden Tiere, die als letzte zur Tr~nke durften, flieht geniigend Zeit hatten ihren Durst zu 15sshen. Daher warsn sis won sehr aufs Schneefressen angswissen, was vielleieht erkliirt, warum die alten, hoeh im Range stehenden VSgel yon den Durehfiillen fast versehont blieben.

Im Friihjahr 1929 liel~ ieh die Dohlen sehon am ~3. Mi~rz frei, in der Hoffnung, dag sie sieh so sehneller yon den Strapazen des Winters erholen wiirden. Zu dieser Zeit wimmelte es im Tultnsrfeld aber noeh yon l~ndest~emden Dohlen und Saatkriihsn, und eines sehSnen Tages, es w~r am 9. April, gesehah das Ungliick, dag meine Dohlen sieh so

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unter eine nach vielen Itunderten zghlende Wandersehar mischten, dag es ihnen nieht gelingen wollte, rich vollzihlig yon dieser loszulLsen, weil sie nimlieh in dem Gewimmel der fremden V6gel den Zusammenhalt unter sieh verloren batten. Es kamen immer einzelne meiner Dohlen naeh Hause, die hier verzweifelt naeh ihren Freunden loekten, abet wenn diese dann nicht ersehienen, doeh wieder zu tier Wandersehar zuriiekkehrten. Damals fiel es mir zum ersten Male anf, datI tier Loekbn einer Dohle, die im Sitzen fliegende Genossen zu sieh rufen will, ins- besondere wean tier rufende Vogel sieh zuhause befindet, anders klingi als der gewLhnliehe StimmNhlungslaut. Wiihrend n~mlieh letzterer wie ein kurzes ,,Ki~" klingt, ist alas Signal ,,komm ha& tiause" ein etwas gezogenes, sehr klingeades ,,kiu". Man h6rt den Ton aueh yon fliegenden Dohlen, die solehe, die welter yon der Kolonie weg dahin- fliegen, air sie selbst, zu dieser zuriiekloeken wollen. Geh6rt hatte ieh den guf natiirlieh sehon oft, aber erst an diesem Tage bekam ieh ihn so oft hintereinander zt~ h6ren und so zugleich niit den Stimmfiihlnngs- rufen der fremden Schar, dag sieh mir endlieh der Untersehied auf- drLngte und die Bedeutung des ,,kin" klar wnrde.

Besonders eifrig im Zurtickrufen der Koloniemitglieder war Gelb- griin, der ,,Hiinptling" der Siedlung. Ieh glaube aber nicht, dag diese Tgtigkeit fiir das Spitzentier bezeichnend ist, bin vielmehr iiberzeng4, dag rich alle erwaehsenen Minner einer Dohlenkolonie in einem iihn- lichen Falle ebenso verhalten. Das Benehmen yon Gelbgrtin nun war iiugerst interessant. Der Vogel glieh darin einem gut gesehnlten Seh~ferhtmde, der eine versprengte Sehafherde zusammenbringen will. Immer wieder flog er unter fottw~ihrendem ,,kiu"-Gesehrei anf eine meiner Dohlen los, die mitten unter den Fremden sag oder flog, bewegte sie in einer der friiher besehriebenen Weisea zmn Mitfliegen und braehte sie dana, sozusagen im Schlepptau, naehhause. Die beiden anderen zwei- jihrigen V6gel brachten dieselbe Reaktion, abet sowenig ausgesprochen, dall sie keiaen riehtigen Erfolg zu verzeiehnen hatten. Das Traurige war nun, dal~ die gliieklieh daheim gelandeten ei@ihrigen V6gel durehans nieht dortbleiben wollten, sondern immer wieder naeh einiger Zeit nn- ruhig wurden und wieder zu der Wandersehar auf die Wiesen hinunter- flogen. Immerhin braehte (}elbgriin die Abtdinnigen in etwas raseherer Aufeinanderfolge heim als sic wieder wegflogen, sodal~ die Wandersehar nnr zwei 1928er Dohlen mitnahm, als sie gegen Ahead desselben Tages weiterzog. Ieh bin tiberzeugt, dal3 ohne die Anweseaheit und ange- strengte Tiitigkeit des gesehleehtsreifen Minnehens nieht eine einzige der einjiihrigen Dohlen zurtickgekommen wire.

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Bemerkenswert sehien mir, dag die V6gel (ebenso wie begreiflieher- weise ieh) das ganze Ereignis Ms Katastrophe zu empfinden schienen und die ganze Zeit sichtlieh auf das tt8ehste beunruhigt waren. Sie sehienen auch dann naehtriglieh die beiden verlorenen Genossen zu ver- missen. Die ,,kiu"-Rufe wollten in den niiehsten Tagen kein Ende nehmen. Aul]erdem waren sie lingere Zeit in ghnlieher Weise i~ngstlieh, wie nae.h dem Wegfangen yon Kameraden, ein Beweis, dal3 diese Reaktion rein triebm~Big anf das Fehlen yon Genossen erfolgt, denn in diesem Falle hittten sie ja wissen miissen, daf~ die beiden Abwesenden aus eigenem Antrieb und nnbesehidigt weggeflogen waren.

Ebenso ist es interessant, dal~ spiter, zur Brutzeit, altm~.hlieh sS.mtliehe einjghrige Dohten veto Jahrgang 19~8 die Kolonie verliegen, ohne dal~ einer der gesehleehtsreifen V6gel die erw~ihnte ,,Kiureaktion" gebraeht h~i.tte. Dag sie nieht etwa yon den alten Dohlen vertrieben worden waren, bewies ein etwas kiimmernder Vogel, der den ganzen Sommer dablieb. Ieh halte dieses Fortfliegen far ein normales Ver- hMten und die ~'ortpflanzungsstimmung im ersten Friihjahr, wie die 27er V6gel sie gezeigt hatten, ftir eine Gefangensehaftserseheinung, haupts~tehlieh deswegen, weft sieh diese weggeflogenen Dohlen im Oktober vollzihlig wieder einstellten. Ieh hare es nimlieh fiir wahr- seheinlieh, dab .die einjghrigen, also noeh nieht fortpflanzungsfiihigen Dohlen zur Brutzeit die Umgebung der Kolonie vermeiden, nm nie ht den ohnehin in gr01~er Zahl auf engem Raum zusammengedrgngten Brutpaaren trod deren Jungen die Nahrung wegzunehmen. Bei der sonstigen hohen Differenziernng der Soziologie yon Coloeus halte ieh einen derartigen Trieb durehaus Nr m6gli&. Beweisend ist diese ein- rnMige Beobaehtung natiirlieh nieht., znmal ein Teil der im Herbste zurii&kehrenden V6gel ihre Fugringe verloren batten, was iibrigens aueh dem einen zurtiekgebliebenen Vogel gesehehen war und iiberhat~pt bei mir hiufig vorkam. Da die Befestigung der Ringe dieselbe war, wie bei denen der Vogelwarte Rossitten, so glaube ieh, dab ein guter Tell tier deft beringten Rabenv6gel ebenfMIs ihre R.inge wieder los- werden diirfte.

Ich mSehte nun an einer Kolonie zahmer Dohlen, die so individuen- reich ist, dal3 man den V(igeln das herbstliehe Abwandern gestatten kanm, ohne ein Aussterben der Siedlung befiirehten zu mtissen~ nnter Verwendung yon refill]lichen Fugringen genaue Beobaehtungen anstellen, ob meine Meinung, dag die einjiihrigen Dohlen zur Brntzeit die elterliehe Siedlung verlassen, im tIerbst dann die reifen V6gel zur Winterwanderung sozusagen abholen, zu Reeht besteht. Es wiirde sieh

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such zeigen, ob es richtig ist, daB, wie ieh glaube, auf dem Zuge Neu- linge in den Verband der Koloniegenossen aufgenommen werden. In der N~he ihres Heims verfolgten meine Dohlen gelegentliche, anschlul]- suehende Fremdlinge stets so wtitend, dal3 die reibungslose Aufnahme der im Herbst 1929 zurtiekkehrenden 1998er Dohlen fiir ihre IdentitiLt mit den im Frfihjahr davongeflogenen filr mieh ebenso beweisend war, wie die Fugringe, die einige yon ihnen noch anhatten und das Ueber- einstimmen ihrer Zahl.

Die 3 gesehleehtsreifen Dohlen verhielten sich in der Fortpflanzungs- zeit des J@res 1929 sehr vieI anders als im Vorjahre. Die anver- heiratete Rotrot betStigte sich gesehleehtlich iiberhaupt in keiner ~Veise. Aueh bei den Jungdohlen war die Fortpflanzungsstimmung lange nicht so susgesprochen, wie sie bei denen des Vorjahres gewesen war. Setbst bei dem Paare Rotgelb und Gelbgriin war noeh im M~irz nicht viel davon zu bemerken. Erst Anfang April begannen diese beidenV5gel ziemlieh nnvermittelt zu bauen. Nach einigen erbitterten Ki~mpfen war es ihnen gelungen, die vorher bestehende Rangordnung zu durchbreehen und der Elster Herr zu werden. Es war jetzt wieder sehr sch/Jn zu beobaehten, wie dieses unsoziale GeschSpf dureh die gute Zusammen- ~rbeit s~mtlicher Dohlen gezwnngen win'de, sich der Soziologie dieser Art ~nznpassen. Da sic aber mit der bekannten Nun-erst-recht- Psychologie ihrer Art doeh immer wieder sie h dem Dohlennest n~herte, so entfernte ieh sic sehliel~lieh, nur um dem Brutpaar Ruhe zu ver- schaffen. Da. Rotgelb und Gelbgriin bei den jungen Dohlen niemMs auf ernsteren Widerst~nd stiel~en, wsren die Wutt6ne ,,Jiip:' und ,,Ziek" jetzt iiberhaupt k~nm mehr zu hSren.

Das Paar wghlte zum Bauen einen sehr engen Nistkasten, und wie im Vorj~hre interessierte sieh das M~innehen haupts~tehlieh ftir den groben Unterbau, also fiir diekere Aststiiekehen. Der Kasten war aber so klein, dag knapp far die Nestmulde selbst Platz darin war. Das Weibehen, als Baumeister der 3&ulde, sehien diese Tatsaehe zu erfassen, jedenfalls warf es dauernd die vom M~nnehen eingebrachten Zweige hinaus und trug ihrerseits weiehes Material, tmuptsiiehlieh Stroh und Zeitungspapier ein. Dies setzte sic so lange fort, wie tiberhaupt der Nestbautrieb dauerte. Ieh untersuehte dann das Nest und land, da, l] die T~tigkeit des M~nnchens in diesem Falle vollstiindig tiberfliissig, geradezn nur stSrend gewesen war. Am 30. April his zam 2. ~ a i legte Rotgelb vier Eier. Schon am ersten Tage kam sie nur auf Minnten, allerdings zu wiederholten Malen aus dem Nistkasten heraus. Naeh dem letzten Ei war sie aber ausgesprochen noch seltener zu sehen.

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Gelbgriin ergab sieh nieht sofort und nieht ohne Widersprueh in die Abwesenheit seiner Gattin, sondern rief dauernd naeh ihr. Als sie abe.r darauf nieht reagierte, ging sein fortw~ihrendes Loekrufen langsam in G-esang iiber. Er sag aus Sehnsu&t ha& ihr viel in der N~ihe des Nestes, und weil er allein war und ,,sieh langweilte", so sang er eben viel, genau wie ein allein gek~ifigter Vogel besonders viel singt. Der Vogel daehte dabei natiirlieh nieht daran, etwa seine lfrau dureh den Gesang zu erfreuen.

Ich mSehte hier einige Worte iiber das Singen der Dohlen ein- sehMten. Der Oesang besteht zum Teil aus gespotteten Lauten, zum Teil abet merkwiirdiger Weise aus solehen, die der ,,Umgangsspraehe" der Art entnommen sind. hIan hSrt da den Sitzloekton Kia, den Flngloekton Kiu, ebensogut wie das Jiipen und das Raubvogelsehnarren. Alles das bringt der Vogel in buntem Dureheinander, und sonderbarer- weise nimmt er bei jenen Lauten, denen eine ,,spraehliehe:' Bedeutung zukommt, aueh die dazugehi~rigen eharakteristisehen Stellungen ein, beugt sieh z. B. beim Sehnarren vor und schl~gt mit den geSffneten Fliigeln, duekt sieh beim ,,jtip, jiip" als s~ge er im Eingang einer engen H6hle, genau wie ein deklamie'render Menseh seine Worte mit den ihnen ent- spreehenden Ausdrueksbewegungen begteitet. Ftir mein Ohr sind die im Gesange vorgebra&ten Ausdruekslaute absolut d~eselben wie die im Ernstfalle ausgestofienen, und wiederholt bin ieh zum Fenster gesprungen, um zu sehen, was es g~be, wenn ein Vogel aus einem leise dahin- pl~tsehernden Gesang plStzli& das laute Sebnarren braehte. Niemals abet sah ieh eine andere DoMe darauf hineinfallen, selbst dann nieht, wenn eine ihren Gesang mit dem Sehnarren begann, was nicht Mlzu setten vorkam. Wenn man bedenkt, wie prompt und allgemein die Re%ktion %uf das Sehnarren einer Dohle im Ernstfalle eintritt~ so mutet dies reeht sonderbar an.

Das briitende Weibehen wurde im alIgemeinen yore M~nnehen mit Nahrung versorgt. Er besuehte sie in kurzen, unregelmN3igen Intervallen im Nistkasten, immer mit vollem Kehlsaeke ankommend, der dann leer war, wenn er wieder aus dem Kasten herausgekroehen kam. Manehmal kam sie aueh heraus, wenn er loekend anflog, nnd nabm ihm .das Fritter heraul~en ab. Dabei konnte ieh mit Sieher- heit feststellen, dal~ sie ihn an der Stimme erkannte. In solehen t0Nlen flog sie dann stets weg, gefolgt von dem Mgmnehen. Wenn sie dann nidlt in wenigen Minuten wieder da war, so kam er atlein zmqiek und kroeh still in den Nistkasten. Ob er drinnen riehtig briitete, weifl ieh natiirlieh nieht, mSehte es aber annehmen. Die l~ngste yon mir beob-

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achtete Zeit, die er allein im Neste war, betrug etwas fiber 8 Minuten. Das Weibchen braehte yon diesen Ansflfigen immer noch weiehes Nist- material ffir die Nestmnlde naeh Hause. und zwar immer gebfindelt, dab der Sehnabel seiner ganzen L~nge nach, veto Mundwinkel bis zur Spitze, gefhllt war. Manchmal hatte sie schon damals in der Sohnabel- spitze, sozusagen Ms AbscMuB des dieken Bfindels~ einen kleinen Klumpen troekenen Lehms. Sp~terhin wurden diese eingetragenen Lehmklumpen immer grSBer gew~hlt, w~hrend die Moos- und Grasbfindel immer kleiner wurden, bis dann nach SeMiipfen der Jungen nur noeh grebe Lehm- broeken und gar kein Nistmaterial mehr 9ingebracht wurde. Die Klumpen wurden offenbar dann yon den V6geln zerkleinert~ denn das Nest und spgterhin die Jungen waren st~ndig mit troekenem Lehm- staub wie eingepudert. Solange das Weibchen br[itete, beteiligte sich der ~5/[ann ilberhaupt nieht am Eintragen von Nistmaterial und Lehm, sondern begniigte sich damit, das Weibehen zu fiittera und beim Brtiten abzulSsen. Hierbei saBer viel weniger lest Ms jenes, zum mindesten kam er sofort aus dem Neste~ wenn ich mit Mehlwfirmern lockte, wghrend das Weibchen sich in solchem Falle erst lange bitten lieB. Merkwtirdigerweise regten sich beide V5gel nieht im geringsten auf, wenn ioh das Nest nntersuchte verteidigten es also aueh nieht, sehr im Gegensatze zu jener Mten DoMe aus dem SchSnbrunner zoologischen Garten, die im Jahre 1927 bei mir baute; dieses Mfinnehen verteid~gte schon die ersten Anfgnge seines Nestes wiitend, wobei es einen mit den Klauen anpaekte, obwoM es nieht wie Gelbgriin um Futter auf die Hand kam, also mehr Hemmung vor einer k6rperliehen Beriihrung haben muBte Ms dieser.

Am 17. Mai traf Jch am 10 Uhr vormittags Gelbgriln auf den Eiern. W~hrend er sonst, wie erw~hnt, auf mein Locken das Gelege sofort verlieB, blieb er diesmal so lange sitzen, da~ ich sehon meinte, es sei gar kein Vogel im Nistkasten, denn das Weibchen sah ich auf der Wetterfahne sitzen. Als ieh aber dutch die Tiir des Flugkgfigs trat, kam Gelbgri~n aus dem Kasten. Ich m~tersuehte nun das Nest und land ein Ei gepickt. Um 3 Uhr naehmittags sah i& wieder naeh nnd fand ein gesehltipftes Junges. Von Sehalenresten war niehts zu bemerken.

Ich bin sieher, dab die Eltern das Kind noeh am selben Naehmittag zu fiit~ern begannen. Als ich ni~mlieh versuehsweise dem Mgnnehen Mehlwt~rmer verabreichte, nahln er sie nieht einfaeh in den KeMsaek, wie er es tat, wenn er sie dem Weibehen bringen wollte, sondern zer- zupfte sie in winzige Stfiekehen, nahm sie dann erst in den Kehlsaek und begann hierauf seinen Schnabel zu wetzen. Schon einige Tage

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vorher war es mir anfgefallen, da.g beide Alten vor Betreten des Nist- kastens sich lgngere Zeit den Schnabel wetzten. Der Trieb zu dieser Reinignng tritt eben schon etwas friiher auf als notwendig. Jetzt abet verfiel der Vogel geradezu in Schnabelwetzparoxysmen, ehe er zu dem W'eibehen und den Jungen in den Nistkasten kroch.

Nach dem Getgn, welches dann aus diesem drang, glaube ieh, dag er drinnen seine Ladnng erst an das Weib&en und erst dieses dann sie an das Junge weitergab. Wenn das Weibehen yon der so sorg- fgltig vorbereiteten Nahrung niehts gefressen hat, was ich deshalb glanbe, weil es im Laufe des Naehmittags mehrmals reiehliche Futterquanten ans meiner Hand frag, so hat das Junge an seinem ersten halbert Tage 10 Mehlwiirmer bekommen.

Am ngchsten Tage war das zweite Kind sehon fertig geschliipft, Ms ieh naeh 10 Uhr naehsah. Wenn ieh ihnen kein Futter anbot, verfiitterten die Alten haupts:~ichlich griine Raupen, die sic yon den nahen Linden abklanbten. Sic fiitterten ebenso nnregelmiigig, wie das Miinnehen das W'eib&en gefiittert.hatte. Man konnte sic abet jederzeit dureh Dar- reichung yon Mehlwiirmern oder Ameisenpuppen, nicht aber yon anderen Futterstoffen, zum Fiittern. anregen. Mehlwiirmer zerznioften sie wie erwiihnt immer ganz rein, Ameisenpuppen'hingegen rissen sie blog an, bevor sic sic in den Kehlsaek nahmen. Ieh war erstaunt~ welche Mengen sic in die kleinen Jungen hineinstopf~en.

Um bei tier chronologischen Reihenfolge zu bleiben, mug ieh hier einsehalten, dag an diesem Tage die beiden am 1. April davongeflogenen vorjghrigen Dohlen sich wieder einstellten. Wenige Tage spgter ver- schwanden sic wieder~ zwei weitere Altersgenossen mit sieh nehmend. Von diesem. Zeitpunkte an begann das schon friiher beschriebene Abwandern der einjiihrigen V6gel. Dag sic sieh his Anfang des Winters 1929--30 eine nach der anderen wieder eingestellt hatten, babe ieh ebenfalls sehon erwiihnt.

Am 19. and 20. Mai schliipften die beiden restlichen Eier, ebenso wie das zweite sehon in den ersten Vormittagsstunden. Als das letzte Junge auskroch~ war das erste sehon fast doppelt so grog. Die Eltern verfiitterten naeh wie vor griine Ranpen, was ieh deswegen sehen konnte. well sic ihre Kehlsaekladung immer vor dem Nistkasten auspaekten und fein zerzupften, ehe sic sic naeh dem beschriebenen Schnabelwegzen den Kindern bra&ten. Auch die Ameisenpuppen nahmen sie jetzt aus meiner Hand zuerst in den Kehlsack, um sic erst auf dem Anflugbrett des Nistkastens zu zerkleinern. Am 2. sah ieh das Mgnnehen ein Btindelehen Moos aus dem Neste tragen, welches mit einem winzigen

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Kotldecks behaftet war; auell spgterhin entfernten die Alten den Kot der Jnngen immer so, dag sie das Nistmaterial, an dem er haftete, abtransportierten. Dabei bertihrten sie niemals den Kot direkt mit dem Schnabel. Wenn das ihnen doeh einmal passierte, so konnten sie sich nieht genug tun in Kopfsehiitteln und Sehnabelwetzen, wodur& sie ihren Ekel deutlieh genng dokumentierten, l)as ist deswegen auf- fallend~ weft seheinbar Eri~hen die Exkremente der Jungen im Kehlsaek forttragen. Die Dohleneltern trugen das besehmutzte Nistmaterial selten weir fort,, meist legten sie es mit einer eigentttmlichen Vorsieht auf den Rahmen der Falltiir des Fhgkgfigs, der dann mit der Zeit mit diesen ~Vindeln geradezn garniert war. Nattirlieh braehte es dieser Prozess mit sieh, dag das Nest Iangsam abgebaut wurde. Das ging so weit, dag die NisthShle nach dem Ausfliegen der Jungen vollstgndig leer war. Besehmatzt war sie innen nicht im geringsten.

3_is ieh am 23. ~[ai naeh einer 2tggigen Abwesenheit heimkam, sah ieh eine der damals noeh in der Kolonie befindlichen einj~hrigen Dohlen ein totes Junges im Sehnabel tragend herumfliegen. Ieh jagte ihr die Leiehe ab und konnte feststellen, dag sie kaum verletzt, aber sehon stark in Fgulnis tibergegangen war. Ieh bin der 5/[einung, dad die betreffende Dohle das Junge keinesfalls aus dem Neste geraubt hat., sondern dag es eingegangen ist und yon den Eltern arts dem Nest ge- sehaffL and dann erst x*on ihr gefunden wurde. Als ieh dann das Nest untersuchte, land ich die beiden gltesten Kinder erstaunlieh gewaehsen und der GrSge naeh kanm unterseheidbar, das dritte, naeh seiner Grgge und der des toten abet sieher Nr. 4, sehr zurtiekgeblieben nnd kaum griiiler als bei meiner Abreise.

Es war mir sehon lange aufgefallen~ dab yon so ziemlieh allen yon mir aufgezogenen Bruten yon lOasseres die jiingsten Gesehwister dauernd kleiner, sehw~eher und hinfi~lliger blieben als die ~lteren. Ich entsinne mieh keines Falles, wo ein jiingeres Gesehwister ein ilteres tatsgehlieh iiberholt hgtte, obwohl doeh der mensehliehe Pfleger in seinem ,,Ge- reehtigkeitssinn" bei der Fiitterung unwillktirlieh die Sehwi~chsten bevor- zngt, was die Vogeleltern ganz sieher nieht tun, ira Gegenteil, bei ihnen wird immer der am weitesten emporgereckte Sehnabel, der ja meist dem Aelteren gehSren wird, zuerst gestopft. Ich war immer der 3/Ieinung gewesen, dab dieses Zuriiekbleiben eine @efangensehaftserseheinung sei, dadureh her¥orgerufen~ dab die iltesten JungvSgel einen griigeren Teit ihrer Entwicklung unter natiirlieheren Umsti~nden vollzogen hatten ats die jfingeren. Es ist ja bekannt, dail Sperlingsv6gel bis zu der relativ weiten Altersgrenze, wo der Fiuchttrieb erwaeht und sie Mensehen gegentiber

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nicht mehr sperren wollen, umso ]eichter aufzuziehen sind, ]e ~]ter sie sind, weft sie eben yon der Fiitterung durch die Eltern her gewisse Reservestoffe mitbekommen haben, die ihnen der Menseh schwer ersetzen kanu und die umso besser vorhalten~ je spiiter sie in seine Obhut gelangen.

Bei Beobachtung der Jungenaufzucht meiner Dohlen begann ich abet an dieser Erkl~rung zu zweifeln. Schon am 23. Mai hatte ieh den Eindruek, dab sich die Mutter fiir das kleinste Junge zu oft uud zu lange yore Neste entfernte. Als ich daraufhin w~hrend einer Abwesen- heir des Weibchens die Jungen anfiihlt% war das kleinste tats~tchlich merklich ldihler als die beiden anderen. An diesem Tag sah ich zum letzten Male das alte Weibehen Ameisenpuppen zerzupfen. Sp~terl~n warden diese und auch Mehlwiirmer ganz verftittert and zngleieh ver- schwand das umst~ndliche Sehnabelwetzen. Noch am 23. sah ieh am Raehen des Aeltesten Reste yon HanfkSrnern kleben. So friih begannen die Eltern mit dem Verfiittern pflanzlieher Nahrung.

Am '24. Mai war der Unterschied zwischen den beiden grSileren and dem kleinsten Kinde noeh auffallender. Beim grSBten 5ffnete sich gerade das eine Auge. Die Mutter wSrmte im Laufe dieses Tages die Jungen iiberhaupt nut minutenweise, also sicher viel zu wenig fiir das K[einste. Es seheint also~ dab sich die Eltern in der Art der Pflege mehr nach den ~lteren Jungen richten~ in diesem SpeziMfalle wegen des zuf~lligen Ausfallens des dritten Kindes vielleicht aber noch mehr als gew5hnlich. Am '25. war das I\Testhi~kchen spurlos versel:nvunden. Die beiden restliehen Kinder hatten beide offene Augen and begannen wegen der unter der I-Iaut sprossenden Kiele oberseits dunkel zu wirken. Dies braehte reich auf den Gedanken, daI~ vielleieht jetzt dureh den Anblick der Jungen in meiner Hand bei den Eltern der Sehnarreflex anszulgsen sei, was aber nieht der Fa]l war. Sie regten sieh nieht ira geringsten auf, als ich ihnen die JungvSgel in der Hand hinhielt. An diesem Tage sah ieh die Alten wieder grot3e LehmklStze eintragen, was ich seit dem Sehltipfen der Jnngen nieht mehr gesehen hatte. Besonders der Mann trug so gro~ie Klnmpen ein, wie er irgend in den Schnabel zn fassen vermochte. Die Haut seiner Mundwinkel war so ausgespannt, dai~ man das Licht durchschimmern sah. Ich hatte hie vorher eine Dohle ihren Schnabel so weir ~iffnen gesehen nnd nicht gewulgt, daft ihr das iiberhaupt mSglich sei. Am 30. Mai waren am Schultergefieder and am Fltigelkleingefieder der Jungen die Spitzen der Federhiillen etwas abgeplatzt, sodat] man gerade schon ein weniges yon den Federn sehen konnte. Als ich nun die Kinder in die Hand nahm and den

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Eltern hinhielt, griffen mieh sofort beide schnarrend an. Das war ja eigentlich genau das, was ich erwartet hatte. Immerhin erseheint es auffallend, dug bei einem verhiiltnism~igig so klngen Vogel, wie die Dohle einer ist~ die Verteidigung der Naehkommensehaft so rein reflektoriseh erfolgt. Am selben Tage flog mein damals soeben flfigger Kolkrabe erstmalig auf das Daeh des Elauses. Ihn griffen die Dohleneltern so- fort sehnarrend an, der einzige yon mir beobaehtete Fall, wo das Sehnarren anders als dureh das Getragenwerden eines toten Rabenvogels oder dessen Surrogates ausgelSst wurde. Sie sehlugen den Ruben schliet31ich in die Ftueht und duldeten ihn aueh spfi.terhin nieht auf dem Daehe. Erst liingere Zeit naeh dem Ausfliegen der Jungen hSrten ihre Angriffe aug Sie fiirehteten aber die Ruben aueh dann nieht im Geringsten.

Am 18. Jnni, also im Alter yon 3~ Tagen, sah ieh die i~ltere junge Dohle auf einer Sitzstange nahe vor dem Neste sitzen, gegen Abend war sic nieht zu sehen, also wohl wieder im Nistkasten. Am n~ehsten Tage bekam ieh keine der beiden Jungdohlen zu sehen~ erst am ~0. s~l]en beide vormittags im Flugki~fig, am Naehmittag hatte die eine, si&erlieh nur dureh ZufM1, dureh die glapptiire den Weg ins Freie gefunden und sag nun auf tier grogen Ulme auf tier anderen Seite des Hanses. Die Eltern bemtihten sieh, das Kind naeh Hause zu locken, was ihnen lunge Zeit nieht gelingen wollte, da ihnen das Junge genau so mangelhaft naehflog wie eine gleiehalte, hand- aufgezogene Dohle einem mensehliehen Pfleger. Auger den friiher besehriebenen Methoden, die einer DoMe zur Verffigung stehen, um eine andere zum Mitfliegen zu veranlassen, sah ieh jetzt eine neue, sehr drastisehe, die nur yon den Eltern eben fltigger Jungen angewendet wird. Diese Triebhandlung besteht darin, dug der alte Vogel dem jungen, tier zu diesem Zweeke anf einem erhShten Punkte sitzen mug, was er ja bei der bekannten Bodenseheuheit eben ausgeflogener JungvSgel so gut wie immer tut, yon hinten her so dieht fiber den Rfieken fliegt, dug er stark genug an ihn anstreift, um ihn yon seinem Sitzplatz herunter- zuwerfen, aber dabei doeh selbst so wenig in seiner Fortbewegnng gebremst wird, dag er sich naeh dem Anprall vo r dem Jungen in der Luft befindet, der ibm nun naehfliegt. Diese sehr interessante Triebhandlung wird aber nut relativ selten ausgel/Jst, meist dann, wenn die Alten selbst in groBer Angst sind und raseh fliehen wollen, ohne die Jungen zurfickzulassen, oder wenn letztere sieh in ihrer typischen Dreistigkeit an einen Punkt gesetzt haben, der den Eltern als eminent gef~hrlieh erseheint; oder abet sie wird, wie an diesem Tage, gewisser-

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ma.gen als letztes Mittel, erst naeh einer liingeren Summation der Reize angewendet. So arbeiteten damals beide Eltern den ganzen Tag, his es ihnen gelungen war, ihr Kind yon der Ulme weg, um das Hans herum anf die Linde zu !otsen, die auf der Seite des Dohlenk~figs dieht am J-Iause steM. Dort verbrachte der Jungvogel die nitehsten 3 N~ehte. Erst am ~5. Juni fand der ~. Jungvogel den Weg durch die Klapptiire ins Freie. Jetzt flogen die beiden Jungen den Eltern schon etwas besser hath, aber nut,, wenn sie bereits in der Luft waren. Auf den Boden fo]gten sie ihren Eltern damals noch nicht naeh, selbst nieht, wenn sic sehr hungrig waren und bettelten. Sie kamen sperrend den Eltern aueh genau so wenig entgegen wie die meisten kleineren Passeres. Wenn eines yon ihnen abet aufflog, so war sofort eines der Alten hinter ibm her, flog dicht fiber das Junge hin, es so fiberh01end, um im n~ehsten Augenblick seine Eigengeschwindigkeit so weir zu m~13igen, dal3 er nun dicht vor dem Jungen blieb. Letzteres war seheinbar aueh sehr nStig, da die Na&fliegreaktion des Jungen damals noeh sofort versagte, wenn der Eiternvogel aueh nm ~ wenige ~Ieter Vorsprung bekam. Die Eltern sehienen ihre Kinder dauernd zu fiberwaehen, nm zu verhindern dal] diese sieh verirrten. Sie erlaubten niemals, dag eines davon aueh nut Sekunden unbegleitet in der Luft war. Die Jungen ihrerseits sehienen sieh in diesen ersten Tagen wenig ans dieser Begleitung zn machen, wenigstens flogen sie immer wieder ohne die geringsten Lock- oder Stimmfiihlungsrufe blindlings in die Welt hinaus.

Bis gegen Ende des Monats ng~ehtigten sie in Gesellsehaft der Kelkraben, an die sieh nun alte wie junge Dohlen vollkommen gewShnt hatten, in einer Grnppe yon F6hren in einiger Entfernung yore Hause. Erst dann entwickelte sich gleichzeitig mit zunehmder Lebhaftigkeit nnd Fluglust die eharakteristische, nestfliiehterartige Anhgnglichkeit an die Eltern. Dieser Zeitpunkt fiillt zusammen mit der Verhornung tier Groftgefiederkiele und dem sonstigen kSrperligen Ausgewagsensein des Jungvogels.

Da die Jungen nun ihren Eltern nieht nur auf deren Schlafplatz im Inneren des Bodens, sondern aueh sonst fiberMlhin folgten, kamen sie jetzt auch viel mehr in meine NiChe und erwiesen sieh zu meiner groBen Ueberrasehnng als gar nieht scheu. Ich hatte als selbstverst~indlieh erwaaotet, dal3 diese yon ihren Eltern anfgezogenen Jungen, die mieh bis jetzt ja nut wenn ieh das Nest untersuehte zu sehen bekommen batten, gegen mieh fast ebenso sehen sein wfirden, wie irgendwelehe gleichMtrige in der Wildnis aufgewachsene, ohne Riieksieht anf den ZMtmheitsgrad ihrer Eltern. Diese ErfMmmg h.~tte ich nFtmlieh bei

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allen yon mir geziiehteten Klein%getn gema~eht. Die jungen Dohlen jedoeh kamen ohne weiteres dicht an reich heran trod fral~en bald in Gesellsehaft ihrer Eltern Ameisenpuppen aus meiner Hand. Wenn ieh die Hand mit dem Futter flaeh anf die Unterlage Iegte, stiegen sie sogar darauf. Nut dazu waren sie nie zn bringen, dab sie gleieh den Alten mir auf die Hand geflogen kamen. Wie stark junge V6gel yon Ausdriieken der Angst seitens ihrer Eltern beeinflngt werden, war mir bekannt, aneh hatte ieh CTelegenheit gehabt zu beobaehten~ wie sieh im Vorjahre die jungen Dohlen, dureh das Beispiel ihrer ein ,Jahr ~lteren Kameraden ermntigt, viel sehneller an den Kakadu gew6hnt hatten, Ms diese es getan hatten. Aber sol& blindes Vertranen in das Beispiet der Eitern hgtte idl doeh nieht fiir m6gli& gehMten.

Aueh in diesem Jahre (1929) zog ieh eine AnzMfl junger Dohlen auf. Ieh wollte sie ebenso, wie ieh es im Jahre vorher getan hatte, einzeln der Sehar eingliedern. Um aber die besehriebene, dutch das stgndige Wegfangen einzelner Stiieke hervorgernfene Erseheinnng des Seheuwerdens zu vermeiden, bra&te ich sie diesmal in einem grogen Versehlage innerhalb des Bodenranmes nnter, yon wo ieh sie din'oh eine Trite, ohne sie zu fangen, zn den freifliegenden VSgeln hiniiber- lassen konnte, und wo aufierdem die noeh eingesperrten Tiere die bereits freifliegenden aueh weiterhin sehen und h6ren konnten. Diese Vor- riehtung bew~ihrte sieh datums, ebenso wie im heurigen Jahre (1930) ausgezeiehnet, aber leider fiel ihr dureh einen ungliiekliehen Znfall die eine der bet mir erbriiteten Dohlen zmn Opfer. Sie geriet dureh die Tiire zu den handaufgezogenen V6geln, wo sie gegen reich nattirlieh nieht sperr~e. In dem allgemeinen Trubel bemerkte ieh den vers&ti&terten Vogel erst, Ms er durch Hunger sehon sehr gesehw~eht war. Ieh lief] ihn sofort ins l?5'eie, abet kanm hatte st& der Kranke ~uf dem Daehe niedergelassen: Ms ihn sehon einer der Kolkraben ergriff und, ehe ieh es verhindern konnte, tStete. 13is dahin hatte hie ein Rabe ernstlieh ver- sueht, eine Dohle zu fangen, was ihm ja aueh ganz sieher nieht gelnngen w~re. Dieses feine Ileagieren auf Krankheitserseheinungen yon Tieren, die gesund als Beute nieht in Frage kommen, ist dem Raben also an- geboren. Tm:~:NE~a~ hat ~hnliches yore Habieht besehrieben, nnd sehr wahrseheinlieh wird diese t~eaktion vielen r~uberisehen Grol~v6geln ztNommen.

Im Winter 1929 30, naeh Riiekkunft der wi~hrend des Sommers 1929 abwesenden 1928 gebiirtigen Dohlen, bestand meine Kolonie aus 20 VOgeln. Ieh hatte die Absieht, im Sommer 1930 eine gehSNge Anzahl weiterer Jungv6gel grogzuziehen nnd dann im Herbste die

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ganze Schar nicht mehr einzusperren, sondern ihr Abziehen und Wieder- kommen zu studieren. Abet w~hrend ieh im M~rz 1930 nacb einem Autounfall im Spiral lag, wurde die Kolonie durch eine vollkommen ungekl~rte Katastrophe - - ich weig nicht einmal, ob die VSgel dnrch irgend etwas vergr~mt davongeflogen oder zugrunde gegangen sind - - fast vollst~ndig vernichtet. Nachdem zum Ueberflusse noch ether der zwei iibrig gebliebenen VSgel bald danach eingegangen war, blieb mir yon meiner ganzen schSnen Kolonie nur mehr das a re Weibchen Rotgelb. Ieh glaube nieht, daf~ ieh zu anthropomorphisierendem, sentimentalem Bemifleiden yon Tieren neige, abet die Art und Weise, wie diese Dohle unter st~indigem ,,Kiu"-Gesehrei die ganze Legend nach ihren verlorenen Genossen absuchte, h~tte allein geniigt, um reich zur An- schaffung Yon neuen Dohlen zn bestimmen. Wie alle vereinsamten VSgel sang Rotgelb, naehdem die erste Verzweiflung iiberwunden war, f~st ununterbrochen. Ich habe schon friiher erw~hnt, dal~ die Dohlen in ihrem Gesange Ausdruckslaute bringen. Neu war es mir aber, daf~ eine besondere Stimmung eines Vogels sich in seinem Gesange ans- driicken kann. Der ,,Kiu:<Ruf stellte fast anssehlief~lieh, mit wenigen dazwischen gewobenen anderen Lauten, den Gesang der einsamen Dohle dar. Sie pflegte immer wieder plStzlich ihren Gesang zu unterbrechen~ und mit wirklichen, jetzt nieht gesungenen ,,Kiu:'-Rufen auf erneute Suehe ins Land hinauszufliegen. Das Suehen naeh den Verlorenen gew6hnte sie sieh allmi~hlich ab, ihr Gesang jedoeh blieb dauernd, bis auf den heutigen Tag, yore ,,Kin" beherrseht.

Als ieh ihr heuer vier junge Dohlen beigesellte, kiimmerte sie sich kaam um sie, und aueh jetzt fliegen die Nnf nut selten zusammen. Eine Ausnahme yon dieser Teilnahmlosigkeit sah ich nur einmal, als die heurigen Jungen ganz friseh freigelassen waren. Da verflogen sieh zwei yon ihnen, und Rotgelb brachte sie mit einer sehr schSnen, ganz typiseh nnd roll ausgebildeteten ,,Kiu-Reaktion" naeh I-Iause.

Obwohl also meine Dohlenkolonie doch nieht ganz ausgestorben ist., so erseheint doeh die Aussieht auf gute Beobachtungen fiber alas Wandern, vor allem tiber das Abwandern der ei@ihrigen VSge] ans dem Gebiet tier Siedtung, anf mindestens zwei Jahre hinansgertickt.

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Zusammentassung. Wenn wir die Tatsachen zusammenfassen wollen, die sich aus

obigen Beobachtungen fiir die Soziologie und Ethologie der Corvidem insbesondere der Dohlen, ableiten lassen~ so ergibt sich kurzgefagf folgendes:

Innerhalb einei Schar, sei es nun eine Wanderschar oder die Gesamtheit der Mitglieder einer Siedlung einer der koloniebildenden Arten, herrscht eine ganz genaue Rangordnung der einzelnen Arten~ die unbedingt ein individuelles Sicherkennen der Tiere zur Voraus- setzung hat. Letzteres wird augerdem dadurch bewiesen, dal~ die Mit- glieder einer Dohlensiedlung einen fremden Eindringling soiort als solchen erkennen und ihn vertreiben (p. 102). Der grol~e Nachdruek, mit dem das geschieht, l~Bt wahrscheinlich erscheinen, dal~ neue Mit- glieder, wofern sie nicht in der Siedlung selbst geboren sind, nur w~hrend der Zeit des winterlichen Umherstreifens aufgenommen werden kSnnen.

Das Versehwinden eines Mitgliedes der Gemeinschaft wird sofort bemerkt und mit grS~ter Aengstlichkeit und allgemeiner Fahrigkeit, bei streichenden Scharen hSehstwahrscheinlich mit dem Verlassen der Oertliehkeit, beantwortet. Die vor allem innerhalb grS~erer Gemein- schaften sehr ausgesprochene, Gruppenbildung erleiehtert offenbar dieses Buchfiihren fiber jedes einzelne Mitglied. Die Aengsfliehkeit der yon einem Verluste betroffenen Gruppe steckt die ganze Schar an. Beim Krankwerden und Sterben eines Individuums tritt die Reaktion nicht auf.

Das Verfliegen eines Mitg]iedes einer Dohlensiedhng suchen vor allem die alten M~nnchen eifrigst zu verhindern, indem sie dem Aus- reiger nachfliegen und ihn unter Ausstofien eines bestimmten Lockrufes, der, im Gegensatze zu dem gewShnlichen Dohlenlockruf ,k ia" , mehr wie ein gezogenes ,k iu" klingt, dazu zu bringen suchen, dal] er ihnen nach- fliegt, sodai] sic ihn zur Siedlung zuriickfiihren kSnnen. Diese Reaktion sebeint vor allem dann wiehtig zu sein~ wenn fremde Wanderscharen drohen~ einzelne Koloniemitglieder mitzureil~en. Sie unterbleibt, wenn die einj~hrigen, noch fortpflanzungsunfi~higen JungvSgel sich zur Brut- zeit aus dem Gebiet der Siedlung entfernen, was offenbar die Regel darstellt and fiir die Art leicht einzusehende Vorteile birgt. Diese J~hrlinge stellen sieh dann zum Herbst bin yon selbst wieder ein und werden reibungslos aufgenommen, als0 sicher wiedererkannt (p. lO9-111).

Wird ein Rabenvogel, gleiehgfiltig weleher Art, ausgenommen sind wohl die ja reeht fernstehenden Itiiher, yon irgend einem Raubtiere

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ergriffen und fortgesehleppt, so reagieren Dohlen, welehe das sehen, aber woh] ziemlieh sieher anch die Kr~thenarten, mit einem geradezu wiitenden Angriff auf den Rguber. Dohlen geben hierbei einen sehr eharakteristischen Ton yon sieh, ein metalliseh klingendes S c h n a r r e n, und naeh der Bes&reibung, die L6ss yon dera entspreehenden Vorgang bei Raben- nnd Nebelkri~hen gibt, seheinen diese einen zumindest sehr iihnliehen Ton dabei .zu haben. Dies wird aueh dadureh reeht wahr- seheinlish gemacht, dal3 Dohlen, die Kr~.henarten und der Kolkrabe einen anderen Angriffston gemeinsam haben, nBmlieh das tiefe Q u a r r e n, das das StoSen auf zu vertreibende RaubvSgel begleitet, abet aneh beim spielerischen Stol]en zu hSren ist. ]~riihen nnd Dohlen, his zu einem gewissen Grade wahrscheinlich such Elstern, bilden anf diese Weise ein Schntz- and Trntzbtindnis zur Vertreibung yon Ranbtieren. Ich glaube, dal~ anch der Schnarrangriff weniger darauf abzidt, den geraubten Vogel zu retten, als dem Rguber dadureh, dag er nieht zum Genusse der Beute kommt, die Gegend, vielteieht sogar in erzieherisehem Sinne fiir die Zukunft das Pangen yon RabenvSgeln zu verleiden. Der Vorgang ist zumindestens bei der Doh]e rein triebhaft, ja geradezu reflektorisch und kann ziemlieh leicht durch andersartige Reize als Fehl- leistung ausgelSst werden (p. 72-78) .

Aus dieser Corviden-Organisation seheint der Rabe sekundg,r aus- getreten zu sein. Er besitzt zwar die entsprechenden Triebe noch, wendet sie aber seheinbar nut zur Verteidigung yon ibm b e k a n n t e n Artgenossen an. Der Vorgang erseheint also hier unter die Kontrolle des Intellektes geraten.

Innerhalb einer Brutgemeinsehaft yon Dohlen seheint die stark betonte Rangabstufung einen besonderen Schutz fiir die Nester der in der R~gordnung tiefer stehenden Paare notwendig zn maehen~ welcher dutch eine sehr eigentiimliehe Triebhandhng gewi~hrleistet wird. So- lange die Dohlen noeh nicht lest gepaart sind, haben vor allem die M~nnehen einen Ton, der wie ein hohes, ganzes kurzes ,,z i e k" klingt, und devil sie in oder vor ihnen passend erseheinenden HShlen erklingen ]assen, und tier offenbar ftir die Weibehen die Bedeutung des Zu-Neste- Loekens hat, w~hrend er zugleieh eine Aeul3ernng des Trotzes gegen alle iibrigen Mgnnehen darstellt, was aber nieht hindert~ dag einem schwi~eheren oder besser gesagt im Range tiefer stehenden MBnnehen die H5hlung weggenommen werden kann. Sowie die VSgel abet fest ge]?aart sind, ist das so gut wie unmSglich. Denn im Augenblieke, da sieh eine solehe Dohle yon einem Artgenossen ernst]ich bedroht fiihlt, st6~t sie einen besonderen ,,Hflferuf:' aus, der sieh am besten mit ,,j tip"

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wiedergeben l~igt. In diesen Ruf stimmt zuni~ehst der Ehegatte, gleich darauf aber alle [ibrigen Siedlungsgenossen ein und gehen, ersterer sogar ~ugerst naehdrtieklich, dem RuhestSrer zu Leibe. Wenn es aueh die meisten VSgel bei der Drohung bewenden la~ssen, so gentigt doeh sehon deren Zusammenstr6men im Verein mit dem wtitenden Angriff des Gatten, um den Streit zu sehliehten, und der urspriingliehe Angreifer beweist meist die Triebhaftigkeit des ganzen Vorganges dadureh, dal~ er selbst genau so in das Jiipkonzert einstimmt, als ob ein anderer die Ursache desselben gewesen wi~re, also keine Ahnung yon seiner eigenen Urhebersehaft hat. Die Reaktion beginnt bei JungvSgeln zur Zeit der ersten Verlobnngen (p. 97--99).

Junge Dohlen verloben sieh meist im ersten Herbste ihres Lebens, also. obwohl sie doeh erst im Alter yon zwei Jahren fortpflanzungsfahig werden~ schon mit rand ftinf Monaten! Manche Stiieke warten aller- dings bis zu ihrem zweiten Herbst lnit der Verlobung. Da tier tiefer im Rang stehende Verlobte zwangslgufig in den des hSherstehenden aufriickt, so bringen die Verlobungen oft eine ziemlich starke Ver- sehiebung in der Rangordnnng hervor, welehe dann nahezn sofort allen Koloniemitgliedern bekannt ist. Die erste Verlobnngsnaehrieht war mir oft so. dal~ ein bisher hSherstehender Vogel einem untergeordnet gewesenen freie Bahn gab (p. 93--94).

Am Nestbau, der, wenn tier Herbst sehr milde ist, andeutungs- weise sehon bald naeh den Yerlobungen beginnen kann, beteiligen sieh beide Gatten. Das Mi~nnchen beschgftigt sieh ansgesproehen nut mit dem groben Unterbau, alas Weib&en mehr mit tier Ausgestaltung der 1Vlulde. Die dem Manne zukomrnende Arbeit ist also je naeh der Gr61~e der gew~hlten HShle recht versehieden (p. 112--113).

Mein Dohlenweibchen ,,Rotgelb" legte vier Eier durchweg in den frtihen ~/Iorgenstunden der beiden letzten April- und der beiden ersten Maitage. Obwohl es das Brutgeseh~tft am ersten Tage noeh sehr hgufig nnte~'braeh, darf man doeh wohl sagen, dab es yore ersten Ei an briltete. Das ?tlteste Jnnge sehliipfte urn die Mittagszeit am 17. Mai, die anderen drei in den frtihen Morgenstunden der drei folgenden Tage. In den ersten Lebenstagen der Jungen Ntterten die Eltern hauptsgehlieh mit Mehlwi~rmern, Ameisenpuppen und grtinen Raupen, was sie alles sehr fein zerzupften, ehe sie es in den Kehlsack nahmen. Vor dem Fiittern reinigten sie sieh dann sehr sorgf~ltig den Sehnabel. Sehon naeh wenigen Tagen wurde die Nahrung der Jungen nieht mehr so vorbereitet und bald aueh grSbere Stoffe gereieht. Der Kot tier Jungen wurde stets mit dem Genist~ an dem er haftete, entfernt (p. 113--116).

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Naeh dem Ausfliegen bleiben jnnge Dohlen 15ngere Zeit in der Umgebung des Nestes und der Siedlung, erst spi~ter, zu einer Zeit, da andere SperlingsvSgel yon ihren Eltern unabhgngig werden, erwaeht in den Dohien der Trieb, ihren Eltern naehzufliegen, ein Nachfolgetrieb, der an Intensitg~ sonst wohl nur yon dem man&er jungen Nest.fliiehter erreieht wird. Da die junge Dohle Ms wahrer Schatten ihrer Eltern keinen stark entwickelten Fluehttrieb zu haben braueht, sondern nnr dann in Angst get,it, wenn sie ihre Eltern .~ngstlieh sieht~ so wirkt der yore 1Vfens&en anfgezogene Jungvogel dieser Altersstufe so ungemein dreist. Aber auch sonst ersetzt nnd verdr~ngt in diesem Alter bei der jungen Dohle dieser Naehfolgetrieb so viele andere Reaktionen, dal3 sie, ihrer Fiihrer beraubt, sehr hilflos und reeht einfiiltig erscheint, wenn man sie mit Kri~hen oder Elstern gleiehen Alters vergleieht. Nut bei der Saatkr~he liegen die Dinge wohl ~hnlich wie bei der Dohle. Erst gegen Herbst erliseht der allmi~chtige Naehfliegetrieb der Jungdohlen, und sie verhalten sieh dann sehr plgtzlich in geistiger Be- ziehung genau wie ihre Eltern. Ich glaube, dag diese geistige Sp~t- reife der Dohle und, wie gesagt, vielleicht aueh der SaatkrShe, in unserer heimisehen Vogelwelt ziemlich vereinzelt dasteht (p. 78--79).

Da wohl Wenige in verhitltnism~tgig so kurzer Zeit so viele Jung- vSgel gleieher Art erzogen und auch in ihrem sp~teren Verhalten be- obaehtet haben d~irften, so mSchte ich bier noeh einmal betonen, dal] nicht genug davor gewarnt werden kann, die Versehiedenheit der geistigen Veranlagung gleiehartiger Tiere, ~'or allem yon VSgeln, zu iiberseh~itzen, wie es jetzt ja so vielfaeh gesehieht. Es mgg ftir die allerh6ehs~/en S~uger zutreffen, dag sie so versehieden sind, ,,wie wit iV[ensehen", ftlr VSgel trifft das ganz gewig nieht zu. Eine Dohle ist nicht ,,seheu nnd migtrauiseh veranlagt" und eine andere zntunlieh nnd dreist, wohl abet kann ein Altersnntersehied yon vier Tagen~ wie ihn Nestgeschwister haben kSnnen, es ohne weiteres mit sieh bringen, dal3 der eine Vogel n o e h gegen den Mensehen sperren lernt, der andere abet nieht mehr, nnd so der eine ganz zahm wh'd~ w~hrend der andere hoflhungslos seheu bleibt, und das buehst~blieh anf Lebzeiten. Einen ebenso dauernden Einflug auf das geistige Verhalten eines Vogels hat es aneh, ob er allein oder in Gesellsehaft yon Artgenossen aufgezogen wurde. Den meisten [ctsseres und wahrscheinlieh sehr vielen anderen VSgeln ist das Bewugtsein ihrer ArtzugehSrigkeit n i c h t al~geboren, das hell]t, wenn man sie yon friihester Jugend an allein aufzieht, erkennen sie Artgenossen nieht als sotehe, was sieh vor allem in ihrem geschleeht- lichen Verhalten ausdrttekt. Die ,,Einstelhng auf die Art" erfolgt bei

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verschiedenen V6geln zu einem verschiedenen, flit jede Art aber sehr festliegendem Zeitpunkte, bei Dohlen verh~ltnism~13ig sehr sp~t, erst um das Flfiggewerden herum. Naeh diesem Zeitpunkt ist an tier Art- einstellung eines Vogels niehts mehr zu iindern. Man mag den einzeln aufgezogenen dann no& so lange mit Artgenossen zusaxnmen halten, er wird sie nie Ms seinesgleiehen betraehten, und ebensowenig wird ein in Gesellsehaft yon Artgenossen grol3gezogener sieh so wie jener an den Mens&en ansehliegen. Man hatte sieh vet Augen, welch grundlegender und dauernder Untersehied im Verhalten des Tieres davon abhiingt, ob es drei his vier Tage sparer oder friiher in mensehliehe Pflege gelangte. Viele als unziihmbar geltende Arten seheinen nur deshalb so, weil der Zeitpunkt ihrer Arteinstellung in besonders frtiher Jugend liegt.

Es sei aueh noeh einmal darauf hingewiesen, welch grogen Einflug der Kbrperzustand eines Vogels auf sein geistiges Verhalten ausi~bt. Besonders dutch fehlerhafte Anfzueht zuriiekgebliebene Tiere erseheinen stets einf~iltiger als vollwertige. Teils ist der gntersehied in der Intelligenz ein seheinbarer, dadureh hervorgerufen, dal3 bei dem Ktimmerer Reaktionen ausgefallen sind, welehe dem vollwertigen Tiere arteigen sind~ man denke an den Trieb zum Einweiehen hatter Nahrungsbroeken oder zum Aufhaeken yon Eiern, teils handelt es sieh mn ein wirkli&es Zurfiekstehen der konstitutionell Minderwertigen in wirkliehen Intelligenzleistungen. Ieh kann aber tats~ehlieh behaupten, dag ieh, obwohl ieh nun fiber vierzig Dohlen aufgezogen und dutch iht- spiiteres Leben veffolgt habe, zwisehen gleiehgesehle&tliehen Vggeln dieser Art keinen Untersehied in ihrem geistigen Verhalten gesehen habe, der sich nicht irgendwie auf Versehiedenheiten im Vorleben der betreft~nden Exemplare h~tte zuriiekNhren lassen. Ieh mug abet erwi~hnen, dag bei den geistig unvergleiehlieh ¥iel hSher stehenden Kolkraben solehe Untersehiede doeh vorhanden sind, wenn aueh im Verbfiltnis zu hSheren Siiugern nut in sehr geringem 3/Iage (p. 104--106).

Zum Sehlusse m6ehte ieh meiner Ueberzengung Ausdruek geben, dal~ sgmtliehe in Obigem besehriebenen an freifliegenden zahmen Raben- v6geln beobaehteten Triebhandlungen a l l e n gesunden freilebenden Tieren der betreffenden Arten eigen sind. Umgekehrt ist es aber natfirlich ganz gut mgglieh, dab Reaktionen letzterer bei meinen ja doch immerhin in Gefangenschaft aufgewaehsenen Tieren ausgefallen und mir daher entgangen sin&

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Tabelle der lialtungstlauer und des Lebenslauies der lifter namentlich erwfihnten Dohlen.

Individuelle Geburtsjahr und Lebenslauf Ende Bezeiehnung der Beobuehtungen

Tschoek (?) 1926, a doptierte ira Sommer 1927 Dureh Ril~ des Kiifiggitters Linksge]b. entkommen im Januar 1929.

Gelbgriin (C5 ~) Versehollen im 3/IErz 1930. 1927, verlobt mit Rotrot im Iterbs~ 1927~ im Januar 1928 umgelouart~ seitdem mlt Rot- ge]b verheiratet, 1929 erfo]g- reiche Brut. Spitzentier ab November 1927 , entthront am 15. 12. 1929 dutch ~ aus dem Jahre 1928.

~otCelb (9) 1927, siehe Gelbgri'm~ verwitwet M~trz 1930~ gegenwgrtig, im Herbst 1930, ira Begriff sich ,nit diesjghrigem C~ zu ver- loben.

Als einzige der besproehenen Dohlen noeh vorhanden.

~:otrot (9)

Blaugelb ((~)

Linksgr[in (~)

1927, verlobt mit Gelbgriin ira Herbst 1927, umgepaart Januar 1928, yon da ver]obt mit Blau- gelb~ Mai 1928 yon ihm ver- lassen. Herbst 1929 verlobt mit ~ aus dem Jahre 199~8.

1927~ verlobt Januar 1928 mit Rotrot, beginnt M~rz 1928 Beziehungen zu Linksg'rfin.

1927, siehe Blaugelb.

Versohollen im 1K~rz 1930,

Mai 1928 mit LinksgTfin weggeflogen.

Siehe I~laugelb.