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JUSTUS LIEBIG’S ANNALEN DEB CHEMIE. 261. Band. Mittheilung aus dem chemischen Laboratorium der kgl. Akademie der Wissenschaften zu Miinchen. (Eingelaufen den 12. December 1889.) Beitrgge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme ; von Eugeri Bamberger *). Ich habe irn Lauf der letzten Jahre eine Reihe yon Thatsachen festgestellt, welche das Verhalten arornatischer Nitrile, Kohlenwasserstoffe, Basen und Phenole gegen nasci- renden Wasserstoff betreffen und ziehe auf den folgenden Blatturn die theoretischen Consequenzen meiner Versuchser- gebnisse, naahdem das Beobachtungsrnaterial in der letzten Zeit wesentlich erweitert worden ist. *) Ich beabsichtige, die Resultate meiner Hydrirungsstudien - so- bald dieselben abgeschlossen sein werden - kurz und ubersicht- lich zusammenzufassen, so daCs man sich leichter in den zahl- reichen Einzelmittheilungen, welche in den Berichten der deut- schen chemischen Gesellschaft zerstreut sind, orientiren kann. Da sich indefs sehon jetzt Gesetzmgfsigkeitenallgemeinerer Natur ergeben haben, welche meine weiteren Untersuchungen in neue Bahnen lenken, so habe ich dieselben in dieser Abhandlung zu- sammengefafst. Die darin - meist nur andeutungsweise - mit- getheilten Thatsachen sind fast durchgehenda erst in neuester Zeit festgestellt und daher noch nicht publicirt. Ich werde aus- fiihrlichere Berichte daruber in Gemeinschaft mit den Herren Kitsch e 1 t , und S t r a s s e r nachfolgen lassen. L eng f el d , M till e r , Stet t en h e i m e r Annalen der Chemie 267. Bd. 1

Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

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Page 1: Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

JUSTUS LIEBIG’S ANNALEN DEB CHEMIE.

261. Band.

Mittheilung aus dem chemischen Laboratorium der kgl. Akademie der Wissenschaften zu Miinchen.

(Eingelaufen den 12. December 1889.)

Beitrgge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme ; von Eugeri Bamberger *).

Ich habe irn Lauf der letzten Jahre eine Reihe yon Thatsachen festgestellt, welche das Verhalten arornatischer Nitrile, Kohlenwasserstoffe, Basen und Phenole gegen nasci- renden Wasserstoff betreffen und ziehe auf den folgenden Blatturn die theoretischen Consequenzen meiner Versuchser- gebnisse, naahdem das Beobachtungsrnaterial in der letzten Zeit wesentlich erweitert worden ist.

*) Ich beabsichtige, die Resultate meiner Hydrirungsstudien - so- bald dieselben abgeschlossen sein werden - kurz und ubersicht- lich zusammenzufassen, so daCs man sich leichter in den zahl- reichen Einzelmittheilungen, welche in den Berichten der deut- schen chemischen Gesellschaft zerstreut sind, orientiren kann. Da sich indefs sehon jetzt Gesetzmgfsigkeiten allgemeinerer Natur ergeben haben, welche meine weiteren Untersuchungen in neue Bahnen lenken, so habe ich dieselben in dieser Abhandlung zu- sammengefafst. Die darin - meist nur andeutungsweise - mit- getheilten Thatsachen sind fast durchgehenda erst in neuester Zeit festgestellt und daher noch nicht publicirt. Ich werde aus- fiihrlichere Berichte daruber in Gemeinschaft mit den Herren Ki t sch e 1 t , und S t r a s s e r nachfolgen lassen.

L eng f e l d , M till e r , S t e t t e n h e i m e r

Annalen der Chemie 267. Bd. 1

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2 B a m b erg er , Beitrage zur Theorie

Die hier vertretenen Ansichten werden der Beurtheilung der Fachgenossen als ein Versuch vorgelegt, welcher - mag er nun der Wahrheit naher kommen als friihere oder nicht - jedenfitlls den Vorzug besitzt, dafs er den Anstofs zu neuen Experimentaluntersuchungen giebt.

Ich bin in Gemeinschaft mit verschiedenen Herren des hiesigen Laboratoriums d m i t beschaftigt, die weiter unten niedergelegten Theorieen weiterer experimenteller Priifung nach verschiedenen Richtungen hin zu unterziehen.

Wenn man die Basen und Phenole der Naphtalingruppe der Einwirkung metallischen Natriums bei der Siedetemperatur des Amylalkohols unterwirft, so nehmen dieselben vier Wasser- stoffatome auf - niemals mehr, riiemals weniger. Die Addition

Da die vorliegende Abhandlung die KenntniCs der bereits publi- cirten Resultate wiinschenswerth macht, so erlanbe ich mir - im Interesse leichterer Orientirung - die Citate der Mittheilungen aus den Berichten der deutschen chemiscben Gesellschaft iiber- sichtlich zusammenzustellen.

Eohlenwaeserstoffe, Diphenyl, Naphtalin, hnthracen, Phenanthren,

Nitrile, a- und ip-Naphtonitril, Benzonitril, p-Tolunitril (20,

Phtalimid (2 1, 1888). Ppimiire blonamine, a-Naphtylamin (20, 2915, 21, 1786, 1892,

ip-Naphtylamin (90, 2915, 21, 847, 1112).

Hydrirt wurden :

Acenaphten, Reten (20, 3073, 21, 836).

1702, 1703, 1711, 22, 1912).

22, 625).

Secundllre Monamine, a-Aethylnaphtylamin (22, 1311). ip-Aethylnaphtylamin (22, 1295).

Tertiare Monamine, a-Dimethylnaphtylamin (22, 1311). 8-Dimethylnaphtylamin (22, 1295). ,Y-Diiithylnaphtylamin (22, 1760).

Diamine, 1,5 Naphtplendiamin (22, 943, 951). 1,4 Napbtylendiamin (22, 1382). 1,2 Naphtylendiamin (22, 1377).

Chinoline (22, 353). AElgemeine chemische Geaetmafsigkeiten (22, 767). Allgemeke physiologisch-chemische ff esetEmafsigkeiten (22, 777) .

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sechsgliedriger Ringsysteme. 3

erfolgt in allen Fallen asymmetrisch, d. h. die vier Addenden suchen eins yon den zwei Kohlenstoffsystemen des Naphtalin- molekiils auf. Eine Vertheilung auf beide Systeme zu je zwei konnte bisher nicht beobachtet werden.

Die Wirkung der Hydrirung ist verschieden, je nachdem sie dasjenige System trifft, welches den Substituenten entbalt, oder das andere.

Im ersten Falle - ich nannte ihn den der ,alicyclischen"

resultiren Wasserstoffabkommlinge mit aliphatischen Functionea. Im zweiten Fall - dem der ,,aromatischenu Hydrirung -

::&y Hs

bleibt der aromatische Charakter der Ausgangssubstanz auch in ihrem Wasserstoffabkommling erhalten *).

Reducirt man binuclear substituirte Naphtalinderivate, so entstehen alicyclisch-aromatische Substanzen,

H . NHs yx;. \ \/ NJh Hs

in deren Molekiil die Eigenschaften der Methan- und Benzol- gruppe vereinigt sind""). Je nach dem Wunsch des Experi-

*) Aus dieser Abhandlung wird hervorgehen, dafs diem Gesetz- mlfsigkeiten, iiher welche man Waheres Bar. d. deutsch. cbem. Ges. BB, 767 findet, nur Speoialdlle einea allgemeineren Ge- eetzes sind.

**) Ber. d. deutsch. chem. Ges. aa, 943, 951.

i *

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4 B u m b e r g e r , Beitrage ZUT Theorie

mentators lassen sich die einen oder die anderen zum Ausdruck bringen.

Die Hydrirung ist fiber eine grofse - anscheinend viel- leicht uberfliissig grofse - Anzahl von Korpern ausgedehnt worden. Man wird indefs aus dieser Abhandlung ersehen, dafs die - bisher unbemerkt gebliebenen - functionellen Aenderungen feinerer Art, welche mit jeder Hydrirung ver- bunden sind und von welchen unten ausfuhrlich die Rede sein wird, kaum hatten erkannt werden konnen, wenn nicht das Hydrirungsgebiet nach den verschiedensten Richtungen - der Breite wie der Tiefe nach - durchforscht worden ware.

Genauere Beschaftigung -- namentlich init dem Vorgange der aromatischen Hydrirung - hat namlich gelehrt, dafs die Aufnahme von Wasserstoff den aromatischen Charakter des nichthydrirten Systems nicht nur nicht vermindert , sondern sogar erhoht, d. h. ihn demjenigen einkerniger Benzolderivate assimilirt.

Aromatisches Tetrahydro-a-naphtylamin,

ist beispielsweise dem Anilin verwandter R I S dem a-Naphtyl- amin.

Diese Behauptung ist aus vergleichenden Untersuchungen hervorgegangen, deren Gegenstand auf der einen Seite Deri- vate des (nichthydrkten) Naphtalins, auf der anderen Derivate des hydrirten Naphtalins urid des Benzols waren; die Prufung, denen alle drei unterzogen wurden, richtete sich auf diejenigen Reactionen, durch welche sich Naphtalin- und Benzolgruppe wesentlich unterscheiden.

Die Naphtalinabkommlinge zeigen - wie bekannt - eine Reihe von Eigenthunilichkeiten, welche man bei den Abkomm-

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sechsgliedriger Ringsysteme. 5

lingen des Benzols vermifst, andererseits entbehren sie wieder solche, welche fur die letzteren charakteristisch sind.

Diese Eigenthurnlichkeiten bufsen nun die Naphtalinkorper ,in Folge der Hydrirung ein; dafur eignen sie sich dabei specifisohe Benzolreactionen an.

Als besonders geeignetes Beweismaterial mufsten die Paradiamine erscheinen. Die einkernigen wie Phenylendiamin zeigen eine Reihe charakteristischer Umwandlungen : in Inda- mine, in Saffranine und in Thionine.

Das Paradiamin des Naphtalins ist dagegen zu diesen Farbstoffbildungen nicht - oder doch nicht in gleicher Weise - befahigt.

Diese Fahigkeit erwirbt es aber, wenn man vier Wasser- stoffatome in seinen stickstofffreien Kern einfuhrt.

Tetrahydronaphtindamin.

Versetzt man die wasserige Losung des (nichthydrirten) 1,4 Naphtylendiaminsulfats mit essigsaurem Natrium und salz- saurem Anilin, so farbt sich dieselbe auf Zusatz von Kalium- dichromat rothbraun *) und es scheiden sich schmutzig braune Flocken ab, welche weder bei langerem Stehen noch beim Kochen irgend welche Zustandsanderung erkennen lassen.

Verfahrt man in gleicher Weise mit dem aromatisch hydrirten **) Diamin,

*) Xm xller ersten Moment grun - aher so voriihergahend, dafs diese Bwisohenfarbe leicht ubersehen wird. Ioh bemerke aus- drucklich, dab ohne Zusatz von Natriumaoetat auch mit Naph- tylendiamin eine (kurze Zeit bestiindige) Indaminfarbung auftritt. Doch unterscheidet sich dieselbe in Bezug auf Entstehungsweise und Verhalten wesentlich von der der beiden anderen Diamine.

**) Ber. d. deutsoh. chem. Ges. 29, 1382.

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6 B o m b e r g e r , Beitriige zur Theorie

so treten die Farbenerscheinungen der Indamin- und Saffra- ninbildung in ebenso glanzender Weise auf wie beim p-Phe- n ylendiamin.

Zur Darstellung des hydrirten Naphtindarnins fiigt man zu einer wasserigen Losung, welche 0,76 g aromatisches Tetrahydro-p-naphtylendiaminchlorhydrat und 0,43 g salzsaures Anilin enthalt, eine concentrirte Losung von 0,33 g Kalium- dichromat. Das hydrirte Indamin scheidet sich sofort in blau- lich griinen, voluminosen Flocken ab, welche den Gefafsitrhalt in einen steifen Brei verwandeln. Nach dem Absaugen, Aus- waschen und Trocknen stellt es eine tief blaugriine Masse mit metallischem, rothem Oberflachenschimmer dar. Es lost sich leicht in Wasser mit prachtvoll griiner Farbe auf und wird durch Kochsalz vollstandig in flimmernden, kupferfarbig bronzeglanzenden griinen Krystallchen ausgeschieden.

Der Farbstoff zeigt alle typischen Reactionen der Inda- mine; durch Mineralsauren und ebenso durch Alkalien wird er sofort zersetzt; kocht man die angesauerte Losung, so tritt die schone Farbe des Saffranins auf und mit den Wasser- dampfen verfluchtigt sich das an seinem stechenden Geruch leicht erkennbare, vierfach hydrirte a-Naphtochinon , iiber welches ich dcmnachst in Gemeinschaft niit Herrn Dr. L e n g- f e 1 d weitere Mittheilungen machen werde.

Der Uebergang zum Saffranin vollzieht sich auch bei diesem hydrirten Indamin ausnehmend leicht j man braucht die mit salzsaurem Anilin versetzte wasserige Losung nur kurze Zeit stehen zu lassen oder einige Minuten aufzukochen, urn die charakteristische Farbwandlung zu erkennen.

Nicht weniger schon lafst sich die Wirkung der Wasser- stoffaddition beobachten , wenn man die Paradiamine den Reactionsbedingungen aussetzt , welche in die Gruppe des Yethylenblaus fiihren.

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sechsgliedriger Ringsysteme. ?

Tetrahydronaphtothionin.

Fugt man zu einer angesauerten Losung von gewiihnlichem p-Naphtylendiarnin Schwefelwasserstoff und darauf Eisenchlorid, so scheiden sich schmutzig dunkelbraune Flocken ab, und die Flussigkeit nimmt einen gelbbraunen Ton an.

Behandelt man die Losung des aromatisch hydrirten Ab- kommlings in entsprechender Weise, so farbt sie sich pracht- voll violett, so dafs man gewohnliches p-Phenylendiamin darin vermuthen konnte. Bei nicht zu grofser Verdunnung scheidet sich das hydrirte Thionin in voluminosen , krystallinischen Flocken ab. Es wurde in Wasser, von den1 es - besonders in der Hitze - sehr leicht aufgenommen wird, gelost und durch Kochsalzlosung wieder gefallt. Nach dern Trocknen bildet es ein dunkelviolettes, glanzendes, aus feinen Nadelchen zusammengesetztes Krystallpulver von schonem, metallischem Reflex, welcher besonders beini Druck niit dem Spate1 her- vortritt. Die Farbe der Losung ist derjenigen des L a u t h- schen Violetts aufserordentlich ahnlich; durch Chlornatrium wird der Farbstoff so vollstandig gefallt, dafs die filtrirte Fliissigkeit nur mehr schwach weinroth gefiirbt ist. - Auf Zusatz von Natronlauge scheidet sich die Base in dunkeigrunen, fast schwarzen, voluminosen Flocken ab.

Der Farbstoff wird von Wolle und Seide sehr leicht mit dunkelvioletter Farbe aufgenommen - so vollstandig, dafs die von der Faser ablaufende Flussigkeit farblos ist.

Da die Dichlordiimide des Naphtylen- und Phenylendiamins mit aromatischen Basen ganz verschiedene Farbungen geben, so habe ich - urn auch hier die Benzolnatur der hydrirten Substanz nachzuweisen - das Dichlordiimid des Hydronaph- tylendiamins dargestellt, urn es mit den beiden anderen ver- gleichen zu konnen.

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8 B a m 6 e r g e T , Beitrage zur Theorke

Aromatisches Tetrahydro-p-naphtylndichlwdiimid, qy>* HP\A Ha NC1

Versetzt man eine, freie Salzsaure enthaltende, wasserige Losung von hydrirtem 1,4 Naphtylendiamin mit Chlorkalklosung, so erzeugt jeder Tropfen der letzteren eine gelbliche milchige Ausscheidung. Sobald dieselbe nicht mehr auftritt - wovon man sich an einer abfiltrirten Probe iiberzeugt - nirnmt man das Reactionsproduct mit Aether auf. Derselbe hinterlafst dasselbe meist in Form seideglanzender, langer, gelblich weifser Nadeln; sollte es in oliger Form hinterbleiben, so ist es un- schwer durch Auflosen in Alkohol und Zusatz von Wasser bis zu beginnender Trubung in krystallisirten Zustand iiber- zufiihren. Es last sich leicht in den ublichen Solventien, sehr schwer in Wasser. Der Schmelzpunkt liegt bei 68O.

0,1069 g gaben 11,7 cbcm Stickstoff bei 725 mm t = 10,5". Berechnet fur Gefunden ~loHlo(Nc1)a

N 12,26 12,47.

Die Farbreactionen dieses Korpers sind nun denen des p-Phenylendiamindichlordiimids sehr vie1 ahnlicher als denen des Naphtylendiaminderivats. Letzteres farbt sich, mit alko- holischem Anilin und Salzsaure erwarmt , bordeauxroth ; p-Phenylendiamindichlordiimid griin, Hydronaphtylendiarnindi- chlordiiinid violett ; ersetzt man das Anilin durch Dirnethyl- anilin, so wird das Derivat des Naphtalins gelbbraun , das des Benzols blaugrun , das des Hydronaphtalins smaragdgrun gefarht.

Wie Eigenthumlichkeiten der Benzolderivate bei Naphta- linabkornmlingen hervortreten, sobald dieselben hydrirt werden, so lafst sich auch nachweisen, dafs aus gleicher Ursache specifische Naphtalinreactionen verloren gehen.

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sechsg Ziedriger Ringsysteme. 9

Man weifs aus den Versuchen von L i e b e r m a n n und H a g e n *), dafs die Naphtole durch Erhitzen mit Salzsaure und Alkohol auf 150° alkylirt werden, unter Umstanden also, unter welchen Phenol und fast alle Derivate desselben unver- andert bleiben.

Diese Reactionsfahigkeit biifsen die beiden Naphtole ein, wenn sie vier Wasserstoffatome im unsuhstituirten Kern auf- nehmen : aromatisches Hydro-a-naphtol verhalt sich gegen alkylirende Agentien nicht anders wie Phenol. Ebenso aro- matisches Hydro-P-naphtol **).

Auf einen ferneren Unterschied zwischen der Naphtalin- und Benzolreihe hat Z i n c k t? ***) aufmerksam gemacht :

namlich auf das verschiedene Verhalten der Chinone gegen Phenylhydrazin. Wahrend a- und P-Naphtochinon den zwei- werthigen Rest (C6H5N,H) unter Austritt der Elemente des Wassers aufnehmen, wirken die einkernigen Chinone (Benzo- Tolu-Xylo-Thymochinon) einfach oxydirend, indem sie in Form yon Hydrochinonen wiedergewonnen werden.

Um auch auf diesem Gebiet die Wirkung der Hydrirung priifen zu konnen, wurde das arornatische a-Tetrahydronaphto- chinon dargestellt , ein Korper , welcher dem Benzochinon in Krystallhabitus, Fliichtigkeit, Farbe, Geruch u. s. w. so tau- schend ahnlich ist, dafs er kaum davon unterschieden werden kann. Dieses hydrirte Naphtochinon verhalt sich nun dem Phenylhydrazin gegenuber nicht mehr wie Naphtochinon, son-

*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 16, 1427. Von Phenolderivaten macht nur Phloroglucin eine Ausnahme (8. W i l l und h l b r e c h t , Ber. d. deutsch. chem. Gcs. l v , 2107); bei diesem mag die Miiglichkeit desmotroper Umlagerung dabei eine Rolle spielen.

**) Aromatisches Tetrahydro-@-naphtol habe ich in letzter Zeit auf verschiedenen Wegen mit Herrn K i t s c h e l t dargestellt ; specielle Mittheilung dariiber w i d bald nachfolgen.

*a*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 19, 786.

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10 B a rn b e r 9 e r , Beitrtige CUT Theorie

dern wie Benzochinon : es wird einfach zu vierfach hydrirtem a-Naphtohydrochinon reducirt.

Auch dieser Korper, welcher vortheilhafter mittelst schwef- liger Saure aus dern Tetrahydrochinon bereitet wird, ist seinem Analogon in der Benzolgruppe, dem Hydrochinon aufserordent- lich ahnlich.

Eine weitere, sehr charakteristische Eigenthiimlichkeit der Naphtalinreihe ist von G r a e b e *) in dem Verhalten des a- und P-Naphtols gegen Schwefelsaure gefunden worden ; die- selbe erzeugt in der Hitze und bei mafsiger Verdiinnung die - alkaliunloslichen - Naphtylather, wahrend Phenol unler gleichen Bedingungen nicht in Phenylather verwandelt wird.

Auch in dieser Beziehung geht die Reactionsfahigkeit durch den Hydrirungsprocefs verloren : aromatisches Tetra- hydro-a-naphtol **) verhalt sich gegen heifse Schwefelsaure nicht anders wie Phenol.

Das Verhalten des hydrirten und nicht hydrirten a-Naphtols gegen kalte, concentrirte Schwefelsaure wurde ebenfalls einer vergleichenden Untersuchung unterzogen. Weifs man doch durch Ni e t z ki's">*3+) interessante Versuche, dafs die Naplitole beim Verreiben mit dieser Saure - nach Art der Alkohole - in Aetherschwefelsauren verwandelt werden, eine Umwandlung, zu welcher einkernige Phenole nicht befahigt sind.

Wieder zeigte sich, dafs diese specifische Naphtalinreaction durch die Aufnahme additionellen Wasserstoffs aufgehoben wird : aromatisches a-Hydronaphtol giebt keine Hydronaphtyl- schwefelsaure. Ebenso wenig sromatisches P-Hydronaphtol.

Urn keine derjenigen Reactionen unversucht zu Iassen, durch welchc sich Naphtalin- und Benzolkorper unterscheiden,

*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 13, 1849. **) Der P-KSrper ist daraufhin noch nicht untersucht.

***) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 16, 305.

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sechsg Ziedriger Rinqsysteme. 11

wurde schliefslich auch das Verhalten der Basen gegen sal- petrige Saure studirt, obwohl sich hier die Unterschiede ein- und mehrkerniger Substanzen bereits etwas verwischen. Im- merhin kann man sagen, dafs die Basen der Naptitalinreihe leichter in Amidoazofarbstoffe umgewandelt werden als die- jenigen der Benzolreihe.

Die Einwirkung von salpetrigsaurem Natrium auf ein Gemenge der Basen und ihrer Chlorhydrate ist in diesem Ball nicht zweckmafsig, denn es fiihrt auch bisweilen bei einkernigen Gebilden direct zur Bildung von Arnidoazofarb- stoffen. Geeigneter erschien - auf Grund vergleichender Versuche - die Behandlung mit atherischem Aethylnitrit. Einkernige Basen werden davon nicht - auch nicht spuren- weise - in Farbstoffe verwandelt ; die beiden Naphtylamine dagegen wohl - wenn auch nur zum Theil.

Aromatisches a-Tetrahydronaphtylamin verhielt sich nun dem Aethylnitrit gegeniiber nicht wie Naphtylaniin , sondern wie Anilin urid wie das seiner Constitution nach (s. unten) ihm am meisten verwandte vicinale Xylidin

von welchem Herr Professor N o e l t i n g eine Probe giitigst zur Verfiigung stellte : es blieb auch nach mehrtagiger Ein- wirkung unangegriffcn zuriick. Von Farbstoffbildung keine Spur.

Wie das vicinlrle Xylidin dem a-Hydronaphtylamin, so steht das vicinale Xylenol, von welchem ich ebenfalls der Liebenswiirdigkeit des Herrn Professor N o e 1 t i n g eine Probe verdanke, dem aromatischen Tetrahydronaphtol am nachsten j warum, werden wir spater (S. 17 u. 18) sehen :

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12 B a m b e r g e r , Beitrags zur Theorie

Da nun das Hydro-a-Naphtol sich in seinen Reactionen gegen Eisenchlorid und gegen Chlorkalk ganz verschieden vom a-Naphtol verhalt, so verglich ich es in dieser Hinsicht mit dem vicinalen Xylenol und fand, dafs dieses in der That genau dasselbe Verhalten zeigt wie Hydronaphtol : beide geben mit Chlorkalk keint! Farbung, sondern nur eine leichte, weifssliche FIockenabscheidung und tnit Eisenchlorid eine schwach gelbliche, inilchige Triibung, welche erst nach einigem Stehen auftritt.

Fur die Wirkung der alicyclischen Hydrirung gilt das Gleiche, was fur diejenige der aromatischen festgestellt wurde : auch hier bleiben die aromatischen Functionen des nicht hy- drirten Systems nicht nur bestehen, sondern werden sogar noch erhoht: Der Nachweis ist in diesem Falle allerdings schwieriger ; denn der Definition gemiifs hleibt bei alicyclischer Hydrirung der nichtsubstituirte Theil des Molekiils unhydrirt ; da dieser aber nur aus Kohlenwasserstoffradicalen, also aus einem chemisch indifferenten Material besteht, so durften der- artig feine Functionsanderungen wie die bei dern Procefs :

H H H HP H/\/\H.NH*

Lp-) H( I /Hs H/\/\NH, HIE:::, I jH

\A/ \A/ H H a

in Frage komrnenden kaum erkennbar sein. Glucklicher Weise ist aber auch eine binuclear substituirte

Base friiher Gegenstand alicyclischer Hydrirung gewesen : das 1,5 Naphtylendiamin *) :

H H

*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. ab, 943 und 951.

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sechsgliedrz'ger Ringsysteme. 13

welches bei der Wasserstoffaufnahme eine experimentell nach- weisbare Functionsanderung auch im nichthydrirten System erleiden mufste. In der That zeigte das Verhalten der Base vor und nach der Addition sehr wesentliche Unterschiede; vorher wird sie bei mehrtagiger Einwirkung von Aethylnitrit (theilweise) in einen Amidoazofarbstoff verwandelt - nach Art der iibrigen Naphtalinbasen ; nachher entsteht keine Spur eines solchen.

Ich glaube den Nachweis geliefert zu haben, dafs die Naphtalinderivate stets bei Aufnahrne vier asymmetrisch sich anordnender Wasserstoffatome - gleichviel in welchen Kern dieselben eintreten - ihre specifischen Naphtalincharaktere einbufsen und dafiir die Functionen einkerniger (Benzol-) Systeme annehmen *).

Ich stelle daher den allgemeinen Sat2 auf : Im Naphtalin und denjenigen seiner Derivate, in welchen

jedes der acht Kohlensto$atome mit nur einwerthiyen Radicalen verbunden ist, existiran zwei KohlenstofAysteme, von welchen das eine kein Benzolring ist, zu einem solchen aber dadurch wird, dal" das andere System vier Atome Wasserstof auf- nimmt. - (Satz I;)

Die Einschrankung, dafs die Kernsubstituenten einwerthig sind, wird spater begrundet werden. Die E r 1 e n m e y e r- G r a e b e 'sche Naphtalinformel

bringt den Inhalt dieses Satzes nicht zum Ausdruck.

*) Fernere experimentelle Beweise werden unten mitgetheilt werden.

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14 B am 6 e r g e T , BeiWge zur Theorie

Ebensowenig diejenige von B e r t h e 1 o t und B a 11 o *) :

wohl aber die Forrneln von W r e d e n **) und von C 1 a u s ***). Bei Zugrundelegung der letzteren

W r e d e n Claus.

bestande der Vorgang der Hydrirung in dem Eintritt der Wasserstoffatome in den linksgeschriebenen Ring, welcher drei ,,Parabindungen" zeigt :

Die in Folge der Addition disponiblen Valenzen - sie sind in der Figur durch Pfeile bezeichnet - befriedigen ihr Sattigungsbestreben, indem sie zwei Valenzen des hei der Hydrirung unberiihrt gebliebenen Ringes in der durch die letate Figur ausgedruckten Weise anziehen.

Der Vorgang ist also in gleicher Weise zu interpretiren, wie dies von C 1 a u s fiir die Aboxydation des einen Ringes bei der Phtalsaurebildung geschehen ist. In heiden Fallen entsteht der Benzolring erst in Folge der Veranderung, welche das benachharte System erleidet.

*) R e v e r d i n et N o e l t i n g : sur la Constitution de la Naphtdine et ses DQrivBs, Mulhouse 1888, p. 14.

0%) Ber. d. deutsch. chem. Ges. @, 590. **a) Daselbst 16, 1405.

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sechsgliedmger Ringsysteme. 15

Die gleichen Betrachtungen gelten von W r e d en’s Formel, welche sich durch die Art der Kohlenstoffbindung in dem linksgeschriebenen Ring von der C 1 a u s ’schen unterscheidet und die ich daher in der Folge nicht besonders beriicksichtige, weil alles, was sich auf jene bezieht, auch fur sie zutrifft.

Die Formel von C l a u s ware also insoweit geniigend; sie deckt sich aber nicht mit folgender Thatsache.

Es ist durch zahlreiche Versuche festgestellt , dafs bei Naphtalinabkommlingcn - unter den von mir eingehaltenen Bedingungen - dem Eintritt additioneller Wasserstoffatome mit der Zahl vier*) eine Grenze gesetzt ist.

Die Formel von C 1 a us erklart dieses Phanomen nicht. Wenn zunachst der - in der Figur linksgeschriebene - Benzolkern zum Trager von vier Addenden wird, wie es oben entwickelt wurde, warurn erleidet dann nicht bei geniigender Wasserstoffzufuhr der in Folge der Tetrahydrirung entstandene - in der letzten Figur rechts geschriebene - Benzolring dasselbe Schicksal, indem sich die durch Pfeile markirten Valenzen gegenseitig absattigen , die anderen aber durch Wasserstoff befriedigt werden T

Ferner - und dieser Einwand scheint mir noch bedeu- tungsvoller - ist nach der C1 a us’schen Formel der pra- existirende Benzolkern derjenige Theil des Molekiils, welcher die eintretenden Atome aufnimmt , wahrend der benachbarte Ring sich der Hydrirung verschliefst. Tbatsachlich verhalt es sich aber gerade umgekehrt, denn es ist wiederholt nachge- wiesen **), dafs einkernige Basen und Phenole - wie Anilin, Diphenylamin, Pseudocumidin, Phenol, Carvacrol U. S . w. - im Gegensatz zu mehrkernigen der Wasserstoffaddition aufserst schwer, unter den von mir gewhhlten Umstanden fast gar nicht zuganglich sind.

*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. BB, 946.

**) Daselbst Z 2 , 1310.

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16 B a m b e r9 e T , Beitrage zur Theorie

Um diese Thatsache in Uebereinstimmung rnit der Formel zu bringen, mufste man also den ,,Pseudobenzolkernu als den Ort der Hydrirung betrachten. Dann aber wiirde wieder de r oben geriihmte Vorzug verloren gehen, dafs sie den Satz I .der Benzolkern entsteht erst durch die Wasserstoffaufnahine" zum Ausdruck bringt.

Die Formel von C l a u s genugt daher nicht. Welche aber genugt? .

Zur Beantwortung dieser Frage ist Folgendes vorauszu- schicken :

Wir sahen, dafs der Act der Hydrirung dasjenige System, welches davon direct gar nicht beriihrt wird, in der Weise umwandelt, dafs dasselbe aus einem benzoluhnlichen zu einem benzolidentischen Gebilde wird.

Die Frage liegt nahe, ob deon das andere, durch Auf- nahme des Wasserstoffs activ betheiligte System nicht eben- falls und noch vie1 energischere Functionsanderungen erleidet.

Das ist allerdings der Fall. Die Resultate von Unter- suchungen, welche grofstentheils erst in allerletzter Zeit in dieser Richtung unternommen wurden , gipfeln in dem allge- meinen Satz :

Wenn von den zwei Kohlenstofsystemen des Naphtalins und seiner Derivate das eine vier Atome Wasserstof auf- nimmt, so iibernimmt es damit die Functionen einer ofenen (al+hatischen) Kette. - (Satz II.)

Vereinigt man diese Thatsache mit derjenigen des ersten Satzes, so ergiebt sich als dritter, allgemeinster :

Die Wirkung der vierf achen *) Bydrirung in der Naphta- Zingruppe besteht darin, daf" das Reactionsproduct sich wie ein Benzola6komm ling mit alaphatischen Seitenketten verhalt.

*) Natiirlich asymmetrischen ; von andererj ist iiberhaupt nicht die Rede.

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sechsgliedriger Ringsystema. 11

Der hydrirte YheiZ wird zum Trager der alzphatischen, der nichth,ydrirte zurn Trager der Benzolfunctionen. - (Satz 114.

Die Hydrirung des a-Naphtylainins kann auf folgende Weise graphisch dargestellt werden :

Ich werde in Zukunft in der hieraus ersichtlichen Weisc durch sich gegenseitig nahernde Pfeile *) die Existenz von Ringen mit aliphatischen Functionen andeuten.

Dafs ringformig geschlossene Systeme durch erschopfende Hydrirung, also - um in der ublichen Weise zu sprechen - durch Auflosung doppelter Bindungen den Charakter ketten- formig angeordneter Kohlenstoffmolekule annehmen, ist keine neue Beobachtung. A. v. B a e y e r 4k*) hat schon beim Studium der hydrirten Phtalsauren darauf hingewiesen. Auch kiirzlich L i e b e r m a n n , als er die interessanten Resultate seiner Ver- suche uber die Einwirkung von Jodwasserstoff auf hochrnole- culare Kohlenwasserstoffe mittheilte. Ich rnochte aber hier betonen, dafs diese Wirkung der Addition eine ganz allge- m i n e ist; sie gilt fur andere Radicale nicht weniger wie fiir Wasserstoff und trim alle ringfdrmigen Systeme in gleicher Weise, mogen dieselben den Charakter von Kohlenwasserstoffen, I _ ~

*) Wo die Pfeile markirt werden, ist fur uwere Betrachtung zuniichst unwesentlich; die Formel kannte gerade go gut

/ \ A H * \/LHS I I H*

sein ; es sprechen sogar gewisse Griinde fiir letztere. vielleicht spLter gelegentlich darauf zuriick.

Ioh komme

**) Ber. d. deutsch. chem. Ges. Zl, 2510; ZB, 135 und 779. Annalen der Chernie 267. Bd. 2

Page 18: Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

18

Sauren, Basen oder Phenolen besitzen. Ich hebe diese funda- mentale Bedeutung der Addition rnit besonderem Nachdruck hervor, weil sie - wie wir sehen werden - fur unsere Vorstellungen von der Valenzanordnung in mehrkernigen Systemen von allergrofster Wichtigkeit ist.

Die experimentellen Beweise, welche ich - als factische Unterlage des zweiten und dritteri Satzes - beigebracht habe, sind folgende :

Zunachst die Umwandlung, welche die Naphtalinkorper durch die alicyclische - im substituirten Kern verlaufende - Hydrirung erfahren. Man weirs , wie durchgreifend dieselbe ist. Das alicyclische 8-Hydronaphtylamin z. B. ist ein Amin der Fettreihe wie das alicyclische p-Hydronaphtol *) ein Alkohol ist :

B am 6 e r g e r , Beitrage xur Theorie

ac. p- Hy dronaphty lamin ;

F C . Bicht OH

C H

Benzol 1 ICH -k 4 H = 1 CH,

\N ac. ,9-Hydronaphtol.

Das Verhalten dieser Substanzen ist im Grofsen und Ganzen dasjenige, welches man von 8-amidirtem resp. @-hy- droxylirtem Diathylbenzol

CH, CH, erwarten sollte, welche - das ergiebt ein Blick auf die Formeln - die rationellsten Vergleichsobjecte jener alicycli- schen Substanzen darstellen.

*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. as, 197.

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sechsgliedriger Ringsysteme. 19

Um die Beziehungen der alicyclisch hydrirten Naphtalin- derivate zu diesen Benzolabkoinmlingen zu priifen , stellte ich - aus Benzylcyanid mittelst Natrium und Aethylalkohol - das schon lange hekannte 9‘) Phenylathylamin CGH5-CH2.CHe.NHS dar, in der Erwartung , die charakteristischen Eigenschaften des alicyclischen P-Tetrahydrorraphtylarnins in dieser Base wiederzufinden. In der That zeigten sich beide KBrper SO

ahnlich, dafs man die fruher yon inir gegebene Charakteristik des alicyclischen Hydro-P-naphtylarnins fast Wort fur Wort auf das Plienylathylamin anwenden darf. Beide riechen so gleichartig , dafs man sie kaum unterscheiden kann. Beide geben - und darauf legc ich besonderen Werth - gut krystallisirende , salpetrigsaure Salze , welche ohne Gefahr irgend welcher Zersetzung aus kochendem Wasser umkry- stallisirt werden kBnnen ‘tt”). Beide endlich erzeugen unter Verlust der Eleniente des Ammoniaks ungesattigte Kohlen- wasserstoffe : das Phenylathylamin Styrol das alicyclische Tetrahydro-P-naphtylamin Dihydronaphtalin j-). CBH6-CH,-CHa-(NH,) = NH, + C,H,-CH=CII, (Styrol).

CHS-CH, CIZ-CH, / / I

C&,-CH&I-(NH,) = NH, + CloH,-CH=CH (Dihydronaphtalin).

*) B e r n t h s e n , diese Annalen l e a , 304. - S p i c a , Jahresber.

**I ***)

f. Chem. u. s. w. f. 1879, 440. - F i l e t i , P i c c i n i , Ber. d. deutsch. chem. Ges. 12, 1700, 1308, 297. - E r l e n m e y e r , L ipp , diese Annalen Sit), 202. - S c h u l z e , B a r b i e r i , Ber. d. deutsch. chem. Ges. 14, 1788; 16, 1713. - H o f m n n n , Ber. d. deutsch. chem. Ges. 18, 2740. - L a d e n b u r g , Ber. d. deutsch. chem. Ges. la, 783.

Daruber demngchst Naheres mit Herrn K it’s c he1 t. F i l e t i , P i c c i n i , Ber. d. deutsch. chem. Ges. 12, 1700. Die Bestiindigkeit der Nitrite scheint mit der Zahl von Methylen- gruppen zu wachsen, welche das aromatische Alkyl und die Amidogruppe trennen. Anilin-Benzylamin-PhenylLthylamin bilden in Bezug auf die BestPndigkeit ihrer salpetrigsauren Salze eine aufsteigende Reihe.

-f) Ber. d. deut,sch. chem. Ges. 21, 1114 bis 1118.

2 4

Page 20: Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

20 Barnberger, Beitrage xur Theorie

Weniger auffallig ist begreiflicher Weise die Functions- anderung des wasserstoffaufnehnienden Systems, wenn das- selhe keine Suhstituenten enthalt - ein Fall, welcher bei der aromatischen Hydrirung vorliegt. Bei dem indifferenten Cha- rakter von Kohlenwasserstoffgruppen durfte man hier auf keine bemerkbare Wirkung rechnen. Denn was sollten fur experimentell nachweisbare Umwandlungen in dem rechts ge- schriebenen System bei dem Yroceb :

vor sich gehen? Um dieselhen auch bei Korpern zu erkennen, in welchen

der nichtsuhstituirte Theil des Molekuls hydrirt wird, bedarf es daher eines Materials, in dem dieser Theil einen deutlich ausgesprochenen chemischen Charakter besitzt.

Als solches wahlte ich das Chinolin nnd seine mehrkernigen Abkomnilinge, die Naphtochinoline und Naphtochinaldine. Diese Suhstanzen hilden ein vorzugliches Ohject, um daran die Wahrheit des zweiten und dritten Satzes - nicht weniger aher des ersten - zu prufen ; ich bitte daher, die nachfolgenden Thatsachen auch als erganzende Beweisstucke fur den Satz I aufzunehmen.

Man nimmt mit Recht an, d a b die Atom- und Valenz- anordnung irn Chinolin derjenigen im Naphtalin genau ent- spricht. Das eine darf daher mit gleichem Recht zur Argu- mentation dienen wie das andere.

Die von mir benutzten Versuchsobjecte waren : Chinolin, a-Naptitochinolin, 6-Naphtochinolin, 6-Naphtochinaldin; Chino- lintetrahydrur und verschiedene im Benzolkern substituirte Derivate desselhen ; Chinolindekahydrur ; Isochinolintetrahydrur; die Py-Tetrahydrure sowie die aromatischen und alicyclischen Octohydrure der beiden Naphtochinoline und des 6-Naphtochi-

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sechsgliedriger Ringsysteme. 2f

naldins ; endlich das im Benzolkern vierfach hydrirte a-Naphto- chinolin - letzteres in Form seines Polyrnerisationsproductes.

Da diese Substarrzen zum weitaus grofsten Theil noch nicht dargestellt waren, so wurden sie nach behannten Me- thoden bereitet - die Octohydriire rnit Natriurn und siedendem Arnylalkohol, die Tetrahydrure mit Zinn und Salzsaure, das Chinolindekahydriir niit rauchender Jodwasserstoffsaure und Phosphor.

Tetrahydrochinolin. Die Functionsanderung, welche das Chinolin beiin Ueber-

gang in das Tetrahydriir erfahrt, besteht - kurz gesagt - darin, dafs es die Eigenschaften eines am Stickstoffatom alky- lirten Anilins annirnmt. Diese Thatsache ist in voller Ueber- einstirnrnung mit Satz 111 : der Pyridinkern wird - als Trager der additionellen Wasserstoffatome - zur Seitenkette, der benachbarte Kern zurn Benzolring,

CH

(yy “$cH* Bon.olI t CHs , ‘/v’ TvCH N NH

Chinolin Tetrahydrochinolin

so dafs als nachststehendes Vergleichsobject etwa Aethyl- methylanilin :

CH*

dern Chinolintetrahydriir an die Seite zu stellen ware. Vereinzelte Beobachtungen , welche als Beweis dieser

Functionsanderung zu betrachten sind, liegen bereits in der Litteratur vor. So haben schon K o n i g s und F e e r *) die Aehnlichkeit des Kairolins (N-Methylchinolintetrahydrurs) mit detn Dirriethylanilin hervorgehoben. Wie dieses bildet das

*) Uer. d. deutsch. chem. Ges. IS, 2389.

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22 B a M b e r g e r, Bei trage zur Theorie

Kairolin mit salpetriger Saure ein Nitrosoderivat , welches ahnlich dern Nitrosodimethylanilin in grunen Blattern krystalli- sirt. Auch Benzotrichlorid wirkt in gleichartiger Weise auf beide Basen ein, denn es erzeugt beim Erwarmen mit Kairolin eine Farbung, die ,,in Nuance und Bestandigkeit derjenigen des Malachitgruns sehr ahnlich ist." Das Chinolin zeigt alle diese Reactionen nicht.

Auch der von K o n i g s uird F e e r beobachtete Zerfall des Dirnethyltiydrochinoliniumhydroxyds heim Erhitzen - in methylirtes Tetrahydrochinolin (Kairolin) und Methylalkohol - verrath deutlicti die Anilinnatur der hydrirten Base.

Ueberliaupt spricht das Verhalten der quaternaren Ammo- niumhydroxyde, welche sich einerseits vom Chinolin, anderer- seits vom Tetrahydrur desselben ableiten, dafur , dafs das erstere beirn Uebcrgang in das letztere ein Alkylanilin wird. Die quaternaren Ammoniumhydroxyde des Chinolins (und ebenso des ahnlich *) gebaulen Acridins) hahen besondere Eigenthumlichkeiten, durch welche sie sich von drnen der aromatischen Basen unterscheiden : sie werden durch Alkalien, theilweise sogar durch Ammoniak aus ihren Salzen deplacirt und sind in Aether Ioslich; sie sind eben mit den voin Anilin ableitbaren nicht vergleichhar, weil sich im Anilin und Chinolin - wie wir urrten noch ausfuhrlicher erortern werden - die Stickstoffvalenzen in ganz verschiedenen Zusliinden befinden.

Wird aber das Chinolin (und ebenso das Acridin) hydrirt, so erlangeri die quaternaren Amtnoiiiumhydroxyde die norrnalen

**) Wir werden unten nachzuweisen versuchen, dafs in heiden Basen das Stickstoffatom eine Valena im centrischen Zustand enthalt, was bei den Anilinen nicht der Fall ist. Es scheint, dafs die- jenigen Ammoniumhydroxyde, in welchen das mit dern Alkyl und Hydroxyl verbundene Stickstoffatom eine centrische Valenz besitzt, abnorme Eigenschaften haben - ebenso auch die Ammo- niumhydroxyde secundk-tertiarer Systeme (S. 30) wie die der Dihydrochinoline, F i s c h e r and S t e c h e , diese Annalen 149, 366.

Page 23: Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

sechsgliedrigger Ringsysteme. 23

Eigenschaften : Loslichkeit in Aether urid Nichtahscheidbarkeit aus ihren Salzen durch Alkalien - eine Thatsache, welche sich als nothwendige Folge unserer Auffassung

A CH, OH

Dirnethylhydroehinoliniumh ydroxyd

ergie bt. Das in der Litteratur vorliegende Beweismaterial ist damit

aber nicht erschopft. Ich erwahne vor allem noch die wich- tigen Beobachtungen Z i e g 1 e r 's *) uher das Nitrosamiri des Tetrahydrochinolins. Dasselbe erfahrt uriter der Einwirkung alkoholischer Salzsaure eine Umlagerung in die isoniere Nitro- sobase ; diese Umlagerung folgt nun den yon 0 t t o Fi s c h e r und E d u a r d H e p p fur nitrosirte Alkylanilirie festgestellten Gesetzmafsigkeiten, indem die Nitrosogruppe ihren Platz mit dem Parawasserstothtom des Benzolkerris vertauscht :

CH, CH.2 (OR)/\/\&CEI.

fCH, . B+-p 1 Banzul 1 H / \ / \ CH, 1 tler,r;ol I +

\/\/ \/\/ f CH,

NH N(N0)

Endlich fuhre ich noch eine Beobachtung yon Ei n h o r n **) als Beweis fur die Anilinnatur des Tetrahydrochinolins an. Wahrend Chinolin sich nicht mit Benzaldehyd zu vereinigen vermag, liefert sein Tetrahydrur - unter ahnlichen Bedin- gungen und Keactionserscheinungen wie Dimethylanilin - eitien Leukofarbstoff, welcher als genaues Analogon des Leuko- malachitgruns zu betrachten ist. Auch hier erzeugen Oxy-

*) Ber. d. deutsch. chem. Ces. 21, 862. **) Daselbst li), 1243.

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24

dationsrnittel wie Chloranil, Braunstein u. s. w. einen grunen Farbstoff *).

Urn nun die im Vorgehenden vertretenen Ansichten durch weitere Versuche zu prufen, studirte ich das Verhalten des Tetrahydrochinolins gegen Diazokorper. 1st dasselbe wirklich ein Alkylanilin, so rnufste es sich wit diesen zu Farbstoffen vereinigen lassen und die Azogruppe rnufste in die Parastellung des Benzolkerns (bezogen auf das Stickstoffatorn) eintreten :

CHI CHS

B a m 6 e r g e r , Beitrage zur Theorie

R-N/\/'\+ C H ~

\/\/' tCH9 *

1 Raneol 1 /\/'\ CH, 1 Reneol 1 + w \/\/

t CHS

NH m Der Versuch zeigte, dafs sich Tetrahydrochinolin in der

That diesen Voraussetzungen gemafs verhalt.

S d f o p h e n y Zazotetra hydrochinolin,

Ein Molekiil salzsaures Tetrahydrochiriolin wurde in wasse- riger Losung init einern Molekiil fein verriebener Diazobenzol- sulfosaure versetzt. Die Farbstoffbildung erfolgt mornentan. Nach rnehrstundigeni Stehen ist das Gefafs mit dunkelbordeaux- rothen, in's Violette spielenden voluminosen Flocken der Farbsaure erfiillt. Zur Reinigung lost man diesefbe in der gerade ausreichenden Menge Natronlauge und falit das Salz durch gesattigte Kochsalzlosung aus. Man findet es nach kurzerri Stehen als feurig rothen, krystallinisch glanzenden, schweren Niederschlag am Boden des Gefafses abgesetzt ;

*) Der Ort , welchen das aliphatische Kohlenstoffatom im Molekiil des Hydrochinolins bei dieser Reaction aufsucht, ist von E i n- h o r n nicht ermittelt; ich zweifle nicht, dak man die Parastellung des Benzolkerns finden wird.

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sechsgliedriger Rin,gsysteme. 25

nach dem Trocknen zeigt es griinen, metallischen Reflex. Es lost sich in Wasser leicht mit tief dunkelrother Farbe.

Die freie Farbsaure scheidet sich auf Zusatz von Mineral- sauren in voluminosen Flocken ab, welche sich leicht in heifsem Wasser liisen und beim Erkalten in dunkel stahlblauen, nietallisch gllnzenden Nadeln - ganz ahnlich dem salzsauren Arnidoazobenzol - krystallisiren. Wasser nimmt sie mit himbeerrother Farbe auf.

0,1257 g lieferten 15,5 cbcm Stickstoff bei 709 mm t = llo.

Berechnet fur Gefunden C16H*,N8SO*

Na 13,25 13,54.

Ebenso leicht vereinigt sich Tetrahydrochinolin mit Di- azobenzolchlorid zu der entsprechenden Farbbase. Auch Kairolin combinirt sich iiufserst leicht zu Farbstoffen.

p-Amidochinolintetrahydrur, CH.

Die Farbsaure wird durch Zinnsalz in salzsaurer Losung sehr leicht zersetzt. Sobald die dunkelrothe Farbe verschwunden war, setzte man Natronlauge hinzu und entzog der wasserigen Losung die Spaltbase durch Aether. Nach dem Abdestilliren hinterblieb sie als bald erstarrendes Oel. Durch Aufstreichen auf Thon und Umkrystallisiren aus Benzol gelang es unschwer, ihr die Form glasglanzender, stark lichtbrechender , farbloser Prismen zu geben. Dieseiben schmolzen bei 97O, gaben in schwach essigsaurer Losung niit Eisenchlorid eine rothviolette Firbung, welche auf Zusatz von Salzsaure in Smaragdgrun iiberging - zeigten also die Eigenschaften des von Z i e g l e r auf mehrfache Weise erhaltenen p-Amidochinolintetrahydrurs, so dafs eine Analyse der Substariz iiberflussig war.

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26 B a m, b e ‘9 e r , Beitrage zur Theorie

Tetrahydroisochino Zin.

Wie das Tetrahydriir des Chinolins war auch dasjenige des lsochinolins

/\/\

\/\/ I I i N

als Prufstein der oben ausgesprochenen Sitze zu verwerthen. Im Sinne unserer Auffassung

CH* /’ \ /\\CH,

w I Benro1,l INH /\??CH Nicht I

/Benzol 1 /N \/\/

CH, \/\/

CH mufste dasselbe die Functionen eities (homologen) Benzylamins (am Stickstoffatom alkylirten)

. / \ 7 C H a 1 1 /NH \/\/

CH, zeigen, d. h. die g r o t e Aehnlichkeit der isomeren Chinoline durfte in ihren Tetrahydriiren nicht mehr zum Vorschein kommen.

Dank der Liebenswurdigkeit des Herrn Dr. v a n D o r p in Amsterdam, welcher mir eine Probe salzsauren Tetrahydro- isochinolins gutigst iiberliefs, war ich in der Lage festzustellen, dafs diese Base sich in der That so verhalt, wie es unsere Ansichten erwarten liefsen.

Wie die Benzylamine ist sie von starkerer Affinitatsgrofse als Chinolintetrahydriir : sie zieht Kohlensaure aus der Luft an*) und ertheilt dem Wasser alkalische Reaction. Und wie die Benzylamine ist sie nicht befahigt, Diazoreste zur Bildung von Azofarbstoffen aufzunehmen. Ich liefs das Chlorhydrat mit Diazobenzolsulfosaure in wasseriger Losung stehen ; unter diesen Umstanden, unter welchen das Tetrahydrur des ge-

”) H o o g e w e r f f und van D o r p , Recueil des trav. chim. 6, 310.

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sechsgliedriger Bingsysteme. 27

wohnlichen Chinolins sich rnomentan tief roth farbt, war nach Verlauf rnehrerer Tage nicht die geringste Spur einer Farb- stoffbildung zu bemerken und selbst auf Zusatz von Natron- lauge blieb die Fliissigkeit vollkomnien farblos.

Ueberhaupt war die Bildung von Farbstofkn unter keinen Umstanden zu beobachten.

Voraussichtlich bilden sich unter den genannten Bedin- gungen Diazoamidoverbindungen des Isotetrahydrochinolins, was ich bei den winzigen Materialinengen, die mir zu Gebote standen, nicht mit Sicherheit entscheiden konnte +*).

Diese tiefgreifenden Unterschiede zwischen den Tetra- hydriiren des Chinolins und Isochinolins werden sich bequem verwerthen lassen , um im gegebenen Fall zu entscheiden, welche der beirlen Basen vorliegt. Man ha t nur nothig, rnit Zinn und Salzsaure zu erwarmen und die Wirkung des ent- stehenden Chlorhydrats auf Diazokorper zu priifen. Tritt Farbbildung ein, so liegt Chinolin vor. So durfte sich vielleicht auf Grund dieser Priifung herausstellen, dafs die aus Berberin erhaltene und als Chinolin angesprochene Base Isochinolin ist.

Die Richtigkeit unserer Ansictiten war aber nicht nur an den Tetrahydrochinolinen selbst, sondern auch an ihren Sub- stitutionsderivaten nachzuweisen : dieselben mufsten sich - im Gegensatz zu den nichthydrirten Muttersubstanzen - als echte, substituirte hlkylaniline ausweisen.

Vom Tetrahydro-p-amidochinolin beispielsweise

waren die Reactionen eines alkylirten p-Phenylendiamins zu erwarten ; ebenso vorn Tetrahydro-ana-oxychinolin

*) Nachtriiglich mit mehr Material angestellte Versuche hahen in der That die Bildung von Diasoamidoverhindungen crgeben.

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28 B a m 6 e r g e r , Beitrage zur Theorie

OH CH,

und vom Tetrahydro-m-oxychirlolin CHe

die Reactionen alkylirter m-Arnidophenole.

Substituirte Tetrahydrochinoline.

Diese substituirten Hydrochinoline haben sammtlich - soweit sie mir uberhaupt zuganglich waren - die experi- mentelle Prufung glanzend bestanden. Ich glaube daher be- haupten zu diirfen, d a b alle Tetrahydrochinokine, echte am Stickstoffatom alkylirte Aniline sind, deren Alkyl die - irn Allgemeinen unwesentliche - Eigenschaft ringformiger Atotn- anordnung besitzt.

Das bereits oben erwahnte p-Amidochinolintetrahydrur verrieth sich durch seine brillanten Farbreactionen in der That als echtes Phenylendianiin : es gab mit salzsaurem Anilin zusammen oxydirt die Indamin- und Saffraninreaction ; mit m-Phenylendiamin und Kaliumdichromat die Farbungen des ,Tolylenblaus" und ,TolylenrothsG ; mit Phenolen und Kalium- dichromat die Reaction der Indoaniline und endlich mit Schwe- felwasserstoff und Eisenchlorid ,Methylenblau".

Beim (unhydrirten) p-Amidochinolin ist von alle dem nichts zu bemerken. Es ist eben noch kein Benzolabkommling.

Ebetiso gut bestanden die beiden Oxychinoline die Prufung. Schmilzt man Anaoxychinolin, von welchem ich der Gute

der Herren 0. F i s c h e r und R i e m e r s c h m i d t eine Probe verdanke, rnit Phtalslureanhydrid und etwas Chlorzink zu- sammen, SO bildet sich keine Spur eines Farbstoffs.

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sechsgliedriger Ringspsteme. 29

Wiederholt man dagegen den Versuch mit dern Tetra- hydrur , so kornmt die Eigenschaft der m-Arnidophenole - die Fahigkeit zur Rhodaminbildung - sofort auf brillante Weise zur Erscheinung : die Schmelze farbt sich tief roth und beim Auslaugen niit kochendern , etwas angesauertem Wasser geht der Farbstoff mit aufserst intensiver, rosarother Farbe und herrlicher gelbgruner Fluorescenz in Losung, welche der des Fluoresceins an Intensitat kaum nachstehen durfte. Die Farbbildung erfolgt so leicht, dafs der Zusatz von Chlor- zink ganz uberflussig ist.

Das ,Tetrahydrochinolinrhodamin" , dessen Chlorhydrat durch Kochsalz aus der wasserigen Losung in krystallisirter Form abscheidbar ist, ist dem gewohnlichen Rhodamin sehr ahnlich. Nur ist es bedeirtend weniger blaustichig. Seide und Wolle farbt es aufserst leicht.

Seine Forrnel ware, wenn man sie derjenigen der Benzol- rhodamhe nachbildet, folgende :

CBH4-C0

Genau wie Ana- verhalt sich Metaoxychinolin, von welchern rnir Herr Prof. S k r a u p giitigst etwas ubersandte. Dasselbe gab in der Phtalsaure-Schmelze keine Spur eines Farbstoffs. Ich kochte darauf - zum Zweck der Darstellung des Tetrahydrurs - einige Krystlllctien rnit starker Salzsaure und Zinn 5 bis 10 Minuten im Reagensglas, entfernte nach dern Verdunnen niit Wasser das Zinn mit Schwefelwasserstoff, fallte das entstandene Tetratiydrur mit Soda aus, sammelte es in Aether und prufte die nach dem Abdestilliren desselben hinterbleibenden Krystalle auf ihre Fahigkeit zur Rhodamin-

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30 B a m b e r g e T , Beitrage zur Theorie

bildung. In der That wurde das Gemenge der Base und des Phtalsaureanhydrids auf Zusatz yon Chlorzink schon bei mafsigem Erwarmen tief carmoisinroth und durch Auslaugen erhielt man wieder eine herrlich gelbgrun fluorescirende, rosarothe Rhodarninlosung, die derjenigen des gewohnlichen Rhodamins noch ahnlicher ist wie die oben genannte aus Anaoxychinolintetrahydriir, weil sie blaustichiger ist.

Auch dieser Farhstoff geht in saurern Bade leicht auf Wolle und Seide.

Derselbe bildet sich auch bei Abwesenheit von Chlorzink, doch - wie es scheint - weniger leicht.

Schliefslich ware noch der Nachweis zu fiihren, dafs auch Orthochinolintetrahydriire Benzolderivate d. h. Orthoarnido- phenole sind. Dieser Nachweis war aber nicht erst von niir zu fuhren, denn e r liegt bereits in dcr Litteratur vor.

G r i e f s i e ) hat vor langerer Zeit beobachtet, dafs bei der Behandlung der Jodalkylate von Diniethylorthoamidophenol mit Alkalien das Alkyl vom Stickstoff- zum Sauerstoffatorn wandert.

/'\ /\ / \

\ /\NCH, I I

OCH, Genau ebenso verhalt sich nun nach Beobachtungen von

0. F i s c h e r **) und K o h n das Jodmethylat dcs Ortho-Oxy- h ydrometh ylchinolins

(Orthooxykairolins) :

*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 18, 248.

**) Daselbst 19, 1040.

Page 31: Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

sechsgliedriger Ringsysteme. 31

F i s c h e r hat das Anhydrid des quaternaren Arrimonium- oxydhydrats nicht isolirt - was aber fur die gegebene Betrach- tung ganz gleichgiiltig ist. Er fiigt an seine Beobachtung die Be- nierkung : ,,wahrend eine solche Wanderung des Methyls von Ammonium-quateniarem Stickstoff zum Phenolhydroxyl bei den Versucben von G r i e f s nur in demselben Benzolkern statthat, zeigen unsere Versuche, dafs die Alkylgruppen auch an das in einem anderen Ringe befindlicheHydroxyl zu wandern vennogen.'

Nach unseren Ansichten fallt aber im Grunde genomrnen auch dieser Unterschied fort ; denn der ,Ring", welchem das Stickstoffatoin angehort, hat nur die Form, nicht die wesent- liche Eigenschaft eines (Pyridin)-Rings. Er ist in Wirklichkeit eine ringformige Seitenkette.

Wird ein aromatisches Ringsystem durch erschopfende Hydrirung stets zu einern ringformig aliphatischen, so mufsten die alkylanilinartigen Eigenschaften des Tetrahydr ochinolins bei Aufnahme weiterer vier Wasserstoffatome im Benzolkern

c NH

in solche aliphatischar, secundarer Basen iibergehen. Da sich aber inFolge dessen zwischen den gemeinsamen

C-atomen beider Systeme eine gewohnliche (fette) Aethylen- bindung herstellt, welche bekanntlich sehr leicht zur einfachen gelost werden kann, so war vorauszusehen, dafs die Wasser- stoffaddition sich nicht auf Benzolsystem beschranken lassen, sondern sich auch auf die mittleren zwei Kohlenstoffatome ausdehnen wiirde. Es war also die Bildung eines Dekahydriirs zu erwarten. Das Experiment hat dies alles bestiitigt.

Page 32: Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

33 B a rn 6 e r g e r , Beitrage zur Theorie

Chino Zindekahydrur,

wird niittelst rauchender Jodwasserstoffsaure und Phosphor aus Chinolintetrahydrur erhalten - selbst, wenn die Menge des Reductionsmittels unterhalb der berechneten bleibt. Die Base ist ein rein aliphatisches Amin - ihren Eigenschaften nach das getreue Abbild des Dimethylamins.

Vielleicht noch beweiskriftiger fur die oberi ausgesprochenen Satze sind die Beobachtungen, welche ich bezuglich der Einwir- kung von Diazoverbindungen auf vierfach und achtfaach hydrirte Naphtochinoline und Naphtochinaldine gemacht habe. Anfangs widerspruchsvoll erscheinend , erwiesen sie sich spater als nothwendige Consequenz der hier vertretenen Anschauungen. Sie sind es, welche dieselben in erster Linie befestigt haben.

Um die Bedeutung der sogleich zu besprechenden Reac- tionen in das rechte Licht zu setzen, mochte ich zuvor an die bekannte Thatsache erinnern, dafs Naphtylamine , deren Substituent in der a-Stellung steht, bei der Combination mit Diazoverbindungen den Stickstoff der letzteren in der Para- stellung des namlichen Kernes aufnehmen , wahrend @-sub- stituirte Naphtylarriine den Eintritt nur in die benachbarte a- nicht in die P-Stellung gestatten *) :

NRR'

Wir erkennen darin also wieder eine specifische Naphtalin- reaction : im Benzolkern ist jeder beliebige Orthopunkt mit Substi- tuenten besetzbar, im Naphtalincomplex nur der in der a-Stellung.

9) Mir ist wenigstens kein derartiger Fall bekannt. a-Brom-B-Naph- tylamin giebt z. B. keine Azofarbstoffe.

Page 33: Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

sechsgliedriger Ringsysteme. 33

Wie energisch sich das @-Kohlenstoffatom des Naphtalins - wenn das Wasserstoffatoin der benachbarten 8-Stellung bereits substituirt ist - der Aufnahme einer substituirenden Atomgruppe widersetzt, zeigt der wichtige Versuch von L ell- m a n n *), welcher beobachtete, dafs u-Brom-P-Naphtylamin - der S k r a u p 'schen Reaction unterworfen - nicht ein bromirtes B-Naphtochinolin von anthracenahnlichem Bau

sondern das - auch aus 8-Naphtylamin entstehende -

unter Elimination von Bromwasserstoffsaure erzeugt. Selbst a-Nitro-B-Naphtylamin giebt nach L e 11 m a n n 's Versuchen eher seine Nitrogruppe in Form von salpetriger Saure her (wenn man es mit Glycerin und Schwefelsaure behandelt), und liefert @-Naphtochinolin, als dafs es die Ringschliefsung in der noch freien ,&Stellung gestattete.

Hydrirte Naphtochinoline und Naphtochinaldine.

Das Verhalten der Naphtochinoline gegen Diazoverbin-

Die nichthydrirten Basen verhalten sich indifferent; von dungen ist folgendes :

den hydrirten reagiren unter Farbstoffbildung : Py-Tetrahydro-a-naphtochinolin, Ar-Octohy dro-u-naphtochinolin, Ar-Octohydro-B-naphtochinolin, Ar-Octohydro-8-naphtochinaldin,

*) Ber. d. deutsch. ohem. Bes. SO, 3154. Annslen der Chemie 267. Bd. 3

Page 34: Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

34

wahrend keine Farbstoffcomponenten sind *) : Py-Tetrahydro-/3-naphtochinolin, P y-Tetrahydro-P-naphtochinaldin, Ac.-Octohydro-P-naphtochinolin, Ac.-Octo hydro-@-naphtochinaldin, Di-B-Tetrahydro-a-naphtochinolin.

B a m b e r g e r , Beitrage zur Theorie

Warum ? Im Tetrahydro-a-naphtochinolin

HNI\/CH9 CHI

reprasentirt der Pyridinring - als Trager der additionellen Wasserstoffatome - eine Seitenkette, die Base functionirt daher wie ein alkylirtes a-Naphtylamin; sie folgt als solches den bekannten Combinations-Gesetzen und ist zur Farbstoff- bildung - bei freier a-Stellung - ohne Weiteres befahigt.

Dieselben Betrachtungen sind auf das aromatische Octo- hydro-n-naphtochinolin

CH*

anwendbar. Dasselbe stellt - wie die Formel zeigt - ein Anilin dar, in welchem ein Wasserstoffatom der Amidgruppe

a) Die Combinationsversuche wurden stets in derselben, der Farb- bildung giinstigen Weise ausgefiihrt, indem man die Base in Wasser - mit oder ohne Zusata von etwas Alkohol - suspen- dirte und Diazobenzolsulfosiiure oder ein (krystallisirtes) Diazo- benzolsalz hinzufiigte.

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sechsgh+edTigeT Rinpysteme. 35

und drei des Benzolkerns substituirt sind. Die Parastellung zum Stickstoffatom ist unbesetzt , der Farbstoffbildung steht daher Nichts im Wege.

Oxydirt man das aromatische Octohydro-a-naphtochinolin unter gewissen Bedingungen, so gelingt es, die vier additio- nellen Wasserstoffatome des Pyridinrings zu entfernen , ohne das benachbarte Benzolsystem in Mitleidenschaft zu ziehen. Das so entstehende B-Tetrahydro-a-naphtochinolin *) poly- merisirt sich spontan zu einer gut krystallisirenden, erst bei 280* schmelzenden Base, welcher man wohl die Formel

zu geben hat. Diese Base ist ein vierfach alkylirtes Dichinolin - also

nicht mehr ein Abkiimmling des Naphtylamins oder Anilins, wie die vorher genannten Hydriire des a-Naphtochinolins. Man durfte bei ihr also die Fahigkeit zur Farbcombination ebensowenig erwarten wie beim Chinolin oder Dichinolin.

In der That fehlte ihr dieselbe - obwohl auch hier das zum Stickstoffatom in Parastellung befindliche Wasserstoffatom. noch vorhanden ist.

Wie verhalten sich nun 8-Naphtochinolin und seine Was- serstoffabkommlinge gegen Diazokorper ?

Die Base selbst ist indifferent - wie ihr Isomeres, und wie Chinolin.

Aber auch das Py-Tetrahydrur hat hier - man beachte den Gegensatz zu dern bereits besprochenen a-Hydriir -

*) Dartiber demnlichat Ndheres in Gemeinschaft mit Herrn Dr. S t e t ten he i m e r.

3 ”

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36 Banzberger , Beitrage zur Theorie

nicht die Eigenschaften einer Farbcomponente. Denn durch die Wasserstoffaufnahme ist der Pyridinring zur Seitenkette, die Base selbst daher zu einem alkylirten 0-Naphtylamin geworden :

CHI

Die Parastellung zum Stickstoffatom ist besetzt, die be- nachbarte a-Stellung ebenfalls. Da nun die im gleichen Kern noch vorhandene /3-Stellung (ebenso wie die m-Stellung) nach den Gesetzen der Naphtalingruppe dem Eintritt von Substituenten verschlossen ist, so fehlen die Bedingungen zur Farbcombination.

Py-Tetrahydro-/3-naphtochinolin bildet daher mit Diazo- verbindungen unter keinen Umstanden Farbstoffe ; letztere erzeugen vielme hr bei richtig gewahlten Bedingungen Diazo- amidokorper.

Um so bemerkenswerther ist die Wirkung fortgesetzter Hydrirung. Fiihrt man namlich durch Anwendung energi- scherer Reductionsmittel auch in das nichtsubstituirte System noch vier Wasserstoffatome ein, so dafs ein Korper von der Formel

Tetrahyd.ro-B-laaphtochioEia.

ar. Octohydro-p-naphtoohinolin

resultirt , so hat dadurch die Base die Eigenschaften einer Farbcomponente erlangt.

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sechsgliedriger Ringsysteme. 37

Diese Funclionsanderung ist eine nothwendige Folge des dritten Satzes (s. S. 16, 1'7); denn durch die weitere Auf- nahme von vier Wasserstoffatomen ist die Umwandlung des Naphtalinderivats (des Tetrahydrurs) in ein Benzolderivat (das Octohydrur) volbogen und die Base darnit unter die Combi- nationsgesetze der Aniline gestellt. Da in solchen j ede Ortho- stellung zur Aufnahme substituirend eintretender Gruppen bereit ist, eine solohe aber - wie es die Figur erkennen lafst - zur Disposition steht, so besitzt das Octohydrur den Charakter eines Farbbildners.

In der That erwies sich - denn die Parastellung zur Imidgruppe ist nicht frei - der resultirende Azokorper inso- fern als Orthofarbstoff, als er die (nach N o 1 t i n g und W i t t 's Untersuchungen *) fur solche charakteristische) Eigenschaft zeigte , in alkoholischer Losung (auf Zusatz starker Sauren) grune Sake zu bilden, wahrend die Base selbst mit rother Farbe aufgenommen wird. Die Erscheinung ist ebenso schon wahrzunehnien wie bei dem Amidoazo-p-toluol

Ein treffliches Beispiel, wie die Wasserstoffaddition des einen Systems das andere, benachbarte aus einern Naphtalin- in einen Benzolcomplex umwandelt !

Was vor der Hydrirung ,,fl-NaphtalinstellungU war, ist nach derselben Orthopunkt des Benzolkerns.

Genau dieselben Verh'dltnisse - naturlich aus gleichen Ursachen - trifft man beiin fl-Naphtochinaldin. Das aro- matische Octohydrur ist eine Farbcomponente, das Tetra- hydrur nicht :

T

a) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 11, 79.

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38 B a m b erg e r , Beitrage aur Theorie

CH* Tetrahydriiv Octohydriir

Was endlich die alicyclischen Octohydriire des P-Naphto- chinolins und @-Naphtochirraldins betrifft, so sind beide der Farbstoffbildung unzuganglich. Ihre Formeln

CHP CH,

I \ /\ " H h ( ) N H HC/ (NH

H P C \ \ ~ dCH, &C\, /CII . CH, CH, CH,

erklaren diese Thatsache. Sie functioniren wie substituirte Benzylmethylamine

GenzolI CHZ-NHY \ /

CHX

und verhalten sich daher wie die alicyclischen Hydro-Naph- tylarnine

\\/ \/

tCH. NHX , \/\\/'

CH,

welche ja, wie die Figur zeigt, auf denselben Typus zuriick- fuhrbar sind *).

*) Interessant ist, dab sich ihre alicyclische Hydronaphtylaminnatur nicht nur chemisch, sondern auch physiologisch zu erkennen

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sechsgliedriger Rinysysteme. 39

So geben jene Basen - um nur das eine an dieser Stelle herauszugreifen - ebenfalls Diazoamidoverbindungen bei der Einwirkung von Diazosalzen, indem das am Stickstoff- atom befindliehe Wasserstoffatom substituirt wird.

H,C\lC&

Diaeoannido-ac-octohydro-@-naphtochinolin. CH*

Diese Diazoamidoverbindungen sind den aus alicyclischen Naphtylaminen erhaltenen *) aufserst ahnlich ; sie geben in Aether schwer Iosliche Pikrate, sie zersetzen sich unter dem Einflufs von Mineralsluren unter lebhafter Stickstoffentwicke- lung in Phenol und die betreffende alicyclische Octohydrobase u. s. f. In Folge ihrer betrachtlichen Molekulargrofse sind sie hier von bemerkenswerthem Krystallisationsverrnogen.

Daniit ist die Zahl derjenigen neuerdings aufgefundenen Thatsachen erschopft, welche fur unsere Yorstellungen iiber die Valenzvertheilung in mehrkernigen Systenien von Wichtig- keit sind. Ich sagte bereits arn Anfang, dafs die bisherigen Molekularbilder des Naphtaliris die thatsachlich bestehenderl Verhaltnisse nicht treffend wiedergeben. Wir stehen daher vor der Aufgabe, ein Bhnlicheres an die Stelle derselben zu setzen.

Zu diesem Zweck ist zuvor noch eine - bisher unbe-

giebt; Herr Prof. F i l e h n e , welcher die betreffende Untersuchung giitigst ausfiihrte, sagt geradezu : ,ac. Octohydro-b-naphtochinolin ist plinrmakologisch ein ac. Hydro-15-naphtylamin'. Chemische und physiologische Untersuchung gehen auf diesem Gebiete Hand in Hand. S. Ber. d. deutsch. Ges. 2Z, 777.

*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 21, 1112 und SZ, 1302.

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40 B a rn 6 e r g e r , Beitrage eur Theorie

riicksichtigt gebliebene - Thatsache in Bezug auf die Chemie des Naphtalins festzustellen :

die symmetrische Anordnung seines Molekiils. - (Sat8 I K ) Die von G r a e b e , R e v e r d i n und N o l t i n g dafur er-

brachten Beweise sind nicht streng. Man wird den Einwen- dungen von C l a u s , welcher die Versuche dieser Forscher auch mit der Annahrne einer asymmetrischen Structur fur vereinbar halt, nur beipflichten konnen.

Aber ebensowenig wie G r a e b e , R e v e r d i n und NO 1 t i n g die Syrnmetrie des Naphtalins bewiesen haben, eben- sowenig hat C1 a u s die Asymmetrie desselben bewiesen. Seine Behauptung : ,,es liegen bekanntlich eine Anzahl von Thatsachen *) vor, welche gegen die symmetrische Structur sprechen‘ ist eine Behauptung und kein Beweis.

Mir ist keine solche Thatsache bekannt. C1 a u s deducirt folgendermafsen : im Naphtalin

ist ein Ringsystein (rechts), welches - verschieden von dem des (linksgeschriebenen) Benzols - Trdger der specifischen (fettahnlichen) Naphtalinreactionen ist. Das zweite System er- klart - als Benzolkern - die Bildung von Benzolderivaten, z. B. Phtalsauren. D a b diese indefs auch aus dem andern hervorgehen (wie G r a e b e bewies) beweist nichts gegen die Asymnietrie des Ganzen, denn dieses andere System kann j a wahrend des Oxydationsvorgangs zum Benzolring werden. Wie, haben wir oben (S. 14) gesehen.

Diese Deduction ist einwurfsfrei; sie beweist aber nur,

”) Ber. d. deutsch. ehem. Ges. 8, 590, 1606; 10, 1303.

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sechsg liedr ig er Ringsysteme. 41

dafs Asyrnmetrie vorhanden sein kann - nicht, d a b sie vor- handen sein Inufs.

Um eine Naphtalinformel zu construiren, handelt es sich aber um das Mufs, nicht urn das Kann. Ich glaube nun, d a b man aus folgenden Grunden die symmetrische Structur an- nehmen rnufs :

Erstens - weil die Zahl Zwei der Monosubstitutions- producte niemals iiberschritten worden ist.

Zweitens - wegen des Verhaltens des binuclearen (2,7) Dioxynaphtalins, welches von E b e r t und M e r z aus Naphta- lindisulfosaure (sog. a-Saure) dargestellt wurde.

Bei symmetrischer Anordnung des Molekuls mufste nam- lich die aufserordentlich leichte Aetherificirbarkeit, welche oben bereits als Characteristicurn der Naphtole hervorgehoben wurde, beiden Hydroxylgruppen des 2,7-Dioxynaphtalins

gemeinsam sein. Das ist nun in der That L i e b e r m a n n und H a g e n " ) haben

so. schon vor langerer

Zeit festgestellt, dafs Dioxynaphtalin aus ,,Naphtalindisulfo- saure' beim Erhitzen mit Alkohol und Salzsaure in den Di- athyllther verwandelt wird. Obwohl iiber die Eigenschaften ihres Versuchsrnaterials nichts angegeben ist, entspricht das- selbe jedenfalls der Stellung 2,7, denn nur dieses wird aus Naphtalindisulfosaure erhalten.

Die genannten Forscher haben die theoretische Wichtig- keit ihrer Beobachtung vielleicht nicht in vollem Mafse ge- wurdigt, denn sie theilen dieselbe als Beispiel specifischer Naphtalinreaction ohne jeden weiteren Zusatz mit - nachdem bereits W r e d e n seine asymmetrische Formel aufgestellt

*) Ber. d. deutsch. &em. Beti. 15, 1428.

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42 B a m b e r g e r , Beitrage zur Theom2

hatte. Und auch spater, als C l a u s mit Entschiedenheit fur die Asymmetrie des Naphtalins eingetreten war, sind sie nicht mehr darauf zuruckgekornmen.

Bei der grofsen Bedeutung der vorliegenden Frage habe ich es nicht fur uberfliissig gehalten, den Versuch in etwas veranderter Form zu wiederholen. P-Naphtol wird bekanntlich bereits bei Wasserbadtetnperatur durch Alkohol und Schwefel- saure atherificirt. Ich uberzeugte mich, dafs diese Reactions- fahigkeit beiden Hydroxylgruppen des 2,7-Dioxynaphtalins zu- kommt.

5 g der - durch Erhitzeri von sogenannter a-Naphtalin- disulfosaure mit Kali im Nickeltiegel (auf 270O) dargestellten ") - Substanz wurden mit 22 g Methylalkohol und 11 g englischer Schwefelsaure acht Stunden auf kochendem Wasserbad diperirt. Die nach dem Erkalten reichlich ausgeschiedene Krystallisation wurde durch Zusatz von Wasser erheblich vermehrt. Sie bestand theils aus feinen glanzenden Nadeln, theils aus kugel- formigeu harten Knollen und verrieth schon durch den an- genehmen heliotropartigen Geruch, dafs sich die Methylirung vollzogen hatte. Unangegriffenes Dioxynaphtalin liefs sich leicht durch warme verdunnte Natronlauge entfernen. Die Reinigung der ruckstandigen Masse geschah theils durch Destillation im Dampfstrom, welcher dieselbe in stark flim- mernden atlasglanzenden Blattchen fortfuhrte, theils durch Krystallisation aus kochendem Alkohol, aus dem die Sub- stanz bei langsamem Erkalten in prachtigen farrnkrautartig gestreiften und gezackten fldchen Prismen voni constant blei- benden Schmelzpunkt 136,3" anschofs.

*) E b e r t und M e r z , Ber. d. deutsch. chem. Ges. 8, 592; s. a. S c h i e f f e l i n : ,Ueber einige tetrahydrirte Dinmine der Naphta- linreihe', Inauguraldissertation. Miinchen 1559.

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sechsgliedriger Ringsysterne. 43

Dafs der Dimethylather vorlag, wurde durch die Unlos- lichkeit in Alkalien und durch die Analyse bewiesen.

0,2563 g lieferten 0,7179 CO, und 0,1499 H,O. Berechnet fiir Gefunden ClOlL(OCH,h

c 76,59 76,39 I€ 6,38 6,49.

Ueberdies zeigte sich das Product idcntisch niit dern- jenigen, welches W e b e r *) aus Dioxynaphtalin, Jodmethyl und Kaliurnhydrat erhalten hat. Der von Letzterem ange- gebene Schmelzpunkt ist um 2,30 zu niedrig.

Die Methylirung mittelst Schwefelsaure und Alkohol ist als Darstellurigsmethode zu empfehlen.

Ich halte die Syrnrnetrie des Naphtalinrnolekuls also fur thatsachlich bewiesen +*) und wir stehen jetzt vor der Auf- gabe, den Inhalt dieser Mittheilung in einer Formel zurn Aus- druck zu bringen.

Dieselbe rnufs erklaren : I. dafs das Molekul des Naphtalins symmetrisch ist,

11. dafs von den zwei Kohlenstoffsystemen, aus denen sich dasselbe zusammensetzt, das eine - und als Folge von I. auch das andere - kein Benzolsystem ist,

111. dafs den additiv aufnehnibaren Wasserstoffatomen rnit der Zahl vier eine (erste) Grenze gesetzt ist,

IV. dafs durch die (asymmetrische) Aufnahnie derselben das dabei betheiligte Kohlenstoffsystem aliphatische, das unbetheiligte System Benzolfunctionen annirnmt.

*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 14, 2206. **) Es ware allerdings denkbar, dafs beide Systeme - obwohl keine

Benzolsysteme und obwohl iibereinstimmend im Verhalten gegen Schwafelsiiure und Alkohol - untereinander verschieden sind. Diem an sich unwahrscheinliche Annahme (denn es ist, wie ohen bemerkt, keine gegen die Synimetrie sprechende Thatsache bekannt) wird durch die nie iiberschrittene Zahl zwei der Mono- derivate noch unwahrschcinlicher.

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44 B a m 6 e r g e r , Beitrage eur Theorie

Diesen vier Bedingungen geniigt das Schema : CII CH

HC ('yi'\ CH I I 5'1

welches als Uebertragung der centrischen Benzolformel v o n B a e y e r 's ik) auf das Naphtalin erscheint.

Fur das Chinolin gilt das entsprechende Symbol

Ich halte daher die ofter discutirte Frage, oh darin Para- und Orthobindungen oder nur letztere vorhanden sind, fur gegenstandslos : ich nehme weder Para- noch Orthobindungen darin an.

Die centrischen Valenzen, welche ich lieber als ,poten- tielleg (warum, werden wir spater sehen) bezeichnen mochte, stelle ich mir vor als richtende Krafte, etwa wie magnetische Anziehungen ; jede Gleichgewichtsstorung, welche ein solches System von 6 potentiellen Valenzen trifft, z. B. jeder Additions- proce€s hat eine bestirnmte paarweise Anordnung dieser an- ziehenden Krafte zur Folge, welche je nach den Umstanden wechselt, und ebenso Ortho- wie Meta- wie Parabeziehungen entsprechen kann.

Ich gestehe zu, dafs die Annahme eines aus 10 Kohlen- stoffatomen bestehenden Ringes, dessen nicht durch Radicale

a) Herr Prof. v. B a e y e r ersucht mich, in seinem Namen mitzu- theilen, dafs H. A r m s t r o n g (Journ. of the chem. 8oc. 5 1 (1887), 264) schon vor ihm gelegentlich die centrische Bensol- formel aufgestellt hat.

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sechsgliedriger Ringsysteme. 45

gesattigte Valenzen in einem Zustand gegenseitiger Compen- sation sind, anfanglich etwas Befrerndendes hat - besonders weil sie uns, wie wir sogleich sehen werden, zu der weiteren Annahrne zwingt, dafs bei der Synthese vonNaphtalin - aus Benzolderivaten der ringformige Zusamrnenhang der letzteren gelost wird.

Ich verkenne auch das Hypothetische der centrischen Naphtalinformel nicht und wcifs, dafs es noch langer an- strengender Arbeit bedarf, um ihre Berechtigung nachzu- weisen. Aber, da mir keine der sonst vorgeschlagenen Forrneln dasselbe zu leisten scheint, so benutze ich dieselbe so lange, bis sie durch eine bessere ersetzt werden wird.

Ein centrisches Gebilde, wie es hier fur Naphtalin (und Chinolin")) in Vorschlag gebracht ist, ist weder ein Benzol- noch ein aliphatisches System ; es steht gewisserrnafsen zwischen beiden.

Dasselbe kann man von den Functionen der Naphtalin- abkornnilinge sagen.

Dafs ein solches Gebilde den Bedingungen I und I1 ge- nugt, ist ohne Zusatz ersichtlich.

Aber auch die dritte und vierte Forderung wird be- friedigt; denn man erkennt, dafs - wenn der Gleichgewichts- zustand in dern mit Ziffern bezeichneten Valenzsystem (s. Figur auf voriger Seite) durch Aufnahme von vier Wasserstoffatomen bei 3, 4, 5, 6 gestort wird - dafs dann die Compensation der Bindungskrafte i und 2 , welche nur in einern hezacen- trischen System stattfindet , aufhort und gegenseitige Absatti- gung (actuelle Bindung) eintritt. Es resultirt daher durch Ringschlufs ein Benxolsystem :

*) und, wie wir weiter unten sehen werden, fiir alle Combinationen sechsgliedriger (C- und N-) Ringsysteme mit gemehsamen Kohlen- stoffatompaaren.

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46 B a m b e r g e r , Beitrage ewr Theorie

Ein solches aber ist - das ist experimentell festgestellte Thatsache - unter den iiblichen Bedingungen rticht hydrirbar. Die Wasserstoffaddition hort daher bei der Zahl vier auf.

Dieser Vorgang der Benzolbildung findet bei j e d e r Gleich- gewichtsstorung eines Systems statt.

Daher sind alle Additionsproducte - unabhangig von der Anzahl der Adderiden - oder allgemeiner ausgedruckt, alle Korper der Naphtalingruppe, in welchen eins der acht Kern- kohlenstoffatome mit mehrwerthigen Redicalen (s. s. 13) ver- bunden ist, nicht mehr Abkommlinge des Naphtalins, sondern solche des Benzols. Es ist also durchaus in Uebereinstirnmung rnit dieser Theorie, wenn der Techniker seine Phtalsaure nicht aus Naphtalin, sondern aus dem Tetrachlorid

bereitete, in welchem sich die Valenzmetarnorphose zum Benzol- ring bereits vollzogen hat.

Natiirlich ist es nicht erforderlich, dafs die Gleichge- wichtsstorung des Valenzensystems durch Addition von vier Radicalen bewirkt wird; es genugen dazu auch zwei. Korper, wie a- und 8-Naphtochinon, Dihydronaphtalin u. s. w., welche auf Typen

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sechsgliedriyer Ringsysteme. 47

zuruckgefuhrt werden kdnnen, sind daher Derivate tles Benzols, nicht des Naphtalins.

Sie sind jedoch von denjenigen Korpern, welche durch Absattigung vier ,freier" Valenzen des einen Systems entstehend zu denken sind, z. B. von den Tetrahydronaphtylaminen zu unterscheiden. Denn das rechtsgeschriebene System hat in diesem Falle nicht die Functionen eirrer aliphatischen Seiten- kette (wefswegen ich auch hier die Pfeile fortgelassen habe), sondern besondere Functionen ; es wird von diesen Systemen sogleich die Rede sein.

Man kann namlich die Benzolabkornmlinge auf drei ver- schiedene Ringsysteme zuruckfuhren : auf ,,centrische", auf ,,ge- mischte" (secundar-tertiare) und auf ,,aliphatische" (secundare).

Als typische Beispiele dieser drei Klassen mogen gelten : I. 11. 111.

H 0 H. COOH A /\

H //"\ H

\ / \/

H O H. CUOH Benzol Benzochinm Hemahydrote~ephtalaaw-e

In den centrischen Systemen befinden sich die Valenzen in einem eigenthiimlichen Zustand, welchen man als denjenigen potentieller Bindung bezeichnen kann. Dieser besondere Valenz- zustand ist der Trager der charakteristischen ,,aromatischen& Eigenschaften und ich glaube , dafs A r m s t r o n g und v. B a e y e r durch Einfiihrung dieses voltkommen neuen Be- griffes zum ersten Ma1 das Wesentliche in der Definition der ,,aromatischen Korper" getroffen haben. Nicht die Ringform *)

*) Dafs die Ringform an sich nicht bestimmend ist fur den Charakter aromatischer Substaneen, ist jetzt eine unbestreitbare Thatsache. Sobald das Ringsystem geniigend mit Addenden beladen ist, hat 6 8 aliphatische Eigenschaften. Ueberdies kennen wir auch Ring- systeme der Fettreihe. Zu TrDgern aromatischer Eigenschaften werden die geschlossenen Systeme erst mit der Anwesenheit centrischer Valenzen.

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48 B a rn b e r g e r , Beitrage zur Theorie

des Kohlenstoffsystems, auch nicht die Gruppirungsart der Kohlenstoffbindungen, sondern der besondere (potentielle) Zu- stand der Valenzen bedingt die aromatische Eigenthiimlichkeit.

Dieser centrische Zustand, welcher nach unseren bis- herigen Erfahrungen nur in einem System von sechs, sich gegenseitig richtenden Bindungskraften bestehen kann , wird durch jede Gleichgewichtsstorung, welche das System trifft, also z. B. durch jeden Additionsvorgang aufgehoben.

Werden durch diese Gleichgewichtsstorung samrntliche centrischen Valenaen anderweitig - z. B. zur Fixirung addirter Radicale - verwendet, so resultiren Korper vom Typus 111, welche als ringfiirmig aliphatische Korper mit einfacher Kohlenstoffbindung aufzufassen sind.

Wird dagegen nur ein Theil der centrischen Valenzen zur Fixirung von Radicalen beniitzt - wie bei sammtlichen partiellen Additionen oder bei der Bildung der Chinone - so entstehen secundar-tertiare Systeme, Korper vom Typus 11, indem die bei der Addition unbetheiligten centrischen Valenzen aus dem Zustand potentieller in denjenigen actueller (paarweis bestimmter) Bindung iibergehen.

Je nach der Lage, welche diese actuellen Bindungen in den gernischten (secundar-tertiaren) Systemen einnehmen, sind die Eigenschaften der einzelnen Glieder dieser Gruppe ver- schieden (zu der auch die verschiedenen Terpene wahrschein- lich gehoren). Es sei hier nur an die wesentlicben Unter- schiede erinnert, welche z. B. zwischen dern a- und dem 8-Naphtochinon

bestehen.

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sechsgliedriger Ringsysteme. 49

Der Unterschied zwischen den Chinonen des Benzols und Naphtalins auf der einen Seite und derijenigen des Anthracens, Phenanthrens u. s. w. auf der anderen Seite diirfte nicht - wie von Manchen angenomrnen wird - in der Art der Sauer- stoffbindung, sondern lediglich in der Natur der Kohlenstoff- systeme liegen, welche beiden Chinonklassen zu Grunde liegen. Ich halte sammtliche Chinone fur Ketoverbindungen, deren verschiedener Charakter dadurch bedingt wird , dafs die Carbonyle der einen Gruppe (der Benzo- und Naphtochinone) gemischten (secundar-tertiaren) Systemen angehoren, die der andern aber nicht.

Es wird unten noch auf die Chinone rnehrkerniger Kohlen- wasserstoffe zuriickzukommen sein.

Wir sahen, dafs jede Gleichgewichtsstorung, welche das dihexacentrische Valenzsystem des Naphtalins *)

I< Xe \I \ I / \I/'

erleidet, vom Uebergang der Valenzen 1, 2 aus dem Zustand potentieller in den actueller Bindung begleitet ist, d. h. dafs jede Gleichgewichtsstiirung den Schlufs zum Benzolring in einem Theil des Molekuls zur Folge hat.

*) Nach Abschlulb dieser Abhandlung wurde ich durch H e m Prof. v. B a e y e r darauf aufmerksam gemacht, dafs in dem Lehrbuch der organiachen Chemie von Laubenhe imer eine ihnliche Naphtalinformel

dungen (worauf ich gerade besonderen Accent lege), sondern sctuelle.

Annalen der Chemie 2.57. Bd. 4

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50 B a rn 6 e r g e r , Beitrage zur Theorie

Dafs indefs auch der entgegengesetzte Vorgang moglich i5t, mufs man - bei consequenter Durchfiihrung der hier vertretenen Ansichten - aus der Synthese von Derivaten des Naphtalins aus solchen des Benzols schliefsen. Die Entstehung von a-Naphtol, z. B. aus Phenylisocrotonsaure, drucke ich durch folgende Symhole aus :

I. 11. 111. CH

m+

co

Darnach entsteht zunachst die Pseudoform des a-Naphtols (II), also ein ,,gemischtes uRing-System. In Folge der Tendenz zur Bildung eines centrischen Systems (111) wandert das Wasser- stoffatom der Methylengruppe zurn Sauerstoff und es werden zwei Valenzen (1,2) disponibel, deren richtende Kraft den Zusammenhang des (linken) Benzolrings und die actuelle Bin- dung 3,4 lost und das dicentrische Naphtalinsystem herstellt.

Ganz ahnliche Vorgange spielen sich ab, wenn Dihydro- naphtalindibromid *) in Naphtalin :

OH

oder wenn Naphtochinon in das Hydrochinon ubergeht **) :

*) B a m b e r g e r und L o d t e r , Ber. d. deutsch. chem. Ges. BO, 1706; B l , 1904.

**) Derselbe Uebergang actueller in potentielle Valenzen findet na- turlich auch bei der Reduction des Benzochinons zu Hydrochinon

0 OH

OH '\/ 0

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sechsgh'edriger Ringsysteme. 51

Das Befremdende, was die Annahme derartiger - noch dazu durch so wenig gewaltsame Eingriffe bewirkter - .Ring- sprengungen" hat, verliert sich vielleicht, wenn man bedenkt, dafs eine Valenzlosung im gewohnlichen Sinne hier gar nicht stattfindet. Wenn Aethylen in Aethan iibergeht, so werden zwei zur Kohlenstoffbindung dienende Krafte anderweitig - zur Fixirung von Wasserstoff - benutzt und die Beziehung der beiden Kohlenstoffatome hort - soweit sie durch eben diese zwei Valenzkrifte vermittelt wurde - ganzlich auf. Eine Riickkehr zu diesen Beziehungen, die Wiederhersteilung des Aethylens, findet daher ohne starke Eingriffe nicht statt.

Anderer Natur aber ist die Umwandlung von Benzol in Naphtalin. Hier dauern die Beziehungen der fraglichen zwei Kohlenstoffatome auch nach der .Valenzlosung" fort; es findet keine Aufhebung , sondern nur eine Zustandsanderung der betreffenden Bindungen statt. Dafs diese in doppeltern Sinne moglich ist, dafs ebenso actuelle Anziehung zur potentiellen wird (bei Synthesen des Naphtalins aus Benzol) wie umgekehrt (bei Additionen), darin liegt durchaus nichts Wunderbares.

Noch ist eine Frage unberiihrt geblieben : diejenige nach der raumlichen Anordnung der Kohlenstoffatome im Naphtalin.

statt. Dafa sich dabei nicht der secunddre Alkohol, Dihydrodi- oxybenzol bildet, hat wohl Manchen gegen die Diketoformel des Benzochinona eingenommen. Indefs steht die Bildung von Hydro- chinon in voller Uebereinstimmung mit unseren Ansichten. So- bald sich ein Wasserstoffatom an das Sauerstoffatom angelagert hat, werden Valenzen disponibel, deren richtende Kraft die iibri- gen actuellen in potentielle verwandelt und das centrische Systcm des Benzols erzeugt. Dies aber ist weiterer Addition nicht zu- ggnglich (s. S. 15).

4 0

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52 B a m b e r g e T, Beitrage zur Theorie

Befinden sich beide Systeme in einer Ebene oder nicht? Ich glaube, diese Frage wegen der ausgesprochenen Orthofunctionen der Peristellung ( A , @ verneinen zu sollen, denn man uber- zeugt sich - besonders leicht pm Model1 - dafs die Kohlen- stoffatome dieser Stellung nur dann in rBumlicher Nahe sind, wenn die Ebene des einen Systems recht- oder gar spitz- winklig zu derjenigen des anderen steht. Voraussichtlich wird dieser Winkel aber kein constanter sein, sondern j e nach der Natur der Derivate sich andern. Ich beruhre diese Fragen iibrigens nur beilaufig und luge keinen Werth auf dieselben, weil sie sich vorlaufig noch einer exacten Behandlung entziehen.

Die Formeln mehrkerniger Ringsysteme.

Unsere Betrachtungen haben sich am Naphtalin, Chinolin und den Combinationen beider entwickelt. Sie sind aber auf alle mehrkernigen, sechsgliedrigen Kohlenstoff- und Stickstoff- systeme ubertragbar. Sie gelten *) fur Anthracen, Phenan- thren, Chrysen, Pyren, Acenaphten nicht weniger, wie fur Acridin, Phenanthrolin, Chinazolin u. s. f. Aus den centrischen Fornieln des Phenanthrens und Anthracens z. B.

geht ohne erklarenden Zusatz hervor, dafs sie weder Naphtalin - noch Benzolsysteme entbalten, dafs sie aber durch jede

a) Die Combination a m fiinf- und sechsgliedrigen Systemen hoffe ich splter - wenn im Gang befindliche Experimentalunter- suchungen abgeschlossen sein werden - unter lhnlichen Ge- sichtspunkten erijrtern zu konnen. Ich will schon hier bemerken, dafs ich auch Thiophen, Thiazol u. s. w. als centrische Systeme betrachte, in welchen das Schwefelatom vierwerthig wirkt ; Pyr- rhol, Imidazol, Indol, Anhydrobasen u. s. w. als centrische Sy- steme mit einem fiinfwerthigen Stickstoffatom.

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sechsgiiedrigger &ingsysteme. 53

Gleichgewichtsstorung - z. B. Addition - in solche umge- wandelt werden konnen - vorausgesetzt , dafs dieselbe an .der rechten Stelle erfolgt. Geschieht das z. B. an den Punkten i und 2 - wie es thatsachlich der Fall ist - so resultiren aus beiden Kohlenwasserstoffen Benzolsysteme, deren Zusam- menhang durch zwei Carbonyle vermittelt wird :

co

Das Beobachtungsrnaterial, welches hier - auf dem Ge- biet hochgegliederter Kohlenwasserstoffe - vorliegt, ist leider nur sparlich. Immerhin giebt es vereinzelte Thatsachen, welche mit der vertretenen Ansicht ubereinstimmen. So beobachteten L i e b e r m a n n und H a g e n *) , dafs Anthrol beim Erhitzen mit Salzsaure und Alkohol (auf 150") atherificirt wird, das entsprechende Oxyanthrachinon aber nicht. Die Erklarung entspricht den oben gegebenen. Im Anthrol gehort die Hy- droxylgruppe

einem eigenttiiimlichen Valenzsystem an, welches bewirkt , dafs das mit Sauerstoff verbundene Wasserstoffatom noch leicliter wie in den Naphtolen (Phenol, Naphtol, Anthrol bilden in dieser Beziehung eirie aufsteigende Reihe) durch Alkyle ersetzbar ist. Im Oxyanthrachinon dagegen

*) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 16, 1427.

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functioniren zwei durch Carbonyle verbundene Benzolsysteme ; die Hydroxylgruppe ist daher Tragerin phenolartiger Eigenschaften (im engeren Sinne). Die beiden Systeme entstehen aus dem tri- centrischen des Anthracens in Folge der Gleichgewichtsstorung, welche der ,,mittlere" Valenzencomplex bei der Oxydation erfahrt.

Wie das Anthracen verliert auch das Phenanthren bei der Chinonbildung die ihm eigene Structur und Functionen, indem es durch Absattigung der Valenzpaare 1,2 und 3,4 aus einem tricentrischen System zu einem Diphenylabkoi~imling wird :

Die Sprengung des ,,mittleren" Ringes bei der Bildung der Diphensaure oder des Diphenylenketons ist selbstverstandlich, denn dieser Ring ist im Phenanthrenchinon gar kein Benzolring - ebensowenig wie der entsprechende im Anthrachinon. Ich mochte bei dieser Gelegenheit die Ansicht aussprechen , dafs iiberhaupt kein Ringsystem mit centrischen Valenzen, weder Benzol, noch Naphtalin, noch Anthracen, noch Chinolin u. s. f. als solches in seinem ringformigen Zusamrnenhang unterbrochen werden kann; jeder sogenannten Sprengung geht - wohl als Folge primarer Additionen - eine Uinwandlung des centrischen Systems in ein ,,gemischtes" (oder aliphatisches) voran. That- sachlich haben auch zu derartigen Sprengungen meist Cbinone, Hetochloride u. s. w., also Suhstanzen gedient, in welchen das centrische System des zu Grunde liegenden Kohlenwasser- stoffs als solches nicht niehr vorhanden war.

Auch die kiirzlich von A. v. B a e y e r aufgeworfene Frage, warum Stilben - im Gegensatz zu Phenanthreri - SO

Page 55: Beiträge zur Theorie sechsgliedriger Ringsysteme

sechsgliedriger Ringsystenze. 55

leicht durch Kaliurnperrnanganat oxydirt wird, beantwortet sich von unserem Standpunkt, aus von selbst. Irn Stilben

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ist die aliphatische Kohlenstoffgruppe rnit doppelter (actueller) Bindung der exponirte Angriffspunkt des Molekiils ; irn Phen- anthren fehlt ein solcher, es besteht nur aus centrischen Sy- sternen und theilt daher die Resistenz derselben.

Seinern Bau nach entspricht daher das Stilben mehr dem Phenanthrenchinon als dem Phenanthren. -

Thatsachen, welche in der Gruppe des Naphtalins und Chinolins gesarnrnelt wurden, haben zu centrischen Forrneln *) mehrkerniger Moleculargebilde und damit schliefslich zur cen- trischen Forrnel des Benzols gefuhrt.

Also auch von anderer Seite gelangt man zu dern Kesultat, welches Ad o 1 f v. B a e y e r aus seinen ersten Untersuchungen iiber hydrirte Terephtalsauren abgeleitet hatte.

*) Ich habe mich schon vor langerer Zeit - bevor ich die Reduc- tion der Naphtalinbasen studirte - andeutungsweise fur die centrische Naphtalinformel ausgesprochen, als ich mit L o d t e r zeigte, dafs das aus Dihydronaphtalin entstehende Dibromid wieder in Naphtalin zuriickfiihrbar ist (Ber. d. deutsch. chem. Ges. 21, 1904, s. a. a0, 1706). Ich fand, dars dieser Kreisprocefs nicht ungezwungen mit Formelri bestimmmter Valenzen vereinbar ist, wagte aber gleichwohl noch nicht, rnit Entschiedenheit iiffentlich fur die centrische Naphtalinformel einzutreten, weil mir das Be- obachtungsmaterial damals noch nicht ansreichend erschien. Ich will hier nicht unerwshnt lassen, d a b Dr. C o r n e l i u 6 in I'rivat- gesprachen mir gegenuber schon bei Beginn meiner Untersuchungen fiber hydrirte Naphtylamine die centrische Formel als die einzig berechtigte bezeichnete.