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DAS HEIMATMUSEUM ALSERGRUND Mitteilungsblatt des Bezirksmuseums Alsergrund AU ISSN 0017-9809 42. Jahrgang 164 Mai 2001 Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des IX. Bezirks Der Arzt-Dichter Arthur Schnitzler Über die medizinisch-ärztliche Dimension im Leben Arthur Schnitzlers von Mag. Barbara Trieb

Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des IX. Bezirks...noch keine Antwort von der FPÖ, den Liberalen und der ÖVP erhalten. Vor dem Hintergrund eines „Jahres der Freiwilligen“,

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Page 1: Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des IX. Bezirks...noch keine Antwort von der FPÖ, den Liberalen und der ÖVP erhalten. Vor dem Hintergrund eines „Jahres der Freiwilligen“,

Das Heimatmuseum alsergrunD Mitteilungsblatt des Bezirksmuseums Alsergrund

AU ISSN 0017-9809

42. Jahrgang

164Mai 2001

Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des IX. Bezirks

Der arzt-Dichter arthur schnitzlerÜber die medizinisch-ärztliche Dimension

im Leben Arthur Schnitzlers

von Mag. Barbara Trieb

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Sehr geehrte Damen und Herren des Museumsvereines!

Die Arbeiten an den verschiedenen Pro-jekten des Bezirksmuseums gehen weiter, manche entstehen, manche schreiten voran, manche können abgeschlossen werden. Ein kurzer Überblick über die laufenden Projekte soll Ihnen einen Einblick in das Geschehen im Bezirksmuseum geben:

· Nach der Erfassung aller bestehenden Häuser des Alsergrundes und deren Dokumentation auf CD-ROM wird dieselbe Arbeit nun mit historischen Aufnahmen des Bezirkes betrieben. Damit machen wir einen weiteren Schritt in die Richtung zum „Virtuellen Museum“, das ja auch eine zentrale Idee des neuen Museumskonzeptes ist.

· Im Herbst erscheint ein Heft des nam-haften „Vereines für Geschichte der Stadt Wien“, in dem unser Bezirksmu-seum einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wird. Diese Ehre ist nicht zuletzt auch eine Botschaft an Sie, die Sie unsere Arbeit seit Jahr und Tag unterstützen!

· Und schließlich Schnitzler! Mit diesem Heft halten Sie den zweiten Teil einer fünfteiligen Arbeit über die Familie Schnitzler und ihrer Beziehung zur

Wiener Poliklinik in Händen. Vor allem natürlich Johann Schnitzler, der die Poliklinik mitbegründete und viele Jahre hindurch leitete, Julius, der hier jahrelang arbeitete und Arthur, der seine Ausbildung zum Teil hier erhielt und in der Poliklinik tätig war, bis er seine Zeit ganz und gar der Dichtung widmen musste. Das Schnitzler-Memorial wird Realität! Noch ist aber kein Zeitrahmen abzustecken, wann das neue Quartier bezogen werden kann, die Vorarbeiten sind jedenfalls in vollem Gange.

In diesem Zusammenhang ist aus Seoul eine erfreuliche Sendung eingetroffen: Frau Dr. A. Alexa Sekyra hatte dort eine Ausstellung organisiert mit dem Titel: Liebe und Tod in Wien um 1900 — „Arthur Schnitzler (1862-1931)“. Die Fotos für diese Schau wurden zum über-wiegenden Teil von der Familie Schnitzler zur Verfügung gestellt und sind Raritäten. Diese Fotos wurden uns nun als Dauer-leihgabe überlassen!

Wir danken Frau Dr. Sekyra und der Familie Schnitzler!

Dieser zukünftige Schnitzler-Raum wurde bereits konzipiert und wird im alten Bezirksmuseum (Währinger Straße 43) als Ausstellung ab 27. Juni zu sehen sein.

Ich lade Sie sehr herzlich zur Eröffnung dieser Ausstellung ein! Neben einer Lesung aus Schnitzlers Werk wird auch Frau Giuli-ana Schnitzler, die Urenkelin des Dichters, sprechen.

Wo: Bezirksmuseum Alsergrund, Währinger Straße 43

Wann: Di, 26. Juni 2001; 19:00 Uhr

Ihr Hans Benke,Präsident des Museumsvereines,

Bezirksvorsteher des Alsergrundes

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Zum GeleitWorte des Präsidenten des Museumsver-

eines ................................................2

Inhalt ....................................................3Nachtrag zu Heft 163 ...........................3

Der Arzt-Dichter Arthur Schnitzler ......4Über die medizinisch-ärztliche Dimen-

sion im Leben Arthur Schnitzlers, von Mag. Barbara Trieb

I. „Doktor zu werden wie der Papa...“ – Schnitzlers Werdegang zum Arzt ..4

II. „Denn Medizin ist eine Weltanschaung.“ – Schnitzlers Beziehung zur Medizin ............................9

III. „Meine Werke sind lauter Diagnosen“ – Zwischen Literatur und Medizin ...14

AUS JUNGEN JAHREN, Aus: Richard Specht: Arthur Schnitzler, S. Fischer 1922. ............................................... 12

Programmzettel zum Jubiläums-Festspiel

1886 ................................................. 13Leihgabe an das Bezirksmuseum

Alsergrund aus der Bild- und Hand-schriftenabteilung des Deutschen Lite-raturarchivs in Marbach a. N.

Verwendete Literatur ........................... 17 Fußnoten ............................................. 17

Impressum ............................................ 18

Einladung zur Eröffnung ...................... 20

Inhalt

Nachtrag zu Heft 163Im März schrieben wir:

Wir wollen nicht verschweigen, dass wir in den Vorplanungen der Übersiedlung auch Kontakt mit den politischen Parteien des Bezirkes aufgenommen haben und um Unterstützung bei der Einrichtung der Abteilung für Franz Schubert ansuchten (Post vom 8. Februar). Wir danken den Vertretern der SPÖ und der Grünen, für die eine solche Zusicherung eine Selbstverständlichkeit war. Leider haben wir bisher noch keine Antwort von der FPÖ, den Liberalen und der ÖVP erhalten. Vor dem Hintergrund eines „Jahres der Freiwilligen“, das immerhin die Vereinten Nationen erklärt haben, ist diese Haltung selbstbeantwortend. Wir werden Sie weiterhin über das Interesse bzw. Desinteresse der politischen Vertreter des Alsergrundes an seinem Heimatmuseum informieren.

Inzwischen hat uns ein Brief von Mag. Norbert Doubek erreicht, Bezirksrat des Liberalen Forums. Er tritt persönlich als förderndes Mitglied dem Museumsverein bei. Außerdem danken wir ihm für seine Anwesenheitsdienste im Bezirksmuseum an Sonntagen sehr herzlich.

Leider noch keine Antworten von ÖVP und FPÖ. Wir werden weiterhin informieren.

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i. „Doktor zu werDen wie Der PaPa...“ – scHnitzlers werDe-

gang zum arzt

„Arzt, Sohn und Enkel eines Arztes“ – diese Angaben genügen nicht, will man Arthur Schnitzlers Beziehungen zur Medi-zin hinreichend erfassen. Kein Schriftstel-ler der Moderne war in seinem Leben von frühester Kindheit an so von der Medizin bestimmt wie er. Und doch wurde er in seinem Elternhaus auch für die Literatur vorbereitet. „Zu Wien in der Praterstraße, damals Jägerzeile geheißen, im dritten Stockwerke ... kam ich am 15. Mai 1862 zur Welt; und wenige Stunden später, mein Vater hat es mir oft erzählt, lag ich für eine Weile auf seinem Schreibtisch ... diese Tatsache gab ihm immer wieder Anlass zu einer Prophezeiung meiner Schriftstel-lerischen Laufbahn, - eine Prophezeiung, die ... er keineswegs in ungeteilter Freude erleben sollte.“ (Jugend in Wien, S. 13)

Schnitzler entstammt einer Ärztefamilie. Die Atmosphäre des liberal-großbürgerli-chen Elternhauses war von der Medizin geprägt. Der Vater Johann Schnitzler war ein sehr bekannter Laryngologe. Vom Großvater mütterlicherseits, Philipp Mark-breiter, weiß man, dass er ein sehr ange-sehener praktischer Arzt gewesen ist. Die Tradition setzte sich fort: Schnitzlers um drei Jahre jüngerer Bruder Julius habi-litierte sich als Chirurg und wurde Pri-mararzt am Wiedner Krankenhaus im 4. Bezirk, und die Schwester Gisela war mit einem Mediziner, dem Laryngologen Marcus Hajek, verheiratet.1

Arthur Schnitzlers Leben verlief nach außen hin in scheinbar vorbestimmten Zügen: Es schien festgelegt, dass auch er den Weg eines Mediziners einschlagen

würde. „Schon als kleiner Bub hatte ich den Traum genährt, Doktor zu werden wie der Papa. [...] Im ernsteren Sinne freilich wirkten das Vorbild meines Vaters, mehr noch die ganze Atmosphäre unseres Hauses von frühester Jugend auf mich ein [...].“2 – Diese Stelle ist eine der ganz wenigen, in denen sich Schnitzler mit dem Arztberuf identifiziert (wenn auch aus Sicht des Kindes).

Die Kindheitseindrücke, die das Eltern-haus im jungen Arthur Schnitzler hinter-ließ, waren aber auch geprägt von den häufigen Besuchen vieler prominenter Theaterleute Wiens, die in Schnitzlers Werken einen reichen Niederschlag fan-den, und von der räumlichen Nähe zum Theater: „In den sechziger Jahren wohn-

Der arzt-Dichter arthur schnitzler

Über die medizinisch-ärztliche Dimension im leben arthur schnitzlers

von Mag. Barbara Trieb

Johann SchnitzlerDer Vater Arthur Schnitzlers war in Wien ein bekannter Laryngologe und hatte viele

Patienten aus der Bühnenwelt.

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Die Eltern

Louise Schnitzler, geborene Markbreiter (1840-1911)Dr. Johann Schnitzler (1835-1893)

mit ältestem Sohn Arthur (1862-1931)Fotografie 1862/63

Quelle: Familie Schnitzler

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ten meine Großeltern im Carltheaterge-bäude, so dass meine theatralischen Erleb-nisse schon aus diesem äußeren Grunde zu einer besonders frühen Epoche anhe-ben.“3

Seine theatralische Bildung erfuhr Schnitz-ler im Burgtheater – Adolf von Sonnenthal und Charlotte Wolter beispielsweise, aus der Reihe der größten Schauspieler dieser Zeit, waren Patienten von Johann Schnitz-ler und Freunde des Hauses Schnitzler geworden. Jener zog sie bei der Beurtei-lung der ersten schriftstellerischen Versu-che des Sohnes zu Rate, in einer Zeit, die noch nicht geprägt war von einer schier hoffnungslosen Konfliktsituation des jungen Dichters zu seinem Vater. „Am stärksten wurde meine Neigung zur Theaterspielerei jeder Art, bewusster und unbewusster, durch ziemlich häufigen Theaterbesuch, und dieser wieder durch die vielfachen ärztlichen und freund-schaftlichen Beziehungen meiner Vaters zur Theaterwelt gefördert.“4 Ab Herbst 1871 besuchte Schnitzler das Akademi-sche Gymnasium am Beethovenplatz und schloss seine Schullaufbahn am 8. Juli 1879 mit einer ausgezeichneten Reifeprü-fung ab.

Unter dem Einfluss der väterlichen Auto-rität wandte er sich nach der Matura

dem Studium der Heilkunde in Wien zu. „[Es] ergab sich als ganz verständlich, dass ich mich im Herbst 1879 an der medizinischen Fakultät der Wiener Uni-versität immatrikulieren ließ. Eine wirkli-che Begabung oder nur ein auffallendes Interesse nach der naturwissenschaftli-chen Seite hin war bis zu diesem Moment keineswegs bei mir zu konstatieren gewe-sen.“5 Bereits nach einem Monat musste er feststellen: „Ich fühl‘ es schon, die Wissenschaft wird mir nie das werden, was mir die Kunst jetzt schon ist.“6

Das Medizinstudium der damaligen Zeit dauerte fünf Jahre mit einer Mindestzahl von zehn Wochenstunden je Semester. Es schrieb die Teilnahme an Sezierü-bungen (über zwei Semester) und den Besuch internistischer (über vier Semes-ter), chirurgischer (ebenfalls vier Semes-ter), ophthalmologischer7 und geburts-hilflicher (je ein Semester) Vorlesungen vor. Das Bestehen von drei Rigorosen berechtigte zum Erhalt der Doktorwürde und zur Praxis.

Am Studium nahm Schnitzler zumeist nicht besonders intensiv teil. In seinem Tagebuch schreibt er, dass er „monate-lang den ganzen Vormittag verbummelt“8 oder „das Studium wieder sehr vernach-lässigt“9 habe. Er betrachtete seine Stu-

Aus: Klinischer Atlas der Laryngologie.Herausgegeben von Johann Schnitzler unter Mitarbeit von Dr. M. Hajek (Schwager Arthurs) und Arthur Schnitzler

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dienzeit teils mit scheinbarer Läs-sigkeit („Warf ein, zwei Blicke in Hufeland´s Makrobiotik. Da müsst man ja vor lauter Vorsicht ein Hun-deleben führen.“10), teils mit einem gewissen Zynismus („Ich bin im Secirsaal gewöhnlich sehr gesprä-chig und gut gelaunt.“11), teils iro-nisch gefärbt: Seine Seele sei „wie ein Rhizopodon.12 – Sie steckt Fort-sätze aus und zieht sie wieder ein – ins Ideale und wieder zurück.“13 Im Verlauf des dritten Studienjahres, mit Beginn der klinischen Vorle-sungen, begannen sich seine hypo-chondrischen Ängste zu verstär-ken. „Leide in der letzten Zeit an hypochondrischen Anwandlungen; hoffe, es ist das eine rein ,drittjäh-rigen‘ Erscheinung.“14

Nach abgelegtem erstem Rigoro-sum begann der praktische Teil der Ausbildung, dessen erstes Jahr Schnitzler als Einjährig-Freiwilli-ger im Corps der militärischen Ele-ven im Garnisonsspital Nr. 1 (9, Van Swietengasse 1) ableisten musste. Sein Dienst begann am 1. Oktober 1882. Die ersten zwei Monate war er dem Leichenhof zugeteilt. Die restliche Zeit bis zum 30. Sep-tember 1883 versah er den Dienst meistens auf internen Abteilungen. Aus seiner Unlust machte er kein Geheimnis: „Täuschen wir uns nicht: die Medicin ist mir nun gerade aus zuwider. Ich empfinde eine Art Ekel, wenn ich in das Garnison-spital hineingehe.“15 Jene Zeit verbrachte Schnitzler häufig im Kaffeehaus, auf der Pferderennbahn oder im Bemühen um das weibliche Geschlecht – und umso weniger auf der Universität.

Seine letzen beiden Semester standen ganz im Zeichen der Vorbereitung des zweiten und des dritten, abschließenden Rigorosums. Das zweite bestand er im Oktober und November 1884 „mit sehr gutem Erfolge“16. Das dritte dauerte von Jänner bis Mai 1885, und am 30. Mai 1885 promovierte er schließlich zum Dok-

tor der gesamten Heilkunde. Er befand sich damals im großen Zwiespalt, weil er sich noch nicht getraute, sich ausschließ-lich dem Schreiben zuzuwenden.

Im September 1885 war Schnitzler Aspi-rant in der Abteilung für Innere Medizin bei Primarius Standthartner des k.k. All-gemeinen Krankenhauses (9, Alser Straße 4) in Wien. Die Tätigkeit eines Aspiran-ten bestand vor allem in der Untersu-chung von Patienten, der Verfassung ihrer Krankengeschichten und der Teilnahme an Visiten. Im Oktober desselben Jahres begann er zusätzlich eine Hospitanz in der Abteilung für Nervenpathologie der Poli-klinik (9, Mariannengasse 10) bei Profes-sor Moritz Benedikt. Ab 1. November 1886 arbeitete Schnitzler als Sekundararzt

Arthur Schnitzler etwa 1882

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auf der Abteilung für Psychiatrie bei Pro-fessor Theodor Meynert. Die Arbeiten des berühmten Psychiaters erweckten bei ihm großes Interesse. Schnitzler beschäftigte sich mit dem Zusammenhang zwischen Dichtung und Wahnsinn. Er erkannte eine Wechselwirkung zwischen der Krankheit selbst und den sozialen Bedingungen see-lischer Erkrankungen. „Die Ödigkeit der Existenz jagt die armen Teufel in die Schnapsboutique ... und dann jagt sie der Schnaps in den Irrsinn – zu uns.“17

Zu dieser Zeit begann er auch, regelmä-ßig Gedichte, Prosastücke, Skizzen und Aphorismen in Zeitschriften (z. B. Deut-sche Wochenzeitschrift oder An der schö-nen blauen Donau) zu veröffentlichen. Gelegentlich vertrat er seinen Vater in dessen Privatpraxis: „Theuerster Papa! – Heute habe ich Dir bereits von neuen Patienten zu vermelden. Gestern erschien ein blutleerer, magen- und lungenleiden-der Friseurgehilfe [...]. Der erste Patient, der heute eintrat, gleichfalls ein neuer, machte, als er meiner ansichtig wurde, ein schauderhaft blödes Gesicht; [...] ich, die Bedeutung dieses Gesichtes nur allzu gut kennend, erwiderte auf diesen stummen Ausdruck der Enttäuschung sofort: ,Der Professor kommt erst Ende der Woche [...]‘.“18

Ab 1. Jänner 1887 war Schnitzler Sekun-dararzt II. Klasse am Allgemeinen Kran-kenhaus bei dem Internisten Leopold von Schrötter und ab 1. April 1887 bei dem Dermatologen Isidor Neumann (Abteilung Hautkrankheiten und Syphilis). Ebenso war er ab diesem Zeitpunkt bei der Inter-nationalen Klinischen Rundschau, die sein Vater als Nachfolgezeitschrift der Wiener Medizinischen Presse gegründet hatte, als Redakteur tätig. Am 1. Jänner 1888 wechselte Schnitzler auf die chirurgische Abteilung von Professor Joseph Wein-lechner. Im Frühjahr und Sommer 1888 begab er sich zu Studienzwecken nach Berlin und London. Aus London verfaßte er für die medizinische Zeitschrift seines Vaters textliche Stimmungsbilder seiner Eindrücke: „Wenn man zur Mittagszeit durch den St. James-Park spaziert, der,

zwischen Piccadilly und Westminster gele-gen, einen der vornehmsten Gärten der Residenz vorstellen sollte, sieht man auf den Wiesen hingestreckt eine ganze Menge der abenteuerlichsten Gestalten sich son-nen, zerlumpte, arbeitslose, hungernde, ausgestoßene Leute [...].“19

Im Herbst 1888 begann Schnitzler, gedrängt und gefördert vom renommier-ten Vater, seine Laufbahn als Assistenzarzt des Vaters in der Abteilung für Laryngo-logie und Rhinologie20 in der Poliklinik, wo er praktisch und wissenschaftlich tätig war. Daneben eröffnete er eine – wenn auch nur sehr wenig besuchte – Privat-praxis am Burgring 1. An der Poliklinik beschäftigte er sich unter der Regie des Vaters unter anderem mit Neurosen des Larynx und führte hypnotische Versuche durch. Er veröffentlichte mehrere Aufsät-ze in den Fachblättern und dichtete neben-her. 1889 publizierte er in der Internatio-nalen Klinischen Presse (3. Jahrgang) den Artikel „Über funktionelle Aphonie und ihre Behandlung durch Hypnose und Sug-gestion“. Zwischen 1886 und 1893 veröf-fentlichte Arthur Schnitzler über siebzig medizinische Artikel.21

In diesen Jahren erreichte die wissen-schaftliche Arbeit Schnitzlers ihren Höhe-punkt. Die Behandlung nicht organischer, also psychisch bedingter Störungen durch Hypnose beanspruchte sein Interesse: „Vom ärztlichen Standpunkt die erfreu-lichste Leistung war es gewiß, wenn ich zum Beispiel, ohne mein Medium in Schlaf zu versetzen, einfach durch Aufforderung partielle Anästhesie herbeizuführen ver-mochte, so dass schmerzlose kleine Ope-rationen in Kehlkopf und Nase, in einem Fall sogar schmerzlose Zahnextraktionen, möglich wurden. Anregender, aber ohne erhebliche Bedeutung für die Medizin war es, wenn ich mein Medium im hypnotischen Zustand allerlei Situationen und Empfin-dungen durchleben ließ [...].“22 Nun war zwar die Hypnose gerade eine medizini-sche Modeströmung, und es wurde kaum ein Hehl gemacht aus der Lust an der Manipulierbarkeit der Patienten. So war

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es für Schnitzler als Arzt charakteris-tisch, dass ihn dieser Umstand „veran-laßte, meine Experimente für die größere Öffentlichkeit einzustellen, [...] und als ich überdies zu merken glaubte, daß gera-de meine interessantesten Medien durch die Wiederholung der Versuche nicht nur in ihrer Willenskraft, sondern auch in ihrer körperlichen Gesundheit geschädigt wurden, stand ich von weiteren Experi-menten rein psychologischen Charakters ab und wendete die Hypnose nur noch fallweise, fast ausschließlich zu festum-rissenen Heilzwecken an.“23 Doch ver-mochte auch dieses ernste Interesse nicht dauerhaft ein positiveres Verhältnis zu seinem Beruf zu festigen. „Das aufstehen des morgens, das in den Hals schauen – halt es eben aus, weil ichs aushalten muss, es ist aber entsetzlich.“24

Die Laryngologie als Spezialfach füllte Schnitzler also nicht aus. So hielt er zwischen drei und fünf Uhr nachmittags Sprechstunden ab, wo er sich auch mehr der Allgemeinmedizin und der inneren Medizin zuwandte. Sehr groß war seine Patientenschaft allerdings nie, und Schnitzler war froh, wenn er, anstatt Rezepte schreiben zu müssen, seiner lite-rarischen Intuition nachgehen konnte.

Gemeinsam mit dem Vater und seinem Schwager Markus Hajek gab er 1895 (zwei Jahre nach dem Tod des Vaters erschie-nen) den Klinischen Atlas der Laryngo-logie und Rhinologie nebst Anleitung zur Diagnose und Therapie der Krankheiten des Kehlkopfs und der Luftröhre, der Nase und des Nasenrachenraumes heraus. Mit dem Tod des Vaters am 2. Mai 1893 fühlte sich Schnitzler der Medizin nicht mehr so verpflichtet; er schied aus der Poliklinik aus und eröffnete eine Privat-praxis in der Frankgasse 1 im 9. Bezirk, mit sehr mäßigem Patientenzulauf. Er widmete seine Zeit vor allem dem Schrei-ben – die Literatur ließ ihm keine Zeit mehr für eine intensivere Beschäftigung mit der praktischen Medizin.

Am 12. Juli 1894 lernte Schnitzler die

Univ. Prof. Dr. Marcus HajekSchwager Arthur Schnitzlers

dreiundzwanzigjährige Marie Reinhard kennen, die mit Halsschmerzen in seine Praxis kam. Es entwickelte sich eine Lie-besbeziehung. Im Herbst 1897 wurde ihr gemeinsamer Sohn tot geboren. Am 18. März 1899 starb Marie an den Folgen einer Sepsis nach einem Blinddarmdurch-bruch. Um die Jahrhundertwende betreu-te Schnitzler fast keine Patienten mehr, er widmete sich fast ausschließlich der Schriftstellerei. 1902 stellte er die Tätig-keit als praktizierender Arzt gänzlich ein.

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„Ein als Witzbold bekannter ärztlicher Kollege sagte einmal zum Dichter Arthur Schnitzler: ,Ich wundere mich nicht, daß du ein großer Dichter geworden bist. Hat doch schon dein Vater seinen Zeitgenos-sen den Spiegel vorgehalten.‘“25 Mit die-sem Beispiel illustrierte Sigmund Freud seine Theorie des Witzes, der auf der Doppeldeutigkeit von Wörtern beruht. So wie der Kehlkopfspiegel (das Laryngo-skop) das Instrument für die Untersu-chungen des Vaters war, so verwendete sein Sohn die Literatur als „Spiegel“ im metaphorischen Sinn.

– Wir wollen im folgenden Schnitzlers Beziehung zur Medizin einer etwas nähe-ren Untersuchung unterziehen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelangte die „Wiener medizinische Schu-le“ zu Weltruhm. Der Hauptgrund dafür lag in der Anwendung des naturwissen-schaftlichen Prinzips, wonach die Ursa-

chen für alles in nachprüfbaren Experi-menten zu ermitteln sind. Zur gleichen Zeit, wo anderswo in Europa noch mit Magie gearbeitet wurde, entwickelten sich in Wien immer zahlreichere Spezialgebie-te. Im Fall von Arthur Schnitzlers Vater war dies die Laryngologie; auf diesem Gebiete hatte er es zu internationalem Renommee gebracht.

Die Meinung des Vaters, dass die Lite-ratur maximal eine Nebenbeschäftigung sein könnte, setzte sich zunächst auch beim Sohn durch. Schnitzlers Studienzeit und seine praktische Tätigkeit als Arzt waren aber geprägt von einer inneren Zer-rissenheit. Er schwankte zwischen dem sehr seltenen Interesse an der Medizin und seiner deutlichen Antipathie. „Ich bin mit der Medizin innerlich fertig. Ich weiss – etwas spät – tauge absolut nicht dazu. Mich ekelt vor den Patienten, vor den Collegen, vor allem, was mich an den Beruf erinnert.“26 Als schmerzlich emp-

ii. „Denn meDizin ist eine weltanscHauung.“ – scHnitzlers BezieHung zur meDizin

Laryngoskop und Stirnspiegel

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Arthur Schnitzler als junger Arzt (Fotografie um 1885)Quelle: Familie Schnitzler

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Zeitungsabbildung: Der Pathologe Salomon Stricker war Lehrer Arthur Schnitzlers

Jeanette Heeger 1887

Tagebucheintragung aus 1887:„Am 5. September verfolgte ich im Verein mit Kuwazl [Richard Tausenau] ... ein junges Mädchen - Sie frappierte mich durch ihre Art zu reden und gefiel mir ausnehmend. Sie wurde zwei Tage darauf meine Geliebte und fesselte mich durch ihre überzeugende Sinnlichkeit, durch ihren Mutterwitz und manches andre. Wir attachierten uns enorm, und wenn wir einen Tag nicht beisammen sind, so spüren wirs schon.“

Jeanette Heeger war von Beruf Kunststickerin; sie wohnte mit drei Schwestern in einer Vorstadtwohnung, die Arthur Schnitzler ärmlich erschien. Sie ist ein Frauentyp, der bald mit dem Etikett „Süßes Mädel“ versehen wird. In den Briefen der beiden geht es nicht um Literatur, sondern um Liebe, Eifersucht und um Verabredungen im eigens gemieteten Zimmer.

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fand er die Diskrepanz zwischen seiner künstlerischen Sehnsucht und der berufli-chen Notwendigkeit.

Als sich Schnitzler im 6. Semester befand, überkamen ihn massive Zweifel und Ängs-te. Die Kenntnis über viele Krankheitsbil-der verunsicherte, ja bedrohte den Medi-zinstudenten, weil „sie in seinen Augen jede naive Lebensfreude zerstörte.“27 Hier machten sich erste hypochondrische Ten-denzen bemerkbar, die Schnitzler mit den Jahren zunehmend quälten. Auf der ande-ren Seite konnte er mit dem Studium sei-nem leidenschaftlichen Interesse am Men-schen Rechnung tragen. Denn er glaubte offenbar, dass sich wirkliches Wissen nur auf dem naturwissenschaftlichen Weg der Medizin erlangen lasse und nicht mit den Methoden der Geisteswissenschaft wie zum Beispiel der Philosophie, Religion oder Geschichte.

Schnitzler hörte bei Professoren Vorlesun-gen, die heute noch einen legendären Ruf besitzen: Chirurgische Klinik bei Theodor Billroth, Pathologie bei Salomon Stricker (er verwendete als erster Projektionsap-parate im Hörsaal) oder Physiologie bei Ernst Wilhelm von Brügge. Schnitzler kannte die „Physiologie d´amour“ aus Vorlesungen – selbst hatte er ein recht unkompliziertes Verhältnis zur körperli-chen Liebe, auch wenn er wusste, dass „zugleich mit uns und unsern Genüssen die giftige Natter ihr Bett hegt.“28 In sei-nem Tagebuch führte er übrigens zeitwei-se eine „Beischlafstatistik, die erstaunli-che Zahlen aufweist“29.

1889 veröffentlichte Schnitzler in der Internationalen Klinischen Rundschau einen Aufsatz, in dem er sowohl die natur-wissenschaftliche, als auch die ethische Komponente der Medizin zur Sprache bringt. Er befürchtete, dass Humanme-dizin und humane Medizin in Zukunft auseinanderklaffen könnten: „Denn wir zweifeln keinen Augenblick, daß man auch im nächsten Jahre neue Bazillen und neue Medikamente entdecken wird. [...] Wir werden auch im nächsten Jahre viele

große Ärzte unter uns haben – aber wir fürchten, nur wenig große Menschen.“30

In seiner ärztlichen Tätigkeit an der Poli-klinik untersuchte Schnitzler mit Hilfe des Laryngoskops jene unerklärlichen, hys-terisch bzw. funktionell genannten Läh-mungserscheinungen der Stimmlippen, die Aphonie31 bewirken. Er versetzte seine Patientinnen in Hypnose und suggerierte ihnen die Heilung, was oftmals gelang. So wie Freud interessierte er sich für jene Problemzone, in der die allgemeine Lehr-meinung, dass das Psychische durch das Physische determiniert sei, ins Wanken geriet. Denn das Beispiel, dass die Apho-nie, also eine sichtbare körperliche Läh-mung, nur durch Zureden verschwand, ließ sich nicht mit dem Bild der Allge-meinmeinung vereinbaren.

Seinen medizinischen Studien verdankte der Schriftsteller besonders die Fähigkeit zur nüchternen und vorurteilsfreien Beo-bachtung. Gefühlsbeladene und patheti-sche Stoffe behandelte er in seinen Wer-ken nie sentimental oder moralisierend – nicht zuletzt deswegen sind sie bis heute modern geblieben.

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AUS JUNGEN JAHREN

Arthur Schnitzlers Anfänge und seine Entwicklung... das sollte ich schön histo-risch und psychologisch der Reihe nach erzählen. Und kann es nicht: so stark überflutet mich die Erinnerung an junge Zeiten und so wechselvoll schieben sich Bilder auf Bilder durcheinander. Ich sehe die Räume noch vor mir, in denen ich Schnitzler vor mehr als dreißig Jahren kennenlernte; sehe in den abgedunkel-ten, teppichreichen, von schweren Möbeln patrizisch überladenen Zimmern meiner Verwandten eine seltsam aus Börse, Wis-senschaft und Kunst gemischte Abend-gesellschaft, die gekommen war, um ein Lustspiel des Haussohnes zu hören, in dem Arthur Schnitzler den Liebhaber spielte. Ich weiß nicht mehr, ob er gut gespielt hat; sicherlich hat er Ernst Hartmann kopiert - denn das tat er unbewusst, auch ohne The-ater zu spielen. Aber ich entsinne mich noch genau seiner Erscheinung im schmu-cken lichtblauen Waffenrock des Militär-arztes, dessen feines, edel geschnittenes Gesicht mit dem goldblonden Schnurr-bart und der melancholischen hellbrau-nen Stirnlocke sich von dem schwarzen Samtkragen pastellhaft zart abhob; sehe ich ihn lässig flirtend, ein wenig blasiert, ein wenig weltschmerzlich und gar nicht wenig affektiert - und all das wie wegge-wischt, wenn sein herzliches Knabenla-chen (das er heute noch hat) den ganzen Menschen plötzlich hell und jung machte. Von seinen dichterischen Versuchen aber wussten die wenigsten, und wo man es wusste, wurden die ortsüblichen Scherze über den poetisch dilettierenden jungen Arzt aus guter Familie verübt, der ja schon deshalb kein wirklicher Dichter sein konnte, weil er für die Freuden des Mon-dänen beinahe so zugänglich war, wie eine Gestalt von Arthur Schnitzler. Aber das konnte man damals freilich noch nicht wissen ...

Und ich sehe uns alle in dem rauchigen, durchlärmten, mattbeleuchteten Zimmer im Café Griensteidl sitzen; dieses alten, jetzt schon lange verschwundenen Kaffee-

hauses, das von witzigen Rezensenten, fin-gerfertigen Satirikern und oberflächlichen Betrachtern aus dem „Reich” geraume Zeit hindurch als das Wahrzeichen der jungwiener Literatur ausgegeben und - belächelt wurde; - nicht ohne damit dieser ganzen Literatur das Stigma des Kaffee-hausmäßigen aufzubrennen, Größenwahn und gegenseitige Ruhmesversicherung bei recht mangelhaftem oder doch schwächli-chem Talent als die Hauptmerkmale ihrer Vertreter zu dekretieren. Es war ein Unwahrzeichen, hatte mit dem Wesen der paar echten Menschen gar nichts zu tun, die sich abends gerne dort trafen und die einander wahrhaftig eher durch schonungslose Sachlichkeit entmutigten als sich durch wechselseitige Lobpreisung emporzuhimmeln. ...

Ich sehe noch die beiden getrennten Lager vor mir; an dem einen Tisch Hermann Bahr, den Rufer der Jugend, den ewig „Morgigen”, sprühend vor Leben, Kraft und Übermut , etwas Quartier Latin, etwas Daudet, ganz Hermann Bahr, der Öster-reicher; den ganz jungen Hugo von Hof-mannsthal, der sich damals gern Loris oder Theophil Morren nannte, pagenhaft dantesker Theresianist, altklug und kind-lich zugleich, in innerer Fülle leuchtend, von jungem Ruhm angeglüht; Arthur Schnitzler, reifer und ein wenig älter als die anderen, aus inneren Krisen in schönste Klarheit schreitend, seines wahren Wesens eben bewusst werdend, aus feinem Amateurtum zur Sicherheit seiner wachsenden Künstlerschgft anstei-gend; Richard Beer-Hofmann, der damals eine Art wienerischer Oscar Wilde war, sein Dichtertum hinter funkelnden Para-doxen ...maskierend; Felix Salten, der gerade damals mit seiner ungestümen Energie in diese Welt einbrach und alles an sich riss, Arbeit, Menschen, Bücher, um es nicht wieder loszulassen, lernend und ergiebig zugleich, immer wie zum Box-kampf mit dem Leben bereit und immer stark genug, es in die Knie zu brechen;

Aus: Richard Specht: Arthur Schnitzler, S. Fischer 1922, S. 31 f.

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Programmzettel zum Jubiläums-Festspiel 1886Am 6. Jänner 1886 wurde dieses Schnitzler-Stück zu Ehren des 25. Promotionsjubiläums des Vaters - Johann Schnitzler - aufgeführt.

Leihgabe an das Bezirksmuseum Alsergrund aus der Bild- und Handschriftenabteilung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach am Neckar.

Dank an Ulrich von Bülow für seine freundliche Unterstützung.

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iii. „meine werke sinD lau-ter Diagnosen“ – zwiscHen

literatur unD meDizin

Arthur Schnitzler begann zu schreiben, um sich von den Bindungen seiner Herkunft, vom Beruf und von moralischen Vorurtei-len zu befreien. Mehr noch: Diese Zwän-ge waren notwendig, um ihn zum Schrei-ben zu bringen. Doch zunächst waren sie ihm hinderlich. Der junge Schnitzler stand nämlich vor der paradoxen Situati-on, dass auf der einen Seite die ästhetische Erziehung im akademisch-liberalen Groß-bürgertum (Theaterbesuche, musikalische und dichterische Förderung) sehr bedeu-tend, aber andererseits die künstlerisch-kreative Betätigung als Beruf unmöglich war.

Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr hat Schnitzler bereits dreiundzwanzig Dramen vollendet und dreizehn weitere begon-nen.32 Anfangs war das Schreiben eine Freude für ihn, noch keine unbedingte Not-wendigkeit. Je größer aber die Hindernis-se wurden, desto stärker wurde der Wille, diese zu überwinden und im Schreiben darzustellen und zu reflektieren. Wider-willig begann Schnitzler Medizin zu stu-dieren, widerwillig übte er seinen Beruf als Arzt aus und sehr widerwillig fügte er sich dem Willen des Vaters. Immer wieder beklagte der Tagebuchschreiber sein Schwanken zwischen Medizin und Literatur.

Schnitzler war der Medizin stets mehr im Geistigen als im Praktischen verbunden. Von seinem Vater wurde er bezüglich seiner schriftstellerischen Neigungen und Talente nicht verstanden. Dieser stand den diesbezüglichen Versuchen seines Sohnes skeptisch gegenüber, vor allem, als sich herausstellte, dass sie für den jungen Arzt zunehmend wichtiger wurden als seine medizinische Praxis. So kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Vater und Sohn, die sich bis zum Tod des Vaters nicht beilegen ließen. Am 18. August 1889 schreibt Schnitzler: „Aber ich habe

die ganze Zeit über nur mit Schaudern – nein, doch mit Widerwillen an meinem erwählten medizinischen Beruf gedacht. Und soll noch arbeiten! wissenschaftlich! Nie werd ich da was zu Stande bringen. Ein elender Winter liegt vor mir!“

Dennoch blieb Schnitzler lebenslang mit dem Arztberuf verbunden – Olga Schnitz-ler, seine Frau, erinnert sich an die von Arthur Schnitzler ausgesprochenen Worte: „Wer je Mediziner war, kann nie aufhö-ren, es zu sein. Denn Medizin ist eine Weltanschauung.“33

Ab 1890 wurde für Schnitzler immer deutlicher, dass nicht die Medizin, son-dern das Schreiben seine Berufung war und er sich aus den Fesseln seiner Umge-bung lösen müsste. Auch wenn er noch jahrelang seine ärztliche Tätigkeit ausüb-te, dürfte bereits in diesem Jahr seine Entscheidung für die Literatur gefallen sein.

Neben seiner persönlichen Befreiung und der Veränderung seines Lebensweges stell-te Schnitzler die Lebensweise der Wiener Gesellschaft der 90er Jahre in seinen Werken diagnostisch dar. Er beschrieb die vorherrschende Moral als hedonis-tisches Patriarchat, von dem er selbst beherrscht wurde. Schnitzler brachte per-sönliche Probleme, die zugleich Schwie-rigkeiten seiner Zeit waren, in sein Werk ein und versuchte, sie einer Lösung anzu-nähern, was auch sein privates Verhalten nachhaltig beeinflusste.

Nachdem Schnitzler ab 1891 für seine literarische Tätigkeit öffentlich Anerken-nung erntete, bedeutete aber der große Erfolg bei der Uraufführung der Liebelei am 9. Oktober 1895 den endgültigen Durchbruch für Schnitzler und begründete seinen schriftstellerischen Ruhm.

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Marie (Mizi) Glümer, die Arthur Schnitzler 1889 als Patientin kennengelernt hatte und die bald darauf seine Geliebte wurde. Da sie nicht mehr „unberührt“ war, kam eine Ehe nicht in Frage. Mit ihr verband ihn eine äußerst leidenschaftliche und wech-selvolle Beziehung. Gleichzeitig schrieb er sich diese Probleme im „Märchen“ von der Seele. „Sonderbar mit dem Mär-chen. Es behandelt mit geringen Abwei-chungen im Tatsächlichen psychologisch mein Verhältnis zu Mizi. Endet schlecht. - Wie wird´s in Wirklichkeit?“ (Tagebuch 1879-92, S. 317)

Als Schnitzler Ende März 1893 entdeckte, dass Mizi Glümer ihm untreu geworden war, trennte er sich nach heftigen szenen von ihr. Nun meinte er, im Drama sein „Schicksal vorausgeahnt“ zu haben.

Sie, von der er (12.4.1889) schrieb, sie sei das „Süßeste und Traurigste, was mein Herz bisher ausgestanden hat“ diente ihm als Anregung für viele seiner Gestalten,

etwa Der Fanny Theren im Drama „Das Märchen“.

Die Uraufführung des Stückes fand am 1. Dezember 1893 im Wiener Volksthea-ter statt. Obwohl die Rolle der Fanny Theren von der berühmten Schauspielerin Adele Sandrock gespielt wurde, war der Anklang eher mäßig. 3. Akt viel Zischen, eiserner Vorhang fiel rasch auf Zeichen der Direktions-Loge (Tagebuch 93-1902, S. 22).

Nach der Premiere machte Adele Sandrock, die ja seine frühere Geliebte zu spielen hatte, den jungen Autor zu ihrem Geliebten. Diese Beziehung, die voller Theatralik war, dauerte fünfzehn Monate. In Liebelei spielte die Sandrock, die inzwischen am Burgtheater engagiert worden war, die weibliche Hauptfigur.

Auf der roten Schärpe, die A. Schnitzler zur Erinnerung an diesen Erfolg erhielt, stand: Liebeleien nie Märchen.

Adele (Dilly) Sandrock

Marie (Mizi) Glümer Foto Fam. Schnitzler

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Im Herbst 1896 musste Schnitzler die Erscheinungen des Alterns am eigenen Leib kennenlernen: „Ich werde langsam ein alter Junggeselle.“34 Seit dieser Zeit setzte ihm ein Gehörleiden zu, das sich zu Beginn als Ohrensausen manifestierte und sich im Laufe der Jahre zu einem per-manenten, unerträglichen „Vogelgezwit-scher“35 steigerte, was nicht nur Theater-besuche und Musikhören, sondern auch ganz einfache Gespräche mühsam mach-te.

Aus Schnitzlers Werk liest man auch immer wieder Kritik an der Gesellschaft und am Arztberuf per se heraus. Schnitzler kritisierte unter anderem die Unkenntnis auf dem Gebiet der psychischen Krank-heiten, die von vielen Ärzten nicht ver-standen und deswegen nicht ernst genom-men wurden. Dahingegen stellte er die Erfolge in der Medizin der „Wiener Schu-

le“, geprägt durch den Positivismus, nie-mals in Frage. In einem Brief an Olga Waissnix schreibt er: „Und glauben Sie, wie ich heute von Koch´s großartiger Entdeckung in der Zeitung las – dass mir die Thränen in die Augen kamen, dass ich mühselig ein gerührtes Schluchzen unterdrückte?“36

Bei dieser neuen Entdeckung handelte es sich um ein Therapeutikum, Kochin genannt, das zumindest im Tierversuch die Tuberkulose aufhalten sollte.37

Jedoch entging ihm als kritischem Betrach-ter nicht, dass so manch großartige Leis-tung andere Gebiete der Medizin ins Hintertreffen führte, wie zum Beispiel die Psychiatrie und Psychologie. Solche Zurücksetzungen alles Psychischen wur-den in den literarischen Texten immer wie-der aufgegriffen, z. B. in Paracelsus oder Doktor Gräsler, Badearzt. Vernachlässi-gung alles Psychischen in der Gestalt des Arztes und Verstrickungen in das Gesell-schaftsleben sind in Schnitzlers Traumno-velle (verfilmt 1999 durch Stanley Kubrick mit Tom Cruise und Nicole Kidman: „eyes wide shut“),so sehr miteinander verwoben, dass sie kaum getrennt werden können. In der Personalunion steht für Schnitzler der Dichter über dem Arzt, und auch betrachtet er jenen im Hinblick auf das Feld des Unbewußten als den Kundi-geren. Schnitzler hinterließ mit seinen Werken auch eine wahre Fundgrube an Diagnosen, Symptomen, Krankheitsbil-dern, Behandlungsvorschlägen – er hin-terließ nicht nur ein medizinhistorisches Zeugnis, sondern vor allen Dingen ein literarisches Werk von international aner-kannter Qualität.

Er selbst sah sich Zeit seines Lebens als Naturforscher, der Diagnosen schrieb.

„Ich würde mich nie langweilen, wenn ich der letzte lebende Mensch in der eisigen Einsamkeit des Nordpols wäre. Man kann immer denken. Denken ist die gesündeste Übung.“38

Olga Waissnix,die angebetete Wirtin vom Thalhof - mit

einem eifersüchtigen Ehemann im Hintergrund

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Verwendete literatur

Bötticher, Dirk von: Meine Werke sind lauter Diag-nosen. – Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 1999

Braunwarth, Peter Michael u. a.: Arthur Schnitzler. Materialien zur Ausstellung der Wiener Festwochen 1981. – Wien: Arthur Schnitzler-Institut 1981

Bülow, Ulrich von: „Sicherheit ist nirgends“. Das Tagebuch von Arthur Schnitzler. – Marbach am Neckar 2000. (=Marbacher Magazin 93/2001)

Czeike, Felix: Historisches Lexikon Wien. – Wien: Kremayr und Scheriau 1997

Kerner, Dieter: Der Arzt-Dichter Arthur Schnitzler. Aus: Materia Therapeutica, Folge 3, Wien 1966

Luprecht, Mark: “What people call pessimism“. The impact of the medical faculty of the university of Vienna on the world-views of Sigmund Freud and Arthur Schnitzler. - The Florida State Univ. 1986

Müller-Seidel, Walter: Arztbild im Wandel. – Mün-chen: Verlag der bayrischen Akademie der Wissen-schaften 1997

Nickl Therese, Schnitzler Heinrich: Liebe, die starb vor der Zeit. – Wien, München, Zürich: Verlag Fritz Molden 1970

Pschyrembel, Willibald: Klinisches Wörterbuch. – Berlin, New York: Walter de Gruyter Verlag 1986

Scheible, Hartmut: Schnitzler. – Reinbeck: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1978

Schindler, Barbara: Das Leben und Werk von Arthur Schnitzler in den Medien seiner Zeit. – Wien 1994

Schnitzler, Arthur: Jugend in Wien. Hg. v. Therese Nickl und Heinrich Schnitzler. – Wien, München, Zürich: Verlag Fritz Molden 1968Schnitzler, Arthur: Tagebuch. 1879-1892. – Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissen-schaften 1987

Schnitzler, Arthur: Tagebücher. – Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2000

Schnitzler, Heinrich; Brandstätter, Christian; Urbach, Reinhard: Arthur Schnitzler. Sein Leben. Sein Werk. Seine Zeit. – Frankfurt am Main: Fischer 1981

Fußnoten

1 Man könnte das fortsetzen: Auch Schnitzlers Neffe, der Sohn seines Bruders, wurde Arzt, und seine Nichte, Tochter des Bruders, heiratete ebenfalls einen Arzt.2 Schnitzler 1968, S. 933 ebendort, S. 194 ebendort, S. 275 ebendort, S. 936 Tagebucheintragung 27. 10. 18797 Ophthalmologie = Augenheilkunde (nach: Pschy-rembel 1986, S. 1209)8 Tagebucheintragung 11. 6. 18819 Tagebucheintragung 16. 5. 188310 Tagebucheintragung 21. 6. 188011 Tagebucheintragung 14. 4. 188012 Rhizopodon = Wurzelfüßler (nach: Pschyrembel 1986, S. 1456)13 Tagebucheintragung 18. 3. 188014 Tagebucheintragung 7. 4. 188215 Tagebucheintragung 22. 12. 188216 Tagebucheintragung 28. 11. 188417 zitiert nach: Scheible 1978, S. 30. Vgl. auch: Nickl, Schnitzler 1970, S. 50, wo Schnitzler in einem Brief an Olga Waissnix vom 12. 11. 1886 die Zustände auf der Psychiatrie beschreibt.18 zitiert nach: Heinrich Schnitzler u. a. 1981, S. 5219 zitiert nach: ebendort, S. 5120 Rhinologie = Nasenheilkunde (nach: Pschyrembel 1986, Seite 1455)21 vgl. Bötticher 1999, S. 5122 Schnitzler 1968, S. 31923 ebendort, S. 31924 Tagebucheintragung 13. 11. 189025 Bülow 2000, S. 726 Tagebucheintragung 17. 1. 189027 Bülow 2000, S. 828 ebendort, S. 1129 ebendort, S. 1230 Müller-Seidel 1997, S. 2131 Aphonie = Stimmlosigkeit (nach: Pschyrembel 1986, S. 102)32 vgl. Müller-Seidel 1997, S. 1333 Müller-Seidel 1997, S. 2034 Tagebucheintragung 20. 12. 189635 Scheible 1978, S. 7636 Schnitzler 1968, S. 23637 vgl. Bötticher 1999, S. 3038 Braunwarth u. a. 1981, S. 19

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Impressum

Medieninhaber: Museumsverein Alsergrund, 1090, Währingerstraße 43Präsident des Museumsvereins: Bezirksvorsteher Hans Benke

Redaktion: Museumsleiter Dr. Wilhelm Urbanek Text: Museumskustodin Mag. Barbara Trieb,

Layout und Satz: Sabine ArtesAlle: Bezirksmuseum Alsergrund, Währinger Straße 43

Druck: Universitätsverlag, 1090 Berggasse

EinladungIm Mai ist aus Seoul eine erfreuliche Sendung einge-troffen: Frau Dr. A. Alexa Sekyra hatte dort eine Aus-

stellung organisiert mit dem Titel:

Liebe und Tod in Wien um 1900 —

„Arthur Schnitzler (1862-1931)“.

Die 160 Fotos für diese Schau wurden zum überwie-genden Teil von der Familie Schnitzler zur Verfügung gestellt und sind Raritäten. Diese Fotos wurden uns

nun als Dauerleihgabe überlassen!

Wir danken Frau Dr. Sekyra und der Familie Schnitzler!

Der zukünftige Schnitzler-Raum im neuen Bezirksmu-seum in der ehemaligen Poliklinik wurde bereits konzi-piert und wird im alten Bezirksmuseum (Währinger

Straße 43) als Ausstellung ab 27. Juni zu sehen sein.

Wir laden Sie sehr herzlich zur Eröffnung dieser Ausstellung ein! Neben einer Lesung aus Schnitzlers Werk wird auch Frau Giuliana Schnitzler, die Uren-

kelin des Dichters, sprechen.

Wo: Bezirksmuseum Alsergrund, Währinger Straße 43

Wann: Di, 26. Juni 2001; 19:00 Uhr