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Berechnung der Schienenspannungen und horizontalen Pfeilerkräfte am Beispiel der Saale-Elster-Talbrücke Dipl.-Ing. Stefan Zettler Ingenieurbüro Grassl, Berlin / Prüfingenieur Dr. Baumann, Magdeburg Zusammenfassung: Als Teil der Neubaustrecke Erfurt-Leipzig / Halle entsteht mit der Saale-Elster-Talbrücke auf einer Gesamtlänge von 8577 m momentan Deutschlands längstes Brückenbauwerk. Der Nachweis der zulässigen Schienenspannungen sowie die Ermittlung der horizontalen Pfeilerkräfte erfolgt mittels einer nichtlinearen Berechnung unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens von Oberbau und Brückentragwerk. Die Grundlagen einer solchen Berechnung und die Umsetzung mit SOFiSTiK im Rahmen der bautechnischen Prüfung werden in diesem Vortrag vorgestellt. Summary: As a part of the high-speed rail line Erfurt-Leipzig / Halle, the Saale-Elster-Talbrücke with a total length of 8577 m will be Germanys longest viaduct upon completion. The proof of maximum allowable rail-pressure as well as the determination of horizontal forces on the pillars is achieved through a nonlinear calculation in consideration of the interaction between rail system and superstructure. The basics of this calculation and its realisation using SOFiSTiK shall be introduced in this lecture. 1 EINFÜHRUNG 1.1 Bauwerk Die Neubaustrecke Erfurt–Leipzig / Halle ist das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr. 8.2. Die Strecke ist Teilstück der Hochgeschwindigkeitsverbindung Berlin–München und Bestandteil der Achse Nr. 1 (Berlin–Verona–Palermo) der Transeuropäischen Netze. Sie wird Richtung Norden durch die Ausbaustrecke Leipzig–Berlin (VDE Schiene Nr. 8.3) fortgesetzt und Richtung Süden durch die Schnellfahrstrecke Nürnberg–Erfurt. Nach Fertigstellung der gesamten Verbindung wird sich die Fahrzeit von München nach Berlin auf drei Stunden und 45 Minuten reduzieren.

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Berechnung der Schienenspannungen und horizontalen Pfeilerkräfte am

Beispiel der Saale-Elster-Talbrücke

Dipl.-Ing. Stefan Zettler

Ingenieurbüro Grassl, Berlin / Prüfingenieur Dr. Baumann, Magdeburg

Zusammenfassung:

Als Teil der Neubaustrecke Erfurt-Leipzig / Halle entsteht mit der Saale-Elster-Talbrücke auf einer

Gesamtlänge von 8577 m momentan Deutschlands längstes Brückenbauwerk. Der Nachweis der

zulässigen Schienenspannungen sowie die Ermittlung der horizontalen Pfeilerkräfte erfolgt mittels

einer nichtlinearen Berechnung unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens von Oberbau und

Brückentragwerk. Die Grundlagen einer solchen Berechnung und die Umsetzung mit SOFiSTiK im

Rahmen der bautechnischen Prüfung werden in diesem Vortrag vorgestellt.

Summary:

As a part of the high-speed rail line Erfurt-Leipzig / Halle, the Saale-Elster-Talbrücke with a total

length of 8577 m will be Germanys longest viaduct upon completion. The proof of maximum

allowable rail-pressure as well as the determination of horizontal forces on the pillars is achieved

through a nonlinear calculation in consideration of the interaction between rail system and

superstructure. The basics of this calculation and its realisation using SOFiSTiK shall be introduced

in this lecture.

1 EINFÜHRUNG

1.1 Bauwerk

Die Neubaustrecke Erfurt–Leipzig / Halle ist das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr. 8.2.

Die Strecke ist Teilstück der Hochgeschwindigkeitsverbindung Berlin–München und Bestandteil

der Achse Nr. 1 (Berlin–Verona–Palermo) der Transeuropäischen Netze. Sie wird Richtung Norden

durch die Ausbaustrecke Leipzig–Berlin (VDE Schiene Nr. 8.3) fortgesetzt und Richtung Süden

durch die Schnellfahrstrecke Nürnberg–Erfurt. Nach Fertigstellung der gesamten Verbindung wird

sich die Fahrzeit von München nach Berlin auf drei Stunden und 45 Minuten reduzieren.

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Die Neubaustrecke quert südlich von Halle

die Auenlandschaft der Saale und Weißen

Elster mit mehreren Naturschutzgebieten,

unter anderem ein FFH-Gebiet sowie ein

Vogelschutzgebiet und eine Wasserschutz-

zone III des Wasserwerks Halle-Beesen.

Über die insgesamt 217 Pfeiler des

zweigleisigen Brückenbauwerks spannen in

den Regelbereichen Zweifeldträgerketten

mit 44 m Stützweite. Der Brückenzug

enthält weiterhin mehrere Dreifeldträger

mit Stützweiten bis zu 70 m, ein 7-feldriges

Abzweigbauwerk sowie eine

Stabbogenbrücke mit 115 m Stützweite.

Abbildung 1: NBS Erfurt-Halle/Leipzig, Streckenführung

Abbildung 2: Saale-Elster-Talbrücke, Lage

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Bei einer Entwurfsgeschwindigkeit von 300 km/h auf der Hauptstrecke Erfurt-Leipzig (160 km/h

auf dem Abzweig Erfurt-Halle) und einem zweigleisigen Oberbau als Feste Fahrbahn sind auf dem

gesamten Bauwerk nur 2 Schienenauszüge vorgesehen.

Abbildung 3: Saale-Elster-Talbrücke, Visualisierung

Die Arbeiten zur Herstellung der Pfeiler und Widerlager begannen 2007, im Frühjahr 2008 sind

bereits mehrere Pfeiler sowie die ersten Überbauten hergestellt.

Abbildung 4: Saale-Elster-Talbrücke, Bauarbeiten am WL-Ost

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1.2 Dimensionierung der Gründung in Iteration mit der Schienenspannungsberechnung

Die Pfeiler werden in wasserdichten Spundwandkästen gegründet, wobei die Spundwände und die

Fundamentplatten über Kopfbolzendübel kraftschlüssig miteinander verbunden sind und somit das

Tragverhalten einer Tiefgründung erreicht wird. Während die Vertikallasten weitgehend

unabhängig von der Dimensionierung der Gründung ermittelt werden können, sind die horizontalen

Pfeilerlasten über die Längskraftkopplung der Überbauten durch die Schienen von den jeweiligen

Gründungssteifigkeiten abhängig. Maßgebend für die Steifigkeit der Gründung ist hierbei die Größe

des Spundwandkastens; Profilwahl der Spundbohlen oder Rammtiefe haben einen geringeren

Einfluss. Um eine möglichst wirtschaftliche Auslegung der Gründung zu erreichen, erfolgt die

Dimensionierung der Spundwandkästen in einem iterativen Prozess:

Abbildung 5: Ablauf Gründungs- und Schienenspannungsberechnung

Prüfung durch eigene Berechnung der

Schienenspannungen und der horizontalen

Pfeilerkräfte

Berechnung der Schienenspannungen und horizontalen

Pfeilerkräfte mit abgeschätzten Gründungssteifigkeiten

Dimensionierung und Bemessung der Gründung hinsichtlich Tragfähigkeit für

vertikale und horizontale Lasten, anschließende Berechnung der

Gründungssteifigkeiten durch den Baugrundsachverständigen

Falls zulässige Schienenspannungen

überschritten, geänderte Annahmen für

die Gründung

Abschließende Berechnung der Schienenspannungen und der

horizontalen Pfeilerkräfte mit berechneten Gründungssteifigkeiten

Schienenspannungen sind eingehalten und

horizontale Pfeilerlasten liegen (geringfügig)

unter den Bemessungswerten

→ Ende der Berechnung

Schienenspannungen sind überschritten

und/oder horizontale Pfeilerlasten liegen

über (weit unter) den Bemessungswerten

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2 GRUNDLAGEN DER SCHIENENSPANNUNGSBERECHNUNG

2.1 Zulässige zusätzliche Schienenspannungen

Das Prinzip der Längskraftkopplung der Überbauten über die lückenlos verschweißten Schienen

setzt voraus, dass Schiene und Oberbau in der Lage sind, zusätzlich zu den Belastungen auf der

freien Strecke aus Temperaturbeanspruchung der Schiene, Radlasten und Eigenspannungen weitere

Lasten durch das Zusammenwirken von Brückentragwerk und Oberbau aufzunehmen. Bei einem

Oberbau mit Schotterbett werden die zulässigen zusätzlichen Druckspannungen durch die Stabilität

des Gleisrostes begrenzt, nach [2] ergibt sich für eine Schiene UIC 60 eine zulässige zusätzliche

Temperaturbeanspruchung von 30 K oder 30 x 1,15 x 10-5 x 210000 = 72 N/mm².

Abbildung 6: Gleisverwerfungen und zusätzliche Temperaturniveaus nach [2]

Bei Fester Fahrbahn (wie bei der Saale-Elster-

Talbrücke vorgesehen) werden für Zug- und

Druckspannungen die freien Spannungen in der

Schiene selbst maßgebend. Ebenfalls nach [2]

kann der freie Spannungsanteil für eine Schiene

UIC 60 mit 900 N/mm² Zugfestigkeit

folgendermaßen bestimmt werden:

σzul = 470 N/mm²

-σBiegung = -158 N/mm²

-σTemp50K = -120 N/mm²

-σEigensp. = -80 N/mm²

σFrei = 112 N/mm²

Abbildung 7: Dauerfestigkeitsschaubild nach Smith aus [2]

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Nach [2] können die zusätzlichen Normalspannungen in der Schiene aufgrund der Durchbiegung

der Überbauten unter Vertikallasten pauschal mit einem Abschlag von 20 N/mm² auf die freien

Schienenspannungen berücksichtigt werden, so dass sich bei Vernachlässigung der Vertikallasten in

der Berechnung eine zulässige zusätzliche Schienenspannung von 92 N/mm² ergibt.

Dies steht jedoch im Widerspruch zu DIN-Fachbericht 101, Anhang K.3 [1], worin bei einer

Begrenzung der Zug- und Druckspannungen auf 92 N/mm² für die Feste Fahrbahn auch eine

Berücksichtigung der Überbauverformungen infolge vertikaler Verkehrslastanteile gefordert wird.

Bis zur Klärung dieses Widerspruchs müssen die Spannungsgrenzen aus DIN-Fachbericht 101 als

verbindlich angesehen werden.

2.2 Zu berücksichtigende Einwirkungen

Nach dem Prinzip der zusätzlichen Schienenspannungen müssen in Bereichen mit lückenlos

durchgehenden Schienen nur die Einwirkungen untersucht werden, die durch Bewegung der

Bauwerke eine zusätzliche Beanspruchung der Schienen hervorrufen. Eine Temperaturänderung in

der Schiene selbst führt in diesen Bereichen nicht zu Relativbewegungen zwischen Bauwerk und

Schiene und verursacht somit auch keine zusätzlichen Beanspruchungen. Die Temperaturänderung

der Schiene muss jedoch in der Nähe von Schienenauszügen als zusätzliche Beanspruchung für die

Ermittlung der horizontalen Pfeilerlasten berücksichtigt werden!

Zur Berechnung der zusätzlichen Schienenspannungen und der horizontalen Pfeilerkräfte sind also

folgende Einwirkungen zu berücksichtigen:

• Temperaturänderung der Überbauten

Nach DIN-FB 101 ergeben sich für Massivbrücken Temperaturunterschiede von ±27 K. In

der DS 804 wurden noch ±30 K angegeben, bei der Saale-Elster-Talbrücke wurden ±30 K

bereits in der Ausschreibung gefordert.

• Temperaturänderung der Schiene

Nur in der Nähe von Schienenauszügen relevant. DIN-FB 101 gibt hier keinen Wert vor, in

DS 804 werden ±50 K angegeben.

• Brems- und Anfahrlasten

Nach DIN-FB 101 sind bei Brücken mit zwei Gleisen Bremskräfte auf dem einen Gleis und

Anfahrkräfte auf dem anderen Gleis zu berücksichtigen.

Bremskraft Qlbk = 20 x L ≤ 6000 kN 20 kN/m auf 300 m Länge

Anfahrkraft Qlak = 33 x L ≤ 1000 kN 33 kN/m auf 30,3 m Länge

• Vertikale Verkehrslasten

Im Bereich der Bremslasten werden Vertikallasten gemäß LM 71 berücksichtigt

• Weitere Einwirkungen wie Kriechen, Schwinden, Temperaturunterschied

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2.3 Modellbildung für die Berechnung

In DIN-FB 101 wird folgendes Prinzipmodell empfohlen:

Abbildung 8: Abb. K.2 aus [1]

Das Modell sollte noch um (7), Federn zur Berücksichtigung der Verschiebewiderstände der

beweglichen Lager, erweitert werden.

Die Ersatzfeder für den Längsverschiebewiderstand des Pfeilerkopfs (6) wird aus den Anteilen

Pfeilerbiegung, Fundamentverkantung und Fundamentverschiebung ermittelt:

Abbildung 9: Abb. K.1 aus [1]

(7)

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Da die Pfeilerhöhe beim Anteil aus Pfeilerbiegung in der dritten Potenz in die Berechnung eingeht,

beim Anteil aus Fundamentverkantung aber nur in der 2. Potenz bzw. beim Anteil aus

Fundamentverschiebung gar nicht, ist leicht ersichtlich, dass mit zunehmender Pfeilerhöhe der

Einfluss der Gründungssteifigkeit auf die Ersatzfedersteifigkeit des Pfeilerkopfes zunehmend

geringer wird. Pfeilerhöhe Biegesteifigkeit

PfeilerschaftDrehfeder

FundamentWegfeder

FundamentErsatzfeder am Pfeilerkopf aus Pfeilerbiegung

Ersatzfeder am Pfeilerkopf aus

Fundament- verkantung

Ersatzfeder am Pfeilerkopf aus

Fundament- verschiebung

Ersatzfeder am Pfeilerkopf aus

allen drei Anteilen

[m] [m4] [MNm/rad] [MN/m] [MN/m] [MN/m] [MN/m] [MN/m]10,00 5,15 15000 300 464 150 300 8215,00 5,15 15000 300 137 67 300 3920,00 5,15 15000 300 58 38 300 21

Tabelle 1: Ermittlung der Ersatzfedersteifigkeit am Pfeilerkopf

Die Federkennlinien für die Federn zwischen Überbau und Schiene können aus den

Verschiebewiderständen für ein Gleis in DIN-FB 101, Abb. K3 ermittelt werden. Die Verwendung

dieser Rechenwerte setzt den Einbau von Schienenfesthaltungen mit reduziertem

Durchschubwiderstand von etwa 9 kN pro Stützpunkt voraus.

Abbildung 10: Abb. K.3 aus [1]

Feste Fahrbahn

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In der DS 804 sind zwei prinzipielle Möglichkeiten angegeben, um die Kopplung der Schiene mit

dem Überbau zu realisieren.

Abbildung 11: Modellvorschläge für die Kopplung der Schiene an das Tragwerk aus [3]

Für beide Modelle wird ein Abstand der Koppelstellen ≤ 5,0 m gefordert. Bei Modell a) ist natürlich

zu beachten, dass vertikale Verkehrslasten nicht auf die Schiene, sondern ausschließlich auf die

Stäbe des Tragwerks aufgebracht werden dürfen. Mit einem leistungsfähigen

Berechnungsprogramm wie Sofistik kann als elegante Lösung ein modifiziertes Modell b) gewählt

werden, wobei die hier angegebenen Biegestäbe direkt durch Federn mit Fließfunktion ersetzt

werden. Wird zudem ein Federabstand von 1,0 m gewählt, so kann die in Abbildung 10 angegebene

Kennlinie für den Verschiebewiderstand unmittelbar als Federkennlinie verwendet werden,

wodurch die Transparenz und Nachprüfbarkeit der Ergebnisse deutlich verbessert wird.

2.4 Überlagerung der Ergebnisse

DIN-FB 101, Anhang K enthält hierzu folgende Aussagen:

• „Bei der Untersuchung der einzelnen Einwirkungen ist das nichtlineare Verhalten der [ ]

Verschiebewiderstände zu berücksichtigen“

• „Die Schienen- und Lagerlängskräfte der einzelnen Einwirkungen dürfen linear überlagert

werden“

Bei einer derartigen linearen Überlagerung einzeln nichtlinear ermittelter Ergebnisse wird davon

ausgegangen, dass jede Einwirkung für sich am unverformten System wirkt. In der Realität werden

die beiden maßgeblichen Einwirkungen Temperatur und Bremsen/Anfahren aber in zeitlicher

Abfolge auftreten: Der Lastfall Temperatur tritt allmählich ein, für die Kopplung Schiene-Überbau

ist die Kennlinie des unbelasteten Gleises zu verwenden. Der Lastfall Bremsen/Anfahren wirkt auf

ein bereits aus Temperatur vorbelastetes System mit entsprechenden Relativverschiebungen

zwischen Schiene und Überbau, zudem muss im Bereich der Belastung die steifere Federkennlinie

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des belasteten Gleises angesetzt werden. In [2] werden die Auswirkungen einer solchen

Berücksichtigung der Belastungsgeschichte näher untersucht. Es zeigt sich, dass eine lineare

Überlagerung der Ergebnisse der einzelnen Einwirkungen für die ermittelten Schienenspannungen

stets größere Werte liefert als eine Berechnung unter Berücksichtigung der Belastungsgeschichte.

Die „darf“ Formulierung aus DIN-FB 101 liegt somit auf der sicheren Seite. Da die Unterschiede

der ermittelten Schienenspannungen aber durchaus im Bereich von 15-25 % liegen können, sollte

für eine wirtschaftliche Bemessung des gesamten Tragwerks nicht auf die genauere

Berechnungsweise verzichtet werden.

3 SCHIENENSPANNUNGSBERECHNUNG MIT SOFISTIK

3.1 Berechnungsmodell für die bautechnische Prüfung

Die Berechnung der Schienenspannungen und horizontalen Pfeilerkräfte erfolgt bei der Saale-

Elster-Talbrücke gemäß des Baufortschritts in Abschnitten von etwa 20 – 30 Pfeilerachsen, das

entspricht ca. 900-1300 m Brückenlänge. Bei diesen willkürlich herausgeschnittenen

Berechnungsabschnitten muss an den Abschnittsenden ein ausreichend großer Überstand mit

abgebildet werden, um die Einflüsse der Ränder auf die Rechenergebnisse gering zu halten. Als

„Faustregel“ kann gelten, dass der Überstand mindestens 3 Festpfeilerachsen (ca. 260 m) betragen

muss. Die einzelnen Berechnungsabschnitte müssen sich also um mindestens diesen Betrag

überschneiden.

Pfeiler und Überbauten werden mit ihren realen Querschnitten abgebildet, die Schienen werden zu

einem Stab mit entsprechender Steifigkeit zusammengefasst. Der Anteil der Pfeilerbiegung wird

somit direkt vom Programm ermittelt, die Gründungssteifigkeiten werden über entsprechende Dreh-

und Wegfedern an den Pfeilerfüßen modelliert.

Das Modell muss für die verschiedenen Achsbereiche leicht an unterschiedliche Stützweiten

anzupassen sein, ebenso muss die Definition Festpfeiler/Trennpfeiler bzw. Trennpfeiler mit einem

festen und einem beweglichen Lager mit vertretbarem Aufwand bewerkstelligt werden können. Für

die Berechnung der Temperaturlastfälle erhalten die Koppelfedern zwischen Schiene und Damm

bzw. zwischen Schiene und Überbau die Kennlinie für das unbelastete Gleis. Zur Berechnung der

Verkehrslastfälle müssen die Koppelfedern in den jeweils belasteten Bereichen mit der Kennlinie

des belasteten Gleises wirken.

Die oben beschriebenen Anforderungen an die Variabilität lassen sich am besten mit einer

entsprechend parametrisierten Cadinp-Eingabe verwirklichen.

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Abbildung 12: Modell in Animatoransicht

Abbildung 13: Modellbereich am Übergang zum Damm

Abbildung 14: Abbildung Widerlager, Festpfeiler, Trennpfeiler

3.2 Berechnungsablauf

Um die Belastungsgeschichte, wie unter 2.4 beschrieben korrekt abzubilden, werden zuerst die

beiden Temperaturlastfälle ± 30 k Überbauerwärmung unter Berücksichtigung der nichtlinearen

Koppelfedern berechnet. Die Verkehrslastfälle Bremsen/Anfahren und vertikale Belastung werden

in einem bestimmten Raster in beiden Richtungen über den Brückenzug verschoben. Sie setzen

dabei jeweils auf einen der beiden Temperaturlastfälle als Primärlastfall auf. Da die größten

Schienenspannungen immer an den Überbauenden auftreten, muss beim Raster der

Schiene

Überbau

Koppelfedern für unbelastetes/belastetes Gleis

Dreh- und Wegfedern

am Pfeilerfuß

Lagerfedern Damm

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Verkehrslastfälle darauf geachtet werden, dass der Anfang der Verkehrslast auch mit den jeweiligen

Trennpfeilerachsen zusammenfällt. Aus diesen jeweils einzeln berechneten Primärlastfallketten

kann abschließend mit Maxima die Grenzlinie für die Schienenspannungen bzw. die maximale

horizontale Pfeilerkraft bestimmt werden.

3.3 Berechnungsbeispiel für Temperatur und Bremsen/Anfahren am Übergang zum Damm

Im folgenden sollen die Ergebnisse einer Berechnung der Schienenspannungen und horizontalen

Pfeilerkräfte an einem Beispiel gezeigt werden. Es werden nur die beiden maßgebenden Lastfälle

Temperatur und Bremsen/Anfahren untersucht.

53.0

53.0

53.0

53.0

53.0

20.0

20.0

20.0

20.0

20.0

20.0

20.0

20.0

20.0

20.0

20.0

20.0

20.0

A B C

Abbildung 15: Brems- und Anfahrlasten

Weitere Einwirkungen wie vertikale Verkehrslast und linearer Temperaturunterschied haben beim

hier untersuchten Zweifeldträgersystem nur geringe Auswirkungen auf die Schienenspannungen.

Kriechen und Schwinden kann aus zwei Gründen vernachlässigt werden: Zum einen findet der

Einbau der Gleise erst erheblich nach Herstellung des Überbaus statt, so dass ein Großteil der

Schwindverformung schon abgeklungen sein wird. Zum anderen befindet sich bei den hier

vorhandenen Trägerlängen der größte Teil der Koppelfedern schon im Lastfall Temperatur -30 K

im plastischen Bereich, eine weitere Verkürzung des Überbaus durch Schwinden würde somit nicht

zu einer Vergrößerung der Beanspruchung führen.

Dargestellt Schienenkräfte, Fläche = 4 x 76,68 cm² = 307,44cm²

Zulässige Schienenkraft = 307,44 x 9,2 = 2828 kN

-1269

1268

1173

-1074

-1049

908.4

908.2

812.7

812.4

-713.0

-688.4

548.6

548.2

452.7

451.8

-352.5

-327.9

199.3

188.7

188.1

92.5

88.0

38.9

17.2

7.58

3.35

1.48

A B C

Abbildung 16: Schienenkräfte aus Temperatur der Überbauten -30 K

Damm unbelastet Anfahren 33 kN/m auf 30 m Bremsen 20 kN/m auf 300 m

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2010

1650

1289

1121

928.7

628.9

566.3

358.1

258.2

231.3

215.6

133.8

114.0

86.0

78.5

-72.3

50.3

47.3

46.9

36.8

35.7

34.6

33.4

27.5

22.2

-22.0

9.82

4.33

1.91

A B C

Abbildung 17: Schienenkräfte aus Bremsen/Anfahren am nicht vorbelasteten System

3183

2462

2226

1897

1741

-1269

1200

1162

1128

1124

-1103

-1062

-777.2

-698.6

680.0

654.3

634.2

485.2

-364.4

-337.0

297.0

268.7

235.4

131.2

57.9

25.6

11.3

4.99

2.20

A B C

Abbildung 18: Lineare Überlagerung der Anteile Temperatur und Bremsen/Anfahren

Bei linearer Überlagerung der Anteile Temperatur und Bremsen/Anfahren ergeben sich am

Übergang zum Damm zusätzliche Schienenspannungen von 104 N/mm² und liegen somit deutlich

über dem zulässigen Wert von 92 N/mm².

2633

2268

1903

1745

1573

1539

-1260

1177

-1107

1096

1052

-1034

854.6

813.2

-786.5

-689.8

644.0

623.7

450.9

-375.3

-334.7

252.8

244.3

235.5

199.1

87.9

38.8

17.1

7.56

3.32

1.42A B C

Abbildung 19: Schienenkräfte aus Temperatur und Bremsen/Anfahren bei korrekter Berücksichtigung der

Belastungsgeschichte

Bei korrekter Berücksichtigung der Belastungsgeschichte werden maximale zusätzliche

Schienenspannungen von 86 N/mm² ermittelt, der Grenzwert ist eingehalten. Der so ermittelte Wert

liegt um 17% unter dem Wert der linearen Überlagerung.

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Für den gesamten untersuchten Achsbereich lassen sich die maßgebenden Schienenspannungen und

horizontalen Pfeilerkräfte am übersichtlichsten im Balkendiagramm darstellen.

Schienenkräfte

0

500

1000

1500

2000

2500

3000

A B C D E F G H I K L M N O P Q R S T U

Achse

kN

Pfeiler H-Kräfte

0

200

400

600

800

1000

1200

1400

1600

1800

A B C D E F G H I K L M N O P Q R S T U

Achse

kN

Abbildung 20: Schienenspannungen und horizontale Pfeilerkräfte in der Zusammenstellung

4 ZUSAMMENFASSUNG

Nach DIN-FB 101, Anhang K.2 dürfen die vereinfachten Nachweise zur Ermittlung der

horizontalen Lagerkräfte nur für einteilige Überbauten mit Schotterbett und Dehnlängen < 60 m für

Stahl- bzw. < 90 m für Massiv- oder Verbundbauweise angewendet werden. Für alle mehrteiligen

Überbauten ohne Schienenauszug oder bei Einbau der Festen Fahrbahn ist somit prinzipiell immer

eine genauere Berechnung nach Abschnitt K.3 durchzuführen. Die Berechnung erfolgt sinnvoller

weise mit Hilfe eines elektronischen Berechnungsprogramms, die genaue Modellierung und der

interne Berechnungsablauf können hierbei aber natürlich sehr unterschiedlich ausfallen. Hilfreich

wäre in diesem Zusammenhang eine Veröffentlichung über Berechnungsergebnisse an komplexeren

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Brückensystemen, um eine bessere Überprüfung und Kalibrierung des eigenen Rechenmodells zu

ermöglichen.

5 PROJEKTBETEILIGTE

Bauherr: DB Netz AG, vertreten durch DB Projektbau GmbH, NL Leipzig

Bauausführung: Arge Saale-Elster-Talbrücke:

- Hochtief Construction AG, NL Leipzig

- Adam Hörnig, Aschaffenburg

- Gerdum u. Breuer, Kassel

Ausführungsplanung: Planungsgemeinschaft:

- Leonhardt, Andrä und Partner, Dresden

- Kinkel + Partner, Neu-Isenburg

Prüfung und Freigabe: Eisenbahnbundesamt Halle

Prüfingenieure: Prüfingenieurgemeinschaft Talbrücke Saale-Elster:

Prof. Dr.-Ing. Albrecht, München

Dr.-Ing. Baumann, Magdeburg

Dr.-Ing. Mang, München

Dr.-Ing. Streit, München

6 LITERATUR

[1] DIN-Fachbericht 101, Anhang K; Längsgerichtete Einwirkungen auf Eisenbahnbrücken

(2005)

[2] Ruge, P., Trinks, C., Muncke, M., Schmälzlin, G.; Längskraftbeanspruchung von durchgehend

geschweißten Schienen auf Brücken für Lastkombinationen. Bautechnik 81 (2004), S. 537-

548.

[3] DS 804-B6, Vorschrift für Eisenbahnbrücken und sonstige Ingenieurbauwerke (2000)