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Gewalt gegen Kinder, alltägliche Regelverletzungen und Straftaten in der Gesellschaft stehen zu Beginn des Jahrzehnts im Zentrum öffentlichen Interesses. Gewalt in den Familien, den Medien und in der Gesellschaft wirken auch in die Schule hinein. In dieser Situation tragen nicht nur die Eltern, sondern auch die Schulen eine besondere Verantwortung, ihren Beitrag zur Minderung menschenverachtender und verletzender Verhaltensweisen zu leisten und damit zur Förderung der demokratischen Kultur beizutragen.
Citation preview
1Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Bildung für Berlin
Gewaltpräventionan Berliner Schulen
Schuljahr 2008/2009
Gewaltprävention
HerausgeberSenatsverwaltung für Bildung,Wissenschaft und ForschungOtto-Braun-Straße 2710178 Berlin
www.berlin.de/sen/bwf
Redaktion und GestaltungGewaltpräventionRia UhleTelefon 030 90227 6320eMail [email protected]
Impressum
Inhalt Seite
Vorbemerkung 2 1 Gewaltmeldungen der Berliner Schulen im Schuljahr 2008/09 2 1.1 Meldungen nach Schularten 3 1.2 Meldungen nach Regionen 4 1.3 Art der Gewaltvorfälle 5 1.4 Opfer und Betroffene von Gewalt 6 2 Maßnahmen zur Prävention schwerer zielgerichteter Gewalt an Schulen 6 3 Gewaltprävention und Krisenintervention 7 4 Ausblick 8
— 2 —
Vorbemerkung Die Meldung von Gewaltvorfällen im Schuljahr 2008/09 hat im Vergleich zum Vorjahr wieder zu-genommen. Sie stieg von 1632 im Schuljahr 2007/08 auf 1817 im Schuljahr 2008/09 bei einer Abnahme der Schülerzahlen um ca. 2%. Während die Zahlen im ersten Schulhalbjahr etwa auf Vorjahresniveau lagen, kam es ab März 2009 zu einem sprunghaften Anstieg, was in einem en-gen Zusammenhang mit der Amoktat in Winnenden am 11.03.2009 zu sehen ist. Die Amoktat an der Albertville-Realschule in Winnenden führte zu einer starken Verunsicherung an Berliner Schulen. Plötzlich waren die Schulen mit einer Vielzahl von Fragestellungen konfrontiert, die insbesondere das Bedürfnis nach mehr Handlungssicherheit spiegelten: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer ähnlichen Tat an unserer Schule? Wie soll mit Drohungen einer Amoktat in der Schule umgegangen werden? Wie lassen sich gefährdete oder „gefährliche“ Schüler erkennen? Wie kann eine solche Tat verhindert werden? Wie kann das Sicherheitsgefühl an der Schule wiederhergestellt werden? Sind die Alarmie-
rungs- und Sicherheitssysteme für den Notfall ausreichend? Wie können sich die Lehrkräfte fortbilden? In diesem Kontext meldeten Schulleiter ab März 2009 deutlich mehr Bedrohungen, in denen Schü-lerinnen und Schüler verbal oder im Internet mit einem „Amoklauf“ drohten, Todeslisten fertigten oder Winnenden in Gesprächen als nachahmenswert rechtfertigten. Innerhalb der ersten Woche nach Winnenden wurden allein 11 solcher Fälle gemeldet. Im Ver-gleich dazu wurden im gesamten ersten Schulhalbjahr 2009 sieben entsprechende Drohungen gemeldet. Dadurch erklärt sich die Zunahme der Meldungen insgesamt. Lehrkräfte zeigten sich verunsichert und äußerten die Sorge, gefährliche Entwicklungen nicht richtig einzuschätzen bzw. Eskalationen nicht verhindert zu haben. Das führte zu einer größeren Meldebereitschaft und zu einer höheren Inanspruchnahme schulpsychologischer Beratung, insbesondere auch bei Schulen, die bisher keine oder selten Gewaltvorfälle meldeten. Dies zeigen im Folgenden auch die Einzelauswertungen der Daten. Diese Gewalttat verunsicherte und ängstigte Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und die Elternschaft. In der Folge wurden Maßnahmen zur Früherkennung schwerer zielgerichteter Gewalt an Schulen und zur Amokpräven-tion in Berlin verstärkt (siehe dazu 2).
1 Gewaltmeldungen der Berliner Schulen im Schuljahr 2008/09 Die Erhebungen im Schuljahr 2008/09 basieren auf dem Rundschreiben I Nr. 41/2003 „Hinsehen und Handeln“. Zum 01.09.2009 wurde dieses Rundschreiben durch das „Informationsschreiben zum Umgang mit
Gewalt- und Notfallsituationen an Berliner Schulen“1 ersetzt. Mit dieser Änderung wird der Um-
gang mit Gewaltvorfällen und Notfallsituationen an die in Berlin einheitlichen „Notfallpläne für die Berliner Schulen“ angepasst. Nach einem Rückgang im Vorjahr meldeten die Berliner Schulen im Schuljahr 2008/09 185 Ge-waltvorfälle mehr als im vorangegangen Schuljahr. Das ist ein Anstieg von ca. 10% (siehe Abbil-dung 1).
1 im Internet unter http://www.berlin.de/sen/bildung/hilfe_und_praevention/gewaltpraevention/ verfügbar
— 3 —
1735
1632
1817
1500
1550
1600
1650
1700
1750
1800
1850
2006/07 2007/08 2008/09
Gesamt
Abbildung 1: Gewaltmeldungen an Berliner Schulen in den letzten drei Schuljahren (absolut) Während die Zahl der Meldungen im ersten Schulhalbjahr etwa dem Vorjahreszeitraum entsprach, nahm sie im zweiten Schulhalbjahr, ab März 2009, sprunghaft zu (siehe Abbildung 2).
0
200
400
600
800
1000
1200
2006/07 2007/08 2008/09
1. Schulhalbjahr2. Schulhalbjahr
Abbildung 2: Gewaltmeldungen je Schulhalbjahr (absolut)
1.1 Meldungen nach Schularten Durchschnittlich meldete ca. jede zweite Schule Gewaltvorfälle. Die meisten Meldungen kamen aus den Grundschulen mit ca. 39%, gefolgt von den Sonderschulen mit etwa 21% und den Gesamt-schulen mit ca. 13%. Wird die Zahl der Schulen je Schulart ins Verhältnis zu der Zahl der Gewaltmeldungen pro Schul-art gesetzt, zeigt sich, dass die Gemeinschaftsschulen mit ca. 9 Meldungen die meisten Vorfälle mitgeteilt haben. Diese Schulen zeigen ein hohes Engagement in Bezug auf Gewaltprävention, entsprechend werden Vorfälle kontinuierlich und zeitnah gemeldet.
— 4 — Es folgen die Sonderschulen mit ca. 5 Meldungen, die Haupt- und Gesamtschulen mit etwa 4 Meldungen sowie die Grundschulen mit ca. 1 bis 2 Meldungen pro Schule. Die Realschulen, Gym-nasien und berufsbildenden Schulen meldeten durchschnittlich maximal einen Vorfall je Schule (siehe Abbildung 3).
0
10
20
30
40
50
Grunds
chule
Sonde
rschu
le
Gesam
tschu
le
Haupts
chule
Gemein
scha
ftssc
hule
Gymna
sium
Realsc
hule
Schulen in ProzentMeldungen in Prozent
Abbildung 3: Gewaltmeldungen nach Schulart (in Prozent)
1.2 Meldungen nach Regionen Unverändert meldeten die Bezirke Mitte mit 20% und Neukölln mit 17% aller Meldungen die meisten Vorfälle (siehe Abbildung 4). In diesen beiden Regionen ist der prozentuale Anteil der Schülerinnen und Schüler sowohl mit Lernmittelbefreiung als auch nicht deutscher Herkunftsspra-che am höchsten.
— 5 —
05
10152025
Mitte
Lichten
berg
Friedric
hshain
-Kreu
zberg
Steglitz
-Zehlen
dorf
Marzah
n-Hell
ersdorf
Reinick
endorf
Panko
w
Spandau
Charlotte
nburg-W
ilmers
dorf
Abbildung 4: Gewaltmeldungen nach Regionen (in Prozent)
1.3 Art der Gewaltvorfälle Wie bereits in den Vorjahren sind körperliche Gewalt mit ca. 65% der Meldungen und Bedrohung mit etwa 19% die vorrangigen Meldegründe (siehe Abbildung 5). Insbesondere im zweiten Schul-halbjahr wurden deutlich mehr Fälle körperlicher Gewalt und Bedrohungen gemeldet als im ersten Schulhalbjahr und im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
65,1
19,3
4,4
2,4
2,1
1,2
5,5
körperliche GewaltBedrohung Beleidigungsexuelle ÜbergriffeExtremismusMobbingSonstiges
Abbildung 5: Art der Gewaltvorfälle (in Prozent)
— 6 —
Körperliche Gewalt umfasst körperliche Auseinandersetzungen mit Verletzungsfolgen, Prüge-
leien unter Kindern und Jugendlichen bis hin zu gezielten Angriffen Einzelner oder von Grup-pen.
Bedrohung reichen von unspezifischen Aussagen über Androhung von Gewalt bis hin zur
verbalen Drohung, jemanden umzubringen oder Amok zu laufen.
Zur Kategorie Beleidigung werden insbesondere massiv herabwürdigende und sexistische
verbale Angriffe, die von den Betroffenen als gravierend seelisch verletzend erlebt werden, ge-zählt.
Bei Sexuellen Übergriffen handelte es sich hauptsächlich um sexuelle Belästigung von Schü-
lerinnen durch Schüler oder Schulfremde, exhibitionistische Handlungen sowie sexuelle Nöti-gungen.
Unter Extremismus wurden mehrheitlich Schmierereien mit Hakenkreuzen und Naziparolen,
Provokationen im Unterricht durch Zeigen des Hitlergrußes und fremdenfeindliche bzw. anti-semitische Äußerungen gemeldet.
War ein Schüler oder eine Schülerinnen wiederholt und über eine längeren Zeitraum Gewalt
einschließlich negativer, beleidigender oder diskriminierender Handlungen ausgesetzt, wurde
dies unter Mobbing gefasst.
1.4 Opfer und Betroffene von Gewalt Opfer von Gewalthandlungen waren in ca. 70% der gemeldeten Fälle Schülerinnen und Schüler, in etwa 20 % der Fälle Schulpersonal. Sowohl Schülerinnen und Schüler als auch schulpersonal waren in ca. 8% der Fälle betroffen (siehe Abbildung 6). Meldegründe bei Vorfällen gegen Lehre-rinnen und Lehrer waren fast ausschließlich körperliche Angriffe, Bedrohungen und Beleidigungen.
8%
69%
3%20%
Schulpersonal
Schulpersonal und Schüler
Schüler
Sonstige
Abbildung 6: Opfer und Betroffene von Gewalt (in Prozent) 2 Maßnahmen zur Prävention schwerer zielgerichteter Gewalt an Schulen
In Folge der Amoktat von Winnenden überprüfte die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung die bisherigen Vorkehrungen an den Schulen für den Fall einer Amoktat und initi-ierte weitere Präventionsmaßnahmen.
— 7 — Als unmittelbare Reaktion auf die Amoktat in Winnenden wurden in Berlin in enger Zusam-
menarbeit mit der Polizei die Notfallpläne der Berliner Schulen zu den Themen „Amokdro-hung“ und „Amoklauf“ aktualisiert.
In Kooperation von Schulaufsicht, Schulpsychologie und Berliner Polizei werden im Schuljahr
2009/10 Schulleiterinnen und Schulleiter aller Schularten zum Thema Amokprävention ge-schult.
Die im psychologischen Umgang mit der Thematik erfahrenen Schulpsychologinnen und
Schulpsychologen für Gewaltprävention und Krisenintervention stehen den Schulen beratend zur Seite, wenn Schülerinnen und Schüler Gewalttaten androhen. Sie beraten die Schule, oft gemeinsam mit der Polizei, bei der Einschätzung der Gefährlichkeit der ausgesprochenen Dro-hung und unterstützen die Aufarbeitung eines Vorfalls an der Schule. Das umfasst neben der angemessenen Sanktionierung der Tat Maßnahmen zur Wiederherstellung des Schulfriedens und eine Reintegration des Täters in den Schulalltag und die Schulgemeinschaft, eventuell auch an einer anderen Schule.
Lehrkräfte werden darin geschult, frühe Warnzeichen bei Kindern und Jugendlichen wahrzu-
nehmen und anzusprechen, die sich über einen längeren Zeitraum im Verhalten, in Andeutun-gen und Tatfantasien zeigen. Das schließt die Kooperation mit den Eltern ein.
Gemeinsam mit den Bezirken und der Polizei wurde eine berlinweit abgestimmte Vorgehens-
weise für ein einheitliches Alarmierungssystem festgelegt. So werden bei allen Neu- und Um-baumaßnahmen Lautsprecheranlagen installiert. Die "Wirtschaftlichen Standards des öffentli-chen Bauens" wurden für Schulen bereits dahingehend geändert. Bei Objekten im Gebäudebe-stand sind hingegen die vorhandenen Pausensignalanlagen mit einem Dauerton für Alarmie-rungen auszurüsten. Finanziell wurde den Bezirken hierfür die Möglichkeit eröffnet, die Mittel aus dem Schulanlagensanierungsprogramm zu verwenden.
In 2 Bezirken ist die Umrüstung aller Standorte fast abgeschlossen. Die anderen Bezirken ha-
ben einen Teil der Schulen bereits ausgestattet und beabsichtigen, die Maßnahmen überwie-gend gegen Ende des Jahres 2010 abzuschließen.
3 Gewaltprävention und Krisenintervention Amokprävention ist ein Bestandteil allgemeiner Gewaltprävention an Schulen. Diese muss genau wie andere Maßnahmen der Gewaltprävention in Prozesse der Schulentwicklung eingebettet wer-den, um das soziale Lernen zu fördern und das soziale Klima an der Schule nachhaltig zu verbes-sern. Gewaltprävention setzt auf Kooperation und Vernetzung mit innerschulischen und außer-schulischen Partnern, u.a. mit Eltern, der Jugendhilfe, freien Trägern, der Polizei und anderen. Beispiele der Gewaltprävention im Schuljahr 2008/09: Das „Buddyprojekt“ an den Berliner Grundschulen wurde in Kooperation mit der Suchtprä-
vention und der Schulpsychologie weiter geführt (www.buddy-ev.de). Im Rahmen der Regionalen Fortbildung erwarben in 64 Fortbildungsveranstaltungen über
760 Lehrkräfte Kompetenzen zur Gewaltprävention und Krisenintervention, zur Demokra-tiepädagogik und zum sozialen Lernen.
An 9 Präventivkursen zur Lehrergesundheit nahmen 80 Lehrkräfte teil.
— 8 — Als Handreichungen für alle Schulen wurden die „Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel“
und die Kartei „Gute Schule“ herausgegeben, die vielfältige Hinweise zur Schulkultur, zum Umgang mit Konflikten und zur Kooperation enthalten.
33 Berliner Schulen engagieren sich als „Schule ohne Rassismus-Schule mit Courage“ (www.schule-ohne-rassismus.org).
Zur Stärkung der Rechtsbewusstseins fanden 2009 in der Sekundarstufe I 22 Projektwo-chen im Rahmen des „Rechtskundepakets“ statt (www.stiftung-spi.de/rechtskunde).
Die Berliner Polizei führte in den 5.-8. Klassen über 2000 Anti-Gewalt-Veranstaltungen durch. Die Präventionsbeauftragten der Polizei stehen allen Berliner Schulen auf Anfrage zur Verfügung.
Unter dem Aspekt frühzeitiger Krisenintervention
erhalten Schulen zeitnahe psychologische Unterstützung bei der Aufarbeitung von Gewalt-
und Notfallsituationen durch die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen für Gewalt-prävention und Krisenintervention;
sind die im Schuljahr 07/08 ausgebildeten 64 Beratungslehrkräfte an den beruflichen Schu-len in Kooperation mit der Schulpsychologie bei Gewalt- und Krisensituationen tätig;
werden verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler an 111 Schulen im Netzwerk ETEP (EntwicklungsTherapie/Entwicklungspädagogik) besonders betreut und gefördert. Die Mul-tiplikatoren führen zudem Fortbildungen durch und verbreitern so die Basis für ein ge-meinsames Erziehungskonzept;
erhielten 85 besonders aggressiv auffällige Schülerinnen und Schüler an 64 Schulen in Ko-operation mit Denkzeit e.V. ein sozial-kognitives Einzeltraining (www.denkzeit.com).
4 Ausblick In den künftigen Sekundarschulen wird Gewaltprävention eine wichtige Rolle in den
Schulprogrammen spielen. Dafür werden Qualifizierungs- und Unterstützungsangebote be-reit gestellt.
Das „Buddy-Programm“ wird um Angebote für die Oberschulen erweitert. Aktionen und Projekte zur Stärkung einer demokratischen Schulkultur werden weiter un-
terstützt, insbesondere die Vernetzung der Konfliktlotsenarbeit in den Bezirken. Lehrkräften stehen Veranstaltungen zur Gewaltprävention im Rahmen der Regionalen Fort-
bildung zur Auswahl. Die „Notfallpläne für Berliner Schulen“ werden in Kooperation mit der Unfallkasse Berlin
allen Schulen 2010 in überarbeiteter Fassung zur Verfügung gestellt. Durch die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen für Gewaltprävention und Krisenin-
tervention wird die Bildung von Krisenteams an Schulen gezielt unterstützt und begleitet.