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Preußische Monatsbriefe 1 Berichte, Kommentare, Glossen und Despektierliches für aufgeklärte, mündige Schichten Wort des Monats Holder Friede, süße Eintracht, weilet, weilet freundlich über dieser Stadt! …Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Ge- läute. Friedrich Schiller (Lied von der Glocke) Inhalt Seite 2: Rapport: Warum blei- ben Kirchen oft leer? Seite 6: Bismarck im Visier Seite 7 : Leserbriefliches Seite 8: Patrioten-Passagen mit Hart und Börne Seite 9: Preußische Daten, u. a. Friedrich der Große in Berlin Seite 12: Preußen witzig Seite 13: Tagebuch eines Welt- krieg-Musketiers (Folge XXI) Seite 26: Impressum Zuschriften Archiv Bestellung Abbestellung Vorweg… …zunächst zwei Bitten: Haben Sie Anregungen, Wünsche, Kritiken oder gar Lobe für die Preußischen Monatsbriefe, dann teilen Sie uns diese doch bitte mit. Wir stellen uns gern auf Sie ein. Und: Die Ihnen per Mail zugesandten KOSTENLOSEN Monatsbriefe lassen sich im Internet aufrufen: www.Preussische-Monatsbriefe.de Bitte geben Sie diese Adresse an wache Geister weiter. Sie und wir danken es Ihnen. ▼▲▼ Wohl kaum ein Begriff wird in seriösen Disputationen, in sich klug wäh- nenden Palavern und Pamphleten so gern verwendet wie das Wort Frei- heit. Die politische Branche hat den diffusen Begriff geradezu gepachtet. Eine ernsthafte und Sinn suchende Diskussion ist erst möglich, wenn die Teilnehmer ihre ureigene Definition kundgetan haben und man sich eventuell auf eine davon als Gegenstand der Erörterung geeinigt hat. Schon das ist schwer; denn bei einem Dutzend Austauschfreudigen fin- den sich zwölf Auslegungen. Zum Exempel: Erklären Bush, Obama und andere Kriegsfürsten, sie wollen anderen Ländern die Freiheit bringen, wissen die Betroffenen, was die Stunde geschlagen hat und beschwören (vergeblich) ihre Freiheit des Selbstbestimmens. Unser verehrter Bun- despräsident hat sich für seine beliebten Ansprachen sogar eine bedarfs- offene Freiheits-Kollektion zugelegt. In diesem Gedankenzusammenhang sei Max von Schenkendorf gedankt. Der bedeutende Lyriker der Napoleonischen Kriege und 1813 im preu- ßisch-russischen Generalstab Tätige schenkte uns Anno 1815 mit dem Gedicht „Freiheit, die ich meine“ einen auch vertonten Hinweis auf die Vielschichtigkeit des schillernden Wortes. Seine Eingangszeile verführt zu vielerlei Interpretationen und Assoziationen. Prompt bereichert sein Lied die Gesangsbücher von links bis rechts. Wie einfach-deutlich lässt sich dagegen der in der freiheitlichen Welt ungeliebte Begriff „Frieden“ definieren. Etwa so: Zustand der Ruhe und Stille(!) bei Abwesenheit von Gewalt aller Formen, vornehmlich von Krieg. Das bevorstehende Fest des Friedens erinnert daran. Friede sei mit Euch! Die Schriftleitung No. 51 / Dezember 2015

Berichte, Kommentare, Glossen und Despektierliches für ... · Die einen aus ihrem Glauben heraus, die anderen aus einer verweltlichen Tradition. Wie man zu Ostern in die erwachende

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Page 1: Berichte, Kommentare, Glossen und Despektierliches für ... · Die einen aus ihrem Glauben heraus, die anderen aus einer verweltlichen Tradition. Wie man zu Ostern in die erwachende

Preußische Monatsbriefe

1

Berichte, Kommentare, Glossen und Despektierliches für aufgeklärte, mündige Schichten

Wort des Monats Holder Friede,

süße Eintracht, weilet, weilet

freundlich über dieser Stadt! …Freude dieser

Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Ge-

läute.

Friedrich Schiller (Lied von der Glocke)

Inhalt Seite 2: Rapport: Warum blei-ben Kirchen oft leer? Seite 6: Bismarck im Visier Seite 7 : Leserbriefliches Seite 8: Patrioten-Passagen mit Hart und Börne Seite 9: Preußische Daten, u. a. Friedrich der Große in Berlin Seite 12: Preußen witzig Seite 13: Tagebuch eines Welt-krieg-Musketiers (Folge XXI) Seite 26: Impressum

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Vorweg…

…zunächst zwei Bitten: Haben Sie Anregungen, Wünsche, Kritiken oder gar Lobe für die Preußischen Monatsbriefe, dann teilen Sie uns diese doch bitte mit. Wir stellen uns gern auf Sie ein. Und: Die Ihnen per Mail zugesandten KOSTENLOSEN Monatsbriefe lassen sich im Internet aufrufen:

www.Preussische-Monatsbriefe.de Bitte geben Sie diese Adresse an wache Geister weiter. Sie und wir danken es Ihnen.

Wohl kaum ein Begriff wird in seriösen Disputationen, in sich klug wäh-nenden Palavern und Pamphleten so gern verwendet wie das Wort Frei-heit. Die politische Branche hat den diffusen Begriff geradezu gepachtet. Eine ernsthafte und Sinn suchende Diskussion ist erst möglich, wenn die Teilnehmer ihre ureigene Definition kundgetan haben und man sich eventuell auf eine davon als Gegenstand der Erörterung geeinigt hat. Schon das ist schwer; denn bei einem Dutzend Austauschfreudigen fin-den sich zwölf Auslegungen. Zum Exempel: Erklären Bush, Obama und andere Kriegsfürsten, sie wollen anderen Ländern die Freiheit bringen, wissen die Betroffenen, was die Stunde geschlagen hat und beschwören (vergeblich) ihre Freiheit des Selbstbestimmens. Unser verehrter Bun-despräsident hat sich für seine beliebten Ansprachen sogar eine bedarfs-offene Freiheits-Kollektion zugelegt.

In diesem Gedankenzusammenhang sei Max von Schenkendorf gedankt. Der bedeutende Lyriker der Napoleonischen Kriege und 1813 im preu-ßisch-russischen Generalstab Tätige schenkte uns Anno 1815 mit dem Gedicht „Freiheit, die ich meine“ einen auch vertonten Hinweis auf die Vielschichtigkeit des schillernden Wortes. Seine Eingangszeile verführt zu vielerlei Interpretationen und Assoziationen. Prompt bereichert sein Lied die Gesangsbücher von links bis rechts.

Wie einfach-deutlich lässt sich dagegen der in der freiheitlichen Welt ungeliebte Begriff „Frieden“ definieren. Etwa so: Zustand der Ruhe und Stille(!) bei Abwesenheit von Gewalt aller Formen, vornehmlich von Krieg. Das bevorstehende Fest des Friedens erinnert daran. Friede sei mit Euch! Die Schriftleitung

No. 51 / Dezember 2015

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Warum bleiben Kirchen oft leer? Das alte Kirchenjahr hat sich mit dem Ewigkeits- bzw. Totensonntag am 22.November verabschiedet, das neue hob in katholischer wie evangelischer Tradition mit der Vesper am Vorabend zum ersten Adventssonntag am 29. November an. Verbunden wie beim weltlichen Jahreswechsel mit Rückschau und Ausblick, mit Dank, Fürbitte und Hoffnung. Zu dem, was einen guten Preußen und viele andere bedrückt, gehört nicht zuletzt ein nur scheinbar kümmerlich äußeres, tatsächlich aber ins Mark zie-lendes Zeichen zunehmenden geistig-moralischen Abbaus, das in vielen Gegenden unseres Vaterlan-des schmerzhaft sichtbar wird: meist leer stehende Kirchen mit Kostbarkeiten innen wie außen. Deutsches Kulturgut zunehmend im Abseits. Hergerichtet mit dem Geld aus schmalen Kollekten und aus größeren Kirchensteuer-Körben der Gemeinden, mit edlen Spenden von Christen und Patrioten vom aussterbenden Schlage eines Max Klaar und seiner Truppe sowie schließlich mit üppigen staatli-chen Zuwendungen.

Max Klaar vor der Glockenspende für die Potsdamer Nikolaikirche

Nicht immer gleichen Kirchen und Dome überflüssig gewordenen Bus-Wartehallen oder bleiben aus Furcht vor Diebstählen und Vandalismus verschlossen. Im Dezember füllen sie sich. Zum Weihnachts- bzw. Christfest geht man in die Kirche. Die einen aus ihrem Glauben heraus, die anderen aus einer verweltlichen Tradition. Wie man zu Ostern in die erwachende Natur wandert, ohne an die Auferste-hung zu denken, oder zu Pfingsten ins Gartenlokal, um eine Weiße mit Schuss oder einen Himbeer-geist zu trinken, die mit dem Heiligen Geist weiß Gott nicht viel zu tun haben.

Leere Kirchen schmerzen. Zumal dann, wenn zunehmend mehr Moscheen im Land brechend voll sind, ohne dass der Muezzin gerufen hätte – was sicher auch noch bald zu den neuen Ritualen in Deutschland gehören wird.

Die große Frage, warum sie leer bleiben, wird in der Gesellschaft des vermeintlich christlichen Abendlandes bestenfalls in kleinsten Kreisen diskutiert. Merkels verfehlte Flüchtlingspolitik be-herrscht die Gemüter. Und noch vor den anklagenden Leerkirchen rangiert in der Aufmerksamkeit der von Film, Fernsehen und Medien geleiteten großen Masse, wie hoch die mit weltweit zusam-mengekauften Fußballern vollgepfropfte Bayern-Elf gewinnt, wer der Mörder im Tatort des ARD-Staatsfernsehens ist, wo man das beste Schnäppchen schießen kann oder wer da im Dschungelcamp lümmelt. Religion und Kirche kommen in dieser Sphäre bestenfalls als unbekanntes Etwas, mitunter als überflüssiges, weil störendes Element vor. Jedes Jahr am 31. Oktober wird Martin Luther von Hal-loween-Fans K.o. geschlagen. Welch‘ Schande für das Land (untergehender) christlicher Tradition. Da verwundert es nicht, dass im vergangenen Jahr 410 000 evangelische und 217 716 katholische Chris-ten ihre Kirchen verlassen haben. Leer bleibende Kirchenbänke in erschreckend großer Zahl.

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Der Gründe für die Leere gibt es viele. Sie hat auch etwas mit zunehmender Leere in vielen Köpfen zu tun. Verbunden mit anmaßenden Egoismen, abnehmenden Rechtsbewusstsein und strotzender Gleichgültigkeit. Es findet eine nach persönlichen Belieben bzw. politisch-ökonomischen Bedarf zu-rechtgezimmerte Säkularisierung statt. Preußens großer Philosoph Immanuel Kant hatte die Vernunft in den Mittelpunkt des individuellen und gesellschaftlichen geistigen Emanzipationsprozesses ge-setzt. Heute herrscht von oben bis unten Unvernunft, die sich über alle Regel des menschlichen Mit-einanders hinwegsetzt. Selbstfindung und Eigennutz stehen gegen Gemeinsinn.

Nicht alle Gründe für verwaiste Gotteshäuser können an dieser Stelle berührt und schon gar nicht behandelt werden. Dies ist ein Monatsbrief und keine Enzyklopädie. Eine wichtige Rolle dabei spielen – ähnlich wie in Parteien und anderen großen Organisationen – die führenden Persönlichkeiten der Institution Kirche. Mit ihrem persönlichen Beispiel vermitteln sie der medial stark geprägten Öffent-lichkeit ein kennzeichnendes Bild von sich selbst und von der Institution Kirche. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen darauf, ob Kirchenbänke leer stehen oder besetzt werden.

Denken wir an Altbischof Huber, vormals EKD-Ratsvorsitzender neben vielen weiteren Ämtern. Ein Karriere-Christ, wie er im Buche steht, schreiben seine Biographen. Friedrich der Große bezeichnete Geistliche seines Schlages als Politiker im Talar. Er hielt nicht viel von ihnen. Huber bewegte mit seinen zustimmenden Worten zum ersten bundesdeut-schen Krieg nach Hitler, der gegen Jugoslawien gerichtet war, viele er-zürnte Christen zum Kirchenaustritt. Er aber gewann an Ansehen in und von der Politik. Augenblicklich verdingt er sich als strammer Befürwor-ter des Aufbaus der Potsdamer Garnisonkirche. Doch er will beileibe kein Gotteshaus mit bedeutender christlich-preußischer Tradition wie-der entstehen lassen, sondern im Bunde mit dem politischen Zeitgeist sowie Kampfgenossen, pardon, Kampfbrüder wie Bischof Dröge und Ex-

Konsistorialpräsident Stolpe eine weitere Kniefall-, Sühne- und Gedenk-stätte für deutschen Untaten in der Zeit des Nationalsozialismus und des real existierenden Sozialismus. Beifall von den Politik-Rängen, Absa-gen von der Potsdamer Bevölkerung und ihrer Stadtverordnetenver-

sammlung. Was aber das Volk fordert, ficht die Politiker in Talar nicht an. Sie nehmen in Kauf, dass weitere Bänke in den Kirchen verstauben.

Beschäftigen wir uns kurz mit zwei weiteren, noch höher stehenden Persönlichkeiten christlicher Provenienz, deren Worte und Taten mittelbar Einfluss auch auf Kirchenbesuche haben. Pastoren-tochter Merkel schwor bislang dreimal der Kanzlereid und beendete ihn jedesmal aus eigenem Ent-schluss mit der Formel „So wahr mir Gott helfe“. Wer im Blick auf ihre Herkunft und nach dem drei-fachen öffentlichen Gottesbezug glaubte, sie werde eine Politik mit sichtbar werdenden christlichen Grundzügen zum Wohle und Nutzen des deutschen Volkes betreiben, der hoffte vergeblich. Im Ge-genteil – nicht wenige ihrer Unionsfreunde mussten beklagen, dass sie der Partei den christlich-konservativen Boden entzog und sich nach links und grün wandte. Professor Dr. Gerd Langguth, einer ihrer Biographen, analysierte: Sie sei halt nur eine gelernte Christdemokratin, und die Deutung der deutschen und internationalen Geschichte sei nicht ihre Stärke. Das klingt wie eine Anspielung auf ihre Sozialisierung in der DDR. Mit der Begründung „Wir haben die Schnauze richtig voll“ löste sich der CDU-Ortsverband Bredenbek im seinerzeit CDU-geführten Bundesland Schleswig-Holstein auf. Ortsverbands-Chef Ludger Korten erklärte, man sei es leid, „gegen die eigene Überzeugung eine Poli-tik zu vertreten, die sehr oft Gerechtigkeit und Verantwortung“ vermissen lasse. Professor Werner Münch aus Freiburg im Breisgau trat nach 37 Jahren Mitgliedschaft aus der CDU aus, weil Merkels Politik zur Profillosigkeit der CDU in der Bundesrepublik führe und sie nur an der „Stabilisierung ihrer eigenen Machtposition“ interessiert sei. Unerträglich nannte er den „internen und öffentlich zele-brierten Umgang der Parteivorsitzenden mit Personen, die der Union viele Jahre treu gedient ha-

Altbischof Huber träumt vor der Garnisonkirche von der nächsten Süh-

nestätte

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ben“. Er nannte Kohl, Schäuble, Merz, Kirchhof, Oettinger und Glos. Geradezu erschüttert nahmen Christen beider großen Konfessionen auf, dass die Bundeskanzlerin im Zusammenhang mit der Dis-kussion um den britischen Vagantenbischof Williamson das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Benedikt XVI., öffentlich diskreditiert und gedemütigt hat, obwohl es dafür keine Veranlassung gab. Wie sich die politische Richtlinien-Bestimmerin in der von ihr bereiteten deutschland- und europa-weiten Flüchtlingskrise verhält, haben wir in den vorigen Monatsbriefen ausführlich beleuchtet.

Joachim Gauck und Lebensgefährtin Daniela Schadt, ihre Vorgänger Helga Hirsch ist seine Beraterin, und

verheiratet ist er seit mehr als 50 Jahren mit Gerhild Gauck

Wechseln wir zum evangelisch-lutherischen Pastor Gauck aus Rostock, zum jetzigen Bundespräsiden-ten. Er untermauerte seine politische und unaufhaltsame Karriere als jahrelanger Bundesbeauftrag-ter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Re-publik (BStU) auf. Mit seiner Amtshilfe konnte u. a. die Entfernung von DDR-Eliten aus ihren Positio-nen und Funktionen realisiert werden, die dann von Altbundesländlern mit „Buschzulage“ einge-nommen wurden. Heute gefällt er mit stets wohlfrisierten Haaren und ebensolchen Reden, die er im Lande und auf Weltreisen mit pastoralem Timbre zu zelebrieren pflegt. An seiner Seite weiß er zu-meist seine gegenwärtige Lebensgefährtin Daniela Schadt. Als Beraterin und Vertraute fungiert laut Wikipedia seine vormalige Lebensgefährtin Helga Hirsch. In Rostock lebt seine Ehefrau Gerhild Gauck, geb. Radtke, mit der er vier Kinder hat und von der er nicht geschieden ist. Das seit 1991 nach kirchlicher (!) Trauung 1959 nicht mehr zusammenlebende Ehepaar hat längst die Goldene Hochzeit hinter sich.

Christen in Ost und West missbilligen die genannten Personalien und fragen sich, warum Pastor Gauck das Heilige Sakrament der Ehe so ungeniert für sich ad acta legt, in dem es heißt: „Die Eheleu-te haben die Pflicht, heilig zusammen zu leben, einander mit immerwährender Zuneigung in den geistigen und zeitlichen Bedürfnissen zu helfen und die Kinder gut zu erziehen… Mann und Frau dür-fen demnach nicht in einer neuen Verbindung wie Eheleute zusammenleben. Tun sie das dennoch, so leben sie im Ehebruch und laden daher dauernd schwere Schuld auf sich.“

Tragen Handlungen und Haltungen der beiden höher stehenden Persönlichkeiten christlicher Prove-nienz dazu bei, leere Kirchenbänke in Rostock und anderswo zu besetzen? Es darf bezweifelt werden.

Zum Abschluss ein Blick auf die 12. Synode der EKD, die vom 4. bis 11. November in Bremen statt-fand. Zu den Hauptthemen zählten Martin Luther im Zusammenhang mit dem 500. Jahrestag der Reformation 2017 sowie die Flüchtlingsproblematik. Den Auftakt schildert die „Jüdische Allgemeine“ in ihrer Ausgabe 45 vom 9. 11. 2015 so: „Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat von der evangelischen Kirche eine deutliche Distanzierung von der Judenmission gefordert.“ Der Gast bittet nicht etwa oder schlägt etwas vor, nein, er fordert. Wie reagierten der später wiedergewählte EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und das autonome Kirchen-parlament auf diese Anmaßung? Sie übten Staatsräson wie Merkel. In einer einstimmig beschlosse-nen Erklärung distanzierte sich die EKD-Synode von den judenfeindlichen Aussagen Luthers und an-

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derer Reformatoren. Luther habe im 19. und 20. Jahrhundert für theologischen und kirchlichen An-tijudaismus sowie politischen Antisemitismus in Anspruch genommen werden können. Man ver-sprach dem fordernden Gast, bis 2017 die Haltung der evangelischen Kirche zur Judenmission zu klären.

Luther vor der Berliner Marienkirche . Er überdauerte 1945 die Angriffe britischer Bomber. Seine Begleitfiguren waren

vorher für den Krieg eingeschmolzen worden

Man fragt sich, ob die EKDler samt Präsidenten ihren Luther und seine Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ nicht kennen oder ob sie vor gefälliger Ergebenheit nicht gewagt haben, dem Gast dieses hoffnungsvolle Zitat daraus entgegenzuhalten:

„Darum wäre meine Bitte und mein Rat, dass man säuberlich mit ihnen um-

ginge und aus der Schrift sie unterrichte, so möchten etliche herbeikommen. Aber nun, wenn wir sie nur mit Gewalt treiben und gehen mit Lügen und tei-

digen (unnützem Gerede, d. A.) um, geben ihnen Schuld, sie müßten Chris-tenblut haben, dass sie nicht stinken, und weiß nicht, was des Narrenwerkes

mehr ist, dass man sie gleich für Hunde hält, was sollten wir Gutes an ihnen schaffen. Auch dass man ihnen verbietet, unter uns zu arbeiten, hantieren

und andere menschliche Gemeinschaft zu haben, damit man sie zum Wucher treibt, wie sollte sie das bessern. Will man ihnen helfen, so muß man nicht

des Papstes, sondern christlicher Liebe Gesetz an ihnen üben und sie freund-lich annehmen, mit lassen werben und arbeiten, damit sie Ursache und Raum

gewinnen, bei uns und um uns zu sein, unsere christliche Lehre und Leben zu hören. Ob etliche halsstarrig sind, was liegt daran, sind wir doch auch nicht

alle gute Christen.“

In Sachen Flüchtlingspolitik wandelt der alte und neue EKD-Chef Bedford-Strohm in Treue fest in den Spuren von Huber, Stolpe und Co., als er sich an die weltliche Obrigkeit anschmiegte: Zum humanen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel gebe es keine Alternative. Er ermunterte sie, „auch unter schwieri-gen Bedingungen diesen flüchtlingspolitischen Kurs zu halten und der Versuchung zu widerstehen, auf einen Kurs der Abschottung und des Einzäunens von Europa einzuschwenken.“ Selbstredend ließ er an der Bürgerbewegung Pegida und der neuen Partei AfD kein gutes Haar. Er sprach es nicht direkt aus, meinte es aber: Teufelszeug.

Womit auch er erfolgreich dazu beitrug, die Bänke in leerstehenden Kirchen zu schonen. Wie äußerte sich einer der vielen Enttäuschten über den stromlinienförmig angepassten Kirchenführer? „Gebt ihm doch endlich sein eigenes Büro im Reichstag, mit Stellplatz versteht sich.“ Gustav von Trump

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Otto von Bismarck im Visier

Bismarck macht wieder von sich reden. Leider nicht der Eiserne Kanzler höchstpersönlich, der uns heutzutage sicher weitaus bessere Politik böte als die gegenwärtige Spitze der Bundesrepublik. Es geht um sein steinernes Ebenbild, das sich im Alten Elbpark in den Hamburger Wallanlagen seit 1906 mehr als 34 Meter in die Höhe reckt. Das Hamburger Wahrzeichen gilt als weltweit größte Statue Bismarcks. Seinem Können angemessen. Das jahrelang verlodderte und vollgeschmierte Denkmal soll endlich für 13 Millionen Euro saniert werden. Die Mittel kommen je zur Hälfte von Stadt und Bund. Zugleich wird auch die Umgebung des Standorts neu gestaltet. Im Sommer dieses Jahres hatten so genannte Künstler aus Wien dem granitenen Riesen mit behörd-licher Genehmigung einen 180 Kilo wiegenden Steinbock aufs Haupt gehievt. Er verlieh dem Abbild des ehemaligen Reichskanzlers aus der Ferne einen diabolischen Anblick. „Wir freuen uns, dass wir im Bismarck-Jahr dieses Denkmal für unsere Installation gewinnen konnten“, erklärte einer der „Künstler“. Man habe den Bismarck-Kult ironisch und subversiv überwandern wollen. Wo sie den ausgemacht haben, verschwiegen sie. Inzwischen ist das Hörner-Tier wieder entfernt worden. Die Kulturschande blieb. Apropos Kulturschande: In der Hamburger St.Katharinen-Kirche hatten die Wie-ner einen riesigen Felsbrocken als Kunst im lichten Kirchenschiff schweben lassen. So etwas wäre im Wiener Stephansdom undenkbar gewesen.

„Steinbock-Kunst“ in Hamburg und Realismus am Wannsee in Berlin

Informationen über den Hamburger Unsinn erhielten wir dankenswerterweise von Wolfgang Müller, Vorsitzender des Alt-Bismarckbundes Berlin. Ihm verdanken wir auch Text und Bilder vom wenig bekannten Bismarck-Denkmal am Berliner Wannsee, das von der Garten-und Landschaftsbau-Firma Joachim Sünder aus Berlin-Pankow ein ansehnliches Umfeld erhalten hat. Es steht in einer Parkanla-ge auf dem Weg vom Kronprinzessinnenweg zum Hafen Wannsee. Vom Park bietet sich eine herrli-che Aussicht auf den Wannsee und die ihn umgebende Landschaft.

Wolfgang Müller, Leser der Preußischen Monatsbriefe, war jahrelang Turmwart des imposanten Bis-marck-Monuments in Rathenow. Er baute im dortigen Bismarckzimmer eine einzigartige Sammlung über den Urpreußen und Reichskanzler auf. Als das Zimmer höchstbedauerlich geschlossen wurde und seitdem nicht mehr für das Publikum geöffnet wird, nahm er seine bemerkenswerte Sammlung mit zu sich. Sie verdiente, wieder öffentlich gezeigt zu werden. Peter Mugay

Wolfgang Müller vor der Turmkuppel mit dem Bismarckzimmer und Veranstaltung dortselbst

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Leserbriefliches

Zum Monatsbrief November Für den Monatsbrief November möchte ich mich bedanken. Der Brief war wieder hervorragend auf-gebaut, und die Auffassungen zur politischen Lage in diesem Land sind überzeugend dargelegt und begründet. Danke auch dafür, dass Sie den Mut hatten, das „Pegida-Programm” zu veröffentlichen damit erkannt wird, dass die eigentlichen Ziele dieser Bewegung in der Sorge um unser Land und unsere Nation begründet liegen. Dass sich in einer solchen Bewegung auch radikale Rechte neben den besorgten Konservativen produzieren wollen, ist genauso bekannt wie der Wandel der Partei „Bündnis 90/ Grüne” zu einer gefährlichen Ultra-linken Partei. Von all diesen Extremen müssen wir uns grundsätzlich abwenden und dürfen trotzdem nicht nachlassen, unsere Sorge um die leichtferti-ge und gewissenlose Politik der Kanzlerin deutlich und öffentlich zu machen.

Hans-Jörg Melcher, Frankfurt (Oder) Ω

Habe den Monatsbrief aufmerksam gelesen und bin mit den Aussagen voll einverstanden; sowohl hinsichtlich der Aufklärung zu den Rattenfängern als auch mit dem Beitrag zur Neumark und dem des Generalmajors! Wichtig auch immer wieder die Patriotenaussagen und die preußische. Daten. Die Tagebuchnotizen des Musketiers sollten Pflichtlektüre im Bundestag und an den Schulen werden.

OA Dr. Hans-Rüdiger Gohlke, Berlin Ω

Über den Artikel "Rapport zur Lage" von Gustav von Trump im Monatsbrief der Preußischen Gesell-schaft Berlin-Brandenburg und seine Suche im Internet bin ich heute auf Ihre Seite "Preußische Mo-natsbriefe" gestoßen und sehr froh darüber. Herr von Trump hat den Finger schonungslos in die Wunde EU gelegt. Danke dafür, denn In den gängigen Medien erfährt man kaum etwas darüber, weil es nicht ins Konzept passt. Auch Ihr Archiv ist sehr interessant. Ich melde mich daher heute bei Ihnen an und werde Ihre Seite ab sofort weiterempfehlen.

Dieter Luckner, per E-Mail

Ω Sehr interessant das Tagebuch des Robert Johnscher. Meine Idee: Heutige junge Soldaten der Bun-deswehr müssen mittlerweile ja häufig in den Krieg, zumindest in Kriegsgebiete, man denke nur an Afghanistan. Mich würde interessieren, wie sie dieses Tagebuch interpretieren und was sie nach der Lektüre über ihr eigenes Soldatenleben im Kampfgebiet denken.

Dr. Heinz König, Erlangen

Ω Ich lese Ihre online-Ausgabe nun schon lange Zeit. Aber wie es im Berufsleben so ist: mal mehr, mal weniger. Zum Tagebuch des Weltkriegs-Musketiers: großartig! Ist ein kompletter Download oder ein Buch o.ä. verfügbar? Das wäre für mich als ehemaliger Offizier der letzten ordentlichen Armee in Deutschlands Osten sehr wichtig. Gern nutze ich Gespräche und Foren mit Jugendlichen, um ein we-nig zu erklären und zu versuchen, manches zu verhindern...

Dieter Lehmann, per E-Mail

x Zur Tagebuch-Anfrage: Leider ist das Tagebuch – jedenfalls bis jetzt – nicht in Buchform vorhanden. Auch ein kompletter Download existiert nicht. Allerdings können sämtliche Folgen ab der ersten Folge in der Märzhausgabe des Jahres 2014 heruntergeladen werden. Dazu ist auf der Seite 1 die Rubrik Archiv anzuklicken, sind die entsprechenden Ausgaben der Preußischen Monatsbriefe aufzurufen und die bisher zwanzig Folgen herauszukopieren – aber bitte nur für den persönlichen Gebrauch, worin ein Nutzen bei Gesprächen und Foren mit Jugendlichen miteingeschlossen ist.

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Patrioten-Passagen

HEINRICH HART Es ist leicht zu sagen, erst müssen wir die Wirtschaft einrichten, dann können wir Ausgaben für den Luxus machen, erst den Grundstein legen, dann können wir an Dekoration und Verzierung denken. Es ist leicht, aber nicht minder sinnlos. Ebenso wenig der Einzelmensch die Hälfte des Lebens hindurch, wenn er überhaupt den Namen Mensch verdient, arbeitet, ohne zu genießen, und die andere genießt, ohne zu arbeiten, ebenso wenig kann der Staat zunächst allein für das materielle Wohl sorgen und dann erst den idealen Aufgaben seine Aufmerksamkeit zuwenden…

Die höchste Entwicklung hat nur der Staat erreicht, der auch seinerseits einer harmonischen Gesamtvollendung sich erfreut. Müssen auch die wirtschaftlichen Grundlagen in ihm festge-gründete sein, so ist doch seine Hauptaufgabe die Pflege der seelischen Genussmittel, der Kräfte, von denen die Harmonie ausgeht. Die Blütezeit eines Landes tritt also nicht dann ein, wenn sich der Staat der höchsten materiellen Wohlfahrt erfreut, sondern erst dann, wenn Kunst, Philo-sophie (die Wissenschaft in edelster Form), Literatur, Poesie und Religion die höchsten Stufen ihrer zeitgemäßen Entwicklung einnehmen. Diese Einsicht scheint der herrschenden Politik verschlossen zu sein, sie geht in den Sorgen für das Wirtschaftliche nahezu auf. [ ... ]

(Der Schriftsteller und Literaturkritiker Heinrich Hart (1855 bis 1906) schrieb diese Zeilen 1885. Er begründete mit seinem Bruder Julius Hart 1879 den Deutschen Literaturkalender, der ab 1882 von J. Kürschner fortgeführt wurde und internationale Berühmtheit erlangte.)

LUDWIG BÖRNE Die unwandelbare Freundschaft und der ewige Friede zwischen allen Völkern, sind es denn Träume? Nein, der Hass und der Krieg sind Träume, aus denen man einst erwachen wird. Welchen Jammer hat nicht die Liebe des Vaterlandes schon der Menschheit verursacht! Wieviel hat diese lügnerische Tugend nicht an wilder Wut alle anerkannten Laster übertrof-fen! Ist der Egoismus eines Landes weniger ein Laster als der eines Menschen? Hört die Gerechtigkeit auf, eine Tugend zu sein, sobald man sie gegen ein fremdes Volk ausübt? Eine schöne Ehre, die uns verbietet, uns gegen unser Vaterland zu erklären, wenn die Ge-rechtigkeit ihm nicht zur Seite steht! Ich halte den Patriotismus…für etwas Angeborenes, Natürliches und Heiliges. Er ist ein angebo-rener Trieb, und darum natürlich, und darum heilig, wie alles, was von der Natur kommt. Aber welches Heilige wurde nicht schon missbraucht, ja, mehr missbraucht als alle gemei-nen Dinge, weil eine ehrfurchtsvolle Scheu jede genaue Untersuchung zurückschreckte und den Schändern des Heiligtums freien Spielraum gab?

Die Ehre eines Volkes ist, dass es wisse frei zu sein, ein Bedientenvolk hat keine Ansprü-che auf Achtung zu machen.

Und seitdem ist das ganze deutsche Volk von seiner Oberregierung in zwei Klassen abge-teilt worden: in die der Spione und in die der Spionierten. Außer ihnen nicht einer mehr. Sei einer brav oder schlecht, Mensch oder Teufel, das kümmert sie nicht; man ist Polizei-hund oder Polizeiwild, Hammer oder Amboss.

(Aus „Menzel, der Franzosenfresser“, 1836)

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Preußische Daten 1.Dezember 1640 (375): Kurfürst Georg Wilhelm stirbt 45jährig in Königsberg. Sein Sohn Fried-rich Wilhelm (geboren am 16. Februar 1620), übernimmt als 20jähriger die Regierungsgeschäfte. Er geht als Großer Kurfürst in die Geschichte ein. 1.Dezember 1700 (315): Kurfürst Friedrich III., nachmaliger König Friedrich I., erlässt eine Anord-nung, nach der die Berliner künftig die Straßen zweimal wöchentlich zu reinigen haben. 1.Dezember 1890 (125): Nach einer Volkszählung beträgt die Zahl der Berliner, die in der Stadt geboren sind, „306 308 männliche und 336 325 weibliche Personen gegenüber 453 315 männli-chen und 482 846 weiblichen außerhalb Geborenen“ – Gesamteinwohnerzahl: 1 578 794. Im Durchschnitt bewohnen 52,64 Menschen ein Wohnhaus. Im Reichsdurchschnitt waren es dage-gen nur 8,45 Personen. Die Volkszählung 1895 ergibt 1 666 304 Einwohner. 2.Dezember 1880 (135): Anlässlich seiner Silberhochzeit erklärt das Ehepaar Moritz und Berta Manheimer aus eigenen Mitteln eine zweite jüdische Altersversorgungsanstalt neben dem Al-tersheim in der Großen Hamburger Straße errichten zu lassen. 3.Dezember 1840 (175): Die erste von August Borsig im preußischen Berlin gebaute Dampfloko-motive für den Eisenbahnverkehr, die BORSIG, erhält eine vorbehaltlose Betriebsgenehmigung. Sie läuft bis 1845 auf der Strecke Berlin - Potsdam. Danach wurde sie anderweitig eingesetzt und

1854 zur Dampfdraisine umgebaut. 6.Dezember 1850 (165): Otto Theodor Freiherr von Man-teuffel, von 1848 bis 1850 preußischer Innenminister, da-nach bis 1858 Ministerpräsident, wird Ehrenbürger der Stadt. Außerdem erhält er die Ehrenbürgerschaft von Dan-zig, Brandenburg an der Havel, Stettin und aller Städte der Niederlausitz. 7.Dezember 1700 (315): Ein „Reglement vor die in hiesi-gen Residentzien sich aufhaltenden Juden“ wird erlassen. 8.Dezember 1840 (175): Der „Verein der Wundärzte in Berlin“ veröffentlicht seine Statuten, die die Beförderung

der Kunst und Wissenschaft sowie die Unterstützung be-dürftiger Vereinsmitglieder und deren Familien vorsehen.

8.Dezember 1895 (120): Nach dem Bildhauer Daniel Christian Rauch (u. a. Schöpfer der Reiter-statue Friedrichs des Großen), der die Berliner Ehrenbürgerwürde 1851 erhält, wird mit dem Maler Adolph Friedrich Erdmann von Menzel ein weiterer bildender Künstler mit der höchsten Berliner Ehrenauszeichnung geehrt. Berühmt sind u. a. seine 400 Federzeichnungen zu Kuglers „Geschichte Friedrichs des Großen“. 10.Dezember 1870 (145): In einer Adresse bittet der Norddeutsche Reichstag, König Wilhelm (I.), möge ''durch Annahme der deutschen Kaiserkrone das Einigungswerk weihen''.

Berliner Ehrenbürger Manteuffel

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11.Dezember 1740 (275): Friedrich der Große stellt Österreich ein Ultimatum für die Abtretung Schlesiens an Preußen. Im Gegenzug wolle er die Pragmatische Sanktion anerkennen und den österreichischen Mitregenten Franz I. Stephan, Schwiegersohn des verstorbenen Kaisers Karl VI. und Ehemann von Maria Theresia, bei der Wahl zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation unterstützen. Ohne die Antwort Österreichs abzuwarten, führt er am 16. De-zember eine Armee von 27.000 Soldaten nach Schlesien hinein. Es beginnt der I. Schlesische Krieg. Der protestantische Teil der Bevölkerung begrüßt die Preußen als Befreier von religiöser Behinderung.

Berliner Weihnachtsmarkt in der Breiten Straße

11.Dezember 1750 (265): Erstmals findet der Berliner Weihnachtsmarkt in der Breiten Straße und auf dem Schlossplatz statt. Diesen Standort behielt er bis 1872 bei. Im Köllnischen Stadtbuch finden sich erste Hinweise auf weihnachtsmarktähnliche Verkaufsveranstaltungen um 1530.

13.Dezember 1895 (120): In vollständiger Fassung wird die Zweite Sinfonie von Gustav Mahler vom Berliner Philharmonischen Orchester unter Leitung des Komponisten uraufgeführt.

13.Dezember 1895(120): Gründung in Berlin des Komitees für die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen 1896. Es gilt als Vorläufer des Nationalen Olympischen Komitees.

16.Dezember 1830 (185): Der Architekt Karl Friedrich Schinkel wird zum Direktor der Oberbau-deputation berufen. Sie ist die oberste preußische Baubehörde.

17.Dezember 1845 (170): Alexander von Humboldt setzt sich in einem Schreiben an den königli-chen Präsidenten des Handelsamtes, Friedrich von Rönne, eindringlichst für die Einrichtung eines ordentlich arbeitenden meteorologischen Messnetzes in Preußen ein.

17.Dezember 1895 (120): Die kupferne Ausführung der Berolina-Statue des Architekten und Bildhauers Emil Hundrieser wird auf dem Berliner Alexanderplatz aufgestellt. Sie ist 7, 50 Meter hoch und wiegt fünf Tonnen. Die Statue wird am 26. August 1942 abgebaut und wahrscheinlich eingeschmolzen.

18.Dezember 1705 (310): König Friedrich I. erlässt ein „Edict, wegen des starcken Fahrens auf denen Strassen in den Residentzien, Schlittenfahrt, und abends nicht ohne Laternen zu fahren, auch wie die Reit-Pferde auf den Strassen zu führen“.

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19.Dezember 1800 (215): Das neuerbaute Lokal der „National-Mutterloge zu den drei Weltku-geln“ des Freimaurer-Ordens in Berlin wird in der Splittgerbergasse in Berlin-Mitte seiner Be-stimmung übergeben.

23.Dezember 1800 (215): Angeregt und finanziert vom Stadtrat Dracke und vom Pionier-Kapitän Buddée, werden in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Mitte je eine Suppenküche eröffnet. In den Wintermonat können hier täglich 160 Arme unentgeltlich essen.

25.Dezember 1685 (330): Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, schließt in Berlin mit Kaiser Leopold I. einen Vertrag über ein zum Türkenkrieg zu stellendes Hilfskorps von 7 000 Mann.

26.Dezember 1900 (115): Der Wohltätigkeitsverein Krankenküche nimmt die Versorgung von Armen und alleinstehenden Kranken in Berlin auf. Sie liefert sieben verschiedene Gerichte in Thermophoren frei in die Wohnungen.

27.Dezember 1785 (230): François-Charles Achard, Gründer der ersten Rübenzuckerfabrik, lässt im Berliner Lustgarten wie in den Jahren zuvor große Luftballons aufsteigen.

Friedrich der Große zieht in Berlin ein – am 28. Dezember 1745

nach dem Dresdner und am 30. März 1763 nach dem Hubertusburger Frieden (unser Bild) 28.Dezember 1745 (270): Nach Unterzeichnung des Friedensvertrages zu Dresden am 25. De-zember, der das Ende des Zweiten Schlesischen Krieges besiegelt und den Besitz Schlesiens be-stätigt, kehrt Friedrich der Große nach Berlin zurück. Er wird feierlich empfangen. 28. Dezember 1870 (145): Als erste katholische Tageszeitung erscheint die „Germania“ mit dem Untertitel „Zeitung für das deutsche Volk“. Sie versteht sich als Interessenvertreter der Berliner Katholiken und steht der Deutschen Zentrums-Partei nahe. 1938 stellt sie ihr Erscheinen ein. 31.Dezember 1700 (315): Am Silvestertag wird in Berlin ein Regenbogen beobachtet. Dieses sei „ein liebliches Zeichen bei Beschluss des alten Jahres“ gewesen. 31.Dezember 1870 (145): Da strenger Frost die Postbeförderung erschwert, werden bis auf wei-teres nur noch solche Pakete zur Postbeförderung nach Dänemark und Schweden angenommen, deren Gewicht 60 Pfund und deren Umfang 2 1/2 Fuß nicht übersteigen.

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Preußen in Witz und Anekdoten

Neuer Text für die Simplicissimus-Karikatur von 1898: So ville wer’n 2017 nich zur Urne jehn

Kannste mir jloben: Von die Neureichen wird die

Friedrichswerdersche im Jahr 2015 umjekippt

KON und Fetti Max Liebermanns scharfe Zunge war gefürchtet. Als Präsident der Berliner Se-zession jurierte er eine Aus-stellung von Expressionis-ten. Er warf einen kurzen Blick auf die Werke und sagte: „Nehm Se bloß det Zeuch wech, sonst jefällt et mir noch!“

x Professor und Barrikaden-kämpfer Virchow wird ge-fragt, was er denn von einer neuen, aber schwer ver-ständlichen medizinischen Arbeit eines Kollegen halte. Weiser Rat: „Man sollte sie ins Deutsche übersetzen.“

x DDR-Preußisches

Kalle fährt mit seiner Schnalle im „Trabant“ seit etlicher Zeit im Dunkeln. Staunt seine Liebste: „Det is aba een langa Tunnel.“ Kalle korrigiert sein Schätzchen: „Det is keen Tunnel, wir fahrn untam Bus.“

x Missverständnis

Nach der Untersuchung fragt der Arzt die junge Pa-tientin: „Hatten Sie mal Polypen?“ Errötend gesteht sie: „Hatte ick, lieber Herr Dokta, vor zwei Jahre. Aba bloß eenen eenzijen vons 69. Revier um de Ecke.“

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Beilage „100 Jahre Erster Weltkrieg“ (Teil XXI)

„Ein Soldat muss mit dem Leben nach außen abgeschlossen haben“

Aus dem einzigartigen Tagebuch eines jungen Musketiers im Ersten Weltkrieg

Robert Johnscher ist einer von 70 Millionen junger Männer, die zwischen 1914 und 1918 in Europa, dem Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Weltmeeren unter Waffen standen, einer von etwa 20 Millionen, die den Ersten Welt-krieg verwundet überlebten – etwa zehn Millionen blieben „im Felde“. Er hatte sich in Berlin als 18-jähriger zu Beginn des zweiten Kriegsjahres freiwillig gemeldet. Der junge Mann ging gesund als Musketier in den Krieg für Gott, Kai-ser und Vaterland und beendete ihn mit einer Kopfschuss-Verletzung als Zugführer im Range eines Vizefeldwebels mit Leutnantsbefugnissen. Auskunft über sein Schicksal in den Jahren des Weltbrandes gibt sein erhalten gebliebenes Ta-gebuch. Er führte es vom ersten bis zum letzten Tag seines Soldatenlebens. Wir setzen heute den Abdruck von Passa-gen aus dem Tagebuch von Robert Johnscher fort. (Teil 1 finden Sie in der Märzausgabe 2014 der Preußischen Monatsbriefe – siehe Seite 1 unter Archiv!)

4.September 1918

Nun sind wir doch zurückgegangen! Gestern Abend bezog unser III. Bataillon hinter der bisherigen Linie Bereitschaftsstellung bis 4 Uhr früh 12.30 Uhr löste sich das I. Batl. vom Feinde los. Jetzt liegen wir dicht vor Glennes auf Vorposten. 9. und 10. Kompanie natürlich wieder in 1. Linie. Auf 500 Meter haben wir fünf MG zu stehen. – Na, ich weiß ja nicht. – Mein Zugabschnitt umfasst ca. 250 Meter, und die muss ich mit zwei leichten MG (insgesamt 12 Mann) halten. Kommt hier der Gegner in dich-ten Massen, so gibt’s nur entweder zurück oder halten und in Gefangenschaft fallen. Der Kompanie-führer nimmt drei leichte MG in Reserve. Ein MG davon könnte mir sehr viel helfen! „Die Stellung muss unbedingt gehalten werden, Befehl zum Rückzug gebe ich!“ Ja, so kann man von einem bombensicheren Unterstand auf einem Berge auch befehlen. Aber selber aushalten, das ist hier die schwierige Frage. – Na, kommt’s, wie‘s kommt! Ich übernehme jedenfalls keine Verantwor-tung! Ganz interessant ist der Zeitungsbericht „Die Verlegung unserer Front“. Einige Passagen berühren unseren Abschnitt:

Robert Johnscher

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„Am 3. Und 4. September ist der Kampf wieder aufgelebt. Sogar italieni-

sche Kräfte hat der Gegner zur Verstärkung seiner französisch-marokkanisch-amerikanischen Divisionen eingesetzt, ohne damit einen

Erfolg zu erzielen. Ihn trieb der Wunsch, den bereits stark gefährdeten

deutschen Flügel zu umfassen. Nur ein schneller Entschluss konnte hier die Gefahr abwenden, und so nahmen wir im Laufe der Nacht auch die

Vesle-Front zurück. Wie weit, wird die Zukunft zeigen.“

Robert Johnschers Skizze von seinem Kampfgebiet bei Glennes

Ich liege bei meinem Gewehr „Turulski“ an der Hecke eines tief eingeschnittenen Weges. Da es hieß, wir bleiben nicht lange hier, buddelten wir erst gar keine Löcher. Am Tage war alles ruhig. Kein Schuss fiel. Das I. Batl. hat Patrouillen zurückgelassen, ebenso meine und die 10. Kompanie. Wenig angenehme Aufgabe, sich so als schwache Nachhut allein dem Feinde gegenüber gestellt zu sehen. Am späten Nachmittag kam die Meldung durch: „Artillerie hat Gegner in Stärke von sieben bis acht Kompanien langsam vorarbeiten sehen!“ Ob Gegner über die Vesle bereits rüber ist, konnte noch nicht festgestellt werden. Also aufgepasst! Vorläufig waren ja noch unsere Patrouillen vor. Übrigens sind auch unsere Nachbardivisionen rechts und links zurückgegangen. Abends 10 Uhr kam die Küche. Es gab heut ausnahmsweise mal Nudeln, die mir immer vorzüglich schmeckten.

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Die altbekannte Schützengrabenkrankheit „Durchfall“ habe ich auch wieder. Ist ja kein Wunder, bald schwitzt, bald friert man. Was ich jetzt so an Jannablin und Bismutintabletten vertilgt habe, ist enorm.

5.September 1918 Ruhig verlief die Nacht. Der Morgen brach an. Ich hatte gerade Kaffee aufgesetzt, wollte in aller Ge-mütlichkeit Post lesen und dann behaglich frühstücken, als mich auf einmal der Ruf empor schreckte: „Herr Feldwebel, was ist das für eine Schützenlinie da oben auf dem Berge links an der Fabrik?“ – Rasch eilte ich zum Posten. Tatsächlich, da kam eine dicke Schützenlinie. Ob das unsere Patrouillen sind? Dass wir aber auch kein Glas haben! Immer mehr wurden die da oben. Donnerwetter, so stark sind doch unsere Patrouillen nicht! Da ging auch schon die Knallerei von unserer Seite aus los. Die 10. Kompanie und der I. Zug eröffneten das Feuer. Auch die 42er setzten mit ihrem MG ein. Die ersten Schüsse waren kaum gefallen, da lag die feindliche Schützenlinie wie auf einem Schlag platt auf dem Boden! Also kam der Gegner doch! Aber warum so spät und am helllichten Tage? Zu ungeschickt! Langsam setzte die Artillerie ein. Ein Schuss saß besser als der andere. Heia, wie die Kerls auf einmal lebendig wurden. Da, wie sie zurücklaufen – einzeln – zu zweien – da läuft ein ganzer Haufen. Donnerwetter – der Schuss saß gut – wie sie bloß laufen! Immer fix über die Höhe nach hinten. Wenn nur die Artillerie schneller schießen wollte! Da, den hat’s getroffen, der steht nimmer auf. Unermüd-lich hämmern unsere MG dazwischen. Langsam, aber gut schießt unsere Artillerie. Eine Stunde spä-ter, und kein Gegner weit und breit. Wahrscheinlich hat er sich in den Straßengraben geworfen. Un-sere Artillerie nimmt diesen unter Feuer. Tadellos sitzen die Schüsse! – „Aufpassen!“ „Da kommt ein ganzer Haufen mit erhobenen Händen auf uns zu“. Tatsächlich eine halbe Kompanie Überläufer. „Nur Vorsicht, Kerls! Die können noch Waffen bei sich haben! Legt Handgranaten bereit!“

US-Rekruten werden in Pennsylvania für den Krieg gegen Deutschland eingekleidet

Aber die Leute waren friedfertig. Leider schnappte uns die 10. Kompanie diesen Schwarm Überläufer vor der Nase weg: 34 Amerikaner. Einer davon hat seine Eltern noch heute in Hessen zu wohnen. Es sind alles frisch angekommene Soldaten. Wahrscheinlich hat sie unser Artillerie- und MG Feuer so gut beharkt, dass sie gleich vom ersten Male genug hatten und einfach die Waffen gestreckt haben! Diese Kerls haben jetzt schon die Nase voll, was sollen da unsere Soldaten sagen, die bereits im 5. Kriegsjahr stehen!

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Fragt man die Leute, warum sie gegen uns kämpfen, so antworten sie meist: Ja, wir sind dazu ge-zwungen worden, wir müssen! Und das sind die Gegner vom Militarismus! – Na, hoffentlich kommt John Bull so schnell nicht wieder. Er hat schon seinen ersten Vorstoß teuer bezahlen müssen! Pat-rouillen von uns meldeten das ganze Vorgelände vom Feinde frei. Wahrscheinlich hat er sich bis in unsere ehemaligen Bereitschaftsstellungen zurückgezogen. Wie wenig Erfahrung doch der Amerikaner vom modernen Bewegungskrieg hat, das hat er heute wieder mal bewiesen. Wäre er eine Stunde später gekommen oder hätte er sich nicht gleich in voller Größe in dicken Linien auf der Höhe gezeigt, so hätte er sicher einen anderen Erfolg gehabt, zum mindesten weniger Verluste! Jedenfalls galt es nunmehr, die Aufmerksamkeit zu verdoppeln. Aber nun wird recht kräftig gefrühstückt und das Versäumte nachgeholt. An Schlaf war nicht zu den-ken, denn bald kam diese, bald jene Meldung. Heute vor 5 Jahren habe ich mein Examen bestanden und jetzt! O Ironie. –

6.September 1918 Alles ruhig! Die Patrouillen, die dauernd unterwegs sind, habe nichts aufspüren können. Bei unserer linken Nachbardivision ist der Gegner erneut vorangekommen, aber wieder zurückgeschlagen wor-den. Eine Offizierspatrouille unserer Kompanie stieß heute auf den Feind, ging sehr schneidig vor, erlitt aber auch Verluste. Leutnant Wortatz, Führer dieser Patrouille, ist schwer verwundet in die Hände des Gegners gefallen und wahrscheinlich tot.

Der Feind am Himmel. Johnscher beklagt: Keiner beschießt sie

Sonst ereignete sich nichts Besonderes. Bisher hat uns die feindliche Artillerie verschont. Aber die vielen feindlichen Flieger, die uns dauernd beehrten, ließen auf nichts Gutes schließen. Diese Gesell-schaft kreist frech über uns. Kein Teufel beschießt sie. Es fehlt tatsächlich nur noch, dass die Herren landen und sich die Stellung von unter ansehen. Wir waren gerade mit der Vertilgung unserer Graupen fertig geworden, als auf einmal einige Grana-ten kurz über uns hinwegsausten. Abschuss und Einschlag ist bei diesen sogenannten „Ratschbum-„ oder auch „Furzkanonen“ eins. Donner und Doria, das war aber dicht dabei gewesen! Ich weiß gar nicht, wie schnell ich volle Deckung genommen und den Mund voll Dreck hatte. Lehmklumpen hagel-ten nur so auf meinen „Allerwertesten“. Alle Wetter, das hätte schlimmer ausgehen können. Einen Meter vor uns war das Biest in die Böschung gegangen. Ein Wunder, dass von uns – wir standen zu viert beieinander – niemand verletzt worden ist.

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Aber wo war Turulski bloß geblieben? Eine Stunde später kam der gute Mann wieder. Dem war der Schreck derart in die Glieder gefahren, dass er auf und davon sauste. Aber zum Teufel, deswegen darf man doch als Gruppenführer sein Gewehr nicht eine Stunde lang im Stich lassen! Wir waren ja auch alle sehr erschrocken, aber wenn man da alles gleich im Stich lassen wollte, wo sollte das hin! Mein Erstaunen wurde noch größer, als der Sanitätsunteroffizier herbeigeeilt kam und fragte, ob vom Gewehr Turulski jemand verwundet sei, denn das Gewehr hätte doch einen Volltreffer erhalten! Na, da schlag einer doch lang hin. Das Gewehr stand 10 Meter rechts vom Einschlag! Von Volltreffer kei-ne Spur! Meine Herren, bei einem Volltreffer wären wir Vier wohl doch nicht mit dem bloßen Schre-cken davongekommen. Turulski wollte sich sogar krank melden, erst als ich ihm sagte: „Mein Lieber, Sie markieren! Gut, melden Sie sich krank! Ich melde Sie wegen „Drückebergerei!“ wurde der Mann wieder vernünftig. Gewiss, als Mensch tat mir der Kerl leid, aber als Vorgesetzter darf ich auf keinen Fall dulden, dass mir meine Gewehrführer im Feuer einfach davonlaufen. So ist eben der Krieg! – Immerhin wurde John Bull mit seiner Artillerie ungemütlich.

7.September 1918 Ruhe, auffallende Ruhe. Wenn der gute Mann da drüben bloß nichts Böses vorhatte. Scheußliche Lage, wenn man so auf heißen Kohlen sitzt und nicht recht weiß, was los ist. Dauernd muss man sprungbereit sein. Pistole und Handgranate lagen stets griffbereit neben mir. Länger als eine Stunde habe ich diese Tage nicht geschlafen. Bei jedem Geräusch, bei jedem Schuss heißt es, scharf be-obachten. Kaum glaubt man, einige ruhige Minuten zu haben, da wird man wieder empor geschreckt. Mal musste der Feind doch energisch nachstoßen. Aber wann? Die Nerven leiden natürlich unter dieser Aufregung, dem dauernden Bereitsein ganz kolossal. An unangenehmsten ist es nachts. Wenn nur erst die Nacht vorbei wäre, so spricht jeder. Man atmet tatsächlich erleichtert auf, wenn der Morgen graut. Aber alles blieb ruhig heute.

8.September 1918 Langsam graut der Morgen! „Sonntag ist’s in allen Landen beten Eltern, Weib und Kind......“ Ein feier-liches Gefühl durchzieht Herz und Gemüt! Sonntag! Die Erinnerung an frühere Zeiten steigen mit Macht empor! Mit erhöhter Sehnsucht denkt man der einst so schönen, ach so friedlichen Sonntage in der lieben Heimat. Trauernd gehen die Gedanken in die Weite und spinnen immer wieder den alten Faden, dessen Anfang und Ende die Sehnsucht nach den einst so friedlichen Tagen in der lieben Heimat bedeuten.

Der Soldat während einer Ruhepause im Loch –

die Gedanken wandern nach Hause

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Ob wir wohl heute vom Gegner in Ruhe gelassen werden? Bisher war gerade der Sonntag immer ein heißer Kampftag gewesen! Wird es auch der heutige sein? Es regnet! Ich sitze in meinem, diese Nacht noch rasch gebuddeltem Loche auf meinem Mantel, die Beine angezogen, den amerikanischen Regenmantel an, über mir das gegen Sonne und Regen schützende Wellblech. Auf meinen Knien liegt mein Tagebüchlein. Meine Gedanken sind daheim bei meinen lieben Eltern und auch in Eylau. Warum, so fragt man sich schon oft, warum nimmt dies Elend kein Ende? - - Mein Verstand könnte dieses „warum“ mit politischen und verständigen klugen Worten beantworten, aber mein Herz, das krampft sich schmerzend zusammen und sagt: Ich weiß es nicht! – Ja, da heißt es in einem Sprich-wort: „Auch du ohne Klagen gedenke der Tage, die froh wir verlebt. Wer Gutes empfangen, der darf nicht verlangen, dass nun sich der Traum ins Unendliche webt!“ Gewiss, ich habe frohe Jahre im El-ternhause hinter mir – ich habe viel, unendlich viel Gutes empfangen, aber sollte nun das Leben schon vorüber sein? Und warum? Wohl niemand kann dieses „warum“ beantworten. Der Regen hat nachgelassen, schüchtern kommt die Sonne durch die Wolken hervor! Rechts donnern die Kanonen dumpf – unheimlich. Mahnend und drohend zugleich. Bei uns herrscht Ruhe. Nur ver-einzelte Gewehrschüsse fallen, ab und zu kommt eine Granate heulend durch die Luft gesaust, sonst Ruhe… Sonntag! Der Abend bricht herein! Und richtig, es wurde wieder ein 59er Sonntag. Um 8 Uhr schoss die feindliche Artillerie, was nur raus wollte, eine halbe Stunde später besetzte der Gegner die Höhe rechts von uns! Unsere MG feuerten, grüne Leuchtkugeln stiegen hoch, unsere Artillerie setzte ein, der „Schlamassel“ war wieder da! Der Regen durfte natürlich nicht fehlen! Eine Stunde später ließ der Kampf nach. Der Gegner saß auf der Höhe fest. Dazu eine rabenschwarze Nacht mit zeitweiligem heftigen Regen. Na, das kann ja eine äußerst gemütliche Nacht geben.

Wie die USA ihre Soldaten selbst sahen – Robert Johnscher erlebte sie anders

Wieder hat John Bull sich vorher selbst verraten, eine halbe Stunde später, und kein Mensch hätte von seinem Vorrücken etwas gemerkt! Aber die Bande zeigte sich wie immer in voller Größe, flötete Signale und rief sich gegenseitig laut zu, kurz, ein Krach, der allein schon zum Verrat des Unterneh-mens genügte. Jedenfalls waren wir nicht aus der Rolle gefallen, denn wir hatten wieder unsern be-rüchtigten 59er Sonntag gehabt. Merkwürdig, in solch einem „Frontsonntag“ steckt doch jedes Mal die Pest drin.

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Das Essen kam und wurde in Hast verdrückt. Unermüdlich stiefele ich auf und ab, bald hier, bald dort eine Leuchtkugel abschießend. Man konnte ja nicht wissen! – Und dazu sind wir heute fünf Tage in Stellung und denkt kein Mensch an Ablösung. Das ist doch zum Tollwerden manchmal. In einer kleinen Zeitungsnotiz lese ich über uns: „Auf den Höhen nordöstlich von Vismes weisen wir erneut Angriffe der Amerikaner ab.

9.September 1918 Motto vom Dichter Anastasius Grün, der eigentlich: Anton Alexander Graf von Auersperg heißt und aus Österreich stammt:

„Dunkeln muss der Himmel rings im Runde, dass sein Sternenglanz zu

leuchten wage. Stürmen muss das Meer bis tief zum Grunde, dass ans Land es seine Perlen trage. Klaffen muss des Berges offne Wunde, dass

sein Goldgehalt ersteh’ zu Tage. Dunkle Stunden müssen offenbaren, was

ein Herz des Großen birgt und Klaren!“ Tatsächlich saß der Gegner ganz fest auf der Höhe. Na, der Spaß sollte ihm bald vergehen. Unsere Minenwerfer schossen vorzüglich und hatten John Bull bald ausgeräuchert. Wie die Wilden liefen die Kerls auf und davon. Natürlich erwischten wir noch so manchen von ihnen. Eine Patrouille von uns machte noch zwei Gefangene. Gegen Abend war die Höhe wieder frei vom Feinde. Auch heute Abend werden wir nicht abgelöst. Warum bloß nicht? Post erhalte ich jetzt im Durchschnitt drei Briefe pro Tag. Das ist immer der schönste Augenblick. Der Herbst scheint jetzt mit Macht seinen Einzug halten zu wollen. Es regnet nun doch schon seit zwei Tagen und dazu eine Kälte!

10.September 1918 Heute Abend wurden wir endlich abgelöst. Wir sind nun sieben Tage in Stellung gewesen und fünf Tage sollten wir erst drin bleiben. Die letzten zwei Tage vergingen langsamer als die ersten fünf Tage zusammen.

Eine Kampfpause im Schützengraben

11. bis 13. September 1918

In Ruhe bei Maizy 8 Uhr abends! Ich sitze mit Freund Gollinge und meiner Ordonanz recht gemütlich beim Kerzenschein in meinem Unterstand. Allerdings ist das Ding nur einigermaßen regensicher, von Schutz gegen Splitter konnte gar nicht die Rede sein! Nach außen haben wir die Tür tadellos abge-dichtet, kein Lichtschein dringt hinaus. –

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Auf dem Tisch ist alles zu einem feudalen Abendbrot hergerichtet, da steht ein Teller mit Speck und Tomaten, dort eine Pappscheibe mit Heringen, Brot, Äpfel, und Bonbons liegen daneben und weiter hinten steht ein Kochgeschirr mit dampfendem Kaffee, gemischt mit Schnaps und Zucker, und über dem Ganzen thront eine Flasche mit Wein. Was wollen wir mehr? Oder besser gesagt, was war heute los? Ja, da muss ich schon weiter ausholen. Von Mutter erhielt ich vorgestern wunderbare Tomaten. Von der Kantine hatte ich mit Mühe eine Flasche guten Weißwein erstanden. Na, und da kam mir der Gedanke, mein liebes Fritzerl zu einer Tomatenstulle nebst einem Gläschen Wein einzuladen. Na, und nun sitzen wir eben recht nett und spachteln von all den schönen Sachen. Der Speck, das will ich noch erwähnen, stammt von meinem Melder Jilsner. Natürlich schmeckt alles vorzüglich. Ein Gedanke kommt zum anderen, und so hielt ich eine Ansprache, in der ich mit lieben Worten un-serer Lieben gedachte, vor allem aber betonte, dass ich mir diesen Abend auserkoren hätte, um mit meinem „lieben Fritzerl“ Erinnerungen an die schönen Tage in Eylau auszutauschen und endete mit dem Toast „auf das, was wir lieben“. Um der Wahrheit gerecht zu werden – ich werde hoffentlich nicht missverstanden – gedachte ich in herzlichen Worten auch meiner lieben Eylauer Mädels, eines Mädels, dem ich nette Stunden während der letzten acht Tage in Eylau verdankte, ja ich ließ sie hochleben, feiert sie doch heute bei ihren Lieben (13.9.) ihren Geburtstag. Der Abend verlief jeden-falls äußerst angenehm und gemütlich. Dafür zeugt schon, dass wir uns erst um ½ 2 Uhr trennten.

14.September 1918 So gemütlich der gestrige Abend war, so ungemütlich wurde der heutige Tag. Gegen ½ 6 Uhr lagen unsere „Ruhequartiere“ unter heftigem Artilleriefeuer. Und was für Brocken kamen da herangeheult! Unser Kompanieführer – ein stark nervöser Herr – befahl sofort „Alarmbereitschaft!“ Gut, die Sachen wurden zusammengeschnürt. Meinetwegen konnte es losgehen. Aber nur nicht zu eilig! Wir liegen doch hier in der Divisionsreserve, und da musste es vorn doch verdammt bös aussehen, wenn man uns einsetzte. Also bloß nicht vorher die Ruhe verlieren. Ich blieb auch hartnäckig in meinem wenig Schutz bietendem Loche. Wo sollte ich auch hin? Wir lagen hier alle in mehr oder wenig „splittersicheren“ Unterständen an einem Hange vor Maizy. Demselben Maizy wo wir vor Tagen mit der Bahn gelandet waren. Das hätte ich mir seinerzeit auch nicht träumen lassen! Ich wusch mich zunächst und frühstückte dann ganz kräftig soweit es mein Brot erlaubte. Und dann legte ich mich trotz aller Alarmbereitschaft, obwohl der Boden von den schweren Einschlägen zitterte, ruhig hin und schlief sage und schreibe bis 4 Uhr nachmittags. Ich habe beim Erwachen selber gestaunt. Ein ruhiger Schlaf war es ja gerade nicht, habe ich doch allerhand blutige Bilder im Traum erlebt. Da segelten Menschenglieder durch die Luft, blutige Jünglingsköpfe sausten umher, und ich selbst glitt aus im Blut! Genug – ich fieberte förmlich als ich erwachte. Was nun folgte, das sagt am besten der amtliche Bericht, der etwa lautet: „Am 14.9. von 5.40 Uhr Vormittag ab, heftiges Artilleriefeuer auf linken Nachbarabschnitt und Abschnitt I.R. 59 das bis 6.30 Uhr Vormittag auch auf I.R. 42 und I.R. 354 übergriff, dann aber wieder abflaute. – 6.45 Uhr erfolgte vor dem linken Abschnitt ein feindlicher Angriff. Der linke Flügel des I.R. 59 wurde im Anschluss an die 4.Gd. Division in die Rückhaltlinie zurückgebogen. Während des Tages war im rechten Abschnitt nur leichtes Störungsfeuer, von 9 Uhr vormittags ab reichte dasselbe im Hintergelände bis zum We-gekreuz östlich Oulches. Im Abschnitt I.R. 42 setzte gegen 10 Uhr vormittags erneut starkes Artillerie-feuer ein. Ein Versuch des Gegners, aus Waldstück südwärts Revillon in unsere Vorpostenlinie einzu-dringen, wurde abgeschlagen. Mit Einbruch der Dunkelheit flaute das feindliche Artilleriefeuer ab, setzte aber 10 Uhr abends schlagartig aus südöstlicher Richtung gegen Vorpostenlinien des mittleren

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Abschnittes wieder ein. Ein darauf auf ganzer Linie vorbrechender feindlicher Angriff wurde im Ge-genstoß abgewiesen. Im Laufe des Vormittags des 14.9. gelang es I.R.59, verlorenes Gelände im An-griff wieder zu gewinnen.“ Übrigens werden in einem Bericht zum ersten Mal. Male „österreichisch-ungarische Truppen“ im Westen bei St. Mihil erwähnt. Man erzählte sich jetzt so viel von der Ablösung unserer Division, dass man bald daran glauben möchte – aber erst mal abwarten. Vizefeldwebel Petter (Bertl II) hat sich ebenso wie Fähnrich Höhne krank gemeldet, und nun sind beide im Lazarett. Fähnrich Rademacher, Flögel und Fähnrich Neubecker sind gefallen. Fähnrich Herzberger hat sich in den Fuß geschossen. Man erzählt sich, dass drei weitere Fähnriche kürzlich gefallen sein sollen. Genaueres konnte ich zur Zeit nicht erfahren. Hugemann (4. Komp.) ist tot, Schröder, Ernst Schulze verwundet. Sehr treffend kennzeichnet folgendes Flugblatt die Amerikaner.

Ein erhalten gebliebenes Flugblatt von 1918 aus dem Tagebuch von Robert Johnscher

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19.September 1918 Gestern Abend sind wir in Bereitschaft gerückt. Na, hier ist das Leben erst belämmert. Ich für meine Person habe es im Gegensatz zu meinen Leuten noch gut, hause ich doch in einem Unterstand, der gegen Regen und leichte Granaten schützt. Die armen Kerls wohnen in elenden Löchern, in der feuchten Kalkkreide. Und das nennt sich hier „H.W.L.“ (Hauptwiderstandslinie.) Wenn dieses Elend nur bloß ein Ende nehmen wollte. Soeben wird hier das erneute Friedensangebot – diesmal seitens Österreichs – bekannt. So sehr dieser Schritt teilweise zu begrüßen ist, so edel die Ursachen zu diesem sind, möchte ich mir für meine Person keine unnötigen Hoffnungen machen. Ob die Entente zur Vernunft kommen wird? Meine Hoffnungen sind nur sehr gering. Der Hass unserer Feinde lodert doch jetzt flammender als je. Erwähnen möchte ich noch die herzerfrischende Rede unseres Kaisers an die Krupp’schen Arbeiter, die Rede des Vizekanzlers v. Payer. Wahrlich, unsere Führer haben gerade in diesen Tagen deutlich genug ihre Bereitschaft zu einem Verständigungsfrieden ausgesprochen. Sollte trotz allem noch kein Ende herbeigeführt werden können? Einen Teil nur der Rede unseres Kaisers lasse ich hier folgen, hier erscheint mir diese Frage gerade als sehr treffend beantwortet.

Kaiser Wilhelm II. 1918 im Gespräch mit einem Krupp-Arbeiter.

Links mit Hut: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach Aus des Kaisers Ansprache:

„Ich kann mir wohl vorstellen, dass mancher von Euch sich in dieser langen Kriegszeit wiederholt die Frage vorgelegt hat: Wie hat das kommen können, und warum musste uns das passieren, da wir doch 40 Jahre Frieden hatten. Ich glau-

be, es ist eine Frage, die eine Antwort wohl wert ist, es ist eine Frage, die auch für die Zukunft beantwortet werden muss für unsere Kinder und Enkel…Nun, ich

glaube, Ihr werdet mir darin Recht geben, wenn man diesen Krieg bezeichnet als hervorgegangen aus einer großen Verneinung. Es ist die Verneinung der Exis-tenzberechtigung des deutschen Volkes, es ist die Verneinung aller unserer Kul-

tur, es ist die Verneinung aller unserer Leistungen und unseres Wirkens…Das deutsche Volk war fleißig, in sich gekehrt, erfinderisch auf allen Gebieten, es ar-

beitete geistig und körperlich. Es gab aber auch solche…die sich auf ihren Lor-beeren ausruhen wollten. Das waren unsere Feinde. Wir kamen ihnen an die Nähte, und zwar durch ersprießliche Arbeit und ersprießlicher Entwickelung: In-

dustrie und Wissenschaft, Kunst und Volkserziehung, soziale Gesetzgebung usw. Dadurch kam unser Volk in die Höhe, und da kam der Neid. Der Neid veranlasste

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unsere Gegner zum Kampf, und es kam der Krieg über uns, die wir ahnungslos

waren…“ Jedenfalls bleibt uns tatsächlich weiter nichts übrig, als tapfer bis zum Ende auszuharren. Es gilt gera-de jetzt mehr als je, unsere Existenz zu wahren. Weisen unsere Gegner die Friedenshand wieder zu-rück, dann müssen wir uns alle fest um das Kaiserwort scharen:

„Jetzt heißt es, Deutsche, die Schwerter hoch, die Herzen stark und die Muskeln gestrafft zum Kampfe gegen alles, was gegen uns steht, und

wenn es noch so lange dauert!“ Es ist tieftraurig, dass dieses sinnlose Morden kein Ende nehmen will, dass man hier in seinen jungen Jahren versauern muss. Statt daheim seinen lieben Eltern den Lebensabend erleichtern zu können, muss ich hier untätig daran denken, wie sie mit dem Dasein kämpfen müssen. Ein Jammer, ein tieftrauriger Zustand, der sich in Worten nicht schildern lässt. Nur die Hoffnung, dass doch noch friedliche Tage kommen, hält mich aufrecht. Dazu gesellt sich ein wüster Soldatenhumor. Aber zu lange darf es auch nicht mehr dauern, sonst dürften meine Nerven doch bald nachlassen!

20.September 1918 Es ist doch ein verdammt eintöniges Leben, das man hier „in Bereitschaft“ führt. Also, ich will mal von früh anfangen. Um 6 Uhr wird es gewöhnlich hell, und da zieht sich dann ein jeder in sein Loch zurück. Mit Hilfe des Spirituskochers mache ich mir Kaffee warm, und dann geht’s los. Mehr als drei Stullen darf ich beileibe nicht „verdrücken“, sonst kommt man nicht aus. Ach was morgen, morgen sorgt der liebe Gott und ratsch ist noch eine dicke Stulle runter. Nun ist’s genug. Ich lese mit Vorliebe zum Kaffee noch die Zeitung. Es schmeckt mir dann merkwürdigerweise immer besser(!). So, und nun wird „eingeschoben“. Der Brotbeutel unterm Kopf, der Mantel als Unterlage und die Zeltbahn als „Oberbett“, fertig ist der Laden. Um 9 Uhr zwickt die Blase. Also hoch und raus. Aber Vorsicht, mein Lieber! Erst balanciert man über die Leiber der schlafenden Kameraden, von denen dieser oder jener unwillig über die Störung brummt, und dann geht’s auf allen Vieren zu einem Granatloch, denn „Tommy“ passt gut auf. Eine Viertelstunde später wird bis etwa 12 – 1 Uhr weiter „geratzt. Kaffee wird warm gemacht und eine Scheibe Brot nach der anderen heruntergesäbelt. Hoppla, langsam, das muss für heute Abend und noch für den ganzen nächsten Tag reichen. – O heia! Man dreht und dreht das Brot und denkt, schneidest du von dem anderen Ende ab, dann kommst du besser aus. Ja, die Butter und das Fleisch sind alle! Das bisschen Marmelade geht zum Kaffee drauf! So kalkuliert man und vergisst ganz, dass man verdammt mit dem „Futtern stoppen“ muss. Fix wird das Brot weggesteckt, denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Die Zeitung habe ich gelesen, nun geht’s ans Schreiben. Eine kleine Bank dient mir als Tisch. Mit krummem Buckel und angezogenen Knien, so wird flott gekritzelt. Ein Teil der Kameraden liegt dö-send am Boden und raucht, ein anderer mauschelt. Die Füße sind mir ob der unbequemen Lage ein-geschlafen, der Rücken schmerzt, und die Hand ist lahm. Einer fängt mit dem Essen an, andere fol-gen. Mancher brummt über das schlechte Beispiel und die Untugend, von wegen dauernd essen usw. So wird das Brot kleiner. Ja, was nun? Wieder schreiben? Ich lese in einem französischen Mädchen-roman. Die Kameraden „mauscheln“ auf Teufel komm raus. Morgen gibt’s ja wieder Löhnung! – 6 Uhr! In 2 ½ Stunden kommt die Küche, sagt einer! Verflixt, die Kerle denken aber nur ans Essen. Den ganzen Tag hockt man im Bau und darf nicht raus. So wird’s Abend! 9 – ½ 10 Uhr, Essen ist da! „Was gibt’s?“ – „Graupen!“ Aber es schmeckt, muss schmecken!

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11 Uhr nachts! Meine Leute arbeiten an den Stützpunkten. Um 12 Uhr muss Meldung gemacht wer-den! Mit Feldwebel Wilnarm stiefele ich humorvoll plaudernd auf und ab, denn man kann doch nicht dauernd schlafen. Unermüdlich wird immer wieder das ewige Thema „Ablösung, Essen und Frieden“ durchgekaut. ½ 1 Uhr. Mein Melder hat Post gebracht. „Haben Sie auch etwas für mich?“ – „Viel?“ – Und nun wird gelesen! Das ist doch der schönste Augenblick! Die Gedanken eilen heimwärts und halten mit den Lieben Zwiesprache. Eine Stunde später, ich bin zu Fritzerl rübergestiefelt, und jetzt wird alles erzählt was man auf dem Herzen hat. – Wahrlich, immer eine herzerfrischende Plauder-stunde. 4 Uhr. Wieder mache ich Meldung: „Nacht ruhig verlaufen“ oder dergleichen. So wird es langsam 6 Uhr, und ein neuer Tag beginnt. Das Brot ist allerdings schon knapper! Aber dafür gibt’s heute Abend Empfang – sagt man sich (ca. jeden 2. Tag) die Aufstrichmittel sind alle – waren’s gestern schon. Macht nichts! Geröstetes Brot mit Zucker schmeckt auch, wenn man nur genügend hätte! „O Krampf, lass nach!“

22.September 1918 Wieder ist Sonntag! Bis um 12 Uhr habe ich geschlafen und dann nach dem Essen Post geschrieben. Mein lieber Freund und ehemaliger Zugführer Leutnant Dammann (Chably) ist am 2.9. verwundet in englische Gefangenschaft geraten. So wird unser Libauer Häuflein immer weniger. „Der Abend naht, da geht ein Sehnen durch meine Seele wie ein Lied. Nach meiner Heimat stillen Weiten, mein Traum mit den Wolken zieht. Der Abend naht, da muss ich beten, gib meiner Heimat bald zurück ihr friedlich Leben.

22.September 1918: Auf Vorposten, 4 Uhr früh. Erst war es recht kalt und ungemütlich in diesem Keller. Nun hat aber meine Ordonanz einen Ofen herangeschleppt, und wir heizen nun des Nachts tüchtig ein. Auf dem Tisch steht eine Vase mit herrlichen Rosen. Was will man mehr? Gleich neben dem Eingang ist ein Brunnen, da kann man sich waschen nach Herzenslust. Welch eine große Wohltat! Mein Bett – eine alte Feldbettstelle mit einem Federbett - ist zwar nicht ganz einwandfrei, aber für hiesige Zustände einfach großartig. Heute früh hatten sich drei Patrouillen vom Franzmann gegen unsere Vorpostenli-nie vorgearbeitet. Na diese frechen Brüder wurden natürlich „liebevoll und warm“ (!) empfangen.

Die Garde hatte 25, wir einen Sergeanten, zwei Gemeine, die 11. Komp. einen Offizier und zwei Gemeine gefangen genommen. Unter unseren drei Gefangenen war ein Schwarzer, ein riesenlanger kräftiger Kerl, mit weißen grell hervorstechenden Augen, schwulstigen Lippen und blitzend weißen Zähnen. Uns hat der Kerl nichts ausge-sagt. Seine einzige Antwort war stets: „Nix compris“. Aber er hatte sich wohl bald eines Besseren besonnen und ausgesagt, dass dieser Tage ein Angriff stattfinden soll. Tankgeschwader seien in Fismes bereitgestellt. Man schluckt hier dauernd Gas. Der Wind treibt unser eigenes Gas zurück. Dauernd muss man niesen und hus-ten. Ekelhaft und gefährlich zugleich. Alles in allem, wir sehen schweren Stunden entgegen. Mögen sie glücklich für mich verlaufen. Ruhe ist hier das einzige Mittel. Die dauernden Meldungen unseres Kompanieführers ma-chen einen oft verrückt. Immer sein “Alarmbereit“ und „scharf aufpassen“. Wird auch so gemacht, nur sein ner-vöses Getue macht die Leute verrückt. „Abwarten und Tee trinken!“ Die Karre läuft doch wie sie soll. Ein feindli-

Auf Posten mit Gasmaske

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cher Flieger warf heute Flugblätter ab. Sie sollen alle abgegeben werden, für ein Exemplar gibt’s 30 Pfennige. Aber ich will doch eines zum Andenken behalten. Ich lese darin:

„Die Völker der ganzen Welt sehen auf Euch! Noch ist Deutschland

der stärkste Hort der Reaktion. Ihr könnt es ändern, wenn Ihr wollt. Mit Russlands Freiheitskämpfern im Arm gehört Euch die Welt. Die Waffen

senkten sich, und die Menschenbrüder fielen sich erlöst in die Arme. Denn die anderen Völker kämpfen nicht gegen Euch, sondern sie fürchten den

Machtfrieden Deutschlands. Haben sie dazu keinen Grund? Seht hin nach dem Osten. Krieg dem Kriege!“

25.September.1918 Im Allgemeinen ist der Gegner ruhig geblieben. Gestern hat die 5. Garde-Division im Verein mit Stoß-truppen des Sturmbataillons 12 einen Vorstoß unternommen. Am Nachmittag mussten sie das ge-wonnene Gelände beim feindlichen Gegenstoß wieder räumen. Heute Abend geht’s wieder in Stel-lung- ich komme mit meinem Zuge in den alten Abschnitt.

29.September 1918 1 Uhr nachts. Wieder hocke ich vorne! Und zwar genau an der alten Stelle wie vor drei Wochen. Mein Zug besteht erneut nur aus zwei Gewehren, aber ich habe nun doch mehr Zutrauen zu meinem Ab-schnitt, denn die letzten Erfahrungen haben gelehrt, dass der Feind diesen Abschnitt in Ruhe gelas-sen hat und stets nur rechts resp. links der Schlucht sein Heil versucht hat. Auch mit meinem Unterkommen ist es nun besser. Ich liege diesmal bei meinem rechten Gewehr und wohne in einem tiefen Keller, der aus vier zusammenhängenden „Gemächern“ besteht, von de-nen jedes tiefer als das andere ist. Gegen Artillerie hätte man genug Schutz. Vor dem Keller stehen nur noch Mauerreste des ehemaligen, wohl sehr hübschen Bauernhauses. Am Tage schlafe ich ge-wöhnlich von 7 – 2 Uhr. In der Nacht gehe ich 3 – 4-mal die Posten revidieren. Sonst hocke ich am Ofen, lese oder schreibe. An Schlaf ist in der Nacht nicht zu denken. Ich vertreibe mir die Zeit meist mit dem Lesen französischer Jugendschriften, die ich auf dem Gehöft auf dem Müllhaufen gefunden habe. „Übung macht den Meister“. So habe ich nun schon den vierten Roman verdaut. Neulich fing ich sogar zu dichten an und phantasierte folgende holprige Verse mit ganz gewagten Knüppelreimen zusammen. Man lese:

„Im tiefen Keller sitz ich hier

und denk ans liebe Mütterlein,

wie es daheim im Kämmerlein

wohl denkt an seinen Sonnenschein.

Der Vater fleißig und gewandt

wohl schafft in seinem neuen Stand.

Auf steh ich, ergreif Pistol’ und Stock

und geh zu schau’n ob alles im Lot.

Ob der Franzmann gibt Ruh,

die Leute sind wach,

hell scheint der Mond und kalt ist die Nacht.

Von MG zu MG ich schreite schnell,

„Nichts Neues“ so meldet man mir.

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Von der nächtlichen Rund zurück ich bin

sitz wieder am Tisch bei trübem Lampenschein –

so schwer ist der Dienst, die Pflicht eisern und hart –

doch erfüll’ ich sie gern, denk ich daheim der lieben Eltern mein!“

(Wird fortgesetzt)

Impressum: CHEFREFDAKTEUR (V.I.S.D.P.): PETER MUGAY;

( 0173 7089448 ); [email protected]; www.preussische-monatsbriefe.de