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Preußische Monatsbriefe 1 Berichte, Kommentare, Glossen und Despektierliches für aufgeklärte, mündige Schichten Wort des Monats Die Welt zu durchschauen, sie zu erklären, sie zu verachten, mag großer Denker Sache sein. Mir aber liegt einzig daran, die Welt lieben zu können, sie nicht zu verachten, sie und mich nicht zu hassen, sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung und Ehr- furcht betrachten zu können. Hermann Hesse (Aus „Siddhartha“) Inhalt Seite 3: Geburtstagsfeier von Professor Max Otte Seite 4: Deutsche Verantwor- tung nicht auch für Russland? Seite 8: Berliner Ehrenbürger Seite 9: Song von Biermann Seite10: Patrioten-Passagen Seite 11: Preußische Daten – u. a. „Gesetzlose Gesellschaft“ Seite 14: Beilage: Tagebuch eines Weltkrieg-Musketiers (Folge X) Seite 20: Impressum Zuschriften Archiv Bestellung Abbestellung Vorweg… …zunächst zwei Bitten: Haben Sie Anregungen, Wünsche, Kritiken oder gar Lobe für die Preußischen Monatsbriefe, dann teilen Sie uns diese doch bitte mit. Wir stellen uns gern auf Sie ein. Und: Die Ihnen per Mail zugesandten KOSTENLOSEN Monatsbriefe lassen sich im Internet aufrufen: www.Preussische-Monatsbriefe.de Bitte geben Sie diese Adresse an wache Geister weiter. Sie und wir danken es Ihnen. ▼▲▼ Wie mag es meinen lieben Eltern heute zu Mute sein, so frage ich mich oft“, trug Musketier Robert Johnscher vor einhundert Jahren am Heiligen Abend in sein Kriegstagebuch ein. „O ich wollt, ich könnte zu ihnen. Die- ser elende Krieg!“ Er ahnte nicht, dass in der ersten Kriegsweihnacht die Soldaten an der West- wie an der Ostfront aus ihren Gräben kletterten und mit ihren „Feinden“ sprachen, sangen, Fußball spielten und auf den Frieden tranken. Die militärische Obrigkeit „vor Ort“ ließ gewähren, die in den Hauptstädten und damit nahe den Politikern schäumten vor Wut, weil die Kerls da draußen zum Weihnachts- oder Christfest keine Kampfmaschinen, sondern wieder Mensch sein wollten. Harte Strafen wurden künftig für solche Untaten angedroht. Obrigkeiten mussten zur Kenntnis nehmen: Das Volk wollte Frieden. Nicht nur zur Weihnachtszeit. Das ist heute nicht anders. 70 Prozent der Deutschen lehnen - grundge- setztreu - Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. Diese sind mit Kampf- einsätzen verbunden, mit Krieg. Wieder ertönt als letzter Gruß: „Friede ihrer Asche“. Ansonsten steht das Wort „Frieden“ offenbar auf der Tabu- Liste. Freiheit klingt da ganz anders. Freiheit für all und jeden und alles. Auch Freiheit zum Krieg, wie aus berufenem Munde zu hören war, aus dem einst „Schwerter zu Pflugscharen“ klang. Daran wird der Freiheits- apostel am 13. Dezember erinnert, wenn Kriegsunwillige vor seinem Amtssitz Schloss Bellevue für den Frieden demonstrieren. Man darf ge- spannt sein, ob der Pastor a. D. und die Kanzlerin aus christlichem El- ternhaus dieses Un-Wort am 13. Dezember und zum Fest für den Friede- fürsten am 24. Dezember in den Mund nehmen. Die Schriftleitung No. 39 / Dezember 2014

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Preußische Monatsbriefe

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Berichte, Kommentare, Glossen und Despektierliches für aufgeklärte, mündige Schichten

Wort des Monats Die Welt zu durchschauen, sie zu erklären, sie zu verachten, mag großer Denker Sache sein. Mir aber liegt einzig daran, die Welt lieben zu können, sie nicht zu verachten, sie und mich nicht zu hassen, sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung und Ehr-furcht betrachten zu können.

Hermann Hesse (Aus „Siddhartha“)

Inhalt Seite 3: Geburtstagsfeier von Professor Max Otte Seite 4: Deutsche Verantwor-tung nicht auch für Russland? Seite 8: Berliner Ehrenbürger Seite 9: Song von Biermann Seite10: Patrioten-Passagen Seite 11: Preußische Daten – u. a. „Gesetzlose Gesellschaft“ Seite 14: Beilage: Tagebuch eines Weltkrieg-Musketiers (Folge X) Seite 20: Impressum

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Vorweg…

…zunächst zwei Bitten: Haben Sie Anregungen, Wünsche, Kritiken oder gar Lobe für die Preußischen Monatsbriefe, dann teilen Sie uns diese doch bitte mit. Wir stellen uns gern auf Sie ein. Und: Die Ihnen per Mail zugesandten KOSTENLOSEN Monatsbriefe lassen sich im Internet aufrufen:

www.Preussische-Monatsbriefe.de Bitte geben Sie diese Adresse an wache Geister weiter. Sie und wir danken es Ihnen.

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„Wie mag es meinen lieben Eltern heute zu Mute sein, so frage ich mich oft“, trug Musketier Robert Johnscher vor einhundert Jahren am Heiligen Abend in sein Kriegstagebuch ein. „O ich wollt, ich könnte zu ihnen. Die-ser elende Krieg!“ Er ahnte nicht, dass in der ersten Kriegsweihnacht die Soldaten an der West- wie an der Ostfront aus ihren Gräben kletterten und mit ihren „Feinden“ sprachen, sangen, Fußball spielten und auf den Frieden tranken. Die militärische Obrigkeit „vor Ort“ ließ gewähren, die in den Hauptstädten und damit nahe den Politikern schäumten vor Wut, weil die Kerls da draußen zum Weihnachts- oder Christfest keine Kampfmaschinen, sondern wieder Mensch sein wollten. Harte Strafen wurden künftig für solche Untaten angedroht. Obrigkeiten mussten zur Kenntnis nehmen: Das Volk wollte Frieden. Nicht nur zur Weihnachtszeit.

Das ist heute nicht anders. 70 Prozent der Deutschen lehnen - grundge-setztreu - Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. Diese sind mit Kampf-einsätzen verbunden, mit Krieg. Wieder ertönt als letzter Gruß: „Friede ihrer Asche“. Ansonsten steht das Wort „Frieden“ offenbar auf der Tabu-Liste. Freiheit klingt da ganz anders. Freiheit für all und jeden und alles. Auch Freiheit zum Krieg, wie aus berufenem Munde zu hören war, aus dem einst „Schwerter zu Pflugscharen“ klang. Daran wird der Freiheits-apostel am 13. Dezember erinnert, wenn Kriegsunwillige vor seinem Amtssitz Schloss Bellevue für den Frieden demonstrieren. Man darf ge-spannt sein, ob der Pastor a. D. und die Kanzlerin aus christlichem El-ternhaus dieses Un-Wort am 13. Dezember und zum Fest für den Friede-fürsten am 24. Dezember in den Mund nehmen.

Die Schriftleitung

No. 39 / Dezember 2014

zuzzzzzzzz

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Preußische Monatsbriefe

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Warum die Preußischen Monatsbriefe als Gegengewicht zu Mainstream-Medien wichtig sind

Dazu Auszüge aus einem Bericht von Peter Harth über eine Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Verleihung der „Lead Awards“ am 14. November 2014 in Hamburg vor Journalisten.

„Wenn ich Journalist wäre, würde ich den Zustand der Verlags- und Medienbranche wahrscheinlich mit solchen Schlagzeilen beschreiben: Small is beautiful; voll auf die Presse – Journalismus in der Glaubwürdigkeitskrise.“

Nicht erst seit der Ukraine-Krise laufen den Medien ihre Leser weg, aber die Putin-Hetze wirkt wie ein Brandbeschleuniger, und dem Journalismus brennt das Wichtigste ab, was er hat: der Glaube an seine Aufrichtigkeit. Es wird so einseitig wie schon lange nicht mehr berichtet, immer öfter kommt es zu Unwahrheiten und Verzerrungen in der Berichterstattung. Die Menschen werden auf einen Kon-flikt mit Russland eingeschworen – besonders auch vom Leitmedium Spiegel. Das Nachrichtenmaga-zin erklärt sich selbst zum Sprachrohr der Bundesregierung, manipuliert Umfragen und fordert, dass Putin gestoppt wird. Leser, die dahinter Hetze und Manipulation aus Washington sehen, verteufelt der Spiegel als ferngesteuerten Online-Mob aus Russland.

Gerade in ihrer größten Krise entdecken die Mainstreammedien ihre Linientreue zu den Parteien. Während der Journalismus in seiner ökonomischen Krise stirbt und abgewickelt wird, gedeiht der Rest durch öffentlich-rechtliche Subventionen weiter gut. Obwohl oder gerade weil die Aufsichtsräte mit Politikern und „staatsnahen Personen“ überragend bestückt sind.

Natürlich spricht Steinmeier als Politiker nicht über die aufdringliche Anbiederung der Medien an die Politik. Für die Parteien nimmt das peinliche Ausmaße an. Wenn der Spiegel sich offen zum Sprach-rohr der Bundesregierung ernennt, erweist er ihr einen Bärendienst und macht beide zum Gespött. Das restliche Trauerspiel beschreibt der Bundesaußenminister überraschend offen: „Wenn Medien in die Krise geraten, kann das die demokratische Gesellschaft nicht kalt lassen. Umso mehr, als die Me-dien zurzeit sogar in einer doppelten Krise stecken. Ihr Wirtschaftsmodell ist in Bedrängnis geraten, und gleichzeitig beginnt eine Debatte über ihren Deutungsanspruch und ihren Informationswert.“

Es bestand ein uralter Deal zwischen Journalismus und Politik: Was aus den Mündern der Politiker kommt, schreiben Journalisten auf und pflanzen es in die Köpfe der Menschen. Sehen die Menschen in den Überbringern der Botschaft aber nur noch Lügner, verkommt die Botschaft selbst zum schlechten Witz. Das ist der Punkt, an dem die Schwäche der Journalisten zur Krise der Politik mu-tiert, weil ihr die Menschen abhandenkommen.

Nun könnte er die Journalisten arrogant nennen. Steinmeier geht es diplomatischer an: „Vielleicht waren sich die Journalisten einfach ihres Deutungsmonopols zu sicher. Vielleicht haben sie ihr Herr-schaftswissen zu lange vor sich her getragen und nicht gemerkt, welche neue Form von Öffentlichkeit das Internet entstehen ließ.“ Eine Öffentlichkeit, die im Internet selbst Informationen und Meinun-gen produziert oder die Medien kontrolliert.

Steinmeier muss als geschickter Populist spüren, wie die Schere zwischen veröffentlichter Meinung und öffentlicher Meinung in Deutschland immer weiter auseinandergeht. Die Journalisten vor ihm sind ein Musterbeispiel an Gehorsam und Anbiederung. Eigentlich müsste er sie dafür loben, wenn sie nicht der Politik damit schaden würden.

Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch. Politiker und Journalisten gleichermaßen sollten die Bedürfnisse ihrer Leser und Wähler nicht dauer-haft außer Acht lassen.

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Preußische Monatsbriefe

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Professor Otte und sein erstes Halbjahrhundert

Finanz-Genie, Global-Ökonom und Beirats--

mitglied der Preußischen Gesellschaft Professor

Dr. Max Otte feierte seinen 50. Geburtstag mit

Spitzen der Gesellschaft im Steigenberger-Hotel

Petersberg und im Kreis von Familie und

Freunden in der Eifel (unsere Fotos). Er rockte

dort seine begeisterten Gäste, zog mit ihnen im

Fackelzug durch die Nacht und fühlte sich mit

ihnen wohl im malerischen Kronenburg.

Herbst an der Oder – Blick auf die Neumark

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Preußische Monatsbriefe

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Rapport zur Lage

Historisch bedingte deutsche Verantwortung nur für Israel und nicht für Russland?

Wir wollen nach wie vor den Frieden mit unseren Nachbarn, namentlich aber mit Russland suchen…Ich nenne also vorzugsweise Russland, und da habe ich das-

selbe Vertrauen auf das Gelingen, von welchem ich vor einem Jahre gesprochen habe…“

x

Auch glaube ich, dass… der Friede mit Russland trotz der russischen Zustände von dem größten Teil der deutschen Nation lebhaft gewünscht wird und dass die

Förderung einer Verstimmung zwischen beiden Völkern…im deutschen Volk wenig Anklang findet.“

Otto von Bismarck

Man wähnt sich im Tollhaus oder in eine längst überwundene Zeit zurückversetzt. Seit Jahr und Tag drückt ein westlicher Politiksturm voller Hass, Schmähungen, Drohungen, Sanktionen, Restriktionen und abgefeimten Niederträchtigkeiten gegen Russland und Putin wie zuvor gegen Iran und Ahmadi-nedschad, Libyen und Ghaddafi, Irak und Saddam, Afghanistan und Taliban-Regierung, Syrien und Assad, Weißrussland und Lukaschenka. Angefacht von einem Land, das mit 1 000 Militärbasen in allen Teilen der Welt für Ruhe und Ordnung seines Zuschnitts sorgt, das gegen alle Regeln der Menschlichkeit und entgegen internationalen Bestimmungen mit Flugkörpern in fremdem Land be-

reits Tausende Menschen tötete, das für seine global agierenden Konzerne dafür sorgen soll, endlich Russland als gigantische Rohstoffreserve und riesi-gen Absatzmarkt heimzuführen, ehe dann das Reich der Mitte ins Visier genommen wird. Gewinnaussichten in sagenhafter Höhe peitschen die Ge-lüste an.

Und diesem Land und seinem Big-Leader folgen gegen Russland willige Regierungsobere wie einst die Kinder dem Rattenfänger von Hameln. Ma-

chen die Drecksarbeit für fremde Interessen. Ihnen in Treue fest verbunden sind saftlose und gleich-gerichtete Medien. Die von sich geben, was man ihnen eintrichtert. In deutschen Blättern hat es mit-unter den Anschein, dass gegen Russland und Putin der Propagandafeldzug des einstigen Propagan-daministers unbeirrt fortgesetzt wird. Erschrecken lässt eine grauslich-braune Tradition, die aber nicht einmal den sonst so öffentlichkeitsfreudigen Ober-Moralapostel vor Mikrophone und Kameras bringt. Es geht gegen Russland, und das ist gut so. Man lese nach, was damals in deutschen Publikati-onen über die Russen stand: auszurottende Untermenschen. Ein Begriff übrigens, mit dem die ge-genwärtigen Kiewer Gebieter jene Russen belegen, die sie in Käfigen vorführen. Machthaber dieser Gattung sind Verbündete des Westens, unseres Landes. Es kann einem schlecht werden.

Welch eklatant-peinlicher und schmerzender Widerspruch wird in zwiespältiger politischer Haltung in Deutschland sichtbar: Die gegen Russland und Putin treten, kommen kaum von den Knien hoch, wenn es um ein anderes geschändetes Volk geht. Bundeskanzlerin Merkel vor der Knesset: „Der im

Ansage auf Augenhöhe?

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Preußische Monatsbriefe

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deutschen Namen verübte Massenmord an sechs Millionen Juden hat unbeschreibliches Leid über das jüdische Volk, über Europa und die Welt gebracht.“ Sie fuhr fort: „Nur wenn Deutschland sich zu seiner immerwährenden Verantwortung für die moralische Katastrophe in der deutschen Geschichte bekennt, können wir die Zukunft menschlich gestalten.“

Hat ab 1941 nicht geklappt – jetzt auf ein Neues?

Sehen wir mal davon ab, dass es sich wohl um etwas mehr als nur um eine „moralische Katastrophe“ gehandelt hat: Warum empfindet sie nicht die nämliche Verantwortung Deutschlands für das unend-liche Leid, das den Russen und den anderen Sowjets zwischen 1941 und 1945 im Namen Deutsch-lands zugefügt wurde? Die Ausmaße dessen hat sie doch im Schulunterricht, in der Freien Deutschen Jugend und in ihrem Studium, das sie sogar nach Russland führte, bis ins Details hinein kennenge-lernt! Die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson und damit niemals verhandelbar, er-klärte sie in Jerusalem und schloss gnädig die Augen vor all den aggressiven Akten des Landes gegen seine Nachbarn. Wäre Staatsräson Deutschlands mit und zu Russland bei der gleichen Verbunden-heit in schrecklicher Vergangenheit ein Sakrileg? Die Unterzeichner der Konvention von Tauroggen, Reichskanzler Bismarck, Walter Rathenau und andere deutsche Realpolitiker bis hin zu Willy Brandt mit seiner Ostpolitik sähen darin keine Verfehlung, sondern Nutzen für das eigene Land. Weil sie pro patria dachten und handelten.

Weitere quälende Fragen an die deutsche Regierungschefin drängen sich auf: Die Sicherheit Russ-lands – eingekreist von raketenbestückten NATO-Stützpunkten – lässt die deutsche Bundeskanzlerin kalt – obwohl sie doch bereits steinewerfende Jugendliche in Gaza als nicht hinzunehmende Bedro-hung sieht? Das Schicksal der gleichermaßen zunächst bedrohten und dann niedergekämpften Län-der und ihrer führenden Politiker sind kein Menetekel? Bedrückt sie nicht die Last der 27 Millionen sowjetischen Kriegstoten, zu denen auch Putins in Leningrad (St. Petersburg) getöteter Bruder ge-hört? Wenn doch, wäre es da nicht menschlich-politische Pflicht, sich dem Konfrontationskurs der Weltbestimmer-Macht gegen Russland zu entziehen? Anstatt, wie jüngst geschehen, ins lodernde Feuer noch Öl zu kippen mit der unglaublichen Drohung, die von der Weltmacht initiierten Sanktio-nen gegen Russland noch zu verschärfen! Schließt sie, die Schaden von Deutschland abwenden soll, die Augen vor den Folgen der Sanktionen in Deutschland? Und davor, dass die Auswirkungen der willkürlich beschlossenen Drangsalierungen vor allem die aus vielen Gründen ohnehin leidgeprüften russischen Menschen treffen? Wird der wissenschaftlich Ausgebildeten nicht bewusst, dass ihre An-würfe eigentlich fast in Gänze die friedensfeindliche Politik der diametral entgegengesetzten Seite gelten müssten? Aus deren Glashaus heraus heuchlerisch tönt: Man fällt nicht in fremde Ländern ein? Um auf Bismarck zurückzukommen: Er lehnte es ab, Deutschland für fremde Interessen einzuspan-nen. Von Bismarck lässt sich immer noch lernen, Frau Merkel.

Gustav von Trump

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Preußische Monatsbriefe

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Stimmen zum Polit-Krieg gegen Russland

Alt-Bundeskanzler Kohl: „Was in Russland passiert und auch, was dort nicht passiert, hat

Auswirkungen auf die ganze Welt und berührt uns alle – die Anrainerstaaten von Russland genauso wie die Europäische Union und darüber hinaus. Eine positive Entwicklung in Russland und ein gutes, friedliches Miteinander in der Region und im Verhältnis zur Europäischen Union wie zur Nato liegen daher in unserem eigenen Interesse.“ Für eine "stabile europäische Sicherheitsordnung" sei die "Ein-beziehung Russlands existentiell". "Ich kann nicht verhehlen, dass ich das Bild des G7-Gipfels Anfang Juni dieses Jahres, der über viele Jahre schon ein G8-Gipfel mit russischer Beteiligung gewesen war, einschneidend und auch bedrückend fand. Ich habe mich in diesem Moment einmal mehr daran er-innert, wie viel Überzeugungskraft es mich seinerzeit als deutscher Bundeskanzler im Kreise der G7-Länder gekostet hat, Russland als echten Partner einzubinden."

Ex-UdSSR-Präsident Gorbatschow, Vorsitzender des Lenkungsausschusses vom Peters-

burger Dialog a. D.: „Das, was in den zurückliegenden Monaten geschah, würde ich als einen Kollaps

des Vertrauens charakterisieren. Des Vertrauens, das wir durch gemeinsame Bemühungen bei der Beendigung des Kalten Krieges geschaffen hatten.“ Die Ereignisse der letzten Monate, unter ande-rem die Situation in der Ukraine, waren „eine Folge der kurzsichtigen Politik“. „Kurz aufgezählt: Nato-Erweiterung, Jugoslawien, Kosovo, Raketenschildpläne, Irak, Libyen, Syrien“. Russland und der Wes-ten müssten einen Kompromiss finden. „Noch gibt es keinen solchen Kompromiss, aber ich halte ihn für möglich – sonst verlieren alle.“ Er verteidigte den Beitritt der Halbinsel Krim zu Russland.“ Putin hat Russland vor dem Zerfall gerettet.“

Papst Franziskus: Er forderte die G20-Mitgliedsstaaten bei ihrem Treffen in Brisbane dazu auf,

sich entschiedener gegen Armut und Terrorismus in der Welt einzusetzen. Zu bekämpfen seien die Ursachen des Terrorismus, darunter „Armut, Unterentwicklung und Exklusion“. Ein rein militärisches Eingreifen in den entsprechenden Ländern greife zu kurz. In seinem Schreiben an Putin anlässlich des vorigen G20-Gipfeltreffens heißt es u.a.: „Herr Präsident, ich hoffe, dass meine Gedanken für Sie ein fruchtbarer geistiger Beitrag zu Ihrem Treffen sind. Ich bete für den Erfolg der Arbeit der G20 zu die-sem Anlass. Ich segne Sankt Petersburg und alle Teilnehmer und Staatsangehörigen, die zu dem Tref-fen kommen sowie sämtliche Aktivitäten, die Russlands während seines Vorsitzes bei den G20 im Jahr 2013 ausübt. Ich bitte Sie, beten Sie für mich.“

DDR-Einheits-Premier Lothar de Maizière, Vorsitzender des Lenkungsausschusses

vom Petersburger Dialog, Ehrenmitglied der Preußischen Gesellschaft: Ich halte von den Wirt-schaftssanktionen nicht viel. Sie schwächen Russland, was ja auch die Absicht ist. Wir müssen aber ein Interesse an einem stabilen Russland haben. Wirtschaftssanktionen schwächen die Ukraine und die europäische Wirtschaft. Ich frage mich, in welchem Interesse sie liegen. Nach meinem Eindruck liegen sie im amerikanischen und nicht im europäischen Interesse. Merkel hat ja deutlich gemacht, an der Sanktionsschraube gegen Putin weiterzudrehen. Ich halte das nicht für zielführend. Es gilt das alte Bismarck-Wort, den beiden großen Völkern, den Russen und den Deutschen, geht es nur dann immer gut, wenn sie gute Beziehungen zueinander haben.

Ex-SPD-Vorsitzender Matthias Platzeck, brandenburgischer Ministerpräsident a. D.,

Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums: "Der Klügere gibt auch mal nach...Was käme denn nach Putin, wenn der russische Präsident weg wäre? Sicher kein proeuropäischer Nachfolger, eher ein noch nationalistischerer Präsident. Wenn Russland als zweitgrößte Nuklearmacht der Welt aber politisch instabil würde, hätte das unabsehbare Folgen. Das wäre brandgefährlich!"

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Preußische Monatsbriefe

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Professor Dr. Daschitschew, Politologe, Historiker und ehemaliger Gorbatschow-Berater:

„Wir haben es mit einer politischen Vorkriegskrise zu tun. Diese gefährliche Lage haben wir der ame-rikanischen Politik zu verdanken. Wenn diese Krise in eine Apokalypse hinüberwächst, dann brau-chen wir keine Demokratie und keine Freiheiten, keinen Umweltschutz. Vor allem darüber müssen Politiker Alarm schlagen.

Die Infrastruktur und der Wirkungsbereich der Nato – des Hauptinstruments der amerikanischen Herrschaft in Europa – wurden nach Osten bis unmittelbar an die westliche Grenze Russlands erwei-tert. Wieder stellt sich die Frage: Gegen wen ist das gerichtet? Und überhaupt – wozu existiert die Nato? Denn Europa wird jetzt und auf weite Sicht von niemandem bedroht. Das Ziel besteht darin, die amerikanische Dominanz in Europa aufrechtzuerhalten und zu stärken und Russland unter militä-rischen Druck zu setzen und politisch zu erpressen… Es wurde bekannt, dass bereits die Pläne zur Stationierung amerikanischer Raketen auf dem Territorium der Ukraine und Georgiens ausgearbeitet werden… Die Vereinigten Staaten verdrängten Russland aus Osteuropa und schufen in dieser Region einen Gürtel von Ländern mit pro-amerikanischen Staatsführungen, die eine extrem antirussische Politik betreiben. Die neuen Herrscher dieser Länder sind berufen, in der europäischen Öffentlichkeit ein Feindbild von Russland aufzubauen. Die USA brauchen ein künstliches Schreckgespenst der „Ge-fahr von Osten“, um damit – abgesehen von der Schürung der Spannung in Europa – die Notwendig-keit zur Aufrechterhaltung und Stärkung der Nato zu rechtfertigen… Besonders aktiv sind die Ge-heimdienste der USA in der Ukraine. Ein Professor der New Yorker Universität, Stephen F. Cohen, hat zu Recht geschrieben, dass „die neue Front des kalten Krieges durch die Ukraine verläuft“…

In den Kreuzzug gegen Russland zogen die USA auch die Länder der Europäischen Union. Die Kom-mission der EU, die parlamentarische Versammlung, das Europäische Parlament und der Europarat versäumen keine Gelegenheit, Russland der Verletzung der Menschen- und Freiheitsrechte zu be-schuldigen. Dabei mangelt es nicht an Übertreibungen und Fälschungen bezüglich der wahren Lage in Russland. Über viel wichtigere Dinge und Gefahren aber schweigt man wie ein Grab. Nämlich dar-über, dass die USA den Frieden in der ganzen Welt gefährden, dass sie Hochrüstung betreiben. Wie ist es zu erklären, dass Probleme der Abrüstung, der Rüstungssteuerung und der Erhaltung des Frie-dens von der Tagesordnung der Regierungen der EU-Länder verschwunden sind?“

Merkel will Lothar de Maizière und Platzeck kaltstellen Weil sie eine differenziertere bis ablehnende Meinung zu den vom Welt-Oberleader Obama seinen willigen Staatsoberhäuptern oktroyierten Konfrontationspolitik gegen Russland und Putin vertreten und mit Vernunftgründen – siehe oben – dagegen votieren, sollen Lothar de Maizière und Matthias Platzeck aus ihren führenden Funktionen im Petersburger Dialog bzw. Deutsch-Russischen Forum

entfernt werden. Wie die Frankfurter Allgemeine Zei-tung und der Spiegel übereinstimmend berichten, stimmt Kanzlerin Merkel einem entsprechenden Eck-punktepapier der Scharfmacher Andreas Schockenhoff (CDU), Marieluise Beck (Grüne) sowie der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung zu. Dialog und Forum sollen im Blick auf Russland und Putin den entsprechenden Regierungsvorgaben von USA und Deutschland angepasst werden. Das Ganze wird – wie bei Negativentwicklungen üblich – als Re-form bezeichnet. Kommentar von Lothar de Maizière:

„Der russische Präsident und die deutsche Bundes-kanzlerin sind die Schirmherren des Petersburger Dia-

loges. Doch ist ein Schirm nicht für gutes, sondern für schlechtes Wetter geschaffen?“

Merkel: Erst gegen Förderer Kohl, jetzt gegen de Maizière, der sie in die höhere Politik holte

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Preußische Monatsbriefe

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Berliner Ehrenbürger heute und einst

Gauck Biermann Ribbeck Blücher Nikolaus I.

Das am 14. Dezember 2014 aus dem Amt scheidende Berliner Bürgermeister-Genie Klaus Wowereit hat mit zwei überragenden Deutschen als Ehrenbürger Berlins ein unvergessliches Erbe seiner Amtszeit hinterlassen: Karl Wolf Biermann, brüllender Klampferer und tapferer Reimeschmied, und Joachim Gauck, Schwerter-zu-Pflugscharen-Pastor a.D., Racheengel als Aktenverweser, doppeltbeweibter Charmeur, begnadeter Dauer-Cicero sowie Staatsober-haupt der Herzen und de jure. Sie erhalten bestimmte Vorteile ohne Rechtsanspruch: darun-ter eine Jahresfreifahrkarte der Berliner Verkehrsbetriebe, eine im Bedarfsfall vorgesehene Ehrenversorgung für den Ausgezeichneten und seine Hinterbliebenen, ein Begräbnis auf Landeskosten sowie eine Ehrengrabstelle auf einem Berliner Friedhof.

Ihre Größe überstrahlt bei weitem Denken, Haltung und Lebensleistung von Vorgänger-Ehrenbürgern. Beispielweise vom Theologen Konrad Gottlieb Ribbeck, dem die Auszeich-nung als Erstem am 28. Februar 1815 zuteil wurde. Der Propst an der Nikolai- und an der Marienkirche zu Berlin trug maßgeblich zum Zusammenschluss der lutherischen und refor-mierten Kirchen zur Preußischen Union bei, war Ratgeber Friedrich Wilhelms III. im Obersten Kirchenregiment sowie in der Liturgischen Kommission. In der französischen Besatzungszeit Berlins erwarb sich Ribbeck Verdienste als Anwalt der Bürger gegenüber den Napoleoni-schen Usurpatoren.

Generalfeldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher wurde am 31. Januar 1816 als Berliner Ehrenbürger für seinen maßgeblichen Anteil am Sieg in der Schlacht bei Waterloo 1815 ge-gen Napoleon geehrt. Er brachte mit seinen Truppen die von Bonaparte als Siegesbeute nach Paris verschleppte Quadriga an die Spree zurück.

Interessant ist, dass Zar Nikolaus I. von Russland am 18. Oktober 1837, dem Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, ein Berliner Ehrenbürger wurde. In der Auseinandersetzung kämpften preußische und russische Truppen – unterstützt von Österreichern und Schweden - erfolgreich gegen Napoleons Armee. Zar Nikolaus hatte in Berlin das Grundstück erworben, das heute Russland als Botschaft dient. Er revanchierte sich für die Ehrung mit einem Ge-schenk von 5 000 Dukaten, die für eine Armen-Stiftung verwendet wurden.

Weitere Ehrenbürger Berlins wurden bis 1941 u. a. Alexander von Humboldt, Helmuth Karl Bernhard von Moltke, Otto von Bismarck, Heinrich Schliemann, Robert Koch, Rudolf Virchow, Adolph Menzel, Max Liebermann und Paul Lincke.

Peter Claus

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Preußische Monatsbriefe

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Song vom vergesslichen Biermann

Mitleid kommt auf, wenn ein so begnadeter Sänger, der selbst Villon in den Schatten stellt, an Gedächtnisschwund leidet. Als Ex-Kommunist Wolf Biermann zum 25. Jahrestag der Maueröffnung seine Beschimpfungen der elenden Linken im Bundestag beendet hatte, klampfte und trällerte er frohgemut ein weithin unbekanntes Liedle, das er dereinst dem Dichter Peter Huchel zu Füßen legte. Vergessen hatte er wohl, dass ihn der mauerbrechende Akt des Volkes vor 25 Jahren in die kommunistische Einheitsfront zurückbefördert hatte. Für seinen ersten Auftritt im Osten 1989 dichtete er stark wie Erich Weinert das unten abge-druckte Kampf- und Agitationslied für die Arbeiterklasse. Wer’s nicht glauben kann oder will, schlage im 1991 bei Kiepenheuer & Witsch, Köln, erschienenen Band „Wolf Biermann – Alle Lieder“ die Seiten 410 und 411 auf. Und siehe: Tatsächlich gab Wolf Biermann und nicht FDJ-Barde Hartmut König seiner Seelenfreude musikalischen Ausdruck. Ein liebenswertes Kerl-chen ist er schon, dieser Drachentöter mit dem Wendehals. M.H.

Verkauft uns nicht! Wir haben uns selber die Freiheit erobert Und waren nur Menschenmaterial Doch jetzt soll uns auch nicht der Westn schlucken Die Brüder und Schwestern vom Großkapital Die Haie mit harter Währung kommen Schon angeschwommen und sind so frei Und schnappen sich unser Oma ihr klein Häus-chen In Mecklenburg für'n Appel und Ei

Verkauft nicht die ganze bankrotte Firma Wir sind das Volk! Wir bleiben hier! Das Einzige was an den Westen verkloppt wird Die Mauer in Stücke als Souvenir

Wir brauchen keinen Konkursverwalter Hans Modrow, Du, da gehts nicht lang! Verramsch uns nicht an Krupp und Thyssen Mercedes-Benz und Deutsche Bank Fleiß, Freiheit, Spaß und Menschen-würde Sind unser stärkstes Kapital Wir wolln endlich eigene Fehler machen - und nicht die des Westens noch einmal

Verkauft nicht die ganze bankrotte Firma...

Nein! VEB Leuna geschluckt und ver-daut Von Bayer Leverkusen sogleich Nein! EAW Treptow, die schrottreife Braut Holt sich Herr Siemens heim ins Reich Elektrokohle Lichtenberg Zeiss-Jena steht im Hemde da Und bietet den welken Busen feil Für ein paar Westmark trallala

Verkauft nicht die ganze bankrotte Firma...

Wir lassen uns niemals wieder schla-gen Ans Kreuz mit Stempel und Stachel-draht Verflucht und erneuert sei die Partei Die uns verkauft und verraten hat Jetzt wird unser Land zum ersten Mal Ein Land in dem man leben könnt Wir brauchen Hilfe, doch nur von dem Der uns ein eigenes Leben gönnt

Verkauft nicht die ganze bankrotte Firma Wir sind das Volk! Wir bleiben hier! Das Einzige was an den Westen verkloppt wird Die Mauer in Stücke als Souvenir

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Preußische Monatsbriefe

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Patrioten-Passagen

CARL VON CLAUSEWITZ Ich sage mich los:

von der leichtsinnigen Hoffnung einer Errettung durch die Hand des Zufalls,

von der dumpfen Erwartung der Zukunft, die ein stumpfer Sinn nicht erkennen will,

von der falschen Resignation eines unterdrückten Geistesvermögens,

von dem unvernünftigen Misstrauen in die uns von Gott gegebenen Kräfte,

von der sündhaften Vergessenheit aller Pflichten für das allgemeine Beste,

von der schamlosen Aufopferung aller Ehre des Staates und des Volkes, aller persön-

lichen und Menschenwürde.

Ich glaube und bekenne:

dass ein Volk nichts höher zu achten hat als die Würde und Freiheit seines

Daseins,

dass es diese mit dem letzten Blutstropfen verteidigen soll,

dass es keine heiligere Pflicht zu erfüllen, keinem höheren Gesetze zu gehorchen hat,

dass der Schandfleck einer feigen Unterwerfung nie zu verwischen ist,

dass dieser Gifttropfen in dem Blute eines Volkes in die Nachkommenschaft

übergeht und die Kraft späterer Geschlechter lähmen und untergraben wird,

dass man die Ehre nur einmal verlieren kann,

dass die Ehre der Regierungen eins ist mit der Ehre des ganzen Volkes und das einzige

Palladium seines Wohles,

dass ein Volk noch am ehesten unüberwindlich ist in dem großmütigen Kampfe um

seine Freiheit.

XXX

Der Geist der Deutschen fängt an sich immer erbärmlicher zu zeigen; überall sieht man eine solche Charakterlosigkeit und Schwäche der Gesinnungen hervorbrechen, dass die Tränen uns in das Auge treten möchten. Ich schreibe dies mit unendlicher Wehmut nieder; denn kein Mensch in der Welt hat mehr das Bedürfnis der Nationalehre und -würde als ich; aber man kann sich darüber nicht täuschen, die Erscheinung ist nicht zu leugnen. Nur darin denke ich von den meisten verschieden, dass man darum nachgeben und willig erliegen müsse. Dass die Menschen nicht edler bei uns denken, ist nicht die Schuld der Natur, son-dern die Schuld der Menschen. Hätten die, welche an der Spitze der Völker stehen, sich bes-ser gezeigt, die Völker würden von einem anderen Geiste beseelt sein...

(Aus: Briefen an seine Braut)

XXX

Der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten, dass dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört, nicht in etwas anderes verwandelt wird, sondern dass er in seinem We-sen fortbesteht, wie auch die Mittel gestaltet sein mögen, deren er sich bedient.

(Aus: Vom Kriege“)

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Preußische Monatsbriefe

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Preußische Daten 1.Dezember 1689 (vor 325 Jahren): Kurfürst Friedrich III. unterzeichnet die Gründungsurkunde des „Collège français“ (Französisches Gymnasium) in Berlin. Erster, von Friedrich III. ernannter Direktor ist Charles Ancillon. Unterrichtssprache ist Französisch. 1701 bezieht das Collège das Palais Wangen-heim in der Niederlagstraße, das bis 1873 sein Domizil bleibt. Seit 1974 residiert das Collège français –/ Französische Gymnasium in der Derfflingerstraße. Zu den Schülern zählen u. a. Adelbert von Cha-misso, Ernst von Wildenbruch, Maximilian Graf Yorck von Wartenburg, Paul von Lettow-Vorbeck, Victor Klemperer, Kurt Tucholsky, Wernher von Braun und Reinhard Mey. 4.Dezember 1749 (265): Großes Viehsterbens führt in Berlin und ganz Preußen zum Verbot, von No-vember bis März Schlachtvieh innerhalb und außerhalb des Landes zu verkaufen. Diese Regelung gilt vier Jahre. 5.Dezember 1834 (180): Ihr 25jähriges Bestehen feiert die „Gesetzlose Gesellschaft zu Berlin“ am 70. Geburtstag des Philologen Philipp Karl Buttmann, des damals bereits verstorbenen Stifters und ers-ten „Zwingherrn“ der Gesellschaft. Dem Gesellschaftsclub gehören prominente Persönlichkeiten der geistigen, künstlerischen und militärischen Elite ihrer jeweiligen Zeit an. Dieser auch heute noch exis-tierende Herrenclub versteht sich als Träger der Tradition, der Kultur und der Wissenschaft. Mitglied sind u. a. Achim von Arnim, August Neidhardt von Gneisenau, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, E. T. A. Hoffmann, Wilhelm von Humboldt, Wilhelm von Scharnhorst, Karl Friedrich Schinkel und Carl Fried-rich Zelter.

Erst stand Bismarck im, dann vor dem Reichstag

5.Dezember 1894 (120): Kaiser Wilhelm II. fügt den Schlussstein des Reichstagsgebäudes am Königs-platz (Platz der Republik, Tiergarten) ein und übergibt 1884 bis 1894 das im Stil der Neorenaissance errichtete Gebäude seiner Bestimmung. Die Baukosten betragen 24 Millionen Mark (inflationsberei-nigt in heutiger Währung: rund 154 Millionen Euro). Sie werden aus den Reparationen beglichen, die Frankreich nach dem verlorenen Krieg von 1870/1871 zu zahlen hatte. Architekt Wallot führt den Kaiser durch das Gebäude. In seiner Thronrede zur Reichstagseröffnung sagt Kaiser Wilhelm II. u.a.: „Möge Gottes Segen auf dem Hause ruhen, möge die Größe und Wohlfahrt des Reiches das Ziel sein, das alle zur Arbeit in seinen Räumen Berufenen in selbstverleugnender Treue anstreben!“

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6.Dezember 1834 (180): Adolf Ludwig Wilhelm Freiherr von Lützow, Generalmajor und 1813/14 Füh-rer des nach ihm benannten Freikorps, stirbt in Berlin. Seine letzte Ruhestätte erhält er auf dem Gar-nisonfriedhof von 1722 im Berliner Bezirk Mitte (Linienstraße /Kleine Rosenthaler Straße). 7.Dezember 1849 (165): In Berlin wird der Vertrag über den Beitritt der Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen zum Königreich Preußen abgeschlossen. 7.Dezember 1864 (150): Die aus Schleswig vom deutsch-dänischen Krieg zurückkehrenden siegrei-chen Truppen treffen in Berlin ein. König Wilhelm I. stiftet das Alsenkreuz. Am 17. Dezember findet auf der Straße Unter den Linden eine Siegesparade statt. 8.Dezember 1869 (145): Zar Alexander II. von Russland verleiht an König Wilhelm I. die erste Klasse des St. Georgs-Ordens; im Gegenzug erhält er den von Friedrich dem Großen gestifteten Orden „Pour le Mérite“. 10.Dezember 1689 (325): Kurfürst Friedrich III. fordert den Magistrat der Residenzstadt Cölln auf, die Verordnungen zum Verbot des Degentragens durchzusetzen. 11.Dezember 1859 (155): Die mit 28 Kanonen bestückte Schraubenkorvette ''Arcona'' läuft aus Dan-zig zur Fahrt nach Japan aus. Sie ist 1864 am deutsch-dänischen Krieg u. a. an der Seeschlacht bei Jasmund unter Kommandant Eduard von Jachmann beteiligt, der für die im Gefecht bewiesene Tap-ferkeit vom König Wilhelm I. zum Contre–Admiral ernannt wird. 13.Dezember 1604 (410): Durch kurfürstliche Order löst der Geheime Staatsrat (auch Ratskollegium) die bis dahin agierende Kammerregierung ab. Ihm gehören neun Mitglieder unter dem Vorsitz des Kanzlers von Lochen an Der Geheime Staatsrat tagt im Cöllner Schloss, berät Kurfürst Joachim Fried-rich in politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten und vertritt ihn in dessen Ab-wesenheit.

Tschech schießt auf den preußischen König und trifft ihn nicht

14.Dezember 1844 (170): „Mittels des Beils vom Leben zum Tode gebracht“ wird in der Festung Spandau der Storkower Bürgermeister Heinrich Ludwig Tschech, der am 26. Juli 1844 ein Attentat auf König Friedrich Wilhelm IV. verübt hat. Seine Schüsse verfehlen vor dem Berliner Schloss das königli-che Paar, der Täter wird festgenommen und verurteilt. Der König soll beim Unterschreiben des To-desurteils geweint haben.

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15.Dezember 1864 (150): Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gibt in Berlin die erste Probe-Nummer seiner Zeitung „Social-Demokrat“ heraus. Regulär erscheint die Zeitung ab dem 4. Januar 1865. Als Programm der Zeitung wurden angegeben: 1. Solidarität der Völkerinteressen und der Volkssache durch die gesamte zivilisierte Welt, 2. das ganze gewaltige Deutschland ein freier Volks-staat, 3. Abschaffung der Kapitalherrschaft.

15.Dezember 1899 (115): Mit minus 17°C bis minus 18°C Grad wird die bis zu diesem Tag tiefste Temperatur bei Schneefall in Berlin gemessen.

16.Dezember 1899 (115): Der Spreetunnel zwischen der Berliner Halbinsel Stralau und Treptow wird landespolizeilich abgenommen und für den Straßenbahnverkehr freigegeben. Die 454 Meter lange eingleisige Verbindung besteht bis zum 15. Februar 1932 und wird nach Kriegseinwirkungen 1945 zugeschüttet.

18. Dezember 1864 (150): Ein Friedens- und Dankfest findet nach dem Ende des deutsch-dänischen Krieges (1. Februar bis 30. Oktober 1864) auf Anordnung von König Wilhelm I. in allen Kirchen des Landes statt.

23.Dezember 1809 (205): Bei ihrer Rückkehr aus Königsberg, wohin sie sich 1806 vor Ausbruch des Vierten Koalitionskrieges zurückgezogen hatten, werden König Friedrich Wilhelm III., Königin Luise und der königliche Hof in Berlin feierlich empfangen. Im Begleittross befindet sich Christoph Wilhelm Hufeland, der als Leibarzt die königliche Familie nach Ostpreußen begleitet hat.

23. Dezember 1899 (115): Die Denkmalgruppe 24 für die Berliner Siegesallee mit Standbild von Kur-fürst Georg Wilhelm und den Büsten von Oberst Konrad von Burgsdorff und Kanzler Graf Adam von Schwartzenberg wird enthüllt. Sie ist vom Bildhauer Cuno von Uechtritz-Steinkirch geschaffen wor-den.

24.Dezember 1739 (275): Erstmals werden auf Anordnung von König Friedrich Wilhelm I. Droschken mit festgelegtem Tarif für den öffentlichen Verkehr eingesetzt. An den fünf Halteplätzen warten 15 Droschkenkutscher auf Kunden.

26.Dezember 1769 (245): Friedrich der Große genehmigt den Antrag von Uhrmacher Louis George auf ein Patent als Hofuhrmacher. Der Refugié (Hugenotte) der dritten Generation stellt Taschen-, Wind- und See-Uhren, Wegmesser usw. her.

26.Dezember 1809 (205): König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise wohnen einem Gottesdienst in der Werderschen Kirche bei und folgen der Predigt des französisch-reformierten Jean Pierre Frédéric Ancillon. Am 23. Juni 1810 tritt Ancillon auf Betreiben der Königin als Nachfolger Friedrich Delbrücks sein Amt als Erzieher des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV an. Er gibt das Predigeramt sowie die Professur auf.

28.Dezember 1829 (185): Alexander von Humboldt kehrt zusammen mit seinen Begleitern, dem Bio-logen Christian Gottfried Ehrenberg und dem Mineralogen Gustav Rose, von seiner abenteuer- und erfolgreichen russisch-sibirischen Forschungsreise zurück.

30.Dezember 1819 (195): Theodor Fontane erblickt in Neuruppin als Sohn des Apothekers Louis Hen-ry Fontane und Emilie Fontane geb. Labry in Neuruppin das Licht der Welt und wird am 27. Januar 1820 getauft.] Seine Eltern sind hugenottischer Herkunft. Er arbeitet zunächst als Apotheker, dann als Schriftsteller, Journalist und Theaterkritiker. Sein Werk findet Generation für Generation neue Freunde.

31.Dezember 1899 (115): Begeistert wird im Berliner Apollo-Theater in der Friedrichstraße eine Auf-führung von Paul Linckes burlesk-phantastischer Ausstattungsoperette „Frau Luna“ gefeiert. Die be-kanntesten Musikstücke daraus sind der Marsch „Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft“, das Duett „Schenk mir doch ein kleines bisschen Liebe“ und die Arie „Schlösser, die im Monde liegen“.

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Beilage „100 Jahre Erster Weltkrieg“ (Teil X)

„Ein Soldat muss mit dem Leben nach außen abgeschlossen haben“

Aus dem einzigartigen Tagebuch eines jungen Musketiers im Ersten Weltkrieg Robert Johnscher ist einer von 70 Millionen junger Män-ner, die zwischen 1914 und 1918 in Europa, dem Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Weltmeeren unter Waffen standen, einer von etwa 20 Millionen, die den Ersten Weltkrieg verwundet überlebten – etwa zehn Mil-lionen blieben „im Felde“. Er hatte sich in Berlin als 18-jähriger zu Beginn des zweiten Kriegsjahres freiwillig ge-meldet. Der junge Mann ging gesund als Musketier in den Krieg für Gott, Kaiser und Vaterland und beendete ihn mit einer Kopfschuss-Verletzung als Zugführer im Range eines Vizefeldwebels mit Leutnantsbefugnissen. Auskunft über sein Schicksal in den Jahren des Weltbrandes gibt sein erhalten gebliebenes Tagebuch. Er führte es vom ersten bis zum letzten Tag seines Soldatenlebens. Wir setzen heute den Abdruck von Passagen aus dem Tage-buch von Robert Johnscher fort.

(Teil 1 finden Sie in der Märzausgabe der Preußischen Monatsbriefe – siehe Seite 1 unter Archiv!)

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Tagebuch-Rückblende:

„O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit“

Sonntag, 24. Dezember 1916 Es ist eigentlich nicht ganz richtig, die folgenden Tage (24., 25. u. 26.) mit „Kriegsweihnachten“ zu überschreiben, denn ich will gleich im Voraus erwähnen, dass ich dieses Jahr – zum ersten Male in meinem Leben - von „weihnachtlicher Stimmung“ nichts merkte, geschweige von Weihnachten sonst etwas hatte. Allerdings hatte ich gehofft, „Heiligabend“ festlich begehen zu können, aber es sollte leider alles ganz anders kommen! Um 8 Uhr lief der Munitionszug ein, auf dem wir uns mühsam einen Platz „erbeuteten“, und zwar auf einem offenen Güterwagen. Gegen ½ 10 Uhr ging die Fahrt endlich los. Der Wind pfiff uns tüchtig um die Ohren. Am Argesul mussten wir über die gesprengte Brücke laufen und in einen anderen Zug steigen. Bis die Munition umgeladen war, konnte es gut 4 Uhr werden. Wir kochten uns daher erst einen ausgezeichneten Kaffee. Mittlerweile war es bereits 5 Uhr geworden.

Robert Johnscher

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Die Nacht brach plötzlich herein, und damit wurde in uns auch der Gedanke wach, dass heute „Weihnacht“ war. Unsere Unterhaltung verstummte, jeder dachte an seine Lieben daheim, an frühe-re so schön verlebte heilige Abende. Meine Kameraden und ich hatten die Hoffnung noch nicht auf-

gegeben, heute Abend in Bukarest zu feiern. ½ 7 Uhr. Wir saßen alle im Wagen. Keiner sprach ein Wort. Ich mochte es immer noch nicht glauben, dass ich dieses Weihnachten fern von meinen Lieben begehen sollte. Wie hatte ich mich doch sonst auf Weihnachten gefreut. Welche Freude machte es mir, mit meinen ersparten Groschen kleine Geschenke zu kaufen. Und dann den Christbaum putzen! Alles dieses fällt für mich nun weg. Wie mag es meinen lieben Eltern heute zu Mute sein, so fragte ich mich oft. Sie sind auch ganz allein jetzt. O ich wollt, ich könnte zu ihnen. Dieser elende Krieg! Und doch wollte ich vom Kampf nicht fern stehen denn: „Ich schütz die deutsche Erde und auch mein Glück zu Haus“. Auf einmal waren wir alle beim Sin-gen des schönen Liedes: „Stille Nacht, heilige Nacht“. Was wir verhüten wollten, war nun doch geschehen, wir waren sentimental geworden. Wer hat mit diesem Lied angefangen, spricht so mancher unwillig. Lasst uns doch lieber andere Lieder singen. Aber es war zu spät. Schon sang alles,

überwältigt von der Heiligkeit dieses Abends, das Weihnachtslied: „O du fröhliche, o, du selige gna-denbringende Weihnachtszeit“!

Leider wurde unsere Weihnachtsfeier im Eisenbahnwagen plötzlich unterbrochen, denn kaum hat-ten wir den Schlussvers, „Freue dich o Christenheit“ gesungen, da hieß es: „Raus aus dem Wagen, hier kommt Munition rein“. So saßen wir plötzlich wieder im Freien. Das waren ja nette Aussichten.

Gottlob brachte die Maschine noch einige leere Wagen mit. Um 8 Uhr dampften wir endlich los. 1 ½ Stunden später hatten wir Bukarest erreicht. Von der Kommandantur bekamen wir zuerst Quartier in der Versprengten-Sammelstelle angewiesen. Da es uns hier nicht gefiel, beschwerten wir uns und bekamen so alle sieben Mann in einem kleinen „Hotel“ Quartier mit Verpflegung in einem nahegele-genen Gasthof. Ich war mit noch zwei Mann in einem Zimmer. Ganz schön. Wir gingen natürlich gleich zu Bett, da bereits Zapfenstreich war und alle Wirtschaften geschlossen waren. Das war „Heilig Abend 1916“.

Soldatengrab - irgendwo

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25. Dezember 1916, 1. Weihnachtsfeiertag Die Nacht habe ich ausgezeichnet geschlafen. Ist doch eine Wohltat, nach langer Zeit sich ausziehen und ins Federbett legen zu können. Um ½ 10 Uhr bekamen wir in der Restauration „Apollo“ Früh-stück: 1 Glas Tee, (Tuhei) und 1 ½ Schnitte trockenes Weißbrot. Darauf gingen wir in der Stadt spazie-ren. Auf allen Straßen und Plätzen herrscht ein Leben und Treiben ähnlich wie in Berlin. Bukarest liegt ja längst außerhalb des Feuerbereichs der feindlichen Geschütze. Täglich erscheint das „Buka-rester Tageblatt“ mit gleichfalls rumänischer Schrift. Um die Mittagszeit und in der Abenddämme-rung fluten wie in Friedenszeiten viele Leute, zahlreiche elegante Damen durch die Hauptstraßen. Statt der Zivilbehörden amtieren jetzt die deutschen Militärbehörden, die die Polizei und Eisenbahn-behörden in ihre Dienste treten haben lassen. In den eleganten Magazinen bekommt man nicht nur alle Bedarfs- sondern auch die kostbarsten Luxusartikel. In den Restaurants wird täglich frisches Bier verzapft. Das flanierende, lachende, leichtlebige und schöne Bukarest ist geblieben. Der Krieg hat – bis jetzt – nur wenig geändert. Bald wird Bukarest bzgl. der gerechten Lebensmittel-verteilung einschneidende Maßregeln auf sich nehmen müssen. Butter, Schmalz und Eier sind schon heute nur noch für teures Geld erhältlich. Zucker wird bereits amtlich verteilt. Seife ist noch genug da. Die Händler bieten solche billig auf der Straße an. Fleisch ist dagegen sehr knapp, fast gar nicht erhältlich. Petroleum gibt es überhaupt nicht mehr. Brot erhält vielleicht nur der zehnte Teil der Be-völkerung.

Generalfeldmarschall von Mackensen (2.v.r.) durchstreift mit Gefolge

die eroberte Hauptstadt Bukarest (Fotos aus Robert Johnschers Tagebuch

Rumänien, die Kornkammer Europas – und trotzdem kein Brot. Es gibt einige große Bäckereien die noch genügend Weizenmehl haben, z.B. Müller. Vor diesen Geschäften stehen die Leute ähnlich wie in Berlin früher wegen Butter. Uns Soldaten hielten die Leute an und baten, uns Brot zu holen. Manch arme Frau erzählte uns weinend, sie hätte nun schon den dritten Tag kein Brot mehr. Die feinsten „Herrschaften“ stehen um Brot. So sieht es in Bukarest aus. Dabei gibt es kleine Weißbröt-chen massenhaft. Und wie ist man in der rumänischen Presse über Deutschlands Brotknappheit etc. hergezogen? – Jetzt kommt die Vergeltung. Aber ein Unterschied: Bei uns ist es gewiss knapp, aber jeder erhält verhältnismäßig noch genug. Hier in dem Lande des Weizens und der Petroleumquellen gabs einst im Überfluss, und jetzt siehts sehr faul aus.

Nun, das kaiserliche Gouvernement wird ja bald Ordnung machen. Ich komme später auf die Ursa-chen der Brotknappheit etc. noch einmal zurück. Die Straßenbahn ist in Bukarest halb elektrischer,

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halb Pferdebetrieb. An bergigen Straßen sind in der Regel fünf Pferde vorgespannt, die schon von weitem in Galopp gesetzt werden und trotzdem den Berg nur schwer schaffen. Dazu sind die Wagen immer stark besetzt. An großen und wichtigen Bauten fehlt es in Bukarest nicht. Die Stadt macht einen äußerst kultivierten Eindruck. Jedenfalls kommt Sofia nicht mit.

Die Schutzleute tragen als Waffe einen Gummiknüppel und ähneln ganz den Engländern. Sie sind Deutschen gegenüber auffallend zuvorkommend. Deutschsprechende Personen trifft man allerorts an. Zu Mittag speisten wir im „Apollo“ ausgezeichnet. 1/3 Liter gutes Bier kostet 50 Cts. Der Spazier-gang war mir nicht gut bekommen. Ich hatte „Schüttelfrost“ bekommen und lag daher bis 6 Uhr im Bett. Ich habe tüchtig geschwitzt. Trotzdem war mir noch nicht viel besser geworden. Gegen ½ 7 Uhr stand ich auf, um im „Apollo“ Abendbrot einzunehmen, was mir gut schmeckte. Danach ging ich so-fort wieder ins Bett. Meine Kameraden bummelten noch in der Stadt umher. Von Weihnachten hatte ich heute erst recht nichts. So ging der 1. Feiertag zu Ende.

Rumänische Frauen flohen mit ihren Kindern aus den Kriegsgebieten

26. Dezember 1916, 2. Weihnachtsfeiertag.

Besonders gut hatte ich nicht geschlafen, dafür aber tüchtig geschwitzt und allerhand Unsinn zu-sammengeträumt. Mein Befinden war heute Morgen verdammt schlecht. Mir war derart schwindlig und schlecht zu Mute, dass ich kaum gehen konnte. So schmeckte mir das Frühstück auch nicht recht. Meine Gesichtsfarbe war blasser als sonst. Gottlob ließ der Schwindelanfall bald nach, und konnte ich im Quartier schon ganz tüchtig essen. Ich fühlte mich auch etwas besser. Nur der Schädel brummte noch arg. Ich ging mit meinen Kameraden spazieren. Um 11 Uhr holten wir uns auf der Etappenkommandantur für 2.25 Löhnung. – Es mag ganz interes-sant sein, hier die heutigen Geldkurse anzuführen: 1 Mk.= 1,33 Leu, = 1.51 Kr. , = 1.25 Leva, = 5 Pias-ter, 1 Krone = 100 Heller, = o,66 Mk. , = 0,88 Leu , 1 Leva = 100 Statinki, = 0,80 Mk. , = 0,80 Leu , 1 Leu = 1 fr., = 100 Bani, = 0.75 Mk. , = 1,14 Kr., = 0,95 Leva, = 2 ¾ Piaster, 1 Piaster = 0,20 Mk. , = 0,26 Leu. So standen die Kurse laut Bekanntmachung vom 25. XII. 1916. In der frischen Luft war mir besser geworden, und das vortreffliche Mittagessen schmeckte mir gut. Nach dem Mittagessen schlief ich wieder bis ½ 5 Uhr. Dann holte ich mit Kamerad Hucklenbroich für morgen Marschverpflegung, da wir morgen weiter wollen. Es gab nur trocken Brot. Man bedenke, in der Hauptstadt Rumäniens! Nach dem Abendbrot machte ich mit Hucklenbroich noch einen kleinen Bierbummel. In der Bierhalle „Lutter“ saßen wir schließlich „fest“. Das Bier in Bukarest schmeckt vortrefflich. Es wird ausgezeich-net gepflegt, und man erhält selbiges stets frisch vorgesetzt. Ich glaube kaum, dass man jetzt in

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Deutschland solch gutes Bier (hell) erhält. So ist auch der zweite Weihnachtsfeiertag vorüber gegan-gen. Sang- und klanglos ging Weihnachten an mir vorbei. Wenn ich wenigstens Post bekommen hätte. Aber leider ist das ja nicht möglich. Zum Schluss noch einige Bukarester Preise: ½ Liter Bier (hell) 50 Cts. = 40 Pf. , 1 Portion warmes Essen, (Fleisch u. Kartoffeln, aber wenig) 1,35 fr. = 1,10 M, 1 Suppe (gewöhnliche Wasserbrühe) 60 fr. = 50 Pf., 1 1Brot (rein Weizen, 25 cm Durchmesser) 50 Bani = 40 Pf. , 1 gezuckertes Weißbrötchen 10 Cts. = 8 Pf. , 1 Pfund Schweinewurst (angeräuchert) 3 Fr.= 2,40 M, 1 Pfeffergurke (klein) 30 Cts. = 24 Pf. usw. Vieles schauen, wenigen trauen.

Auch damals schon: Erdöl und Benzin wechseln den Besitzer

27. Dezember 1916

Um 8 Uhr fuhr unser Zug ab. Zunächst saßen wir noch im Viehwagen. Zwei Stunden später vertausch-ten wir diesen mit einem Abteil I. Klasse. Das war für uns so geschaffen. An der Bahnlinie standen sämtliche Getreideschuppen in Brand. Meist waren sie schon niedergebrannt, und nur der Weizen selbst brannte noch weiter. Hier hatten die russischen Brandkommandos tüchtig gearbeitet. Wahr-lich, mit einer Gründlichkeit, die ihresgleichen sucht. Sämtliche Bahnhofsgebäude und sonstige Häu-ser waren total ausgebrannt. Hierher sollte man die Brotsuchenden Bukarester führen und ihnen den verbrannten Weizen zeigen. Lasst sie hier die noch etwa zu rettenden Körner heraussuchen und dar-aus Brot backen. Das ist eine himmelschreiende Sünde, so sinnlos das tägliche Brot zu vernichten. Aber es wird sich auch rächen! Den Hauptschaden hat ja doch Rumänien. Gottlob konnten unsere deutschen Truppen immer noch genug Weizen beschlagnahmen.

28.Dezember 1916 Bei Ciulnita hielten wir die ganze Nacht. Am nächsten Morgen gegen 1 Uhr blieben wir an der ge-sprengten Eisenbahnbrücke des Flusses Jalomita endgültig stehen. In einem kleinen Nachen setzten

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wir über die Jalomita, und bald hatten wir die Stadt Slobotzia erreicht. Von der bulgarischen Kom-mandantur erhielten wir je 1 Brot und Quartier. Drei von uns kamen bei der deutsch-jüdischen Fami-lie Katz unter. Wir anderen drei (Fahrenkrug, Hucklenbroich und ich) wurden von einem rumänischen Weib angehalten: „Germanski Frika“ und dabei machte sie mit dem Kopf eine unverkennbare Bewe-gung. Erstaunt, so leicht Quartier gefunden zu haben, stiefelten wir gern hinter der Frau her. Tatsäch-lich war das Quartier ausgezeichnet. Zwei gute Schlafdiwane, Tisch, Stühle und Ofen, kurz, alles da was wir brauchten. Wir blieben also.

Straßenszene in Bukarest, wie Robert Johnscher sie erlebte

Nur das erhoffte Essen blieb aus. So gingen wir am Abend los, um irgendetwas zu requirieren. Herrn und Frau Katz klagten wir unser Leid. Auf seine Empfehlung erhielten wir von der ebenfalls deutsch sprechenden jüdischen Familie Lazar (Israel) ausgezeichnetes Quartier und Verpflegung. Allerdings nur für zwei Mann. Fahrenkrug sollte zu einer anderen deutschen Familie. Er ging aber dummerweise nicht hin, sondern behielt das alte Quartier. Unser Gepäck ließen wir bei den Rumänen. Gleich am selben Abend wurden wir bei unserem neuen Wirt gut bewirtet. Zum Fleisch gab es ausgezeichnetes Weißbrot und zum Trinken reines Flusswasser. Allerdings gabs danach Tee. Herr Israel Lazar, ein reicher Handelsjude, Beruf Glaser, handelt hauptsächlich mit Getreide und ver-dient viel Geld. Er ist geborener Rumäne und spricht gebrochen deutsch. Doch ist er durch und durch deutschfreundlich. Jedenfalls hat er uns mit dem Besten, was er hatte, bewirtet.

30.Dezember 1916 Die Bulgaren haben in Slobitzia arg gehaust. Alle Häuser haben sie durchsucht. Was ihnen an Geld und Mehl etc. in die Hände gefallen ist, haben sie mitgenommen. Den Einwohnern haben sie die Rin-ge und Uhren vom Körper abgenommen ja, sogar Wäsche, Decken usw. nahmen sie mit. In einem Hause hatten zwei Offiziere geschlafen. Am anderen Morgen waren sie samt den wertvollen Stepp-decken verschwunden. In einem anderen Haus hatten Bulgaren sämtliche Fensterscheiben zertrüm-mert. Na, usw. Als Deutscher begreift man solche Handlungen nicht. Unser Wirt sagte mir: „Es schadet eigentlich den Rumänen gar nichts, sie haben es damals in Bulgarien genau so gemacht. Das ist jetzt nur die Vergeltung“. Die Erbitterung der Bevölkerung ist natürlich groß. Um zu verhüten, Bulgaren ins Quar-tier zu bekommen, laufen sie den Deutschen stets nach mit ihrem: Germanski Frika! – Ja, ja Germa-nski ist dobre. Auch hier wieder Deutschland, Deutschland über alles.

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Übrigens häufen sich auch die Klagen über die Türken. Nach dem Frühstück verabschiedeten wir uns von unseren Wirtsleuten und stiefelten um 9 Uhr los. Schade, dass ich erst beim Abmarsch erfuhr, dass in Slobotzia deutsche Feldpost ist. Na, einen eiligen Kartengruß sandte ich doch nach Hause. Alles ging nach Wunsch. Ein Wagen nahm Fahrenkrug mit unserem Tornister bis Smirna mit. Ich und Hucklenbroich stiefelten wacker drauf los. Um ½ 2 Uhr erreichten wir glücklich Smirna. Bald hatten wir auch Quartier.

31.Dezember 1916, Silvester Heute Abend ist Silvester. Ich hoffe, dass ich 1917 glücklich bei meinen Eltern feiern kann.

1.Januar 1917, Neujahr Prosit Neujahr, Ihr Lieben daheim !

Die Verpflegung in unserem Quartier ist wirklich vortrefflich. Ganz wie bei Muttern. Immer – mittags und abends – Schweinefleisch. So fett isst heutzutage wohl keine Familie in Deutschland, so wie wir jetzt. Nur Brot kriegten wir nicht, da die Bulgaren das ganze Mehl mitgenommen haben. Dafür gabs „Mamaliga“ – gekochten Mais mit Wasser. Auch Kaffee oder Tee gabs nicht. Aber sonst ausgezeich-netes und reichliches Essen. Ebenso schliefen wir in den Betten gut. Mit der Hausfrau, eine Lehrers-frau, unterhalte ich mich französisch. Gegen Abend Gedanken an daheim und voriges Jahr.

(Wird fortgesetzt)

IMPRESSUM: CHEFREFDAKTEUR (V.I.S.D.P.): PETER MUGAY; [email protected]; ( 0173 7089448 ); www.preussische-monatsbriefe.de