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PETRUS ABAELARD Logica ,,IngredientibusK Glossen zu Aristoteles' ,,Kategoriena* [. . .l Über die Substanz Substanz. Nachdem die Aufzahlung der einfachen, nicht verbundenen Ausdrücke in Gestalt der Bezeichnungen der zehn Kategorien erfolgt ist, widmet er [Aristoteles] sich konkret den einzelnen Kategorien und beginnt mit der Kategorie der Substanz, da die Substanzen natürlicherweise früher als die übrigen Dinge sind. Denn auf Grund der Natur der Substanz konnten die Substanzen ohne die anderen Dinge vollig auf sich allein gestellt existieren; die anderen Dinge konnen keinesfalls ohne die Substanzen sein, in denen sie als in der zugrundeliegenden Materie existieren. Die Vorgehensweise bei dieser Kategorie ist nun so, da0 er gewissermaBen eine Einteilung unter den Bezeichnungen der Substanzen vorgenommen haben soll, indem er die ,,erstend' von den ,,zweiten Substanzen" unterscheidet; er behandelt abwechselnd die ersten und die zweiten Substanzen, indem er einmal nur die Eigenschaften der ersten und einmal nur die Eigenschafien der zweiten Substanzen untersucht. Sodann betrachtet er allgemein die Gemeinsamkeiten aller Substanzen sowohl hinsichtlich der Worter als auch hinsichtlich der Dinge, bis er dann zum eigentlichen Proprium kommen kann, an dem wir eine Substanz am besten erken- nen konnen sollen. Beachte aber auch, daB er bei dieser Kategorie vor allem EigenschaRen von Wortern aufdeckt, bei den übrigen jedoch zeigt er in erster Linie die Naturen von Dingen. Freilich behandelt er nicht ohne Grund hier die Worter, bei den anderen Kategorien aber Dinge. Denn vielleicht ist die Natur der Substanzen mehr bekannt als die der Akzidentien oder der übrigen Formen; und demzufolge muBte er weniger bei den Dingen, die Substanzen sind, verweilen. Unter Auslassung der Dinge geht er also vor allem den Wortern nach. Und die Behandlung der Worter hat er wohlüberlegt fur diese Kategorie aufbewahrt, da er ja hinsichtlich der Substan- zen einen ÜberfluB an Bezeichnungen hatte und gerade hier viele Genera und * Petri Abaelardi Logica ,IngredientibusG. Glossae super Praedicamenta Aristotelis. - Unser Auszug: in: Die Logica ,,Ingredientibus". 2. Die Glossen zu den Kategorien, in: Peter Abaelards Philosophische Schriften 1.2, hg. v. B. Geyer, Beitrage XXI,2 (1921), S. 139-141. 13. Abaelard: Glossae super Praedicarneilta 159 Spezies fand und sah, daB die Differenzen in den Spezies der Substanz enthalten Sind; denn wir verneinen, daB die Differenzen anderswo existieren. Somit konnte er bei dieser Kategorie eine umfangreichere Belehrung über die Worter geben. Da aber das Nomen ,,Substanz" in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird - namlich fur Dinge und fur Worter -, wollen wir nun seine verschiedenen Bedeutungen naher bestimmen. Hinsichtlich der Dinge besitzt es zwei übliche Bedeutungen; denn es wird teils zur Bezeichnung eines jeden Gegenstandes venvendet - nach jener AuBe- mng des Priscian: ,,eine Substanz zusarnmen mit einer Qualitat bezeichnend'" -, teils zur Bezeichnung nur jener Gegenstande, die fur sich existieren, olme einer zugrundeliegenden Materie anzuhangen, wie deren Formen. Und in dieser zweiten Bedeutung wird das Nomen ,,Substanz" als oberstes Genus verstanden und besitzt die folgende Beschreibung: ,,Substanz ist das, was fur sich existiert." Unter Aus- schluB der anderen Kategorien kann es folgendermaBen beschrieben werden: ,,Sub- stanz ist das, was weder Quantitat, noch Qualitat usw. ist." Das Nomen ,,Substanz" wird auch zur Kennzeichnung von genusartigen, spezifi- schen sowie singularen Nomina verwendet, die eben die Substanzen in Gestalt eines Gegenstandes [in essentia] bezeichnen. Einer dritten Bedeutung zufolge wird dann zu sagen sein, daB gewisse Substan- zen mehr, andere weniger Substanzen sind,2 und ebenfalls, daI3 jede Substanz offenbar die Bedeutung von ,,eh bestimmtes Dieses" b e ~ i t z t , ~ was im Falle der ersten Substanzen auBer Zweifel und wahr ist. Und in der letzten Bedeutung wird das Nomen ,,Substanz" auf Grund der essentiellen Bedeutung von ,,Substanz" gebraucht, das heiBt mit Bezug auf einen genusartigen oder spezifischen oder singularen Status. In dieser Bedeutung wird es auch in der Einteilung in ,,erste" und ,,zweite Substanz" gebraucht: das heiBt, daB es entweder ein partikulares oder ein universales essentielles Nomen von ,,Substanz" gibt. Die partikularen Nomina namlich haben den Vorrang beim Bezeichnen [von Substanz]. Je bestimmter sie namlich ein zugrundeliegendes Ding benennen, um so besser und gewisser bringen sie dessen Bedeutung zum Ausdruck, wie es auch iin weiteren Text gesagt werden wird, daB namlich die Spezies der Substanz mehr Substanzen Sind als ihre Genera, da sie eben die zugrundeliegenden Dinge passen- der und genauer ben en ne^^.^ Die partikultiren Nomina hingegen mit ihrer aus- schlieBlichen Bezeichnung [von etwas ganz Bestimmtem] geben restlose Auskunft über ein Ding und haben den primtiren Bezeichnungsmodus; die universalen Nomina besitzen den sekundaren. Daher erklart er dann auch, daB zu Recht nach den ersten Substanzen von den anderen einzig die Spezies und Genera als ,,zweite Substanzen" bezeichnet werden. Denn von dem, was pradiziert wird, zeigen nur sie allein die erste Substanz an;5 was so vie1 bedeutet, wie: da die partikularen Nomina als ,,erste Substanzen" bezeichnet werden auf Grund des primaren Bezeichnungs- modus, werden die universalen zu Recht auf Grund des sekundaren Bezeichnuiigs- modus als ,,zweite Substanzen" bezeichnet.

Spezies fand und sah, daB die Differenzen in den Spezies ...commonweb.unifr.ch/.../pub/gestens/f/as/files/4610/13568_105505.pdf · Glossen zu Aristoteles' ,,Kategoriena* [. . .l Über

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PETRUS ABAELARD

Logica ,,IngredientibusK Glossen zu Aristoteles' ,,Kategoriena*

[. . .l Über die Substanz

Substanz. Nachdem die Aufzahlung der einfachen, nicht verbundenen Ausdrücke in Gestalt der Bezeichnungen der zehn Kategorien erfolgt ist, widmet er [Aristoteles] sich konkret den einzelnen Kategorien und beginnt mit der Kategorie der Substanz, da die Substanzen natürlicherweise früher als die übrigen Dinge sind. Denn auf Grund der Natur der Substanz konnten die Substanzen ohne die anderen Dinge vollig auf sich allein gestellt existieren; die anderen Dinge konnen keinesfalls ohne die Substanzen sein, in denen sie als in der zugrundeliegenden Materie existieren. Die Vorgehensweise bei dieser Kategorie ist nun so, da0 er gewissermaBen eine Einteilung unter den Bezeichnungen der Substanzen vorgenommen haben soll, indem er die ,,erstend' von den ,,zweiten Substanzen" unterscheidet; er behandelt abwechselnd die ersten und die zweiten Substanzen, indem er einmal nur die Eigenschaften der ersten und einmal nur die Eigenschafien der zweiten Substanzen untersucht. Sodann betrachtet er allgemein die Gemeinsamkeiten aller Substanzen sowohl hinsichtlich der Worter als auch hinsichtlich der Dinge, bis er dann zum eigentlichen Proprium kommen kann, an dem wir eine Substanz am besten erken- nen konnen sollen. Beachte aber auch, daB er bei dieser Kategorie vor allem EigenschaRen von Wortern aufdeckt, bei den übrigen jedoch zeigt er in erster Linie die Naturen von Dingen. Freilich behandelt er nicht ohne Grund hier die Worter, bei den anderen Kategorien aber Dinge. Denn vielleicht ist die Natur der Substanzen mehr bekannt als die der Akzidentien oder der übrigen Formen; und demzufolge muBte er weniger bei den Dingen, die Substanzen sind, verweilen. Unter Auslassung der Dinge geht er also vor allem den Wortern nach. Und die Behandlung der Worter hat er wohlüberlegt fur diese Kategorie aufbewahrt, da er ja hinsichtlich der Substan- zen einen ÜberfluB an Bezeichnungen hatte und gerade hier viele Genera und

* Petri Abaelardi Logica ,IngredientibusG. Glossae super Praedicamenta Aristotelis. - Unser Auszug: in: Die Logica ,,Ingredientibus". 2. Die Glossen zu den Kategorien, in: Peter Abaelards Philosophische Schriften 1.2, hg. v. B. Geyer, Beitrage XXI,2 (1921), S. 139-141.

13. Abaelard: Glossae super Praedicarneilta 159

Spezies fand und sah, daB die Differenzen in den Spezies der Substanz enthalten Sind; denn wir verneinen, daB die Differenzen anderswo existieren. Somit konnte er bei dieser Kategorie eine umfangreichere Belehrung über die Worter geben. Da aber das Nomen ,,Substanz" in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird - namlich fur Dinge und fur Worter -, wollen wir nun seine verschiedenen Bedeutungen naher bestimmen. Hinsichtlich der Dinge besitzt es zwei übliche Bedeutungen; denn es wird teils zur Bezeichnung eines jeden Gegenstandes venvendet - nach jener AuBe- mng des Priscian: ,,eine Substanz zusarnmen mit einer Qualitat bezeichnend'" -, teils zur Bezeichnung nur jener Gegenstande, die fur sich existieren, olme einer zugrundeliegenden Materie anzuhangen, wie deren Formen. Und in dieser zweiten Bedeutung wird das Nomen ,,Substanz" als oberstes Genus verstanden und besitzt die folgende Beschreibung: ,,Substanz ist das, was fur sich existiert." Unter Aus- schluB der anderen Kategorien kann es folgendermaBen beschrieben werden: ,,Sub- stanz ist das, was weder Quantitat, noch Qualitat usw. ist."

Das Nomen ,,Substanz" wird auch zur Kennzeichnung von genusartigen, spezifi- schen sowie singularen Nomina verwendet, die eben die Substanzen in Gestalt eines Gegenstandes [in essentia] bezeichnen.

Einer dritten Bedeutung zufolge wird dann zu sagen sein, daB gewisse Substan- zen mehr, andere weniger Substanzen sind,2 und ebenfalls, daI3 jede Substanz offenbar die Bedeutung von ,,eh bestimmtes Dieses" b e ~ i t z t , ~ was im Falle der ersten Substanzen auBer Zweifel und wahr ist.

Und in der letzten Bedeutung wird das Nomen ,,Substanz" auf Grund der essentiellen Bedeutung von ,,Substanz" gebraucht, das heiBt mit Bezug auf einen genusartigen oder spezifischen oder singularen Status. In dieser Bedeutung wird es auch in der Einteilung in ,,erste" und ,,zweite Substanz" gebraucht: das heiBt, daB es entweder ein partikulares oder ein universales essentielles Nomen von ,,Substanz" gibt. Die partikularen Nomina namlich haben den Vorrang beim Bezeichnen [von Substanz]. Je bestimmter sie namlich ein zugrundeliegendes Ding benennen, um so besser und gewisser bringen sie dessen Bedeutung zum Ausdruck, wie es auch iin weiteren Text gesagt werden wird, daB namlich die Spezies der Substanz mehr Substanzen Sind als ihre Genera, da sie eben die zugrundeliegenden Dinge passen- der und genauer ben en ne^^.^ Die partikultiren Nomina hingegen mit ihrer aus- schlieBlichen Bezeichnung [von etwas ganz Bestimmtem] geben restlose Auskunft über ein Ding und haben den primtiren Bezeichnungsmodus; die universalen Nomina besitzen den sekundaren. Daher erklart er dann auch, daB zu Recht nach den ersten Substanzen von den anderen einzig die Spezies und Genera als ,,zweite Substanzen" bezeichnet werden. Denn von dem, was pradiziert wird, zeigen nur sie allein die erste Substanz an;5 was so vie1 bedeutet, wie: da die partikularen Nomina als ,,erste Substanzen" bezeichnet werden auf Grund des primaren Bezeichnungs- modus, werden die universalen zu Recht auf Grund des sekundaren Bezeichnuiigs- modus als ,,zweite Substanzen" bezeichnet.

160 Texte 13. Abaelard: Glossae super Praedicameiita 161

Gewisse Leute beziehen nun aber die Einteilung in erste und zweite Substanzen in erster Linie auf die Dinge, namlich diejenigen, die prinzipiell der Auffassung sind, daB universale Dinge wirklich existieren. Sie gebrauchen das Nomen ,,Sub- stanz" zur Bezeichnung von Dingen, wenn sie sagen, daB von den Dingen, die Substanzen sind, die einen universale, die anderen singulare sind, was soviel bedeutet, wie: Mensch, das heiBt das Ding, welches Mensch ist, ist einerseits ein universales und andererseits ein partikulares Ding. Wir aber sind in der Tat nicht dafiur, daB universale Dinge existieren, welche etwa über mehreres pradiziert wer- den konnten, wie wir es auch in der Auslegung des Porphyrios nachgewiesen haben. Wenn gesagt wird, ,,der eine Mensch ist ein universaler, der andere ein singularer", inwiefern ist das richtig, wenn genau derselbe, der der universale ist, auch der singulare ist? Vielleicht aber sagt man, daM ,,der eine" und ,,der andere" nicht als Verschiedenheit der Substanz begriffen, sondern nach den Verstehensaspekten [modi acceptionis] unterschieden werden, so daB es eher eine Einteilung des Wortes in verschiedene Aspekte ware. Un1 ein Beispiel dafur anzufuhren: Das Ding, welches Mensch ist, ist unter dem einen Aspekt ein universales, unter dem anderen ein singulares. Ebenso wird die Substanz unter dem einen Aspekt als universal, unter einem anderen als partikular bezeichnet; und es ist eine Einteilung eines Wortes in Aspekte. Wie auch die Einteilung beschaffen sein mag - ich verstehe sie nicht; denn nach ihrer Meinung umfaBt ja die universale Substanz vollig ebendas Eingeteilte, und zwar in genau der Weise, in der es eingeteilt wird. Denn in genau der Weise, in der das ErfaBte eingeteilt wird, ist auch die universale Substanz gegeben, sobald sie über mehreres pradiziert wird.

Im 2. Buch zu ,,Peri hermeneias" bezeichnet Boethius die erste und zweite Substanz als Spezies der Substanz, das heiBt als untergeordnete Objekte.6 Warum aber sol1 eine erste Substanz tiefer stehen, als das, worüber sie allgemein ausgesagt wird? Jede Substanz namlich, das heiBt ein jedes substantielle Individuum, ist eine erste Substanz. Und inwiefern darf eine zweite Substanz in einer Einteilung dessen fur niedriger gehalten werden, was sie in genau dem gleiclien Sinn umfaBt, wie es eingeteilt wird?

Wenn wir diese Einteilung hingegen auf die Worte beziehen, so gibt es keinerlei Widersinnigkeit, da ja ein jedes Wort, was in einem Aussagesatz die Bedeutung einer Substanz besitzt, entweder universal oder partikular ist. Diese Einteilung ist nun aber im Sinne von Wortern gedacht worden, die fur ein Akzidens stehen und auf Akzidentien bezogen worden sind. Denn auch ,,Substanz" ist als Nomen von Wortern gemeint worden, wie sich ,,Universale" und ,,Partikulares" auf akzidentielle Formen beziehen. Wenn hingegen auf Gmnd der Einteilungskriterien das Nomen ,,Substanz" in folgender Weise wiederholt wird: ,,die eine Substanz ist die universale Substanz, die andere ist die partikulare", so ist das eine regelwidrige Einteilung, die etwa zu vergleichen ist mit der folgenden Aussage: ,,der eine Mann ist ein wachen der Mann, der andere Mann ist ein schlafender". Und beachte, daB er entsprechend

der Eigenschaft eines Wortes zutreffend die partikularen als die ,,ersten Substanzen" bezeichnet - namlich unter Rücksicht auf den würdigeren Bedeutungsmodus, wie nachgewiesen wurde -, die universalen aber bezeichnet er als die ,,zweitenC'. Hatte er aber die Betrachtung auf die Naturen der Dinge gerichtet, so müBte er die universa- len Worter als ,,ersteu bezeichnen, da sie eine Sache in einem Status bezeichnen, der natürlichenveise der frühere ist; die partikularen müBte er dann als ,,zweiteC' be- zeichnen.

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14. Abaelard: Glossulae super Porphyrium 163

PETRUS ABAELARD

Logica ,,Nostrorum petitioni sociorum" Glossen zu Porphyrios*

1. . .l Über die Genera

Wir sind gezwungen, die Fragen hinsichtlich der Genera und Spezies aufzulosen; auch Porphyrios wagte es nicht, sie zu losen, obwohl er sie kurz berührt und den Leser dadurch zu ihrer Untersuchung anreizt. Da es unter Voraussetzung des zuvor Gesagten erwiesen ist, daB die Universalien existieren, muB mit ihnen angefangen werden, indem man definiert, was denn eigentlich als Universale und was als Singulares, d. h. Partikulares oder Individuum, bezeichnet werden muB. Man sagt, daB Aristoteles das Universale in den ,,Kategoriencc so beschreibt: ,,das, was über ein Zugrundeliegendes ausgesagt wird'';' und anders in ,,Peri hermeneias" so: ,,das, was über mehreres pradiziert zu werden pflegtK2. Entsprechend dazu auch das Indivi- duum - in den ,,Kategoriencc so: ,,das, was nicht über ein Zugrundeliegendes ausgesagt ~ i r d " , ~ in ,,Peri hermeneias" hingegen so: ,,das, was nicht geeignet ist, gewohnlich über mehreres pradiziert zu werden, sondern nur über ein Einzelnes"4.

Obwohl verschiedene Leute diese unterschiedlichen Definitionen auf Verschie- denes beziehen - die einen auf die Dinge, die anderen aber auf die Gedanken, wieder andere auf die sprachlichen Ausdrücke -, betrachtet sich trotzdem ein jeder als richterliche Autoritat.

Man findet einmai an einer Vielzahl von Orten eine Bestimmung über das ,,Was" der universalen Dinge vor, wie zum Beispiel dort, wo Aristoteles sagt: ,,Da von den Dingen dieses [alles] allgemein ist USW."~ Und andererseits Boethius im ,,Liber de divisione": ,,Von den Dingen sind die einen die hoheren usw."6 Und nicht nur dort, sondern auch dann, wenn wir sagen, daB eine Spezies aus dern Genus und der Differenz besteht, wie ja ein Mensch als Ding nach unserer Auffassung aus der Belebtheit und der Vernunftbegabung besteht, und ebenso eine Statue aus Erz und

* Petri Abaelardi Logica ,Nostrorum petitioni sociorum'. Glossulae super Porphyrium. - Unser Auszug: in: Die Logica ,,Nostrorum petitioni socionim". Die Glossen zu Porphyrios, in: Peter Abaelards Philosophische Schriften II, hg. v. B. Geyer, Beitrüge XXI,4 (1933), 2. durchges. u. verand. Aufl., Münster 1973, S. 512-533.

1 einer Gestalt. Und in ,,De syllogismo hypothetico" 1ieiBt es: ,,Der Grund der Spezies 1 ist das Genus."' Und damit scheint er das Ding ,,LebewesenC' offensichtlich als

vorgegebene Materie im Menschen selbst zu benennen. Damit stimmt auch über- ein, was Boethius im ,,Liber de divisione" sagt, daB namlich ein Genus in bestimmte Heworbringungen [procreationes] unterteilt wird und daB vielen Spezies die Na- men feh1en;g und Aristoteles' ~ u ~ e r u n g : ,,Von denjenigen, die über ein Zugrunde-

1

l liegendes ausgesagt werden, werden notwendig USW."~; und dann wiederum: ,, ,Je-

I der' bedeutet nicht ein Universaie";lo dann wieder: ,,Alle übrigen hingegen werden

I entweder über zugrundeliegende Substanzen ausgesagt oder sind in eben diesen";ll und weiter: ,,wenn es keine ersten Substanzen gibt, dann ist es unmoglich, da13 etwas l

I von dem anderen existiert";12 und auch jene Formulierung des Boethius: ,,alles, was seinen Grund in den zweiten Substanzen hat, ist auch in den ersten";13 und ebenso das, was Boethius sagt: daB die Einteilung eines Genus naturgemaB ist, die Eintei- lung bei einer Homonymie der menschlichen Imposition entspringt;l4 und dann wieder: ,jedes Genus stellt etwas von dern dar, was die Spezies sind" und eine jede Spezies sei ihr eigenes Genus;15 ein Teil sei aber nicht dasselbe wie das Ganze.16

Nicht nur diese, sondern auch viele andere Zeugnisse scheinen sich aufzudran- gen, die beweisen, daB es universale Dinge gibt.

Andere wieder scheinen darzulegen, daB die Gedanken universal sind. Mit ihnen

I stimmt die Feststellung von Priscian in den ,,Constructiones" ~iberein: ,,Für die genusartigen und spezifischen Formen der Dinge, welche im gottlichen Geist sind,

l bevor sie in die Korper gelangen usw.";l7 und ebenso auch des Boethius AuBerung im Kommentar zu Porphyrios, wo er sagt, dao der Gedanke selbst das Genus oder

1 die Spezies ist.lg Und ebenso wird Platon die Auffassung zugeschrieben, daB er solche Begriffe, wie die Genera und Spezies, dern Nous, d. h. dern gottlichen Geist,

1 zuweist - vielleicht deswegen, weil Gott im Geist die ursprünglichen Formen besaB,

I

I zu deren Ebenbild er dann, wie gesagt worden ist, die Dinge selbst geschaffen habe, die durch die genusartigen und spezifischen Nomina benannt werden. Diese Dinge

l bestehen freilich in Gott als natürliche und nicht als künstlerische Produkte. Jene Begriffe werden zu Recht Gott zugewiesen, dessen Produkt sie sind und den wir an dieser Stelie als ,,Naturc' bezeichnen, d. h. als Ursprung und Herkunft von allem.

Sie bekraftigen ihre Auffassungen durch folgende anerkannte Lehrmeinungen - wir finden namlich vieles, wo eindeutig die sprachlichen Ausdrücke als universal

1 bezeichnet werden: so heiBt es bei Aristoteles: ,,Genus und Spezies bestimmen eine Qualitat in bezug auf die Substanz";19 ,,. . . passender wirst du eine Spezies als ein

1 Genus angeben.'"O Das betrifft aber auch unsere AuBerung, daB eine Definition aus dern Genus und der substantiellen Differenz besteht, oder die des Boethius, das

1 Lebewesen sei letztes Genus,21 oder wenn er im ,,Liber de divisione" feststellt: Ein

I Genus ist gewissermaBen ein Ebenbild vieler Spezies, welches die substantielle Überein~t immun~ von ihnen allen a n ~ e i g t . " ~ ~ Wo er ferner im Kommentar zu Porphyrios sagt, dao die Philosophen vor allem die dritte Bedeutung von ,,Genusg'

164 Texte 14. Abaelard: Glossulae super Porphyriuril 165

fur die Betrachtung vorausgesetzt haben - da es sich eben um das handelt, was &as ,,WasL' eines jeden Dinges anzeigt -,23 verkündet er ganz offen, daB es universale sprachliche Ausdrücke gibt, da es ihr Proprium ist, anzuzeigen bzw. etwas zu bedeuten. Dasselbe meint er auch, wenn er im ,,Liber de divisione" auBert, daB das Genus in der Einteilung als Ganzes fur die Spezies da ist, in der Definition aber als ihr Tei1,24 da sowohl die Definition als auch die Einteilung sprachliche Ausdrücke sind. Und wenn Porphyrios, Aristoteles folgend, nachweist, daB das ,,SeiendeC' nicht das Genus von allem ist, da man sagt, daB das Nomen ,,Seiendesm homonym pradiziert wird in bezug auf a l l e~ ,~5 so brachte er wohl eine schwache Begründung an, wollte er von den Nomina auf die Dinge schlieBen. Denn auf Grund der Pradikation eines Nomen muB nicht auch das vollig verandert werden, was in der Natur der Dinge liegt; es bliebe nicht weniger von Bestand, auch wenn keinerlei Imposition von Nomina erfolgt wire. Und wenn er dann auch sagt, daB Genus und Spezies hinsichtlich des ,,WasC' pradiziert werden und eben sie auf die Frage ,,Was ist es?" als Envidemng geauBert werden,26 dann faBt er das, was zur Antwort gegeben wird, deutlich als sprachliche Ausdrücke auf.

Da aber Aristoteles fur die Universalien ,,Ausgesagtwerden über ein Zugrundelie- gendes" setzt, beweist er, daB im eigentlichen Sinne alles das als ,,Universalien" bezeichnet wird, worauf das Ausgesagtwerden zutrifft, das heiBt GeauBertwerden und Pradiziertwerden ist eigentümlich fur sprachliche Ausdrücke; und da niemand bezweifelt, dal3 ein Pradikat ein Terminus einer Aussage ist, wird wegen dessen Vorzugsstellung im eigentlichen Sinne das Pradikat ausgesagt, und Boethius unter- teilt es nach Nomen und Verb~rn.~ ' Wenn er im ersten Buch der ,,Topik" sagt, daB die Frage, ob die Bejahung und die Verneinung Spezies des Satzes sind,28 die Logik angehe, lehrt er unzweifelhaft, daB die Spezies eher sprachliche Ausdrücke als Dinge sind. Denn existierten die Spezies eher als Natur der Dinge denn als Eigen- schaft von sprachlichen Ausdrücken, dann ginge die Diskussion um jene Frage nicht so sehr die Logik wie die Physik an.

Nachdem wir nun drei Auffassungen über die Universalien zusammen mit den Belegstellen fur sie angegeben haben, wollen wir zuerst der ersten, die von den Dingen ausging, nachgehen. Von ihr gibt es mehrere Varianten, insofern man in unterschiedlicher Weise auBert, daB es universale Dinge gibt.

Einige niimlich sind der Auffassung, daB es von Natur aus zehn verschiedenartige Dinge im Hinblick auf die Unterscheidung von zehn Kategorien oder obersten Genera gabe; denn sie sagen, in dem Sinne gabe es universale Dinge - das heiBt Dinge, die von Natur aus mit mehrerem in Gemeinschaft sein konnen -, da0 sie annehmen, ein und dasselbe Dinge sei vom Wesen her so in mehreren, daB es wesensmaBig und identisch in diesem als auch in jenem Ding ist, jedoch unter dem EinfluB von verschiedenartigen Formen. Zum Beispiel so, wie das Lebewesen, das heiBt eine von Natur aus beseelte und sinnesempfindliche Substanz, derartig in Sokrates, [dem Esel] Burnellus und in anderen ist, daB eben diese, welche in

Sokrates ist und bei hinzukornnienden Formen im Resultat Sokrates ergriff, auch wesensmaBig als ganze derartig in Burnellus ist, daB Sokrates hinsichtlich des Wesens in keiner Weise von Burnellus verschieden ist, aber in den Formeti: daja ein materiel1 vollig unterschiedsloses Wesen in diesem Ding durch die einen und in jenem durch die anderen Forinen beherrscht wird. Hiermit scheint auch Porphyrios' AuBerung übereinzustimmen: ,,durch Teilhabe an der Spezies sind die vielen Menschen nur einer, der eine und gemeinsame Mensch aber ist durch die partikula- ren Menschen ~ i e l e " . ~ ~ Und dieser Auffassung gemaB hieBe das ,,Pradiziertwerden über mehreres": das wesensmaBige Innewohnen von ein und demselben in gewis- sen Dingen, die durch gegensatzliche Formen unterschieden sirid, so daB dieses den einzelnen Dingen wesentlich oder bedingt zukommt.

Folgendes wenden wir dazu ein: wenn dieser Meinung zugestimmt werdeil kaim, so unterschieden sich natürlich - sofern es gelange, die Formen vori der zugrunde- liegenden Materie abzusondern, so daB das Zugrundeliegende vollig von ihnen frei wire - Sokrates und Burnellus in nichts voneinander, sondern dieser und jener waren im Resultat vollig identisch. Sie geraten dadurch freilich in die schlimmste Ketzerei, wenn dies angenommen wird, da ja die gottliche Substanz, die samtlicheii Formen fernsteht, geradezu mit einer [gewohnlichen] Substariz identisch sein müBte. Es gibt aber einige, die jene einzigartige Natur der Gottlichkeit - von der nach dem Zeugnis des Macrobius Platon es nicht gewagt hat, zu sagen, was sie ist, indem er nur wuBte, daB von niemand erkannt werden kanii, wie sie beschaffen ist30 - weder zu den Substanzen, noch zu den Quantitateil, noch zu den Dingeil der anderen Kategorien zahlen. Sobald sie ,,gottliche Substanz" horen, ist es vielmehr so, als wenn man sagt: ,,gottliches Wesen".

Damit scheinen viele gültige Lehrmeinungen von Philosophen übereiilzustim- men, vor allem von denen, die die Dialektik behandeln, wie Aristoteles dort, wo er im eigentlichen Sinne auf das Proprium der Substanz venveist und sie, obgleich sie zahlenmaBig ein und dasselbe ist. als aufnahmefahig fur Entgegengesetztes be- zeichnet,jl und auch Porphyrios, wenn er auBert, da8 eine jede Substanz an einer einzigen Spezies teilhat, jedoch an mehreren A k ~ i d e n t i e n . ~ ~ Boethius wiederum sagt in der ,,Topik", wo er das Exempel einer Beschreibung gibt: ,,Substanz ist das, was allen Akzidentien zugrunde gelegt werdeil kann; die WeiBheit jedoch U S W . " ~ ~ Da es also der Überlieferung der Philosophen zufolge klar ist, daB die gottliche Natur keinen Akzidentien zugrunde gelegt ist, ist es notwendig, daB sie überhaupt von den Substanzen zu trennen ist.

Wenn wir aber besser der gottliclien Entscheidung als Beweismittel entsprechen wollen - was Gott hinsichtlich der Welt darstellt, wurde zuerst offenbar, als er, zur Samariterin gewandt, spricht: ,,Gott ist Ge i~ t " '~ - , dann wird es notwendig sein, daB wir Gott zu den Substanzen zahlen, insofern ein jeder Geist [spiritus] eine Substaiiz ist. Hat jemand intensiv über die Definitioil der Substanz iiachgedacht, so wird er sehen, daB nichts treffender als ,,Substanz" bezeiclinet werden kann als Gott, da er

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tatsachlich ein fur sich existierendes Ding ist und nichts anderes [zu seiner Existenz] benotigt. Alles andere aber existiert durch ihn und kann ohne ihn nicht sein.

Dies scheint Aristoteles zu meinen, wenn er sagt: ,,Das, was zu dem ohne jede Verknüpfung Ausgesagten gehort, bezeichnet jeweils entweder eine Substanz, oder eine Qualitat, oder eine Quantitat USW. ' '~~ Er beweist eindeutig, daB das Nomen ,,GottC' die Kennzeichnung einer Substanz ist, da es ja kein anderes Ding bezeichnet.

Wie nun aber die oben angefuhrten gültigen Lehrmeinungen der Philosophen zu begreifen sind, muB aufmerksam untersucht werden. Wenn Aristoteles sagt, daB es das Proprium [der Substanz] sei, daB sie, obgleich U S W . ~ ~ - so wird ,,Substanz" im strengen Sinne verstanden, namlich als ein existierendes Ding, das wesentlich wandelbar ist. Das anerkennt auch Boethius, wenn er sagt: ,,Substanz ist das, was allen Akzidentien zugrunde gelegt werden kann U S W . " ~ ~ Denn ,,Substanz" wird auf zweifache Weise aufgefaBt: einmal als ein fur sich existierendes Ding, das nicht wandelbar ist - und in dieser Bedeutung behandeln die Philosophen die Substanz nicht; zum anderen jedoch als ein fur sich existierendes und wandelbares Ding. Oder Aristoteles versteht das Proprium in einem weiteren Sinne als Porphyrios. Denn als das eigentliche Proprium der Substanz bezeichnet er das, was nur auf sie, aber nicht auf sie als ganze zutrifft. Das hingegen, was Boethius in der ,,Topik" ausspricht, muB man eher als angenommene Meinung, denn als eigene Auffassung betrachten, insofern er dort verschiedene sophistische Ausdrücke zur Übung des Lesers einfuhrt. Der Gedanke von Porphyrios aber muB eher in einem verneinen- den Sinne als in einem bejahenden ausgefuhrt werden, namlich so: eine jede Substanz hat Anteil an einer einzelnen Spezies, jedoch an mehreren Akzidentien, das heiBt, daB keine Substanz an mehreren untersten Spezies Anteil hat, wohl aber an mehreren Akzidentien. Und dies trifft nicht nur wegen Gott, sondern vielleicht auch auf Grund von anderen Substanzen, wie zum Beispiel beim Phonix, zu.

Der zuvor genannten Auffassung gemaB ist es also notwendig, daB die gottliche Substanz mit jeder beliebigen Substanz identisch ist; und es steht fest, daB sie wahrhaftig, einfach und frei von jeglicher Eigenheit ist. Wenn es nun in allem eine wesensmaBig identische Substanz gibt, so daB diejenige, die durch die Vernunftbe- gabung gepragt ist, von der Vernunftlosigkeit beherrscht wird - wie kann dann verneint werden, daB eine vernunftbegabte Substanz dasselbe wie eine nicht- vernunftbegabte Substanz ist? Diesen Einwanden kann man sich durchaus nicht entziehen, wenn bewiesen wird, daB ein und dieselbe Substanz durch ausnahmslos alle Formen gepragt wird. Denn wenn jemand ein und dieselbe Substanz so betrach- tet, daB sie sowohl von der WeiBheit als auch der Schwarze, als auch vom Sitzen beherrscht wird, wer wird dann verneinen, daB es eine ,,sitzende weiBe Substanz" gibt?

Wenn jemand jedoch meint - ausgehend davon, daB das Vernunftbegabte das Vernunftlose sei -, daB die weiBe Substanz eine sitzende ist, und daB, wahrend die erstgenannten Formen fureinander kontrare sind, die letzteren es aber nicht sind, so

unterliegt er einem Irrtum, da die ersten weder hinsichtlich des Wesens mehr entgegengesetzt sind als die letzten - denn die Qualitat soll überall wesentlich gleich sein -, noch hinsichtlich der Angrenzung [adiacentia], denn sie grenzen an ein und derselben Substanz an. Wenn aber jemand sagt, daB diese Formen ihren Gegensatz von den entgegengesetzten Formen haben, durch die sie gepragt werden, so unter- liegt er einem Irrtum, weil er mit dieser Begründung nicht zeigen kann, woher jene den Gegensatz erlangen.

Ferner: wenn wesensmaBig dieselbe Substanz in den einzelnen Dingen ist, wie kann man dann diese Substanz wahrheitsgetreu als ,,einfach", jenes Singulare aber als ,,zusammengesetzt" bezeichnen, wo es doch hinsichtlich der Substanz eine Verschiedenheit oder ein Überragen [bei diesem Singularen] nicht gibt. Wenn auBerdem schlechthin die Substanz wahrnimmt, und die Substanz dieser und jener Seele vollig identisch ist, nimmt etwa dann, wenn diese Seele wahrnimmt, auch jene wahr? Oder wird dann, wenn diese Seele gestraft wird oder traurig ist, auch jene gestraft und ist auch jene traurig? Für jetzt soll dies gegen die zuvor genannte Auffassung Gesagte genügen.

Es gibt andere, die die Allgemeinheit den Dingen zuweisen und der Auffassung sind, daB ein und dasselbe Ding universal und partikular ist. Denn sie behaupten, daB indifferent - und nicht essentiel1 - ein und dasselbe Ding in verschiedenen untergeordneten ist. Wenn sie zum Beispiel sagen, daB dasselbe in Sokrates und Platon ist, dann verstehen sie unter ,,dasselbeL' das Indifferente, das heiBt sich Gleichende. Und wenn sie sagen, daB dasselbe über mehreres pradiziert wird oder gewissen Dingen innewohnt, dann ist es genauso, als wenn man direkt sagen würde: daB gewisse Dinge in einer Natur übereinstimmen, das heiBt ahnliche sind, wie zum Beispiel darin, daB sie Korper oder Lebewesen sind. Sie raumen, wie gesagt, entsprechend dieser Auffassung ein, daB ein und dasselbe Ding universal und partikular ist, jedoch in verschiedener Hinsicht: daB es universal ist dadurch, daB es eine Gemeinschaft mit mehreren hat, und daB es partikular ist in bezug darauf, daB es von den übrigen Dingen verschieden ist. Sie sagen namlich, daB die einzelnen Substanzen durch die gegenseitige Trennung ihres je eigenen Wesens voneinander so verschieden sind, daB in keiner Weise diese Substanz mit jener identisch ist, auch wenn ihre Materie vollig frei von Formen ware; daB also ihnen zufolge das Pradi- ziertwerden über mehreres so beschaffen ist, als wenn man sagte: es gibt einen bestimmten Status, an welchem viele [Dinge] teilhaben und hinsichtlich dieser Teilhabe übereinstimmen; das Pradiziertwerden über ein Einzelnes hingegen sei so beschaffen, als wenn man sagte: es gibt einen bestimmten Status und hinsichtlich der Teilhabe an diesem stimmen die vielen [Dinge] gerade nicht überein.

Dieser Auffassung treten wir nun entgegen und wollen den Sinn jener Ausfuhnin- gen aufmerksam untersuchen. Ich meine, daB an erster Stelle untersucht werden muB, in welcher Hinsicht Porphyrios vom ,,Pradiziertwerden über mehreres" spricht, wobei er gerade die Individuen ausnimmt, obwohl jene meinen. daB die Iiidividuen

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dingliche Identitat [zwischen dem Ausdruck und dem Genus bzw. der Spezies] ausgedrückt wird, die sich überall nachweisen IaBt. Denn folgende Aussagen aner- kennen wir: ,,dieser Status Lebewesen ist", ,,dieses materielle Ding Sokrates ist Sokrates", ,jedes von ihnen ist etwas". Die umgekehrten Aussagen verneinen wir vollig, das heiBt: ,,Mensch ist dieser Status Lebewesen", ,,Sokrates ist dieses mate- rielle Ding Sokrates", ,,etwas ist jedes von diesen da".

Nachdem dies so einer Entscheidung zugefuhrt wurde, muB kiar sein, daB die Genera und Spezies - auch wenn niemand etwas sagt - nichtsdestoweniger da sind. Denn sage ich: ,,das Genus oder die Spezies ist" - so übertrage ich nichts auf sie, sondern ich weise eine vorliegende Einsetzung auf, wie es oben schon gesagt wurde.

Nachdem diese Bemerkungen vorausgeschickt wurden, wollen wir uns nun den zu losenden Fragen hinsichtlich der Genera und Spezies zuwenden, die selbst Porphyrios nicht zu Iosen unternahm. Dreierlei gibt es bei ihnen zu erforschen: es wird namlich gefragt, warum die Problemstellungen die Universalien und nicht das viele Singulare betreffen sollen; weiter ist zu untersuchen, was diese Problemstel- lungen bedeuten und schlieBlich wird der formale Aufiau [der Problemdiskussion] durch Boethius betrachtet.

Nicht zu Unrecht wurden diese Fragen in Hinsicht auf die Universalien und nicht in Hinsicht auf das viele Singulare gestellt, obgleich das viele Singulare die Dinge als getrennte und von allen anderen verschiedene kennzeichnet und wir sie gewisser- maBen durch eine ganz besondere Wahrnehmung direkt vors Auge fuhren. Die Universalien hingegen geben nicht eine genaue Unterscheidung einer Person. Darum scheinen sie zu keinem vernünftigen Gedanken zu fuhren, dajeder vernünf- tige Gedanke von einer Person auszugehen scheint, insofern wir das, was wir durch die Sinne erfassen, durch den Gedanken überdenken. Wie die Sinne, die Führer des Gedankens sind, die Dinge als getrennte unter EinschluB aufierlicher Formen erfassen, so begreifen freilich die Gedanken, die Nacheiferer der Sinne, dieselben Dinge auf eine andere Weise. Die gedankiichen Fassungen der Universalien aber betrachten die Dinge keinesfalls als getrennte, obgleich jedes Ding entweder dieses oder jenes Bestimmte ist, sondern sie bezeichnen weder dieses noch jenes Be- stimmte. Darum scheinen sie überhaupt nicht zu einem vernünftigen Gedanken zu fuhren, da nach den gedankiichen Fassungen der Universalien kein Ding kiar bestimmt werden kann. Darauf nimmt Boethius Bezug, wenn er auBert: ,,Was kann denn ein Zuhorer als Erkenntnis gewinnen, wenn das Wort ,Mensch' nicht sprach- lich ausgefuhrt worden ist, das heiBt in keinerlei nahere Bestimmung eingeschlos- sen ~ i r d ' ? " ~ ~

DaB es nun wegen der Gedanken in bezug auf die Universalien eine UngewiWheit gibt, bekundet Boethius offen, indem er jenen Teil der Beweisfuhrung, wo die Gedanken von den Universalien anscheinend als hohl und leer erwiesen werden, aufgelost, jedoch den anderen Teil hinsichtlich der Dinge ungelost übergeht. Auf einen solchen Zweifel hinsichtlich der Universalien zielt auch Aristoteles ab, wenn

14. Abaelard: Glossulae super Purpbyriuin 175

er bei der Behandlung der Substanz feststellt: ,,Denn was den zweiten Substanzen zugrunde liegt, ist nicht eins . . ."45

Man muB wissen, daB solche Fragestellungen von Leuten kommen, die hinsicht- lich der Bezeichnung von Dingen im Zweifel sind; und sie kommen durch Formu- liemngen von Philosophen zu diesem Zweifel, wie z. B. folgende: ,,Lebewesen ist ein Genus", ,,Lebewesen ist in mehreren Dingen", ,,Mensch ist ein Universale", ,,Mensch ist eine Spezies". Sie verstehen dabei die Nomina ,,LebewesenC' und ,,Mensch" in der eigentlichen und üblichen Bedeutung und lassen auBer acht, daB die Philosophen diese Nomina transformiert haben in solche, die auf sich selbst venveisen [und nichts anderes bedeuten sollen], und zwar folgenderniaBen: ,,Lebe- wesen ist ein Genus", das bedeutet, dieser Ausdruck ,,Lebewesena oder dieses Nomen ,,LebewesenC' ist ein Genus.

Wer hingegen der Untenveisung halber spricht und die von den Gelehrten benutzten Transformiemngen erkennt, der versichert, daB nicht nur das, was der Fragesteller ausfuhrlich erortern will, sondern auch die Glieder der Einteilung, welche nach Meinung des Fragestellers auf Gegensatzen beruhen sollten, in gewis- ser Hinsicht keine Gegensatze siiîd. Jedoch faBt er bei der Prüfung der Fragen die Worte anders als jener auf, als dieser die Probleme untersuchte: denn der Fragestel- ler versteht die Frage, ob Genus und Spezies wirkiich existieren, so, ob sie denn Dinge sind, die aus Subsistiereildem entspringen; und die Frage, ob sie im Gegen- teil etwa nur angenommen sind usw., versteht er so, ob sie nur in der bloBen Einbildung existieren, wie eine Chimare. Der Aufloser der gestellten Fragen hinge- gen geht von folgender Auffassung der Fragen aus: ob die Genera und Spezies wirkiich existieren heiBt fur ihn, ob sie wirkiich existierende Dinge benennen, das heiBt diejenigen Dinge, auf die sich die Nomina wie auch die Partizipien beziehen. Denn ein und dasselbe Ding ist in einem universalen und einem [dazugehorigen] partikularen Nomen inbegriffen, und an dieser Stelle wird das Verb ,,existiert wirkiich" [subsistit] vermittels Verbindung mit den Nomina ,,GenusC' und ,,SpeziesN, die Ausdrücken verliehen wurden, von den Dingen auf einen Ausdruck übertragen. Wie zum Beispiel ,,Substanz" - ein Nomen, das eigentlich den Dingen zukommt - dennoch zur Kennzeichnung von Nomina manchmal im weiten Sinn aufgefaBt wird, wie es auch Artistoteles bei der Behandlung der Substanz ausdrückt: ,,Jede Substanz scheint aber ein Dieses zu be~eichnen.''4~ Diese Übertragung erfolgt nun aber so, daB der Lehrer einraumt, der Satz ,,Genera und Spezies existieren wirklich" sei falsch, da sein Sinn in folgendem besteht: ,,Gewisse subsistierende Dinge sind Genera und Spezies." In dieser Bedeutung negiert Boethius die Formulierung, wenn er nachweist, daB Genera und Spezies nicht existieren, noch vernünftig verstanden werden47 Dem anderen Teilglied der Problemstellung, nanllich da0 sie nur in bloBen und reinen Gedanken existieren, stimmt er in folgender Weise zu: sie existieren nur in den Gedanken, das heiBt sie sind nur auf Gmnd von Gedanken angenommen, die frei von Sinneswahrnehmung sind, das heiBt von Gedanken,

176 Texte 14. Abaelard: Glvssulae super forpbyrium 177

welche ein Ding nicht in Verbindung mit einer Form bezeichnen, die der Sinnes- wahrnehmung ~ n t e r l i e g t . ~ ~

Wenn aber jemand hinsichtlich der Spezies ,,FeuerC' einen Einwand erhebt, so ist dies nicht von Bedeutung, da ja der Gedanke von dieser Spezies kein Ding erfaBt, das durch akzidentiellen EinfluB von auBen gepragt wurde und durch Berührung festgestellt werden kann, sondern der Gedanke erfaBt das Ding in Einheit mit der substantiellen Warme, welche unter keinen Umstanden sinnlich wahrgenommen wird. Da aber der Gedankeninhalt des Terminus ,,SohnC' gerade so geartet ist - denn kein Ding unterliegt auf Grund eines Abstammungsverhaltnisses der Sinneswahr- nehrnung -, hat er ,,bloBec' [zu den Gedanken] hinzugesetzt, auf Grund des Frei- seins von akzidentiellen Eigenschaften, d. h. die Gedanken erfassen die Dinge nicht als durch akzidentielle Formen gepragte.

Wenn jemand entgegensetzt, daB wir unter dem Nomen ,,Mensch" - da es ein partikulares Nomen ist - ein Ding verstehen, das durch die Einzigkeit gepragt wurde und damit auch durch eine akzidentielle Eigenschaft, dann sagen wir, daB wir an dieser Stelle die akzidentiellen Eigenschaften im strengen Sinn des Wortes verste- hen, namlich als solche Formen, daB die Substanz ohne sie wirklich existieren kann.

Weil zu diesem aber das Nomen ,,diesesa gehort, namlich ,,diese Substanz" oder ,,diese Seele", hat er ,,reinec' [zu den Gedanken] hinzugesetzt auf Grund der perso- nalen Trennung; das bedeutet, daB diese ein Ding nicht als von anderen wohlunter- schiedenes erfassen, sondern vielmehr betrachten sie es hinsichtlich des Status, in dem die Einbeziehung einer mengenmaBigen Vielfalt ausgeschlossen ist.

Wenn jedoch jemand sagt, daB dies nicht auf alle Universalien zutrifft und dabei den Fa11 setzt, daB eine Vorstellung von Aeacus gemacht wird, so geht er fehl. Denn er setzt nicht den Fall, daB eine Vorstellung von Aeacus entsprechend einem solchen Status gemacht wird, in welchem die Einbeziehung einer mengenmaBigen Vielheit moglich ist; vielmehr gibt er Gelegenheit, einen Begriff vom Sohn des Aeacus zu bilden in Entsprechung zu A e a c u ~ . ~ ~

,,Ob sie Korperliches oder Unkorperliches sind": Der Fragende meint folgendes - da doch die Genera und Spezies subsistierende Dinge sind und das Subsistierende einerseits Korperliches, andererseits Unkorperliches ist, ob dann die Genera und Spezies korperliche oder aber unkorperliche Dinge sind. Der Antwortende dies: Genera und Spezies sind Korperliches, das heiBt, sie benennen voneinander getrennte Dinge, und sind Unkorperliches, das heiBt sie benennen voneinander getrennte Dinge ungetrennt.

Unter ,,Korperliches" wird namlich das voneinander Wohlunterschiedene [dis- cretum] verstanden, da vor allem im Korperlichen die gegenseitige Trennung der Dinge besteht; denn durch die korperlichen Dinge erreicht man die genaue Ein- grenzung einer raumlichen Lage. Das Unkorperliche hingegen besitzt keine raum- liche Eingrenzung, da die es von anderem eindeutig abgrenzende Bestimmung [terminus] nicht mittels der Kategorie ,,Raum" ermittelt werden kann. Demzufolge

wird ,,Unkorperliches" auch als ,,Ungelrennles" [indiscretun~] verstandeii und mail spricht vol11 ,,Unkorperlicheii" im Sinn des ,,Gestaltlosen" [informe].

Es heiBt ,,und den reinen Gedanken", da das Unkorperliche zum reinen Begreifen eines Dinges ohne die akzidentiellen Formen veranlaBt, ebenso wie die Pronomina die echten Substanzen unverfalscht bezeichnen.

Es mag vielleicht den Anschein gegeben haben, daB sie etwas auf unkorperliche und ungetrennte Weise bezeichneten, was Gemeinsamkeiten von mehrerem sein sollen. Diesem Irrtum unterliegen diejenigen, die behaupten, das ein und dieselben Dinge essentiel1 in rnehrerem existieren. Beachte aber, daB die folgende Aussage im eigentlichen Sinne falsch ist: ,,Genera und Spezies sind Korperliches", und auch diese: ,,Genera und Spezies sind Subsistierendes", welche wir jedoch in sinnbild- licher Bedeutung als wahr gelten lassen.

Der Fragesteller meint es folgendermaflen: da sie Unkorperliches sind und es drei Genera von Unkorperlichem gibt - eines ist das in den Korpern exislierende Unkorperliche, was ohne die Korper existieren kann, wie zum Beispiel die Seele; das andere Genus ist das Unkorperliche, was ohne die Korper nicht existieren kann, wie zum Beispiel die WeiBheit; ein drittes Genus ist das Unkorperliche, was niemals in sinnlich wahrnehmbaren Dingen existiert, wie der Geist des Gottlichen -, so ist zu fragen, ob die Genera und Spezies in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen sind oder auBerhalb von ihnen. Als ,,sinnlich wahrnehmbar" wird hier das verslaiiden, was in irgendeiner Weise der Sinneswahrnehmung unterliegt.

Der Antwortende kommt zu folgender Auffassung: Bestimmte Genera und Spezies, nicht alle, existieren in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen, das heiBt, sie vermogen sinnlich wahrnehmbare Dinge zu bezeichnen oder zu benennen; ebenso existieren sie auch auBerhalb der sinnlich wahrnehmbaren Dinge, das heiBt, sie vermogen Dinge zu bedeuten unter AusschluB einer Form, die der Sinneswahrneh- mung unlerliegt: denn wenn die Dinge samtliche Formen, die der Sinneswahrneh- mung unterliegen, verloren, so konnten sie nichtsdestoweniger von einem Genus und einer Spezies benannt werden. Die Genera und Spezies existieren also durch die Benennung [appellatio] von etwas in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen, und durch die Bedeutung[sfunktion] [significatio] existieren sie auBerhalb dieser.

Boethius envahnt nun folgendermaBen, daB gerade in der letzten Frage Aristo- teles und Platon verschiedener Meinung sind: Aristoteles behaupte, daB alle Uni- versalien in den Sinnendingen sind, jedoch auBerhalb von ihnen begriffen werden; Platon hingegen sei der Meinung, daB sie auBerhalb von ihnen nicht nur verstandes- gemaB erfaBt werden, sondern auch wirklich exislieren. Ich aber meine, Aristoteles hat es so verstanden: die Genera und Spezies existieren in den Sinnendingen auf Grund des Benennens, d. h. ihrem Wesen nach benennen sie etwas; sie werden aber auBerhalb [der Sinnendinge] verstandesgemaB erfaBt, da das Wissen über sie ohne jede Sinnlichkeit in unserem Besitz ist, denn sie geben keinerlei AnlaB zum He- greifen der Diiige gemaB der Einpragung von Formen, die die Dinge Gegenstand

178 Texte 14. Abaelard: Glossulae super Porl>hyrium 179

der Sinneswahrnehmung sein lassen. Platon hingegen sagt, daB die Genera und Spezies nicht nur auBerhalb der Sinnendinge verstandesgemaB erfaBt werden, sondern auch auBerhalb von ihnen subsistieren, da ja ungeachtet dessen, ob die Substanzdinge samtlicher Formen entledigt waren, durch die sie Gegenstand der Sinneswahrnehmung sind, sie nichtsdestoweniger entsprechend den Gedanken von den Genera und Spezies wahrheitsgetreu bestimmt werden konnten. Offenbar gibt es also inhaltlich keine Meinungsverschiedenheit, wenngleich es hinsichtlich des Wortlautes den Arischein hat.

Nach der Losung der Probleme wollen wir nun zum Text [der ,,Isagoge"] zurück- kehren: ,,ich werde es vermeiden . . .'',50 das oben über die Genera und Spezies Dargelegte auszufuhren, wie auch das Dazugehorige, namlich die eifrig vorgebrach- ten Thesen uild deren Verteidigung in bezug auf jene drei Fragen, oder um noch eine vierte Frage anzuknüpfen: ob die beiden, d. h. Genera und Spezies, ,,in bezug auf diese [Sinnendinge] existieren", d. h. ob es notwendig ist, daB sie durch Benen- nung von etwas bestimmte real existierende Dinge zum Gegenstand haben, oder ob die Universalien auch bei volliger Abwesenheit von Dingen bestehen koilnten. ,,PhonixC ist also darum kein Universale, weil er nicht mehrere Dinge zu umîassen vermag; so auch ,,Chimarem nicht, da sie keinerlei Ding umfaBt. Darauf bezieht sich offensichtlich auch Aristoteles mit der Formulierung: ,,Von den Dingen ist dieses allgemein, jenes aber einzeln."51

Nach der Losung der Probleme muB der Aufbau der Fragestellung [bei Boethius] untersucht werden, der aus der Problemlosung nicht zu entnehmen ist. DaB er in der Fragestellung anders ist als in der Auflosung der Frage - wie oben gesagt wurde -, hat seinen Grund darin, daB diese zwei Fragen von denjenigen, die die Sinnübertragung, welche die Gelehrten gebrauchen, anzweifeln oder nicht kennen, entsprechend der gewohnlichen und eigenen Bedeutung der Termini gestellt wurden. Der Beantworter der Fragen hingegen wiii nicht nur den ganz besonderen Sinn der Ausdrücke aufdek- ken, sondern er untersucht auch sorgfdtig die Sinnübertragung, welche die Gelehr- ten gebrauchten. Im Kommentar [zur ,,Isagoge"J befaBt sich Boethius in Anlehnung an Alexander ausfuhrlich mit den Auseinandersetzungen um die Genera und Spezies sowie mit dem Verlauf dieser Auseinandersetzungen, worüber er folgende paradoxe These formuliert: daB der Streit un1 die Genera und Spezies aufzugeben sei, da die Genera und Spezies weder existieren noch vernünftig begriffen werden, das heiBt zu keiner vernünftigen Erkenntnis führen.52 Zunachst weist er fur das Genus nach, daB es nicht existiert, da es weder Eins noch vieles ist. DaB es nicht Eins ist, beweist er so: alles, was existiert, ist darum, weil es zahlenmaBiges Eins ist; ein Genus aber ist nicht zahlenmaBiges Eins, also ist es nicht Eins.53 Weil aber jenland die Voraussetzung negieren konnte, beweist er sie und sagt, daB das Genus nicht zahlenmaBiges Eins ist, weil es weder ein gemeinsames Eins ist, wie etwa eine Zisterne, noch ein Eins, was kein Gemeinsames ist. Hinsichtlich des Eins, was kein Gemeinsames ist, besteht GewiBheit, da enviesen ist, daB das Genus etwas Gemeinsames ist. Es gilt also

nachzuweisen, daB es nicht ein gemeinsames Eins ist: Alles genieinsame Eins ist namlich entweder auf Gmnd seiner Bestandteile ein Gei~~einschaftliches - wie z. B.

l eine Zisterne -, oder es ist ein gemeinsames Eins in einer zeitlichen Abfolge, inden1 es in den Gebrauch von [verschiedenen] Besitzern ubergeht und dann wieder zu etwas Gemeinschaftlichem gemacht wird; oder es ist zur gleichen Zeit als Ganzes ein Gemeinschaftliches, wobei es fiir diejenigen, fur die es ein Gemeinschaftliches ist, nicht die Substanz bildet - wie z. B. ein T h e ~ t t e r . ~ ~

Ein Genus aber wird keiner dieser vier Arten von Gemeinsarnem zugerechnet. Es ist also kein zahlenmaBiges Eins.

I Ein Genus ist aber auch nichts vieles, da es weder vieles von ein und derselben Natur, noch vieles von nicht ein und derselben Natur ist. Es steht aber fest, daB es nicht vieles von nicht ein und derselben Natur ist. Folglich ist es notwendig, dao es vieles von ein und derselben Natur ist, was wiederum falsch ist. Ware es das, so würde, da eine jede solche Vielfalt in einem einzigen Gellus enthalten ist, welches die Dinge als miteinander übereinstimmende bezeichnete, das Genus voil jenern ebenfalls wieder eine Vielfalt von übereinstimmenden Dingen sein und uber sich ein Genus haben und dieses wieder ein weiteres bis ins Unendliche, was unmoglich ist. Es ist also nicht vieles. Durch dieses abschlieBende Argument zerstort Boethius die Auffassung, die davon ausgeht, daB eine Ansammlung aller Substanzen ein Genus sei.

Nachdem er die erste Paradoxie nachgewiesen hat, namlich den Umstand, daB sie I nicht existieren, beweist er die andere, das heiBt, daB sie nicht vernünftig erkannt I

werden, so: Jeder Gedanke, den man von einem Ding hat und der anders ist, als das Ding sich wirklich verhalt, ist leer und nichtig; und der Gedanke von der Genera und Spezies verhalt sich im Hinblick auf ein Ding anders, als das Ding sich wirklich verhalt; also ist er nicht vernünftig. Aus diesem wird insgesamt klar, daB die Genera und Spezies weder existieren noch vernünftig begriffen ~ e r d e n . ~ 5

Diesen letzten Teil des Beweises lost Boethius auf und erledigt ihn, da er der Auflosung bedurfte, denn er ist ein sophistischer Beweis. Über den anderen Teil, durch den er nachweist, dao die Genera und Spezies nicht existieren, gibt er keine

I Entscheidung, da er dieser nicht bedarf, denn er ist wahr. Bedürfte namlich jeder von beiden Teilen der Auflosung und loste er nur den einen von beiden auf, so

1 handelte er unlogisch. Damit Boethius also nicht fur toricht gehalten wird, sagen wir, daB die These ,,die

l Genera und Spezies existieren nicht" im eigentlichen Sinne in folgender Weise wahr ist; bestimmte Subsistenzen sind nicht Genera und Spezies; jedoch lassen wir als

I wahr gelten, daB ein Genus Existierendes ist, da es ja ein Laut ist. Die umgekehrte j These hingegen, da13 bestimmte Subsistenzen ein Genus sind, verneinen wir vollig, ' da es keinen universalen materialen Gegenstand [essentia] gibt, wie oben nachge-

wiesen wurde. Überjenen Te11 der Argumentation hicgegeil, mil den1 er unter Beweis stellt. dalJ

180 Texte

die Gedanken von den Genera und Spezies leer sind, fùhrt er einen Entscheid im Sinne einer sophistischen Argumentation, da der Anfangssatz des gesamten Be- weises wahr und falsch ist. lm folgenden Sinn ist er wahr: jeder Gedanke, der sich gegenüber einem Ding anders verhalt, als dieses sich selbst verhalt - d. h. ein Ding anders begreift, als es ist -, ist hohl und leer. Und in diesem genannten Sinn ist die obige Annahme falsch, da ja die Gedanken von den Genera und Spezies nicht annehmen, daB die Dinge anders seien, als sie wirklich sind. Dieselbe Aussage ist falsch irn folgenden Sinn: jeder Gedanke, der sich gegenüber einem Ding [anders verhalt, als sich dieses selbst verhalt] - das heiBt, jeder Gedanke, der im Erfassen eines Dinges über einen anderen Modus verfugt, als das Ding im Existenzmodus beschaffen ist - ist leer. In diesem Sinne ist die Annahme in dem obigen Beweis richtig, denn der Begriff ,,Korper" besitzt freilich im gedanklichen Erfassen einen anderen Modus, als den, in dem der Korper existiert; denn dieser Begriff erfaBt eine Substanz lediglich in Einheit mit der Korperlichkeit, wobei er sich auf keinerlei andere Form bezieht; der Korper hingegen existiert nicht ausschlieBlich mit jener einen Form zusammen. Wenn gleichfalls jemand von dem, der sich langsam fortbe- wegt, sagt, dieser würde sich schnell fortbewegen, so sagt er gewiB anders, daB er dies mache, als dieser selbst es tatsachlich macht, da er ja das schnell nennt, was eben jener nicht schnell macht. Und somit stellt sich heraus, daB die Gedanken von den Universalien weder leer noch hohl sind, obgleich sie beim gedanklichen Erfas- sen von Dingen über einen anderen Modus verfugen, ais die Dinge in ihrem Existieren.

An dieser Stelle begegnet nun dreierlei, was es hinsichtlich der Universalien zu untersuchen gilt: [erstens] die Bedeutung und der Gedanke von ihnen, [zweitens] die Belehrung, die sie geben, und [drittens], in welchem MaBe deren Imposition angemessen ist.

Es ist namlich üblich, nach der Bedeutung [significatio] und der gedanklichen Fassung dieser universalen Nomina zu fragen, das heiBt danach, welche Dinge sie eigentlich bedeuten. Denn wenn ich das Nomen ,,Mensch'' hore, das mehreren Dingen gemeinsam ist, aufdie es sich gleichermaBen bezieht, so stelle ich die Frage, zur Erkenntnis welchen Dinges ich durch es gelange. Wenn nun aber - wie es auf der Hand liegt - zur Antwort gegeben wird, daB der Mensch als solcher begriffen wird, dann schlieBt sich die Frage an, inwiefern das richtig ist, wenn nicht dieser oder ein gewisser andere bestimmte Mensch darunter begriffen wird, da jeder Mensch entweder dieser, jener oder ein anderer ist. Denn genauso, wie man sagt, daB dann, wenn ein Mensch wahrgenommen wird, notwendig dieser oder jener wahrgenom- men wird, da jeder Mensch dieser oder jener ist, wird entsprechend auch über den Gedanken in Analogie zur Sinneswahrnehmung geurteilt.

Ferner drückt [das Wort] ,,Mensch" nichts anderes als einen gewissen Menschen aus. Wer ,,Mensch" denkt, der denkt daher tatsachlich einen bestimmten Menschen und er denkt damit diesen oder jenen Menschen, was anscheinend vollig falsch ist.

14. Abaelard: Glossulae super Porphyrium 181

Meines Erachtens ist darauf zu antworten, da0 keinerlei Widerspruch entsteht, wenn wir richtig überlegen wollen und beabsichligen, die Bedeutungen der einzel- nen Aussagen aufmerksanl in Betracht zu zielien. Denii wenn wir sagen ,,Mensch wird gedacht", dann hat das die Bedeutung, daB jemand mittels des Gedankeiis die menschliche Natur erfaBt, d. h. ein so beschaffenes Lebewesen betrachtet. Wenn man anschlieBend dann so fortfahrt: ,,aberjeder Mensch ist dieser oder ein gewisser anderer, also begreift er diesen oder einen gewissen anderen" - dann gelit man nicht richtigvor; vielmehr hatte man so sagen müssen: ,,aberjeder Gedanke, der ,Mensch' denkt, denkt aktuell diesen oder jenen gewissen". Auf diese Weise konnte gewiB auch der mittlere Terminus [in dem betreffenden Syllogismus, d. h. ,,Mensch"] bewahrt werden und die Verbindung der auBeren Termini unter seiner Vermittlung richtig vonstatten gehen. Aber die Annahme ist falsch.

Genauso, wenn man sagt: ,,icl-i begehre eine Kapuze, und jede Kapuze ist diese oderjene gewisse", so folgt dennoch nicht, daB ich diese oderjene gewisse begehre. Vielmehr würde der Beweisgang richtig sein, wenn es folgendermaBen ausgedrückt wird: ,,ich begehre eine Kapuze undjeder, der eine Kapuze begehrt, begehrt aktuell diese oder jene".

Es ist sornit nicht notwendig, daB ich dann, wenn ich ,,Mensch" denke, demzu- folge diesen oder einen gewissen anderen denke, da es viele weitere unzahlbare Begriffe gibt, durch die man sich ein Bild von einer menschlichen Natur niacht. Vielmehr denke ich ,,Mensch'' in einem indifferenten Sinn, d. h. ohne Aufweisung einer Person, gerade wie der Elementarbegriff [conceptio simplex] des Nomen ,,Mensch" oder wie elementar der Begriff des Nomen ,,WeiBesC'. Diese Begriffe sind dessenungeachtet vernünftig, da gemaB den ihnen eigenen Gedanken vieles auf vernünftige Weise genauer bestimmt werden kann. So ist es auch beim Gedanken ,jeder'', der sich auf samtliche Menschen erstreckt, weil wir einen jedeil [Menschen] entsprechend dem ihm zugehorenden Gedanken vernünftig einer genauen Bestim- inung unterziehen und ein bestimmtes Sein von ihm bezeichnen konnen. Wenn ich zum Beispiel sage ,,Platon ist ein Mensch", dann lege icli entsprechend der Bedeu- tung des pradizierten Terminus das Sein Platons dar. Darum wird dieses pradizierte Wort von Boethius als der bedeutendere Teil eines Satzes und als darlegender Teil bezeichnet; als bedeutenderer auf Grund einer auszeichnenden Eigenschaft, und als darlegender, weil seiner Bedeutung gemaB dargelegt wird, was ein jedes ist. Durch die Satzbedeutung [lotalis intellectus] - nicht aber in Reduktion auf einen einzelnen Terminus - wird das Wesen eines jeden erkannt. Darum sagt man auch, daB unter seiner Vermittlung die Darlegung und die genauere Bestimrnung erfolgt.

Nachdem von beidem, namlich sowohl von den Dingen als auch von den Gedan- ken, die jeweilige Bedeutung aufgezeigt worden ist, wollen wir zeigen, welche Belehrung [doctrinal die Universalien geben.

Es ist also zunachst festzustellen, daB alle voneinaiider getrennten Dinge der Zahl nach einander entgegengesetzt siiid, wie etwa Sokrates und Platon. Dieselben sind

182 Texte 14. Abaclard: Glossulae super Porphyriuiii 183

ebenfalls übereinstimmende aus einem bestimmten Grund, das heiBt daruin weil sie Menschen sind. DaB sie untereinander übereinstimmen, sage ich jedoch weder auf Grund der Sokratitat oder der Platonitat, noch wegen sonst eines Dinges, an dem sie gemeinsam Anteil haben; und trotzdem sage ich, daB sie wegen etwas Bestimmtem übereinstimmen, das heiBt eine gewisse Überein~t immun~ besitzen, auf Gmnd dessen namlich, da13 sie Menschen sind. Wenn ich zum Beispiel sage ,,ich mvchle etwas", dann werde ich dem, der fragt ,,was willst du?", am besten antworten ,,eiiie goldene Burg"; denn wenn ich sage ,,ich mochte etwas", so sage ich, daB ich einen bestimmten Wunsch habe; und wenn jener sagt, ,,was willst du?", so fragt er, welchen Wunsch ich wohl besaBe, und ich tue diesen dem Fragenden kund. Da nuil in einer solchen Weise die Dinge untereinander übereinstimmen und sich notwen- digenveise auch unterscheiden, hat es sich als erforderlich enviesen, fur die zu erreichende Belehrung Worter zu finden, welche die getrennten Dinge bestimmten und die Überein~t immun~ der Dinge bezeichneten. Nach dem Zeugnis des Platon besteht namlich die sehr nützliche und notwendige Belehrung in zweierlei, namlich in der nachzuweisenden Übereinst imm~n~ und Difîerenz der Dinge.

Nachdem die Belehrung gezeigt wurde, die die Universalien geben, wollen wir untersuchen, welche Inlposition sie haben. Diese bringt nicht wenig Vorteil. Wollen wir namlich nachweisen, daB allen Menschen etwas zukommt oder fehlt, so konnen wir dies nicht mittels der partikularen Nomina erreichen. Der Gmnd hierfùr liegt sowohl in ihrer Unbestandigkeit, insofern sie bald eine Substanz besitzen, bald nicht, wie auch in ihrer Unbegrenztheit, denn nach Platon gibt es keine sichere Belehrung über Unbegrenztes. Die Universalien muBten also gefunden werden, damit sie das erreichten, was das Singulare nicht erreichen konnte.

Was hingegen in Hinsicht auf die Überfl~ssi~keit der Imposition von universalen Nomina entgegengehalten wird, daB sie anscheiriend keine Belehrung bewirken würden, sondern eher zur Venvirrung fuhren, da ja nach Boethius durch ein universales Nomen keinerlei Ding erfaBt wird - denn so oft jenes Wort [,,Mensch"] ohne genaue Bestimn~ung ausgesprochen wird, lost es einen Zweifel hinsichtlicli des Gedankens aus usw. -, so ist das ohne Bedeutung. Obleich sie Universalien sind, bewirken sie dessenungeachtet eine Belehrung und GewiBheit, wenngleich sie nicht jeden Zweifel, der sich der Seele aufdrangen kann, vom Horer entfernen, wie es aber auch nicht das viele Singulare macht. Denn sage ich: ,,Sokrates lauft", so zeige ich nicht, wie und wieviel er lauft. Ebenso zeige ich dann, wenn ich sage: ,,der Mensch lauft", die menschliche Natur, welche derselbe Horer nicht kannte, wenn- gleich der Satz nicht offenlegt, um welchen Menschen es sich handelt, und ich nicht alle Zweifel, welche er hat, entferne.

Denn was Boethius sagt - ,,Wenn das Wort ,MenschL ausgesprochen wird, dann besitzt der Zuhorer nicht das, was er vernünftig begreifen k ~ n n t e ' ' ~ ~ -, ist wahr oder falsch. Meint er es so, daB auf eine Frage nach der Substanz des Nomen venviesen wird - niimlich so: es liegt kein Dingvor, das der Zuhorer gedankiich erfaBt -, so ist

das richtig. Wenn aber die Frage nach der Substanz des Wortes so gemeiiit ist, dali der Zuhorer keinerlei Gedanken damit verbindet, so ist das falsch; wie doch zuin Beispiel auch die Frage: ,,Woran denkst du, was weiBt du?" hinsichtlich der Substanz des Nomen gestellt ist, so namlich: ,,welche Sache ist es, auf die dein Geist gericlitet ist?"; und dementsprechend ist es erforderlich, daB mit eiiler bestimmten Person geantwortet wird, auf die der Gedanke gerichtet ist. Nach der Substanz des Wortes ist die Frage so: ,,Welchen Gedanken hast du?'' Ebenso besitzt die Frage: ,,Was willst du?" die zwei folgenden Bedeutungen: ,,welche Sache ist es, wonach du ein Verlan- gen hast?" oder: ,,welches Verlangen hast du?" DaB aber die Frage: ,,Was willst du?" den folgenden Sinn besitzt: ,,welches Verlangen hast du?", erhellt daraus, daB ich trotz Fehlens einer goldenen Burg wahrheitsgemaB antworte: ,,ich mochte eine goldene Burg", das heiBt: ,,ich habe ein solches Verlangen". Ebenso wird wahrheits- gemaB auch auf die Frage: ,,Woran denkst du?" geantwortet: ,,ich denke an eine Chimare", wenngleich es eine Chimiire in Wirkiichkeit nicht gibt. Wenn ich also an eine Chimare denke, obwohl sie kein reales Ding darstellt, welches icll begreife, so begreife ich trotzdem etwas Bestimmtes.

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