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KORRESPONDENZ KULTURPOLITISCHE 1300 BERICHTE MEINUNGEN DOKUMENTE 20. Oktober 2010 Herausgeber: Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR, Kaiserstraße 113, 53113 Bonn, Telefon (02 28) 2 89 3312,-3, Fax (02 28) 2 89 3314, E-mail: [email protected] · Chefredakteur: Georg Aescht · Textnachdruck in Zeitungen und Zeitschriften honorarfrei bei Quellenangabe (KK), 2 Belegexemplare erbeten · Artikelübernahme in Bücher und Broschüren bedarf der jeweiligen Vereinbarung mit dem Autor · Bildabgabe leihweise auf Anforderung · Für unverlangte Einsendungen wird nicht gehaftet · Verlag: Westkreuz-Verlag GmbH Berlin/Bonn · Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, Töpchiner Weg 198/200, 12309 Berlin, Telefon (030) 7452047, Fax (030) 745 3066, Internet: www.westkreuz.de

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1KK1300 vom 20. Oktober 2010

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1300 BERICHTEMEINUNGEN

DOKUMENTE

20. Oktober 2010

Herausgeber: Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR, Kaiserstraße 113, 53113 Bonn, Telefon (02 28) 2 89 3312,-3, Fax (02 28) 2 89 3314,E-mail: [email protected] · Chefredakteur: Georg Aescht · Textnachdruck in Zeitungen und Zeitschriften honorarfrei bei Quellenangabe (KK),2 Belegexemplare erbeten · Artikelübernahme in Bücher und Broschüren bedarf der jeweiligen Vereinbarung mit dem Autor · Bildabgabe leihweiseauf Anforderung · Für unverlangte Einsendungen wird nicht gehaftet · Verlag: Westkreuz-Verlag GmbH Berlin/Bonn · Herstellung: Westkreuz-DruckereiAhrens KG Berlin/Bonn, Töpchiner Weg 198/200, 12309 Berlin, Telefon (0 30) 745 20 47, Fax (0 30) 745 30 66, Internet: www.westkreuz.de

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INHALT

Georg AeschtGenugtuung kann schwer wiegen und schwer sein„Die Securitate in Siebenbürgen“ – eine Tagung in Jenavor dem Hintergrund der Frage, ob man „untot“ steigern kann 3

Werner ChrobakEiserne FrömmigkeitIn Danzig-Oliva versuchen Fachleute, allen Facetten der Geschichtedes Deutschen Ordens gerecht zu werden 7

Norbert MaternDie Notwendigkeit der WahrheitDer Bund der Vertriebenen begeht den Tag der Heimat in Berlinmit der Gelassenheit, die man seinen Gegnern wünschte 10

Dorothee HerbertUnbehauste HeimatstubenAngebot des Hauses Schlesien Königswinter-Heisterbacherrott 11

Bücher und MedienAdel in Schlesien (Stephan Kaiser) 14Dieter Schenk: Krakauer Burg (Ulrich Schmidt) 16

Literatur und Kunst

Klaus HildebrandtEr kündet nicht mehrDer „Künder der deutschen Seele“ Hermann Stehr findet heutekaum noch Leser 18

Dieter GöllnerKlangfarben, FarbklängeDas synästhetische Werk des Malers, Musikers und EssayistenRudolf Halaczinsky in Düsseldorf 20

Martin HollenderManchmal altmeisterlich, nie altbackenDer zeichnende Erzähler Reiner Zimnick 22

KK-Notizbuch 23

Die Würde der Schmucklosigkeit: Reiner Zimnick, Die Kaisereiche bei Fütterseeim Steigerwald Bild: vgl. Seite 22

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Genugtuung kann schwer wiegen und schwer sein„Die Securitate in Siebenbürgen“ – eine Tagung in Jena vor dem

Hintergrund der Frage, ob man „untot“ steigern kann

Phantomschmerzen sind mitunter gespen-stisch, aber mitnichten phantomatisch, son-dern äußerst real für den, dem es weh tut.Was nicht mehr ist, kann einem ärger zuset-zen als die unmittelbare Gegenwart. Dennauch was nicht mehr ist, ist nicht vergangen.Die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts istdas Unvergangene schlechthin, und all dieHoffnungen auf ein „Ende der Geschichte“,das mit dem Ende des Kommunismus ein-hergehen sollte, haben sich zerschlagen. Esgibt kein Ende und keine Therapie, langenoch wird an der Amnesie und an der Dia-gnose zu arbeiten sein. Lange noch wird dieVergangenheit schmerzlich gegenwärtigbleiben.

Dieser Gegenwart stellen sich in Rumäniendie Beamten eines Nationalrats zur Erfor-schung des Securitate-Archive (CNSAS),eines Pendants zur deutschen Gauck-Birthler-Behörde, als staatlicher Institution,ihr stellen sich aber auch – dort wie hier –Menschen aus einer persönlichen Betroffen-heit und einem ureigenen Antrieb, die sie nichtin staatliche Hände geben wollen. MariusOprea ist einer, der nach langem Marschdurch die rumänischen Institutionen mit Un-terstützung der Konrad-Adenauer-Stiftungeine eigene Einrichtung gegründet hat, mitder er von den Kommunisten zerstörtenEinzelschicksalen nachgeht, Leichen illegalExekutierter exhumiert und identifiziert, wo-

Die Securitate hat dersiebenbürgische Avantgardist

Hans Mattis-Teutsch(1884–1960) wohl nicht

gekannt, doch vom Menschenhat er – sich – ein Bild

gemacht, das viel erkennenläßt: Illustration zu seiner

„Kunstideologie“Bild: Haus desDeutschen Ostens, München

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bei sich der gesamte Boden des Vaterlan-des als „Keller“ der stalinistischen Polizeiund Securitate herausstellt.Daß dieser eigenbrötlerische, eigensinnigeund mit dem nötigen Hintersinn begabteArchäologe des Terrors, eine Reizfigur füralle frühere wie derzeitige Obrigkeit, und diestaatlich bestallten Fachleute des National-rates CNSAS sich Ende September in Jenaein Podium teilen und Erfahrungen austau-schen konnten, hatten der Arbeitskreis fürsiebenbürgische Landeskunde in Zusam-menarbeit mit dem Lehrstuhl für Osteuro-päische Geschichte der Universität Jena unddem Institut für deutsche Kultur und Ge-schichte Südosteuropas an der LMU Mün-chen mit der Tagung zu dem weitgefaßtenThema „Die Securitate in Siebenbürgen“ er-möglicht. Schon im Dezember des vorigenJahres hatte eine aufsehenerregende Ver-anstaltung – mit beinahe gleicher rumäni-scher Beteiligung – in München eine Ahnungvon der grau schillernden Komplexität desGegenstandes und dem tastenden Zugriffder mehr oder minder subjektiv, mehr oderminder objektiv, jedoch jeweils intensivBeteiligten vermittelt. Die KK berichtete inihrer Nummer 1286 vom 10. Januar 2010.Nicht nur Aufsehen, auch viele Gemüter sinddamals schon erregt, persönliche Konse-quenzen sind gezogen worden, die bundes-deutsche Presse erwies sich als hellhörigerdenn hellsichtig, und es wurde klar, daß esnoch vieles zu hören und zu sehen gebenwird.Eine wissenschaftliche Tagung im strengenSinn konnte es damals, konnte es jetzt, kanndas gar nicht werden. Historische For-schung am lebenden Objekt, Vivisektionsine ira et studio, so etwas setzt eine Fremd-heit voraus, die (sich) zu leisten an Selbst-entfremdung grenzen würde. Darüber hin-aus ist der Forschungsgegenstand derma-ßen existentiell befrachtet, daß es sich ver-bietet, Objektivität zu mimen. „Die Securitatein Siebenbürgen“ – wer aus Siebenbürgenwüßte da nichts zu sagen. Aber wer, aus Sie-benbürgen oder nicht, wüßte, wieviel davon

stimmt? Unmittelbare eigene Erfahrungenmögen guten Köpfen eins zu eins erinnerbarsein, auch um diese geht es, aber sie helfenniemandem weiter außer dem Betroffenen.Ihre Aussagen und Reflexionen als Zeitzeu-gen mögen Stück für Stück ein Gesamtbildergeben, aber ist es schlüssig, ist es soschlüssig, daß daraus auf Mut und Wider-standskraft, auf Feigheit und Schuld, aufpolitischen Scharfblick und ideologischeVerblendung einzelner geschlossen werdenkann? In einem Leben in einer Welt, in denengewesen zu sein sich kaum mehr jemandvorstellen kann. Die Quellen aber, die bei derCNSAS eingesehen werden können, sindProdukte der Securitate, selbst bei als hand-schriftlich identifizierbaren Texten muß mandie Umstände bedenken, unter denen siezustande gekommen sind, und vor jedenGedanken schieben sich dabei Mutmaßun-gen, Befürchtungen, Verdächtigungen undHoffnungen, trügerisch allesamt.

Richard Wagner läßt sich durch derlei Un-wägbarkeiten nicht beirren in seinem dezi-

Richard Wagner Bilder: Konrad Klein

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dierten Urteil, er nennt Roß und Reiter dergeisterhaften Kavalkade, deren Staub in denBukarester Akten seinen Niederschlag ge-funden hat. Wie schlecht die Sicht damalswar und bis heute geblieben ist, läßt ihn nichtirre werden an der seinen, er weiß genug undauch das Gegenteil. Die elliptische Klarheitseiner Aussagen schafft dem Leser – an die-sem Abend in Jena Zuhörer – bei allen Be-klemmungen eine gewisse Atemfreiheit.Gerade in den Grauzonen kennt sich Wag-ner trefflich aus und stellt deshalb einenTemeswarer Partei-Zampano, der ihm undandern jungen Dichtern in den Siebzigernden Rücken freigehalten hat, als in diesemFall segensreich wirkenden Exponenten desZeit(un)geistes dar. Als Michael Markel zweiTage später über die Klausenburger Germa-nistik im „Fadenkreuz der Verleumdung“ re-feriert und eine Schlüsselverleumdung alsdas Machwerk eben jenes Geburtshelfersder Temeswarer deutschen Moderne iden-tifiziert, geht allen eine Finsternis auf: Es gabund gibt allerhand Leben, aber kein wahresim falschen. „Zerbrochene Spiegel“, wohinman schaut, wie es die Jenenserin Kathari-na Lenski aus ihrer Opfer- und Forschungs-erfahrung formuliert – zutiefst fragwürdigwird einem alles, sogar das eigene Ge-sicht.An mannigfachen Fragwürdigkeiten aberhaben, siehe, schon die Securitate selbstmitsamt ihrem Auftraggeber, der kommuni-stischen Partei, laboriert, wie die BukaresterAktenverweser in ihrem Bemühen um einQuentchen Systematik immer wieder fest-stellen: Diese deutschen Minderheitler da –sie taugten noch nicht einmal als Klassen-feinde, wie man sie gebraucht hätte, selbstnach der Deportation nach Rußland übtensie sich in lästiger Loyalität. Hinzu kam einepenetrante Kulturbeflissenheit, die sich zwarbei der internationalen Imagepflege einset-zen ließ, aber auch wieder nicht aus demRuder laufen durfte. Und wo war denn dasRuder, wie bekam man es in die Hand? Wasin deren Gemeinschaften und Kirchen ge-schah, war verdächtig und noch schwerer

zu überwachen als ihre Umtriebe in den Kul-tureinrichtungen, die man ihnen großzügigzugestanden hatte und die nun zu Nesternder Unbotsmäßigkeit wurden. Brauchenkonnte man sie nicht, aber ausreisen lassenkonnte man sie auch nicht ohne weiteres, daswäre ein Zeichen eigener Schwäche gewe-sen. Lange dauerte es, bis das Ceausescu-Regime forsch den Weg des geringsten Wi-derstandes und des höchsten Ertrages gingund sie schlichtweg an die BundesrepublikDeutschland verkaufte.Zudem mußten sich die Staatsschützer jahr-zehntelang alles, was auf deutsch gesagt undgeschrieben wurde und den rumänischenStaat hätte gefährden können – und das warin ihrer Optik wirklich alles –ins Rumänischeübersetzen und auf rumänisch interpretie-ren lassen: eine unauslotbare Quelle derMißverständnisse, die allerdings um so will-kommener waren, je mißlicher sie sich aus-und um-, kreuz und quer deuten ließen. „In-terpretierbar“, zu rumänisch „interpretabil“,das muß Michael Markel jetzt in jener wis-sentlich verleumderischen „Interpretation“des germanistischen Beginnens seinesKlausenburger Freundeskreises lesen, warein fatales Stigma.Bei soviel plumper Akrobatik gab es Punkt-landungen nur für jene, die in der Lage wa-ren, den Punkt stets nach Belieben neu zubestimmen: die Interpreten und Exegetenvon der Securitate. Was wunder also, wenndie ungeliebten und weidlich lieblosen Waf-fenbrüder von der DDR-Staatssicherheitsich aufs preußischste wunderten und be-schlossen, ihre Schild- und Schwertfunktionnach Rumänien auszudehnen, sich nicht aufdie rumänischen Kollegen zu verlassen, son-dern die „Bearbeitung“ jener deutschspra-chigen, aber um so unsichereren Kanto-nisten in Siebenbürgen auf die eigene Kap-pe – es wird ein adretter Lederol-Hut gewe-sen sein – zu nehmen, wie Georg Herbstrittaus Berlin schon im Dezember und jetzt wie-der zeigte. Die Ergebnisse standen denzwar immer tendenziös bösartigen, aberauch von profunder Unkenntnis befeuerten

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und deshalb vor Irrwitz sprühenden Einsich-ten der Securitate über ihre deutschenStaatsschutzbefohlenen an aggressiverDumm- und Dumpfheit nicht nach.Es ist gerade diese Dumm- und Dumpfheit,die einen dazu verleitet, die Brisanz desAktenmaterials im Rückblick zu relativieren,vielleicht gar zu unterschätzen. Allzu leichtneigt man heute zu nachgetragener Über-heblichkeit, ohne zu bedenken, wie arg mansich damals damit verhoben hätte. Wie manIronie einsetzt, ohne den Fakten und Aktendie Schärfe zu nehmen, demonstrierten Mat-thias Pelger und Anton Sterbling mit ihrerZeitzeugenschaft als unmittelbar „operativBehandelte“ und gerade deshalb befugt, zusagen, wie man mit den immer neu auftau-chenden Altlasten umzugehen hat. Hanne-lore Baier geht dabei entschlossen an dieGrenzen historisch-journalistischer Lei-stungsfähigkeit, dorthin, wo die möglichstobjektiv recherchierten und referierten Fak-ten jegliches literarische Vorstellungsver-mögen zu überholen drohen. Man versuchesich trotzdem vorzustellen: Die rumänischeSecuritate bastelt aus den Bewußtseins-gerippen von in der Haft gebrochenen Ju-gendlichen einen Schwarze-Kirche-Kasus inKronstadt, der in Moskau als Anschauungs-material bei der Tschekistenausbildung imZeichen der „internationalen Solidarität derArbeiterklasse“ eingesetzt werden soll.Stefan Sienerth hat in der Giftmülldeponieeinen Brunnen gegraben, und der sprudeltso unerquicklich, daß es schon einigesselbstlosen Forscherdranges bedarf, sichseinen Dünsten auszusetzen. Mit seinemKollegen Peter Motzan vom Institut für deut-sche Kultur und Geschichte SüdosteuropasMünchen verfolgt er die Spuren der Verfol-ger in den CNSAS-Akten rumäniendeutscherSchriftsteller, gemeinsam haben sie denSchriftstellerprozeß von 1959 in einem um-fangreichen Buch aufgearbeitet, und ge-meinsam machen sie sich Mut zur Wahrheitund zur Einsicht in das, was die SecuritatePersönlichkeiten anzuhaben vermochte,deren literarische Arbeit ihnen beiden und

manch andern ein Germanistenleben langGegenstand nicht nur der Forschung, son-dern von Fall zu Fall auch der Bewunderungwar.

Noch vor der Tagung in Jena war es durchdie Presse gegangen: Oskar Pastior, derdeutsche Dichter aus Siebenbürgen, der2006 einige Tage vor der geplanten Verlei-hung des Büchner-Preises starb, der nichtnur in seinem Werk, sondern auch in HertaMüllers Roman „Atemschaukel“ ein Nach-leben hat, wie man es ihm wünschte, dieserOskar Pastior ist gezwungen worden, sichzur Arbeit für die Securitate zu verpflichten,und ist dieser Verpflichtung auch in zumin-dest einem Fall nachgekommen. Sienerthweiß um das Erregungspotential seines The-mas, er weiß um die Notwendigkeit, durch-zustehen, was Oskar Pastior nicht mehr haterleben müssen, weil er in etwa weiß, wasder seinerzeit hat erleben müssen.

So wurde es schließlich Nacht auf der Ta-gung, ihr Ende ist nicht abzusehen, und vielwird sein, wenn manche trotz alledem undtrotz allem, was noch kommen mag, mit Mi-chael Markel etwas von der „Genugtuung“zu teilen vermögen, daß es doch „ein Gera-des … noch“ gegeben hat und gibt, eine Ge-nugtuung, die „schwerer wiegt als ein Blickzurück im Zorn“.

Georg Aescht (KK)

Oskar Pastior

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Eiserne FrömmigkeitIn Danzig-Oliva versuchen Fachleute, allen Facetten der Geschichte

des Deutschen Ordens gerecht zu werden

Eine internationale Tagung über „Die ‚curaanimarum‘ (Seelsorge) im mittelalterlichenDeutschordensland“ fand vom 6. bis zum9. September 2010 im Kloster der heiligenBirgitta in Danzig-Oliva/Gdansk-Oliwa statt,zum ersten Mal im ehemaligen Westpreußen,wie der Vorsitzende des veranstaltendenInstituts für ostdeutsche Kirchen- und Kul-turgeschichte e.V. mit Sitz in Regensburg,Msgr. Dr. Paul Mai, in seiner Begrüßung derrund 40 Teilnehmer betonte. Diesmal wollteman bei der Wahl des Tagungsortes den ein-stigen Schauplätzen der Geschichte desmittelalterlichen Deutschen Ordens nahesein, angestoßen auch durch die Feier des800jährigen Bestehens der Deutschordens-Komturei Regensburg. Von den zwölf auf dieGeschichte des Deutschen Ordens im Mit-telalter spezialisierten Referentinnen undReferenten stammten sechs aus der Bun-desrepublik Deutschland, fünf aus Polen undeine aus Schweden.

Die Geschichte des Deutschen Ordens unddes Ordenslandes Preußen wurde in denletzten Jahrzehnten intensiv von deutscherund polnischer Seite erforscht. Der Aspektder Seelsorge in diesem geistlichen Ritter-staat vom 13. bis zum 15. Jahrhundert wur-de bisher allerdings übersehen bzw. ausge-klammert. Auf dieses Forschungsdefizitmachte der Moderator der Tagung, Prof. Dr.Stefan Samerski (Universität München), inseiner Einführung aufmerksam. Auf denAspekt der interdisziplinären Herangehens-weise an das Phänomen „Seelsorge“ seibesonderer Wert gelegt worden. In einemDutzend Vorträgen suchten die ReferentenAntworten auf die Fragen zu geben: Werbetrieb die Seelsorge im Deutschordens-staat? Waren es die Deutschordenspriesteralleine oder holten sie andere Orden, etwadie Bettelorden, zu Hilfe? Gab es eine spe-

zifische Art der Deutschordensseelsorge?Wie war das Verhältnis zwischen Bistums-organisation und Deutschordensstaat? Wel-che Heiligen wurden im Deutschen Ordenbesonders verehrt?

Eine Grundlage der Betrachtung lieferte Prof.Dr. Arno Mentzel-Reuters (München) mit sei-nem Vortrag „Der Deutsche Orden als geist-licher Orden“. Ausgehend von den Ordens-statuten, konnte Mentzel-Reuters für dieOrdenswirklichkeit feststellen: Anders alsder Templerorden war der Deutsche Ordennicht nur auf die militärische Sicherung desHeiligen Landes verpflichtet, sondern ver-stand sich als seelsorgerische Institution undbetreute darum nach dem Abzug aus Palä-stina europaweit Hospitäler, Schulen undsogar Frauenkonvente. Die Thematik er-schloß mit anderem Akzent Prof. Dr. RomanCzaja (Thorn/Torun) in seinem Vortrag „DieIdentität des Deutschen Ordens in Preußen“:Er legte dar, daß zum Selbstverständnis desDeutschen Ordens die Idee des Heiden-kampfes, der Kreuzzugsgedanke, dazu eineFrömmigkeit mit besonderer Verehrung desKreuzes, des heiligen Georg, der heiligenElisabeth und der Muttergottes sowie dasBewußtsein, Landesherren zu sein, gehörte.

Die „Bistümer im Ordensland Preußen“beleuchtete Dr. Radoslaw Biskup (Thorn/Torun): 1243 nämlich waren die vier Bistü-mer Kulm, Pomesanien, Samland und Erm-land im Deutschordensstaat errichtet wor-den. Verwaltungsmäßig wurde jede Diöze-se in drei Teile geteilt: Zwei Drittel bliebenunter der Herrschaft des Deutschen Ordens,und ein Drittel wurde durch den Bischof undsein Domkapitel verwaltet. Bei den Bischofs-besetzungen konnte der Hochmeister desDeutschen Ordens einen besonderen Ein-fluß ausüben und auch Kandidaten außerhalbder Domkapitel benennen.

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Zwei Referenten aus Polen behandelten denEinsatz und die Verbreitung der Bettelordenim Deutschordensland Preußen: Dr. RafalKubicki (Danzig/Gdansk) gab einen Über-blick über die Rolle der Bettelorden imOrdensland Preußen vom 13. bis zum 15.Jahrhundert insgesamt, während Dr. PiotrOlinski (Thorn/Torun) die Franziskaner undihre Aktivitäten im Deutschordensland im13. Jahrhundert in besonderer Weise her-austellte. Die Bettelorden wurden an der Mis-sion der Prussen im 13. Jahrhundert betei-ligt, betreuten das Bürgertum seelsorge-risch besonders in den Städten (Zünfte), aberauch auf dem Lande, errichteten Kloster-schulen mit Bibliotheken und gehörten zurintellektuellen Elite des Deutschordens-staates. Dominikaner standen auch imDienst der Inquisition in Preußen.

Der Frage nach einer eigenen Deutsch-ordensliteratur gingen zwei Literaturwis-senschaftler nach: Prof. Dr. Edith Feistner(Regensburg) äußerte sich zur „Katecheseder Ritterbrüder in den Anfängen desDeutschordensstaates: Bibeldichtungen alsFallbeispiele“. Untersucht wurden drei Bibel-dichtungen des 13. Jahrhunderts und fünf

Bibeldichtungen des 14. Jahrhunderts. Dieliterarische Analyse ergebe – so Feistner –im Hinblick auf Verfasser, Adressatenkreis,Kommunikationssituation und das Verhält-nis zwischen Literalsinn und Exegese einsehr verschiedenartiges Bild. Es könnedaraus nicht auf den Deutschen Orden alsAuftraggeber oder ein Deutschordens-mitglied als Verfasser geschlossen werden.Auch lasse die Überlieferung in Sammel-handschriften im Deutschordens-Kontextkeineswegs – wie früher behauptet – aufeine planvoll angelegte „Deutschordens-dichtung“ schließen.

In Ergänzung dazu widmete Dr. MichaelNeecke (Regensburg) der „Judith von 1254“,dem ältesten Werk der sogenannten Deutsch-ordensliteratur, eine besondere Betrachtung.Neecke schloß sich der Auffassung Helmutde Boors von 1962 an, der eine primäre Pro-duktion innerhalb des Ordens bestritt undstattdessen ein Verhältnis sekundärer Aneig-nung behauptete. Gegenüber den Behaup-tungen einer „gewalttätigen Neudeutung“, ei-nes „radikalen Redaktors“ und einer „ver-stümmelten Fassung“ (Henrike Lähnemann)vertritt Neecke die Ansicht, daß die Neuaus-

Ein schicklicher Ort,Rittertum undChristentum zusam-menzudenken: dieTagungsteilnehmervor dem Birgitten-kloster in Danzig-Oliva

Bild: der Autor

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richtung der „Judith“-Dichtung im DeutschenOrden als Aktualisierung des in den Ordens-statuten vorgesehenen Musters zu verste-hen sei, alle Handlungsfelder des Ordensseiner militärischen Ausrichtung unterzuord-nen.Ein Vortrag mit farbenprächtigen Fotos überdie „Architektur der Kirchen im Deutschor-densland Preußen“ von Prof. Dr. ChristoferHerrmann (Allenstein/Olsztyn) erschloß diemeist aus dem typischen roten Backstein ge-bauten Gotteshäuser als Räume, in denen dieSeelsorge des Mittelalters ausgeübt wurde.Der Vortrag war zugleich Vorbereitung aufeine ganztägige Busexkursion unter Leitung vonTagungsmoderator Samerski, bei der zunächstdie Bettelordenskirchen St. Josef (Karmeliten),St. Nicolai (Dominikaner) und St. Trinitatis (Fran-ziskaner) in Danzig und dann die Marienburgbesichtigt wurden. Als weiterer Brennpunkt derDeutschordensgeschichte wurde der vormali-ge Dom in Marienwerder aufgesucht. Die Pfarr-kirche Großmontau, die Heimatkirche der heili-gen Dorothea von Montau, bildete den Ab-schluß der Tagesfahrt.Der besonderen Spiritualität des DeutschenOrdens suchte sich die Tagung auch durchVorträge zu den im Orden besonders ver-ehrten Heiligen anzunähern. Zu ihnen zähltgerade auch Dorothea von Montau: Prof.Samerski ging auf die Lebensgeschichtedieser Reklusin und Mystikerin ein und ent-faltete ihre Kultgeschichte vom Mittelalterbis heute. Auf Betreiben ihres geistlichenSeelenführers und Beichtvaters, des Dom-dekans Johannes von Marienwerder, reich-ten der Hochmeister, die Bischöfe und Dom-kapitel Preußens, Pfarrer und Doktoren be-reits 1495 in Rom den Antrag auf Kanonisa-tion ein. Dorothea sollte zur Heiligen desDeutschen Ordens wie auch des Deutsch-ordenslandes erklärt werden. Das Verfah-ren wurde dann jedoch durch das Großeabendländische Schisma und die Niederla-ge des Deutschen Ordens in der Schlachtbei Tannenberg 1410 zum Erliegen ge-bracht. Der Kult wurde in Preußen weiterhingefördert. Flüchtlinge und Heimatvertriebe-

ne aus Ermland und Danzig, zusammenge-schlossen im 1950 gegründeten Doro-theenbund, verehrten Dorothea als Patroninihrer verlorenen Heimat. Die Heiligspre-chung der Dorothea von Montau erfolgteschließlich durch Papst Paul VI. am 9. Janu-ar 1976. Der lang angestrebten AnerkennungDorotheas als weiterer Schutzpatronin desDeutschen Ordens war damit Erfolg be-schieden. Im ordenseigenen Proprium von2002 hat sie nun denn auch ihr eigenes Offi-zium gefunden, so Samerski.

Die spannungsgeladene Verehrungsge-schichte der Gottesmutter Maria, der Patro-nin des Deutschen Ordens wie auch despolnischen Volkes, zeigte Dr. Cornelia Hess(Stockholm) sehr eindrucksvoll auf. Mariaerwählte sich der Deutsche Orden alsSchutzheilige, und zwar in der Form der ge-krönten Maria, als „regina coeli“ („Himmels-königin“). Die Benennung des Hochmeister-sitzes als Marienburg, die Auswahl desMarienpatroziniums für die Burgkapelle, dieriesige Darstellung der gekrönten und einZepter tragenden Maria an der Außenwanddes Ostchors der Kapelle der Marienburg,die Darstellung Mariens im Hochmeister-siegel, die besondere Betonung der Mari-enfeste im liturgischen Kalender, die Be-zeichnung der Deutschordensritter als„Marienritter“, all das zeigt die Doppelfunk-tion von politischer Repräsentation und pri-vater Devotion. Gleichzeitig wurde Maria alsbeliebteste Heilige des Mittelalters bei derBevölkerung des Preußenlandes stark ver-ehrt, wie Marienwallfahrtsorte in den Bistü-mern Kulm, Pomesanien, Ermland, Pomme-rellen und Kamin belegen.

Den Bogen der Frömmigkeitsgeschichteschloß Prof. Dr. Klaus Militzer (Köln) mit sei-nen Ausführungen über „Die verzögertenWirkungen der Bruderschaften im Osten imMittelalter“. Er zog Parallelen zu den Bru-derschaften vor allem in Köln. Die Verbrei-tung von Bruderschaften im Osten sei weit-gehend unerforscht, auch wegen der Ver-nichtung des meisten Quellenmaterials.

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Die Notwendigkeit der WahrheitDer Bund der Vertriebenen begeht den Tag der Heimat in Berlin mit der

Gelassenheit, die man seinen Gegnern wünschte

Insgesamt äußerten sich die Tagungsteil-nehmer sehr zufrieden über die vorgetra-genen Forschungsergebnisse, die neue Ein-blicke in das Selbstverständnis und dieFrömmigkeitsgeschichte des DeutschenOrdens erbracht haben. Freilich blieben aucheinige Fragen, z. B. zur konkreten Rolle derDeutschordenspriester als Seelsorger in

den einzelnen Jahrhunderten, offen. Hiermuß die Forschung weiter vorangetriebenwerden. Begeistert waren die Tagungsgä-ste vom Birgittenkloster als Tagungshaus inDanzig-Oliva, das nach einer Restaurierungder Gebäude im klassizistischen Stil einenedlen Rahmen für derartige Veranstaltungenbietet. Werner Chrobak (KK)

„An das Leid durch Flucht und Vertreibungzu erinnern und dies als Teil der Geschichtewahrzunehmen, ohne jemals Ursache undWirkung zu verkennen oder die Augen vordem unvergleichbaren Leid anderer zu ver-schließen, ist Auftrag und Aufgabe für unsalle“, schrieb Bundeskanzlerin Angela Merkelin ihrem Grußwort zum Tag der Heimat 2010an Erika Steinbach. Zwischen den Zeilen liestman einen Nachklang zum Streit in der Frak-tionssitzung der CDU zwei Tage vorher. Na-türlich war er das Gesprächsthema des Ta-ges. In den Medien wurde daher mehr kom-mentiert als direkt über die Feierstundeim Internationalen Congress Centrum Ber-lin berichtet. Hämisch merkte der Berliner„Tagesspiegel“ an, „ein paar hundert Ver-bandsmitglieder“ hätten mit Frau Steinbachgefeiert, und der Korrespondent der „Süd-deutschen Zeitung“ meinte eine sich über-schlagende Stimme der BdV-Verbands-präsidentin gehört zu haben.

Die Realität war: Der Saal war bis auf denletzten Platz besetzt, das „geistliche Wort“zu Beginn des zweieinhalbstündigen Fest-akts sprach der neue katholische Ver-triebenenbischof Dr. Reinhard Hauke ausErfurt, erstmals war die Landtagspräsiden-tin aus Bayern Barbara Stamm erschienen,SPD und Grüne schnitten die eindrucksvol-

le Veranstaltung. Erika Steinbach sprachselbstbewußt und souverän und zeichnete– nach Otto Schily im vergangenen Jahr –diesmal in Anwesenheit des rumänischenBotschafters den so erfolgreichen Oberbür-germeister Klaus Johannis von Hermann-stadt/Sibiu mit der Ehrenplakette des BdVaus: „Johannis genießt als Bürgermeisterdas Vertrauen sowohl der Rumänen als auchder deutschen und ungarischen Minderheitin Hermannstadt. Er hat sich herausragen-de Verdienste um die Völkerverständigungerworben und ist ein wirklicher Brücken-

Kann aus Gegensätzen ein Gesamtkunstwerkwerden? Rudolf Halaczinsky: Dunkelheit undstrahlendes Licht Bild: siehe S. 20

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bauer in einem zusammenwachsenden Eu-ropa.“

Wie Papst Benedikt XVI. in seinem schriftli-chen Grußwort an die Notwendigkeit derWahrheit erinnerte, so griff WeihbischofHauke den Gedanken auf: „Ohne Wahrheitgibt es Geschichten, aber keine Geschich-te.“ Stehend gedachte das Plenum aller frü-heren und gegenwärtigen Opfer von Vertrei-bung. Hauke: Es geht um eine würdige Ge-denkstätte.

Erika Steinbach würdigte die „Charta derHeimatvertriebenen“, setzte sich erneut fürden 5. August als nationalen Gedenktag einund hielt fest: „In allen Nachbarländern wer-

den seit Jahren an vielen Orten Erinnerungs-stätten für ermordete Deutsche errichtet.“Sinngemäß sagte sie, die Angriffe auf Vor-standsmitglieder des BdV hätten doch nurdas Ziel, das „Zentrum gegen Vertreibun-gen“ zu verhindern.

Festredner Horst Seehofer, Ministerpräsi-dent des Freistaates Bayern, dankte für diedemokratische Gundhaltung der Vertriebe-nen. „Spätaussiedler sind keine Asylbewer-ber.“ Er bekräftigte, daß seine Regierungweiterhin an der Seite der Vertriebenen ste-hen werde, denn „sie haben einen Anspruchdarauf, mit ihrem Schmerz nicht allein ge-lassen zu werden“. Norbert Matern (KK)

Unbehauste HeimatstubenAngebot des Hauses Schlesien Königswinter-Heisterbacherrott

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegswaren die meisten der durch Flucht und Ver-treibung aus Schlesien nach Westdeutsch-land gekommenen Deutschen gezwungen,sich hier mühevoll eine neue Existenz auf-zubauen. Schon in der frühen Nachkriegs-zeit haben einige von ihnen mit großem En-gagement begonnen, Schätze der Erinne-rung an ihre Heimat zusammenzutragen.So entstanden im Laufe der Jahre mehr alssiebzig schlesische Heimatstuben und-sammlungen in unterschiedlicher Größeund Form. In vielen Fällen beherbergen siewertvolle und bedeutende Objekte wie z.B.antiquarische Folianten oder Gemälde .

Dienten diese schlesischen Heimatsamm-lungen zunächst vorrangig als soziale Treff-punkte, so erhielten viele allmählich den Cha-rakter musealer Einrichtungen, in denen dieErinnerung an die jeweilige Herkunftsregiondokumentiert und gepflegt wird. Nach derWiedervereinigung 1990 entstanden in denneuen Bundesländern ähnliche Einrichtun-

gen. Oft ging die Gründung einer solchenSammlung einher mit der Übernahme derPatenschaft einer westdeutschen Stadt füreinen Ort in Schlesien; daraus entwickeltensich in den letzten Jahrzehnten häufig Part-nerschaften mit den nunmehr polnischenKommunen. In vielen Fällen stellten die west-deutschen Städte kostenlos Räume für diePräsentation der Sammlungen zur Verfü-gung.

Das Altern der Verantwortlichen und derZeitzeugen stellt die schlesischen Heimat-stuben und -sammlungen in Deutschland vorgroße Probleme: Da die Sammlungen ehren-amtlich betrieben werden, gibt es nicht im-mer aktive Nachfolger. Dazu kommt öfter,daß die Kommunen wegen abnehmenderBesucherzahlen und eigener finanziellerEngpässe die den Schlesiern überlassenenRäume nicht länger zur Verfügung stellenwollen.

Hier muß Abhilfe geschaffen werden, damitwertvolles schlesisches Kulturgut nicht ver-

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lorengeht. Auf Initiative von Haus Schlesienin Königswinter-Heisterbacherrott wurdedeshalb durch den Beauftragten der Bun-desregierung für Kultur und Medien dasProjekt „Schlesische Heimatsammlungen“eingerichtet. Es ist dort seit dem 1. Juni 2010angesiedelt, mit der Historikerin DorotheeHerbert besetzt und in die gewachsenenStrukturen des Hauses integriert.

Das Kultur- und Bildungszentrum HausSchlesien mit seinem landeskundlichen Mu-seum ist aus dem ehrenamtlichen Engage-ment zahlreicher Schlesier entstanden. Sol-cher Einsatz ist auch weiterhin ein tragen-der Bestandteil der Arbeit in Sammlung undForschung und bei vielen anderen Aufgaben.Hier arbeiten Frauen und Männer aus Liebezur Sache freiwillig Hand in Hand mit denFachleuten der verschiedenen Abteilungen.Sie helfen in Museum, Bibliothek und Archiv,bei Forschungsprojekten, Ausstellungsvor-bereitung, -aufbau und -eröffnung, bei Dis-kussions- und Großveranstaltungen. DieProjektstelle ist eng mit diesen Strukturenvernetzt.

Grundidee des Projektes ist, den Betreibernder Heimatstuben und -sammlungen Bera-tung und Hilfe zur Erhaltung ihrer Einrich-tungen und zur Bewahrung der jeweiligenSammlungsgüter anzubieten. Denn ebensovielfältig wie die unterschiedlichen regiona-len Bezüge, die thematischen Ausrichtungenund die räumliche Ausgestaltung der einzel-nen Heimatstuben sind neben den genann-ten Grundproblemen auch die individuellen

Fragen, vor denen die Betreiber stehen. Hierkann im Rahmen des Projektes konkreteHilfe bei der Sichtung, Archivierung und In-ventarisierung vor Ort angeboten und ge-leistet werden, auch zu eher alltäglichenProblemen wie dem behutsamen konserva-torischen Umgang mit historischen Doku-menten, Fotografien oder Textilien oder derPflege besonders empfindlicher Expo-nate.Gemeinsam kann nach praktikablen, auf dieBedürfnisse des jeweiligen Heimatstuben-Betreibers und den Charakter der Samm-lung zugeschnittenen Lösungen gesuchtwerden. Nach der Kontaktaufnahme mit Do-rothee Herbert (unter der Telefonnummer02244/886234 oder [email protected]) können individuell Besuchsterminefür die Hilfe vor Ort vereinbart, Konzepte fürdie Lösung der jeweiligen Probleme erar-beitet und spezielle Fragen beantwortet wer-den.Neben der Arbeit in den Heimatstubenselbst liegt ein weiterer Schwerpunkt die-ses Angebots auf der Schaffung neuer Per-spektiven für eine stärkere öffentliche Wahr-nehmung der Heimatsammlungen. Hier istzunächst an die Verstärkung des Kontak-tes und der Kommunikation zwischen denSammlungsbetreibern und den jeweiligenKommunen, aber auch den örtlichen Bil-dungsträgern wie z.B. Schulen und Volks-hochschulen gedacht. Ein gutes Beispiel fürdie Zusammenarbeit einer regionalen schle-sischen Sammlung und der Kommune ist diein Essen ansässige Hindenburger Heimat-sammlung „Kultur- und ErinnerungsstätteHindenburg OS gestern – Zabrze heute“. Siewurde erfolgreich in das dortige Stadt-museum integriert. In Neuss, wo die Ostdeut-sche Landsmannschaft mehrere Regionenunter dem Begriff „Ostdeutsche Heimat-stube“ unter einem Dach ansiedeln konnte,wird aktiv für die Heimatstube geworben.Hier finden Veranstaltungen zur Geschichteder Herkunftsregionen in verschiedenerForm statt, so zum Beispiel als Gesprächzwischen Schülern und Zeitzeugen.

Einladende Anlaufstelle: Haus Schlesienim Siebengebirge Bild: Dieter Göllner

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Für die Zukunft könnten in enger Abstim-mung mit den Betreibern gezielte Maßnah-men entwickelt werden. So ist beispiels-weise denkbar, eine Kombination aus Zeit-zeugengespräch und Führung für Schü-lergruppen in einer Heimatsammlung anzu-bieten. Eine Möglichkeit der Werbung fürHeimatsammlungen ist die Übernahme vonmodern präsentierten Wanderausstellun-gen sowohl für Heimattreffen vor Ort alsauch in den jeweiligen Paten- und Partner-städten.

Haus Schlesien veranstaltet im Herbst 2010sowie im Frühjahr 2011 eine je zweitägigeTagung zum Thema Heimatsammlungen.Hier erhalten die Betreiber die Möglichkeit,Kenntnisse zu den Themen Inventarisierung,Dokumentation, Beschriftung, Präsentationund Vermittlung zu erwerben bzw. zu vertie-fen. In praktischen Übungen am Beispiel derSammlungen und der Ausstellungsräume imHaus Schlesien können diese Fähigkeiten

weiter ausgebaut werden. Techniken zurArchivierung historischer Dokumente, Foto-grafien und anderer Schrift- und Bildquellenwerden in Kleingruppen praktisch geübt.Damit die Heimatsammlungen in der Öffent-lichkeit stärker Beachtung finden, werdenMöglichkeiten der Kooperation untereinan-der, mit den Kommunen, ihren Museen undanderen kulturellen Institutionen sowie mitden polnischen Partnerstädten und ihrenEinrichtungen aufgezeigt.

Die Heimatstuben und -sammlungen gehö-ren nicht nur zur Geschichte der Flüchtlingeund Vertriebenen aus Schlesien. Sie sindzugleich Teil der Geschichte und des Lebensder Orte, an denen sie entstanden sind. Auchdeshalb sollten sie nach Möglichkeit im Sin-ne der Gründer und Betreiber dort verblei-ben. Wenn aber trotz aller Bemühungen dieZukunft einer Heimatstube nicht zu sichernist, steht Haus Schlesien zur Aufnahme be-reit. Dorothee Herbert (KK)

Wenn man die Daten des Lebens von Fried-rich Carl Schultze-Rhonhof durchliest, dannist es ein Leben, das gekennzeichnet ist vonder Liebe zu seiner Heimat Schlesien. DenErhalt schlesischer Geschichte und Kulturhat er sich zur Lebensaufgabe gemacht undist dabei sehr erfolgreich gewesen.

In Münster brachte er sich schon 1964 sehrintensiv in die Arbeit der Volkshochschuleein, die er 26 Jahre leitete, dabei wirkte ermit an der Entwicklung bildungspolitischerLeitlinien in der Erwachsenenbildung. Er ver-öffentlichte im Rahmen der Stadtgeschich-te von Münster besonders die Geschichteder Flüchtlinge und Vertriebenen in Münsterseit 1945, schrieb über Münster und seinePartnerstädte und dokumentierte die Ge-schichte der Juden in Münster.

Sein Schwerpunkt aber lag in der ostdeut-

schen Kulturarbeit, wo er neue Wege für dieErwachsenenbildung entwickelte und dieThematik einheimischen Bürgern nahe-brachte. Im Landesbeirat Nordrhein-West-falen war er seit 1975 für zwei JahrzehnteVorsitzender des für die ostdeutsche Kul-turarbeit wichtigen Kulturausschusses.

Seit 1982 war Friedrich Carl Schultze-Rhon-hof 22 Jahre lang Vorstandsvorsitzenderder Stiftung Schlesien und bestimmte in die-ser Zeit das Angebot der Stiftung.

Für diese Arbeit erhielt er hohe Ehrungen.Ihm wurde das Bundesverdienstkreuz amBande und das Bundesverdienstkreuz1. Klasse verliehen, der BdV ehrte ihn mitder Ernst-Moritz-Arndt-Plakette und dieLandsmannschaft Schlesien mit demSchlesierschild, ihrer höchsten Auszeich-nung. Jutta Graeve (KK)

Schlesien lehren und lernen: Friedrich Carl Schultze-Rhonhoff

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Was leistete sich undwas leistete der Adel?

Bücher und Medien

Adel in Schlesien. Oldenbourg, München2010. 2 Bde. im Schuber, 128 Euro (Schriftendes Bundesinstituts für Geschichte der Deut-schen im östlichen Europa, Bd. 36 und 37);Band 1 hg. von Jan Harasimowicz und Mat-thias Weber, 587 S., 59,80 Euro; Band 2hg. von Joachim Bahlke und Wojciech Mro-sowicz, 840 S., 89,80 Euro

Zahlreiche mitteleuropäische Regionen be-ziehen Identität, touristische Bedeutung unddamit Selbstbewußstein nach innen und au-ßen über ihre Burgen und Schlösser. Ob nunim „Schlösserland Sachsen“ oder bei denwerblichen Aussagen in allen tschechischenRegionen, stets sind es einstiges mittelal-terliches Rittertum oder geschmackvolleAusstattungen von Renaissance bis Histo-rismus, die uns heute beim Besuch beein-drucken.

Hinterlassen hat das alles der bis zum Endedes Zweiten Weltkrieges große Ländereienbesitzende Adel. Es gibt die Zerrbilder vomostelbischen Junkertum und dessen Ritter-gütern. Politisch wurde dem Adel pauschalRückständigkeit nachgesagt, gesellschaft-lich scheint sein Verhalten abgehoben,selbstgefällig, eigensinnig bis eigennützigoder gar ausbeuterisch. Natürlich stimmtvon all dem gesamtheitlich wenig. Esbraucht differenzierte Betrachtungen, unddarum lohnt es sich, genauer hinzusehen.Erstaunlicherweise hat auch mehr als einhalbes Jahrhundert später, seitdem die Guts-herrschaften aufgelöst wurden, das Über-blickswissen kaum zugenommen. Bei Füh-rungen in erhaltenen Schlössern werden dieBesitzgeschichte der Geschlechter und dieNamen planender Architekten oder gestal-

tender Kunsthandwerker aufgezählt. In an-deren adelsgeprägten Landschaften wieSchlesien werden aus einigen Ruinen wie-der äußerlich glänzende Repräsentations-bauten. Doch es fehlt die einstige Einheit mitder gestalteten Landschaft auf landwirt-schaftlicher Grundlage. Der Torso alleinmacht keine Vorstellung des Ganzen.

Die Wissenschaft wendet sich immer wie-der neuen Fragestellungen zu. Die Aufhe-bung der staatlich verordneten Sichtachsenmit dem Ende des Kommunismus/Sozialis-mus vor zwei Jahrzehnten ließ zuerst in Mit-teldeutschland neuere Betrachtungen zu denGutsherrengesellschaften aufkommen. Zag-haft wenden sich auch die geisteswissen-schaftlichen Lehrstühle in den sogenanntenMOE-Staaten diesen Aspekten zu. Viele Hin-dernisse liegen in der uneinheitlichenQuellenbasis oder den zeitintensiven, müh-seligen Grundlagenforschungen, wenn esgilt, Gutsarchive in Handschrift (gegebenen-falls Sütterlin) zu bearbeiten.

Der Beauftragte der Bundesregierung fürKultur und Medien (BKM) fördert ein mehr-jähriges interdisziplinäres und grenzüber-schreitendes Projekt zur Erforschung desschlesischen Adels. Auf deutscher Seite wir-ken das dem BKM zugeordnete Bundes-institut in Oldenburg und Historiker der Uni-versitäten Stuttgart und Passau mit, pol-nischerseits ist die Kunstgeschichte derUniversität Breslau besonders aktiv. DieKomplexität wird in einigen repräsentativenQuerschnitten zu vertieften Darstellungenführen. Das bedeutet auch das Eingeständ-nis, daß die Rolle der Elite während fast 1000Jahren und in einem Land ohne feste Gren-ze und mit wechselnder innerer Verfassungso nicht zu bestimmen sein wird. Doch einAnfang ist gemacht.

Nachdem das internationale Forschungs-

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projekt 2005 begann, sollte eine Fachtagungin Breslau 2006 eine frühe Zwischenbilanzbringen. Das politische Grußwort zum Kon-ferenzband stammt vom Herbst 2008. Dieletztlich zwei voluminösen Druckwerke ka-men dann im Frühjahr 2010 auf den Markt.Es dauerte also lange von der Theorie überdie Vermittlung zum breiteren Ertrag. Der istnun mit fast anderthalbtausend Seiten beisechs Pfund gewichtig. Dagegen enttäu-schen erst einmal die leider wenigen undvergleichsweise unprofessionellen Abbil-dungen sowie die wenig praxistauglichePaperbackausführung mit Klebebindung.Diese Bewertung gilt besonders in Anbe-tracht des hohen Preises, der die Verbrei-tung behindern wird.Band 1 ist mit 22 Aufsätzen gefüllt, die zumKomplex „Herrschaft – Kultur – Selbstdar-stellung“ gehören. Band 2 beinhaltet ein Re-pertorium, ist also ein Nachschlagewerk undeine Zustandsbeschreibung unter der Über-schrift „Forschungsperspektiven – Quellen-kunde – Bibliographie“. Die Bestandsanaly-se von 36 Archiven, Bibliotheken und Mu-seen in Deutschland, Tschechien und Polenzeigt zu viele Defizite in der bisherigen Be-handlung und sich wiederholende Wunsch-vorstellungen für bessere Bestandsnach-weise, als daß dies die Forschung wirklicherleichterte. Die fast 4000 Positionen um-fassende Auswahlbibliographie gründet aufeiner akribischen Auswertung vieler in- undausländischer Zeitschriften, wobei adligeNamen an sich noch keine Erkenntnis bie-ten und so manche gliedernde Zuordnungeher Verwirrung stiftet. Es stellt sich auchwieder die grundsätzliche Frage, ob solcheÜbersichten in einer ersten Phase nicht eherim Internet zu veröffentlichen und fortzu-schreiben wären, als kostspielig in Druck-form zu erscheinen.Die Geschichte von Schlesiens Adel ist viel-fältig, wohin man auch blickt. Da gibt es kon-fessionelle und wirtschaftliche Unterschie-de. Manche Geschlechter haben lange aufein und denselben Gütern gewirtschaftet,und da ist Grundherrschaft ganz eng mit der

Territorialgeschichte verbunden. Wie kam esdagegen in anderen Familien zu häufigenGüterverkäufen und Besitzwechseln? Wieverhielt sich der Adel in den großen Verän-derungen der Landesgeschichte, sei es imDreißigjährigen Krieg, beim Herrschafts-wechsel Habsburg/Preußen, der Säkulari-sation geistlichen Grundbesitzes und derBauernbefreiung oder der Industrialisie-rung? Wie sah das eher unspektakulärelandständische Wirken in Friedenszeitenaus? Was leistete sich der Adel, und wasleistete er als Landeselite? Wie waren dieAdelsbibliotheken beschaffen, und was gabes für Sammlungsschwerpunkte? So man-nigfach die Fragen, so unterschiedlich dieHerangehensweise der Autoren auf der Ta-gung und ihre Erkenntnistiefe im Tagungs-band. Die Zahl qualifizierter Referenten istüberschaubar. Sie stammen vielfach von denbeteiligten Hochschulen oder haben für ih-ren Hochschulabschluß zu einer Spezial-frage gearbeitet.Einige Male werden Grabdenkmäler be-trachtet und als aussagekräftige Quellengenutzt. Tatsächlich begegnet man demüberwiegend protestantischen landstän-digen Adel Niederschlesiens zwischen Re-formation und Dreißigjährigem Kriegs aufmehr als 1000 erhaltenen Grabplatten. DieBeziehungsgeschichte (Sektion II) fällt etwastheoretisch aus. Hier wird in sechs Beiträ-gen versucht, die Außenwirkung nachzu-zeichnen und umgekehrt äußere Einwirkun-gen auf Schlesien zu orten.Etwas dürftig fällt Sektion III zu Politik, Wirt-schaft und Verwaltung mit vier Beiträgen aus.Mit der letzten Sektion, „Bildung und Mäze-natentum“, sind sicherlich viele Assoziatio-nen verbunden. Auch diese Beiträge müs-sen sich nach Raum und Zeit beschränken.Geht man allein den Adelsresidenzen nach,hat man schon Stoff für viele Tagungen.Betrachtet man die Adelsbibliotheken, soverzehrt man sich leichter in der Verlust-geschichte, als zur Substanz vorzudringen.Und doch sind es die neuen Fragestellun-gen, die bei allen Verlusten dennoch Aussa-

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Hauptstadt polnischer Kultur,Hauptstätte deutscher Unkultur

gen und teilweise auch Rekonstruktionenzulassen. Forschung ist eben handfest undmethodisch mehr als nur eine staunendeAußensicht.

Damit bieten die Beiträge eben doch stetsneue, spannende und anregende Einblicke,die man weiter vertieft sehen möchte. Dasist überhaupt das durchgängige Kennzei-chen und die zentrale Einschätzung: Schle-siens Adelsgeschichte ist integraler Bau-stein zum Verständnis schlesischer Kunst,Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Mit denbeiden Bänden wird dazu ein Einstieg ge-boten.

Stephan Kaiser (KK)

Dieter Schenk: Krakauer Burg. Die Macht-zentrale des Generalgouverneurs HansFrank 1939–1945. Christoph Links Verlag,Berlin 2010, 29,90 Euro

Am 1. September 1939 um 4.50 Uhr teilteder Kommandant des polnischen Munitions-depots auf der Westerplatte bei Danzig demKommando der Kriegsmarine in Gdingen/Gdynia mit: „Um 4 Uhr 45 hat der Panzer-kreuzer ‚Schleswig-Holstein‘ das Feuer ge-gen die Westerplatte aus allen Rohren eröff-net. Die Beschießung dauert noch an.“ Da-mit begann der Zweite Weltkrieg, an dessenEnde rund 50 Millionen Tote zu beklagenwaren. Das erste Opfer der bewaffnetenLandnahme war Polen, das aufgrund desHitler-Stalin-Paktes von den Deutschen undden Sowjets entlang einer definierten Liniegeteilt wurde. Für die Besetzten, Polen undJuden, begann eine Leidenszeit, die erst imJahr 1945 ein Ende hatte. Es ist zwar nichtauszublenden, aber über das Leid der pol-

nischen Juden soll hier weniger geredetwerden. Vielmehr geht es um die Terrorherr-schaft der Nazis über Polen als Staat bzw.was davon übrig war. Organisiert wurdender Terror und die Ausbeutung Polens nichtaus Polens Hauptstadt Warschau, sondernvon Krakau aus. Damit sollte dem zu erwar-tenden Widerstand Polens einerseits dieSpitze genommen werden, andererseitswar es als demütigende Geste zu verstehen.Das ‚Generalgouvernement‘ genannte be-setzte westpolnische Gebiet wurde vom ‚Ge-neralgouverneur‘ Hans Frank regiert. Undwie!

Dieter Schenk, pensionierter Kriminaldi-rektor und seit 1993 als Forscher in NS-An-gelegenheiten in Polen renommiert (z.B.legte er 2006 eine Biographie über HansFrank vor, 2007 folgte eine Studie über denLemberger Professorenmord), hat nun einBuch über die Krakauer Burg, die Macht-zentrale des Generalgouverneurs, vorge-legt. Zwar ist es so abwegig nicht, Krakauals Polens heimliche Hauptstadt zu bezeich-nen, schließlich war es auch zeitweise diepolnische Hauptstadt, außerdem sind allepolnischen Könige in der Gruft der Kathe-drale auf dem Wawel bestattet, ebenso so-wie der jüngst bei einem Flugzeugabsturzgetötete Staatspräsident Lech Kaczynski.

Dem prunk- und karrieresüchtigen HansFrank kam der Wawel als Regierungssitzdurchaus gelegen. In den Räumen, die rück-sichtlos nach seinen Vorstellungen umgemo-delt wurden, empfing er NS- und den Nazisgenehme Prominenz zahlreich zu ausschwei-fenden Galadiners und anderen pompösenFesten. Sehr bald geisterte der Spitzname„König von Polen“ durchs Land. Auch hingihm der Spruch an: „Im Westen liegt Frank-reich, im Osten wird Frank reich.“ Damit istdie eine Seite des hemmungslosen Lebeman-nes beschrieben. Die andere Seite läßt sicherahnen, wenn man weiß, daß er auch als„Schlächter von Polen“ bezeichnet wurde.

Die Besatzung des Wawel traf die Polen nichtganz unvorbereitet. Der Chefkonservator,

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der Architekt Adolf Szyszko-Bohusz, bean-tragte im Mai 1939 in Warschau Geld zur Si-cherung des Schlosses im Falle eines Krie-ges. Es wurde ihm verweigert mit der Be-gründung, man habe schließlich einen Nicht-angriffspakt mit Deutschland unterzeichnet.Also griff Szyszko-Bohusz auf seinen eige-nen Etat zurück, ließ unter dem Ostflügel desSchlosses einen Luftschutzbunker bauenund Transportbehälter für die 136 wertvol-len Tapisserien aus der Zeit des Königs Si-gismund August herstellen.

Unter abenteuerlichen Umständen endetedie Odyssee der Tapisserien am 13. Juli1940 in Halifax, Kanada. Die Rückkehr dau-erte etwas länger: Erst am 16. Januar 1961kehrten die Teppiche zurück. Kanada hattedie Rückgabe verweigert mit der Begrün-dung, man habe die Teppiche von einem frei-en Staat übernommen, während jetzt eineDiktatur die Rückgabe verlange. Selbst dieUNO wurde eingeschaltet.

Während man im Falle dieser Tapisserienvon einem glücklichen Ende sprechen kann,ist das im Falle vieler anderer Kunstgegen-stände nicht der Fall, denn Hans Frank warnicht nur „Kunstkenner, Kunstliebhaber,Kunstmäzen“ (wie er selbst sich bezeichne-te), sondern auch „Kunsträuber“. Er war zwarnicht der einzige Kunsträuber auf polni-schem Boden – Himmler, Göring und alleanderen Chargen hielten mit, so gut es ging–, aber er war wohl der umtriebigste. Ge-meinsam mit dem von Göring entsandten‚Sonderbeauftragten für die Erfassung derKunst- und Kulturschätze im Generalgouver-nement‘, Dr. Kajetan Mühlmann, plünderte erPolen systematisch aus.

Nach drei Kategorien – die erste Kategoriewaren für Hitler vorgesehene Kunstwerke,die beiden anderen standen zur Verwendungdes Generalgouverneurs – verkündeteFrank im Herbst 1942 seine „Erfolgsbilanz:Rund 90 Prozent des gesamten Kunstbe-standes des ehemaligen Polens“ seien „imGebiet des Generalgouvernements sicher-gestellt worden“.

Wer nun glaubt, damit sei Frank ausgelastetgewesen, der irrt. Daneben organisierte erdie Auslöschung der Juden in Polen undOstgalizien, versuchte den Schwarzmarktder polnischen Bevölkerung zu unterbindenund fand immer wieder Zeit zu Besuchenvon Oper, Schauspiel und Konzerten, dar-geboten von Spitzenkräften aus dem Reich.Hans Pfitzner, Heinrich George, die WienerSymphoniker gastierten – in Krakau ließ essich als Besatzer herrlich leben. Noch am 9.Januar 1945, als die Russen vor den Torender Stadt standen, besuchte Frank mit Ge-folge ein Konzert. Es gab Schuberts „Un-vollendete“. Am 17. Januar 1945 floh er ausKrakau nach Oberbayern. Im Gepäck hatteer u.a. Gemälde von Leonardo da Vinci,Rembrandt, Peter Paul Rubens, Lucas Cra-nach d.Ä., Jan Breughel und Albrecht Dürer.Raffaels „Bildnis eines jungen Mannes“ z.B.ist seither verschollen.

Polnischem Widerstand, der nach dem Fallvon Stalingrad zunahm, wurde brutal begeg-net. Dafür hatte sich der begabte Jurist HansFrank, der sich Hitlers Protektion immer si-cher sein konnte, ein eigenes Gesetz ge-schaffen, mit dem der Willkür Tor und Türgeöffnet waren. Krakau ist zwar das Schick-sal Warschaus, die nahezu vollständige Zer-störung, erspart geblieben. Gleichwohl wardie Stadt nach der Flucht der Deutschennicht mehr die gleiche. Von den 1939 ca.60000 Juden in Krakau hatten etwa 4000überlebt. Kurzfristig stieg die Zahl der Ju-den auf etwa 10000. Doch Pogrome wie derin Kielce und andere sorgten dafür, daß dieZahl schnell wieder sank.

Heute ist Krakau Weltkulturerbe und wirdvon zahllosen Touristen besucht. Eine per-sönliche Anmerkung: Es gibt wohl nichtsSchöneres, als auf dem Ring/Rynek zu früh-stücken und dann an der Peter- und Pauls-kirche, der „kleinsten“ Kirche Polens – siehabe nicht einmal Platz für die zwölf Apo-stel, die müßten draußen stehen, heißt esscherzweise –, vorbei auf den Wawel zu ge-hen.

Ulrich Schmidt (KK)

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Literatur und Kunst

Er kündet nicht mehrDer „Künder der deutschen Seele“ Hermann Stehr

findet heute kaum noch Leser

Am 11. September 1940 starb HermannStehr. Am 15. September wurde er auf demFloriansberg gegenüber seiner VaterstadtHabelschwerdt zur letzten Ruhe gebettet.Hermann Stehrs umfangreiches Werk ist beiuns nahezu vergessen worden. Nur nocheines seiner Bücher kann man heutzutageim Buchladen kaufen, die Novelle „Der Schat-ten“ (1905).

Das Lesepublikum von einst gibt es nichtmehr, und die jungen Leser von heute inter-essieren sich für andere Themen. Zum Nach-lassen des Interesses an Hermann Stehr undseinem Werk trug allerdings nicht unwesent-lich bei, daß man dem Dichter in den Jahrennach dem Zweiten Weltkrieg eine Nähe zumNationalsozialismus unterstellte. Bekanntist, daß er nach der Machtübernahme gegen-über der neuen Herrschaft keinen Wider-stand leistete, sondern sich gewissermaßenanpaßte. Stehrs grundsätzliche Haltung innationalen Fragen war schon Jahre vorhergeprägt worden. Im Wilhelminischen Kaiser-reich konnte er sich zeitweise als Regime-kritiker verfemt fühlen. Nach dem Ende desErsten Weltkriegs identifizierte er sich mitdem Vaterland, wie es andere Dichter (z.B.Gerhart Hauptmann) auch taten. Die Wen-dung zum völkisch-konservativen Lagerwurde ab 1930 immer deutlicher. Er be-schritt seinen Weg als Nationalkonserva-tiver.

Es war keine Überraschung, daß der Dich-ter den Beginn der neuen Herrschaft im Jah-re 1933 mit großen Hoffnungen verfolgte.Sein Leben ging denn auch problemlos wei-

ter, und es fiel Glanz auf ihn. Der Träger derGoethe-Medaille 1932 erhielt 1933 denGoethepreis der Stadt Frankfurt am Main.1934 wurde er Ehrendoktor der Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau. HermannStehrs 70. Geburtstag im Jahr 1934 wurdezum Staatsakt in der Berliner Akademie derKünste. Im selben Jahr erhielt er den Adler-schild des Deutschen Reiches durch Paulvon Hindenburg, den Reichspräsidenten; eswar die höchste Auszeichnung, die Deutsch-land zu vergeben hatte. Der nationalsoziali-stische Kulturbetrieb feierte ihn als „Künderder deutschen Seele“ und pries ihn wegenseiner „völkischen Erdverbundenheit“.

Hermann Stehr fühlte sich durchaus ge-schmeichelt, entzog sich aber klugerweiseweitgehend der Vereinnahmung. Im Unter-schied zu den Autoren, die das Exil wählten,entschied er sich dafür, in Deutschland zubleiben. Er widmeten sich unpolitischen The-men, manchmal auch ländlichen oder ge-schichtlichen Gegenständen, die mit der ak-tuellen Ideologie nichts zu tun hatten. Wenner sich in romantische Bereiche zurückzog,was eine Mystifizierung der Natur einschloß,begab er sich allerdings in gefährliche Nähezur Blut-und-Boden-Dichtung des DrittenReichs. Hermann Stehrs Epik stand in derTradition des 19. Jahrhunderts. Man kannsein Schaffen weitgehend der „Heimatkunst“zurechnen.

Hermann Stehr wurde am 16. Februar 1864in Habelschwerdt in der Grafschaft Glatzgeboren. Als Lehrer in Pohldorf (Kreis Ha-belschwerdt) verdiente er anfangs sehr

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wenig Geld, doch Ehe, Kinder und erste lite-rarische Erfolge ließen es für die Schulbe-hörde unumgänglich erscheinen, ihn im Jah-re 1900 in den Industrieort Dittersbach beiWaldenburg zu versetzen. 1911 schied Stehrwegen eines Ohrenleidens aus dem Schul-dienst aus. Nun konnte er sich ausschließ-lich seinen literarischen Vorhaben widmen.

Walther Rathenau und andere Freunde er-möglichten Stehr das Leben eines freienSchriftstellers. Auf diese Weise kam es imJahre 1919 zur Übersiedlung nach BadWarmbrunn. 1918 erschien der zweibändigeRoman „Der Heiligenhof“, der ihn endgültigaus finanziellen Nöten befreite. 1926 folgtemit Unterstützung seines Mäzens, des Textil-unternehmers Max Pinkus, der Umzug desDichters mit seiner Familie nach Ober-schreiberhau im Riesengebirge. Hier ent-standen zahlreiche Werke. Das letzte große

Vorhaben, das Romanwerk über das „Ge-schlecht der Maechler“, vermochte der Au-tor nicht abzuschließen. Am 11. September1940 starb er in Oberschreiberhau.

Als Hermann Stehr starb, empfand GerhartHauptmann große Trauer. Ihre Bekannt-schaft war damals 40 Jahre alt. Eine allmäh-liche Entfremdung hatte sich während derNS-Zeit ergeben, obwohl Stehr weiterhindas nahegelegene Haus „Wiesenstein“ auf-suchte und auch die Korrespondenz weiter-ging. Gerhart Hauptmann war die FörderungHermann Stehrs durch das Regime nichtwillkommen, doch schätzte er seine dichte-rische Gestaltungskraft.

Schlesien war im Barock die Heimat derMystik gewesen. Dieses mystische Grüb-lertum, das sich bei Stehr mit düsterer Wirk-lichkeitserfahrung und religiösem Erlö-sungsverlangen verbindet, durchzieht alleseine Romane und Erzählungen. Die meistensind in Schlesien angesiedelt. Wie GerhartHauptmann als Dramatiker erzählte Her-mann Stehr als Epiker mit nüchternem Rea-lismus der Sprache von Schicksalen armer,gequälter Menschen, die den Weg aus irdi-scher Verstrickung suchen. Im Bekennen ih-rer inneren Krisen begreifen und überwin-den sie ihr Schicksal, indem sie sich ihmergeben und seine innere Notwendigkeitbejahen. Stehr gestaltete triebhaft verfan-gene, seelisch erkrankte und in dumpferAusweglosigkeit leidende Menschen, dienach Erlösung suchen. Immer blickt bei ihmdie mystische Ahnung eines Jenseits hin-durch.

Zum Bekenntnis seines eigenen Ringens umGott wurde der große Roman „Der Heiligen-hof“ (1918). Es ist eine Geschichte von derSelbstvergottung des Menschen und sei-nem Weg zu einem in der Stille der Seeleversunkenen Glauben: „Wem die Welt nichtSeele wird, findet durch sie niemals zu Gott.“Schwächer geriet seine Romantrilogie „DasGeschlecht der Maechler“. Hier wird die Ge-schichte einer schlesischen Familie von1848 bis 1918 erzählt. In diesen Romanen

„Sich selber unbegreiflich“: Hermann StehrBild: Archiv

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Klangfarben, FarbklängeDas synästhetische Werk des Malers, Musikers und Essayisten

Rudolf Halaczinsky in Düsseldorf

wandern die Menschen zwischen Tat undTraum, „sich selber unbegreiflich“.

Zwar sind Hermann Stehrs lyrische Versu-che künstlerisch nur selten geglückt, als Dra-matiker vermochte er noch weniger zu bie-ten, doch sein Gesamtwerk ist reichhaltigund groß. Die Bedeutung diesesSchaffenswurde in der Zeit nach dem Zweiten Welt-krieg nicht mehr hinreichend gewürdigt.Neuere Publikationen nähren die Hoffnung,daß er wieder objektiver betrachtet wird.

Um das literarische Schaffen des Schlesi-ers voll zu würdigen, ist es notwendig, daß

der Nachlaß des Dichters ausgewertet wird.In Wangen im Allgäu gab es ein Hermann-Stehr-Archiv, das mit zahlreichen ungedruck-ten Gedichten sowie den Vorarbeiten zuzwölf Romanen aufwarten konnte; es befin-det sich heute im Literatur-Archiv Marbacham Neckar. Ein Teilnachlaß von HermannStehr liegt in der Handschriftenabteilung derStadt- und Landesbibliothek Dortmund. Dasgesamte Archiv des Dichters sollte zusam-mengeführt und dann systematisch er-schlossen werden.

Klaus Hildebrandt (KK)

„Die Widersprüche sind das kontrastieren-de Element einer jeden Kunst, denn sie ver-langen das Lot, das Ausgleichen, damit derWeg zu sich selbst gefunden werden kann.Sich selbst zu finden aber heißt, sich selbstzu verlieren, sich selbst zu vergessen.“ DasZitat von Rudolf Halaczinsky widerspiegeltdas künstlerische Credo, dem sich derMusiker und Maler verschrieben hat. ImDüsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus istdie Ausstellung „Beziehungen. Bild undKlang – Dem Wesen des Schöpferischenauf der Spur“ mit ausgewählten Ölbildernund Aquarellen sowie Manuskripten undKompositionsblättern von Halaczinsky zusehen.

Der 1920 in Radlin-Emmagrube/Oberschle-sien geborene Rudolf Halaczinsky wuchs ineiner musikalisch und künstlerisch engagier-ten Familie auf. Die Hausmusik, die er imElternhaus mitbekam, war der Grundstockfür seine spätere Auseinandersetzung mitder Musik. Von 1930 bis 1937 besuchte erdas deutsche Minderheitengymnasium inRybnik und das humanistische Gymnasiumin Oppeln. 1940 studierte er an der staatli-

chen Hochschule für Musik in Graz Klavier,Komposition und Dirigieren, wurde aberbald zum Wehrdienst einberufen. In derNachkriegszeit war er als Korrepetitor, Ka-pellmeister und Hauskomponist in Augs-burg tätig. Nach einem weiteren Studiuman der Akademie der Tonkunst Münchenwirkte er als Kantor der Herz-Jesu-KircheRheydt, als Musikerzieher in Mönchenglad-bach und folgte von 1971 bis 1984 einerBerufung als Dozent für Musiktheorie an dieUniversität Köln. Er starb im Jahre 1999 inBensberg bei Bergisch Gladbach.

Zeitlebens war Rudolf Halaczinsky von derMusik der Spätromantik und des Impressio-nismus beeindruckt. Dennoch entdeckte erim Jahre 1955 durch die Zuwendung zurMalerei eine weitere Dimension künstleri-schen Gestaltens. Die Vorstellung von derLandschaft als „musikerfülltem Raum“, vonder Welt, „die aus dem Klang entsteht“, dieVerschmelzung von Musik und Malerei wur-de zu einer Leitidee seines Schaffens. Fürden Künstler stand nicht die Kontinuität äu-ßerlicher Erscheinungsform von Kunst imSinne stilistischer Gradlinigkeit im Zentrum

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seines Schaffens. Vielmehr galt es für denSynästhetiker, ein Thema mit den Mitteln derMalerei und Musik darzustellen und damiteine tiefere Wahrnehmung zu erzielen. AlsMaler gehört Rudolf Halaczinsky zu denwenigen Künstlern, deren Werke, auf ultra-leichtem Spezialpapier im Original verewigt,im Raumschiff „Mir“ um die Erde kreisten.

Charakteristisch für die Musik Halaczinskysist ihre klangliche Farbigkeit. Sein komposi-torisches Schaffen – rund 100 Werke derOrchester-, Chor-, Klavier-, Kammer- undKirchenmusik – wurde im In- und Auslandmehrfach ausgezeichnet.

In der Präsentation im Gerhart-Hauptmann-Haus sind unter anderem auch Arbeiten zusehen, die belegen, daß der Künstler dasgleiche Thema sowohl mit malerischen alsauch mit musikalischen Mitteln behandelt hat.Zu den Kompositionen und Bildern, die ineiner korrespondierenden Wechselwirkungentstanden sind, gehören die Poèmes „Lu-mière imaginaire“ und „Lumière sonnante“ fürgroßes Orchester und Tonband sowie dasPoème „Tönende Sonne“ für Klavier zum

gleichnamigen Bild und das daraus erwach-sene Konzert für Klavier und Orchester. Soetwa gibt es auch zu dem Orgelwerk „OM“op. 49 eine gleichnamige Ölmalerei. Dem Bild„Nachtklang“ entsprechen die Werke op. 71und 71a mit gleichem Titel für Kammer- bzw.großes Orchester. Zu den beeindruckendenExponaten zählen symbolträchtige Ölbilderwie „Golgatha 2000“, „Kristallisation“, „Ro-ter Farbklang“ und „Urlicht“ ebenso wie dieMischtechnikarbeiten „Dunkler Farbklang“und „Inferno“.

Beim Betrachten dieser Bilder scheinen dieGrenzen zwischen Malerei und Musik zuverschwimmen. Die Weite des Kosmos unddie Faszination des Lichtes bestimmen the-matisch das gesamte künstlerische Schaf-fen Halaczinskys. Auf der Leinwand einer-seits mit ausdrucksvollen Farben und Moti-ven experimentierend, andererseits aberzugleich der Zartheit eines Aquarells folgend,beherrschte der Künstler in seinen Kompo-sitionen auch die Bandbreite von der Spät-romantik bis zur Zwölftonmusik.

Zu den Höhepunkten der Ausstellung gehörtzweifelsohne auch die Vitrine mit dem letz-ten Aquarellbild, der unvollendeten Kom-position „Adagio“ op. 88, datiert vom 15. 7.1999 sowie der von Halaczinsky genutztenMal- und Schreibutensilien.

Kurz vor seinem Tod beschäftigte sich derKünstler mit Grundsatzfragen. „Von allem,was ich in meinem Leben, in der Musik, derMalerei und auch in meinen schriftstelleri-schen Arbeiten versucht habe zu leistenoder versuche noch zu schaffen, was wirddavon Bestand haben, was wird nicht um-sonst gewesen sein, was habe ich schöpfe-risch zustande gebracht, was werde ich inmeiner mir noch verbleibenden Zeit vondem, was in mir vorhanden ist, zu Wege brin-gen? Ist es überhaupt wichtig, daß es ge-schaffen wurde, noch geschaffen wird, in derSchöpfung, in der bereits schon alles vor-handen ist bzw. bereits alles geschaffenwurde?“

Dieter Göllner (KK)

Rudolf Halaczinsky: Tönende SonneBilder (auch S. 10): der Autor

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Manchmal altmeisterlich, nie altbackenDer zeichnende Erzähler Reiner Zimnick

Japanisch, Katalanisch, Niederländisch, dieBantusprache Xhosa, Baskisch, Afrikaans,Schwedisch, Dänisch, Finnisch und Tsche-chisch – dies sind die Sprachen, in die dieBücher Reiner Zimniks (vorwiegend sogarin den letzten Jahren) übertragen wurden;und in die gängigen Weltsprachen ohnehin.In einer persischen Ausgabe erschienen „DieTrommler“ 2004 sogar im iranischen Tehe-ran. Dieser gar nicht verwunderlichen Wert-schätzung im Ausland entspricht ein son-derbares Ignorieren seines Werkes im deut-schen Sprachraum. Reiner Zimnik – einName, den keiner mehr nennt (und kennt)?

Fest steht: Das Fachjournal „Gebrauchsgra-phik“ irrte in seiner Septemberausgabe desJahres 1955, als es prophezeite, mit ZimniksZeichnungen und Geschichten „ließe sich einWelterfolg erreichen, wie ihn vor Jahren diePariser Librairie Hachette mit den unverges-senen Elefantengeschichten ‚Babar‘ buchenkonnte“. Solchen Ruhm erlangte der 1930geborene Reiner Zimnik nie, stets blieb eretwas für eine überschaubare Zahl vonConnaisseurs, mochte auch Joachim Fuchs-berger seinen „Jonas, den Angler“ lesen,mochten seine künstlerischen Arbeiten auchin Zürich in der Galerie des renommiertenDiogenes-Verlegers Daniel Keel ausgestelltwerden, mochte er auch Bücher von Joa-chim Hackethal, Walter Henkels und GerhardPolt illustrieren.

Der Vater war im Krieg gefallen, ZimniksMutter wurde mit ihren fünf Kindern aus demoberschlesischen Beuthen vertrieben undfand Unterkunft bei Verwandten in Landshutin Niederbayern. Wer als Erwachsener Ge-schichten erzählen will, sollte, wie Zimnik,bereits als Kind Geschichten gelauscht ha-ben. Der Mutter habe er seine Begabung zuverdanken, teilte er später mit: „Nach mei-ner Flucht aus meiner ursprünglichen Hei-mat und meiner beschirmten Kindheit, da

ging es uns schlecht. Da hat uns in unsererArmut für ungeliebte Arbeiten – zum Bei-spiel Holzsammeln im Wald – unsere Mut-ter als Belohung immer eine (erfundene) Ge-schichte erzählt.“ Doch es lag in jenen Jah-ren nahe, das Handwerkszeug für einenBrotberuf zu erlernen, folglich absolvierteder junge Zimnik eine Schreinerlehre (wes-halb er – eine seltene Doppelbegabung –die Rahmen seiner Bilder selbst fabrizierenkann). Gleichwohl siegte das Faible fürsKünstlerische: er holte das Abitur nach, umab 1952 vier Jahre Malerei und Grafik ander Akademie der Bildenden Künste in Mün-chen zu studieren.

In rascher Folge erschienen von 1954 biszu den frühen siebziger Jahren knapp zwan-zig Bücher, die literarisch wie zeichnerischvon gleicher hoher Bedeutung sind. Einzel-gänger, liebenswerte Außenseiter sind eszumeist, die Zimnik zeichnend und erzäh-lend präsentiert, ebenso poetisch wie me-lancholisch. Zimnik wandte sich gleicherma-ßen an Kleine wie an Große, doch für Kinderwar der Stoff mitunter etwas zu niveauvollernst, für Erwachsene hingegen manchmalwohl etwas zu kindlich verspielt. Dem„Kinderbuchkönig“, so die „Zeit“ 1980, man-gelte es ein wenig an dem, was man später‚Zielgruppenorientierung‘ nennen sollte. Alsdie Abstraktion en vogue war, als die Intel-lektualität der Nachkriegsjahre überwiegendder Ungegenständlichkeit huldigte, hieltZimnik antizyklisch dagegen: er moderni-sierte die altmeisterliche Federzeichnung, einwenig an Paul Flora erinnernd, und schufschöne Sätze, die nie vergißt, wer sie einmalgelesen hat: „Was die Jagd in den Wäldernso schwierig macht, sind die Bäume.“

Die größten Erfolge gelangen Zimnik mitseinem bayerisch grantelnden „SebastianGsangl“ und der Figur des „Lektro“, einesliebenswerten Männleins wie du und ich, das

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KK-Notizbuch

Der tschechische Filmemacher DavidVondrácek erhält den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis der StiftungZentrum gegen Vertreibungen 2010.Gewürdigt wird damit sein mutiges Eintre-ten für Wahrheit und Anteilnahme mit demDokumentarfilm „Töten auf Tschechisch“über die Ermordung deutscher Zivilisten inder Tschechoslowakei kurz nach dem

sich chaplinesk müht, im (e)lektronischenZeitalter seinen eigenen Weg zu gehen unddabei integer zu bleiben. Als das Fernsehennoch jung war und neben Masse auch einigeKlasse produzierte, wurde der „Lektro“ so-gar televisualisiert. Von 1959 bis 1964 zeig-

te das Fernsehen Lektro-Geschichten; ruhigund bedächtig, ohne die heute üblichenschnellen Schnitte. Aus „hundert Tusch-zeichnungen, zehn Seiten Text und einpaar Takten Musik“ entstand, so der „Spie-gel“ im Januar 1961, ein „Kabinettstück desSchmunzelhumors“.

Als Zimnik das Bücherschreiben und Bücher-malen reduzierte und sich auf die freie bil-dende Kunst verlegte, sank seine Populari-tät, denn seine Zeichnungen – verstören-de Frauenakte und vermummte Männer imSchneegestöber – entzogen sich der leicht-fertigen Deutung eines breiteren Publikums.

Seit fast fünfzig Jahren nun lebt Zimnikin München, in der Veterinärstraße in Schwa-bing zwischen Universität und EnglischemGarten. Am 13. Dezember wird er 80 Jahrealt – und es wäre an der Zeit, sein Gesamt-œuvre aus 55 Jahren in einer angemessenwürdigen Ausstellung zu präsentieren undihm auch in Deutschland (wieder) jene Aner-kennung zu verschaffen, die ihm gegenwär-tig vorwiegend im Ausland zuteil wird. Wersich einen ersten Überblick verschaffenmöchte, der greife zum „Großen ReinerZimnik Geschichtenbuch“, 2003 in zweiterAuflage in seinem Zürcher Hausverlag Dio-genes erschienen, mit elf seiner frühen Bild-geschichte.

Martin Hollender (KK)

Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Preisver-leihung erfolgt am 28. November in derFrankfurter Paulskirche.

Die Copernicus-Vereinigung für Ge-schichte und Landeskunde Westpreußensund die Ostseegesellschaft führen vom12. bis zum 14. November in der Ostsee-Akademie im Pommern-Zentrum Trave-

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Unter dem Titel ZeiTräume präsentiertsich der Verband Ungarndeutscher

Autoren und Künstler (VUdAK) biszum 9. Januar 2011 mit einem Überblicküber das bildnerische und schriftstelle-rische Schaffen der Mitglieder im Donau-schwäbischen Zentralmuseum Ulm.

Dieses Heft wurde gedruckt mit Unter-stützung des Beauftragten der Bundesre-gierung für Kultur und Medien. (KK)

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