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Besprechungen

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B E S P R E C H U N G E N

KLAUS HEINEMANN/KNuT DIETRICH (Hrsg.):

Der nicht-sportliche Sport

Schorndorf: Hofmann 1989. 257 S.; DM 35,80

Ein provozierender Titel -- Contradictio in adjecto --, der neugierig macht. Gemeint ist nicht der ,unsportliche, also unfaire Sport, sondern eine neue Art von Sport, die in den letzten Jahren entstanden ist und welt iiber das hinausgeht, was den Sport friiher deft- niert hat oder was seine ,Ideologen" dafiir ausgegeben haben: Carl DIEM zum Beispiel. Im Vorwort wird auf ihn Bezug genommen: ,Als Carl Diem 1960 seine Arbeit ,Wesen und Lehre des Sports' schrieb, gab es fiir ihn klare Kriterien der Ausgrenzung dessen, was Sport ist", heil~t es im ersten Satz. Aber das Buch von Carl D I ~ erschien bereits 1949. Die zweite Auflage (von 1960) hatte dagegen den Titel ,Wesen und Lehre des Sports und der Leibeserziehung". Und in beiden F~illen enthielt es keine ,Kriterien der Ausgren- zung dessen, was Sport ist, sondern h6ch- stens, was Nicht-Sport ist. Es war aber mehr -- wie der Titel sagt -- eine Wesensbeschrei- bung des Sports und der Leibeserziehung. Der von H H ~ N N und DtETRICH heraus- gegebene und 1989 im Hofmann-Verlag er- schienene Sammelband enth~ilt 18 Beit~ge von zum Tell renommierten, aber auch in der sportwissenschaftlichen ,Szene" noch unbekannten Autoren. Verschiedene Aspek- te eben desjenigen ,Sports" werden behan- delt, der das klassische Dn~Msche Sportver- st~indnis iiberschreitet oder ihm entgegen- steht. Im ersten Tell wird versucht, diese Ab- grenzung im lDberblick und Prinzip zu cha- rakterisieren; im zweiten, wohl wichtigsten, geht es um konkrete Formen und Inhalte dieses nicht-sportlichen Sports, im dritten

um seine Organisationsformen; und zum SchlulS werden materiale und ~umliche Di- mensionen -- sprich: Sportger~te und Sport- st~itten -- unter die Lupe genommen; jedem Kapitel ist eine knappe Einfiihrung vorge- schaltet.

Das Buch versteht sich als erster Zugang zu neuen Entwicklungen des Sports, wobei die Beit~ge thematisch und in der Qualit~it zum Tell welt auseinanderliegen und die Heraus- geber nicht selten grof~e Mhhe haben, we- nigstens in Ans~itzen einen Zusammenhang des Auseinanderstrebenden herzustellen. Abet genau das macht die Lektiire spannend und spiegelt auch eine Art Gemeinsamkeit des nicht-sportlichen Sports wider -- das Di- sparate und Heterogen~ HEIN~AN~,~ und DIETVaCH versuchen in den ersten beiden Aufs~tzen das Ph~inomen zu beschreiben und zu erkl~iren: Durchg~ingiges Kennzei- chen sind seine Untibersichtlichkeit, Vielfalt und Widerspriichlichkeit. Individualisie- rung bei Bewegung, Spiel und Sport auf der einen steht der Wunsch nach Gemeinsam- keit und sozialen Kontakten auf der anderen Seite gegenhber; sportarten-unabh~ingige Formen yon Spiel und Bewegung nehmen zu, aber auch die traditionellen Wettkampf- sportarten; die Attraktivit~it der Vereine ist ungebrochen, gleichzeitig entsteht ein im- mer grSf~erer Markt gewerblicher Sportan- bieter. Fiir all das gibt es laut HErNEMANN noch keine soziologische Theorie, sondern bSchstens Erkl~irungen, seien es solche des sozialen und kulturellen Wandels, der Ve~n- derung der Motivstruktur oder der wirt- schaftlichen und gesellschaftlichen Rahmen- bedingungen. DIETRICH n~ihert sich dem Problem mit dem Begriff der ,Inszenierung" des Sports. Gemeint ist damit, daf~ der Ge- samtzusammenhang aller im weitesten Sinn sportlichen AktivitSten erfalSt und als we-

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sentliches Unterscheidungskriterium ver- wendet werden soll" ,,Sport ~indert sich, wenn sich die Art seiner Inszenierung ~in- dert", heif~t die tautologisch formulierte Ein- sicht, an der im fibrigen auch noch nie je- mand gezweifelt hat. Am Beispiel des Ski- laufs und seiner verschiedenen Inszenie- rungsformen, vom einsamen Langl~iufer bis zum Skizirkus, soll der Wandel des Sports a11gemein deutlich werden. Er ist oftener, vielf~iltiger, bunter, aber auch unverbindli- cher und kommerzieller geworden und wird in erster Linie als Dienstleistung und Ware angesehen. Der Begriff ,Inszenierung" ge- h6rt iibrigens ebenso wie ,Szenarium", ,Ar- rangement" oder ,Milieu" zu den Lieblings- w6rtern nicht nur yon DIETVaC~ sondern des Buchs insgesamt -- sogar Hajo BE~rE~, der einmal mehr beweist, wie aktuell auch ein Historiker schreiben kann, benutzt ihn in seinem Beitrag fiber die Rolle der Medien bei grot~en Sportereignissen. Hier paf~t der Begriff noch am besten, w~ihrend er als Me- tapher zur Beschreibung der aktuellen Sportlandschaft in die Irre ffihrt. Im Sport wird eben in der Regel kein Theater gespielt, sondern er ist Realitiit: Die 15000 Marathon- l~iufer bei irgendeinem Stadtmarathon tun nicht nur so, als ob sie liefen, sie laufen tat- s~ichlich, genauso wie der Skitourismus lei- der nicht nur ,Szenarien" oder ,Arrange- ments" darstellt, die sich nach Belieben -- unter neuen Regisseuren gewissermaBen -- wieder iindern lief~en. Es ist traurige Wirk- lichkeit, auch wenn der ganze ,Skizirkus" nicht selten surrealistische, um nicht zu sa- gen groteske bis perverse Erscheinungsfor- men aufweist. Eike JosTs Beitrag fiber die ,Relativierung der Regel im Spiel" ist nur mit grot~er Mfihe in den thematischen Zusammenhang des Buchs und des Kap. I einzuordnen. Das Re- gelproblem, das yon JosT im fibrigen h6chst fragwiirdig behandelt wird, hat mit dem, was als nicht-sportlicher Sport bezeichnet wird, wenig zu tun. Insofern k6nnte der

Aufsatz auch iiberbliittert werden. Wenn je- doch ,,Nichtsportliches' Spielen" wie Bo- f~eln, Klootschief~en oder New Games als durch normalen Umgang mit Regeln ge- kennzeichnet und damit nahegelegt wird, dat~ sportliches Spielen einen unnormalen Umgang mit Regeln beinhalte, darf dies nicht unwidersprochen bleiben. Welche Re- gel und welcher Umgang mit Regeln ist schon ,normal"? Wesentiich ist doch nicht die triviale Behauptung, da~ unterschiedli- che Spiele auch nach unterschiedlichen Re- geln gespielt wfirden, sondern die konkrete Analyse yon Rahmenbedingungen, Formen, Inhalten, Motiven und ideellen Hintergriin- den, die zur Konstituierung des sogenannten nicht-sportlichen Sports fiihren. Genau dies wird im Kern-Kapitel II des Buchs versucht. Sei es der Artikel fiber das Selbstverstiindnis der Bodybuilder yon An- ne HONER, der Uberblick fiber die Vielfalt an Tanzrichtungen von Ursula FarrscH, der Marathon-Essay yon Hans-Jiirgen ScHtmr~, der Jogging-Aufsatz von Joachim MVO~ZEK oder Ulrich AervutyrHs Darlegungen fiber das Extrembergsteigen -- in jedem Artikel wird, auch oder gerade weil die Autoren auf ihrem Gebiet wirkliche Experten sind, die ihr Thema (meistens) praktisch und theore- tisch beherrschen, auf eigene Weise die Fas- zination dieser .neuen" Sportformen deut- lich. Denn um Sport handelt es sich allemal, auch wenn es dort professionell, kommer- ziell, ,unnatfirlich" und extrem zugeht. Bo- dybuilding ist eben nicht nur ein narzifki- scher K6rperkult, sondern auch Kunst am eigenen K6rper, die auf der einen Seite mit neoklassizistischen Sch/Snheitsidealen legiti- miert wird, auf der anderen Seite abet in Wirklichkeit nicht mehr als eine den Mit~- Wahlen ~ihnliche kitschige Mischung aus Erotik und )ksthetik, aus Kunst und Sex dar- stellt. Das andere Beispiel, n~imlich Jogging, k6nne - meint Joachim Mr.aZEK -- nur noch sekund~ir als Sport oder Sportart ver- standen werden; in erster Linie sei es eine so-

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ziale Bewegung, die individuelle Identit~its- suche ermSglich~ Jogging ist Ausdruck ei- nes neuen Lebensstils und wird von seinen Protagonisten geradezu als Wundermittel ge- gen alles gepriesen. Etwas aus dem Rahmen dieses Kapitels fiillt der Aufsatz Jiirgen FtrN- KES mit dem Titel ,Bewegungskunst -- ein wiederentdecktes Thema menschlicher Be- wegung", der eher philosophisch-ideologi- sche Ziige t~gt: Mittels einer reichlich wag- halsigen Schiller-Interpretation (~thetische Erziehung) wird versucht, dem Sport ~the- tische Qualit~iten ab- und den freien, gaukle- rischen Bewegungsformen, wie sie in den st~idtischen Fu~g~ingerzonen und Parks zu beobachten sind, zuzusprechen. Er geht von einem Grundwiderspruch zwischen ,funk- tionell gebundener Bewegung" im Sport und ~isthetischem Bewegungsspiel aus und stellt sich damit auch explizit gegen Hans LENK, der ja den Sport als ,achte Kunst" bezeich- net hatt~ Abgesehen davon, dab Ft.~r~ die eigentlich neuen und interessanten Fragen zum Verh~iltnis zwischen Sport und Kunst, z. B. die artifizielle Transformation des Sports durch seine mediale Pr~isentation, auiSer acht l~it~t, steht FtsNr~s Schiller-Inter- pretation auf schwachen Ftit~en. SCH~-I.EaS beriihmter Satz, dab der Mensch nur ,da ganz Mensch (sei), wo er spielt, zielte aus- schliefllich auf das ~thetische, nicht auf das physische Spiel und schon gar nicht auf die ,jokulatorische" (FuNr~) ,Erfahrung des Spielens mit der Bewegung" (79). Im Gegen- teil: Nach S c ~ Theorie der Asthetik war diese ,~thetische Erfahrung" des harmo- nischen Ausgleichs zwischen Pflicht und Neigung, zwischen Sinnlichkeit und Ver- stand nur durch Formgebundenheit mSglich. In Kap. III iiber ,Anbieterorganisationen" sticht gleich der erste Beitrag, der von T. Ko- SrNSKI und M. Scm~EKr iiber ,kommerzielle Sportanbieter", hervor. In einer empirischen Studie i~ber gewerbliche Sportanbieter in Hamburg kamen iiberraschende Ergebnisse zutag~ Dieser Markt ist grof~ und bunt, und

die .Symbole" der Kommerzialisierung des Sports, die .Fitnef~- und Bodybuilding-Stu- dios ~, sind nur ein kleiner Teil davon, in Hamburg ganze 13,3%; daneben stehen Tanz- und Gymnastikstudios, Tanzschulen, Schulen fi~r asiatischen Kampfsport, groise Freizeit- und Sportanlagen und viele andere mehr. 27,6% der gewerblichen Sportanbie- ter sind Einzelpersonen, meistens arbeitslose Sportlehrer, die sich eine Nische fiir ihre Existenzsicherung suchen und damit die Marktentwicklung dutch .angebotsinduzier- te Nachfrageeffekte" beeinflussen. Vieles, was heute als kommerzielle Sportanbieter fir- miert, gibt es schon lang~ Neu sind die GrSBe und Dynamik, auch die hohe Fluk- tuation dieses ,Markts". Die Auswirkungen dieser Marktorientierung der Sportszene, auch auf die traditionellen Vereine, und ihre Versuche, darauf zu reagieren, schildern Hans-Georg II.KEa und Volker HAtEr. Beide Beit~ge zeigen, daB der sogenannte nicht- sportliche Sport auch den traditionellen Sportverein erfaBt hat; sie machen abet auch deutlich, wie problematisch die Anwendung dieses Begriffs ist. Der Sport, auch im Ver- ein, ist oftener und vielfiiltiger geworden: differenzierter in Form, Inhalt und Motiva- tion der Sporttreibenden, ohne dab dies gleich als ,Nicht-Sport" klassifiziert werden k/Snnte. DaiS all dem mit groben Schlagwor- ten ohnehin nicht beizukommen ist, sieht man an der Hamburger Turnerschaft, dem ~iltesten und -- mSglicherweise -- auch mo- dernsten Turn- und Sportverein in Deutsch- land. Trotz GroiSvereins, hoher Beit~ge, hauptamtlicher Gesch~iftsfiihrung, indivi- duell abgestimmter Programme, zielgrup- penorientierter Kurse und vereinseigener Studios sind die ,Gesinnungsgemeinschaft" und das ehrenamtliche Engagement nicht verschwunden, hat auch keine Kaufhaus- mentalit~it Platz gegriffen. Qualit~it wird al- lerdings in Zukunft die entscheidende Frage fiir den Sport in Verein und Verband sein, und Probleme bereitet ihnen weniger, will

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man Hans-Georg Itr~t glauben, die Masse derer, die man als Freizeit- und Breitensport- ler bezeichnet, als vielmehr die Frage, ob die Vereine den Hochleistungs- und Spitzen- sport noch tragen k6nnen. Wie Innovation, aber auch Wachstum mit all seinen auch ne- gativen Folgen von den Verb~inden regel- recht ,gepuscht" werden, sieht man bei Vol- ker NACEL, der durch .Modellmai~nahmen ~ die verkrustete Sportartenstruktur der Ver- b~inde zu iiberwinden und z. B. Badminton im Volleyball-Verband (Hamburg) einzufiih- ren versuchte ,Was brauchen wir eigentlich Badminton im Volleyball-Verband? ~, war die .verst~indnislose", abet berechtigte und nut von Volker N^GEL nicht verstandene Frage der Volleyballer. Solche vermeintlichen In- novationen triigen, machten sie Schule, letzt- lich Unfrieden in die Verb~inde und wiirden ihre auf Arbeits- und Kompetenzverteilung beruhende Solidarit~it sprengen, wie dies be- kanntlich in der Frage der Zust~indigkeit des sportarten-tibergreifenden Freizeitsports be- reits geschieht. Daf~ in diesem Zusammen- hang -- aber auch im Buch insgesamt -- die Rolle des Turner-Bundes, der sich gewisser- maBen als durch seine Geschichte und Struktur legitimierter und bereits organisier- ter Sachwalter des sportarten-iibergreifenden Sports versteht, iiberhaupt nicht erw~ihnt wird, zeugt nicht gerade von intimer Kennt- nis der Geschichte und der aktuellen ver- bandspolitischen Probleme des bundesdeut- schen Sports. Anders steht es dagegen mit dem .Sport un- ter den Gesetzen des Marktes ~. HEI~MANN macht mit dem Begriff ,Marktversagen" die Grenzen und Gefahren der Kommerzialisie- rung des Sports deutlich. 0berlief~e man al- les den Gesetzen des Markts, so h~itte dies eine v611ige Anderung von Formen, Inhal- ten und Organisationen des Sports zur Fob ge Die Vielfalt des Sports wiirde beeint~ch- tigt, wenige medien- und publikumswirksa- me Sportarten dr~ingten alles andere an den Rand, und die .Ressourcen" -- sprich: die

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Athleten -- wiirden unter dem Druck kom- merzieller Interessen noch mehr ausgebeutet. Im Schluf~kapitel des Buchs geht es haupt- s~ichlich um neue Sportge~te und ve~nderte Sport~ume Am Beispiel des Windsurfens, dargestellt von Jochen T~ats, und deren nicht-formalisierter, fast subkultureller Be- wegungsweisen, an der alle Vereinnah- mungs-Bemhhungen des Segelverbandes ge- scheitert sind, werden noch einmal der ,Charakter" und die Faszination des nicht- sportlichen Sports erhellt. Ahnliches gilt ~ r Andreas BraNCr~ANNS Artikel iiber die Ver- 8nderung der B~ider- und Schwimmkultur vonder Badeanstalt iiber die Schwimm- sporthalle zum Erlebnisbad o. ~i., die er am Beispiel des ehrwhrdigen Hamburger Holt- husen-Bades veranschaulicht. Hier findet, im Gegensatz etwa zur fast kolonialen Aus- breitung des Skitourismus (vgl. den Beitrag von BOr~/m~), eine dem Trend der Ent- sportung des Sports entsprechende Entfunk- tionalisierung yon Bewegungs~umen statt. Insgesamt gesehen wurde mit dem ,nicht- sportlichen" Sport ein Buch vorgelegt, in dem aktuelle, spannende und offene Fragen des gegenw~irtigen Sports in unterschiedli- cher Perspektive geste|lt werden, ohne den Anspruch auf Vollst~indigkeit und fertige Antworten zu erheben. Nicht alles kann geo sagt werden, und alles Gesagte kann sich in einem Sammelband auch nicht auf gleich hohem Niveau bewegen. Es soll(te) deshalb auch nicht kritisiert werden, was alles nicht geschrieben wurd~ Gleichwohl schmerzen zwei Vers~iumnisse besonders: erstens der Mangel an historischem Bewut~tsein und zweitens der Mangel an redaktioneller Sorg- falt. Die Beseitigung des ersten h~itte erheb- lich zur Relativierung so manches Neuen beigetragen, und die des zweiten h~itte dem Leser das )/lrgernis erspart, st~indig fiber Tipp-, Rechtschreib- und Kommafehler zu stolpern oder im Literaturverzeichnis ver- geblich nach zitierter Litemtur zu suchen.

M. KROGER

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KARLHEINZ SCHERLER:

Elementare Didaktik

Vorgestellt an Beispielen aus dem Sportun- terricht.

Weinheim und Basel: Beltz 1989. 235 S.; DM 46,--

Karlheinz SCHERLER hat ein aut~ergew6hn- liches Buch geschrieben. Bereits das Inhalts- verzeichnis und die Einfiihrung lassen ah- hen, dat~ die ,Elementare Didaktik ~ in kei- hen in der Sportp~idagogik derzeit geb~uch- lichen Rahmen paBt. Die 210 Seiten Text gliedern sich in 85 durchnumerierte Ab- schnitte von ein bis acht Seiten L~inge; die Abschnitte tragen sparsame Uberschriften aus ein bis zwei Worten, von denen die we- nigsten gel~iufige Fachbegriffe sind. In der Einfhhrung liest man dann auch bald, dat~ sich der Verfasser ,Regeln wissenschaftli- chen Benehmens nicht unterwerfen" wolle (16). Diese Aussage bezieht sich dort darauf, dai~ SCriEVa~R in diesem Buch nicht in der dritten Person hinter vorgeblich objektiven Sachverhalten zuriicktreten will, aber sie gilt offensichtlich weiter. Das Buch ist die erste grot~e Zwischenbilanz aus vielen Jahren Hochschullehre iiber Unterricht, in denen SCHEMER einen eigenen, durchaus pers6nli- chen Weg gefunden hat, Praxis und Theorie, Lehre und Forschung zu vermitteln. Wenn das Buch schon auf den ersten (und erst recht auf den zweiten) Blick in Aufbau und Sprache vom Gel~iufigen abweicht, dann driickt das darin das konsequente Bemiihen aus, fiir eine ungel~iufige Lehre die angemes- sene Darstellung zu finden. SCHERU~R beschreibt in seiner Einfiihrung eindringlich sein Unbehagen an der iibli- chen universit~en Lehrweise fiir das Gebiet Didaktik: In Seminarerl und Vorlesungen k6nne nur sehr allgemein oder indirekt iiber Unterricht gesprochen werden; meistens rede man hber Theorien iiber Unterricht

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(16--18); ,Meta-Didaktik" nennt das SC~ER- /~R (vgt. Abschn. 74). Er m6chte in der Aus- bildung von Lehrern mehr iiber konkreten Unterricht reden, also (in seiner Begrifflich- keit) ,Didaktik" betreiben. Dazu geh6rt die Anschauung des selbst durchgefiihrten oder beobachteten Unterrichts; der wichtigste Lehrort fiir eine solche Didaktik ist also die Schule, ihre ideale Lehrweise ist das Auswer- tungsgesp~ch iiber vergangenen Unterricht. Im Unterschied zu Didaktikern, die Vor- schl~ige oder Prinzipien fiir die Unter- richtsplanung entwickeln, will SCHel~ER zu- n~ichst Auswertungsdidaktik betreiben (20). Doch wie stellt man eine solche Didaktik in einem Buch dar? Wie vermeidet man, dat~ in der schriftlichen Fassung Unterricht dann doch wieder nur allgemein zur Sprache kommt? SCHEMER hat fiir dieses Darstel- lungsproblem eine originelle L6sung gefun- den. Er beginnt seine Abhandlung nach der Einfiihrung (Kap. A) mit zw61f F~illen, also Texten, die jeweils eine Unterrichtsstunde oder einen Teil einer Unterrichtsstunde wie- dergeben (Kap. B), und schreitet dann in vier Stufen der Interpretation und Reflexion die- ser F~ille oder Texte voran (Kap. C--F). A1- les, was auf diesen vier Stufen iiber Unter- richt geschrieben ist, bezieht sich auf die zw61f Texte oder den Unterricht, fiir den sie stehen, und gilt, genau genommen, auch nur fiir sie Der Leser des Buches befindet sich damit in einer ~ihnlichen Situation wie der Teilnehmer an einem Auswertungsgespfiich: Es geht um konkreten Unterricht, den er sich vorstellen und in Erinnerung rufen kann. Das gesamte Buch ist hber dieser Ob- jekt-Ebene als induktive Argumentations- treppe aufgebaut. Erst auf ihrer letzten Stufe geht es darum, wie in der Didaktik iiber Un- terricht geredet wird; erst hier findet sich der in didaktischer Literatur versierte Leser in vertrauter Umgebung; aber auch bier noch wird er angehalten, die Argumentation jeweils mit Bezug auf das bisher Gelesene -- und das heii~t letztlich: die zw61f F~ille und

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ihre Interpretation -- zu fiberpriifen. Jeder der zw61f F~ille enth~ilt eine ,,unterrichtliche Differenz, d. h. einen Widerspruch, der im Denken, Sprechen und Handeln der am Un- terricht Beteiligten auftritt. Soweit man es erf~ihrt, geht es um Unterricht vonder zwei- ten bis zur achten Jahrgangsstufe, meistens um vertrauten oder zumindest gut vorstell- baren ,normalen" Sportunterricht, immer in Klassen mit Jungen und M~idchen. Die ,unterrichtlichen Differenzen" sind unter- schiedlicher Art und liegen auf verschiede- nen Ebenen: Differenzen zwischen Schfi- lern, zwischen Lehrer und Schfilern, Wider- sprfiche in den Handlungen des Lehrers. Je- der Fall ist zun~ichst in einer Unterrichtsbe- schreibung, einem knappen Protokollaus- zug, dann in einer Auslegung, die die Diffe- renz pointiert, vertextet. Einp~gsame lDber- schriften und jeweils ein Schlfisselsatz er- leichtern die Erinnerung. Im Kapitel C (Abschnitte 13 bis 40) werden auf einer ersten Abstraktionsstufe ,unter- richtliche Probleme" gefallt; sie werden im wesentlichen als Probleme der Lehrer aufge- griffen und erbrtert, angesichts der in B be- schriebenen Differenzen angemessen zu handeln. Am Schlut~ der kurzen Abschnitte steht jeweils eine kurze Er6rterung mit einer Empfehlung von L6sungsm6glichkeiten. Im Kapitel D (,Didaktische Differenzen") wird jeder Fall des Kapitels B nochmals auf- gegriffen. Jetzt geht es jedoch darum zu ver- deutlichen, dai~ die Auslegung (in B) und die Er6rterung von Problemen und L6sungs- m6glichkeiten (in C) jeweils auf einer, aber nicht der einzig m6glichen Sichtweise des Falles beruhen. Unterschiedliche Sichtwei- sen werden kontrastiert und in ihren Konse- quenzen, insbesondere fiir die Bewertung des Unterrichts, veranschaulicht. Im Kapitel E geht es unter der (mif~verst~ind- lichen) Uberschrift ,Didaktische Probleme" darum, daf~ die Texte des Kapitels B (und zwar schon die Beschreibung, nicht erst die Auslegung) nicht der Unterricht selbst, son-

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dern immer schon eine Interpretation yon Unterricht sind. Scrtz~gR er6rtert in 21 Ab- schnitten verschiedene Verfahren der Unter- richtsdokumentation, ihre Grenzen und Schwierigkeiten. Dabei gelingt es ihm, deut- lich werden zu lassen, daf~ diese fiblicherwei- se als forschungsmethodisch klassifizierten Fragen nicht ausgeklammert werden k6n- nen, ohne den Wert der unterrichtlichen und didaktischen Aussagen zu beeint~chti- gen. Das Kapitel F (,Metadidaktische L6sungen") ist wohl das aufregendste des Buches. Denn hier setzt sich SCHE~rR auf der letzten Stufe seiner Argumentationstreppe mit vertrauten Rede- und Denkweisen der Didaktik ausein- ander. Ihren entscheidenden Mangel sieht er darin, dab sie ihren Gegenstand, den Unter- richt, weitgehend verloren hat und zum Re- den fiber das Reden fiber Unterricht, also zur Meta-Didaktik geworden ist. Scrtr~rss sehr gehaltvolles Buch kann un- ter verschiedenen Gesichtspunkten gewfir- digt werden. Nur auf einige von ihnen l~if~t sich diese Besprechung ein. Anders als BRODVMANtq (sportp~idagogik 14 [1990] 3, 59--61) unterscheide ich in meiner Bespre- chung vier Aspekte, die mir ffir die Beurtei- lung des Buches wesentlich erscheinen. Zu- n~ichst einmal ist die ,Elementare Didaktik" ein Musterbeispiel fiir wissenschafiliches Argu- mentieren. Das gilt f/fir den Aufbau des Bu- ches im ganzen wie f/fir jede einzelne Formu- lierung. In dieser Hinsicht empfehle ich das Buch jedem Sportwissenschaftler, der vor- wiegend mit hermeneutischen (~qualitati- ven ~) Verfahren arbeitet und in ihnen for- schungsmethodische Sicherheit sucht. ScttE~g ist es gelungen, durchweg so zu schreiben, dat~ seine Aussagen kaum mil~ver- standen werden k6nnen, seine Begrfindun- gen und Folgerungen nachvollziehbar sind. So einfach seine Texte oft klingen, so plausi- bel seine Gedanken aufeinander zu folgen scheinen -- dahinter steckt eine langwierige und geduldige Arbeit am Text, wie sie in der

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sportwissenschaftlichen Produktion nicht eben iiblich ist. Dahinter steht aber auch die intensive Auseinandersetzung mit Theorien da~ber, wie man Sprache verst~indigungs- f6rdernd gebraucht und wie man Gedanken- folgen durchsichtig (wenn auch niemals zwingend schliissig) entwickeln kann. In ei- nigen systematischen Abschnitten des Kapi- tels F (bes. 77, 78) sind entsprechende Maxi- men vorgestellt; das Literaturverzeichnis ist reich an diesbezhglicher Hintergrundlitera- tur. Der induktive Aufbau der gesamten Ab- handlung erleichtert das Vorhaben, m6g- Iichst wenig mit Ieeren AIIgemeinbegriffen zu operieren. Was gesagt wird, bezieht sich auf die F~ille des Kapitels B oder auf Inter- pretationen, die auf ihnen aufbauen. Inso- fern wird das Buch jedoch von Kapitel zu Kapitel voraussetzungsreicher. Die Argu- mente des Kapitels F kann nut wiirdigen, wet alles bis dorthin aufmerksam gelesen hat. Das Buch eignet sich also nicht fiir den schnellen Leser, der nut eben einmal nachse- hen m6chte, was in Abschnitt 76 zum didak- tischen Dreieck steht. Die ,Elementare Didaktik" ist zugleich ein Lehrbuch der Unterrichtsforschung mit un- konventionellen, bedenkenswerten Empfeh- lungen. Bereits mit den Beschreibungen der zw61f F~ille in Kapitel B setzt sich SCHERrrR iiber einschl~igige Verschriftungsregeln hin- weg und erreicht die leserfreundliche Kiirze von durchschnittlich zwei umgangssprach- lich formulierten Seiten, die u. U. fiir eine ganze Unterrichtsstunde stehen. Wer die Normen empirischer Unterrichtsforschung verinnerlicht hat, kann das nut skandal6s finden. Immerhin sollen diese ,Protokolle" das Material sein, auf das sich die Auslegun- gen des gesamten Buches beziehen! Schliefi- lich erf~ihrt man sogar, daft einer der F~lle (Nr. 2), fiir den wie fiir alle anderen im Ka- pitel C (39, 40) I_6sungen er6rtert werden, gar nicht stattgefunden hat (42)! SCHE~R begriindet sein unkonventionelles Vorgehen unter verschiedenen Aspekten in Kapitel E,

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Insbesondere gelingt es ihm dort, einsichtig zu machen, welche u. U. bedeutsamen Unsi- cherheiten, Reduktionen, Interpretationen auch in die aufwendigste Unterrichtsdoku- mentation eingehen und dai~ es jeweils auch eine Frage der Okonomie und des Verwen- dungszusammenhangs ist, wie man Unter- richt wiedergeben soll. Entscheidend sei, da~ transparent wird, wie dokumentiert wird und unter welchen Voraussetzungen in- terpretiert wird. Dieser Forderung allerdings wird SCHEmeR vorbildlich gerecht. Seine Auslegungen und Empfehlungen sind trans- parent und nachvollziehbar; sie entziehen sich daher nicht der Diskussion, sondern la- den im Gegenteil gerade zu ihr ein. Vergli- chen mit den in der normalen Unterrichts- forschung hblichen, fiihrt ScrtE~Rs Verfah- ren zu keinem zus~itzlichen Verlust an Wirk- lichkeitsn~ihe, bringt jedoch einen Gewinn an praktischem Gehalt. Mir scheinen daher seine Beschreibungen, Auslegungen und Problemskizzen (Kap. C) sowie seine diesbe- ziiglichen methodologischen Erl~iuterungen (Kap. E) zur Orientierung fiir eine pragmati- sche Wende in der Unterrichtsforschung ge- eignet. SCHEMERS ,Elementare Didaktik ~ ist auch eine Anleitung fiir das Reclen f~ber Unterricht. Er will in diesern Buch ausdriicklich keine systematische didaktische Theorie vorlegen, sondern eine Anleitung zu ~didaktischem Theoretisieren ~ (F 80). Der Leser, der sich auf S c ~ r R s F~lle einl~t, wird in Diskus- sionen dariiber hineingezogen, wie Unter- richt zu bewerten und zu verbessern ist. Die Grunds~itze wissenschaftlichen Argumentie- rens, die im Buch befolgt und erl~iutert wer- den, gelten auch fiir die Verst~indigung iiber Unterricht; und die Probleme einer Unter- richtsforschung, ihre Wirklichkeit und de- ten Interpretation einer Diskussion zug~ing- lich zu machen, betreffen auch jedes Aus- wertungsgespr'~ich. Insofern steht in dem Buch vieles, was insbesondere Fachleiter und Betreuer schulpraktischer Studien beachten

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sollten. So praxisnah und verst~indlich konn- ten sie das wohl noch nirgends lesen. Als Anleitung ffir das Reden fiber Unterricht hat das Buch jedoch aus meiner Sicht einen erheblichen Mangel. Wenn SCHr~ER seine F~lle interpretiert, unterschiedliche Inter- pretationen er6rtert, L6sungen empfiehlt und mit anderen L6sungsvorschl~igen ver- gleicht, tut er das fast durchweg ohne Bezug auf eine sportwissenschaftliche Fachdiskus- sion. Lediglich in einigen Abschnitten des Kapitels D (bes. 41, 43 f.) werden normative Vorstellungen aus der Allgemeinen Didaktik und Sportdidaktik angesprochen: ,sch[iler- orientierter", ,kommunikativer", ,problem- orientierter" Unterricht, ,soziales Lernen". SCHEMERS Botschaft ist dort jedoch, solche Begriffe seien meistens so vage, daf~ sich mit ihnen fast alles rechtfertigen oder verwerfen lasse (allgemein formuliert in F 77): ,Didak- tische Fachdiskussion lebt davon, immer neue W6rter zur Bezeichnung der er- wfinschten oder unerwfinschten Eigenschaf- ten yon Unterricht zu gebrauchen. Aus sol- chen Adjektiven und dem Substantiv ,Un- terricht' werden dann Unterrichtskonzepte oder gar Unterrichtstheorien" (204). Ffir diese Kritik bringt SC~tEI~ER in seinem Buch gute Belege. Seine Argumentationen verffih- ren jedoch zu der allgemeineren Annahme, fiir rationale und fruchtbare Auswertungsge- sp~che fiber Sportunterricht seien die Dis- kussionen und Ergebnisse der Sportdidak- tik, darfiber hinaus auch der gesamten Sport- wissenschaft letztlich ohne Belang. Es ist zwar verblfiffend festzustellen, wie wenige der von SCHERi~R aufgegriffenen Unterrichts- probleme bisher Thema der ver6ffentlichten Fachdiskussion waren und wie gut alle auch ohne Bezugnahme auf sportwissenschaftli- che Einsichten und Ergebnisse diskutiert werden k/Snnen. Aber es w'~re doch ein pro- blematisches Fazit, wenn der Leser der ,Ele- mentaren Didaktik" zu der Auffassung k~i- me, dank SCHEMER dfirfe man nun fiber Sportunterricht reden, ohne noch zur

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Kenntnis zu nehmen, was unsere Bibliothe- ken fiber Unterrichtsgestaltung, Lehrverfah- ren, motorisches Lernen, entwicklungsge- m~if~e Belastung usw. an Einsichten und Empfehlungen enthalten. SCHr~ER w~ire mit diesem Fazit sicher mif~verstanden; aber er tut zu wenig, das m6gliche Mif~verst~ind- His auszu~umen. Solche Uberlegungen fiihren zu der Frage, wieweit und in welcher Weise die ,Elemen- tare Didaktik" auch Anregungen f£tr die Unterrichtsplanung bietet. SCnERLER selbst schreibt zwar in seiner Einleitung, dies Buch sei eine Auswertungsdidaktik (20), fiigt aber hinzu: ,Auswertungsdidaktik w~ire wertlos, wenn sie fiir die Planung von Unterricht nichts einb~chte" (21). Der Nachteil der Planungsdidaktiken, die es ffir alle F~icher und fachfibergreifend reichlich gibt, liegt ffir SCRERLER darin, dat~ sie ihre Vorschl~ige zu abstrakt, d. h. situationsabgehoben, vortra- gen, meistens sogar als Planungen zweiter Ordnung nur Planungsmodelle er6rtern (20). Seine eigene ,Lehrweise" -- als Hoch- schullehrer und Autor der ,Elementaren Di- daktik" -- charakterisiert SCI-n~ER dagegen so: Er m6chte konkrete Unterrichtssituatio- nen besprechen, in denen Probleme aufge- treten sind, ,die erfahrungsgem~if~ h~iufig auftreten" (21), um auf diese Weise Lehrern bei ihrer Bew~iltigung zu helfen. Durch Ver- allgemeinerung der Probleme und der m6g- lichen L6sungen (wie Planungsdidaktiken sie anstreben) sinkt ihr praktischer Wert. Daher ,gibt es nur eine Lehrweise: an Bei- spielen aufzuzeigen, was gemeint ist, und die Bestimmung des Geltungsbereiches der Bei- spiele dem Lernenden zu iiberlassen" (ebd.). Das Buch belegt eindrucksvoll, daf~ dies ein fruchtbarer Weg ist -- aber ist es die Alterna- tive, die Planungsdidaktiken und Unter- richtskonzepte entbehrlich macht? Eir~e kri- tische Frage scheint mir zu sein, wie SCHER- L~ auf seine zw61f F~ille gekommen ist. Dat~ sie nicht beliebig sind, erkennt man sp~ite- stens an der l]bersicht auf S. 234, die often-

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leg't, wie planvoll jeder Fall in jedem Kapitel, d. h. auf jeder Argumentationsstufe, minde- stens einmal aufgegriffen wird. Also sind die F~ille sorgsam ausgew~hlt. Aber wie? DaB die in ihnen enthaltenen Probleme ,erfah- rungsgem~ii~ h~iufig auftreten" (s. o.), ist der einzige Hinweis, den ich gefunden habe. Doch er hilft mir nicht viel welter, da ich vermute, daB SCHrRLER nicht H~iufigkeiten gez~ihlt, sondern Bedeutsamkeiten einge- sch~itzt hat. In die Auswahl der F~ille und da- mit in das ganze Buch sind SCI~r~ERs wer- tende Annahmen dariiber eingegangen, wel- che Probleme im Sportunterricht besonders ernst zu nehmen sind. Denn nut unter der Voraussetzung, dab die ausgew~ihIten Proble- me wesentlich ffir das Gelingen guten Sport- unterrichts sind, lohnt es sich, L6sungen fiir sie so griindlich zu er6rtern. Von dieser Vor- aussetzung h~ingt also ab, wie hoch der Wert der ,Elementaren Didaktik" als Anleitung fiir das Unterrichten anzusetzen ist. SCHrR- LER muf~ es daher interessieren, ob die Vor- aussetzung zutrifft, d. h., in welcher Weise seine F~ille exemplarisch, typisch, bedeutsam o. ~i. f/ir Sportunterricht sind. Seine IJberle- gungen dazu mfif~te er dem Leser mitteilen. Mich wiirden sie am meisten tiberzeugen, wenn sie im Rahmen eines p~idagogischen Konzepts oder einer p~idagogischen Theorie des Sportunterrichts entwickelt wiirden. Auf SCHE~rRS n~ichstes Buch bin ich auch deshalb gespannt. D. KURZ

UDO STEINER:

Sport und Medien

Schriftenreihe ,Sport und Recht ~. Bd. 13.

Heidelberg: Juristischer Verlag C. E Mfiller 1990. 75 S.; DM 38,--

Diese Schrift ausder Reihe ,Sport und Recht ~, die seit 1984 die Ergebnisse des Kon-

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stanzer Arbeitskreises fhr Sportrecht doku- mentiert, befaBt sich mit einem sportpoli- tisch ,heif~en" Thema. Der einfiihrende Beitrag von Enno FRICClUS, im Hauptberuf Mitarbeiter in der juristi- schen Abteilung des Zweiten Deutschen Fernsehens, macht die Kontroverse zwi- schen Sportveranstaltern einerseits und Fernsehveranstaltern andererseits in der Fra- ge der sogenannten Kurzberichterstattung deutlich: W~ihrend die einen fiber ihre Rech- te an der Sportveranstaltung frei verfiigen und Vertfige hber Senderechte nach eigener Wahl mit einem Fernsehveranstalter (Exklu- sivvertfiige) oder mehreren ohne gesetzliche Zw~inge und Einschr~nkungen abschliei~en wollten, beklagen die anderen - aus aktuel- lem Anlaf~ des DFB/UFA-Vertrags --, von der IDbertragung bestimmter Sportveranstal- tungen ausgeschlossen worden zu sein. Das Klagelied der 6ffentlich-rechtlichen Fernsehveranstalter bliebe nicht ungeh6rt. Zwischenzeitlich h~itten die L~inder den Rundfunk-Staatsvertrag vom 12. 3. 1979 durch Beschlut~ der Ministerpt~.isidenten vom 15.3. 1990 g~ndert. Die endgfiltige Ra- tifizierung durch die Landtage stehe in ein- zelnen Bundesl~indern zwar noch aus, diese Anderung habe jedoch dem Wunsch nach Ein~umung eines Rechts zur kosten- und genehmigungsfreien Kurzberichterstattung ftir Fernsehveranstalter von Sportveranstal- tungen (und anderen 6ffentlichen Veranstal- tungen und Ereignissen) Rechnung getragen. In diesem Zusammenhang sei noch zu er- w~hnen, dab -- leider erst Anfang 1990 -- der Bundesminister des Innern einen Alter- nativvorschlag zur Sicherung des Informa- tionsrechts gemacht habe, der auch von den Sportorganisationen begriif~t worden sei. Unter dem Stichwort ,urheberrechtliche 125- sung" stof~e die vom Innenminister vorge- schlagene Anderung des Urheberrechtsgeset- zes jedenfalls nicht auf die schwerwiegenden zivilrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken, die in den weiteren Beitfigen der

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Schrift ,Sport und Medien" vorgetragen worden seien. Mit der zivil- und verfassungsrechtlichen Problematik des L~inderbeschlusses zur Kurzberichterstattung befaf~t sich der zweite Beitrag: von Ulf DO~PNER. Sein Fazit ist ein- deutig: Mangels Gesetzgebungskompetenz der L~inder einerselts sowie wegen Verstofles gegen mehrere Grundrechte (Artikel 3, 13 und 14 des Grundgesetzes) sei die Anderung des Rundfunk-Staatsvertrags ,wie kaum ein anderes staatliches legislatives Vorhaben in ji~ngster Zeit" verfassungswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt der Verfasser, nachdem er sich mit den wichtigsten fachjuristischen Ver6ffentlichungen zum Thema in jfingster Zeit auseinandergesetzt hat und auch die im Auftrage der Bundesl~inder erstellten Rechts- gutachten von LEItCHE und ULMrR ZU Fragen der Informationsbeschaffung ffir die Kurz- berichterstattung analysiert hat. Exkurse fiber die EG-Fernsehrichtlinie 1989, soweit die Sportberichterstattung davon tangiert ist, machen seinen Beitrag umfassend infor- mativ. Die verfassungsrechtliche Problematik wird yon Herausgeber Udo S~INER vertieft. Ge- stfitzt auf Beispiele aus dem aktuellen Sport- geschehen und dutch eine auch ffir Nicht-Ju- risten leicht verst~indliche Sprache, erl~iutert er, worum es bei dieser aktuellen Auseinan- dersetzung zwischen Fernsehen und Sport eigentlich geht. Vor allem unter Hinweis darauf, wann Sport ,nur" Unterhaltung sei und wann dieser -- wie bei Fut~ball-L~inder- spielen oder Davis-Cup-Spielen auf deut- scbem Boden -- ,eine Art Staatskomponen- te" aufweise, kommt er zu einer differenzier- ten, typisch juristischen ,Es kommt darauf an"-Betrachtung. Viele Facetten des Pro- blems und ihre rechtlichen Wirkungen ma- chen seinen Beitrag besonders lesenswert. Ffir Spezialisten ist der Beitrag ,Sport und Medien aus kartellrechtlicher Sicht" yon Volker EMMERICH gedacht und wichtig. Die Diskussion um die kartellrechtliche Zul~-

sigkeit des vom DSB und 38 seiner Spitzen- verb~inde mit ARD und ZDF 1985 abge- schlossenen sogenannten Globalvertrags bil- det den Hintergrund ffir eine Abhandlung sehr gmndsh'tzlicher Art. Diese di~rfte ffir Medienrechtler und -praktiker yon gr6f~erer Bedeutung als ffir Sportjuristen und -politi- ker sein. Sein Fazit, dab eine duale Rund- funkordnung ohne umfassende Kontrolle ei- nes insgesamt bew~ihrten Kartellrechts nicht funktionsf~ihig sei, ist so selbstverst~indlich wie richtig. Seine Informationen fiber die Zusammenhfinge zwischen Fernseh- und Sportveranstaltungen fiihren in eine Rechts- materie ein, fiber die es wenig Schrifttum gibt. Wenn auch die aktuellen Probleme aus dem Beziehungsfeld von Sport und Medien, die Kurzberichterstattung und der DSB-Global- vertrag, im Mittelpunkt der dutch diese Schrift dokumentierten Arbeitstagung vom 10. bis 11. November 1989 standen, gibt die Schrift dennoch einen Uberblick fiber viele da~ber hinausgehende rechtlich relevante Berfihrungspunkte. Auch der kurze historische Abrii~ im Bei-

trag von FRIcclus fiber die Entwicklung der Sportberichterstattung im deutschen Unter- haltungsrundfunk, Hinweise beispielsweise auf die erste Fuf~ball-Obertragung im H6r- funk am 1. November 1925, die erste Fern- sehfibertragung eines Fuf~ballspiels im De- zember 1952 und die Entwicklung der Ubertragungen von Sportveranstaltungen bis heute, sowie seine rechtstats~chliche Dar- stellung der Vertragspraxis zwischen Fernseh- und Sportveranstaltern in der Ver- gangenheit runden das Thema ab. Wer sich also fiber Sport und Medien insgesamt, im besonderen jedoch aus rechtlicher Sicht in- formieren m6chte, dem hat der Konstanzer Arbeitskreis mit dieser Schrift dazu eine gu- te Gelegenheit gegeben. Noch ein Wort zum Konstanzer Arbeits- kreis fiir Sportrecht: Seit dem 6. M~irz 1982 gibt es diesen Arbeitskreis yon Juristen ~mit

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Sportaffinit~it". Von dem Saarbriicker Rechtsgelehrten und harschen Sportver- bandskritiker BU~EISTER mit seinen friihe- ren aufsehenerregenden Attacken gegen Rechtspraktiken der Sportorganisationen und dem engagierten Organisator und Ober- linger Rechtsanwah KI~HE kam die Initiati- ve zur dauerhaften Auseinandersetzung mit sportrelevanten Rechtsfragen. Der Mitglie- derkreis kann sich sehen lassen. Vertreter der Lehre aus Zivil- und 6ffentlichem Recht geh6ren ebenso regelm~il~ig zu den Teilneh- mern und Referenten des Arbeitskreises wie Mitglieder der h6chstrichterlichen Recht- sprechung. Sportverbandsjuristen und zahl- reiche ehrenamtliche Mitglieder der ver- schiedensten Sportverbands-Rechtsspre- chungsorgane nutzen die Gelegenheit der Arbeitskreistagungen zur Fortbildung und Auseinandersetzung iiber Rechtsfragen, die in der Alltagsjurisprudenz nicht im Mittel- punkt der Diskussion stehen. In der Schriftenreihe des C. E Miiller-Verla- ges sind die Tagungen des Arbeitskreises in bisher 13 B~inden dokumentiert. J. Kf.YHL

EERKE U. NAMER:

Die Anf~inge der .Spielbewegung" in Deutschland

(Beit~ge und Quellen zu Sport und Gesellschaft. Bd. 3, hrsg. v. Arnd Kriiger).

London: Arena Publications 1989. 842 S.; DM 45,--

Die sporthistorische Fachliteratur wird mit der dickleibigen Monographie ,Die Anf~inge der ,Spielbewegung' in Deutschland" um ei- nen bedeutungsvollen Beitrag bereichert, und zwar vor allem deswegen, weil die Un- tersuchung weit iiber das hinausgreift, was der lapidare Titel bei der g~ingigen Vorstel- lung yon ,Spielbewegung" signalisiert. Hat- MEg unternimmt es, die Entstehung der

Spielbewegung zu erg~nden, indem er sie ,in den gr61%ren sozio-historischen Rah- men der deutschen Geschichte einordnet" (12). Die ~ r seine Arbeit ,kennzeichnende Wegmarkierung" (22) findet der Autor in ei- nem Appell von Hermann SCHtn.zE-DE- LITZSCH aus dem Jahr 1880, in dem dieser - insbesondere um ein gr6i~eres Engagement fiir die sozialen Fragen zu erreichen -- zu ei- net vermehrten Griindung von Vereinen aufrief: ,Organisiert doch mittels derselben die moderne Gesellschaft ihre unwidersteh- liche Initiative, um in alle die Daseinsgebiete einzugreifen, in welche der Staat mit seinen ~iut~erlichen Machtmitteln nicht reicht" (11, 22). HAMER setzt diese Ende des 19. Jh.s als ,neue deutsche Gemeinniitzigkeitsbewegung" (22) bezeichnete Vereinsgriindungswelle in ur- s~ichliche Beziehung zu Bismarcks innenpo- litischer Kurs~inderung: Nach Verabschie- dung der ,Sozialistengesetze" yon 1878 ver- lagerten zahlreiche Vertreter des liberalen Bildungsbi~rgertums ihre 6ffentlichen Akti- vit~iten in sozial und gemeinniitzig ausge- richtete Vereine oder g~ndeten neue Verei- nigungen, um dadurch im Sinne einer mehr ausgleichenden Politik zu wirken. Seit Mitte der 80er Jahre verstand es dann der national- liberale Politiker Emil yon SC~NCr~NDO~F in Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten, ,die Gunst der Stunde im eigenen Interesse zu nutzen" (25). Nach geschicktem Agieren als Mitglied des preugischen Abgeordneten- hauses, in verschiedenen lokalen und zentra- len Vereinen sowie im Zusammenhang mit der Berliner Schulkonferenz (1890) wurde er im Jahre 1891 zum Hauptinitiator des ,Zen- tralausschusses zur F6rderung der Volks- und Jugendspiele in Deutschland" (ZA). Jedoch: all dies ,schloi~ unbestreitbar an hi- storische Voraussetzungen an ~ (26), deren Darstellung einen wesentlichen Teil des Bu- ches ausmacht. Der Autor begreift die Spiel- bewegung als ,zeitgeschichtliches und poli- tisch relevantes Kulturph~inomen" (40), das

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im Kontext anderer Bewegungen -- der Uberbiirdungs-, Schulreform- und Schulge- sundheitspflegebewegung -- entstanden sei. Vorgestellt werden deshalb in den Kapiteln II (135--318) und 1111 (319--447) eine be- t~chtliche Anzahl der in den 70er und 80er Jahren sich bildenden zentralen und lokalen Wohlfahrts- und Gesundheitsvereinigungen (Entstehung, ftihrende Vertreter, Ziele, Ak- tionen), zahlreiche Initiativen und Bemii- hungen einzelner (meist national-liberaler) Pers6nlichkeiten sowie weitere themenbezo- gene Ereignisse (z. B. Versammlungen, Bera- tungen, Gutachten, regierungs-offizielle Re- aktionen). Als Beispiele seien der 1873 ge- grtindete ,Deutsche Verein ftir 6ffentliche Gesundheitspflege", der 1881 gegriindete ,Deutsche Verein fiir Armenpflege und Wohlt~itigkeit", das 1882 von einer medizini- schen Kommission erstellte Gutachten zur Schiileriiberbiirdung in Elsa~-Lothringen und die beiden Initiativen des Berliner Scho- rer-Verlags fhr eine Reform des h6heren Schulwesens in Preuf~en (1883 und 1886) ge- nannt. Es sind ~iuf~erst informative Ausfiihrungen (z. B. was die personelle Verflechtung einiger Vereine betrifft), die faktenreich, belegfreu- dig und mit grof~er Sachkenntnis dargeboten werden. Aber was hat der ,Deutsche Verein gegen den Mif~brauch geistiger Getr'~inke" (254--266) mit den Anf~ingen der Spielbewe- gung zu tun? Angesichts der ohnehin immensen Material- fiille ist es verst~indlich, da8 sich der Autor bei der Behandlung der eigentlichen Spielbe- wegung in Kapitel 1V (449--627) vorrangig dem Bereich des Spiels zuwendet. Andere Leibesiibungen im Freien wie Baden und Schwimmen, ,volkstiimliche Ubungen" (Laufen, Springen, Werfen), Wandern oder Eislaufen bleiben ausgeblendet; das Schiiler- rudern wird jedoch kurz behandelt (489--493, 614--616). Die jahrelange, kontrovers gefiihrte und sich z. T. in ermiidender Weise wiederholende

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Diskussion um die ,richtigen" Spiele sowie die zahlreichen privaten und amtlichen In- itiativen zur praktischen Einfiihrung der Leibesiibungen im Freien werden ausftihr- lich und grtindlich aufgearbeitet. In der Pra- xis begann es 1872 mit den Braunschweiger Schulspielen, in der Theorie 1878 mit einer grundlegenden, trefflich konzipierten Schrift von Konrad KOCH (,Der erziehliche Weft der Schulspiele") -- HAMER nennt sie eine ,Programmarbeit" (499). Die auf breiter Quellenbasis erfolgende Dar- stellung ergibt eine Vielzahl neuer Details und er6ffnet aufschluf~reiche Zusammen- h~inge, z. B. hinsichtlich der Bestrebungen des Diisseldorfer Amtsrichters Emil Hart- wich -- der als ,eigentlicher Begriinder" (der Spielbewegung) anzusehen ist (627) -- sowie der Entstehung des GossLERschen Spielerlas- ses (1882) oder der Griindung des Zentral- ausschusses (1891). Als Antwort auf ,die Fra- ge des eigentlichen Anfangs der Spielbewe- gung" ergeben sich fiir ~ E R ,die beiden Daten 1878 und 1881" (551): 1878 erschien K. KOCHS Programmschrift, 1881 HA~- wIcns grof~es Aufsehen erregende Schrift ,Woran wir leiden". Warum wird hier 1872 (Beginn der Schulspiele in Braunschweig) ignoriert? Der Goss~Rsche Erlai~ wird ,hinsichtlich des Zeitpunktes" eher in die N~ihe einer ,be- deutende(n) Fehlleistung" (518) geriickt, weil die anffingliche Wirkung aus mehreren Griinden (u. a. die erfolgreiche Obstruktion vieler Turnerfunktion~ire und Turnlehrer) ~iui~erst gering gewesen sei. Erst im Zusam- menhang mit der Griindung des ZA -- von SCHENCr~NDORFF hatte bereits 1890 ein .Ko- mitee zur Pflege der Volksspiele in GSrlitz gebildet" -- wurde mehr erreicht, ,sozusa- gen in einem zweiten Anlauf" (560), vor al- lem, well es Kultusminister von GOSSLER ge- lang, den .sach- und vereinskundigen E A. Schmidt" und eine ,mehr rep~sentative Leitfigur, den Abgeordneten v. Schencken- dorff zu gewinnen" (560f.). Folglich unter-

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scheidet HAMER - - und das ist auf Grund der differenziert entwickelten Analyse durchaus plausibel -- eine erste (1881--1890) und eine zweite (ab 1890) Phase der Spielbewegung, die in dieser Untersuchung bis etwa 1897/98 abgehandelt wird. Die vorrangige konzeptionelle Ausrichtung der Untersuchung auf Gesundheits- und Oberbiirdungsfragen im Zusammenhang mit den Anf~ingen der Spielbewegung bringt es mit sich, dai~ HAMER Z. B. m6glichen Ein- fliissen von seiten der neu sich bildenden Sportverb~nde und Sportvereine nicht nach- geht. So bezieht er auch keine Literatur aus dem ,Sportbereich ~ ein. Gern h~itte man z.B. mehr hber die ,Tatsache" erfahren, dat~ 1896 ,v. Schenckendorff... (erstmalig in der deutschen Sportgeschichte) mit Vertre- tern s~imtlicher Sportverb~inde zusammenge- kommen war" (599). Nur am Rande interessieren Aspekte der Fi- nanzierung all dieser Unternehmungen. G~inzlich i~bergeht HAMER die Frage, ob nicht neben anderen Intentionen sehr friih auch die Wehrertiichtigung als ein Ziel der Bestrebungen eine Rolle gespielt haben k6nnte So beriihrt er nicht die yon Kaiser Wilhelm II. auf der ansonsten detailliert be- handelten Berliner Schulkonferenz aufge- stellte --, von ZA-Mitgliedern sp~iter gern zi- tiert Forderung: ,Ich suche nach Soldaten, wir wollen eine k~ftige Generation haben. ~ Breiteren Raum nimmt dagegen die Kontro- verse zwischen dem ZA und der Deutschen Turnerschaft (DT) um das richtige ,Sport~-Verst~indnis sowie den Plan eines ,Deutsch-nationalen Olympia" ein, wenn- gleich zahlreiche Fragen often bleiben. Bei detaillierter Betrachtung einzelner Fak- ten und Einsch~itzungen st6f~t der Leser im- mer wieder auf Aussagen, die Kritik und Wi- derspruch herausfordern. Dazu einige Bei- spiele: - - Im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Themas ,Wettspiele", das bei der ZA- Hauptversammlung 1897 in Altona auf der

Tagesordnung stand, schreibt ~ E R : ,Da- bei fiel endgiiltig das . . . yon den Haupt- funktion~iren der DT fleif~ig gepflegte theo- retische Konstrukt, ihr Vorurteit gegeniiber dem englischen Wettkampfwesen und den Sportspielen Fuf~ball und Cricket, wie ein Kartenhaus in sich zusammen" (610) -- eine kiihne Behauptung. Man lese nur die in der Fachliteratur auch nach 1897 mit nahezu un- verminderter Vehemenz weitergefiihrten Diskussionen. In der Einf~ihrung spricht HAMER Yon der ,prinzipielle(n) Unabge- schlossenheit der Spielbewegung und ihrer Wirkungsgeschichte" (53): Dern ist zuzu- stimmen. Zudem: der hier ausschliei~lich re- ferierte Vortrag von K. Koch bringt gegen- iiber friiheren Ver6ffentlichungen dieses Au- tors nichts wesentlich Neues. Origin~ir fhr die Altonaer Versammlung waren die yon Koch, Raydt, Witte, Schr6er, Dunker und Schmidt aufgestellten und vorn ZA ange- nommenen ,Leits~itze" zu Spiel- und Sport- fragen. Sie werden bei HAMER nicht beriick- sichtigt. -- ,Ein systematischer Anfang der Arbeit des ZA rnit den Studenten" (621) kam nicht erst 1897 zustande Bereits im Januar 1895 war ein Aufruf an die deutsche Studenten- schaft erfolgt, der an 53 deutsche Hochschu- len verschickt wurde und mit dem bei HA- ME¢ erw~ihnten (zweiten) Aufruf von 1901 z.T. w6rtlich iibereinstimmt. -- Die Angaben und Quellen, die belegen sollen, daf~ sich in Deutschland ab 1884 ,eine neue Form von Nationalgefiihl" (539) bildet, sind wenig iiberzeugend.

Der ZA war 1894 noch keine ,K6rper- schaft" (581). -- Im Verlauf eingehender Ausfiihrungen zur Genese des Spielerlasses bezeichnet HA- S4EX den damals bekannten Irrenarzt Paul Hasse ,als den vermutlich eigentlichen In- spirator zu diesem Erlaf~ ~ (513), eine Ge- wichtung, die sich als Resiimee dieses Ab- schnitts (512--515) nicht ergibt.

1883 reiste der damalige Frankfurter

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Turninspektor Gottlob Danneberg im Auf- trag der Schulbeh6rde ffir acht Tage zu ei- nem Informationsbesuch nach Braun- schweig und Wolfenbfittel und ~ffihrte wom6glich" (Kursiv: K. E) auch Gespr~iche mit den Lehrern K. Koch und A. Hermann ~ (523). Eine iibervorsichtige Formulierung -- man fragt sich: Mit wem denn sonst? -- In Hannover wurden ~bereits im Jahre 1880 (oder doch erst zu Ostern 1881)" (486) samstags nachmittags freiwillige Jugendspie- le durchgeffihrt, und zwar von den Lehrern Robert Kohts und Adolf Ey. Kohts hatte ei- nen ~ilteren Bruder, der Medizin-Professor in Straf~burg war, wo man der Oberbfirdungs- frage schon seit mehreren Jahren grof~e Auf- merksamkeit schenkte: ,Entweder durch diesen Bruder oder durch Ey, der mehrere Jahre lang . . . an einem englischen (!) Insti- tut in der franz6sischen Schweiz als Lehrer der neueren Sprachen... unterrichtet hatte, dfirfte Robert Kohts zu dieser au~erplanm~i- gigen schulischen T~itigkeit angeregt worden sein" (487). Eine solche -- andere M6glich- keiten der Anregung ausschlieflende -- Fol- gerung, bei der am Ende auch Ey wegargu- mentiert wird, ist kaum haltbar. Oder k6nnten einige der genannten Beispie- le ein Darstellungs- und Formulierungspro- blem sein? Denn was der Leser an sprachli- cher und stilistischer Kost hin und wieder schlucken mut~, um zu den anerkannterma- Ben ~iugerst anregenden Erkenntnissen zu gelangen, ist nur schwer verdaulich. Nicht sehen (z. B. 15, 18f., 42f., 90, 130f., 136, 159f., 167, 226, 294ff., 442, 499f., 485f., 526ff. und 575) geht einem bei der L~inge der mit Nebens~itzen, Einschfiben, Paren- thesen, Zitaten und Anmerkungen voll ge- spickten Satzgeffige der Atem aus. Geh6ren Literaturangaben, Anmerkungen, Querver- weise und dergleichen in die Fut~noten oder in den Text? Da sich der Autor nicht ent- scheiden kann, macht er durchg~ingig beides.

[rberhaupt ist Wesentliches h~iufig nicht streng von Unwesentlichem geschieden. Ne- bens~ichliches wird im Text, ffir das Ver- st{indnis Wichtiges in den Anmerkungen be- handelt. Das ist mif~lich. Die Arbeit wirkt zuweilen fiberfrachtet, so- wohl in bezug auf die iiberquellenden Litera- turhinweise (z. B. 480: Literaturhinweis zum Regierungsbezirk Magdeburg, well die 1879 in Halberstadt abgehaltene Philologen-Jah- resversammlung behandelt wird) als auch in bezug auf Sachverhahe (z. B. 461: themenfer- ne Aufz~hlung von Turnlehrerversammlun- gen, ,1872 -- mit der Einweihung eines Denkmals fiir Adolf SpielS"). So ergeben sich einschlief~lich der 1097 oft recht langen Ful~noten, in denen dem Re- zensenten mehr als 70 unvollst~indige oder falsche Literaturangaben aufgefallen sind, fiber 600 Seiten Text -- eine beschwerliche, wenngleich lohnende Lektfire. Dies gilt auch fiir das Quellen- und Literaturverzeichnis (639--760), das in nicht weniger als sieben getrennte alphabetische Verzeichnisse unter- teilt ist. Carl EULER Z. B. ist in vier unter- schiedlichen Rubriken vertreten und dem- entsprechend zu suchen. Die stattliche Quellen- und Literaturzusam- menstellung mit fiber 1400 Angaben be- zeugt jedoch nachhaltig die fleif~ige und fun- dierte Recherchenarbeit des Autors; allein die Liste der bemiihten Archive ist beein- druckend. Der mit einigen bedeutsamen, schwer zug~inglichen Quellen versehene An- hang (763--831) sowie ein Personen- und Sachregister (833--841) unterstreichen den neben dem informativen auch in hohem Marie dokumentarischen Wert des volumi- n6sen Buches. Ohne Zweifel hat HAMER eine sehr gehah- volle Untersuchung fiber die Anf~inge der ,Spielbewegung" vorgelegt, selbst wenn die sich nahezu parallel entwickelnde ,Sportbe- wegung ~ unberficksichtigt bleibt.

K. P~NGE

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