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JOHANNES KEPLER
UNIVERSITÄT LINZ
Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at DVR 0093696
Eingereicht von David Dutzler
Angefertigt am Institut für Strafrechtswissenschaften
Beurteilerin Mag.a Dr. in Ingrid Mitgutsch
August 2016
DIE BEDEUTUNG DER
SOZIALADÄQUANZ FÜR DIE
BETEILIGUNG AM
SONDERPFLICHTDELIKT UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER UNTREUE
Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magister der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
der Rechtswissenschaften
2/48
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die
wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.
Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.
Ort, Datum
Unterschrift
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Abkürzungsverzeichnis
aA anderer Ansicht
Abs Absatz
AT Allgemeiner Teil
BG Bundesgesetz
BGH Bundesgerichtshof
BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen
BGBl Bundesgesetzblatt
Bsp Beispiel
BT Besonderer Teil
bzw beziehungsweise
dh das heißt
dStGB deutsches Strafgesetzbuch
EvBl Evidenzblatt
f folgend
ff fortfolgende
FS Festschrift
Hrsg Herausgeber
idF in der Fassung
idgF in der geltenden Fassung
insb insbesondere
iSd im Sinne des
JBL Juristische Blätter
JURA Juristische Ausbildung
JuS Juristische Schulung
JZ JuristenZeitung
Kap Kapitel
Lfg Lieferung
4/48
mwN mit weiteren Nachweisen
NJW Neue Juristische Wochenschrift
NStW Neue Zeitschrift für Strafsachen
OGH Oberster Gerichtshof
ÖBA Österreichisches Bankenarchiv
Rspr Rechtsprechung
Rz Randziffer
SbgK Salzburger Kommentar
SSt Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und
Disziplinarangelegenheiten
StGB Strafgesetzbuch, BGBl 1974/60 idgF
StRÄG Strafrechtsänderungsgesetz
StudB Studienbuch
usw und so weiter
UWG BG gegen den unlauteren Wettbewerb, BGBl 1984/448 idgF
Vorbem Vorbemerkung(en)
wistra Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafsachen
WK Wiener Kommentar
Z Ziffer
zB zum Beispiel
ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
5/48
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I. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem weiten Begriff der Sozialadäquanz. Vor allem bei
der Beteiligungsstrafbarkeit ist dieses Kriterium von großer Bedeutung. So schafft es die
Sozialadäquanz, gewisse Handlungen aus dem Strafbarkeitsbereich auszuscheiden. Dafür
wurden bestimmte Kriterien entwickelt, um diesen Begriff zu formen bzw zu konkretisieren.
Im ersten Kapitel soll die rechtsdogmatische Stellung der Sozialadäquanz geklärt und dargestellt
werden. Darauf folgen einige allgemeine Ausführungen zum sozialadäquaten bzw inadäquaten
Verhalten von Beteiligten (am Allgemeindelikt), insbesondere zu einigen von Schmoller
entwickelten Fallgruppen. Im Mittelteil behandelt die Arbeit den deutschen Meinungsstand mit
seinen vielseitigen Ansätzen. Das vierte Kapitel nimmt die entwickelten Kriterien zur
Bestimmung der Sozialadäquanz für Beteiligte am Sonderpflichtdelikt unter die Lupe. Zum
Schluss beschäftigt sich die Arbeit mit der Konkretisierung der Sozialadäquanz für die
Beteiligung am Delikt der Untreue.
Auf diesem Weg möchte ich mich recht herzlich bei Frau Mag.a. Dr.in Ingrid Mitgutsch für die
kompetente Betreuung meiner Diplomarbeit bedanken. Ein großer Dank gilt natürlich auch
meinen Eltern, Großeltern und meiner langjährigen Partnerin Theresa, die mich während meines
Studiums immer tatkräftig unterstützt haben. Zu guter Letzt möchte ich einen Dankesgruß an
Isabella richten, die mich bei der Korrektur der Arbeit unterstützt hat.
9/48
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung .............................................................................................................................. 8
II. Rechtsdogmatische Einordnung der Sozialadäquanz ......................................................... 11
III. Innerer Zusammenhang zwischen unmittelbarer Täterschaft und Beitragstäterschaft ......... 13
A. Allgemeines ........................................................................................................................ 13
B. Bestimmungstäterschaft ..................................................................................................... 16
C. Deutscher Meinungsstand .................................................................................................. 16
1. Einführung .......................................................................................................................... 16
2. Die Rechtsfigur der berufsneutralen Handlung ................................................................... 17
3. Lösungsansätze in der Literatur .......................................................................................... 17
a) Die Ansicht Roxins: Begrenzung der Strafbarkeit auf Gehilfen, die mit direktem Vorsatz
(sicherem Wissen) handeln, und auf Verhaltensweisen außerhalb des erlaubten Risikos .. 17
(1) Fallgruppe I: Sicheres Wissen des Gehilfen bei Vorliegen eines "deliktischen Sinnbezugs"
der Unterstützungshandlung ............................................................................................... 18
(2) Fallgruppe II: Dolus eventualis des Gehilfen bei erkennbarer Tatgeneigtheit des Haupt-
täters .................................................................................................................................. 19
(3) Die Rechtsprechung ........................................................................................................... 21
b) Die Ansicht Jakobs: Begrenzung der Beihilfestrafbarkeit unter Rückgriff auf die Lehre vom
Regressverbot .................................................................................................................... 23
(1) Erfordernis einer gemeinsamen Organisation des Rechtsgüterangriffs durch Täter und
Gehilfen .............................................................................................................................. 23
(2) Kritische Stellungnahmen in der Literatur ........................................................................... 24
c) Die Ansicht von Ransiek: Orientierung an der Fahrlässigkeitsdogmatik .............................. 24
d) Die Ansicht Ottos: Nichtvorhandensein einer "bereichsspezifischen" Norm ........................ 26
e) Die Ansicht Schumanns: Erfordernis der Solidarisierung des Gehilfen mit dem Haupttäter 27
f) Die Ansicht von Hassemer: Begrenzung der Beihilfestrafbarkeit im Rahmen der
Sozialadäquanz .................................................................................................................. 28
g) Die Ansicht von Wolff-Reske: Lehre von der sozialen Rollenüberschreitung ....................... 30
h) Abwägungsmodelle nach Hefendehl und Löwe-Krahl ......................................................... 32
4. Zusammenfassung der genannten Lösungsansätze ........................................................... 34
IV. Bedeutung der Sozialadäquanz für die Beteiligung am Sonderpflichtdelikt ......................... 35
10/48
A. Allgemeines ........................................................................................................................ 35
B. Kriterien zur Bestimmung der Sozialadäquanz ................................................................... 36
1. Meinungsstand in der Lehre ............................................................................................... 36
a) Ausdrückliche Motivierung zur Abgabenpflichtverletzung .................................................... 39
b) Verhandeln um finanzielle Partizipation an der Abgabenpflichtverletzung ........................... 40
c) Verletzung einschlägiger Schutzgesetze ............................................................................ 40
d) Gezielte Verschleierungshandlungen .................................................................................. 40
e) Enger zeitlicher und aktionsmäßiger Zusammenhang ........................................................ 40
2. Meinungsstand in der Rechtsprechung ............................................................................... 41
3. Kurzfälle zur Begrenzung der Beteiligungsstrafbarkeit bei der Abgabenhinterziehung ........ 43
V. Konkretisierung der Sozialadäquanz für die Beteiligung an der Untreue ............................. 44
A. Striktes Begründungserfordernis für die soziale Inadäquanz der Beteiligung ...................... 44
B. Rechtsgutsfragen im Lichte des Zivilrechts ......................................................................... 45
C. Vergleich zum Betrug ......................................................................................................... 46
D. Vergleich zum Lauterkeitsrecht ........................................................................................... 47
E. Konsequenz und Schlussfolgerung ..................................................................................... 47
11/48
II. Rechtsdogmatische Einordnung der Sozialadäquan z
Tendenzen, haftungseinschränkende Kriterien beim Vorsatzdelikt, die aus der Handlung
hervorgehen, zu entwickeln, sind nicht neu. Bereits der deutsche Strafrechtslehrer Welzel
forderte 1939, dass auch im Bereich der Vorsatzstrafbarkeit gewisse Risiken "als alltägliche
Bestandteile des sozialen Daseins" vom Recht ertragen werden sollten, trotz des Umstandes,
formal die Voraussetzungen eines Deliktstatbestandes zu erfüllen. Denn die soziale Adäquanz
sei ein "immanentes Prinzip der Tatbestandsbildung."1 Demzufolge bezeichnete Welzel solche
Geschäfte als sozialadäquat, "die sich im Rahmen ordnungsgemäßer Geschäftsführung halten,
auch wenn sie nachteilig ausschlagen."2 Nach dieser Auffassung versteht auch die moderne
Dogmatik den Begriff der Sozialadäquanz als einen zum Tatbestand gehörenden Bestandteil,
der strafrechtlich irrelevante und allgemein übliche Verhaltensweisen aus dem
Strafbarkeitsbereich ausscheidet. Andernfalls würde jeglicher soziale Verkehr zum Erliegen
kommen.3 Eine klassische Definition findet sich in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes
in Strafsachen : "Nach der Lehre von der Sozialadäquanz können übliche, von der Allgemeinheit
gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil
im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen nicht tatbestandsmäßig oder
zumindest nicht rechtswidrig sein."4 Demnach ergibt sich für derartig sozialadäquate
Handlungen keine Haftung, auch dann nicht, wenn daraus ein strafrechtlich verpönter Erfolg
hervorgeht. In diesem Sinne ist die Sozialadäquanz Ausdruck der normativen Toleranz von
Gefahren. Aufgrund der hohen, unvermeidbaren Anzahl empirisch gefährlicher
Verhaltensweisen im alltäglichen Leben wie zB im Straßenverkehr, beim Betrieb von
Massenbeförderungsmitteln, bei riskanten Sportarten oder bei beruflichen Aktivitäten im
Wirtschaftsleben5 wird die Sozialadäquanz zu einem wichtigen strafbarkeitseinschränkenden
Korrektiv. Welche Handlungen als sozialadäquat bzw sozial akzeptiert gelten, wird durch den
gesellschaftlichen Konsens bestimmt. Dies gilt allerdings nur bis zu der "normativen
Reizschwelle", die den Konsens wiedergibt, "den die Gesellschaft zwischen der
Handlungsfreiheit des Einzelnen und den Belangen der Sicherheit anderer festlegt."6
Die Ermittlung der Berufstypizität von Handlungen erfolgt auch nach Maßgabe sozialer Regeln.
Diese können sich entweder aus ausdrücklich positivierten Vorschriften, Vekehrsnormen oder
der bekannten Modellfigur des Rechts, die dem einsichtigen und besonnen Menschen aus dem
Verkehrskreis des Täters entspricht, ergeben. Praxis und Theorie behandeln dieses Problem vor
1 Welzel, Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 (1939) 491. 2 Welzel, Das Deutsche Strafrecht11 (1969) 55 f. 3 Steininger, Sozialadäquanz und berufstypisches Handeln (2005) 17. 4 BGHSt 23/45, 228. 5 Steininger, Sozialadäquanz 17 f. 6 Steininger, Sozialadäquanz 18; Moos, Objektive Zurechnung und sozialadäquates Verhalten bei wertneutraler
Gehilfenschaft, in FS für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag (2002) 477.
12/48
allem beim Fahrlässigkeitsdelikt unter dem Stichwort der objektiven Sorgfaltswidrigkeit.7
Demzufolge handelt jemand nicht sorgfaltswidrig, der sich an die jeweiligen beruflichen
Vorschriften hält.8 Nicht nur im Fahrlässigkeitsbereich, sondern auch im Bereich der
Vorsatzdelikte treten dogmatisch vergleichbare Probleme auf. In der Lehre haben sich
verschiedene Positionen herauskristallisiert, welche die dogmatische Einordnung
handlungsbezogener, das Unrecht steuernder Haftungsfragen behandeln. Die überwiegende
Meinung prüft die soziale Adäquanz bzw Inadäquanz im objektiven Tatbestand im Anschluss an
den zuvor im Sinne der Äquivalenztheorie festgestellten Erfolg.9 Demnach folgt auf die
naturalistische Haftungsbegründung die Frage der Erfolgszurechnung aus normativen
Überlegungen. Der Erfolg bildet hierbei den Ausgangspunkt und das Zentrum der
Haftungseinschränkung. Trotzdem fließen in die Prüfung auch handlungsbezogene
Überlegungen ein. Bekannte Formeln lauten etwa: "Ein Erfolg dürfe nur dann zugerechnet
werden, wenn er gerade jenes rechtlich missbilligte Risiko verwirklicht, um dessentwillen die
Handlung verboten war oder ein Erfolg sei dem Täter nicht zurechenbar, wenn der Täter kein
rechtlich relevantes Risiko einer Rechtsgüterverletzung geschaffen habe."10 Der Dualismus
Risikobegründung und Risikorealisierung bildet somit ein wesentliches Merkmal dieser Position.
Er wird allerdings aus der Sicht des bereits eingetretenen Erfolges gesehen.11 Andere Stimmen
in der Lehre gehen von einer eigenständigen Prüfung der tatbestandsmäßigen Handlung aus,
welche der Erfolgszurechnung vorgeschaltet ist. Die Voraussetzungen dafür sind der formal
erfüllte objektive und subjektive Tatbestand. Im Anschluss wird gefragt, ob die Handlung den
von der Norm vorausgesetzten Grad der Störung erreicht. Daran schließen die Fragen der
Erfolgszurechnung an.12 Eine eigenständige normative Bewertung der Tathandlung im
objektiven Tatbestand des Vorsatzdeliktes nimmt auch Fuchs vor.13 Je nachdem, welcher
Position in der Lehre man folgt, kommt man zum Ergebnis, dass nach der überwiegenden
Meinung die Beurteilung der Sozialadäquanz der Handlung im objektiven Tatbestand aus der
Sicht des eingetretenen Erfolges erfolgt. Der andere Lösungsweg sieht eine eigenständige
Prüfung des Handlungsunrechts nach formal festgestelltem objektiven und subjektiven
Tatbestand vor.
7 Steininger, Sozialadäquanz 18. 8 Burgstaller in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 6 Rz 33 ff (Stand: 1.7.2001, rdb.at). 9 Bertel/Schwaighofer, BT I12 § 75 Rz 1 ff; Kienapfel/Schroll, BT I5 § 75 Rz 11 ff; Leukauf/Steiniger, StGB3 Vorbem § 1
Rz 27 f. 10 Steininger, Sozialadäquanz 40; Kienapfel/Schroll, BT I5 § 75 Rz 14. 11 Steininger, Sozialadäquanz 41. 12 Für eine die Handlungs- und Erfolgsfragen umfassende Zurechnungslehre treten vor allem Moos in Höpfel/Ratz,
WK2 StGB § 75 Rz 15 ff (Stand: 1.4.2002, rdb.at); Steininger in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), SbgK (6. Lfg 2001) Vorbem § 2 StGB Rz 57 ff ein.
13 Fuchs, Österreichisches Strafrecht AT I7 Kap 11 Rz 6 ff.
13/48
III. Innerer Zusammenhang zwischen unmittelbarer T äterschaft und Beitragstäterschaft
A. Allgemeines
Der Grundsatz, dass nur sozialinadäquate Handlungen tatbildmäßig sein können, gilt nicht nur
für den unmittelbaren Täter, sondern auch für sonst an einer Straftat Mitwirkende, wie
Bestimmungs- oder Beitragstäter iSd § 12 StGB. Dies ergibt sich aus dem in Österreich
vorherrschenden Prinzip der funktionalen Einheitstäterlehre. Jeder Tatbeteiligte erfüllt eigenes
Unrecht. Der Unrechtsvorwurf gegen den Beitragstäter lässt sich mangels qualitativer
Akzessorietät nicht vom unmittelbaren Täter ableiten. Dieser Umstand führt dazu, dass die
Beitragshandlung eine eigenständige Bewertung hinsichtlich Sozialadäquanz bzw Inadäquanz
erfahren muss.14 Da als Beitragshandlung jede Verhaltensweise in Betracht kommt, welche die
Ausführung der Tat durch einen anderen ermöglicht, erleichtert, absichert oder in anderer Weise
fördert, ist die Eingrenzung möglicher tatbildmäßiger Tathandlungen durch die Sozialadäquanz
von enorm großer Bedeutung.15 Der Tatbeitrag gilt als sozialinadäquat, wenn das – bereits
bestehende – Risiko der Tatbildverwirklichung durch einen anderen in rechtlich missbilligter
Weise erhöht wurde. Im Ergebnis muss also eine Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem
Alternativverhalten stattgefunden haben. Durch diesen Wertungsfilter wird die schier uferlose
Weite der Förderungskausalität begrenzt und gewisse kausale Tätigkeiten, die sich innerhalb
der Sozialordnung bewegen, als sozialadäquat bewertet.16 Während sich in der Schweiz und
Deutschland eine Vielzahl namhafter Autoren und die Rechtsprechung intensiv mit der
Sozialadäquanz einer Beitragshandlung auseinandergesetzt haben17, findet man hierzulande
nur vereinzelt Ansätze im Schrifttum. So behandelt Schmoller diese Problematik in Verbindung
mit Beteiligungsfragen und der Vorhersehbarkeit fremden Fehlverhaltens im Kausalverlauf.
Nach Schmoller gibt es einen gewissen Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit,
innerhalb dessen ein Verhalten selbst dann sozialadäquat bleibt, wenn es zu einem konkret
voraussehbaren deliktischen Verhalten beiträgt. Dies gilt gleichermaßen für fahrlässige wie auch
für eine vorsätzliche Mitwirkung.18 Um diesen Kernbereich zu definieren und zu systematisieren,
wurden bestimmte Fallgruppen geschaffen.
Die erste Fallgruppe geht davon aus, dass keine sozialinadäquate Mitwirkung vorliegt, wenn ein
anderer willkürliche Folgen an eine Handlung knüpft ("Wenn du weggehst, bringe ich jemanden
14 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 12 Rz 92a (Stand: 1.5.2014, rdb.at). 15 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 12 Rz 87, 92b (Stand: 1.5.2014, rdb.at); Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14
E 5 Rz 8 mwN. 16 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 12 Rz 92a (Stand: 1.5.2014, rdb.at). 17 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 12 Rz 92b (Stand: 1.5.2014, rdb.at). 18 Schmoller, Fremdes Verhalten im Kausalverlauf, in FS für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) 223.
14/48
um") und der Betreffende diese Handlung vornimmt. In einem solchen Zusammenhang ist das
konkrete Verhalten als Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit sozialadäquat.19
In der zweiten Fallgruppe wurden übliche bzw berufstypische Alltagshandlungen des täglichen
Lebens unter die Lupe genommen. Dabei wurde festgestellt, dass solche Handlungen als
Beitragshandlungen dann nicht mehr sozialadäquat sind, wenn ein sehr enger zeitlicher und
aktionsmäßiger Zusammenhang zum anschließenden Fehlverhalten besteht. Aus diesem Grund
handelt zB ein Händler, der einen Schraubenzieher verkauft, auch dann sozialadäquat, wenn
der Käufer ihm anvertraut hat, dass er diesen zu einem Einbruch brauche. Ähnlich würde man
die Situation eines gewöhnlichen Küchenmesserverkaufs trotz mehr oder weniger deutlicher
Äußerung einer Mordabsicht beurteilen. Der Verkäufer ist nicht angehalten, Strafbarkeiten des
Käufers, die er mit den erworbenen alltäglichen Gegenständen irgendwann einmal begeht, zu
verhindern. Zu einer anderen Beurteilung gelangt man, wenn jemand einem anderen während
einer heftigen Schlägerei einen Schraubenzieher oder ein Küchenmesser zur besseren
Gegenwehr zureicht. In dieser Situation ist aufgrund des engen aktionsmäßigen
Zusammenhangs eine sozialinadäquate Mitwirkung zu bejahen. Aus demselben Grund ist die
Strafbarkeit wegen Beitragstäterschaft in jenem Fall zu verneinen, in dem jemand einen anderen
zum Flughafen bringt, obwohl dieser ausdrücklich geäußert hat, dass er nach dem Flug am
Ankunftsort ein Delikt begehe wolle. Gegenteiliges ist anzunehmen, wenn jemand einen Täter
unmittelbar zum Tatort bringt.20 Das Ausschenken von Alkohol durch einen Gastwirt ist als
sozialadäquat einzustufen, selbst wenn konkret vorhersehbar ist, dass der Gast später noch mit
dem Auto nach Hause fährt.21 Würde ein Beifahrer dem Lenker während der Fahrt ständig
Alkohol zureichen, wäre hingegen die Grenze der Sozialadäquanz überschritten.
Die dritte Fallgruppe versucht zu begründen, wann bei wahren Tatsachenmitteilungen keine
sozialinadäquate Mitwirkung vorliegt. Das ist der Fall, wenn die wahren Tatsachenmitteilungen
nur das Motiv des Täters betreffen und nicht die faktische Möglichkeit einer Beeinflussung zur
Deliktsbegehung besteht22. Deshalb bleibt zB derjenige straflos, der einem Rettungswilligen
mitteilt, dass der sich in Not Befindliche einer bestimmten Partei angehöre und deswegen der
Rettungswillige – voraussehbar – die Rettung unterlässt.23 Gegenteiliges gilt, wenn jemand
einem zum Mord Entschlossenen den Aufenthaltsort des Opfers mitteilt oder dem Täter die
Route eines Geldtransports verrät, weil durch diese Mitteilungen erst die Möglichkeit der
Deliktsbegehung eröffnet wird.24
19 Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil2 16/24; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I2 § 24 Rz 28. 20 Schmoller in FS für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag 223. 21 Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil2 24/17. 22 Schmoller in FS für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag 223. 23 Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil2 24/17 mwN. 24 Roxin, Bemerkungen zum Regreßverbot, in FS für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989) 177.
15/48
Die vierte Fallgruppe bejaht die Sozialadäquanz generell, wenn jemand entgeltlich einen
beruflichen Verantwortungsträger (zB Baumeister, Taxifahrer) in Anspruch nimmt. Aus diesem
Grund bleibt derjenige straflos, der sein Haus weiter renovieren lässt, obwohl er die geringe
Standfestigkeit des Gerüsts erkennt, oder wer ein Taxi nimmt, obwohl er dessen
verkehrsunsicheren Zustand erkennt.25 Diese Fallgruppen versuchen den Begriff der
Sozialadäquanz zu konkretisieren, um bestimmte Handlungen darunter subsumieren zu können.
Dieser Ansatz trägt jedenfalls zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit im Bereich der
Beitragstäterschaft bei.26
Hingegen weicht die Praxis dem Problem meistens durch Verneinung des Vorsatzes aus.27
Nach Fuchs gibt der Vorsatz den Ausschlag. Mit anderen Worten: Sollte zB ein Taxifahrer, der
einen anderen zur X-Bank chauffiert, entdeckt haben, dass sie beraubt werden soll, wird die an
sich sozialadäquate Handlung des Chauffierens zu einer verbotenen Unterstützung einer
Straftat. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sich der Taxifahrer mit der deliktischen Verwendung
seiner Taxifahrt abgefunden hat. Das ist nur in den seltensten Fällen zu bejahen, da das Niveau
des erlaubten Risikos bei sozialadäquaten Handlungen hoch anzusetzen ist und eine
vorsätzliche Beteiligung durch solche Handlungen praktisch nur bei Wissentlichkeit des
Beteiligten strafbar ist.28 Kienapfe/Höpfel/Kert argumentieren ähnlich und lassen bei hinreichend
konkreter Tatplankenntnis die Sozialadäquanz von Alltagshandlungen entfallen.29 In der
Entscheidung 12 Os 43/03 musste sich der OGH mit berufstypischen Alltagshandlungen
(Vermittlung bzw Verkauf von Gebrauchtwagen und dem anschließenden Weiterverkauf mit
manipulierten Kilometerständen) und der Frage einer allfälligen Beitragstäterschaft
auseinandersetzen.30 Dabei verwies er auf die zuvor von Kienapfel/Höpfel/Kert31 gemachten
Ausführungen und hielt fest, "dass sogenannte berufstypische (Alltags-)Handlungen (hier:
Vermittlung bzw Verkauf von Gebrauchtwagen) [...] bei hinreichend konkreter Tatplankenntnis
strafbaren Tatbeitrag begründen können."32 Es fehlt jegliche Auseinandersetzung mit der Frage
der Sozialadäquanz von berufstypischen Alltagshandlungen. Erst die Entscheidung 12 Os 21/06i
beschäftigte sich mit der Frage der sozialen Adäquanz.33
25 Lenckner in Schönke/Schröder StGB24 Vorbem §§ 13 ff Rz 101. 26 Moos hat versucht bestimmte objektive Kriterien herauszuarbeiten, die eine an sich formal tatbestandsmäßige
Mitwirkung an der Steuerhinterziehung eines anderen normativ straflos sein lassen. Dazu näher im Kapitel IV./B./1. Moos in FS für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag 477; Moos, Sozialadäquanz und objektive Zurechnung bei Tatbeiträgen im Finanzstrafrecht, in Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 1996 - 2002 (2006) 83.
27 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 12 Rz 92b (Stand: 1.5.2014, rdb.at). 28 Fuchs, Österreichisches Strafrecht AT I7 Kap 33 Rz 57 ff. 29 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14 E 5 Rz 9. 30 OGH 12 Os 43/03 = SSt 2003/83 = EvBl 2004/53, 231 = JBl 2004, 804. 31 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14 E 5 Rz 9. 32 OGH 12 Os 43/03 = SSt 2003/83 = EvBl 2004/53, 231 = JBl 2004, 804. 33 Dazu näher im Kapitel IV./B./2. OGH 12 Os 21/06i = JUS St/3934 = RZ 2007/EÜ 43, 48 = SSt 2006/54.
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B. Bestimmungstäterschaft
Nicht nur bei der Beitragstäterschaft, sondern auch bei der Bestimmungstäterschaft kommt dem
Kriterium der Sozialadäquanz Bedeutung zu. Anders als beim Beitragstäter wird wohl beim
Bestimmungstäter die Sozialadäquanz deutlich eher zu verneinen sein.34 Allerdings ergibt sich
auch beim Bestimmungstäter ein weiter Anwendungsbereich. Es kommt jede Verhaltensweise in
Betracht, die den Anstoß zur Tatausführung durch einen anderen gibt.35 Aufgrund des allgemein
anerkannten Prinzips, dass der unmittelbare Täter mangels sozialinadäquaten Verhaltens
straffrei sein kann, belegt, dass dieses Kriterium auch beim Bestimmungstäter, dessen
Tathandlung derart offen umschrieben ist, nicht vernachlässigt werden kann. In Anbetracht
dessen ist es in Fällen wie den bereits dargestellten wahren Tatsachenmitteilungen nicht
entscheidend, ob die Mitwirkung im Einzelfall als Bestimmung oder Beitrag anzusehen ist.36 Aus
der Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen (§ 12 StGB) kann gefolgert werden, dass für
bestimmte Fälle, in denen noch kein Handlungsentschluss zur Tatausführung getätigt wurde, die
nachstehenden Ausführungen in dieser Arbeit bezüglich Sozialadäquanz für den Bestimmungs-
und Beitragstäter in gleicher Weise gelten.
C. Deutscher Meinungsstand
1. Einführung
Unter dem Begriff der berufstypischen oder berufsneutralen Handlungen werden Möglichkeiten
zur Einschränkung der Beihilfestrafbarkeit erörtert. Die deutsche Strafrechtsdogmatik weist eine
Fülle von Ansätzen in Bezug auf diese Problematik auf.37 Nach einem Teil der Lehre sollte eine
Einschränkung im objektiven Bereich vorgenommen werden. Ein anderer Teil, insbesondere die
neuere Rechtsprechung, steht für eine Einschränkung im subjektiven Tatbestand.38 Die
verschiedenen Ansätze und Modelle sollen in weiterer Folge dargestellt und diskutiert werden.
Trotz des Umstandes, dass die deutsche Strafrechtsdogmatik dem Teilnahmesystem folgt,
können die Ansätze auf das in Österreich vorherrschende funktionale Einheitstätersystem
übertragen werden, da es um die Strafbarkeitsbeschränkung beim Gehilfen geht und nicht um
Fragen der Strafbarkeitsvoraussetzungen beim Haupttäter, die für die Strafbarkeitsbegründung
des Gehilfen essenziell sind ("qualitative Akzessorietät").
34 Hinterhofer/Müller, Berufstypische Interessenmaximierung im Wirtschaftsleben- strafbare Beteiligung an der
Untreue? JSt 2015/5, 423. 35 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB §12 Rz 50 (Stand:1.5.2014,rdb.at); Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14 E 4 Rz
9. 36 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 426. 37 Zuletzt Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) passim. 38 Dannecker/Hagemeier, Grenzen der Beteiligung an Finanzvergehen unter besonderer Berücksichtigung von
europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, in Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht (2008) 63.
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2. Die Rechtsfigur der berufsneutralen Handlung
Der Terminus "berufsneutrale Handlung" wirft die Frage auf, ob Handlungen, die der betreffende
Berufsträger im Rahmen seiner Dienstausübung typischerweise vornimmt und die in der
konkreten Fallgestaltung einem Täter Hilfe zu seiner Tat bieten, partout als strafbare Teilnahme
verfolgt werden können. Eine Problematisierung wird sich in den meisten Lehrbuchbeispielen
erübrigen, weil die Beihilfestrafbarkeit bereits am subjektiven Tatbestand scheitern wird. Nach
dem doppelten Gehilfenvorsatz, muss sich der Vorsatz auf die vorsätzliche rechtswidrige
Haupttat und die Förderung derselben beziehen. Dieses Erfordernis wird regelmäßig nicht erfüllt
sein, weil zB der Verkäufer eines Schraubenziehers den Kunden meistens nicht näher kennen
wird und darüber hinaus nichts über dessen deliktische Absichten wissen wird. Diese Lösung gilt
in der Literatur als umstritten und wird teilweise zu Recht als unbillig empfunden. Die Strafbarkeit
eines Gehilfen dürfte bei Vorliegen einer berufsneutralen Handlung nicht erst im subjektiven
Tatbestand ausgeschlossen werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit,
an die im Strafrecht wegen des Grundsatzes "nullum crimen sine lege" besonders hohe
Anforderungen gestellt werden, müssten die Grenzen strafbarer Beihilfe bei neutralen
Handlungen bereits im objektiven Tatbestand definiert werden. Das Problematische an der
Behandlung dieses Themas im subjektiven Tatbestand ist der Umstand, dass Vorsatz in Form
des dolus eventualis bereits dann angenommen werden kann, wenn der Helfende für möglich
hält oder vermutet, dass sein Beitrag zur Begehung einer Straftat genutzt wird. Von der
Rechtsprechung wird das in der Regel als unproblematisch angenommen. Dadurch käme es
nach allgemeinen Beihilfegrundsätzen zwangsläufig zu einer Strafbarkeit des Helfers. In Bezug
auf das Schraubenzieherbeispiel würde es bedeuten, dass Verkäufer im Handel keine
Werkzeuge mehr an Personen verkaufen dürften, bei denen sie ernstlich mit der Möglichkeit
rechnen, dass diese mit den erworbenen Gegenständen Straftaten begehen. Diese Auslegung
würde zu unpraktikablen und insbesondere zu unbilligen Ergebnissen im Wirtschaftsverkehr
führen.39
3. Lösungsansätze in der Literatur
a) Die Ansicht Roxins : Begrenzung der Strafbarkeit auf Gehilfen, die mit direktem Vorsatz (sicherem Wissen) handeln, und auf Verhalte nsweisen außerhalb des erlaubten Risikos
Im Zusammenhang mit dem Terminus "Alltagshandlung" stellt sich die Frage, wann eine solche
als strafbare Beihilfe eingestuft werden kann. Hierzu können beliebig viele Beispiele gebildet
werden. So stellt man sich etwa die Frage, ob eine strafbare Beihilfe gegeben ist, wenn ein
Händler jemandem einen Hammer oder Schraubenzieher verkauft, im Wissen, dass dieser
damit einem anderen den Schädel einschlagen bzw einen Einbruch begehen werde. Oder
39 Dannecker/Hagemeier in Leitner 63.
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macht sich ein Bankangestellter der Beihilfe schuldig, wenn er Geld eines Kunden auf dessen
Wunsch per anonymem Kapitaltransfer nach Luxemburg überweist und ihm dabei bekannt ist,
dass der Kunde die Transaktion zum Zwecke der Steuerhinterziehung vornimmt? Macht sich ein
Lieferant von Material an einen Fabrikanten strafbar, wenn er weiß, dass dieser im Zuge der
Verarbeitung gegen Tatbestände des Umweltstrafrechts verstößt? Liegt strafbare Beihilfe vor,
wenn jemand im Wissen nachträglicher Steuerhinterziehung einen Handwerker beauftragt und
bezahlt?40 Der Lösungsansatz Roxins verlangt als Voraussetzung der Beihilfestrafbarkeit bei
berufsneutralem Verhalten zunächst das Vorliegen einer äußerlich neutralen Handlung, welche
als Verhaltensweise definiert wird, "die der Ausführende jedem anderen in der Lage des Täters
gegenüber vorgenommen hätte, weil er mit der Handlung – im Vorhinein (auch) – tat- und
täterunabhängige eigene, rechtlich nicht missbilligte Zwecke verfolgt."41 Das Modell
unterscheidet zunächst danach, ob der Teilnehmer vom deliktischen Verhalten bzw vom
Deliktsentschluss des Täters sicheres Wissen hat oder ob er nur mit dessen deliktischem
Handeln rechnet, also lediglich mit dolus eventualis handelt. Wohlleben vertritt eine ähnliche
Position wie Roxin: Sieht der Helfende die Haupttat voraus, oder erkennt er die Tatgeneigtheit
des Haupttäters, sei regelmäßig wegen Beihilfe zu verurteilen.42
(1) Fallgruppe I: Sicheres Wissen des Gehilfen bei Vorliegen eines "deliktischen Sinnbezugs" der Unterstützungshandlung
Kennt der Außenstehende den Deliktsentschluss des Täters, nimmt Roxin nur dann eine
Strafbarkeit wegen Beihilfe an, wenn das Verhalten des Helfenden einen "deliktischen
Sinnbezug" aufweist. Solch ein Sinnbezug ist dann zu bejahen, wenn der Außenstehende
bewusst eine Handlung fördert, die schon per se deliktischer Natur ist. Daher ist ein Verkäufer,
der jemandem einen Hammer verkauft, von dem er weiß, dass dieser einen anderen damit
umbringen will, wegen Beihilfe zu einem Tötungsdelikt strafbar. Gleiches gilt für denjenigen, der
einem Mann einen Schraubenzieher verkauft und dabei erkennt, dass dieser als Chef einer
Diebesbande diesen für Einbrüche verwenden wird. Der Verkäufer ist wegen Beihilfe zum
Einbruchsdiebstahl strafbar. Der deliktische Sinnbezug der beschriebenen Handlungen geht
nicht dadurch verloren, dass der Käufer Hammer und Schraubenzieher außerdem für nicht
deliktische Zwecke verwenden kann. Eine Tötung und ein Einbruch stellen ausschließlich
deliktische Handlungen dar, auf die sich der fördernde Beitrag gerade bezog.43 Des Weiteren
liegt ein deliktischer Sinnbezug vor, wenn die unmittelbar geförderte Handlung als solche legal
ist, aber ihr einziger Zweck für den Haupttäter darin besteht, wie der Außenstehende erkennt,
eine Straftat zu ermöglichen oder zu erleichtern. So wäre der Bankangestellte im Beispiel des
40 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 218. 41 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 220 mit Verweis auf Wohlleben, Beihilfe durch äußerlich neutrale
Handlungen (1994) 4. 42 Wohlleben, Beihilfe 160 ff. 43 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 221 f.
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Kapitaltransfers nach Luxemburg wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung strafbar, da dieser
ohne die geplante Steuerhinterziehung sinnlos wäre. "Demgegenüber fehlt es an einem
deliktischen Sinnbezug, wenn sich der fördernde Beitrag auf eine legale Handlung bezieht, die
schon für sich allein genommen für den Täter sinnvoll und nützlich ist, die dieser aber außerdem
zur Voraussetzung für ein davon unabhängiges, auf einem selbständigen Entschluß beruhendes
Deliktsverhalten macht."44 Beispielhaft kann hier die bereits oben angeführte Bestellung und
Bezahlung eines Handwerkers, der im Anschluss Steuern hinterzieht, genannt werden. Obwohl
der Auftraggeber von dem deliktischen Verhalten im Anschluss weiß, kann kein deliktischer
Sinnbezug bejaht werden, da sich der objektive Sinn der Beauftragung und Bezahlung auf die
auszuführende Handwerksleistung, welche nicht deliktischer Art ist, beschränkt.45 Die
Nichtabführung allfälliger Steuern stellt ein von der Bezahlung der Handwerksleistung
unabhängiges deliktisches Verhalten aufgrund eines neuen Entschlusses dar.46
(2) Fallgruppe II: Dolus eventualis des Gehilfen be i erkennbarer Tatgeneigtheit des Haupttäters
Viele Fälle werden ergeben, dass der Außenstehende keine sichere Kenntnis von einem
Deliktsentschluss des Täters hat, sondern lediglich die Möglichkeit einer deliktischen
Verwendung seines Beitrages ins Auge fasst. Im Schraubenzieher-Fall kann dies zu Tage
treten, indem der Verkäufer nicht weiß, dass der Erwerber mit dem Schraubenzieher einen
Einbruchsdiebstahl begehen werde, wenn er dies aber infolge seines verdächtigen Aussehens
für möglich hält und in Kauf nimmt. Dieses Verhalten könnte eine Beihilfe mit dolus eventualis
darstellen. Prinzipiell ist eine derartige Beihilfe möglich, allerdings versucht Roxin, die
Beihilfestrafbarkeit in den Fällen neutralen Handelns über das Kriterium des
Vertrauensgrundsatzes, welcher die Zurechnung des tatbestandlichen Erfolges ausschließt,
einzuschränken.47 Nach diesem Grundsatz darf jeder darauf vertrauen, dass andere keine
vorsätzlichen Straftaten begehen, solange er selbst keine "erkennbare Tatgeneigtheit" aufweist.
Der Vertrauensgrundsatz kommt zwar aus der Fahrlässigkeitsdogmatik, hat aber auch bei der
vorsätzlichen Teilnahme seine Daseinsberechtigung. So stellt sich die Frage nach dem Vorsatz
gar nicht mehr, wenn die Zurechnung zum objektiven Tatbestand infolge eines durch den
Vertrauensgrundsatz begründeten erlaubten Risikos ausgeschlossen ist. Im "Schraubenzieher-
Fall" wäre eine Beihilfe zum anschließenden Einbruchsdiebstahl zu verneinen, da ein
"verdächtiges Aussehen", das auf subjektiven Eindrücken beruht, nicht zur Begründung
erkennbarer Tatgeneigtheit genügt. Für die Annahme "erkennbarer Tatgeneigtheit" bedürfte es
konkreterer Anhaltspunkte, die die Wahrscheinlichkeit eines deliktischen Verwendungszweckes
44 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 224. 45 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 223 f. 46 Dannecker/Hagemeier in Leitner 63. 47 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 241; Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts
(2007) 186 ff.
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nahelegen. Ein konkreter Anhaltspunkt für "erkennbare Tatgeneigtheit" liegt vor, wenn
Teilnehmer einer Straßenschlacht in einem in Sichtweite gelegenen Geschäft Waffen kaufen
und der Verkäufer damit rechnet, dass die Waffen zur Begehung von Körperverletzungen
benutzt werden sollen. In einem solchen Fall kann er wegen einer mit dolus eventualis
begangenen Beihilfe zu diesen Taten zur Verantwortung gezogen werden.48
Nach den dargestellten Fallgruppen wird bei den meisten Alltagshandlungen, vor allem bei den
Austauschgeschäften des täglichen Lebens, eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zu verneinen sein.
Denn ein sicheres Wissen von einer geplanten deliktischen Verwendung des hingegebenen
Gegenstandes wird nur selten vorliegen, und die Annahme einer mit dolus eventualis
begangenen Beihilfe wird meist am Vertrauensgrundsatz scheitern.49
In der Literatur finden sich einige kritische Stellungnahmen zu den von Roxin entwickelten
Grundsätzen. So kritisiert Weigend, dass es bereits "an einer tragfähigen Begründung dafür"
fehle, dass der Vertrauensgrundsatz zwar bei einem Rechnen mit dem Erfolg, nicht aber bei
sicherer Kenntnis von seinem Eintritt eingreifen soll.50 Dem hält Roxin entgegen, dass der
Vertrauensgrundsatz ein allgemein anerkanntes Prinzip der objektiven Zurechnung ist. "Wer
etwas genau weiß, kann und darf logischerweise nicht auf das Gegenteil vertrauen." Hegt
jemand nur allgemeine Befürchtungen eines geplanten deliktischen Verhaltens, ohne dass aus
den Umständen eine erkennbare Tatgeneigtheit des zu Unterstützenden hervorgeht, kann er
diesem den erbetenen Beistand leisten und kann auf sein legales Verhalten vertrauen.
Andernfalls wäre ein funktionierendes Sozialleben unmöglich. Bei der vorgenommenen
Differenzierung handelt es sich um keine Ad-hoc-Konstruktion, sondern um eine Anwendung
allgemeiner Zurechnungsgrundsätze.51 Nach Roxin sei auch der Vorwurf des
Gesinnungsstrafrechts52 verfehlt. Die Ausführungen zur Fallgruppe I betreffend sicheren
Wissens des Gehilfen und deliktischen Sinnbezuges der Beihilfehandlung, bei welcher die direkt
vorsätzliche fördernde Verursachung eines tatbestandlichen Erfolges als Beihilfe bestraft wird,
genügt allen Voraussetzungen eines Tatstrafrechts. Die Annahme, dass andere, nur
möglicherweise deliktsfördernde Handlungen im Rahmen des erlaubten Risikos liegen und
deshalb nicht zurechenbar sind, macht die Ahndung zurechenbar vorsätzlicher
Rechtsgüterverletzungen nicht zu einer Gesinnungsstrafe.53
Beckemper meint, es sei "zwar richtig, daß jedermann im Regelfall darauf vertrauen kann, daß
andere keine vorsätzlichen Straftaten begehen. Wenn aber dolus eventualis vorliegt, hat der
Gehilfe eben nicht darauf vertraut, daß der Täter keine Straftat begehen wird." Demnach handelt
48 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 241. 49 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 242. 50 Weigend, Grenzen strafbarer Beihilfe, in FS für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag (1998) 197. 51 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 244. 52 Weigend in FS für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag 197. 53 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 245.
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der Verkäufer im "Schraubenzieher-Fall" bloß bewusst fahrlässig und wäre damit straflos, wenn
er sich zwar Gedanken darüber gemacht hat, ob der verdächtig aussehende Käufer damit einen
Einbruch begehen wolle, aber darauf vertraut, dass die Deliktsbegehung ausbleibe. Im Kern
geht es bei dieser Aussage um die allgemeine Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster
Fahrlässigkeit. Der Vertrauensgrundsatz wird entbehrlich.54 Dem entgegnet Roxin, dass der
Vertrauensgrundsatz als Ausprägung des erlaubten Risikos schon die Zurechnung zum
objektiven Tatbestand betrifft. Kommt der Vertrauensgrundsatz im "Schraubenzieher-Fall" zum
Zug, weil der Verkäufer über die geplante Verwendung des Schraubenziehers durch den
verdächtig aussehenden Käufer nichts weiß, dann kann, weil schon der objektive Tatbestand
der Beihilfe nicht vorliegt, die Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit im
subjektiven Tatbestand außer Betracht bleiben. Nach Roxin sei das "Vertrauen" beim
Vertrauensgrundsatz kein psychischer Befund, sondern ein normatives Prinzip, das die
Zurechnung zum objektiven Tatbestand einschränkt.55
(3) Die Rechtsprechung
Im Folgenden werden drei Grundsatzentscheidungen des BGH behandelt, die das Thema der
neutralen Handlung zu einem wichtigen Beihilfeproblem gemacht haben. Vorweg kann
festgehalten werden, dass die Ansichten in den Urteilen auf den zu diesem Thema entwickelten
Grundätzen von Roxin fußen und in die neuere Rspr Eingang gefunden haben.56 Die erste
Entscheidung stammt aus dem Jahr 1998 und setzte sich mit der Strafbarkeit eines Notars
wegen Beihilfe zur Untreue auseinander.57 Der Notar erklärte sein Verhalten für straflos und
rechtfertigte es damit, dass es sich "im Rahmen der Berufsadäquanz gehalten [habe]; er habe
lediglich auftragsgemäß dem Beruf des Notars entsprechende Aufgaben wahrgenommen, die
für sich betrachtet neutral seien und keine strafbaren Handlungen darstellten. Zumindest reiche
bei einem solchen Verhalten ein nur bedingter Vorsatz – wie hier festgestellt – nicht aus, um
eine Beihilfe [...] annehmen zu können." Der BGH entgegnete, dass der Angeklagte "das
berufstypisch erlaubte Risiko" überschritten und sich "die Förderung der 'erkennbar tatgeneigten
Täter [...] angelegen sein'"58 habe lassen. "Unter diesen Voraussetzungen ist die Annahme eines
nur bedingten Vorsatzes für die Beihilfe zur Untreue ausreichend [...]." Demnach beruft sich der
BGH in Fällen nicht sicheren Wissens vom Tatenentschluss des Täters auf den
Vertrauensgrundsatz. Dieser wird allerdings in Fällen wie diesen bei erkennbarer Tatgeneigtheit
mit Recht abgelehnt.59
54 Beckemper, Strafbare Beihilfe durch alltägliche Geschäftsvorgänge, Jura 2001, 163. 55 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 246. 56 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 251 ff. 57 BGH 26.10.1998, 5 StR 746/97, NStZ-RR 1999,184. 58 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 251 unter wörtlicher Bezugnahme auf den "Maßstab" in Leipziger
Kommentar11 Band 1 Vor § 27 Rz 21. 59 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 251.
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In der zweiten Entscheidung mussten sich die Höchstrichter mit einem Anwalt beschäftigen, der
wegen Beihilfe zum Betrug angeklagt war.60 Er hatte für eine Firma, "deren alleiniger
Unternehmenszweck in der betrügerischen Erlangung von Anlagegeldern bestand", eine
inhaltlich korrekte "für die Kundenwerbung bestimmte Broschüre mit der Darstellung der
wirtschaftlichen Zusammenhänge und Risiken von Warentermingeschäften erarbeitet." Der Sinn
und Zweck bestand darin, auf diese Weise "den Anschein der Seriosität" zu erwecken und den
geprellten Kunden den Einwand mangelnder Risikoaufklärung zu nehmen. Der BGH beurteilte
die Strafbarkeit wegen Beihilfe in diesem Fall nach folgenden "allgemein für berufstypische,
neutrale Handlungen" geltenden Grundsätzen: "Zielt das Handeln des Haupttäters
ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende,
so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten [...] In diesem Fall verliert sein Tun stets
den Alltagscharakter [...]. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete
Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, daß sein Tun zur
Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare
Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens
des von ihm Unterstützten war derart hoch, daß er sich mit seiner Hilfeleistung 'die Förderung
eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein' ließ." In dieser Entscheidung wird in Bezug
auf das nicht sichere Wissen an die Ausführungen der vorhergehenden Untreueentscheidung
angeknüpft. Die Differenzierung zwischen sicherer Kenntnis und bloßem Fürmöglichhalten eines
deliktischen Tatentschlusses wurden inhaltsgleich übernommen. Das Kriterium des deliktischen
Sinnbezuges kam zwar nicht explizit zur Sprache, allerdings wurde das Thema mit den Worten
"zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu
begehen", implizit behandelt.61
Die dritte Entscheidung setzte sich mit der Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung
eines Bankangestellten durch Kapitaltransfer ins Ausland auseinander.62 Dabei wurden die
zuvor zitierten Beurteilungsgrundsätze des Werbebroschürenfalles wörtlich wiederholt.
Auffallend ist, dass der BGH erhöhte Anforderungen an die Wollenskomponente des bedingten
Vorsatzes stellt: "Ein bloßes In-Kauf-Nehmen eines Erfolges bzw dessen Förderung ist schon
nach dem Wortlaut etwas anderes, als sich die Förderung eines Erfolges angelegen sein zu
lassen." Im Ergebnis hat der BGH eine Art "gesteigerten bedingten Vorsatz" geschaffen, der sich
den Anforderungen an den direkten Vorsatz deutlich annähert.63
60 BGH 20.9.1999, 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34. 61 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 253. 62 BGH 1.8.2000, 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 251. 62 BGH 20.9.1999, 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34. 62 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 253. 62 BGH 1.8.2000, 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107. 63 Dannecker/Hagemeier in Leitner 63.
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b) Die Ansicht Jakobs : Begrenzung der Beihilfestrafbarkeit unter Rückgri ff auf die Lehre vom Regressverbot
In der Literatur finden sich vereinzelt Auffassungen, die über die Mitverursachung des vom Täter
begangenen Unrechts hinaus zusätzliche Anforderungen an die Strafbarkeit der Beihilfe
stellen64, um so die Beihilfestrafbarkeit auf der objektiven Seite einzuschränken.
(1) Erfordernis einer gemeinsamen Organisation des Rechtsgüterangriffs durch Täter und Gehilfen
Nach Jakobs sollte der Strafgrund der Beihilfe durch ein kriminelles Gemeinschaftsverhältnis
zwischen Haupttäter und Gehilfen begründet werden. Er nimmt eine Strafbarkeitsbeschränkung
der Beihilfe durch neutrales Verhalten mithilfe der Lehre vom Regressverbot vor. Hierbei wird
auf die Differenzierung nach dem Verhaltenssinn abgestellt. In Bezug darauf sei eine strafbare
Beteiligung in jenen Fällen zu verneinen, in denen sich das Verhalten des Helfers auch ohne die
deliktische Handlung des Täters als sinnvoll darstellt. Nach Jakobs Konzept sollen alle
Handlungen, die als "übliche Austauschgeschäfte des täglichen Lebens" anzusehen sind,
straflos sein.65 Die Beurteilung des Beihilfegeschehens habe allein auf der objektiven Seite zu
erfolgen. Etwaige subjektive Aspekte sind außer Acht zu lassen und sind für die Beurteilung der
Beihilfestrafbarkeit unbeachtlich. Dadurch ist die Strafbarkeit wegen Beihilfe für denjenigen zu
verneinen, dessen Handlung sich in einem üblichen Alltagsgeschäft erschöpft, auch wenn er von
den Absichten des Täters weiß und diese billigt. Beispielhaft gesprochen bleibt nach dieser
Ansicht ein Taxifahrer straffrei, wenn er von den deliktischen Plänen seines Fahrgastes am
Zielort weiß. Er begründet diesen Ansatz damit, dass ein Verhalten des Beteiligten nicht wegen
seines Inhalts die Gefahr eines deliktischen Fortgangs erhöhen kann, da keine per se
gefährlichen, sondern eben neutrale Handlungen vorgenommen werden. Allein die deliktische
Planung des Täters gibt den Ausschlag. Die Forderungen Jakobs beziehen sich auf eine
gewisse gemeinsame Organisation von Täter und Helfer, um eine Strafbarkeit des Letzteren
begründen zu können.
Hingegen sollen bestimmte Verhaltensweisen strafbare Beihilfe begründen. Ein derartiges
strafbares Verhalten soll vorliegen, wenn eine unterstützende Handlung im Vorfeld speziell so
gestaltet wird, dass sie sozusagen auf die deliktische Ausführung zugeschnitten wird. Der
Verhaltensinn der Beihilfehandlung wäre dann die Förderung eines Delikts. Dasselbe gilt für
Tätigkeiten, die zwar nicht speziell auf das Delikt zugeschnitten sind, aber "wegen ihrer
stereotyp-sozialinadäquaten Gestalt generell das Stigma eines deliktischen Kontextes" tragen.
Diese Ausführung betreffe Handlungen, die wegen ihrer abstrakten Gefährlichkeit für normwidrig
erklärt werden, wie zum Beispiel der Verkauf von waffenscheinpflichtigen Waffen an
Nichtberechtigte. Der Kontext, in dem das bestimmte Verhalten stehe, spielt auch eine wichtige
64 Dannecker/Hagemeier in Leitner 63. 65 Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil2 24/17.
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Rolle und ist jedenfalls bei der Bestimmung des objektiven Verhaltenssinnes mit zu
berücksichtigen. Denn jener kann grundsätzlich geeignet sein, auf ein an sich sozialadäquates
Verhalten "zurückzuwirken", wenn er sich als eindeutig deliktisch darstellt.66
(2) Kritische Stellungnahmen in der Literatur
Fraglich ist, ob die eigentliche Zurechnungsvoraussetzung der gemeinsamen Organisation
trennscharf plausible Lösungen für ambivalente Fallgestaltungen erbringen kann, welche in
weiterer Folge mit der gesetzlichen Regelung der Beihilfe harmonieren. So ist es nicht plausibel,
warum eine gemeinsame Organisation nicht stets bereits dadurch zustande kommen soll, dass
eine Förderung einer fremden Haupttat sehenden Auges – nämlich mindestens bedingt
vorsätzlich – stattfindet.67 Darüber hinaus leuchtet nicht ein, warum für die Gehilfenstrafbarkeit
ein Abweichen des Betreffenden vom sozialrollenkonformen Verhalten erforderlich sein soll68
und warum in der vorsätzlichen Förderung fremder Vorsatztaten nicht stets eine Überschreitung
der eigenen sozialen Rolle liegen soll. Ersteres ist wohl damit zu beantworten, dass Jakobs in
der Sache eine strafwürdige gemeinsame Organisation als Strafgrund der Teilnahme nebst
mittäterschaftlicher Begehung sieht. In Bezug auf das Erfordernis der Überschreitung
sozialrollenkonformen Verhaltens bei vorsätzlicher Förderung fremder Vorsatztaten kann
festgehalten werden: Die Annahme Jakobs, dass die Verwirklichung der Voraussetzungen des
§ 27 dStGB nicht stets und zwangsläufig ein Überschreiten jedweder akzeptierter sozialer Rollen
bedeutet, impliziert, dass das Konzept der sozialen Rolle normativ werthaltiger ist als die
gesetzlichen Vorgaben des § 27 dStGB.69 Anhand eines Beispiels dargelegt, bedeutet das: Der
Verkauf von Brot gehört zweifelsohne zur sozialen Rolle eines Bäckers. Erklärungsbedürftig ist
allerdings die Sichtweise, dass derselbe Bäcker sich nicht wegen Mordbeihilfe strafbar machen
soll, wenn er ein Brot in dem Wissen verkauft, dass der Kunde es nutzen werde, um seine
Ehefrau zu vergiften, da auch dieses Verhalten noch rollengemäß ist.70 Dieser abstrakte
Rahmen von gewissen real vorhandenen, in sozialen Rollen geronnenen
Verhaltenserwartungen soll nicht dazu führen, dass die autonom-rechtsdogmatische Kategorie
der strafbaren Teilnahme an fremder Haupttat durch Beihilfe in ein Ableitungsverhältnis
desselben gerät.71
c) Die Ansicht von Ransiek : Orientierung an der Fahrlässigkeitsdogmatik
Ransieks Maßstab für die Beurteilung der Beihilfestrafbarkeit durch berufsbedingtes Handeln
bilden die aus dem Fahrlässigkeitsbereich übertragenen Wertungen. Dabei gelangt er zumeist
66 Jakobs, Akzessorietät. Zu den Voraussetzungen gemeinsamer Organisation, Goltdammers`s Archiv für Strafrecht
1996, 253. 67 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 154. 68 Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil2 24/18. 69 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 155. 70 Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil2 24/17. 71 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 155; Wohlleben, Beihilfe 87.
25/48
zur Straflosigkeit des Gehilfen: "Es gehört erst gar nicht zum Pflichtenkreis des Verkäufers oder
des Arbeitnehmers, sich Gedanken über die beabsichtigte Verwendung des veräußerten
Gegenstandes, die Erfüllung der steuerlichen Pflichten oder die Produktsicherheit zu machen.
[...] Wird von einer Person aber überhaupt nicht gefordert, sich irgendwelche Gedanken über
Gefahren zu machen oder sich um solche zu kümmern, muß es unschädlich sein, wenn sie sich
– überflüssig – Gedanken macht."72 Allerdings soll die Grenze dort überschritten sein, wo der
Betreffende sicheren Wissens eine Vorsatztat seines Gegenübers fördert. Sein Lösungsmodell
fordert darüber hinaus – ähnlich wie jenes von Roxin – dass ein deliktischer Sinnbezug
vorliegen muss, der gegeben ist, wenn "das fördernde Verhalten spezifisch auf die Tat bezogen
ist."73 Von den Fällen sicheren Wissens des Gehilfen abgesehen, versucht Ransiek aus der
Fahrlässigkeitsdogmatik Rückschlüsse zu generieren, welche die strafrechtliche Neutralisierung
der Dolus-eventualis-Fälle begründen sollen.74 Bei diesem Ableitungsmodell müssen allerdings
zwei Aspekte berücksichtigt werden:
Einerseits geht es darum, Konstellationen aus dem Bereich der fahrlässigen Erfolgshaftung bzw
der vorsätzlich strafbaren Beihilfe heranzuziehen, die einen Vergleich zulassen. So müssen die
zur Straftat eines Dritten jeweils Beitragenden identische Erkenntnisse über die
Handlungssituation haben. Daher wäre folgender Fall unbrauchbar, bei dem ein bedingt
vorsätzlich handelnder Warenverkäufer aufgrund seines Wissens, dass der Kunde mehr oder
weniger eine Straftat angekündigt hat, die konkrete Möglichkeit des deliktischen
Anknüpfungsverhaltens erkannt hat und diese Lage mit einer fahrlässigen Parallelsituation
verglichen wird, in welcher der Verkäufer keine solchen Informationen zur Verfügung hat.75 "Die
Frage nach der Sorgfaltspflichtverletzung ist situationsbezogen zu stellen. [...] Entsprechendes
muß auch für den Vorsatz gelten."76 Für die Bestimmung des situativen Kontextes, welcher für
die Konkretisierung des jeweils Erlaubten maßgeblich ist, sind die Erkenntnisse des Handelnden
von den äußeren Gegebenheiten unbeachtlich. Sie stellen sich als unverzichtbare Kriterien bei
der Konkretisierung des Fahrlässigkeitsunrechts wie bei der präzisen Bestimmung der Grenzen
für erlaubt riskantes Verhalten bei vorsätzlichem Tun dar.77 Das drückt Ransiek insoweit aus, als
er davon spricht, dass der Beitragende, welcher von den deliktischen Absichten seines
Gegenübers weiß, stets seinen Pflichtenkreis berührt.78 Diese Aussage führt allerdings dazu,
dass dem dargestellten Ableitungsmodell in gewisser Weise seine Grundlage entzogen ist. Die
72 Ransiek, Neutrale Beihilfe in formalen Institutionen, in Amelung (Hrsg), Individuelle Verantwortung und
Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokratischen Organisationen des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft (2000) 95 (99).
73 Ransiek in Amelung 100 ff. 74 Sinngemäß Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 172. 75 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 172. 76 Maiwald, Zur Leistungsfähigkeit des Begriffs "erlaubtes Risiko" für die Strafrechtssystematik, in FS für Hans-
Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag. Erster Halbband (1985) 405 (421). 77 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 173. 78 Ransiek in Amelung 100.
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eingangs zitierte Formulierung Ransieks, dass sich Verkäufer und Arbeitnehmer keine
"Gedanken" machen müssen, verstärkt diese Annahme.
Andererseits ist für eine sachgerechte Lösung von Konstellationen der (bedingt-) vorsätzlichen
Förderung von Straftaten Dritter anhand der Betrachtung von unvorsätzlichen Parallelfällen eine
gesicherte übertragende Wertung erforderlich. Diese wird aber nicht geliefert, wenn Ransiek den
Standpunkt vertritt, dass der Verkauf von Waren keine Fahrlässigkeitshaftung des Händlers für
einen im Anschluss mit der verkauften Sache verursachten deliktischen Erfolg begründen
könne, weil sich der Händler keine "Gedanken" über den möglichen deliktischen Einsatz des
Kunden machen muss.79 Indem Ransiek davon ausgeht, dass auch die vorsätzliche Beihilfe ein
Element der Pflichtwidrigkeit, welches als entsprechendes Pendant der Sorgfaltspflicht-
verletzung im Rahmen der Fahrlässigkeitshaftung gilt80, ist zwar eine formal-dogmatische
Brücke geschlagen, doch das Sachproblem ist nicht gelöst, sondern nur verschoben. So muss
eine präzise Bestimmung einer Fahrlässigkeitskonstellation vorgenommen werden, um einen
Vergleich zwischen dem zu bewertenden Fall eines vorsätzlichen Beitrags zu einem fremden
Delikt herstellen zu können.81
d) Die Ansicht Ottos : Nichtvorhandensein einer "bereichsspezifischen" N orm
Otto gelangt durch das Nichtvorhandensein bereichsspezifischer Regelungen zur
strafrechtlichen Neutralisierung der Beihilfe qua Tatbestandsausschluss wegen erlaubten
Risikos. Erst das positive Wissen von den deliktischen Absichten des Kunden markiere die
Grenze des Erlaubten. Nach Otto sei die Überwälzung von Strafbarkeitsrisiken dann nicht
akzeptabel, "wenn die Gefahrensituation auch dem Gesetzgeber bekannt war oder ist, und er
gleichwohl diese Geschäfte weder verbietet noch reglementiert." Hierbei geht es Otto nicht nur
um die "Freiheit der Berufs- oder Geschäftsausübung" für Anbieter von Waren oder
Dienstleistungen, sonder auch darum, dass jeder Kunde verlangen könnte, "die berufstypische
oder geschäftsmäßige Leistung eines beruflich oder geschäftsmäßig Tätigen [...] unabhängig
von den Gefahrstellungen seines Geschäftspartners zu erhalten."82
Der Rückschluss Ottos vom Fehlen einer spezifischen Regelung auf das Erlaubtsein einer
bestimmten Handlung erweist sich im Lichte der Beihilferegelung des § 27 dStGB als sehr
vage.83 Denn nach der Meinung Kudlichs sei im Falle des Fehlens einer spezifischen Regelung
die inhaltsreichere allgemeine Norm des § 27 dStGB anzuwenden.84 Die Konsequenz von Ottos
Ansatz ist, dass er den Gesetzgeber sozusagen zwingt, jeden beruflichen Kontext so dicht als
möglich zu regeln, um nicht Gefahr zu laufen, dass § 27 dStGB für berufliche Zusammenhänge 79 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 173. 80 Ransiek in Amelung 99. 81 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 174 f. 82 Otto, Das Strafbarkeitsrisiko berufstypischen, geschäftsmäßigen Verhaltens, JZ 2001, 436 (444). 83 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 178. 84 Kudlich, Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten (2004) 223.
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weitestgehend leerläuft. Dieses Ergebnis vermag allerdings nicht vor dem Hintergrund zu
überzeugen, dass jemand, der bestimmte Waren und Dienstleistungen zur Verfügung stellt, die
Möglichkeit erkennt, dass er in concreto zu einer Straftat beiträgt und somit strafbare Beihilfe
leistet.85 Das Modell von Otto würde den Gesetzgeber und Gesetzesanwender vor ein
unlösbares Problem stellen, nämlich alle Fälle potenziell gefährlicher Berufsausübung
aufzufinden und zu reglementieren.86 Durch die Schaffung detaillierter Regelungen, welche die
allgemeine Beihilfevorschrift qua Anordnung bereichsspezifischer Verbote oder besonderer
Reglementierung per Gesetz überlagern, würde diese erst schlagend werden. Dieser Ansatz
erscheint jedoch als höchst problematisch, da durch Überreglementierung des beruflichen
Alltags gerade dies droht, was man vermeiden möchte, nämlich die Lahmlegung des
Soziallebens.87
e) Die Ansicht Schumanns : Erfordernis der Solidarisierung des Gehilfen mit dem Haupttäter
Nach Schumann fällt die Verursachung des Erfolges der Haupttat allein in den
Verantwortungsbereich des Haupttäters. Die Strafwürdigkeit der Teilnahme könnte daher nicht
in der mittelbaren Erfolgsverursachung gründen. Erst die Solidarisierung des Teilnehmers mit
der fremden Straftat lasse die Strafwürdigkeit der Teilnahme entstehen. Notwendige
Voraussetzung für die Strafbarkeit des Gehilfen sei, dass der Teilnehmer sich zum " 'Genossen
des Verbrechers' " macht, indem er einen Förderungsbeitrag für die fremde Tat leistet und sich
somit "mit der Tat des anderen solidarisiert, dh erkennbar auf die Seite des Unrechts tritt." Dies
sei insbesondere dann gegeben, wenn die Gehilfenhandlung tatnah erfolgt. Im Gegensatz dazu
sei eine strafwürdige Teilnahme nicht anzunehmen, wenn "die 'Gehilfenhandlung' im Rahmen
der alltäglichen Berufsroutine des 'Gehilfen' liegt", wenn sie "im 'gewöhnlichen, an sich erlaubten
Gange des Lebens' liegt", bei "Handlungsstereotype[n], denen [...] 'die expressive Bedeutung'
einer Solidarisierung abgeht." Denn maßgebliches Beurteilungskriterium des Handlungsunrechts
der Teilnahme sei die beim (untauglichen) Versuch anzuwendende Eindruckstheorie.88
Schumanns Konzept wurde in der Lehre überwiegend kritisch aufgenommen. So ist seine
Konstruktion, dass die Haupttat allein in die Verantwortung des Haupttäters falle und allein die
Solidarisierung des Teilnehmers dessen Haftung auslöst, angreifbar.89 Seine Ansicht steht und
fällt, ähnlich wie bei Jakobs, mit der Interpretation und Funktion der §§ 26 und 27 dStGB. Sieht
man die Funktion der §§ 26 und 27 dStGB als dem Rechtgüterschutz dienend an, mangelt es
der Ansicht Schumanns an Überzeugungskraft. Danach soll erst ein Element der Solidarisierung
85 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 178 f. 86 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 179. 87 Kudlich, Unterstützung 98. 88 Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen (1986)
passim unter teilweisen Verweis auf Bar, Gesetz und Schuld Band 2 (1907) 761. 89 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 261.
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den strafwürdigen drittvermittelten Angriff des Teilnehmers auf das Rechtsgut der Haupttat
tragen.90 Für Schumann stellt die mittelbare Rechtsgutverletzung "nur eine Minimalanforderung
an den Unrechtsgehalt der Teilnahme" dar, die "nicht als hinreichender Strafgrund" anerkannt
werden könne.91 Roxin sieht darin allerdings den entscheidenden Strafgrund, denn das
"Bestimmen zur Tat" und die "Hilfeleistung", von der die §§ 26 und 27 dStGB sprechen, weisen
als Veranlassung, Ermöglichung und Beeinflussung einer strafbaren Tat die Solidarisierung in
die Schranken. Deshalb bedarf es keiner Ergänzung der Strafgrundbestimmung.92 Schließlich
wird der Ansicht Schumanns mangelnde Praktikabilität vorgeworfen. Eine Ermöglichung
trennscharfer Ergebnisse sei durch das Kriterium der Solidarisierung nicht möglich.93 Schumann
liefert keine das Erfordernis der Solidarisierung erschließenden Kriterien, welche die Strafbarkeit
des Gehilfenbeitrags konstituieren.94 Bei einem Waffenhändler, der dem Mörder in spe nach
Präsentation von dessen Waffenbesitzkarte eine Schusswaffe verkauft, wird man wohl eine
Solidarisierung mit diesem bejahen können. Dass demgegenüber der Verkauf eines
Schraubenziehers an einen Einbrecher "als Aktualisierung eines jederzeit abrufbaren
Leistungsangebots erscheint" und damit eine Solidarisierung ausschließt, mag dem
Rechtsgefühl zugänglich sein.95 Allerdings ist nicht klar ersichtlich, ob sich diese Unterscheidung
zwingend aus Schumanns Solidarisierungskriterien ableiten lässt. Das Angebot des
Waffenhändlers ist doch für Personen, welche die formale Berechtigung in Form der
Waffenbesitzkarte vorlegen können, sozusagen "jederzeit abrufbar".96 Die Einschätzung
Weigends, nach der das Solidarisierungskriterium zur "Beliebigkeit der Ergebnisse" führt, trifft
daher ins Schwarze.97 Müller liefert ein im Anschluss an die obigen Beispiele überzeugendes
Argument gegen den Aspekt der Solidarisierung. Nur weil ein Küchenmesser nicht unter das
Waffengesetz fällt, soll der Verkauf eines solchen an einen Mordplan hegenden Käufer keine
strafbarkeitsbegründende Solidarisierung darstellen. Diese Lösung liefert wohl keine
überzeugenden Ergebnisse.98
f) Die Ansicht von Hassemer : Begrenzung der Beihilfestrafbarkeit im Rahmen der Sozialadäquanz
Anfangs muss definiert werden, wann eine sozialadäquate Handlung vorliegt. Diese ist gegeben,
wenn die betreffende Verhaltensweise sozial üblich ist und von der Allgemeinheit gebilligt wird,
"wenn sie sich im Rahmen der normalen, geschichtlich gewordenen Ordnung des
90 Meurer, Rezension zu Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der
Anderen, NJW 1987, 2424 f. 91 Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht 44 f. 92 Roxin in Leipziger Kommentar11 Band 1 Vor § 26 Rz 21. 93 Weigend in FS für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag 203; Wohlleben, Beihilfe 74; Beckemper, Jura 2001, 166 f. 94 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 262. 95 Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht 63. 96 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 263. 97 Weigend in FS für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag 203. 98 Müller, Beihilfe durch wirtschaftliches Handeln, in FS für Hans- Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag (2003) 343.
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Gemeinschaftslebens bewegt und diesen Rahmen nicht verlässt."99 Nach der Lehre von der
sozialen Adäquanz sollen Handlungen, die innerhalb dieses vordefinierten Rahmens liegen, aus
dem strafbaren Bereich ausgeschlossen sein. Aufgrund des segmentären Charakters sozialer
Normen wohnt dem weiten Grundbegriff des Sozialen allerdings keine normative Kraft inne.100
Daher versuchte Hassemer, die soziale Adäquanz im beruflichen Kontext weiterzuentwickeln.101
Dafür baute er ein System auf, das es schaffen sollte, soziale Normen gruppenspezifisch und
kontextabhängig zu machen. Dies bedeutet, dass der Betreffende nach der Lehre von der
professionellen Adäquanz kein tatbestandliches Unrecht verwirklicht, wenn er zum einen rein
faktische Regeln, welche einen sozial vorstrukturierten Bereich (Berufsfeld) betreffen, einhält
und zum anderen diese Regeln auch als adäquat (straf-) rechtlich akzeptabel sind.102 Durch
diese Vorgehensweise schafft es Hassemer zwar, bei isolierter Betrachtung dieses
Gesichtspunktes, den Einwand der Unbestimmtheit der Lehre von der sozialen Adäquanz zu
untermauern, allerdings ist dieser eng mit der Frage nach der Richtigkeit des jeweils
herangezogenen Maßstabs der sozialen Adäquanz verwoben.103 Daraus folgt, dass die Lehre
von der professionellen Adäquanz mit denselben Legitimitätsproblemen kämpft wie diejenige der
sozialen Adäquanz. Es stellt sich die Frage, ob Berufsregeln derart hinreichend konkretisiert
werden können, dass berufstypisches Handeln stets (normativ) adäquates und damit strafloses
Tun darstellt. Im Kern ergibt sich also dasselbe Problem bei der Erforschung der sozialen
Adäquanz üblicher Handlungen, an die ein Dritter mit einer Vorsatztat anknüpft.104 Deshalb
muss Hassemer an die Feststellung, ob berufsregelgemäßes professionell-adäquates Tun
vorliegt, doch noch die Frage anschließen, "ob die Normen des professionellen
Handlungsbereichs strafrechtlich akzeptabel sind."105 Er bestätigt diese Aussage, wenn er
schreibt: "Es wird sich freilich auch nicht bestreiten lassen, dass mit solchen Vorstrukturierungen
rechtliche Ergebnisse (zwar vorbereitet, aber) nicht geliefert sind. Die Frage, ob soziale
Normierungen (straf-) rechtlich akzeptabel sind, ist grundsätzlich offen: zur Professionalisierung
des Handlungsfeldes durch außerstrafrechtliche Regeln muss die strafrechtliche Akzeptanz
treten." Hassemer versucht diese Akzeptanz schließlich damit zu begründen, dass in Bereichen,
die "staatlich und gesellschaftlich erwünscht und eingerichtet" sind, wie dies in der
Kreditwirtschaft der Fall sei, welche die Vorschriften ihres Berufsstandes "mit den staatlichen
Regeln permanent abstimmt", durch "Vorstrukturierungen" mittels Berufsregeln
"Strafrechtsnormen nicht neutralisiert, sondern ergänzt, konturiert, konkretisiert" werden, "ohne
99 Hassemer, Professionelle Adäquanz, wistra 1995 Teil I, 41 (46). 100 Hassemer, wistra 1995 Teil II, 81. 101 Hassemer, wistra 1995 Teil I, 46. 102 Hassemer, wistra 1995 Teil II, 82, 85. 103 Amelung, Die Neutralisierung geschäftsmäßiger Beiträge zu fremden Straftaten im Rahmen des
Beihilfetatbestands, in FS für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999) 9. 104 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 207. 105 Hassemer, wistra 1995 Teil II, 82.
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dabei strafrechtlichen Normen zu widersprechen."106 Diese Argumentation geht aber zu weit, da
es gerade im Bankenbereich vorkommt, dass berufsgemäßes Verhalten die Grenzen des
strafrechtlichen Erlaubten überschreitet. Die Aussage, dass Berufsgruppen ihre Berufsregeln mit
den allgemein gesetzlichen Vorschriften koordinieren, drückt bloß Selbstverständliches aus.107
Eine derartige Abstimmung lässt zwar den Schluss zu, dass Berufsregeln grundsätzlich darauf
angelegt sind, zur Rechtmäßigkeit der Berufsausübung beizutragen. Allerdings ist zu bedenken,
dass leges professionis vielfach nicht in erster Linie dem Gemeininteresse an Rechtsgüterschutz
dienen108, sondern etwa der Organisation bzw möglichst effektiven Ausgestaltung der
betrieblichen Abläufe.109 Daher scheint es nicht sicher zu sein, dass die Einhaltung von
Berufsregeln in jedem ambivalenten Grenzfall stets und zwangsläufig die Legalität des
Verhaltens gewährleistet.110 Das entscheidende Argument, das im Gegensatz zur Lehre von der
professionellen Adäquanz steht, ist, dass sie keine eigenen Kriterien dafür bereitstellt, anhand
jener man feststellen könnte, ob eine ganz bestimmte Berufsregel tatsächlich noch
gewährleistet, dass derjenige, der sich an sie hält, nicht doch strafrechtlich inakzeptabel
handelt.111 Zu Recht erhebt Müller Zweifel an der dogmatischen Figur der professionellen
Adäquanz, wenn er fragt, wodurch es legitimiert sei, dass Tätigkeitsfelder, für die derartige
Regeln existieren, gegenüber solchen Berufsfeldern, bei denen dies nicht der Fall ist, privilegiert
werden.112 Sollte gegen Berufsregeln verstoßen werden, ist dieser Umstand bloß ein starkes
Indiz für die Strafbarkeit des Handelnden, wenn er durch sein berufsbedingtes Tun eine fremde
Vorsatztat fördert. Anders ist die Sachlage zu beurteilen, wenn der Gesetzgeber
bereichsspezifische Verhaltensnormen setzt, deren Ziel in der Verhütung deliktischer
Rechtsgutsbeeinträchtigungen liegt. So kann es sein, dass ein beruflich Handelnder, der
derartige bereichsspezifische Regelungen einhält, nicht wegen Beihilfe strafbar ist, obwohl er
erkannt hat, dass er durch seine berufstypische Handlung eine Straftat seines Kunden fördert.113
Die entscheidende Differenzierung zu den zuvor dargestellten Ansätzen liegt darin, dass es sich
um Normen handelt, deren "strafrechtliche Akzeptanz" prinzipiell außer Frage steht.114
g) Die Ansicht von Wolff-Reske : Lehre von der sozialen Rollenüberschreitung
Wolff-Reskes Ansatz dreht sich um das Kriterium der sozialen Rolle. Der dogmatische
Ausgangspunkt ist die die Schaffung eines missbilligten Risikos. Das Lösungsmodell mit dem
Kriterium der Überschreitung einer "Berufsrolle" steht aus zwei Gründen in einem engen
sachlichen Zusammenhang mit Lehre von der sozialen Adäquanz und insbesondere mit 106 Hassemer, wistra 1995 Teil II, 85. 107 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 208. 108 Hartmann, Sonderregeln für die Beihilfe durch neutrales Verhalten? ZStW 116 (2004), 585 (588 f). 109 Müller in FS für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag 348. 110 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 208. 111 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts (2007) 209. 112 Müller in FS für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag 348. 113 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 210. 114 Weigend in FS für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag 202.
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Hassemers Theorie von der professionelle Adäquanz.115 Zum einen ist es schwierig,
strafrechtliche Wertungen mit Hilfe eines soziologischen Konzepts zu gewinnen, infolge dessen
ein Fehlschuss von beobachtbarer Üblichkeit bestimmter menschlicher Verhaltensweisen auf
deren normative Akzeptanz vermieden werden soll. Diese Problematik beschäftigt auch die
Lehre von der sozialen Adäquanz bzw diejenige von der professionellen Adäquanz.116 Zum
anderen behandelte Wolff-Reske gerade solche sozialen Rollenerwartungen, die zu normierten
Berufsregeln geronnen sind. Im Kern geht es also sozusagen um die Bewertung professionell
adäquaten Verhaltens.117 Ihrer Ansicht nach soll sich die strafrechtliche Prüfung auf die
Umstände der Ersthandlung beziehen und nicht auf den Kontext zwischen Erst- und
Zweithandlung. Die Annahme einer rechtlich missbilligten Risikoschaffung setzt voraus, dass
"das Vorverhalten tatsächlich deliktisch definiert ist." Erster Anknüpfungspunkt für diese Frage
ist, ob eine bestimmte Ersthandlung eine rechtlich missbilligte Gefahr für das im Anschluss
durch sie geförderte deliktische Verhalten eines Dritten schafft. Im Anschluss daran ist zu
fragen, ob das Verhalten sozialkonform ist oder als Abgehen von den Vorgaben der jeweils
maßgeblichen Rolle, als "Verhaltensmodifikation" bewertet werden kann.118 Der letzte Passus,
den Wolff-Reske als durch Überschreitung der sozialen (Berufs-)Rolle indizierte
Verhaltensmodifikation umschreibt, kommt in der Sache dem professionell-inadäquaten
Verhalten sehr nahe.119 Dem Einwand, dass das soziologische Rollenkriterium deskriptiv-wertfrei
und daher für strafrechtliche Zwecke ungeeignet sei, entgegnet sie, dass "dem Rollenbegriff [...]
keine unmittelbare strafrechtsbegründende oder- beschränkende Funktion zugewiesen [wird].
Mit der Innehabung einer Rolle allein werden keine direkten strafrechtlichen Folgen verbunden.
Die Rolle dient hier lediglich als Grundlage zur Bestimmung von Verhaltenserwartungen. Infolge
dessen lassen sich Verhaltensmodifikationen erkennen, die das Kriterium für einen
normwidrigen Entwurf bilden. Erst letzterer ist maßgeblich für die Frage, ob eine mißbilligte
Risikoschaffung vorliegt und deshalb eine strafrechtliche Zurechnung erfolgt."120 Im Ergebnis ist
es gleichgültig, ob man der Wahrung der sozialen Rolle eine unmittelbar die Beihilfestrafbarkeit
sperrende Wirkung zuschreibt oder ob man den Umweg über den bereits oben zitierten
"normwidrigen Entwurf" wählt, der dann seinerseits das Maß dafür abgibt, ob der Handelnde
schlussendlich eine rechtlich missbilligte Gefahr gesetzt hat. Denn letztlich entscheidet über die
Strafbarkeit die Einhaltung oder die Überschreitung der Grenze der eigenen sozialen Rolle.121
Dies wird dort ersichtlich, wo der Gesetzgeber berufsspezifische "Verhaltenserwartungen [...]
[nicht] in Normen gegossen" hat, denn diese Fälle müssen nach Maßgabe der "soziale[n]
115 Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten als Problem mittelbarer Erfolgsverursachung (1995) passim. 116 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 211. 117 Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten 143 ff. 118 Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten 128 ff. 119 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 211. 120 Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten 139. 121 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 212.
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Wirklichkeit" entschieden werden: "In diesen Fällen hat die Auslegung, ob die Berufsrolle durch
ein Zuwiderhandeln gegen das Berufsbild überschritten worden ist, kraft sozialer Wirklichkeit zu
erfolgen. Anschließend wäre [...] zu prüfen, welchem Zweck diese nicht normierten
Verhaltenserwartungen dienen."122 Folgt man Wolff-Reskes Ansicht, dass allein die soziale
Wirklichkeit den Ausschlag über Strafbarkeit oder strafrechtliche Neutralität eines Verhaltens
gibt, würde das zu großer Rechtsunsicherheit führen, vor allem im Bereich der Förderung von
Straftaten Dritter durch berufsbezogenes Verhalten. Insbesondere dort, wo es um komplexere
Tätigkeiten geht, wo individuell bestimmten Kundenwünschen mehr oder weniger genau
entsprochen wird, schafft das Kriterium des berufsrollenkonformen Verhaltens Konfliktpotential,
da sich in den genannten Fällen nicht auf standardisierte Berufsrollen zugreifen lässt.123 Müller
trifft den Kern des Problems anhand eines Beispiels: Wie verhält es sich mit einem Software-
Entwickler? Soll es ihm möglich sein, auf Wunsch Computerprogramme für eine
Verbrecherorganisation entwickeln zu dürfen, nur weil er Software-Entwickler ist? Die Antwort
hängt davon ab, wie man die Berufsrolle des Entwicklers begreifen will. Diese Bewertung würde
allerdings bestimmte Kriterien erfordern, die Wolff-Reske nicht aufzuzeigen vermag.124
h) Abwägungsmodelle nach Hefendehl und Löwe-Krahl
Hefendehl räumt in einem didaktischen Beitrag ein, dass das "Spannungsverhältnis zwischen
Rechtsgüterschutz und Freiheitsraum [...] aufzulösen [sei], wobei das Gewicht der in Frage
stehenden Straftat ebenso ein Parameter sein muß wie die Intensität der Beschränkung der
Handlungsfreiheit des potentiellen Teilnehmers." Dies, weil "eine Abwägung der grundrechtlich
geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit des potentiellen Gehilfen mit dem im Hinblick auf
den Rechtsgüterschutz grundsätzlich bestehenden strafrechtlichen Verbot, fremde Taten zu
bewirken, zu treffen" sei.125 Hefendehl trifft eine Abwägung hinsichtlich des situations-
spezifischen konkreten Interesses des Gehilfen, seine allgemeine Handlungsfreiheit in ganz
bestimmter Weise zu gebrauchen gegen das Gewicht der "in Frage stehenden Straftat", also
gegen das konkrete Erhaltungsinteresse des Opfers der Haupttat.126 Somit versucht er das
Problem von der Warte des konkreten Einzelfalles zu sehen, indem er dies wie folgt ausdrückt:
"Bei der sogenannten Beihilfe durch neutrales Verhalten geht es letztlich um die Abgrenzung
und Abwägung von Handlungssphären, nämlich des Freiheitsraums des potentiellen Gehilfen
von demjenigen des geschützten Rechtsgutsträger."127 Begründungsbedürftig erscheint
allerdings, ob das Beihilfeverbot nach § 27 dStGB auf solche Weise eingeschränkt werden darf,
122 Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten 154. 123 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 212. 124 Müller, Falsche Zeugenaussage und Beteiligungslehre (2000) 183. 125 Hefendehl, Der missbrauchte Farbkopierer, jura 1992, 374 (377). 126 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 221. 127 Hefendehl, Kann und soll der Allgemeine Teil bzw. das Verfassungsrecht mißglückte Regelungen des Besonderen
Teils retten? Die Geldwäsche durch den Strafverteidiger, in FS für Claus Roxin zum 70. Geburtstag (2001) 145 (147).
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dass es – wie es Hefendehl formuliert – ein "grundsätzlich bestehende[s]" Verbot aufstellt, in
dem die von Hefendehl beschriebene Abwägung nicht bereits verbindlich durch den
Gesetzgeber festgehalten worden ist, dass es kein berechtigtes Interesse an der nach § 27
dStGB verbotenen Handlung gibt. Eine derartig konkret-generelle Interessenabwägung, die
gerade auf den Einzelfall zugeschnitten ist, lässt sich aufgrund der dieser Perspektive
verhafteten Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit nicht überzeugend in den Verbrechensaufbau
integrieren.
Diesem Ansatz fehlt die Begründung dafür, dass ein vorsätzlich die Tat eines Dritten Fördernder
überhaupt ein berechtigtes Interesse hat, welches gegenüber den Interessen des Opfers der
Haupttat überwiegt. Selbst, wenn man diesem Abwägungsmodell folgt, wird man in den meisten
Fällen zum Schluss kommen, dass die Interessen des Opfers den Ausschlag gegenüber der
Handlungsfreiheit des Gehilfen geben. So sind die Erbringung einer bestimmten Dienstleistung
durch einen Bankangestellten, der Verkauf einer bestimmten Sache durch den Einzelhändler
und dergleichen mehr ihrer Natur nach – bei isolierter Betrachtung – einerseits banal und
unverdächtig und andererseits von relativ geringem Interesse. Darüber hinaus hat das Gesetz –
wie auch in Österreich – das Interessenabwägungskonstrukt als Instrument der Konfliktlösung
nun einmal für Notstandsfälle bestimmt. Im Ergebnis wird das vorgetragene Abwägungsmodell
der spezifischen Dreieckskonstellation der akzessorischen Beihilfehaftung nicht gerecht und
läuft schließlich der de lege lata gegebenen sachlichen Wertung des Gesetzes zuwider.128
Im Gegensatz dazu setzt Löwe-Krahl beim verfassungsrechtlichen Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit an, aus dem sich das Erfordernis einer Abwägung zwischen dem Interesse
an Rechtsgüterschutz und "den Interessen, die für die Vornahme der Handlung" streiten,
ergäbe. Nach Löwe-Krahl sei ein "Gehilfenbeitrag, welcher sich weit im Vorfeld der späteren Tat
abspielt und den der Haupttäter in gleicher Art und Weise an vielen anderen Stellen bei
ahnungslosen Leistenden abrufen kann [...] für das bedrohte Rechtsgut relativ ungefährlich." In
diesem Fall sei das Verbot der Förderung der Haupttat unverhältnismäßig.129 Er versucht damit
die generelle vergleichsweise Ungefährlichkeit allgemein verfügbarer Leistungen ins Treffen zu
führen. Bei der Anwendung dieses Ansatzes ist Vorsicht geboten. Der vorwertende Begriff der
relativen Ungefährlichkeit des Beitrages birgt bereits die Gefahr erheblicher
Rechtsunsicherheiten in sich.130 In Bezug auf die Beihilfe heißt das konkret, dass sich jemand,
der beispielsweise durch einen Warenkauf zu einer Straftat des Kunden beiträgt, fragen muss,
ob der Warenkauf gerade noch relativ ungefährlich ist, weswegen es eben unverhältnismäßig
wäre, sein Verhalten als strafbare Beihilfe zu werten. Die hier fehlende Konkretisierung des
128 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 222 ff. 129 Löwe-Krahl, Steuerhinterziehung bei Bankgeschäften. Zur Strafbarkeit von Bankangestellten bei illegalen
Kundengeschäften2 (2000) 38 f. 130 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 224 f.
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Verhältnismäßigkeitsgedankens würde zu beliebigen Ergebnissen führen.131 Ähnliche Kritik übt
Roxin an Samsons Übernahmeprinzip, die auf Löwe-Krahls Modell übertragen werden kann. Im
Sinne von Samson soll keine strafbare Beihilfe vorliegen, wenn jemand "sich dem ahnungslosen
Postboten gegenüber erbietet, das Paket mit der Höllenmaschine die letzten Meter vom
Garagentor bis zur Haustüre zu tragen. Dies gilt auch, wenn er weiß was das Paket enthält."132
Für Roxin ist es nicht einzusehen denjenigen straflos zu stellen, der sich nur deshalb zur
Überbringung des Pakets bereiterklärt, um zu verhindern, dass der Postbote den verdächtigen
Inhalt der Auslieferung bemerkt und so jedenfalls die Haupttat erleichtert.133
4. Zusammenfassung der genannten Lösungsansätze
Die Mehrheit der Lösungsansätze versucht überwiegend objektive, teilweise durch subjektive
Elemente ergänzte Kriterien herauszubilden, um der Berufsfreiheit ihren Raum zu lassen und so
im Wege der Auslegung die Strafbarkeit zu begrenzen. In wenigen Fällen wird der Strafgrund
der Beihilfe eigenständig bestimmt, um ergänzende objektive Anforderungen an die
Beihilfestrafbarkeit zu begründen. Die meisten Lösungsansätze operieren damit, die
Strafbarkeitseinschränkungen im Bereich der Sozialadäquanz bzw des erlaubten Risikos
vorzunehmen, um das im Rahmen der Berufsausübung übliche Verhalten straflos zu stellen und
die Verantwortung allein auf den Haupttäter zu verlagern. Dabei bilden neben objektiven
Kriterien, die sich aus dem Berufsrecht ergeben und den verfassungsrechtlich garantierten
Freiheitsbereich des Bürgers konkretisieren, ebenso subjektive Kriterien die Grundlage für die
Beurteilung der Strafbarkeit des Gehilfen. Es wird positive Kenntnis von den deliktischen
Absichten des Haupttäters auf Seiten des Gehilfen gefordert. Allerdings stellt sich hierbei die
Frage, ob ein Handeln im Rahmen der berufsrechtlichen Regelungen dadurch strafbar werden
kann, dass der Berufsträger weiß, dass sein Handeln zur Begehung einer Straftat genutzt
wird.134 Diesem Ansatz folgt, wie oben bereits dargestellt, die ständige Rechtsprechung in
Deutschland. Allerdings trägt dieses Lösungsmodell dem Umstand nicht Rechnung, dass
sogenannte alltagstypische Handlungen für ein funktionierendes Wirtschaftssystem erforderlich
sind. Es überzeugt daher nicht, dass solche Handlungen per se den objektiven Tatbestand einer
Beihilfe erfüllen und erst durch die Verneinung des subjektiven Tatbestandes die Straflosigkeit
des Gehilfen feststeht. Unter diesem Gesichtspunkt ist es daher einem Händler, der
einbruchstaugliche Werkzeuge verkauft, nicht zumutbar, dass er bei dem Verkauf seiner Ware
an potentiell deliktanfällige Kunden zumindest objektiv die Voraussetzungen einer strafbaren
Beihilfe erfüllt. Diesem, an Rechtsunsicherheit leidenden Ansatz soll die Konkretisierung der
Sozialadäquanz Abhilfe verschaffen. Das Strafbarkeitskorrektiv der Sozialadäquanz soll
131 Rackow, Neutrale Handlungen als Problem des Strafrechts 228. 132 Samson, Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht (1972) 171. 133 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 217. 134 Dannecker/Hagemeier in Leitner 63.
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alltägliche, übliche Verhaltensweisen aus dem Strafbarkeitsbereich ausscheiden, bei denen die
Gefahrenprognose vergleichsweise niedrig ausfällt.135 Der Begriff der Sozialadäquanz
bezeichnet keine begrifflich abgrenzbaren Verhaltensweisen. Vielmehr ist dieser Begriff durch
gesellschaftliche Vorwertungen bestimmt.136 Solche Vorwertungen beinhalten zB gesetzliche
Vorschriften. Diese sollen in die Bestimmung der Sozialadäquanz einfließen, da sie verbindliche
Bewertungen von Risiken enthalten.137 Darüber hinaus sollen die in vielen Bereichen
vorhandenen Regelungssysteme und technischen Regeln, die allgemein akzeptierte
Verhaltensregeln sind, ins Auge gefasst werden und bei der Bestimmung mitberücksichtigt
werden.138 Einerseits wird durch diese Vorgehensweise dem Postulat Rechnung getragen, dass
das Strafrecht nicht völlig autonom gegenüber dem übrigen Recht entwickelt werden darf.139
Andererseits ist darauf zu achten, dass nicht dieselbe Problematik wie bei Hassemers Ansatz
auftaucht. Berufsregeln sind meist nicht derart hinreichend konkretisierbar, dass berufstypisches
Handeln stets (normativ) adäquates und damit strafloses Tun darstellt.140
IV. Bedeutung der Sozialadäquanz für die Beteiligu ng am Sonderpflicht-delikt
A. Allgemeines
Das Kriterium der Sozialadäquanz rückt bei der Beteiligung am Sonderpflichtdelikt noch mehr
ins Blickfeld als bei der Beteiligung am Allgemeindelikt.141 Zu diesem Schluss gelangt man,
wenn man sich die Deliktstruktur der Sonderpflichtdelikte bzw die Voraussetzungen des § 14
StGB vor Augen führt. Als Sonderpflichtdelikte gelten insb die Untreue (§ 153 StGB) und der
Amtsmissbrauch (§ 302 StGB).142 Sie sind sog unrechtsbezogene Sonderdelikte.143 Das Unrecht
hängt bei diesen Delikten vom Missbrauch einer besonderen Pflichtenstellung ab.144 Das
Besondere daran ist, dass das persönliche Unrechtsmerkmal (Missbrauch einer
Pflichtenstellung) nur bei einem von mehreren Tatbeteiligten gegeben sein muss (sog
intraneus), um auch den Nicht-Qualifizierten (extraneus) nach diesen Delikten strafbar zu
machen.145 Es gibt jedoch beim Nicht-Qualifizierten einige Argumente dafür, den Bereich
sozialadäquater und damit strafloser Mitwirkung tendenziell weiter zu fassen als das bei der
135 Dannecker/Hagemeier in Leitner 63. 136 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges (1988) 296. 137 Brinkmann, Der Vertrauensgrundsatz als eine Regel der Erfahrung (1996) 98 ff. 138 Brinkmann, Der Vertrauensgrundsatz 104. 139 Dannecker/Hagemeier in Leitner 63. 140 Siehe FN 111. 141 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 427. 142 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 14 Rz 17 (Stand: 1.5.2014, rdb.at); Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14 E 7
Rz 32. 143 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 14 Rz 11 (Stand: 1.5.2014, rdb.at). 144 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14 E 7 Rz 32. 145 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 14 Rz 12, 14 (Stand: 1.5.2014, rdb.at).
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Mitwirkung am Allgemeindelikt der Fall ist. Beim Amtsmissbrauch (§ 302 StGB) obliegt die
korrekte Amtsausführung in erster Linie dem Beamten selbst und stellt die Wahrung der
Vermögensinteressen des Geschäftsherrn die primäre Aufgabe des Bevollmächtigten
(Machthaber iSd § 153 StGB) dar. Aufgrund der Ausgestaltung des § 14 Abs 1 zweiter Satz
zweiter Fall StGB ist zwar eine Tatbeteiligung durch Personen möglich, die nicht zu dem im
Tatbestand umschriebenen Personenkreis zählen. Dieser Umstand bewirkt allerdings, dass der
Bezug des Nicht-Qualifizierten zum tatbestandlichen Unrecht zumindest verdünnt ist gegenüber
Allgemeindelikten.146 Daraus folgt, dass nur derjenige die besondere Pflichtenstellung
missbrauchen kann, der diese auch eingeräumt bekommen hat.147 Extranei kommt eine solche
Pflichtenstellung nicht zu, weshalb bei diesen gerade jener Pflichtenverstoß verloren geht, auf
den es für die Strafwürdigkeit in erster Linie ankommt. Von diesem Standpunkt aus kann die
berechtigte Frage aufgeworfen werden, ob ein Außenstehender überhaupt wegen Beteiligung
am Sonderpflichtdelikt bestraft werden kann, obwohl er keine besondere Pflichtenstellung inne
hat?148 In anderen Rechtsordnungen ist für diesen Fall zumindest ein geringerer Strafrahmen
vorgesehen.149 Diese besondere Situation strafbarer Beteiligung sollte allerdings bereits bei den
Anforderungen an strafbare Beteiligungshandlungen Berücksichtigung finden. Dazu könnte eine
verstärkte Beachtung des Grundsatzes der Sozialadäquanz führen.150
B. Kriterien zur Bestimmung der Sozialadäquanz
1. Meinungsstand in der Lehre
Nach Fuchs handelt ein Beteiligter nur dann sozialinadäquat, wenn er bei Delikten, die an
besondere Pflichten des Täters anknüpfen, und bei Delikten, die pflichtenrelevante
Handlungsbeschreibungen enthalten, gegen eine ihn im besonderen treffende Verpflichtung
verstößt, die sich nicht schon aus den Beteiligungsbestimmungen der §§ 12 und 14 StGB
herleitet. Derartige Pflichtverletzungen können sich – wie zB im Finanzstrafrecht – aus
besonderen Gesetzesbestimmungen oder aus der Eigenart des Tatbeitrages, der durch seine
spezifische Ausgestaltung dem unmittelbaren Täter die Tatbegehung in spezifischer Weise
erleichtert, ergeben. Seine These erklärt er anhand von Beispielen aus dem Finanzstrafrecht. So
soll zB ein Warenverkäufer nicht durch den Verkauf und alle damit verbundenden
Nebenhandlungen (Rechnungslegung usw) strafbar sein, wenn der Käufer die Ware verwendet,
um sich Exportrückvergütungen zu erschleichen. Gleiches gilt, wenn der Verkäufer von den
146 Schmoller, Grundfragen der Beteiligung an Abgabenhinterziehung und fahrlässiger Abgabenverkürzung, in Leitner
(Hrsg), Finanzstrafrecht (2008) 11 (30). 147 Fuchs, Reichweite der Tatbeteiligung in Wirtschaftsstrafsachen, in Lewisch (Hrsg), Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht
und Organverantwortlichkeit (2011) 71 (72). 148 Fuchs in Lewisch 73. 149 Schmoller in Leitner 30. 150 Schmoller in Leitner 30; Steininger, Sozialadäquanz 76 f.
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deliktischen Absichten des Käufers weiß. Anders gelagert ist jener Fall, bei dem der Verkäufer
den späteren Steuerbetrug durch falsche Angaben auf den Verkaufsbelegen erleichtert. Hierbei
liegt eine eigene Pflichtverletzung vor, die ihn wegen Beteiligung haften lässt. Isoliert betrachtet
stellt die Herstellung falscher Belege zwar vielleicht noch keine strafbare Handlung dar.
Allerdings wird sie im vorliegenden Kontext zu einer sozialwidrigen Handlung und begründet
daher, bei Vorliegen von Vorsatz und allen übrigen Voraussetzungen, eine Beteiligungshaftung.
Etwas schwieriger ist der Fall zu beurteilen, bei dem ein Anlagevermittler, der für eine
Gesellschaft Geld anlegt, das ihm der Vorstand trotz entgegenstehender Interna zu diesem
Zweck zuleitet. Im Ergebnis gilt auch hier: Der Anlagevermittler darf das Geld auf die übliche
Weise veranlagen. Als Außenstehenden treffen ihn keine Verpflichtungen gegenüber dem
Unternehmen, auf die innere Willensbildung Einfluss zu nehmen. Gegenteiliges gilt bei
kollusivem Zusammenspiel: Sollte der Anlagevermittler den Machthaber durch
Verschleierungshandlungen gegen seinen Machtgeber abschirmen, macht er sich wegen
Beteiligung an der Untreue strafbar. Fuchs resümiert, dass "[bei] allen Delikten, die besondere
Pflichten des Trägers beschreiben oder die unrechtsbegründende Handlungsbeschreibungen
enthalten, [sich] wegen Beteiligung nur strafbar machen [kann], wer eine gerade ihn im
besonderen treffende Rechtspflicht gegenüber dem geschützten Gut verletzt." Diese
Haftungsbegrenzung entspricht der Selbstverantwortung der Menschen und der Trennung ihrer
Machtsphären. Sie ist notwendig, um den Bedürfnissen der Verkehrssicherheit im
Wirtschaftsleben gerecht zu werden.151
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Moos , nach dem die objektive Zurechnung einer
Beitragshandlung allgemein voraussetzt, dass der Beitragstäter eine eigene Pflichtverletzung in
Bezug auf die Haupttat setzt. Eine solche Pflichtverletzung kann sich – ähnlich wie bei der
Fahrlässigkeitshaftung – aus der Verletzung einer positiven Sorgfaltsnorm (Rechtsvorschrift
oder Berufsregel) ergeben. Denn "auch die Vorsatzdelikte setzen prinzipiell eine objektive
Sorgfaltswidrigkeit der Handlung iS der objektiven Missbilligung ihrer empirischen und
normativen Gefährlichkeit aus der Sicht ex ante voraus."152 Vor allem der Bankensektor enthält
eine Vielzahl von Rechtsvorschriften, die darauf abzielen, einen Sorgfaltsmaßstab für das
Handeln der Bankangestellten zu statuieren.153 So begründen berufstypische oder
berufsneutrale Verhaltensweisen, die innerhalb des jeweiligen Rahmens der gesetzlichen
Bestimmungen liegen, kein rechtlich missbilligtes (sozialinadäquates) Verhalten. Als
berufstypische Bankgeschäfte gelten zB die Entgegennahme von Bargeld ("Schwarzgeld") und
deren Veranlagung auf Sparbüchern. Dieses Verhalten kann zu keiner strafbaren
151 Fuchs in Lewisch 74 f. 152 Moos in FS für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag 501; Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 12 Rz 92c (Stand:
1.5.2014, rdb.at). 153 Grabenweger, Ausgewählte Fragen der Beteiligungsstrafbarkeit von Bankmitarbeitern an (Steuer-) Delikten der
Bankkunden, ÖBA 2013, 43 (47).
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Beitragshandlung des Bankangestellten führen, obwohl es letztlich die Abgabenverkürzung des
Bankkunden ermöglicht bzw begünstigt. Selbst Mitwisserschaft des Bankangestellten kann
seine objektiv korrekte Berufsausübung nicht strafbar machen. Deshalb gilt, dass
" 'Böser Vorsatz' ein objektiv sozial gebilligtes Verhalten nicht sozialinadäquat" macht.154 Sind
solche Vorschriften nicht greifbar, kommt es nach Moos auf die objektive materielle Sinngebung
des Tatbeitrags an.155 Der Begriff der objektiven materiellen Sinngebung wird durch zwei
Kategorien konkretisiert und ausgeformt. In der ersten Kategorie geht es darum, den
vermeintlichen Beitragstäter straflos zu stellen, wenn er objektiv ein legitimes , das heißt ein
anerkanntes Eigeninteresse an seinem berufstypischen oder alltäglichen und somit an sich
harmlosen Verhalten hat. Dieses wird durch die deliktische Nutzung durch einen anderen nur in
besonderen Fallkonstellationen verdrängt. Es soll dem Gehilfen nicht zum Nachteil gereichen,
wenn der Täter den Beitrag für sich nutzbar macht. Beispielsweise erfüllt die Bezahlung als
kausaler Beitrag zur Steuerhinterziehung nicht notwendigerweise das Unrecht der
Beitragstäterschaft, wenn zB ein Handwerker den, für seine berufliche Leistung empfangenen,
Geldbetrag nicht versteuert. Es liegt in der Hand des Empfangenden die Steuern zu hinterziehen
oder nicht. Die Bezahlung der Geldschuld stellt sich als neutrale Handlung dar, obwohl sie die
Steuerhinterziehung ermöglicht. Das Wissen um die deliktischen Absichten des anderen lässt
den Beitrag nicht sozialinadäquat werden. Die Legitimität des Eigeninteresses findet dort ihre
Grenzen, wo "der Tatbeitrag objektiv ausschließlich oder ganz überwiegend zur deliktischen
Verwendung dient, also nur deshalb überhaupt einen vernünftigen Sinn hat."
Nach der zweiten Kategorie ist das Eigeninteresse ausgeschlossen, wenn zwischen der
tatfördernden Handlung und der Haupttat eine derart enge äußere Beziehung besteht, dass
sich der Beitrag der Haupttat völlig unterordnet. So zB wenn eine ausgeprägte, unmittelbare
äußerliche, zeitliche, örtliche oder räumliche Nähe zur Ausführungshandlung besteht. Die
alltägliche oder berufstypische Beitragshandlung muss derart ausgestaltet sein, um an Ort und
Stelle in die Haupttat überzugehen und somit allein diesem Delikt zu dienen. Das Bespiel des
Taxifahrers, der einen maskierten und bewaffneten Bankräuber freiwillig und gegen normales
Entgelt zum Tatort fährt, zeigt, wann die Grenze zur Wahrnehmung des eigenen legitimen
Berufsinteresses überschritten ist und die Strafbarkeit des Gehilfen beginnt.156 Der enge
Zusammenhang kann durch spezielle Manipulationen oder Ausführungsmodalitäten gebildet
werden, die außerhalb der Alltäglichkeit liegen oder objektiv erkennen lassen, dass der Helfer
bloß als Werkzeug zur unmittelbaren Tatausführung fungiert. Das ist zB bei Spezialpreisen, die
den Rahmen der üblichen Berufsausübung signifikant verlassen, oder bei unerlaubten
Handlungen, wie zB unrichtigen oder fingierten Angaben, der Fall. In Anbetracht dessen kann
154 Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht3 Rz 286. 155 Moos in FS für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag 501. 156 Moos in FS für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag 502.
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das Wissen um die geplante Straftat die berufstypischen Beitragshandlungen noch nicht zum
Unrecht machen, weil der Vorsatz nicht unrechtsbegründend für das objektiv nicht gegebene
Unrecht sein kann.157
In weiterer Folge wurden zur Konkretisierung der Sozialadäquanz von Beteiligungshandlungen
Kriterien in Bezug auf die Sonderdelikte158 der Abgabenhinterziehung (§ 33 FinStrG) und der
fahrlässigen Abgabenverkürzung (§ 34 FinStrG) entwickelt. Die Strafbarkeit von Mitwirkenden
ohne abgabenrechtliche Pflichtenstellung solle nicht allein damit begründet werden, dass ein am
Delikt Beteiligter in voraussehbarer Weise zu einer Abgabenhinterziehung bzw -verkürzung
beigetragen hat. Selbst ein Geschäftsabschluss – im Wissen, dass der Geschäftspartner das
Geschäft steuerlich verheimlicht – kann ohne Hinzukommen zusätzlicher Umstände keine
Beteiligung an der Abgabenhinterziehung bzw -verkürzung begründen. Als zusätzliche
Unwertumstände, die eine Überschreitung der Grenzen der Sozialadäquanz bewirken, seien
Folgende genannt:159
a) Ausdrückliche Motivierung zur Abgabenpflichtverl etzung
Legt der Mitwirkende ein Verhalten an den Tag, das gezielt zur Abgabenpflichtverletzung
motivieren soll, verlässt er den Bereich der Sozialadäquanz. Eine Handlungsweise erscheint
beispielsweise wohl noch als sozialadäquat, wenn jemand vor einem Geschäftsabschluss
lediglich äußert, auf eine Rechnungsausstellung zu verzichten, oder sich einfach (wenngleich
mit dem Hintergedanken an ein "Schwarzgeschäft") nach einer günstigeren
Abwicklungsmöglichkeit erkundigt. Diese Äußerungen verlieren allerdings ihren sozialadäquaten
Charakter, wenn die Bemerkung beigefügt wird, "dass es unzweckmäßig ist, den Betrag zu
versteuern." Darin liegt eine direkte Motivation zur Abgabenhinterziehung. Es erscheint ebenso
strafrechtlich unbedenklich und somit sozialadäquat, wenn Bankangestellte sachliche
Informationen über steuergünstige Anlagemöglichkeiten im Ausland erteilen und diese durch
bankübliche Tätigkeiten (zB Kontoüberweisung, Aus- und Einzahlung etc) fördern. Die
zusätzliche Information, dass "österreichische Finanzbehörden vom jeweiligen Staat keine
Auskünfte über Bankkonten erhalten", liegt wohl noch innerhalb des erlaubten Rahmens der
Sozialadäquanz. Im Gegensatz dazu wäre die Grenze zur Strafbarkeit überschritten, wenn die
Empfehlung zu einer bestimmten Transaktion mit der Bemerkung folgt, dass "die Gewinne [...]
dann gefahrlos unversteuert bleiben [könnten]" oder "das österreichische Finanzamt [dann]
keine Chance [hätte], die Gewinne zu besteuern."160
157 Moos in FS für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag 503. 158 Auf die Einordnung der genannten Finanzdelikte als Sonderdelikte wird in dieser Arbeit nicht eingegangen.
Eingehend dazu Schmoller in Leitner 14 ff. 159 Schmoller in Leitner 32. 160 Schmoller in Leitner 32 f.
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b) Verhandeln um finanzielle Partizipation an der A bgabenpflichtverletzung
Versucht der Mitwirkende durch seine Handlung an einen eigenen Vorteil aus der
Abgabenpflichtverletzung zu gelangen, ist der Bereich sozialadäquater Mitwirkung stets
verlassen. Der geäußerte Verzicht auf das Ausstellen einer Rechnung ist zwar noch für sich
sozialadäquat, die Grenzen werden jedoch spätestens dann überschritten, wenn mit Hinweis auf
die Steuerersparnis durch die Nichtausstellung der Rechnung ein konkreter Preisnachlass
eingefordert wird.161
c) Verletzung einschlägiger Schutzgesetze
Existieren einschlägige Vorschriften, die bestimmte Verhaltensweisen ausdrücklich
vorschreiben, welche einer Abgabenhinterziehung bzw -verkürzung entgegenwirken sollen, ist
eine Verstoß gegen solche stets sozialinadäquat.162 Eine derartiges Schutzgesetz statuiert zB
§ 11 UStG (Verletzung der Pflicht zur Rechnungsausstellung und -aufbewahrung). Es normiert,
dass derjenige, der entgegen dieser Vorschrift keine Rechnung ausstellt, für eine daraus
resultierende Abgabenhinterziehung bzw -verkürzung des jeweiligen Geschäftspartners als
Beteiligter haftet. Alle Sachverhalte, die sich außerhalb von § 11 UStG bewegen, sind nicht von
dem Schutzgesetz erfasst und demnach als sozialadäquat zu qualifizieren.163
d) Gezielte Verschleierungshandlungen
Bei der Vornahme gezielter Verschleierungs- oder Deckungshandlungen, die für sich einen
Unwert beinhalten, wird in der Regel der Bereich der sozialadäquaten Mitwirkung
überschritten.164 Diese Handlungen sind beispielsweise das Fälschen von Unterlagen, das
Ausstellen inhaltlich unrichtiger Belege bzw Scheinrechnungen165 sowie das Führen einer
unrichtigen bzw manipulierten Buchhaltung166 etc.
e) Enger zeitlicher und aktionsmäßiger Zusammenhang
Die Beteiligung stellt sich als umso weniger sozialadäquat dar, je enger sie im zeitlichen und
aktionsmäßigen Kontext zur Ausführungshandlung des Haupttäters selbst steht.167 Am Beispiel
der Abgabenerklärung wird deutlich, wann die Sozialadäquanz einer Beteiligungshandlung
verloren geht. Deshalb begründen bloße Erklärungen im Vorfeld, wie eine Abgabenerklärung
technisch ausgefüllt werden muss, auch im Wissen, dass eine unrichtige Abgabenerklärung
eingereicht werden soll, keine strafbare Mitwirkung an einer Abgabenhinterziehung. Ein
unmittelbarer Zusammenhang zwischen Beteiligungshandlung und Ausführungshandlung
besteht allerdings dann, wenn demjenigen, der Abgaben hinterziehen möchte, technische Hilfe 161 Schmoller in Leitner 33. 162 Moos in FS für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag 501. 163 Sinngemäß Schmoller in Leitner 33. 164 Schmoller in Leitner 33. 165 OGH 21.08.2003, 15 Os 66/03; Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht3 Rz 286. 166 Moos in Leitner 111. 167 Vgl bereits oben FN 20.
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am Computer zur Bewältigung einer Online-Abgabenerklärung angeboten wird und diese im
Anschluss abgesandt werden soll und offenbar unrichtig ist. Es handelt deshalb auch jener
sozialinadäquat, der bloß aus Gefälligkeit eine offensichtlich unrichtige Abgabenerklärung zum
Finanzamt bringt.168
2. Meinungsstand in der Rechtsprechung
Weitere Kriterien für die Beurteilung der Sozialadäquanz entwickelte der OGH in einer
Grundsatzentscheidung zur vorsätzlichen Beteiligung an einem Abgabendelikt.169
Zusammengefasst lauten die Ausführungen des OGH wie folgt: "Abgesehen von der [...]
Kausalität muss die Beitragshandlung für ihre (sonst uferlose) Strafbarkeit dem Beitragstäter
objektiv zurechenbar sein, was dann gegeben ist, wenn der Tatbeitrag das Risiko der
Tatbildverwirklichung durch den unmittelbaren Täter in rechtlich missbilligter Weise – mithin eine
unerlaubte Gefahr – schafft oder erhöht (...). Die soziale Verträglichkeit (welcher Begriff dem im
Schrifttum teilweise gebrauchten Terminus "soziale Adäquanz" auf Grund der Gefahr der
Verwechslung mit dem [...] Adäquanzzusammenhang [...] vorzuziehen ist) des Verhaltens des
Beitragstäters ist nach dem Schutzzweck der anzuwendenden Norm in einem richterlichen
Wertungsakt des Einzelfalles zu beurteilen (...). Kriterien dafür stellen [...] insbesondere die
Wichtigkeit des geschützten Rechtsgutes [...] sowie die spezifische Bedeutung (zB
aktionsmäßiger Zusammenhang, Ersetzbarkeit, Bestärkungspotenzial) des Beitrages für die
Verwirklichung des tatbestandlichen Unrechts dar. Objektive und subjektive Elemente der
Beitragshandlung sind zur Beurteilung der Haftung dafür im Sinne eines beweglichen Systems
zu berücksichtigen: das Plus des einen kann ein Minus des anderen aufwiegen – und
umgekehrt."170 In dieser Entscheidung wird die Kenntnis des Beitragstäters in die Konstituierung
des objektive Tatbestandes miteinbezogen. Dies bedeutet, dass, wie bereits oben in der
Entscheidung 12 Os 43/03171 ausgeführt, hinreichend konkrete Tatplankenntnis (Wissen iSd § 5
Abs 3 StGB)172 bei berufstypischen Alltagshandlungen einen strafbaren Tatbeitrag begründen
können. Dazu meint Schmoller kritisch, dass es für die – im objektiven Tatbestand
anzusiedelnde – Sozialadäquanz nicht auf eine subjektiv vorliegende Vorsatzform ankommen
kann. Es ist vielmehr entscheidend, wie klar die bevorstehende Straftat vom Täterstandpunkt
aus objektiv erkennbar war. Die Grenze der Sozialadäquanz kann bei deutlicher Erkennbarkeit
auch bei Vorliegen von dolus eventualis überschritten sein. Im Vergleich dazu soll es Fälle
geben, in denen Handlungen trotz des sicheren Wissens, damit zu einer Straftat beizutragen,
168 Schmoller in Leitner 34. 169 In diesem Fall ging es um die Hinterziehung von Eingangs- und Ausgangsabgaben gem § 35 Abs 2 FinStrG in der
Sonderbegehungsform des § 7 AusfuhrerstattungsG. 170 OGH 22.06.2006, 12 Os 21/06i = JUS St/3934 = RZ 2007/EÜ 43, 48 = SSt 2006/54. 171 OGH 12 Os 43/03 SSt 2003/83 = EvBl 2004/53, 231 = JBl 2004, 804. 172 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14 E 5 Rz 9.
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dennoch als sozialadäquat zu beurteilen sind.173 Allerdings darf bei der oben zitierten
Entscheidung nicht außer Acht gelassen werden, dass die übrigen Kriterien des "beweglichen
Systems" auch bei konkreter Tatplankenntnis des Beitragstäters erfüllt sein müssen.174 So hob
der OGH die von der Unterinstanz bejahte Beitragstäterschaft mit folgender Begründung auf:
"die Konstatierungen der Beiträge [sind] zu wenig konkretisiert, um sie (im Sinne der
dargestellten Kriterien) auf ihre Sozialverträglichkeit prüfen zu können."175 Vor allem der zeitliche
und aktionsmäßige Konnex zur Ausführung der Straftat sind von großer Bedeutung. Es ist dem
Beitragstäter nur möglich, seine Kenntnis auf einen gegenwärtigen, allenfalls unmittelbar
bevorstehenden Umstand zu beziehen, "wobei die (vermeintliche) Kenntnis des Beitragstäters
vom Tatplan umso mehr ins 'Ungewisse' rücken muss, je größer die zeitliche (und
aktionsmäßige) Differenz der Beitragshandlung zur unmittelbaren Tat ist."176
Grabenweger meint, dass die Tatplankenntnis des Beitragstäters nicht immer einfach
festzustellen ist. Es sei nicht gesagt, dass das Wissen des Beitragenden über die unmittelbare
Tat im Zeitpunkt der Beitragshandlung mit dem konkreten Tatplan des unmittelbaren Täters
übereinstimmt. Dies ist dann gegeben, wenn der unmittelbare Täter nur so viel von der
geplanten Tat preisgibt, um den Beitragstäter zu seiner berufstypischen Beitragshandlung zu
veranlassen, jedoch seine Absichten nicht offen legt oder selbst noch nicht weiß, wie er
vorgehen wird. Die Situation kann sich ähnlich darstellen, wenn der unmittelbare Täter zum
Zeitpunkt des Tatbeitrages zwar einen konkreten Tatplan verfolgt, welchen er dem Beitragstäter
mitteilt, allerdings nach erbrachter Beitragsleistung die Tatausführung aufgibt oder die Tat ganz
anders ausführt als vorgesehen oder die Mitteilung der Tatabsicht bloß scherzhalber geschieht.
In all diesen Fällen weicht die Tatplankenntnis des Beitragstäters von der Realität ab.177
Schließlich bleibt noch zu fragen, wie der subjektive Tatbestand zu prüfen ist, wenn die
Tatplankenntnis des Beitragstäters bereits in der Frage der Sozialadäquanz berücksichtigt wird.
Widersprüche können sich dort ergeben, wo bloß dolus eventualis – wie für die meisten
Vorsatzdelikte – im subjektiven Tatbestand gefordert wird. Stellt man nun bei der Prüfung der
Sozialadäquanz eine konkrete Tatplankenntnis (Wissen iSd § 5 Abs 3 StGB) fest, muss der
subjektive Tatbestand bei den meisten Vorsatzdelikten, die dolus eventualis fordern, ohne
weitere Prüfung bejaht werden. Um diesen Wertungswidersprüchen aus dem Weg zu gehen,
fordert Grabenweger, wie auch Schmoller178, dass die subjektiven Elemente bei der Feststellung
sozialadäquaten Verhaltens außen vor gelassen werden sollten. Das von der Rechtsprechung
entwickelte "bewegliche System" reicht völlig aus, um die straflose von der strafbaren
173 Schmoller in Leitner 28 FN 61. 174 Grabenweger, ÖBA 2013, 47. 175 OGH 22.06.2006, 12 Os 21/06i = JUS St/3934 = RZ 2007/EÜ 43, 48 = SSt 2006/54. 176 Grabenweger, ÖBA 2013, 47. 177 Grabenweger, ÖBA 2013, 48. 178 Siehe oben FN 173.
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Beitragstäterschaft abzugrenzen. Die Judikatur lässt darüber hinaus nicht den Schluss zu, dass
sie zur Begrenzung der Strafbarkeit des Beitragstäters auf die Kriterien des "beweglichen
Systems" verzichtet, wenn der Beitragstäter über Tatplankenntnis verfügt.179 Der OGH zieht
abgesehen davon eine oft "sehr einfache" prozessuale Lösung vor, indem er zu den Gehilfen
ganz präzise Tatsachenfeststellungen im Urteil über ihren Tatbeitrag verlangt, die sich im
Nachhinein oft nicht mehr hinreichend genau treffen lassen.180
Abschließend kann festgehalten werden, dass die von der Lehre und Rechtsprechung
entwickelten Ansätze alle ein Ziel verfolgen: Die Einschränkung des strafbaren Bereichs für
Beteiligungstäter bei Sonderpflichtdelikten.181
3. Kurzfälle zur Begrenzung der Beteiligungsstrafb arkeit bei der Abgabenhinterziehung
Sachverhalt 1:
Am Ende einer Taxifahrt verlangen Sie vom Taxifahrer eine Rechnung. Dieser entgegnet Ihnen
mit der Frage, mit welchem Datum er die Rechnung ausstellen solle? In dieser Konstellation
stellt sich die Frage nach einer etwaigen strafbaren Beteiligung des Taxifahrers. Zieht man die
oben von Schmoller aufgestellten Grundsätze heran, sind die Grenzen der Sozialadäquanz
durch das Angebot des Taxifahrers eindeutig überschritten. Dieses Angebot bedeutet nichts
anderes als die Bereitschaft, dem Fahrgast durch die Ausstellung einer falsch datierten
Rechnung einen persönlichen Vorteil zu verschaffen.182 Je nach Sachlage (Vollendung durch
den unmittelbaren Täter vorausgesetzt), kommt man entweder zu einer Strafbarkeit wegen
Bestimmung zur Abgabenhinterziehung gem § 33 Abs 1 FinStrG iVm § 11 2. Fall FinStrG, wenn
ein Handlungsentschluss beim Fahrgast erweckt wurde, oder zu einer Strafbarkeit wegen
Beitrags zur Abgabenhiterziehung gem § 33 Abs 1 FinStrG iVm § 11 3. Fall FinStrG.
Sachverhalt 2:
Dieser Fall behandelt das Thema des Austausches von Waren gegen Scheinleistungen und der
damit bewirkten Abgabenhinterziehung. Der Transportunternehmer A pflegt eine gute
Geschäftsbeziehung zum Reifenhändler B. Aufgrund dieser guten Beziehung bekommt A von B
einen neuen Satz Reifen für seinen privaten PKW. Die Rechnung wird allerdings für die Reifen
eines Firmen-PKW ausgestellt. Im Anschluss wird mit einer Rechnung – für scheinbar erbrachte
Transportleistungen – des A in gleicher Höhe kompensiert. Die Sekretärin des A schreibt die
Scheinrechnung nur sehr widerwillig, weil sie die Absichten der beiden kennt. Folglich setzt B
die in der Scheinrechnung dokumentierten Transportkosten ab. Die Strafbarkeit der beiden
179 Grabenweger, ÖBA 2013, 48. 180 Fuchs in Lewisch 73. 181 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 428. 182 Brandstetter, Praxisfälle zur Beteiligung an Abgabenhinterziehung, in Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht (2008) 143
(145).
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Unternehmer in diesem Fall ist klar. Sie machen sich jeweils als unmittelbare Täter an der
Abgabenhinterziehung im eigenen Unternehmen und als Beteiligte an der
Abgabenhinterziehung im fremden Unternehmensbereich strafbar. Wird die Sekretärin durch
das Erstellen einer Scheinrechnung wegen Beitrags zur Abgabenhinterziehung straffällig? Dies
ist aus folgenden Gründen abzulehnen: Ihr mitkausaler Beitrag ist zwar leicht ersetzbar, hat
allerdings kein Bestärkungspotenzial hinsichtlich des Tatvorsatzes beim unmittelbaren Täter und
erfolgt schlussendlich in Weisungsabhängigkeit. Nach den Kriterien des OGH ist das Handeln
der Sekretärin als (noch) sozialadäquat einzuschätzen.183 Die strafbare Teilnahme an der
Abgabenhinterziehung beginnt erst dann, wenn – wie es Schmoller184 darlegt – einerseits der
Helfende eine aktive Rolle übernimmt, die es ihm ermöglicht einen Handlungsentschluss beim
unmittelbaren Täter zu erwecken, oder andererseits die Beitragsleistung einen räumlich-
zeitlichen Konnex zur Ausführungsleistung (Hinterziehungstatbestand) schafft. Der Beitrag darf
darüber hinaus nicht leicht ersetzbar sein, muss geeignet sein den unmittelbaren Täter in
seinem deliktischen Handeln zu bestärken und muss über die nach außen völlig normale
berufliche Tätigkeit hinausgehen.185
V. Konkretisierung der Sozialadäquanz für die Bete iligung an der Untreue
Eingangs ist festzuhalten, dass im Geschäftsverkehr allgemeine Handlungsfreiheit herrscht,
weshalb ein Geschäftspartner im Gegenteil zum Vertreter eines Unternehmens nicht verpflichtet
ist die Interessen der Geschäftsgegenseite (Geschäftsherrn/Machtgeber) zu wahren.186 Es
bedarf daher besonderer Kriterien, die bestimmen, wann eine sozialinadäquate
Beteiligungshandlung des Vertragspartners am Befugnismissbrauch eines Machthabers vorliegt
(Untreue).187 Diese Kriterien wurden bereits oben ganz allgemein in Bezug auf
Sonderpflichtdelikte dargestellt und werden anschließend für die Untreue anhand bestimmter
Kategorien konkretisiert.
A. Striktes Begründungserfordernis für die soziale Inadäquanz der Beteiligung
Es wurde bereits erwähnt, dass der Anwendungsbereich der Beitragstäterschaft vom
Ausgangspunkt her sehr weit ist.188 Dieser Umstand führt dazu, dass bei Sonderpflichtdelikten,
183 Brandstetter in Leitner 149. 184 Schmoller in Leitner 32 ff. 185 Brandstetter in Leitner 150. 186 Mit 1.1. 2016 trat eine Neufassung des § 153 StGB durch das StRÄG 2015 (BGBl I 112/2015) in Kraft, um den Tat-
bestand der Untreue einzuschränken (Stichwort: Business Judgement Rule). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich allerdings mit Strafbarkeitseinschränkungen beim Beteiligten, weshalb diese Neuerungen, die vor allem für den unmittelbaren Täter von Belangen sind, keine Berücksichtigung finden.
187 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 424. 188 Siehe FN 15.
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aufgrund der besonderen Pflichtenstellung des Intraneus, die Sozialadäquanz für die
Beteiligtenstrafbarkeit eine noch größere Bedeutung erlangt.189 Daher gilt für die Untreue, dass
nicht jede Verhaltensweise, welche den Befugnismissbrauch durch einen Machhaber in kausaler
Weise hervorruft, ermöglicht, erleichtert, absichert oder fördert190, ausreicht, um eine strafbare
Beteiligung an der Untreue zu begründen. Folglich ist "[die] Sozial-Inadäquanz der
Beteiligungshandlung [...] bei diesen Delikten nicht durch die Kausalität automatisch gegeben
und die Sozial-Adäquanz die begründungsbedürftige Ausnahme, sondern die Sozial-Inadäquanz
muss hier speziell begründet werden."191
B. Rechtsgutsfragen im Lichte des Zivilrechts
Einleitend halten Hinterhofer/Müller fest, dass es sich bei dem durch die Untreue geschützten
Rechtsgut – Vermögen des Geschäftsherrn192 – um ein im Vergleich zu den Rechtsgütern Leib
und Leben weniger wichtiges Gut handelt. Es gilt als allgemein anerkannt, dass die Rechtsgüter
wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit höherwertiger sind als
materielle Werte (zB Eigentum, Vermögen).193 Deswegen ist es verständlich, einem
Außenstehenden gegenüber persönlichen Werten weiter reichende Sorgfaltspflichten
aufzuerlegen als gegenüber Vermögenswerten.
Diese These wird durch einen Blick ins Zivilrecht bestätigt. Der Schwenk ins Zivilrecht lässt sich
damit begründen, dass der Tatbestand der Untreue weitgehend zivilrechtsakzessorisch
ausgestaltet ist.194 Es bedarf daher bereits bei der Bestimmung des Täterkreises der Untreue
einer Analyse des zivilrechtlichen Stellvertretungsrechts, um die Vertretungsbefugnis des
Machthabers festlegen zu können.195 Die Ausgestaltung des Innenverhältnisses zwischen
Machtgeber und Machthaber bildet den Maßstab für die Zulässigkeit der Befugnisausübung.196
Hinterhofer/Müller erwägen nun wegen der Nähe zum Stellvertretungsrecht, zivilrechtliche
Wertungen beim Tatbestand der Untreue einfließen zu lassen. Sie setzen bei der
Unterscheidung zwischen absolut geschützten und nicht absolut geschützten Rechtsgütern
an.197 Die absolut geschützten Rechtsgüter umfassen vor allem die Persönlichkeitsrechte (insb
Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit), dingliche Rechte und Immaterialgüterrechte.198
Diesen gegenüber hat sich jeder so zu verhalten, dass eine Verletzung eines solchen
189 Siehe bereits unter IV./A. 190 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 12 Rz 87 (Stand: 1.5.2014, rdb.at). 191 Fuchs in Lewisch 75. 192 Kienapfel/Schmoller, StudB BT II (2003) § 153 Rz 12 mwN. 193 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14 Z 14 Rz 21; Fuchs, Österreichisches Strafrecht AT I7 Kap 17 Rz 57. 194 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 429. 195 Kienapfel/Schmoller, StudB BT II (2003) § 153 Rz 27 ff; Kirchbacher/Presslauer in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 153
Rz 3 ff (Stand: 1.11.2009, rdb.at). 196 Kirchbacher/Presslauer in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 153 Rz 28 (Stand: 1.11.2009, rdb.at). 197 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 429. 198 Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I3 (1997) Kap 4 Rz 24.
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Rechtsguts möglichst unterbleibt.199 Derartig weitreichende Sorgfaltspflichten existieren
zugunsten des Vermögens nicht, weshalb bloße Vermögensschäden – Schäden, die nicht Folge
einer Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes sind – nur in Ausnahmefällen (insb im
vertraglichen Bereich) schadenersatzrechtlich ersatzfähig sind.200 Innerhalb der absolut
geschützten Rechtsgüter kommt es auch zu einer Rangfolge. Den fundamentalen
Persönlichkeitsrechten Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit wird der erste Rang zu
Teil. 201
Bei der Übertragung dieser Wertungen auf das Strafrecht lässt sich nach Hinterhofer/Müller
relativ rasch eine eigenen Pflichtverletzung202 feststellen, wenn es um die Beeinträchtigung der
"fundamentalen" Rechtsgüter wie Leib oder Leben bzw der Freiheit geht. Ein vergleichsweise
zurückhaltender Maßstab ist dann anzulegen, wenn der Befugnismissbrauch, bei dem ein
Beteiligter mitgewirkt hat, lediglich zur Schädigung des Vermögens eines anderen (des
Machtgebers) führt, wie es beim Delikt der Untreue geschieht.
C. Vergleich zum Betrug
Einen weiteren Ansatz für die Einschränkung der Strafbarkeit des Mitwirkenden an der Untreue
liefern Hinterhofer/Müller mit dem Vergleich zum Delikt des Betruges.203 Das Kriterium der
Sozialadäquanz spielt hier schon beim unmittelbaren Täter keine untergeordnete Rolle. So
macht sich der unmittelbare Täter in gewissen Grenzen trotz vorsätzlicher (ausdrücklicher)
Täuschung eines anderen nicht strafbar, da die Vermögensverfügung nicht dem Täuschenden
zuzurechnen ist, sondern – aufgrund verkehrsadäquaten Verhaltens – der Getäuschte selbst für
seine Vermögensverfügung verantwortlich bleibt.204 Das verkehrsadäquate Verhalten kann
seinen Ursprung im Geschäftsleben haben, geht es doch dort um eine angemessene
Risikoverteilung zwischen den Geschäftspartnern. Dem Prinzip der freien Marktwirtschaft
entspricht der Zugang, dass die Ausnützung von Wissensvorsprüngen bis zu einem gewissen
Grad toleriert wird und darin noch keine verkehrsinadäquate Irreführung gesehen werden
kann.205 Als verkehrsadäquat gelten demnach Täuschungen über Umstände, die lediglich ein
größeres oder kleineres Angebot, eine höhere oder geringere Nachfrage indizieren. Daher
bewegen sich Angaben wie zB die wahrheitswidrige Angabe, man sei noch nicht zum Kauf
entschlossen, es interessiert sich auch eine andere Person oder man habe ein besseres
199 Reischauer in Rummel (Hrsg), Kommentar zum ABGB3 (2007) § 1294 Rz 13; Welser, Grundriss des Bürgerlichen
Rechts II13 (2007) 312. 200 Welser, Grundriss des Bürgerlichen Rechts II13 (2007) 314. 201 Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I3 (1997) Kap 4 Rz 27. 202 Fuchs in Lewisch 74; Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 12 Rz 92c (Stand: 1.5.2014, rdb.at). 203 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 429. 204 Kienapfel/Schmoller, StudB BT II (2003) § 146 Rz 73. 205 Kert in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), SbgK (26. Lfg 2012) § 146 StGB Rz 41; Kienapfel/Schmoller, StudB
BT II (2003) § 146 Rz 74.
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Angebot von dritter Seite erhalten, innerhalb der Grenzen sozialadäquaten Handelns. Zudem
fallen darunter Täuschungen, die alleine auf einen Mitläufereffekt bauen wie zB die
Vorspiegelungen des Verkäufers, seine Familie habe das Produkt selbst privat gekauft oder der
Nachbar habe schon diese Ware gewählt.206 Die Grenzen sozialadäquaten Verhaltens werden
dann überschritten, wenn eine Täuschung über wertbestimmende Eigenschaften erfolgt oder die
geschäftstypische Risikoverteilung entscheidend zum Nachteil des anderen verändert wird.207
Diese Ausführungen lassen den Schluss zu, dass bei der Untreue ein gewisser
Handlungsspielraum im Geschäftsleben, vor allem für die Strafbarkeit von Beteiligten,
zugelassen werden sollte.
D. Vergleich zum Lauterkeitsrecht
Das Lauterkeitsrecht bietet Ansätze an, um die Strafbarkeitsgrenze von Beteiligten an der
Untreue nicht zu eng zu ziehen. Es badarf im wirtschaftlichen Wettbewerb nur einer
eingeschränkten Rücksichtnahme der Teilnehmer auf vertragliche Bindungen der Gegenseite.
Konkret bedeutet dies, dass nach hM zur unlauteren Geschäftspraxis nach UWG die
Ausnützung eines fremden Vertragsbruchs an sich nicht wettbewerbswidrig ist. Ein Ausnahme
liegt vor, wenn ein Dritter den Vertragsbruch des anderen bewusst gefördert hat oder aktiv dazu
beigetragen hat zB durch wissentliche Verleitung eines anderen zum Vertragsbruch.208 Überträgt
man diese Wertungen nun auf das Delikt der Untreue, kann festgehalten werden, dass der
Rücksichtnahme auf Interessen der Gegenseite im allgemeinen Wirtschaftsverkehr nicht allzu
große Bedeutung beigemessen wird.
E. Konsequenz und Schlussfolgerung
Es ergibt sich bei der Untreue einerseits aus dem Charakter als Sonderpflichtdelikt und
andererseits aus dem geschützten Rechtsgut eine grundsätzlich zurückhaltende
Ausgangsposition bezüglich der Strafbarkeit von Beteiligten.209 Darüber hinaus bleibt im
Anschluss an die obigen Ausführungen festzustellen, inwieweit der Mitwirkende ein legitimes
Eigeninteresse an seiner Handlung verfolgt.210 Eine legale Berufsausübung wird nicht bereits bei
einem Wissen um die deliktischen Absichten der Gegenseite sozialinadäquat.211 Zu fragen
206 Kert in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), SbgK (26. Lfg 2012) § 146 StGB Rz 42; Kienapfel/Schmoller, StudB
BT II (2003) § 146 Rz 76. 207 Kienapfel/Schmoller, StudB BT II (2003) § 146 Rz 78; Kert in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), SbgK (26. Lfg
2012) § 146 StGB Rz 43. 208 Schmid in Wiebe/Kodek (Hrsg), UWG2 § 1 Rz 856 (Stand 1.11.2012, rdb.at); OGH 11.2.1997, 4 Ob 2358/96k. 209 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 430. 210 Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 12 Rz 92c (Stand: 1.5.2014, rdb.at); Moos in Leitner 103 ff mwN. 211 Moos in Leitner 105; Schmoller in Leitner 29; aA insb Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 26 Rz 221 ff.
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bleibt, welche zusätzlichen Unwertumstände eine Strafbarkeit des Nicht-Qualifizierten wegen
Beteiligung an der Untreue begründen bzw auslösen können.
Von einer sozialinadäquaten Beitragshandlung kann in der Regel dann ausgegangen werden,
wenn der Mitwirkende überhaupt keine oder nur ganz untergeordnete legitime Eigeninteressen
von ihm oder seinem Geschäftsherrn verfolgt oder es ihm vordergründig um die Schädigung des
Geschäftsherrn des Machthabers geht.
Etwas schwieriger gestaltet sich die Lage, wenn der Mitwirkende legitime Eigeninteressen
verfolgt. Im Falle von berufstypischem Verhalten wird man in den meisten Konstellationen zu
einer straflosen Beteiligung des Mitwirkenden gelangen. Allerdings ist darauf zu achten, dass die
wirtschaftlichen Eigeninteressen nicht um jeden Preis verfolgt werden dürfen.212 Daher ist
straflose Beteiligung dann zu verneinen, wenn der Extraneus in Absprache mit dem Machthaber
den Vertretenen schädigt (Kollusion).213 In diesem Fall wird das legitime Eigeninteresse vom
Unwertaspekt des bewussten Zusammenwirkens, um einen anderen zu schädigen,
überlagert.214 Ein weiterer Fall, der Strafbarkeit des Nicht-Qualifizierten indiziert, liegt vor, wenn
dieser durch besonders intensive Einwirkung auf den Willen des Vertreters erst dessen
Untreuebereitschaft erzeugt.215 Dies trifft dann zu, wenn für den Befugnismissbrauch durch den
Machthaber ein finanzieller Anreiz durch den Vertragspartner geschaffen wurde (Bestechung)
oder er diesen am Gewinn aus dem für den Vertretenen (Machtgeber) nachteiligen Vertrag
teilhaben lässt.216 Geschieht die Willensbeeinflussung mittels strafrechtlich relevanter
Drohungen (§105 StGB, § 144 StGB) ist die Grenze zur Strafbarkeit stets überschritten. Des
Weiteren ist von einer sozialinadäquaten Beitragshandlung auszugehen, wenn sich der
Mitwirkende an Verschleierungshandlungen beteiligt, die dem Machthaber nützlich sind.217
Im Gegensatz dazu wird die strafrechtliche Grenze nicht überschritten, wenn der Extraneus für
sich oder seinen Geschäftsherrn bei den Vertragsverhandlungen möglichst günstige Konditionen
herausholt, selbst wenn er dabei den Vertreter (Intraneus) bewusst dazu verleitet, zB einen
überhöhten Preis zu zahlen.218 Strafbarkeit des Beteiligten wegen (sozialinadäquaten) Beitrags
zur Untreue ist erst dann anzunehmen, wenn "zusätzliche rechtlich missbilligte Aspekte
hinzutreten, wie etwa das Versprechen eines Vorteils (Korruption) oder eine auf andere Weise
besonders intensive Einwirkung auf den Willen des zuvor noch nicht zur Untreue bereiten
Machthabers [...]."219
212 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 430. 213 Kienapfel/Schmoller, StudB BT II (2003) § 153 Rz 114. 214 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 430. 215 Ähnliche Überlegungen zur ausdrücklichen Motivierung des Steuerpflichtigen bei Schmoller in Leitner 32. 216 Ähnliche Überlegungen zur finanziellen Partizipation an einer Abgabenpflichtverletzung bei Schmoller in Leitner
33. 217 Fuchs in Lewisch 74; Schmoller in Leitner 33. 218 Kienapfel/Schmoller, StudB BT II (2003) § 153 Rz 114. 219 Hinterhofer/Müller, JSt 2015/5, 430.