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Beurteilung von Testverfahren
Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Ute Latza, MPH
Leiterin der Betrieblichen Epidemiologie
Ordinariat und Zentralinstitut für Arbeitsmedizin (ZfA)
30. November 2006, S18/HS
Zentrum für Psychosoziale MedizinUniversitätsprofessur für Arbeitsmedizin
Freie und Hansestadt HamburgBehörde f. Wissenschaft u. Gesundheit Amt f. Gesundheit u. Verbraucherschutz
Block IV, QB Epidemiologie/ Med. Biometrie/ Med. Informatik, Vorlesung Biometrie, 1. Trimester 2006/07, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Diagnostische Tests
Validität Spezifität Sensitivität
Prädiktiver Wert
Reliabilität
Screening-Test
Prä-/Posttest-Wahrscheinlichkeit (Likelihood Ratio)
Was erwartet Sie hier?
Fragestellungen: Klinische Epidemiologie
Normalität
Güte diagnostische Testverfahren
Therapeutische Effektivität
Verlauf und Prognose von Krankheiten
Nebenwirkungen
Prävention in der klinischen Praxis (Screeningverfahren)
Diagnostische Testverfahren
Fragestellung: In wieweit kann ich als Arzt/Ärztin mit einem Testverfahren eine kurierbare Läsionen feststellen und keine Patienten fälschlicherweise als positiv diagnostizieren?
Zur Beurteilung eines Tests benötigt man einen sogenannten Goldstandard (= externe Informationsquelle über den wahren Gesundheitszustand eines Individuums)
Problem: Fehlende Standards für einige Erkrankungen
Zur Beurteilung werden Studien durchgeführt
Wie genau konnte der Test die Gesunden als nicht erkrankt erkennen? 800 / 900 89 %
Hypothetisches Beispiel für dichotome Ergebnisse: Wie gut war der Test?
Ergebnis Test negativ Test positiv Gesamt
Gesund 800 100 900
Krank 20 80 100
Summe 820 180 1000
Wie genau konnten die Erkrankten korrekt als krank identifiziert werden? 80 / 100 = 0,8 80 %
In einer Hühnerzucht mit 1000 Hühnern sind 100 Hühner mit der Vogelgrippe infiziert. Wir wollen herausbekommen, welches Huhn erkrankt und welches gesund ist. Dafür steht uns ein neuer ELISA-Test zur Verfügung. Die Ergebnisse sind wie folgt:
Diagnostischer Test: Validität bei dichotomen Ergebnissen
Test negativ Test positiv Gesamt
Gesund a
korrekt negativ
b
falsch positiv
a + b
Krank c
falsch negativ
d
korrekt positiv
c + d
Summe a + c b + d
Diagnostischer Test: Validität
Fragestellung: Liegt eine Krankheit vor oder nicht?
Tests sind oft Laboruntersuchungen
Validität (Güte) eines Tests Wird bestimmt durch die richtige Zuordnung eines
Person im Hinblick auf die Krankheit (Sensitivität und die Spezifität)
Sensitivität (Empfindlichkeit) gibt an, in wieweit Kranke korrekt als positiv erkannt werden: d / (c + d)
Spezifität gibt an, in wieweit Gesunde korrekt als negativ erkannt werden: a / (a + b)
Test bei kontinuierlichen Variablen:Beispiel Diabetes-Test I
Diabetiker Nicht-Diabetiker
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☺Diabetiker Nicht-Diabetiker
20 20Sensitivität: 5 / 20 25 %Spezifität: 18 /20 90 %
5 2
15 18
+-
In Anlehnung an Gordis 2001
hoch
Blut-zucker
niedrig
Test bei kontinuierlichen Variablen: Beispiel Diabetes-Test II
Diabetiker Nicht-Diabetiker
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☺Diabetiker Nicht-Diabetiker
20 20Sensitivität: 17 / 20 85 %Spezifität: 6 / 20 30 %
17 14
3 6
+-
In Anlehnung an Gordis 2001
hoch
Blut-zucker
niedrig
Beispiel Diabetes-Test: Realität
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Keine vertikale Trennlinie zwischen den Gruppen Diabetiker und Nicht-Diabetiker
Wenn Grenzwert zu hoch: Personen mit darunter gelegenen Blutzuckerwerten werden beruhigt nach Hause geschickt ohne weitere Untersuchungen
Wenn Grenzwert zu niedrig: Viele Folgeuntersuchungen
In Anlehnung an Gordis 2001
hoch
Blut-zucker
niedrig
Verteilung von Blutzucker-Konzentrationen bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern
Aus Gordis 2001 (From Blumberg. Evaluationg health screening procedures. Operations Res 1957;5:351-60
Idealer Test
Sensitiv und spezifisch
Einfach und kostengünstig
Sicher und akzeptabel
Zuverlässig
Verwendung mehrerer Tests: Sequentielle Testung
Zuerst weniger teurer, weniger invasiver und leicht anwendbarer Test:
Sensitivität: 350 / 500 70 %
Spezifität: 7600 / 9500 80 %
Bei positiven Ergebnissen: Aufwändiger, invasiver Test mit höherer Sensitivität und Spezifität:
Sensitivität: 315 / 350 90 %
Spezifität: 1710 / 1900 90 %
Tester-gebnis
Diabetes Kein Diabetes
Gesamt
+ 350 1900 2250
- 150 7600 7750
Summe 500 9500 10000
Tester-gebnis
Diabetes Kein Diabetes
Gesamt
+ 315 190 505
- 35 1710 1745
Summe 350 1900 2250
Netto-Sensitivität: 315 / 500 63 % Netto Spezifität: (7600 + 1710) / 9500 98 % In Anlehnung an Gordis 2001
Sensitivität und Spezifität
Sensitivität und Spezifität sind abhängig vom verwendeten Testverfahren und des gesetzten Grenzwerts
Wichtig: Sensitivität und Spezifität hängen zusammen Wenn die Sensitivität verbessert wird, verschlechtert
sich die Spezifität ROC (receiver operator characteristic curve): graphische
Darstellung der Güte eines Tests, zur Bestimmung eines geeigneten Grenzwertes eingesetzt
Ausweg: Besseres Testverfahren (falls vorhanden)
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Huhnes nicht erkrankt zu sein, wenn das Ergebnis negativ ist? 800 / 820 98 %
Hypothetisches Beispiel für dichotome Ergebnisse II
Ergebnis Test negativ Test positiv Gesamt
Gesund 800 100 900
Krank 20 80 100
Summe 820 180 1000
Welcher Anteil der Hühner mit positivem Testergebnis ist wirklich erkrankt? 80 / 180 44 %
Weiteres Kriterium: Prädiktiver Wert
Test negativ Test positiv Gesamt
Gesund a
korrekt negativ
b
falsch positiv
a + b
Krank c
falsch negativ
d
korrekt positiv
c + d
Summe a + c b + d
Prädiktive Werte
Positiver prädiktiver Wert (Vorhersagewert): Welcher Anteil der Personen mit einem positiven
Testergebnis ist wirklich krank? Zahl der richtig Positiven dividiert durch Zahl der echt und
falsch Positiven: d / (b + d)
Negativer prädiktiver Wert Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Person nicht
erkrankt zu sein, wenn das Testergebnis negativ ist? Zahl der richtig Negativen dividiert durch Zahl der echt und
falsch Negativen: a / (a + c)
Wichtig: Der positive und der negative prädiktive Wert hängen von der Spezifität und der Sensitivität des Test und von der Häufigkeit der Erkrankung ab
Beziehung zwischen positivem prädiktivem Wert und Krankheitsprävalenz
Tester-gebnis
Krank Gesund Gesamt
+ 99 495 594
- 1 9405 9406
Summe 100 9900 10000
Tester-gebnis
Krank Gesund Gesamt
+ 495 475 970
- 5 9025 9303
Summe 500 9500 10000
Beispiel: Sensitivität 99 %, Spezifität 95 %
Krankheitsprävalenz 1 %: Prädiktiver Wert: 99 / 594 17 %
Krankheitsprävalenz 5 %: Prädiktiver Wert: 495 / 970 51 %
In Anlehnung an Gordis 2001
Beziehung zwischen prädiktivem Wert und Krankheitsprävalenz
Je höher die Prävalenz, desto höher der positive prädiktive Wert
Deshalb Screening am aussichtsreichsten in Hoch-risikogruppe
Reihenuntersuchung in Bevölkerung im Hinblick auf seltene Erkrankung: Finanziell und ethisch nicht vertretbar
In Anlehnung an Gordis 2001 (From Mausner J.S., Kramer S. (1985): Epidemiology. An Introductory Text)
Beziehung zwischen positivem prädiktivem Wert und Spezifität
Spezifität 70 %: Prädiktiver Wert: 1000 / 3700 27 %
Spezifität 95 %: Prädiktiver Wert: 1000 / 1450 69 %
Fazit hier: Je höher die Spezifität, desto
höher der prädiktive Wert Spezifität hat größeren
Einfluss auf prädiktiven Wert als Sensitivität (Grund: seltene Erkrankung, d.h. viele Gesunde)
Tester-gebnis
Krank Gesund Gesamt
+ 1000 2700 3700
- 0 6300 6300
Summe 1000 9000 10000
Tester-gebnis
Krank Gesund Gesamt
+ 1000 450 1450
- 0 8550 8550
Summe 1000 9000 10000
Beispiel: Prävalenz 10 %, Sensitivität 100 %
In Anlehnung an Gordis 2001
Reliabilität eines Tests
Ist der Test reliabel (zuverlässig) und wiederholbar?
Abweichungen durch Variabilität bei einer Testperson (intraindividuelle
Variabilität) Variabilität zwischen den Untersuchern (Untersucher-
Variabilität)
Beziehung zwischen Validität und Reliabilität
Reliable, nicht valide Testergebnisse
Valide, nicht reliable Testergebnisse
Valide, reliable Testergebnisse
In Anlehnung an Gordis 2001
Screening Test
Screening Tests unterscheiden zwischen gesunden und möglicherweise erkrankten Menschen
In der Regel keine Diagnose, sondern Nachuntersuchungen erforderlich
Anforderungen an Screeningtest prinzipiell wie an diagnostischen Test (z.B. funktionstüchtiges Testverfahren)
Höhere Anforderungen betr. Sicherheit eines Screeningtests (Beispiel Koloskopie:
Problem der Darmperforation wiegt schwerer bei Gesunden als bei möglicherweise Erkrankten)
Kosten Akzeptanz der Betroffenen
Psychologische Folgen müssen bedacht werden
Screening-Programm:Voraussetzungen
Schwere Krankheit, z.B. Zervixkarzinom
Hohe Prävalenz des vorklinischen Stadiums
Bekannter Krankheitsverlauf (Problem: z.B. Prostata-karzinom)
Lange Vorlaufzeit (Lead Time: Zeitraum zwischen Diagnose der Krankheit durch Screening und Zeitpunkt der Diagnose durch erste Symptome; Problem)
Effektive, akzeptable und sichere Behandlung muss möglich sein (Problem z.B. Prostatakarzinom)
Beispiel Evaluation: Verbessert das Prostatakarzinom-screening die Überlebenszeit?
Likelihood Ratios
Baysianischer Ansatz zur Beurteilung der Güte eines diagnostischen Tests
Frage: Wissen wir nach dem Test mehr als vor dem Test?
Bei einem dichotomen Testergebnis gibt es zwei Likelihood Ratios
Berechnung: Ratio der Posttest Odds (Posttestwahrscheinlichkeit für
das Vorliegen einer Erkrankung) und Prätest Odds (Prätestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Erkrankung)
Alternative: LRpositiv = Sensitivität / (1 - Spezifität) LRnegativ = (1 - Sensitivität) / Spezifität
Zusammenfassung:Beurteilung von diagnostischen
bzw. Screening Tests
Die Güte (Validität) wird bestimmt durch Sensitivität (Anteil der Erkrankten, die im Test positiv sind) Spezifität (Anteil der Gesunden, die im Test negativ sind)
Wenn in einem Testverfahren die Spezifität gesteigert wird, verschlechtert sich die Sensitivität und umgekehrt
Weiteres Beurteilungskriterium: Prädiktive Werte Positiver: Anteil mit positivem Testergebnis, die krank Negativer: Anteil mit negativem Testergebnis, die gesund Abhängig von Inzidenz/Prävalenz, Sensitivität & Spezifität
Screening-Test: Besondere Voraussetzungen
Hinweise:Transfer und Literatur
Transfer Q1 Prävention, Gesundheitsförderung: Themenbereich 4
Medizinische Biometrie und Epidemiologie Alle klinischen Fächer (in denen Screening und/oder Diagnose eine
Rolle spielen) z.B. Gynäkologie (Schwanger-schaftstest), Kinderheilkunde (Screening-Tests), Anästhesiologie (Blutgruppentest), …
Theoretische Fächer z.B. Ethik in der Medizin (genetische Tests)
Literatur Skriptum und Glossar Medizinische Biometrie, UKE. 4.6 Sensitivität
und Spezifität (4.5. Bedingte Wahrscheinlichkeit, Bayessche Formel) Gordis (2001). Epidemiologie. Kap. 4: Einschätzung der Validität
und Reliabilität von diagnostischen Screening-Tests
Weitere Fragen: [email protected]