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Silke Birgitta Gahleitner
Neue Bindungen wagen
Beziehungsorientierte Arbeit mit traumatisierten
Mädchen in der Einrichtung 'Myrrha'
www.gahleitner.net - [email protected]
Fallbeispiel: Nathalie
– frühe häusliche Gewalt, Alkoholembryopathie
– Entwicklungsstörungen auf emotionaler, kognitiver und sozialer Ebene
– komplexe Traumatisierung
– Überforderung in der Familie/ Schuldproblematik / angehende Sucht
"Jugendliche, die eine Therapeutische Jugendwohngemeinschaft als Lebensort benötigen, leiden unter manifesten, in der Regel lebensgeschichtlich bedingten Störungen ... dazu gehören schwere Traumata, Bindungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen ... usw. ...
Diese Jugendlichen brauchen – und haben einen gesetzlichen Anspruch ... auf eine psychologisch-therapeutisch geleitete, sozialpädagogische Hilfe" (Tagungsband TWG, 2005)
i.d.R. sozial verursachte, d.h. komplexe 'Störungen' ('normale' Reaktionen auf 'abnormale' Ereignisse)
⇒ tiefgreifende Bindungsproblematik
⇒neurophysiologische 'körperliche' Komponente
⇒beeinträchtige Motivationsstruktur
Frühe 'Störungen'
'hard-to-reach' Klientel in Multiproblem-situationen (WHO)
'Doppelter Fokus' (Geißler-Piltz, 2005)
person-bezogen umfeld-bezogen
(individuelles Verhalten) (soziale Verhältnisse)
Person
Umfeld
Intervention
Soziale Diagnose
ist das bei derart komplexen Entwicklungsbeeinträch-tigungen fachlich nachvollziehbar und erfordert
1. eine bio-psycho-soziale, entwicklungs-kontextualisierte Diagnostik
2. eine integrative, interdisziplinäre, Behandlung (indikationsspezifisch, biographie- und situationsadäquat)
3. Voraussetzung: Antwort auf den zentralen Vertrauensmissbrauch und Motivationsverlust
Und wenn die Motivation fehlt ...
Eine soziale Diagnose ist eine „Diagnose ... , die alle Seiten des menschlichen Lebens, die Anlage und die Entwicklung, Milieu und Schicksal in das rechte Licht setzten und zu einem Gesamtbild vereinigen soll, das für die Hilfeleistung den Ausgangspunkt abgibt und das Ziel bestimmt“
(Alice Salomon, 1926)*
1. Kontextualisiert Verstehen
phänomenologische Psychodiagnostik (ICD/DSM+!)
biographische Anamnese (sozialrekonstruktiv)
Sozial- und Lebenswelt-Diagnostik (Ecomap etc.)
Mehrdimensionale Problem- und Ressourcenanalyse
(zum Diagnose- und Behandlungsprozess siehe ausführlich Gahleitner, S. B. (2005). Psychosoziale Diagnostik und Intervention bei komplexer Traumatisierung. In U. Klein (Hrsg.), Klinische Sozialarbeit - die Kunst psychosozialen Helfens. Psychosozial 101, 28 (3), 43-57.)
Psycho-Sozialer Diagnoseprozess
ICD-Achsen für Kinder und Jugendlichepsychiatrisches Symptom: (F 43.1 PTSD, DESNOS)
umschriebene Entwicklungsstörungen: -
Intelligenzniveau: mittelgradige Minderung (F 71, IQ-Test 46)
körperliche Symptome: Gastritis, Unterleibsbeschwerden, Somatisierungen
psychosoziale Umstände: abnorme intrafamiliäre Beziehungen(1.1 Disharmonie der Eltern, 1.3 Kindesmisshandlung etc. etc.)
psychosoziales Funktionsniveau: beträchtlich gemindert (4-5)
Psychodiagnostik (ICDplus)
Biographische Anamnese
unsicher vermeidende Bindung ⇒Regulationsversuche
gehemmte emotionale, kognitive und soziale Entwicklung ⇒ Scheitern an Entwicklungshürden (Adoleszenz!)
Vulnerabilität) – Persönlichkeitsstil!!!
Dysfunktionalität früher Bewältigungs-mechanismen (Chronifizierung, erhöhte
Frühe Kindheit
Kindheitund Jugend
Adoleszenz
Erwachsenen-alter
Sozial- und Lebensweltdiagnostik II
Ecomap (soziale Kontextanalyse)
Ziele:Erfassung und grafische Vergegenwärtigung des sozialen Kontextes einer Person
Erfassung von energie-bereichernden-/energie-abziehenden Beziehungen eines primären sozialen Systems
erlaubt der Person einen „anderen“ Blick auf ihre Situation
Zeigt an, wo Veränderungsbedarf besteht
Ecomap in der traumatischen Situation
bis16 J
„Du brauchst Hilfe“Familientherapeutin
„Solange Du Deine Füßeunter unseren Tisch tust,solange machst Du,was ich will“Vater
zum Zeitpunkt der Häuslichen Gewalt
„Ich schaffe es nicht“Mutter
Geschwister (selbst schutzlos)
„Ich sorge mich um Euch“Großvater - Kontakt unterbrochen
18 J„Wir brauchenDich“ Geschwister
heute
„Das müssen wir abwarten“Jugendamt
„Wir halten zu Dir“FreundInnen
„zusammen-Spaß-haben“Freunde und Geschwister
Familie
Freund
„Du schaffstes“ Myrrha
„Das sollten wirbesprechen“NeueFamilientherapie-einrichtung
„Wir sindauch da“Nachsorge
Psychia-terin
Ausbildungseinrichtung, KollegInnen, Alltagsstruktur etc.
Haustiere
+
++ -
+
+
+ -
Eco-map
aktuell
Stressoren, Belastungen, Defizite
Stärken und Ressourcen
PersonUmgebungNathalie, 18 Jahre,
älteste von 4 Geschwistern,geschütze Ausbildung,
Häusliche Gewalt
unsicher-vermeidende Bindung, PTSDkein prägn. Selbst- und Identitätserlebenger. kognitive Fähigkeiten (Schule!)undifferenzierter emotionaler Ausdruckmangelnde Selbstregulation, Sucht / Psychosomatik
keine desorganisierte Bindung in größerem UmfangBeziehungsfähigkeit, FreundInnenKreativität, Liebe zu TierenArbeitsplatz, Tagesstrukturpositiver Wertebezug (!) - Zukunftspläne
schlechter sozioökonomischer Statushochtraumatisches Gewaltsystem (geschl.)Alkoholabususdesorganisierte Bindungsanteilegeminderte Lernfähigkeit bei allen Kindern
Bindungsressourcen (positiv besetzte emotionale Familienszenen)kommunikative Kompetenzenpartielle Erziehungskompetenz der Elternpraktische LebensbewältigungHaustiere
2. Schritt:kognitive + emotionale
Bearbeitung
1. Schritt: Beziehung(innere/äußere Sicherheit)
3. Schritt:Integration
2. Integrativ+interdisziplinär Behandeln
1. Schritt:Sicherheit und Stabilität
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Psycho-therapie
Schritt 1
2. Schritt:Aufarbeitung
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Psycho-therapie
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3. Schritt:Integration
Kre
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Psycho-therapie
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itSchritt 3
3. Schritt:Integration
Familientherapie,Beratung,
stat. Elternarbeit,etc.
Umfeldarbeit (übergreifend)
2. Schritt:Aufarbeitung
1. Schritt:Sicherheit und Stabilität
3. Schritt:Integration
3. Voraussetzung: Therapeutisches Milieu
„Bindungen an andere menschliche Wesen sind der
Angelpunkt, um den sich das Leben eines Menschen
dreht“
(Bowlby, 1980/1987)
(zur Verbindung von Theorie, Forschung und Praxis siehe vertiefend Gahleitner, S. B. (2005). Neue Bindungen wagen. Beziehungsorientierte Therapie bei sexueller Traumatisierung. München: Reinhardt.)
Bindung ist
ein tragfähiges Band zwischen zwei Menschen
bedeutendster Schutz- und Risikofaktor als:
– Risikopuffer (Resilienz)
– Ausgangspunkt für die Kompetenzentwicklung
– Prognosefaktor für (professionelle) (Miss-)Erfolge(Bowlby, 1953, 1969, 1975, 1980; Spitz, 1965)
Muster von Beziehung
Voraussetzung für:
– Exploration und Kompetenzaufbau
innere Arbeitsmodelle (Stern, 1992)
– emotionale und kognitive Schemata
Bindung ermöglicht
Konzept der Feinfühligkeit (Ainsworth & Wittig, 1969):
– Bedürfnisse des Kindes wahrnehmen
– Bedürfnisse des Kindes richtig interpretieren
– prompt, d.h. zeitnah und
– adäquat reagieren
Bindung benötigt
Kinder
– sicher
– unsicher-vermeidend
– unsicher-ambivalent
– zusätzlich desorganisiert
(Ainsworth & Wittig, 1969)
Erwachsene
– autonom-sicher
– unsicher-distanziert
– unsicher-präokkupiert
– zusätzlich unverarbeitet
→ transgenerationaleWeitergabe (Main & Hesse, 1990)
Bindungstypen
Muttertier bei Primaten ‚verborgener Regulator’
Herabsetzung der psychophysischen Resilienz
Plastizität des Gehirns (LeDoux, 1996)
kein Gewöhnungseffekt
Bindung (neuro-)physiologisch
Bindungstheorie und Psychotherapie
therapeutische und beraterische Beziehung + emotionale korrektive Erfahrungen wichtigste Wirkfaktoren (Alexander & French, 1946, Orlinsky et al., 1994)
– Bindungserfahrungen zentral für seelische Gesundheit
– 'Alternativ-Bindungsrepräsentationen' möglich
– ab dem 3. Lebensjahr ‚zielkorrigierte Partnerschaft’
Suche nach Hilfe = Aktivierung des Bindungssystems (Brisch, 1999)
TherapeutInnen und BeraterInnen werden immer auch als Bindungspersonen konsultiert
die helfende soziale Beziehung ist grundsätzlich eine Bindungsbeziehung (Pauls, 2004)
Ausgangspunkt
im Sinne von Bowlby (1953), Ainsworth & Wittig (1969), Winnicott (1976) ermöglicht:
– Betreuungsbeginn aktiviert Bindungssystem
– Bereitstellung eines Hilfs-Ich
– emotionales Nachnähren
– neue Möglichkeiten der Wahrnehmung der Innen-und Außenperspektive
'Holding Environment'
Arbeit mit der Beziehung im Sinne von Main (1995), Grossmann & Grossmann (2001), Hauser & Endres (2002):
– Exploration der Innen- und Außenperspektive
– neue Möglichkeiten der Selbstaktualisierung und Selbstentfaltung (Rogers, 1957)
– in Richtung von internaler Kohärenz und externalerKorrespondenz
'Earned Secure'
dialogische Begegnung (Übertragung → Beziehung)
Ko-respondenz-Modell (selektive Offenheit, wechselseitige Empathie, partielles Engagement)
Arbeit mit der Beziehung
„Man sollteein neuesMenschenrechteinführen ...
... das Menschenrechtauf eine unterstützende Beziehung“
(Frau Albant)
Literatur:
Gahleitner, S. B. (2005). Neue Bindungen wagen. Beziehungsorientierte Therapie bei sexueller Traumatisierung. München: Reinhardt.
Gahleitner, S. B. (2005). Psychosoziale Diagnostik und Intervention bei komplexer Traumatisierung. In U. Klein (Hrsg.), Klinische Sozialarbeit - die Kunst psychosozialen Helfens. Psychosozial 101, 28 (3), 43-57.