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FREITAG, 14. SEPTEMBER 2012 NR.216 | NORDWEST-ZEITUNG | SEITE 13 OLDENBURGER LAND c MENSCH DES TAGES M ehr als 30 Jahre pflegte und be- treute Bernhard Dettmers aus Jever (Kreis Friesland) seine nach einem Schlaganfall in den 1970er Jahren schwerbehinderte Frau Ruth Dettmers. Für sein privates Engage- ment wurde der 76-Jährige am Don- nerstag mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesre- publik Deutschland ausgezeichnet. Frieslands Landrat Sven Ambrosy überreichte die Medaille im Namen des Bundespräsidenten Joachim Gauck an Bernhard Dettmers. Vor- geschlagen worden war Dettmers von dem kürzlich verstorbenen Alt- Bürgermeister des Wangerlands, Joachim Gramberger. P ÐTV zeigt einen Beitrag unter www.NWZonline.de/nwztv BILD: RAHEL ARNOLD c SO BERICHTETE DIE HEUTE VOR 30 JAHREN A m 14. Septem- ber 1982 be- richtete die Ð unter anderem über einen selte- nen „Badegast“ in Hooksiel (Kreis Friesland). Ein etwa 2,56 Meter langer Langfinnendel- phin hatte sich hierher verirrt. Das Tier wurde auf Anordnung des friesländischen Amtstier- arzt aufgrund sonderbaren Verhaltens er- schossen. Zuvor hatte die Wasser- schutzpolizei ver- sucht, das Tier auf die offenen See zu treiben, aber die Versuche schlugen fehl. Der Arzt vermutete eine Schädigung des Gehirns durch Quecksilber, da in der Nähe von Helgo- land auch Schwermetalle verklappt werden. Andere vermuteten ein Magenleiden. ABC-Kurs hinter Schloss und Riegel EHRENAMT Seit mehr als acht Jahren lehrt Ingeborg Maskallis Gefangene das Lesen und Schreiben Die Oldenburgerin ist 86 Jahre alt. Sie unterrichtet mit einem Konzept, das mehr als hundert Jahre alt ist – der Fingerzeig- methode. VON MAIKE PLAGGENBORG OLDENBURG Es ist Mittwoch- nachmittag, kurz vor 16 Uhr. Ingeborg Maskallis geht auf den Besuchereingang der Jus- tizvollzugsanstalt (JVA) Ol- denburg in der Cloppen- burger Straße zu und wartet auf den Piepton, der ihr den Zutritt gewährt. Wie jede Wo- che hat sie ihr Gepäck dabei: einen kleinen, schwarzen Rollkoffer, der sie seit Langem bei ihrer Arbeit begleitet. Seit mehr als acht Jahren arbeitet sie ehrenamtlich im Gefängnis. Die pensionierte Lehrerin bringt Gefangenen das Lesen und Schreiben bei. Schon immer hat sie in der Al- phabetisierung gearbeitet, mit Schülern, die trotz Unter- richts das Lesen nicht erlern- ten. Sie besann sich – schon während ihrer 26 Jahre als Lehrerin an der Oldenburger Fröbelschule – auf eine alte Lehrmethode zurück: die Fin- gerzeigmethode (siehe Info- kasten). Das praktiziert sie auch hier. Unterricht und Kuchen Die Sicherheitsschleuse hat sie passiert: Sie ist sauber. Be- stimmten Schrittes geht sie nach weiteren Pieptönen und Türen über den Innenhof, durch einen langen Korridor. Ein JVA-Beamter bringt sie ab- schließend mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock. Endlich angekommen im Unterrichts- raum, fängt sie flugs an, ihren Koffer auszupacken. Es gilt keine Zeit zu verlieren, der Unterricht selbst dauert nur eine Stunde, der Rest ist Tee- kränzchen. Maskallis meint es gut mit den „Jungs“, wie sie sie nett: Pflaumenkuchen, Schokoriegel, Marzipanscho- kolade, Dominosteine und für jeden noch eine Tüte Wein- trauben. Der Raum riecht schon nicht mehr nach Schu- le. Dann geht es los: Vier strahlende Gefangene kom- men in den großen, hellen Raum, begrüßen Ingeborg Maskallis per Handschlag. Darauf besteht sie. „Ist der Tee schon fertig?“, fragt einer. „Nee, da müssten Sie noch eben...“, aber da ist der 39- jährige Pakistaner schon auf dem Weg in die Küche und kümmert sich. Dann geht der Unterricht, zu dem Ingeborg Maskallis keinen Startschuss zu geben braucht, los. Hefte raus, Bü- cher raus, die Männer zwi- schen 36 und 66 arbeiten selbstständig, machen ihre schriftlichen Übungen. „Das ist immer mucksmäuschen- still hier“, flüstert Maskallis und kichert dabei ver- schmitzt. Disziplin ist wichtig für ihre Schüler, meint sie. Das spürt auch ein Häftling, der zu spät zum Unterricht er- scheint. „Wo waren Sie die ganze Zeit?“, fragt sie den Bra- silianer und verliert dabei ihre freundliche Mine. Der 44-Jäh- rige versteht seine Lehrerin nicht und setzt sich. „Mütze absetzen!“, befiehlt sie. „Wer zu spät kommt, muss alle An- wesenden erst einmal per Handschlag begrüßen“, er- klärt sie ihm. Der Gefangene leistet Folge. Wenn jemand in Deutsch- land leben will, muss er auch die Sprache beherrschen, meint Maskallis. Die JVA-In- sassen sind dankbar. „Solche Menschen sind selten. Das ist so toll, was sie alles für uns ge- tan hat“, sagt der albanische Insasse. „Durch Frau Maskal- lis habe ich viel gelernt, sehr viel“, sagt einer, der sich Tariq nennt. Der Pakistaner, der hier eine Haftstrafe von acht Jahren absitzen muss, macht das Beste draus. Briefe schreibt er viele, seit er vor an- derthalb Jahren Maskallis’ Schüler wurde. Sechs, sieben, manchmal zehn pro Woche. Zuletzt hatte er eine Kontakt- anzeige aufgegeben – mit Er- folg. Gestern kam ihn eine Frau zum dritten Mal besu- chen. Aber er hat noch weitere Brieffreundschaften. „Meine Familie draußen organisiert für mich Kontakte über „jail- mail“, ein Internetportal für Gefangene. Als nächstes möchte er seinen Realschul- abschluss machen. Das Geheimnis liegt in der Lehrmethode. „Das ist ein Kw“, sagt sie zu ihrem ältesten Schüler, einem 66-Jährigen Pakistaner. Mit „Kw“ meint sie das „Q“. Bei Ingeborg Maskal- lis lernt man das ABC, wie man es sieht. Umlaute beim Buchstabieren gibt es nicht, nur Selbstlaute. Das Wort Schule hieße sonst „Es-Ce- Ha-U-El-E“. „So kann man das auch nicht verste- hen.“.Zusätzlich werden die Buchstaben mit einer Hand- bewegung verknüpft. Mit den Fingern hantiert heute aber keiner herum. „Meine Herren hier finden die Bewegungen albern“, sagt In- geborg Maskallis. Und die brauchen sie auch nicht mehr. „Meine Schüler werden öfter mal aus dem Unterricht ge- holt, weil sie dolmetschen müssen.“ Prompt unterbricht ein JVA-Beamter den Unter- richt und fragt den albani- schen Mann mit Krücken: „Haben Sie kurz Zeit, wir ha- ben da ein Problem.“ Sowohl das Lernkonzept als auch die kurze Unter- richtszeit kommen ihren „Jungs“ zugute. Die Gefange- nen haben mit Konzentra- tionsproblemen zu kämpfen. Die Straftat, die Haft, der feh- lende Kontakt zur Familie – all das mache ihnen schwer zu schaffen, sagt Maskallis. Dabei kennt sie selbst schwere Zeiten. Nicht nur Kriegserlebnisse haben sie zu der gemacht, die sie heute ist. „Ich freu mich!“, sagt sie und meint das ganz generell. Auf- geben scheint ihr fremd, En- gagement selbstverständlich. 2003 wurde sie sogar vom da- maligen Bundespräsidenten Horst Köhler mit der Golde- nen Nadel ausgezeichnet, weil sie vor mehr als 40 Jahren mit ihrem Mann die Suchtbera- tungsstelle „Rose 12“ gegrün- det hatte. Bald ohne Maskallis Dann geht es ans Aufräu- men. Die – wie immer – zu vielen Süßigkeiten werden aufgeteilt. Die Schüler ver- schwinden in der Küche, räu- men auf, waschen ab und fra- gen sich, was sie eigentlich tun sollen, wenn Frau Maska- lis in zwei Wochen nicht mehr da ist. „Sollen wir dann auf Station rumgammeln?“, mel- det sich der 35-jährige Vietna- mese zu Wort, der bisher noch gar nichts gesagt hat. Der al- banische Häftling bekommt fast Tränen in den Augen. „Sie ist wie Mutter, Vater, Schwes- ter in einem für uns.“ Ingeborg Maskallis aber folgt ihrem Sohn in die Lüne- burger Heide. Ob sie zur Ruhe kommt? „Vielleicht schreib ich das alles mal auf, wenn ich jetzt in Pension gehe.“ Im Ok- tober wird sie 87. Ingeborg Maskallis fragt einen ihrer „Jungs“ ab. BILDER: PLAGGENBORG EINE ALTE METHODE IN NEUEM UMFELD Die Fingerzeigmethode geht zurück auf ein Kon- zept, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts prakti- ziert wurde. Kern der Me- thode ist die Verknüpfung von Buchstaben mit einer Handbewegung und der Aussprache. Man zeigt, sieht, spricht und hört den Laut gleichzeitig. Daneben wird die Konzentration er- höht, das Lernen fällt so leichter. Ingeborg Maskallis fand vor Jahren einen Verlag, der ihr das Unterrichtsma- terial kostenlos zur Verfü- gung stellte. Die JVA in der Cloppen- burger Straße wurde 2001 gebaut. In einer Reportage wurde sie als „Alcatraz des Nordens“ bezeichnet. Lei- ter Gerd Koop spricht lie- ber von einem konsequen- ten und liberalen Leitbild. Das Ziel: Aus den Gefange- nen wieder Nachbarn ma- chen. Zurzeit sind in der Olden- burger JVA rund 260 Män- ner inhaftiert, knapp ein Drittel sind ausländischer Herkunft, Haftplätze gibt es 325. Die meisten Insas- sen sind zwischen 21 und 45 Jahre alt, die Hälfte von ihnen ist in Untersuchungs- haft. Ein Gefangener zeigt den Buchstaben „C“. Perspektive für Gerichts-Mitarbeiter OLDENBURG/LS Justizminister Bernd Busemann (CDU) hat der Landtagsopposition versi- chert, die Umwandlung be- fristeter Verträge in unbefris- tete Beschäftigungsverhält- nisse im Geschäftsbereich des Oberlandesgerichtes Olden- burg vorantreiben zu wollen. Was Kettenverträge angeht, führt das Gericht in Nieder- sachsen die Negativ-Statistik an: Zwischen acht und 24 mal erhielten insgesamt sieben Personen Kettenverträge als Ersatzkräfte für Beurlaubun- gen, Teilzeitbeschäftigungen oder Elternzeit. Das berichtet der „Rundblick“ aus Hanno- ver. Polizei stoppt auf A 28 rund 500 Autos BLOH/OTT Im Rahmen einer Großkontrolle haben Polizei und Zoll am Donnerstag auf der Autobahn 28, in Höhe des Parkplatzes Bloh, nach eige- nen Angaben rund 500 Fahr- zeuge angehalten und deren Insassen überprüft. Dabei ging es den Fahndern in erster Linie um die Kriminalitäts- prävention. Die A 28 gilt schon länger als Transitstre- cke für illegale Drogen. Bis zum Abend staute sich der in Richtung Oldenburg fließen- de Verkehr zeitweilig über die Anschlussstelle „Neuenkruge“ hinaus. P ÐTV zeigt einen Beitrag unter www.NWZonline.de/nwztv Britisches Atomschiff bricht die Fahrt ab NORDENHAM/FIL Mit dem ge- planten Umschlag von Mox- Brennelementen im Norden- hamer Hafen befassen sich der Stadtrat und der Weser- marsch-Kreistag in einer öf- fentlichen Sondersitzung am Montag, 17. September. Die Kreisverwaltung hatte das Bundesamt für Strahlen- schutz gebeten, zu der Sitzung einen Referenten zu schicken, der über das Genehmigungs- verfahren und den Ablauf der Transporte informieren sollte. Aber bislang liegt keine Ant- wort auf das Einladungs- schreiben vor. Für Verwirrung bei den Kernkraftgegnern, die mit Protestaktionen gegen die Atomtransporte vorgehen wollen, hat die abgebrochene Fahrt des britischen Atom- frachters „Atlantic Osprey“ gesorgt. Das Schiff war am Mitt- woch in Workington unweit der Wiederaufbereitungsanla- ge Sellafield gestartet und ei- nige Stunden später in den Hafen zurückgekehrt. Es sind zwei Transporte mit jeweils acht Mox-Elementen geplant. Die Termine unterliegen der Geheimhaltung.

BILD: RAHEL ARNOLD ABC-KurshinterSchlossundRiegelmaikeplaggenborg.de/wp-content/uploads/2014/11/Knast-ABC.pdf · FREITAG,14.SEPTEMBER2012 OLDENBURGERLAND NR.216|NORDWEST-ZEITUNG|SEITE13

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FREITAG, 14. SEPTEMBER 2012 NR.216 | NORDWEST-ZEITUNG | SEITE 13OLDENBURGER LAND

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MENSCH DES TAGES

Mehr als 30 Jahre pflegte und be-treute Bernhard Dettmers aus

Jever (Kreis Friesland) seine nacheinem Schlaganfall in den 1970erJahren schwerbehinderte Frau RuthDettmers. Für sein privates Engage-ment wurde der 76-Jährige am Don-nerstag mit der Verdienstmedailledes Verdienstordens der Bundesre-publik Deutschland ausgezeichnet.

Frieslands Landrat Sven Ambrosyüberreichte die Medaille im Namendes Bundespräsidenten JoachimGauck an Bernhard Dettmers. Vor-geschlagen worden war Dettmersvon dem kürzlich verstorbenen Alt-Bürgermeister des Wangerlands,Joachim Gramberger.PÐTV zeigt einen Beitrag unterwww.NWZonline.de/nwztvBILD: RAHEL ARNOLD

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SO BERICHTETE DIE HEUTE VOR 30 JAHREN

Am 14. Septem-ber 1982 be-

richtete die Ðunter anderemüber einen selte-nen „Badegast“ in Hooksiel (Kreis Friesland).Ein etwa 2,56 Meter langer Langfinnendel-phin hatte sich hierher verirrt. Das Tier wurdeauf Anordnung des friesländischen Amtstier-arzt aufgrund sonderbaren Verhaltens er-

schossen. Zuvorhatte die Wasser-schutzpolizei ver-sucht, das Tier aufdie offenen See zu

treiben, aber die Versuche schlugen fehl. DerArzt vermutete eine Schädigung des Gehirnsdurch Quecksilber, da in der Nähe von Helgo-land auch Schwermetalle verklappt werden.Andere vermuteten ein Magenleiden.

ABC-Kurs hinter Schloss und RiegelEHRENAMT Seit mehr als acht Jahren lehrt Ingeborg Maskallis Gefangene das Lesen und Schreiben

Die Oldenburgerin ist 86Jahre alt. Sie unterrichtetmit einem Konzept, dasmehr als hundert Jahrealt ist – der Fingerzeig-methode.

VON MAIKE PLAGGENBORG

OLDENBURG – Es ist Mittwoch-nachmittag, kurz vor 16 Uhr.Ingeborg Maskallis geht aufden Besuchereingang der Jus-tizvollzugsanstalt (JVA) Ol-denburg in der Cloppen-burger Straße zu und wartetauf den Piepton, der ihr denZutritt gewährt. Wie jede Wo-che hat sie ihr Gepäck dabei:einen kleinen, schwarzenRollkoffer, der sie seit Langembei ihrer Arbeit begleitet.

Seit mehr als acht Jahrenarbeitet sie ehrenamtlich imGefängnis. Die pensionierteLehrerin bringt Gefangenendas Lesen und Schreiben bei.Schon immer hat sie in der Al-phabetisierung gearbeitet,mit Schülern, die trotz Unter-richts das Lesen nicht erlern-ten. Sie besann sich – schonwährend ihrer 26 Jahre alsLehrerin an der OldenburgerFröbelschule – auf eine alteLehrmethode zurück: die Fin-gerzeigmethode (siehe Info-kasten). Das praktiziert sieauch hier.

Unterricht und Kuchen

Die Sicherheitsschleuse hatsie passiert: Sie ist sauber. Be-stimmten Schrittes geht sienach weiteren Pieptönen undTüren über den Innenhof,durch einen langen Korridor.Ein JVA-Beamter bringt sie ab-schließend mit dem Fahrstuhlin den ersten Stock. Endlichangekommen im Unterrichts-raum, fängt sie flugs an, ihrenKoffer auszupacken. Es giltkeine Zeit zu verlieren, derUnterricht selbst dauert nureine Stunde, der Rest ist Tee-kränzchen. Maskallis meint esgut mit den „Jungs“, wie siesie nett: Pflaumenkuchen,Schokoriegel, Marzipanscho-kolade, Dominosteine und fürjeden noch eine Tüte Wein-trauben. Der Raum riechtschon nicht mehr nach Schu-le.

Dann geht es los: Vierstrahlende Gefangene kom-men in den großen, hellenRaum, begrüßen IngeborgMaskallis per Handschlag.Darauf besteht sie. „Ist der Teeschon fertig?“, fragt einer.„Nee, da müssten Sie nocheben...“, aber da ist der 39-jährige Pakistaner schon aufdem Weg in die Küche undkümmert sich.

Dann geht der Unterricht,zu dem Ingeborg Maskalliskeinen Startschuss zu gebenbraucht, los. Hefte raus, Bü-cher raus, die Männer zwi-schen 36 und 66 arbeitenselbstständig, machen ihreschriftlichen Übungen. „Dasist immer mucksmäuschen-still hier“, flüstert Maskallisund kichert dabei ver-schmitzt. Disziplin ist wichtig

für ihre Schüler, meint sie. Dasspürt auch ein Häftling, der zuspät zum Unterricht er-scheint. „Wo waren Sie dieganze Zeit?“, fragt sie den Bra-silianer und verliert dabei ihrefreundliche Mine. Der 44-Jäh-rige versteht seine Lehrerinnicht und setzt sich. „Mützeabsetzen!“, befiehlt sie. „Werzu spät kommt, muss alle An-wesenden erst einmal perHandschlag begrüßen“, er-

klärt sie ihm. Der Gefangeneleistet Folge.

Wenn jemand in Deutsch-land leben will, muss er auchdie Sprache beherrschen,meint Maskallis. Die JVA-In-sassen sind dankbar. „SolcheMenschen sind selten. Das istso toll, was sie alles für uns ge-tan hat“, sagt der albanischeInsasse. „Durch Frau Maskal-lis habe ich viel gelernt, sehrviel“, sagt einer, der sich Tariq

nennt. Der Pakistaner, derhier eine Haftstrafe von achtJahren absitzen muss, machtdas Beste draus. Briefeschreibt er viele, seit er vor an-derthalb Jahren Maskallis’Schüler wurde. Sechs, sieben,manchmal zehn pro Woche.Zuletzt hatte er eine Kontakt-anzeige aufgegeben – mit Er-folg. Gestern kam ihn eineFrau zum dritten Mal besu-chen. Aber er hat noch weitere

Brieffreundschaften. „MeineFamilie draußen organisiertfür mich Kontakte über „jail-mail“, ein Internetportal fürGefangene. Als nächstesmöchte er seinen Realschul-abschluss machen.

Das Geheimnis liegt in derLehrmethode. „Das ist einKw“, sagt sie zu ihrem ältestenSchüler, einem 66-JährigenPakistaner. Mit „Kw“ meint siedas „Q“. Bei Ingeborg Maskal-lis lernt man das ABC, wieman es sieht. Umlaute beimBuchstabieren gibt es nicht,nur Selbstlaute. Das WortSchule hieße sonst „Es-Ce-Ha-U-El-E“. „So kann mandas auch nicht verste-hen.“.Zusätzlich werden dieBuchstaben mit einer Hand-bewegung verknüpft.

Mit den Fingern hantiertheute aber keiner herum.„Meine Herren hier finden dieBewegungen albern“, sagt In-geborg Maskallis. Und diebrauchen sie auch nicht mehr.„Meine Schüler werden öftermal aus dem Unterricht ge-holt, weil sie dolmetschenmüssen.“ Prompt unterbrichtein JVA-Beamter den Unter-richt und fragt den albani-schen Mann mit Krücken:„Haben Sie kurz Zeit, wir ha-ben da ein Problem.“

Sowohl das Lernkonzeptals auch die kurze Unter-richtszeit kommen ihren„Jungs“ zugute. Die Gefange-nen haben mit Konzentra-tionsproblemen zu kämpfen.Die Straftat, die Haft, der feh-lende Kontakt zur Familie – alldas mache ihnen schwer zuschaffen, sagt Maskallis.

Dabei kennt sie selbstschwere Zeiten. Nicht nurKriegserlebnisse haben sie zuder gemacht, die sie heute ist.„Ich freu mich!“, sagt sie undmeint das ganz generell. Auf-geben scheint ihr fremd, En-gagement selbstverständlich.2003 wurde sie sogar vom da-maligen BundespräsidentenHorst Köhler mit der Golde-nen Nadel ausgezeichnet, weilsie vor mehr als 40 Jahren mitihrem Mann die Suchtbera-tungsstelle „Rose 12“ gegrün-det hatte.

Bald ohne Maskallis

Dann geht es ans Aufräu-men. Die – wie immer – zuvielen Süßigkeiten werdenaufgeteilt. Die Schüler ver-schwinden in der Küche, räu-men auf, waschen ab und fra-gen sich, was sie eigentlichtun sollen, wenn Frau Maska-lis in zwei Wochen nicht mehrda ist. „Sollen wir dann aufStation rumgammeln?“, mel-det sich der 35-jährige Vietna-mese zu Wort, der bisher nochgar nichts gesagt hat. Der al-banische Häftling bekommtfast Tränen in den Augen. „Sieist wie Mutter, Vater, Schwes-ter in einem für uns.“

Ingeborg Maskallis aberfolgt ihrem Sohn in die Lüne-burger Heide. Ob sie zur Ruhekommt? „Vielleicht schreibich das alles mal auf, wenn ichjetzt in Pension gehe.“ Im Ok-tober wird sie 87.

Ingeborg Maskallis fragt einen ihrer „Jungs“ ab. BILDER: PLAGGENBORG

EINE ALTE METHODE IN NEUEM UMFELD

Die Fingerzeigmethodegeht zurück auf ein Kon-zept, das zu Beginn des20. Jahrhunderts prakti-ziert wurde. Kern der Me-thode ist die Verknüpfungvon Buchstaben mit einerHandbewegung und derAussprache. Man zeigt,sieht, spricht und hört denLaut gleichzeitig. Danebenwird die Konzentration er-höht, das Lernen fällt soleichter.

Ingeborg Maskallis fandvor Jahren einen Verlag,der ihr das Unterrichtsma-terial kostenlos zur Verfü-gung stellte.

Die JVA in der Cloppen-burger Straße wurde 2001

gebaut. In einer Reportagewurde sie als „Alcatraz desNordens“ bezeichnet. Lei-ter Gerd Koop spricht lie-ber von einem konsequen-ten und liberalen Leitbild.Das Ziel: Aus den Gefange-nen wieder Nachbarn ma-chen.

Zurzeit sind in der Olden-burger JVA rund 260 Män-ner inhaftiert, knapp einDrittel sind ausländischerHerkunft, Haftplätze gibtes 325. Die meisten Insas-sen sind zwischen 21 und45 Jahre alt, die Hälfte vonihnen ist in Untersuchungs-haft.

Ein Gefangener zeigt denBuchstaben „C“.

Perspektive fürGerichts-MitarbeiterOLDENBURG/LS – JustizministerBernd Busemann (CDU) hatder Landtagsopposition versi-chert, die Umwandlung be-fristeter Verträge in unbefris-tete Beschäftigungsverhält-nisse im Geschäftsbereich desOberlandesgerichtes Olden-burg vorantreiben zu wollen.Was Kettenverträge angeht,führt das Gericht in Nieder-sachsen die Negativ-Statistikan: Zwischen acht und 24 malerhielten insgesamt siebenPersonen Kettenverträge alsErsatzkräfte für Beurlaubun-gen, Teilzeitbeschäftigungenoder Elternzeit. Das berichtetder „Rundblick“ aus Hanno-ver.

Polizei stoppt aufA 28 rund 500 AutosBLOH/OTT – Im Rahmen einerGroßkontrolle haben Polizeiund Zoll am Donnerstag aufder Autobahn 28, in Höhe desParkplatzes Bloh, nach eige-nen Angaben rund 500 Fahr-zeuge angehalten und derenInsassen überprüft. Dabeiging es den Fahndern in ersterLinie um die Kriminalitäts-prävention. Die A 28 giltschon länger als Transitstre-cke für illegale Drogen. Biszum Abend staute sich der inRichtung Oldenburg fließen-de Verkehr zeitweilig über dieAnschlussstelle „Neuenkruge“hinaus.PÐTV zeigt einen Beitrag unterwww.NWZonline.de/nwztv

BritischesAtomschiffbricht dieFahrt abNORDENHAM/FIL – Mit dem ge-planten Umschlag von Mox-Brennelementen im Norden-hamer Hafen befassen sichder Stadtrat und der Weser-marsch-Kreistag in einer öf-fentlichen Sondersitzung amMontag, 17. September. DieKreisverwaltung hatte dasBundesamt für Strahlen-schutz gebeten, zu der Sitzungeinen Referenten zu schicken,der über das Genehmigungs-verfahren und den Ablauf derTransporte informieren sollte.Aber bislang liegt keine Ant-wort auf das Einladungs-schreiben vor.

Für Verwirrung bei denKernkraftgegnern, die mitProtestaktionen gegen dieAtomtransporte vorgehenwollen, hat die abgebrocheneFahrt des britischen Atom-frachters „Atlantic Osprey“gesorgt.

Das Schiff war am Mitt-woch in Workington unweitder Wiederaufbereitungsanla-ge Sellafield gestartet und ei-nige Stunden später in denHafen zurückgekehrt. Es sindzwei Transporte mit jeweilsacht Mox-Elementen geplant.Die Termine unterliegen derGeheimhaltung.