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H:\Bereich allgemein\Bellmann\Lehrveranstaltungen\Skript\Skript Bildungsökonomik SS 2012.doc Bildungsökonomik Lehrveranstaltung im Modul „Arbeit, Personal und Bildung“ der Bachelorstudiengänge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg Sommersemester 2012 Prof. Dr. Lutz Bellmann 1 Dr. Ute Leber 2 1 Universität Erlangen-Nürnberg, Institut Zukunft der Arbeit Bonn und Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg ² Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg

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Bildungsökonomik

Lehrveranstaltung im Modul

„Arbeit, Personal und Bildung“ der Bachelorstudiengänge

des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften

der Universität Erlangen-Nürnberg

Sommersemester 2012

Prof. Dr. Lutz Bellmann1 Dr. Ute Leber2

1 Universität Erlangen-Nürnberg, Institut Zukunft der Arbeit Bonn und Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg ² Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg

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Gliederung

1. Einleitung .......................................................................................................................... 4 2. Theoretische Grundlagen der Bildungsökonomik .............................................................. 5

2.1 Einleitung ..................................................................................................................... 5 2.2 Humankapitaltheorie .................................................................................................... 6

2.2.1 Das Grundmodell von Becker ................................................................................ 6 2.2.2 Die Mincersche Einkommensfunktion .................................................................... 9 2.2.3 Probleme des Humankapitalansatzes ...................................................................11 2.2.4 Schooling und die Qualität des Humankapitals .....................................................14

2.3 Arbeitsmarktunvollkommenheiten I: Komprimierte Lohnstruktur ..................................15 2.4 Arbeitsmarktunvollkommenheiten II: Screening und Signalling ...................................19 2.5 Zusammenfassung .....................................................................................................20

3. Allgemein bildende Schulen .............................................................................................24 3.1 Einleitung ....................................................................................................................24 3.2 Bildungsbeteiligung im Bereich der allgemein bildenden Schulen ...............................25 3.3 Die Ergebnisse internationaler Schülerleistungstests und ihre Ursachen ....................26

3.3.1 PISA und weitere Tests ........................................................................................27 3.3.2 Einflussfaktoren der Schülerleistungen .................................................................29

3.4 Soziale Ungleichheit der Bildungschancen ..................................................................32 3.4.1 Soziale Herkunft und Bildungsbeteiligung .............................................................33 3.4.2 Soziale Herkunft und Kompetenz .........................................................................34

3.5 Zusammenfassung .....................................................................................................37 4. Hochschulausbildung .......................................................................................................39

4.1 Einführung ..................................................................................................................39 4.2 Die Entwicklung der Studienanfänger an Hochschulen ...............................................39 4.3 Studienfachwechsel und Studienabbruch ...................................................................45 4.4 Studiendauern ............................................................................................................46 4.6 Hochschulreform .........................................................................................................49 4.7 Kosten und Nutzen des Studiums an Hochschulen .....................................................50 4.8 Zusammenfassung .....................................................................................................54

5. Betriebliche Berufsausbildung ..........................................................................................57 5.1 Einleitung ....................................................................................................................57 5.2 Die Entwicklung der betrieblichen Berufsausbildung ...................................................57 Quelle: Bildung in Deutschland 2010, S.1 .........................................................................60 5.3 Betriebliche Lehrstellenangebote ................................................................................61 5.4 Bestimmungsgründe der betrieblichen Ausbildungsentscheidung ...............................67 5.5 Kosten und Erträge der betrieblichen Berufsausbildung ..............................................72 5.6 Reformbedarf der betrieblichen Berufsausbildung .......................................................75 5.7 Zusammenfassung .....................................................................................................79

6. Berufliche Weiterbildung ...................................................................................................82 6.1 Einleitung ....................................................................................................................82 6.2 Grundlagen der Weiterbildung ....................................................................................82

6.2.1 Arten der Weiterbildung ........................................................................................83 6.2.2 Zum Bedeutungsgewinn der Weiterbildung ..........................................................86

6.3 Weiterbildung aus Sicht der Betriebe ..........................................................................87 6.3.1 Angebot und Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung ........................................87 6.3.2 Determinanten der betrieblichen Weiterbildungsentscheidung..............................91

6.4 Weiterbildung aus Sicht der Individuen .......................................................................95 6.4.1 Individuelle Beteiligung an beruflicher Weiterbildung ............................................96 6.4.2 Determinanten der individuellen Weiterbildungsentscheidung ..............................97

6.5 Finanzierung der beruflichen Weiterbildung ................................................................99

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6.5.1 Grundzüge der Weiterbildungsfinanzierung ..........................................................99 6.5.2 Modelle der Weiterbildungsfinanzierung ............................................................. 101

6.6 Zusammenfassung ................................................................................................... 105 7. Fachkräftebedarf der Wirtschaft ...................................................................................... 108

7.1 Einführung ................................................................................................................ 108 7.2 Messung des Fachkräftemangels ............................................................................. 113 7.3 Nutzung des Potenzials von Älteren und Frauen....................................................... 116 7.4 Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland ................................................. 118 7.5 Zuwanderung nach Deutschland ............................................................................... 121 7.6 Zusammenfassung ................................................................................................... 123

8. Politische Ökonomie der Bildung .................................................................................... 126 8.1 Einleitung .................................................................................................................. 126 8.2. Gründe für Marktversagen ....................................................................................... 126 8.3 Öffentlicher und privater Mix bei Bildung ................................................................... 128 8.4 Öffentliche und private Bereitstellung von Bildung .................................................... 130 8.5 Entwicklung der Bildungsausgaben........................................................................... 132 8.6 Zusammenfassung ................................................................................................... 135

9. Bildungspolitik ................................................................................................................ 138 9.1 Bedeutung der Bildungspolitik ................................................................................... 138 9.2 Bildung und Wirtschaftswachstum............................................................................. 139 9.3 Qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit und Partizipation am Erwerbsleben .......... 142 9.4 Bildung, Gesundheit und Vertrauen .......................................................................... 144 9.5 Steuerung von Zuwanderung nach Qualifikationskriterien ......................................... 145 9.6 Zusammenfassung ................................................................................................... 147

Methodischer Anhang zur Bildungsökonomie ..................................................................... 148 1. Grundstruktur ökonometrischer Modelle ..................................................................... 148 2. Funktionstypen ........................................................................................................... 148 3. Das einfache lineare Modell ........................................................................................ 150 4. Multiples Bestimmtheitsmaß und korrigiertes multiples Bestimmtheitsmaß ................. 150 5. Hypothesentests ......................................................................................................... 150 6. Statistische Probleme und ihre Konsequenzen ........................................................... 151 7. Qualitative exogene und endogene Variablen ............................................................. 153

7.1 Qualitative exogene Variablen ............................................................................... 153 7.2 Qualitative endogene Variable ............................................................................... 154

Anhang zu den Datengrundlagen mit Informationen zu den Themen Aus- und Weiterbildung ........................................................................................................................................... 156

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Bildung ist, was übrig bleibt, wenn man alles, was man in der Schule lernte, vergessen hat (Albert Einstein).

1. Einleitung

Der einzige Rohstoff der meisten Industrienationen sind die Köpfe ihrer Bürger. Bildungsökonomi-

sche Fragestellungen haben deshalb einen hohen Stellenwert nicht nur in der aktuellen bildungspoliti-

schen, sondern auch der wirtschaftspolitischen Diskussion. Als theoretische Basis der Bildungsöko-

nomie ist vorrangig die Humankapitaltheorie zu betrachten, deren Anfänge der Humankapitaltheorie

bis zu Adam Smith zurückgehen, bei dem bereits Ideen über eine Analyse von Fähigkeiten und Quali-

fikationen zu Sachkapital zu finden sind. Die moderne Fassung der Humankapitaltheorie wurde zu

Beginn der 60er Jahre entwickelt. Dabei standen Fragen des Zusammenhangs von Humankapitalinves-

tition und Arbeitseinkommen im Vordergrund. Ende der 90er Jahre wurden theoretisch verschiedene

Arten der Arbeitsmarktunvollkommenheit untersucht, aus denen sich Implikationen für die wichtige

Frage der Finanzierung von betrieblicher Aus- und Weiterbildung ableiten lassen.

International vergleichende Studien haben Mängel im deutschen Bildungssystem aufgedeckt und der

Diskussion über Reformen neue Nahrung gegeben. Dies gilt zum einen für das allgemein bildende

Schulwesen. Wie PISA und andere Untersuchungen gezeigt haben, schneiden die deutschen Schüler

im internationalen Vergleich allenfalls durchschnittlich ab. Zudem streuen die Bildungsbeteiligung

sowie die Schülerleistungen in Deutschland zwischen einzelnen sozialen Gruppen wie in kaum einem

anderen Land. Durch die Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse sind im Hochschulbereich

neue Prozesse in Gang gesetzt worden, deren Ergebnisse erst ansatzweise erkennbar sind.

Aber auch das System der dualen Berufsausbildung in der Kombination von betrieblicher Lehre und

Berufsschule ist mit Problemen verbunden. Die anhaltende Lehrstellenknappheit zeigt, dass für viele

Betriebe die Kosten höher sind als die Erträge, so dass sie - selbst wenn sie dazu berechtigt sind - nicht

ausbilden. Der Übernahme von Ausbildungsabsolventen im Ausbildungsbetrieb kommt deshalb eine

besondere Bedeutung zu, denn oftmals amortisieren sich die betrieblichen Aufwendungen für die

Ausbildung des Fachkräftenachwuchses erst einige Zeit nach Ausbildungsende.

Aufgrund der drastisch gesunkenen Halbwertszeit des Wissens und der demographischen Entwicklung

sind die betriebliche Weiterbildung und das lebenslange Lernen besonders wichtig geworden. Gleich-

wohl ist die Weiterbildungsbeteiligung und –intensität in Deutschland im internationalen Vergleich

relativ niedrig, insbesondere was einzelne Gruppen wie Un- und Angelernte, Migranten und Ältere

sowie Beschäftigte in Klein- und Mittelbetrieben angeht. Deshalb stellt sich auch die Frage nach Mög-

lichkeiten der Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung sowie nach alternativen Finanzierungsformen.

Die private und öffentliche Bereitstellung verschiedener Bildungsgüter betrachtet die Politische Öko-

nomie der Bildung ebenso wie die private und öffentlich rechtliche Trägerschaft von Bildungseinrich-

tungen, die Rolle des New Public Managements im Bildungswesen und die Entwicklung der Bil-

dungsausgaben im internationalen Vergleich. Für den Arbeitsmarkt ist nicht nur die Deckung des Be-

darfs an Fachkräften, sondern auch die qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit und Partizipation am

Erwerbsleben von Relevanz. Wirtschaftspolitisch ist der Zusammenhang von Bildung und Wirt-

schaftswachstum und gesellschaftspolitisch der von Bildung, Gesundheit und Vertrauen wichtig.

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2. Theoretische Grundlagen der Bildungsökonomik

In diesem Abschnitt sollen Antworten auf folgende Fragen gegeben werden:

Wie erklärt die Humankapitaltheorie die individuelle und betriebliche Bildungsentscheidung?

Welche Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen allgemeinem und spezifischem Humankapi-

tal?

Wie können die Erträge von Humankapitalinvestitionen erfasst werden?

Welche Erweiterungen des Humankapitalansatzes gibt es?

Was ist unter der Qualitätsdimension der Bildung zu verstehen?

Welche Signale geben Bildungsabsolventen an potenzielle Arbeitgeber?

Wie wirken sich Mobilitätsbarrieren und andere Arbeitsmarktunvollkommenheiten auf Bildungs-

entscheidungen aus?

2.1 Einleitung

Ein bestimmter Schulabschluss, ein Berufsabschluss oder ein Hochschulstudium werden oft für das

Erreichen einer bestimmten beruflichen Stellung vorausgesetzt. Aus ökonomischer Sicht kann dies

damit erklärt werden, dass Bildung als Investition betrachtet wird, durch die Wissen akkumuliert und

die individuelle Produktivität erhöht wird. Dies führt zu besseren Aufstiegschancen und höheren Ein-

kommen bei den Bildungsabsolventen. Obwohl bereits bei nationalökonomischen Klassikern wie

Adam Smith Ideen über eine Analogie von Fähigkeiten und Qualifikationen zu Sachkapital zu finden

sind, wurde die moderne Fassung der Humankapitaltheorie zur Erklärung verschiedener realer Phä-

nomene herangezogen, die mit der traditionellen neoklassischen Theorie nur mangelhaft erklärt wer-

den konnten. Der außerordentlich große Erfolg der Humankapitaltheorie beruht aber auch darauf, dass

ihre Aussagen mit eigens erhobenen Mikrodatensätzen empirisch überprüft worden sind. Ende der

1980er Jahre erlangten Bildungsfragen erneut große Bedeutung im Rahmen der Neuen Wachstums-

theorie (z.B. Lucas 1988, Romer 1990): Mit der Entwicklung in der Informations- und Kommunikati-

onstechnik als Querschnittstechnologie ist im letzten Jahrzehnt eine Wissensökonomie entstanden, in

der das Humankapital sogar noch wichtiger geworden ist. In der New Economy ist das Humankapital

der entscheidende Produktionsfaktor, der eine zentrale Rolle für die gesamtwirtschaftliche Produktivi-

tät und das Wachstum eines Landes spielt. Damit ist die Humankapitaltheorie auch wieder an ihr ur-

sprüngliches Ziel der Erklärung unterschiedlicher Effektivitäten von Sachinvestitionen in Industrie-

und Entwicklungsländern zurückgekehrt.

Gleichwohl sind die zentralen Annahmen der Humankapitaltheorie Gegenstand wichtiger Kontrover-

sen in der Wirtschaftswissenschaft. Der praktische Nutzen vieler Studiengänge wird ebenso bezweifelt

wie der des Abiturs; vielmehr wird die Ansicht vertreten, dass damit gegenüber potenziellen Arbeitge-

bern die Fähigkeit nachgewiesen wird, abstrakt denken und Probleme strukturieren zu können. Wenn

die Betriebe aus der Gruppe der Abiturienten einen Bewerber für einen Ausbildungsplatz einstellen, ist

die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Mitarbeiter über Abstraktionsfähigkeiten verfügt, als wenn ein

Hauptschüler eingestellt wird. Insofern wirkt das Bildungssystem als Filter. Dadurch haben Bildungs-

absolventen die Möglichkeit, die potenziellen Arbeitgeber über ihre Fähigkeiten zu informieren. Wenn

diese Einschätzung der Bedeutung von Bildungsgängen und –abschlüssen zutreffend ist, ergeben sich

andere Beurteilungen der Wirkungen von höheren Bildungsausgaben zum Beispiel bei den angespro-

chenen Wachstumsanalysen, als wenn von einem direkten Produktivitätseffekt ausgegangen wird. Im

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Zusammenhang mit der international vergleichend angelegten PISA-Studie ist auch die Bedeutung der

Qualitätsdimension der Bildung besonders hervorgehoben worden. Um die ökonomischen Wirkungen

der Bildung in quantitativer und qualitativer Hinsicht beurteilen zu können, ist deshalb eine klare theo-

retische Struktur erforderlich, die in diesem Abschnitt des Buches präsentiert wird.

Von großer Relevanz sind auch die Analysen von Arbeitsmarktunvollkommenheiten im Zusammen-

hang mit Bildungsentscheidungen. Der konventionelle Humankapitalansatz ist beispielsweise nicht in

der Lage, betriebliche Investitionen in das transferierbare/allgemeine Humankapital der Mitarbeiter zu

erklären. In einer Welt mit Mobilitätsbarrieren, komprimierten Lohnstrukturen und anderen Arbeits-

marktunvollkommenheiten gibt es dagegen einen starken Anreiz für die Unternehmen, in die Aus- und

Weiterbildung der Mitarbeiter zu investieren.

2.2 Humankapitaltheorie

2.2.1 Das Grundmodell von Becker

Zwar finden sich bereits bei den Klassikern der Nationalökonomie Ideen über eine Analogie von Fä-

higkeiten und Qualifikationen zu Sachkapital, doch wurde die moderne Fassung der Humankapitalthe-

orie zu Beginn der 1960er Jahre mit Arbeiten von Becker (1964) entwickelt. Dabei wird die Summe

aus schulischer/beruflicher (Erst-)Ausbildung und beruflicher Weiterbildung als individueller Bestand

an Humankapital betrachtet. Bildungsaktivitäten erzeugen demnach direkte Kosten für Lehrkräfte,

Ausbildungseinrichtungen u.ä. sowie Opportunitätskosten des Zeitaufwands, da während der Bil-

dungszeiten einer Erwerbstätigkeit gar nicht oder nur in geringem Umfang nachgegangen werden

kann. Diesen Kosten stehen Erträge in Form einer höheren individuellen Arbeitsproduktivität gegen-

über. Daraus ergeben sich Quasi-Renten, die zu verteilen sind und das individuelle Arbeitseinkommen

erhöhen. Indem man die Qualifikation als Grundeigenschaft des Menschen in der Produktion begreift,

wird die Arbeitskraft zum Investitionsgut, in das zur Verbesserung des Arbeitseinkommens investiert

werden kann (Sesselmeier/Blauermel 1997).

Die grundlegende Vorstellung des Modells besteht darin, dass eine Person jedes Jahr vor der Alterna-

tive steht, entweder voll erwerbstätig zu sein oder aber eine Bildungsmaßnahme zu durchlaufen und

somit in ihr Humankapital zu investieren. Der Einfachheit halber werden Freizeitaktivitäten nicht be-

rücksichtigt. Für die Beschäftigten ist dann zum Zeitpunkt t die Höhe des Arbeitseinkommens Et pro-

portional zum bereits akkumulierten Bestand an Humankapital Ht. Der Proportionalitätsfaktor r kann

als Ertragsrate des Humankapitals interpretiert werden.

(2.1) tt HrE

Wird unterstellt, dass (Aus-)Bildung in Vollzeit erfolgt, so lässt sich eine Humankapitalinvestition als

Veränderung des Humankapitalbestandes ΔHt aus der Produktivität f, der Bildungszeit th, dem Hu-

mankapitalbestand der Vorperiode Ht-1 und seiner Abschreibung δ ableiten:

(2.2) 1)( tht HtfH .

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Danach betragen die Opportunitätskosten eines Bildungsjahres (ursprünglich: Schuljahr) r·Ht, da ein

zusätzliches Bildungsjahr mit einem entgangenen Einkommen in dieser Höhe verbunden ist. Die

Nachfrage nach (Aus-)Bildung ist nach Gleichung (2.2) umso höher, je länger der Auszahlungszeit-

raum für die Erträge von Humankapitalinvestitionen sind, je produktiver die Bildungszeit und je ge-

ringer die zeitliche Diskontierung ausfällt, während die Abschreibungsrate keinen eindeutigen Effekt

hat (wie in kontrolltheoretischen Modellen gezeigt wurde, vgl. Blinder/Weiss 1976).

Modellerweiterungen berücksichtigen den Zusammenhang von Investitionen in Humankapital und der

Einkommensentwicklung im Lebensverlauf. Damit kann der typische phasenweise Verlauf von Bil-

dungs- und Erwerbsbeteiligung erklärt werden: Der Konzentration auf die Humankapitalbildung wäh-

rend der Schulzeit (Phase I) folgt eine abnehmende Investitionstätigkeit in der beruflichen Einstiegs-

phase (Phase II), eine vollständige Spezialisierung auf die Einkommenserzielung (Phase III) und

schließlich die Ruhestandsphase (Phase IV). Die beiden mittleren Phasen lassen sich graphisch gut

veranschaulichen. Danach besitzt ein Beschäftigter zum Zeitpunkt t0 die Möglichkeit, ohne eine Aus-

bildung eine Tätigkeit zum Lohnsatz w0 aufzunehmen oder alternativ dazu nur einen Lohnsatz w1 zu

beziehen, aber dann bis zum Zeitpunkt t1 eine Ausbildung zu durchlaufen. Der Vorteil der Ausbildung

besteht darin, dass die Beschäftigung nach Ausbildungsabschluss zum Lohnsatz w2 erfolgt, der höher

als w1 und w0 ist. Eine Ausbildung lohnt sich aus individueller Sicht dann, wenn das entgangene Ein-

kommen während des Zeitraums t0 bis t1 kleiner ist als das zusätzliche Einkommen im Zeitraum t1 bis

t2, wobei die individuelle zeitliche Diskontierung nicht zu groß sein darf.

Abb. 1: Entlohnung und Wertgrenzproduktivität bei allgemeinen Humankapitalinvestitionen

In Lohn-Produktivitäts-Relationen ausgedrückt implizieren diese Überlegungen, dass die Ent-

lohnung des Beschäftigten während der Ausbildungszeit unterhalb der Wertproduktivität

liegt, weil die direkten Ausbildungskosten zu berücksichtigen sind, und danach in Höhe der

Wertgrenzproduktivität erfolgt. Würden die direkten Ausbildungskosten von der Entlohnung

nach Ausbildungsende vom Betrieb quasi abgezogen, bliebe der Betrieb auf einem Teil der

Ausbildungskosten „sitzen“, wenn der Arbeitnehmer den Betrieb wechselt. Insofern die Aus-

bildung auch in anderen Betrieben als dem Ausbildungsbetrieb eine produktive Wirkung ent-

0t1t 2t

t

1v

wv,

0w

2w

1w

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faltet, spricht man von allgemeinem Humankapital. Dieses Thema soll nun etwas ausführli-

cher diskutiert werden.

Die Analogie von Human- und Sachkapital hat Becker auf die Frage der Finanzierung von

Humankapitalinvestitionen übertragen. Sollen die Individuen selbst oder die Betriebe diese

Investitionen finanzieren? Die Beantwortung dieser Frage hängt entscheidend davon ab, ob es

sich um eine allgemeine oder eine spezifische Ausbildung handelt. Eine allgemeine Ausbil-

dung versetzt die Arbeitnehmer in die Lage, verschiedene Tätigkeiten auszuüben, während

eine spezifische Ausbildung für eine bestimmte Tätigkeit erfolgt. Während das allgemeine

Humankapital bei einem Arbeitsplatz- oder Betriebswechsel erhalten bleibt, ist dies bei spezi-

fischem Humankapital nicht der Fall.

Bei einer allgemeinen Ausbildung trägt der Arbeitnehmer während der Dauer der Ausbildung

sämtliche Ausbildungskosten, erhält aber im Gegenzug dazu auch alle Ausbildungserträge.

Bei einer spezifischen Ausbildung dagegen teilen sich Arbeitnehmer und Betrieb die Kosten

und Erträge: Während der Ausbildungszeit erhält der Arbeitnehmer einen Lohnsatz w1, der

über seiner Wertgrenzproduktivität v1 liegt (aber unter dem Alternativlohnsatz w0). Nach

Abschluss der Ausbildung wird nach der Teilungsregel von Becker w2 (aber über dem Alter-

nativlohnsatz w0) gezahlt. In Abbildung 2 werden die Überlegungen nochmals zusammenfas-

send dargestellt.

Abb. 2: Entlohnung und Wertgrenzproduktivität bei spezifischen Humankapitalinvestitionen

Die Teilungsregel von Becker stellt im Fall spezifischer Humankapitalinvestitionen zum einen sicher,

dass der Beschäftigte nach Abschluss der Ausbildung im Betrieb bleibt, weil er sich auf einem anderen

Arbeitsplatz mit einem Lohnsatz w0 schlechter stellen würde. Zum anderen wird der Betrieb auch

nicht nach beendigter Ausbildung versuchen, die Entlohnung des Ausbildungsabsolventen unter den

Lohnsatz w0 zu drücken, da der Beschäftigte dann kündigen und einen anderen Arbeitsplatz annehmen

0t1t 2t

t

2v

2w

0w

1w

1v

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könnte. Allerdings ist die genaue Höhe der Entlohnung bei spezifischem Humankapital nach den theo-

retischen Überlegungen von Becker nicht eindeutig bestimmbar.

2.2.2 Die Mincersche Einkommensfunktion

Der außerordentlich große Erfolg der Humankapitaltheorie ist sicherlich auch darauf zurückzuführen,

dass zentrale Aussagen dieser Theorie mit Hilfe von Mikrodaten aus Bevölkerungsumfragen überprüft

werden können. Zwar enthalten die humankapitaltheoretischen Modelle eine Reihe an Faktoren wie

z.B. die Bildungsrendite, die Zeitpräferenzrate und die Parameter der Produktionsfunktion, die bereits

im letzten Abschnitt abgeleitet worden sind. Mincer (1974) hat aber mit der nach ihm benannten Ein-

kommensfunktion eine pragmatische Methode entwickelt, die die wesentlichen Elemente der Human-

kapitaltheorie aufgreift und darüber hinaus die Schätzung von Bildungsrenditen erlaubt.

Zu den wichtigsten Annahmen gehört eine Bildungsrendite, die während des gesamten Lebenszyklus

konstant ist. Weiterhin wird für die Einkommenserzielungskapazität Et unterstellt, dass sie – ausge-

hend von der Einkommenserzielungskapazität zum Zeitpunkt der Einschulung E0 – durch die Verwen-

dung eines Anteils von kt für (weitere) Investitionen in Humankapital wächst. Zum Zeitpunkt t beträgt

sie dann

(2.3)

t

t drkEE0

0 exp ,

wobei E0 die Einkommenskapazität bei der Einschulung darstellt. Das tatsächlich erzielte Einkommen

besitzt einen Anteil von 1 - kt an der Einkommenserzielungskapazität

(2.4) ttt Eky )1( .

Schulbildung wird als Tätigkeit betrachtet, bei der das Individuum die gesamte Einkommenserzie-

lungskapazität zur Investition in Humankapital nutzt, d.h. kt=1. Mithin beträgt die Einkommenserzie-

lungskapazität am Ende der Schulzeit (zum Zeitpunkt s)

(2.5) rs

s eEE 0 .

Wenn nach Erreichen des (Schul-)Bildungsabschlusses keine weiteren Humankapitalinvestitionen

mehr vorgenommen werden, entsprechen sich die Einkommenserzielungskapazität und das tatsächli-

che Einkommen

(2.6) rs

ss eEyE 0

oder nach Logarithmieren

(2.6’) rsEyE ss 0lnlnln .

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Mincer (1974) hat wahltheoretisch anhand des Modells von Ben-Porath (1967) begründet, warum der

Anteil der Einkommenserzielungskapazität, der für weitere Humankapitalinvestitionen verwendet

wird, mit zunehmendem Lebensalter sinkt: Erstens werden bei einer begrenzten Dauer des Erwerbsle-

bens Investitionen mit zunehmendem Alter nur über einen relativ kürzeren Zeitraum Erträge erbrin-

gen. Zweitens führt das Hinauszögern profitabler Investitionen zu einem geringeren Gegenwartswert

dieser Investitionen. Drittens kann die (Arbeits-)Zeit der Arbeitskraft als ein weiterer Produktionsfak-

tor neben dem schon gebildeten Humankapital bei der Produktion zusätzlicher Humankapitaleinheiten

angesehen werden. Der Wert der (Arbeits-)Zeit steigt mit zunehmendem Alter, weil die Erträge frühe-

rer Investitionen anfallen. Viertens werden die Investitionen in Humankapital über mehrere Perioden

verteilt, weil die Grenzkosten der Produktion von Humankapital in jeder Periode steigend sind.

Eine linear abnehmende Entwicklung des Anteils der Einkommenserzielungskapazitäten, der für wei-

tere Humankapitalinvestitionen verwendet wird, kann z.B. wie folgt formuliert werden:

(2.7) xnkkkx )/( 00 .

In diesem Fall wird ein bestimmter Anteil k0 in jedem Berufsjahr x soweit reduziert, dass nach n Jah-

ren am Ende des Erwerbslebens keine Humankapitalinvestitionen mehr vorgenommen werden. Damit

ergibt sich eine Einkommenserzielungskapazität in Höhe von

(2.8) 2

00

0

00 )2/(exp)/(exp xnrkxrkEdnkrrkEE s

x

sx

und unter Verwendung von Gleichung (2.4) ein tatsächliches Einkommen in Höhe von

(2.9) xxx Eky )1(

bzw. nach Logarithmieren

(2.9’) xxx Eky ln)1ln(ln .

Das Logarithmieren von Gleichung (2.8), Einsetzen in Gleichung (2.9’) und Sortieren führt zu

(2.10) )1ln()2/(lnln 2

00 xsx kxnrkxrkEy .

Setzt man Gleichung (2.6’) ein, ergibt sich

(2.11) )1ln()2/(lnln 2

000 xx kxnrkxrkrsEy .

Unter Vernachlässigung des logarithmischen Terms hat Mincer (1974) diese Gleichung durch seine

berühmt gewordene ökonometrische Einkommensfunktion approximiert:

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(2.12) uxßxßsßßy 2

3210ln ,

wobei u die Störvariable repräsentiert. Dabei gibt ß1 als der Regressionskoeffizient für die Schulbe-

suchsdauer (=Lebensalter - 6 Jahre) die Bildungsrendite an. ß2 und ß3 sind positive und negative Reg-

ressionskoeffizienten für die Berufserfahrung (= Lebensalter - 6 Jahre - Schulbesuchsdauer).

2.2.3 Probleme des Humankapitalansatzes

Das wahrscheinlich wichtigste Element, das in dem oben dargestellten Basismodell von Becker fehlt,

ist die Rolle der Familie in der Bildung und Erziehung. Es besteht ein starker Zusammenhang zwi-

schen dem familiären Hintergrund, dem Einkommen und Vermögen der Eltern, ihrem Beruf und Bil-

dungsabschluss auf der einen Seite und der Bildungsbeteiligung der Kinder auf der anderen Seite:

Viele empirische Studien haben gezeigt, dass Kinder aus der Mittel- und Oberschicht signifikant häu-

figer weiterführende Schulen besuchen als Angehörige der Unterschicht. Oder anders ausgedrückt

bedeutet dieses Ergebnis, dass für befähigtere Personen ihre Bildungsrendite aufgrund ihrer längeren

Bildungszeiten sinkt, sie aber wegen ihrer größeren Fähig- und Fertigkeiten höhere Bildungsrenditen

erzielen können. Beide Effekte zusammen bewirken, dass sich die Bildungsrenditen bei Personen mit

unterschiedlichen Fähigkeitsniveaus nur geringfügig unterscheiden.

Abb. 3: Finanzierungskosten und Schuldauer in Abhängigkeit von Nachfrage und Angebot an

ausleihbaren Fonds

Becker und Chiswick (1966) haben ein Marktmodell entwickelt, das aus der Nachfrage und dem An-

gebot aus ausleihbaren Fonds (Loanable-Funds-Ansatz) die individuelle Entscheidung über die

Schuldauer herleitet. Für den Einzelnen nimmt der Grenzertrag der Schulausbildung mit zunehmender

Schuldauer ab. Dabei kann es in Abhängigkeit von den individuellen Fähigkeiten (ai > aj) unterschied-

liche Niveaus geben. Für die Nachfrage nach ausleihbaren Fonds wird eine positive Beziehung zum

Zinssatz r unterstellt, weil mit zunehmender Bildungsdauer teurere Finanzierungsquellen (etwa in der

Reihenfolge eigene Familie, Freunde, Bafög, Kreditinstitute) in Anspruch genommen werden müssen.

Niveauunterschiede ergeben sich durch Unterschiede im Vermögen der einzelnen Familien. In Abb. 3

Nachfrage an ausleihbaren Fonds für

„bessere“ Familien

„bessere“ Familien

A

B

Schuldauer

Bs As

Angebot an ausleihbaren Fonds für

„schlechtere“ Familien

„schlechtere“ Familien

AA

BB

rf

rf

Finanzierungskosten

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sind die Funktionen für die Nachfrage und das Angebot an ausleihbaren Fonds zusammengefasst.

Wenn die persönlichen Fähigkeiten mit den familiären Einflussfaktoren korrelieren, d.h. günstige fa-

miliale Finanzierungsbedingungen und der Umfang der persönlichen Fähigkeiten zusammentreffen,

ergibt sich eine längere Schulbesuchsdauer bei gleichzeitig niedrigeren Kosten für diese soziale Grup-

pe. In der Abbildung 3 ist dies durch den Punkt A gekennzeichnet. Umgekehrt werden weniger güns-

tige Finanzierungsbedingungen und geringere Fähigkeiten zu kürzeren Schulbesuchsdauern und höhe-

ren Finanzierungsbedingungen führen. In der Abb. 3 ist dies die Konstellation in Punkt B.

Weitere mögliche Probleme des Ansatzes ergeben sich vor allem durch die Nicht-Berücksichtigung

der (unbeobachtbaren) individuellen Fähigkeiten. Bei der Präsentation des Modells von Becker und

Chiswick war auf den Einfluss dieser Faktoren eingegangen worden, aber natürlich gibt es weitere

Begründungen. Im Modell von Becker und Chiswick ist der Einfluss der unterschiedlichen Fähigkei-

ten auf die Schulbesuchsdauer wesentlich größer als auf die Bildungsrendite, so dass diese nur gering-

fügig für unterschiedlich befähigte Personen variiert. Insofern kann die Konstanz der Bildungsrendite

in der Mincerschen Einkommensfunktion theoretisch begründet werden.

Abb. 4: Individuelle Ertragsraten von Bildungsinvestitionen

Quelle: Anger et al. (2010), OECD 2008

Anmerkung : ISCED = International Standard Classification of Education (Internationale Standardklassifikation

im Bildungswesen) ; 0 : Elementarbereich, 1 : Grundschule, 2 : Sekundarbereich I, 3 : Sekundarbereich II, 4 :

Postsekundäre, nicht-tertiäre Bildung, 5 : Tertiäre Bildung – Stufe 1, 6 : Tertiäre Bildung – Stufe 2.

Weiterhin hat Card (1999) argumentiert, dass die Verzerrung aufgrund der Vernachlässigung indivi-

dueller Fähigkeiten durch den Einfluss von Messfehlern quasi ausgeglichen wird. Außerdem unter-

scheiden sich die geschätzten Bildungsrenditen aus Regressionsmodellen, die Daten über individuelle

Fähigkeiten berücksichtigen konnten, nicht wesentlich von denen vieler Studien, in denen dies nicht

der Fall war.

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Bei der Berechnung von Bildungsrenditen ist grundsätzlich zwischen individuellen und gesamtwirt-

schaftlichen Renditen zu unterscheiden (vgl. ausführlich hierzu Kapitel 8). Aus individueller Sicht

spielen dabei insbesondere das höhere Einkommen, aber auch das geringere Risiko, arbeitslos zu wer-

den, eine Rolle. Für die Gesellschaft ergeben sich monetäre Bildungserträge, weil Arbeitseinkommen

zu versteuern und darauf Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sind. Umgekehrt werden die Ar-

beitslosen teilweise für ihren Einkommensausfall entschädigt. Eine Studie der OECD (2008) unter-

sucht beide Arten von Ertragsraten für ausgewählte OECD-Staaten (vgl. Abb. 4 und 5). Im Hinblick

auf die individuellen Ertragsraten der Bildung zeigt sich, dass in den meisten Ländern für beide Ge-

schlechter offenbar größere Anreize für höhere Abschlüsse induziert werden. Für Frauen in Deutsch-

land scheint dagegen hiernach nur ein Abschluss im ISCED 3/4-Bereich mit höheren Erträgen verbun-

den zu sein. Zudem fallen bilaterale Vergleiche nach dem erreichten Bildungsniveau unterschiedlich

aus. So übertreffen die Bildungsrenditen in Deutschland diejenigen von Frankreich zwar im Fall einer

Erstausbildung im Sekundarbereich II, doch liegen die Ertragsraten im Tertiärbereich in Frankreich

über den entsprechenden Raten in Deutschland. In Bezug auf die staatlichen Ertragsraten ist festzustel-

len, dass diese bei höheren Abschlüssen tendenziell ansteigen, allerdings fallen sie vor allem bei deut-

schen Frauen im Tertiärbereich mit 5,3 Prozent niedriger aus als bei einem Abschluss im

Sekundarbereich II, der einen Ertrag von 5,6 Prozent erbringt. Bemerkenswert sind in diesem Zusam-

menhang auch die staatlichen Ertragsraten, die bei einer Ausbildung von Männern im Tertiärbereich

erzielt werden, da sie um gut 3 Prozentpunkte höher ausfallen als die entsprechenden Ertragsraten von

Frauen (vgl. Anger et al. 2010).

Schließlich ist anzumerken, dass für die Effizienz von Bildungssystemen ein ausreichender Wettbe-

werb erforderlich ist, d.h., dass z.B. Studierende diejenigen Hochschulen und diejenigen Studienfächer

wählen, die ihren Neigungen und Fähigkeiten am besten entsprechen. Frenette (2006), Spies und

Wrohlich (2008) sowie Denzler und Wolter (2010) untersuchen beispielsweise den Einfluss der geo-

grafischen Distanz zur nächstgelegenen Hochschule auf die Wahrscheinlichkeit, ein Studium aufzu-

nehmen. Denzler und Wolter (2010) führen Erklärungen dafür auf:

Angehörige bildungsferner Schichten wohnen vom Hochschulstandort weiter entfernt.

Ähnliche Personengruppen wohnen an gleichen und von Hochschulen ähnlich weit entfernten

Orten, so dass es zu einer gegenseitigen Beeinflussung kommt.

Oftmals sind Personen in ihrem lokalen Umfeld z.B. aufgrund ihres Freundeskreises verwur-

zelt und wollen diese auch für ein Studium nicht aufgeben.

Schließlich sind Fahrt- und Unterbringungskosten zu berücksichtigen. Auf diesen Punkt wer-

den wir im nächsten Abschnitt zurückkommen.

Abb. 5: Staatliche Ertragsraten von Bildungsinvestitionen

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Quelle: Anger et al. (2010), OECD 2008

Anmerkung : ISCED = International Standard Classification of Education (Internationale Standardklassifikation

im Bildungswesen) ; 0 : Elementarbereich, 1 : Grundschule, 2 : Sekundarbereich I, 3 : Sekundarbereich II, 4 :

Postsekundäre, nicht-tertiäre Bildung, 5 : Tertiäre Bildung – Stufe 1, 6 : Tertiäre Bildung – Stufe 2.

2.2.4 Schooling und die Qualität des Humankapitals

Gerade bei ländervergleichenden Analysen hat sich gezeigt, dass neben der Anzahl der Schuljahre

auch die Qualität der (Aus-)Bildung eine überragende Rolle bei der Erklärung von Produktivitäts- und

Wachstumsunterschieden spielt. Wößmann (2004) konnte mit den Daten von 23 OECD-Ländern für

das Jahr 1990 demonstrieren, dass die Dispersion der Entwicklungsniveaus zu 40 bis 60 Prozent durch

Humankapitalvariablen erklärt werden kann. Wenn die Qualitätsunterschiede berücksichtigt werden,

steigt der Erklärungsanteil auf nahezu 100 Prozent.

Dabei hat sich die Verwendung von Bildungsrenditen als Indikator für die Bildungsqualität nicht als

besonders tauglich erwiesen (vgl. Psacharopoulos 1994). Besser schnitten Inputindikatoren wie die

Anzahl der Schüler pro Lehrer, der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt, die Höhe

der Bildungsausgaben pro Schüler oder Student oder die Höhe der Lehrergehälter ab. Allerdings be-

rücksichtigen diese Indikatoren nicht die Unterschiede der Bildungssysteme, wie z.B. die Existenz von

zentralen Prüfungen oder Wettbewerbselementen. Am erfolgversprechendsten sind Kennziffern, die

auf den Scores von standardisierten internationalen Tests aufbauen (vgl. Hanushek 1996).

Daran schließt sich aber direkt die Frage an, wie die Qualität der Bildung bestimmt wird und wie die

Politik eingreifen kann, um die Bildungsqualität und damit die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern.

Abgesehen vom entgangenen Einkommen der Schüler, Studenten und anderer Bildungsteilnehmer

spielt die Anzahl der Schüler pro Lehrer die wichtigste Rolle in der Diskussion, auch weil ihr Ein-

kommen den größten Anteil an den Bildungsausgaben ausmacht.

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Zur Ermittlung des Einflusses der genannten Inputindikatoren auf die Bildungsqualität werden pro-

duktionstheoretische Ansätze verwendet. Dabei werden die Scores von standardisierten Bildungstests,

wie sie z.B. in der Third International Mathematics and Science Study (TIMSS) verwendet wurden,

als abhängige Variable von Regressionsmodellen betrachtet. In einzelnen Studien wird der Erfolg auch

anhand von Variablen wie der Anzahl der Schulabbrecher oder das erzielte Einkommen gemessen.

Neben Merkmalen für den familiären Hintergrund werden dann die Inputindikatoren berücksichtigt.

Seit der Veröffentlichung des Coleman Reports im Jahr 1966 (vgl. Coleman et al. 1966) sind einige

hundert Studien vor allem in den USA erschienen.

Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Bildungsqualität durch die Änderung der Entschei-

dungsstrukturen, die Erhöhung der Gestaltungsfreiheit und Übernahme von Verantwortung von Leh-

rern und Schulleitungen sowie die Änderung von Anreizen innerhalb des Bildungssystems verbessert

werden sollte, da die Erhöhung der Bildungsausgaben allein wenig erfolgversprechend ist (vgl. auch

Wößmann 2004). Eine wesentliche Voraussetzung für die empirische Bestätigung dieser Aussage ist

die Verfügbarkeit international halbwegs vergleichbarer Daten, da sich die Entscheidungsstrukturen

und andere institutionelle Bedingungen innerhalb von Ländern zu wenig unterscheiden. Mit der

Durchführung von international vergleichend angelegten Untersuchungen wie der bereits erwähnten

TIMSS-Studie oder auch der PISA-Studie wird insofern forschungsstrategisch der richtige Weg be-

schritten. Auf die Anlage und die Ergebnisse der PISA-Studie wird in Kapitel 3 näher eingegangen.

2.3 Arbeitsmarktunvollkommenheiten I: Komprimierte Lohnstruktur

Eine wichtige Erkenntnis des Grundmodells von Becker (1960) ist, dass die Teilung der Kosten und

Erträge bei allgemeinem und spezifischem Humankapital unterschiedlich erfolgt: Zwar liegt in beiden

Fällen der Lohnsatz während der Ausbildungszeit unterhalb der Wertgrenzproduktivität, doch ent-

spricht der Lohnsatz anschließend der Wertgrenzproduktivität nur dann, wenn es sich um Investitionen

in allgemeines Humankapital handelt. Bei spezifischem Humankapital dagegen wird ein Lohnsatz

unterhalb der Wertgrenzproduktivität gezahlt.

Acemoglu/Pischke (1999) haben nun gezeigt, dass die Entlohnung der Beschäftigten nach ihrer Aus-

bildungszeit auch bei allgemeinen Humankapitalinvestitionen unterhalb ihrer Wertgrenzproduktivität

erfolgen kann. Daraus folgt, dass sich die Betriebe nicht nur an der Finanzierung von spezifischem,

sondern auch von allgemeinem Humankapital beteiligen können und somit Betriebe und Beschäftigte

beide Arten von Humankapital gemeinsam finanzieren. Voraussetzung dafür ist jedoch die Existenz

von Mobilitätskosten und eine komprimierte Lohnstruktur in dem Sinne, dass die Löhne bei zuneh-

mender Qualifizierung der Mitarbeiter weniger stark ansteigen als ihre Produktivität.

Für die Arbeitnehmer ist die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses mit Kosten verbunden, einen neu-

en geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Bei der Verlagerung des Wohnortes sind u.a. Umzugskosten zu

berücksichtigen. Hinzu kommen Kosten für die Suche eines neuen Arbeitsplatzes etwa durch die Vor-

bereitung von und die Teilnahme an Bewerbungsgesprächen. Oftmals vergeht eine gewisse Zeit zwi-

schen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses und dem Beginn eines neuen. Berücksichtigt man

diese Mobilitätskosten bei der Modellierung der individuellen Entscheidungen, in allgemeines Hu-

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mankapital zu investieren, ergibt sich eine wesentliche Modifikation des Modells von Becker: Wäh-

rend bei Becker die Arbeitnehmer bei niedrigeren Löhnen als es ihrer Wertgrenzproduktivität ent-

spricht den Betrieb verlassen, werden die Mobilitätskosten den Einzelnen daran hindern, sofort abzu-

wandern.

Bei Arbeitsmarktunvollkommenheiten können die Betriebe bei den Beschäftigten nach ihrer Ausbil-

dung Löhne unterhalb ihrer Wertgrenzproduktivität durchsetzen. Der Lohnsatz darf aber nicht niedri-

ger als die um Mobilitätskosten cM reduzierte Wertgrenzproduktivität der Beschäftigten sein

(2.13) )()()( Mcvw .

Außerdem muss der Anstieg des Lohnsatzes w’(τ) kleiner als der der Produktivität v’(τ) ausfallen. Das

ist dann der Fall, wenn der Anstieg der Mobilitätskosten cM’(τ) > 0 ist. In Abb. 6 wird gezeigt, dass der

Abstand zwischen Produktivitäts- und Lohnprofil mit dem Qualifikationsniveau zunimmt, wenn der

Betrieb in das allgemeine Humankapital seiner Mitarbeiter investiert. Das optimale Qualifikationsni-

veau ergibt sich aus dem Maximierungskalkül des Arbeitgebers, wobei die Kosten der betrieblichen

Investitionen in das Humankapital der Mitarbeiter cA(τ) zu berücksichtigen sind:

(2.14) )()()(max AM ccv .

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Abb. 6: Produktivitäts-, Lohn- und Mobilitätskostenprofil bei betrieblichen Investitionen in

Humankapital

Quelle: Acemoglu/Pischke (1999: 541).

Der Arbeitgeber finanziert also eine allgemeine Qualifikation bis zum Niveau . Das bedeutet, dass

der Betrieb eine Rente in Höhe von

(2.15) )()()()( AM ccwv

erzielt, die einen Anreiz ausübt, in allgemeines Humankapital zu investieren.

betriebliche Investitionen in allgemei-nes Humankapital

keine betrieblichen Investitionen in allgemeines Humankapital

)(f

Mcfw )()(

)()()( Mcfw

)(),(),( cwf

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Abb. 7: Optimales Qualifikationsniveau unter Berücksichtigung von Mobilitäts- und Ausbil-

dungskosten

Quelle: Acemoglu/Pischke (1999a: F120)

Neben der Existenz von Mobilitätskosten, die allerdings das beschriebene Profil aufweisen müssen,

können nach Auffassung von Acemoglu/Pischke (1999) auch asymmetrisch verteilte Informationen,

die Komplementarität von allgemeinen und spezifischen Komponenten des individuellen Humankapi-

tals, die Zahlung von Effizienzlöhnen sowie die Existenz von Lohnuntergrenzen (wie z.B. Mindest-

oder Tariflöhne) die betriebliche Finanzierung von allgemeinem Humankapital erklären.

Während für die Diskussion dieser Faktoren auf die Spezialliteratur (vgl. Niederalt 2004, 75-77) ver-

wiesen wird, soll die Rolle von Informationsasymmetrien zwischen Betrieben hinsichtlich des Qualifi-

kationsumfangs der Mitarbeiter im Folgenden näher erläutert werden. Wenn beispielsweise durch eine

bestimmte Bildungsmaßnahme die Produktivität von begabten Mitarbeitern stärker zunimmt als die

von weniger befähigten Mitarbeitern, müssen die Betriebe die Entlohnung beider Mitarbeitertypen an

die gestiegene Produktivität nicht vollständig anpassen, weil die Beschäftigten ihre unterschiedlichen

Fähigkeiten bei bestehenden Informationsasymmetrien nicht gegenüber anderen potenziellen Arbeit-

gebern signalisieren können. Die betriebliche Rente aus der Humankapitalinvestition ist also bei den

Mitarbeitern mit höherem Qualifikationsniveau größer, weil diese nicht oder nur unzureichend für

ihren Produktivitätszuwachs entlohnt werden. Insofern können sie eine Rente aus der Weiterbeschäfti-

gung des befähigteren Mitarbeiters erzielen. Darüber hinaus ergeben sich aus Informationsasymmet-

rien insofern Konsequenzen für die kausale Interpretation des Zusammenhangs von Schulbildung und

Arbeitseinkommen, als dass die Transparenz von Fähig- und Fertigkeiten auf dem Arbeitsmarkt eine

Bedeutung erlangt. Hierauf soll im nächsten Abschnitt systematischer eingegangen werden.

)(),(),(),( AM ccwf

)(f

)(w

)()()( wfcM

)(Ac

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2.4 Arbeitsmarktunvollkommenheiten II: Screening und Signalling

Der Screening- und Signalling-Theorie (Arrow 1962, Spence 1974) liegt die Annahme unvollkomme-

ner Information zugrunde, d.h. entscheidungsrelevante Informationen sind nicht kostenlos verfügbar.

Die Produktivität einer Person wird dabei als individuelle Eigenschaft angesehen, die von einer Reihe

von Faktoren wie dem familiären Hintergrund, der Biographie oder den angeborenen Fähigkeiten ab-

hängt, auf die die Bildung nur einen geringen Einfluss ausübt. Zentral ist dabei das Argument, dass im

Arbeitsleben produktivere Menschen bessere schulische Leistungen zeigen. Wenn die Betriebe die

Produktivität ihrer Beschäftigten nicht beobachten können - so z.B. weil in Teams der produktive Bei-

trag der einzelnen Teammitglieder nicht feststellbar ist - dann können die gezeigten schulischen Leis-

tungen, die in den Bildungsabschlüssen dokumentiert sind, als Signale betrachtet werden, die die (po-

tenziellen) Arbeitgeber über die individuellen Fähigkeiten informieren. Aus dieser Sicht führt die

(Aus-)Bildung selbst nicht zu einer höheren Produktivität. Bildungsabschlüsse können zu einem so

genannten Sortiergleichgewicht führen, in dem die befähigten von den weniger befähigten Erwerbstä-

tigen unterschieden werden. Dabei ist es allerdings irrelevant, ob die Befähigteren 1, 6 oder 12 Jahre

die Schulbank gedrückt haben und die weniger Befähigten 0, 5 oder 11 Jahre, denn eine längere

Schuldauer bei den Befähigteren, die den Unterschied zu den weniger Befähigten nur noch vergrößert,

ist wertlos, da sie keine zusätzliche Information darstellt. Die Interpretation von Bildung als Übermitt-

ler von Informationen über die individuellen Fähigkeiten erlaubt es also auch zumindest theoretisch

die Möglichkeit zu betrachten, dass „zu viel“ in Bildung investiert wird (vgl. Cahuc/Zylberberg 2004,

80-83).

Abb. 8: Adäquanz der Beschäftigung 1984-2004 nach Qualifikationsniveau (in %)

Eigene Darstellung (Daten SOEP, in: Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 185)

Legende:

Alte Länder: Nur Erwerbstätige (bis 65 Jahre) mit in Deutschland abgeschlossener Berufsausbildung. Im Aus-

land erworbene Hochschulabschlüsse werden gewertet wie eine in Deutschland abgeschlossene (nicht-

akademische) Berufsausbildung. Personen, die seit 1990 zwischen Ost- und Westdeutschland umgezogen sind,

werden am jeweiligen Wohnort erfasst. Ohne geringfügig Beschäftigte, Praktikanten, Personen in Aus- und

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Fortbildung und Personen mit fehlenden Angaben zu Qualifikationsniveau oder Jobanforderungsniveau. Ohne

Personen mit unplausiblen oder nicht eindeutig kategorisierbaren Kombinationen von Qualifikationsniveau,

Jobanforderungsniveau und beruflicher Stellung (Konzept nach Büchel/Weißhuhn 1997).

Neue Länder: Nur Erwerbstätige (bis 65 Jahre) mit in Deutschland abgeschlossener Berufsausbildung. Im Aus-

land erworbene Hochschulabschlüsse werden gewertet wie eine in Deutschland abgeschlossene (nicht-

akademische) Berufsausbildung. Zu DDR-Zeiten erworbene Ingenieur- und Fachschulabschlüsse werden als

Hochschul- bzw. Fachhochschulabschluss gewertet. Personen, die seit 1990 zwischen Ost- und Westdeutschland

umgezogen sind, werden am jeweiligen Wohnort erfasst. Ohne geringfügig Beschäftigte, Praktikanten, Personen

in Aus- und Fortbildung und Personen mit fehlenden Angaben zu Qualifikationsniveau oder Jobanforderungsni-

veau. Ohne Personen mit unplausiblen oder nicht eindeutig kategorisierbaren Kombinationen von Qualifikati-

onsniveau, Jobanforderungsniveau und beruflicher Stellung (Konzept nach Büchel/Weißhuhn 1997).

Das Problem der beruflichen Verwertbarkeit von Ausbildungsabschlüssen wirft allerdings erhebliche

empirische Messprobleme auf (vgl. Büchel 1998). Gleichwohl ist es interessant, den Umfang der aus-

bildungsinadäquaten Beschäftigung in Deutschland zu betrachten. Dazu wird auf Ergebnisse des be-

reits erwähnten Sozio-Ökonomischen Panels zurückgegriffen. Aus Abbildung 8 wird ersichtlich, dass

der Anteil der nicht ausbildungsadäquat Beschäftigten mit Universitäts- und Fachhochschulabschluss

höher ist als für Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung.

Weitere empirische Tests der Screening- und Signalling-Theorie erfolgten z.B. von Layard und

Psacharoropoulos (1974), die Bildungsrenditen für abgeschlossene und nicht abgeschlossene Bil-

dungsmaßnahmen miteinander verglichen haben. Die Ergebnisse fielen nicht eindeutig aus; andere

Autoren erhielten aber Ergebnisse, die zugunsten der Screening- und Signalling-Theorie sprechen.

Wolpin (1977) vergleicht die Bildungsentscheidungen von abhängig Beschäftigten und Selbständigen,

bei denen das Problem unvollkommener Information über die eigenen Fähigkeiten nicht besteht.

Schließlich hat Freeman (1986, 359) daraufhin gewiesen, dass der Produktivitätsrückgang in den USA

während der 1970er Jahre kaum mit dem Bildungsboom erklärt werden kann.

2.5 Zusammenfassung

Ausgangspunkt für die Humankapitaltheorie bildet die individuelle und die betriebliche Entscheidung

über den Erwerb eines Schulabschlusses, eines Berufsabschlusses oder eines Hochschulabschlusses,

die als Investition in Bildung betrachtet wird. Damit werden die Erwartung einer höheren individuel-

len Produktivität und die Erreichung einer höheren beruflichen Stellung verbunden. Der außerordent-

lich große Erfolg der Humankapitaltheorie beruht auch darauf, dass ihre Aussagen von Mincer opera-

tionalisiert und mit eigens erhobenen Mikrodatensätzen wie dem Sozio-ökonomischen Panel empi-

risch überprüft worden sind.

Wichtige Themen sind der soziale Hintergrund der Personen, die Bildungsentscheidungen treffen, und

die Beteiligung der Betriebe an den Kosten der (Aus-)Bildung. Während in der Humankapitaltheorie

von Becker die Betriebe sich an den Kosten der Investition in spezifisches Humankapital beteiligen,

begründen neuere Ansätze („new training literature“) auch die betrieblichen Investitionen in

transferierbares/allgemeines Humankapital mit Mobilitätskosten, komprimierten Lohnstrukturen und

anderen Arbeitsmarktunvollkommenheiten.

Der Screening- und Signalling-Theorie liegt ebenfalls die Annahme unvollkommener Information

zugrunde, d.h. dass entscheidungsrelevante Informationen nicht kostenlos verfügbar sind. Der Erwerb

von Bildungsabschlüssen kann von den potentiellen Arbeitgebern als Signal über die nicht direkt be-

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obachtbare Produktivität interpretiert werden. Die mangelnde berufliche Verwertbarkeit von (Aus-)

Bildungsabschlüssen beruht auf ähnlichen Mechanismen.

Internationale Vergleiche der unterschiedlichen Effektivitäten von Sachinvestitionen waren der Aus-

gangspunkt der Neuen Wachstumstheorie von Lucas und Romer, die auch auf Spillovereffekte von

Bildung eingegangen sind. Gerade bei ländervergleichenden Analysen konnte gezeigt werden, dass

neben der Anzahl der Schuljahre auch die Qualität der (Aus-)Bildung eine zentrale Rolle bei der Er-

klärung von Produktivitäts- und Wachstumsunterschieden spielt.

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3. Allgemein bildende Schulen

In diesem Abschnitt sollen Antworten auf folgende Fragen gegeben werden:

Wie stellen sich die Bildungsbeteiligung bzw. der Bildungsstand im allgemein bildenden

Schulsystem in Deutschland dar? Welche Entwicklungen haben sich im Zeitverlauf ergeben?

Wie sind die Leistungen deutscher Schüler im internationalen Vergleich? Was sind die Ursa-

chen für diese Ergebnisse?

Wie gestalten sich die Bildungsbeteiligung bzw. die Schülerleistungen einzelner sozioökono-

mischer Gruppen? Warum sind in Deutschland vergleichsweise große soziale Ungleichheiten

im Schulsystem festzustellen?

3.1 Einleitung

Ein höheres Bildungsniveau geht mit besseren Einkommens- und Beschäftigungschancen einher – auf

diesen Zusammenhang wurde in diesem Band schon mehrfach hingewiesen. Eine zentrale Bedeutung

kommt hier dem Schulbesuch bzw. dem realisierten Schulabschluss zu, da dieser einen wesentlichen

Einfluss auf den weiteren beruflichen Werdegang hat. Besonders ungünstig stellen sich auf dem Ar-

beitsmarkt die Möglichkeiten von Geringqualifizierten dar, die über keinen schulischen Abschluss und

– oft in Folge dessen – keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen. Zudem werden auch die nach

Abschluss der ersten Bildungsphase eintretenden Lernmöglichkeiten im Rahmen der Weiterbildung

wesentlich durch die schulische Ausbildung beeinflusst. Dabei ist festzustellen, dass sich Individuen

mit einem geringeren schulischen Bildungsniveau deutlich seltener an Maßnahmen der Weiterbildung

beteiligen als solche mit einem höheren Schulabschluss (vgl. hierzu etwa die Ergebnisse des Berichts-

systems Weiterbildung). Bereits bestehende Unterschiede im individuellen Bildungsverhalten schei-

nen sich im weiteren Bildungsverlauf also eher fortzusetzen bzw. zu verstärken als zu verringern.

Betrachtet man die vorliegende bildungsökonomische Forschung zum Thema „Schulen“ in Deutsch-

land, so ist festzustellen, dass gerade in der jüngeren Zeit eine steigende Anzahl an Arbeiten auf die-

sem Gebiet zu finden ist. Auslöser hierfür waren insbesondere die Ergebnisse internationaler Schüler-

leistungstests wie PISA, TIMMS oder IGLU, die in Deutschland einen gewissen Schock hervorriefen.

So zeigte sich „entgegen den lange gehegten Vorstellungen vom Land der Dichter und Denker, das

1763 mit Preußen als erstem Land der Welt offiziell die allgemeine Schulpflicht eingeführt hat“

(Wößmann 2007, 19f.), dass die deutschen Schüler im internationalen Vergleich allenfalls durch-

schnittlich abschnitten. Zudem wurde deutlich, dass Deutschland wie kaum ein anderes Land starke

Leistungsunterschiede zwischen den Schülern aufweist, und dass diese Leistungsunterschiede wesent-

lich durch die soziale Herkunft bestimmt werden.

PISA und weitere internationale Vergleichsstudien machten aber nicht nur auf die Notwendigkeit

aufmerksam, den Gründen für die erzielten Ergebnisse auf den Grund zu gehen. Darüber hinaus wurde

durch diese Untersuchungen auch eine Datenbasis geschaffen, die es ermöglichte, länderübergreifende

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Analysen zu den Einflussfaktoren von Schülerleistungen bzw. der – sich gerade in Deutschland zei-

genden – Chancenungleichheit durchzuführen.

Das vorliegende Kapitel gibt einen Überblick über einige dieser Forschungsarbeiten. Zunächst werden

in Abschnitt 2 einige grundlegende Befunde zum deutschen Schulwesen sowie zur Bildungsbeteili-

gung bzw. zum Bildungsstand in diesem Bereich dargestellt, bevor in Abschnitt 3 auf die Ergebnisse

der internationalen Schülerleistungstests sowie deren Ursachen eingegangen wird. Abschnitt 4 be-

schäftigt sich mit den ungleichen Bildungschancen verschiedener sozioökonomischer Gruppen.

3.2 Bildungsbeteiligung im Bereich der allgemein bildenden Schulen

Das deutsche Schulwesen lässt sich in den Primarbereich (Grundschule), den an die Grundschule an-

schließenden Sekundarbereich I mit seinen weiterführenden Schulen sowie den Sekundarbereich II

(gymnasiale Oberstufe) unterteilen. Dabei stellt die gegliederte Struktur des Sekundarbereichs I mit

Hauptschule, Realschule und Gymnasium eine Besonderheit des deutschen Schulsystems dar. Hinzu

kommen Unterschiede zwischen den Bundesländern, die sich aus der föderalen Gliederung der Bun-

desrepublik und den rechtlichen Zuständigkeiten im Bereich der Bildungspolitik ergeben. So gibt es

das „klassische“ Schulangebot bestehend aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium heute vor

allem noch in Bayern und Baden-Württemberg, wohingegen die anderen Länder in ihrem Angebot

zwischen zwei und fünf Schularten variieren. Für Kinder und Jugendliche besteht in Deutschland eine

entsprechend den landesgesetzlichen Bestimmungen vom 6. Lebensjahr an in der Regel 12-jährige

Schulpflicht, wobei Schulabschlüsse erstmals am Ende des Sekundarbereichs I erworben werden kön-

nen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 49ff.).

Um einen Überblick über Bildungsbeteiligung und –stand der Bevölkerung im Bereich der allgemein-

bildenden Schulen zu erhalten, lassen sich verschiedene Kennzahlen heranziehen. Der Erste Nationale

Bildungsbericht etwa richtet das Augenmerk in diesem Kontext auf die Übergänge im Schulwesen und

betrachtet dementsprechend den Übergang vom Primarbereich in den Sekundarbereich I, Schulart-

wechsel innerhalb des Sekundarbereichs I, Klassenwiederholungen und verzögerte Schullaufbahnen

sowie Schulabgänger nach Abschlussarten. Daneben kann auch der Bildungsstand im Sinne der er-

worbenen Abschlüsse der gesamten Bevölkerung bzw. der von Teilgruppen der Bevölkerung betrach-

tet werden (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 47ff.).

Tabelle 1: Absolventen aus allgemein bildenden Schulen 2004 nach Abschlussart und Geschlecht

Insgesamt Männlich Weiblich

Ohne Hauptschulabschluss 8,5% 10,5% 6,3%

Mit Hauptschulabschluss 29,6% 33,6% 25,5%

Mit mittlerem Abschluss 52,2% 49,1% 55,5%

Mit Fachhochschulreife 13,2% 14,0% 12,4%

Mit allgemeiner Hochschulreife 28.3% 24,4% 32,3%

Quelle: Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 251.

Im Folgenden seien exemplarisch die Absolventen aus allgemein bildenden Schulen im Jahr 2004

nach Abschlussart und Geschlecht dargestellt (vgl. Tabelle 1). Es ist zu erkennen, dass im Jahr 2004

über die Hälfte der Absolventen (52,2%) einen mittleren Schulabschluss realisierten. Mit einem

Hauptschulabschluss bzw. der allgemeinen Hochschulreife beendeten jeweils knapp 30% der Absol-

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venten ihre schulische Laufbahn; ohne Hauptschulabschluss verließen 8,5% die Schule. Dabei sind

relativ deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern festzustellen, wobei die weiblichen Absol-

venten höhere Bildungsabschlüsse erreichten als die männlichen: So schlossen 32,3% der Frauen die

Schule mit der allgemeinen Hochschulreife ab, aber nur 24,4% der Männer. Ohne Hauptschulab-

schluss verließen im Jahr 2004 10,5% der männlichen Absolventen die Schule, gegenüber 6,3% der

weiblichen Absolventinnen.

Tabelle 2: Bevölkerung 2004 nach allgemeiner Schulausbildung und Altersgruppen (in %)

Alter von

… bis

unter …

Noch in

schulischer

Ausbildung

Haupt-

schul-

abschluss

Polytech-

nische Ober-

schule

Realschul-

abschluss

Hochschul-

reife

Ohne

Angabe

Ohne allge-

meinen Schul-

abschluss

15-20

20-25

25-30

30-35

35-40

40-45

45-50

50-55

55-60

60-65

65 +

Gesamt

61,9

2,7

0,2

/

/

/

/

/

/

/

/

4,5

13,2

22,3

25,1

26,9

29,2

32,4

38,0

45,1

53,5

63,7

74,5

43,6

/

/

/

11,4

12,4

14,4

14,5

13,6

7,8

2,7

0,8

7,1

17,4

34,2

32,4

24,8

25,2

22,7

19,3

15,7

15,6

14,6

10,9

19,3

3,1

36,2

38,1

32,9

29,4

26,8

24,6

21,9

18,9

15,5

10,3

21,7

0,8

1,4

1,0

0,9

0,9

1,0

0,9

1,2

1,3

1,1

0,9

1,0

3,7

3,1

3,1

3,1

2,8

2,8

2,7

2,5

2,9

2,5

2,4

2,8

Quelle: Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 224 (Mikrozensus).

Betrachtet man die erreichten Bildungsabschlüsse im Kohortenvergleich zwischen verschiedenen Al-

tersgruppen, so ist festzustellen, dass die jüngeren Altersgruppen ein höheres schulisches Bildungsni-

veau realisieren als die älteren (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 29). So sind ein kon-

tinuierlicher Rückgang an Hauptschulabschlüssen und eine Zunahme der Hochschulreife zu erkennen

(vgl. Tabelle 2). Der Anstieg des Bildungsniveaus der Bevölkerung ist dabei zu einem großen Teil auf

die verstärkten Bildungsanstrengungen der Frauen zurückzuführen.

Im internationalen Vergleich weist Deutschland bei den Abschlüssen im Sekundarbereich II nach wie

vor ein hohes Niveau auf, doch holen viele Staaten in den jüngeren Generationen auf (vgl. Konsortium

Bildungsberichterstattung 2006, 30).

3.3 Die Ergebnisse internationaler Schülerleistungstests und ihre Ursachen

Auch wenn die deutsche Bevölkerung ein im Vergleich zu anderen Ländern relativ hohes schulisches

Bildungsniveau aufweist, zeigen die Ergebnisse von Schülerleistungstests, dass die Kompetenzen der

deutschen Schüler sich international eher im (unteren) Mittelfeld bewegen. Besondere Aufmerksam-

keit erregt hat dieser Befund vor allem Anfang der 2000er Jahre, als PISA und weitere Leistungstests

durchgeführt wurden. Allerdings wurden auch bereits Anfang der 1970er Jahre internationale Ver-

gleichstests durchgeführt, bei denen deutsche Schüler ebenfalls nur einen Mittelplatz erreichten (vgl.

Gundlach 2003, 1).

Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der (neueren) Schülerleistungstests zusammengefasst

und der Frage nach den Ursachen des verhältnismäßig schlechten Abschneidens deutscher Schüler

nachgegangen.

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3.3.1 PISA und weitere Tests

PISA (Programme for International Student Assessment) wurde erstmalig im Jahr 2000 im Auftrag

der OECD und weiterer Partnerstaaten durchgeführt und seitdem im Abstand von jeweils drei Jahren

(2003, 2006) wiederholt. Getestet werden bei PISA die Kompetenzen von 15-jährigen SchülerInnen,

wobei sich die Testaufgaben auf die Bereiche Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften beziehen.

Während bei PISA 2000 die Lesekompetenzen im Vordergrund standen, bildete bei PISA 2003 die

Mathematik den Schwerpunkt. PISA 2006 beschäftigte sich vorwiegend mit dem Bereich Naturwis-

senschaft. Schüler- und Schulfragebögen informieren zudem über Merkmale der Elternhäuser und

Schulen, den Unterricht, sowie die Einstellungen und Aktivitäten der Schüler.

Neben PISA gibt es noch weitere international vergleichenden Schülerleistungstests: Bei den bekann-

testen handelt es sich um TIMSS (Third International Mathematics and Science Study), der die Ma-

thematik- und Naturwissenschaftsleistungen von Schülern in den Sekundarstufen I und II (und in eini-

gen Ländern zusätzlich in der Grundschule) untersucht. Bei IGLU (Internationale Grundschul-Lese-

Untersuchung) bzw. in der englischen Übersetzung PIRLS (Progress in International Reading

Literacy Study) handelt es sich dagegen um eine internationale Untersuchung des Leseverständnisses

von Schülerinnen und Schülern der vierten Jahrgangsstufe. Über diese internationalen Studien hinaus

finden sich auf nationaler Ebene bzw. auf Ebene der Bundesländer verschiedene weitere Leistungs-

tests.

Abb. 2: Testergebnis im PISA-Mathematiktest 2003 in ausgewählten Ländern

445

466

466

483

485

495

503

503

506

509

511

514

527

529

534

538

542

544

0 100 200 300 400 500 600

Griechenland

Italien

Portugal

Vereinigte Staaten

Spanien

Norwegen

Irland

Deutschland

Österreich

Schweden

Frankreich

Dänemark

Schweiz

Belgien

Japan

Niederlande

Korea

Finnland

Quelle: PISA 2003, nach Wößmann (2007), 19.

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Die zentralen Befunde der PISA-Studien für Deutschland lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl.

PISA-Konsortium Deutschland, Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 67):

Die Kompetenzen der Schüler und Schülerinnen liegen im (unteren) Mittelfeld vergleichbarer

Industrienationen, aber deutlich niedriger als in den meisten ostasiatischen, skandinavischen

und angloamerikanischen Staaten. Insbesondere die Schüler aus Finnland, aber auch Korea

und Japan schnitten in den Tests überdurchschnittlich ab.

Während die Kompetenzen der deutschen Schülerinnen und Schüler im Bereich Naturwissen-

schaften knapp über dem OECD-Durchschnitt lagen, liegen sie in den Bereichen Mathematik

und Lesen etwa im Mittelfeld bzw. darunter.

Der Leistungsstand der 15-Jährigen hat sich zwischen 2000 und 2003 in den Naturwissen-

schaften und in Teilbereichen der Mathematik verbessert, wohingegen sich beim Lesever-

ständnis keine Veränderungen ergaben. Bei der Untersuchung des Jahres 2006 ergab sich da-

gegen im Bereich der Lesekompetenz eine geringfügige Verbesserung, im Gegensatz dazu lag

das mathematische Kompetenzniveau im Jahr 2006 etwa auf dem Wert von 2003.

Leistungsunterschiede sind nicht nur zwischen verschiedenen Staaten, also auf internationaler

Ebene, sondern auch innerhalb Deutschlands zwischen den einzelnen Bundesländern festzu-

stellen.

Darüber hinaus bestehen in Deutschland deutliche Leistungsunterschiede zwischen den Schü-

lern verschiedener Schularten.

Deutschland weist eine im internationalen Vergleich sehr starke Leistungsstreuung auf. So ist

in kaum einem anderen Land der Leistungsunterschied zwischen den besten und den schlech-

testen Schülern so groß wie in Deutschland. Allerdings zeigen sich bei PISA 2006 sowohl bei

der Lesekompetenz als auch der naturwissenschaftlichen Kompetenz leichte Verbesserungen

im unteren Bereich.

In Abb. 2 sind exemplarisch die Testergebnisse im PISA-Mathematiktest 2003 in ausgewählten Län-

dern dargestellt. Als grobe Faustregel gilt dabei, dass ein Schüler im Durchschnitt etwa 40 Punkte pro

Schuljahr lernt. Aus der Abbildung wird somit erkennbar, dass ein fünfzehnjähriger Finne einem deut-

schen Schüler gleichen Alters etwa um ein Schuljahr voraus ist (vgl. Wößmann 2007, 19).

Um die in Deutschland aufzufindende große Leistungsstreuung darzustellen, ist in Abb. 3 darüber

hinaus die Punktdifferenz zwischen den besten und den schlechtesten Schülern im PISA-

Mathematiktest 2003 in ausgewählten Ländern dargestellt. Es ist zu erkennen, dass in Deutschland die

obersten zehn und die untersten zehn Prozent der Fünfzehnjährigen wissensmäßig um mehr als sechs

Schuljahre auseinander liegen (vgl. Wößmann 2007, 21).

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Abb. 3: Punktdifferenz zwischen den besten und den schlechtesten Schülern im PISA-

Mathematiktest 2003 in ausgewählten Ländern

214

221

228

228

236

236

238

239

242

242

242

243

247

251

256

258

269

283

0 50 100 150 200 250 300

Finnland

Irland

Portugal

Spanien

Dänemark

Korea

Norwegen

Frankreich

Griechenland

Österreich

Niederlande

Schweden

Italien

Vereinigte Staaten

Schweiz

Japan

Deutschland

Belgien

Quelle: PISA 2003, nach Wößmann (2007), 21.

3.3.2 Einflussfaktoren der Schülerleistungen

In Folge der Veröffentlichung der Ergebnisse der internationalen Schülerleistungstests wurde eine

Reihe von empirischen Untersuchungen zu den Ursachen des vergleichsweise schlechten Abschnei-

dens der Schüler in Deutschland durchgeführt. Im Folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse

einiger dieser Untersuchungen präsentiert, wobei vor allem auf Arbeiten von Wößmann (vgl. etwa

2007, 2006, 2005) zurückgegriffen wird. Dieser schätzt in seinen Untersuchungen sogenannte „Bil-

dungsproduktionsfunktionen“, in denen die Testleistungen der Schüler die abhängige Variable darstel-

len und als erklärende Variablen Merkmale des familiären Hintergrunds, Maße der Ressourcenausstat-

tung der Schulen sowie solche der institutionellen Gegebenheiten der Bildungssysteme verwendet

werden (zu näheren Angaben zur Methodik vgl. Wößmann 2005).

Familiärer Hintergrund/ persönliche Merkmale

Wie die vorliegenden empirischen Untersuchungen zeigen, erweist sich der familiäre Hintergrund

der Schülerinnen und Schüler in fast allen nationalen und internationalen Schülerleistungstests als

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bedeutendster Einflussfaktor auf die erzielten Leistungen – und dies gilt in Deutschland noch stärker

als in anderen Ländern (vgl. hierzu auch die Ausführungen im Abschnitt „Soziale Ungleichheit der

Bildungschancen“). Nach Berechnungen von Wößmann (2003) etwa ist in den meisten Ländern ein

Viertel bis ein Fünftel der Leistungsunterschiede auf die in den Analysen berücksichtigten Merkmale

des familiären Hintergrunds zurückzuführen, und das ist der Großteil der statistisch überhaupt erklär-

baren Leistungsunterschiede zwischen Schülern.

Zur Beschreibung des familiären Hintergrunds werden verschiedene Indikatoren verwendet, wobei

sich in den hier berücksichtigten Untersuchungen die Variablen „Bildungsstand der Eltern“ und „An-

zahl der Bücher im Haushalt der Familie“ als bedeutsamste Einflussfaktoren erwiesen haben.

Darüber hinaus spielen die Variablen „Familienstatus“, „Arbeitsstatus“ und „Beruf der Eltern“ eine

Rolle bei der Erklärung des Schulerfolgs. Als bedeutsam hat sich auch der Immigrationsstatus der

Schüler und ihrer Eltern erwiesen. Zudem spielen „häusliche Inputfaktoren“ wie die elterliche Un-

terstützung oder die Dauer der Hausarbeiten bei der Erklärung von Leistungsunterschieden eine Rolle

(vgl. Wößmann 2005).

Die mikroökonometrischen Analysen zeigen ferner, dass sich die Kompetenzen in einzelnen Berei-

chen auch in Abhängigkeit vom Geschlecht unterscheiden. Während Mädchen in der Lesekompetenz

im Durchschnitt besser abschneiden als Jungen, haben die Jungen Vorteile in den Bereichen Mathema-

tik und Naturwissenschaften (vgl. Wößmann 2005).

Bildungsausgaben

Interessant ist nicht nur die Frage, inwieweit persönliche Merkmale bestehende Leistungsunterschiede

zwischen Schülern erklären können, sondern auch, ob und inwieweit die jeweiligen Rahmenbedingun-

gen des Bildungssystems Einfluss auf die Kompetenzen nehmen können. Von Bedeutung ist in diesem

Kontext zum einen die Höhe der Bildungsausgaben, zum anderen aber auch die institutionelle Ausge-

staltung des Schulsystems.

Untersuchungen auf Basis der PISA- bzw. TIMSS-Daten zeigen für die entwickelten OECD-Staaten,

dass Unterschiede in der Höhe der staatlichen Bildungsausgaben statistisch gesehen nicht die Unter-

schiede erklären können, die sich bei den internationalen Schülerleistungen zeigen. Danach schneiden

Länder mit hohen Bildungsausgaben nicht systematisch besser ab als Länder mit niedrigeren Bil-

dungsausgaben (Wößmann 2007, 69ff.).

Ein solcher mangelnder Zusammenhang zwischen Bildungsausgaben und Leistungsstand der Schüler

wurde bereits vor einiger Zeit auch für die Vereinigten Staaten sowie für verschiedene Entwicklungs-

länder aufgezeigt (zu einem Überblick vgl. Gundlach 2003, 2 sowie die dort angegebene Literatur).

Zudem ist nicht nur im internationalen, sondern auch im zeitlichen Vergleich einer Untersuchung von

Gundlach et al. (2001) zufolge kein statistisch gesicherter Zusammenhang zwischen Bildungsausga-

ben und Schülerleistung zu erkennen: So zeigen Berechnungen der Autoren, dass die realen Bildungs-

ausgaben in vielen OECD-Ländern im Zeitraum 1970 bis 1994 mit jährlichen Veränderungsraten von

mehr als drei Prozent angestiegen sind. In Deutschland beispielsweise haben sich die Ausgaben im

gesamten Zeitraum fast verdreifacht. Analysen von internationalen Schülerleistungstests aus den Jah-

ren 1970 und 1994 legen jedoch nahe, dass sich an den Durchschnittsleistungen der Schüler in diesem

Zeitraum nichts Wesentliches verändert hat, d.h. dass die Schüler – mit Ausnahme der Schüler in

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Schweden und den Niederlanden – im genannten Zeitraum ihr Leistungsniveau höchstens halten konn-

ten. Zudem haben Gundlach et al. (2001) gezeigt, dass Länder mit einem starken realen Anstieg der

Ausgaben je Schüler nicht einen verbesserten Leistungsstand ihrer Schüler erreicht haben (Gundlach,

2003, 4f.). Gundlach (2003, 5) leitet hieraus einen „Produktivitätsverfall der schulischen Ausbildung“

ab, der „in den vier großen europäischen Ländern im Durchschnitt mindestens mehr als anderthalb mal

so groß ist wie in den Vereinigten Staaten.“

Ein wichtiger Aspekt, der im Zusammenhang mit der Höhe der Bildungsausgaben diskutiert wird, ist

die Klassengröße. So kommen in Deutschland – ebenso wie in vielen anderen Ländern – die steigen-

den Bildungsausgaben vor allem der Verringerung des Schüler-Lehrer-Verhältnisses zugute. Vorlie-

gende empirische Untersuchungen zeigen aber, dass die Klassengröße und der Leistungserfolg in kei-

nem statistisch gesicherten Zusammenhang stehen (Wößmann 2007, 73ff.).

Während sich die Schüler-Lehrer-Relation also nicht auf die erzielten Leistungen auswirkt, besteht

dagegen ein positiver Zusammenhang zwischen den PISA-Leistungen und dem Vorhandensein an

geeigneten Unterrichtsmaterialien, der Unterrichtszeit und dem Bildungsstand der Lehrer. Wößmann

(2005, 12) folgert daraus, dass „ein positiver Zusammenhang zwischen Schülerleistungen und schuli-

scher Ressourcenausstattung weitgehend auf die Qualität der vorhandenen Ressourcen (Lehrer und

Lehrmaterialien) beschränkt zu sein (scheint). Der fehlende eindeutige Zusammenhang zwischen PI-

SA-Leistungen und quantitativen Ressourcenmaßen wie Ausgaben pro Schüler oder Klassengrößen

spiegelt hingegen bisherige Befunde wider, die ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen Schüler-

leistungen und Ausgabenniveaus über die Zeit feststellen konnten.“

Institutionelle Rahmenbedingungen

Eine zentrale Rolle in den vorliegenden empirischen Untersuchungen zu den Einflussfaktoren der

Leistungsunterschiede von Schülern spielen auch die institutionellen Rahmenbedingungen des Schul-

systems. Diese lassen sich als die „Spielregeln, die das Verhalten der am Schulsystem beteiligten Ak-

teure bestimmen“ (Gundlach 2003, 5), verstehen. Wößmann (2006) betrachtet in seiner Studie drei

Arten von institutionellen Gegebenheiten. Dabei handelt es sich es sich (1) um den Wettbewerb durch

privat geleitete Schulen, (2) um das Ausmaß an Schulautonomie in verschiedenen Entscheidungsbe-

reichen und (3) um Systeme der externen Leistungsüberprüfung.

Der potenzielle Effekt dieser Bildungsinstitutionen auf die Schülerleistung wird grundsätzlich damit

begründet, dass sie die Anreize der einzelnen Akteure (Schulbehörden, Schulleiter, Lehrer, Schüler

und Eltern) so beeinflussen, dass diese ihre Ressourcen effizient – im Sinne der Erzielung guter Leis-

tungen – einsetzen. So verschafft etwa das Vorhandensein privat geleiteter Schulen Wahlfreiheit für

die Eltern, die die Möglichkeit haben, die Schule mit den besten Leistungen zu wählen. Der daraus

resultierende Wettbewerb kann entsprechende Anreize zur Qualitätsverbesserung der Bildungsproduk-

tion und damit zur Leistungssteigerung auslösen.

Teilweise verbunden mit dem Merkmal „Wettbewerb“ ist das der „Schulautonomie“, das angibt, in-

wieweit Schulen in verschiedenen Bereichen im Prozess- und Personalbereich selbständig Entschei-

dungen treffen können. Allerdings müssen im Wettbewerb stehende private Schulen nicht in jedem

Fall eine höhere Autonomie aufweisen als staatlich geleitete Schulen. Aus theoretischer Sicht kann

gezeigt werden, dass Autonomie unter bestimmten Bedingungen zu besseren Schülerleistungen führen

kann. So spricht etwa für eine Dezentralisierung des Schulbetriebs, dass in diesem Fall stärker auf die

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spezifischen Bedürfnisse von Eltern und Schülern eingegangen werden kann. Beispielsweise ist davon

auszugehen, dass das jeweilige Lehrpersonal besser als eine zentrale Verwaltung einschätzen kann,

welche Lehrmethoden und Lehrmaterialien für ihre Schüler am sinnvollsten sind. Zudem dürften die

jeweiligen Schulleiter besser als eine zentrale Verwaltung beurteilen können, welche Lehrer sie ein-

stellen bzw. welche eine Beförderung verdienen.

Systeme der externen Leistungsüberprüfung bzw. zentrale Prüfungen schließlich setzen klare Leis-

tungsstandards und bieten Eltern und potenziellen Arbeitgebern Informationen über das Leistungs-

vermögen der Schüler. Hierdurch wird eine gewisse Verantwortlichkeit des Schulpersonals herbeige-

führt, die Anreize schaffen kann, sich nicht nach den eigenen Partikularinteressen zu richten, sondern

das Augenmerk auf das bestmögliche Lernen der Schüler zu lenken. Dies dürfte insbesondere dann der

Fall sein, wenn die durch die externen Prüfungen bereitgestellten Leistungsinformationen auch zur

Bewertung der Lehrer herangezogen werden.

Vorliegende empirische Untersuchungen zum Einfluss dieser institutionellen Gegebenheiten zeigen,

dass Schüler in Ländern, in denen mehr Schulen privat geleitet werden, eine bessere Leistung in den

genannten Tests aufweisen. Zudem wurde eine bessere Schülerleistung auch in jenen Ländern festge-

stellt, in denen ein höherer Anteil der staatlichen Bildungsausgaben an private Schulen fließt. Richtet

man die Perspektive von der Ebene des Landes auf die des einzelnen Schülers, so wurde auch hier

gezeigt, dass Schüler in privat geleiteten Schulen besser abschneiden. Wößmann (2006, 426) weist

jedoch daraufhin, dass bei der Interpretation dieser Ergebnisse zu beachten sei, dass es zu einer Selbst-

selektion von Schülern mit unterschiedlichen Fähigkeiten in private bzw. staatliche Schulen kommen

könne. Zwar würden die meisten Merkmale der Selbstselektion durch die in den Analysen enthaltenen

Kontrollvariablen für den familiären Hintergrund herausgerechnet, doch könne eine gewisse Verzer-

rung aufgrund unbeobachtbarer Heterogenität der Schüler verbleiben.

Im Hinblick auf die Schulautonomie hat Wößmann (2006) festgestellt, dass Schüler in Schulen mit

Autonomie bei Entscheidungen im Prozess- und Personalbereich (Entscheidungen in Bereichen wie

Kauf von Lehrmitteln, Auswahl der Lehrbücher und Lehrmethoden, Budgetverteilung innerhalb der

Schulen, Einstellung und Vergütung von Lehrern) besser abschneiden. Zudem schneiden Schüler auch

dann besser ab, wenn ihre Lehrer über die Lehrmethoden entscheiden können.

Die Existenz externer Abschlussprüfungen schließlich wirkt sich ebenfalls positiv auf die Schülerleis-

tungen aus. So schneiden Schüler in Ländern mit externen Abschlussprüfungen wie einem Zentralabi-

tur besser ab als Schüler in Ländern ohne solche Prüfungen. Dieser Befund bestätigt sich auch inner-

halb nationaler Bildungssysteme, in denen manche Regionen externe Prüfungen anwenden und andere

nicht (wie dies auch in Deutschland auf Ebene der Bundesländer der Fall ist).

3.4 Soziale Ungleichheit der Bildungschancen

Wie oben erwähnt wurde, zeigen die Ergebnisse internationaler Schülerleistungstests, dass es in

Deutschland zu einer großen Streuung der Leistungsergebnisse kommt. Zwar gelingt es dem deut-

schen Schulsystem im Primarbereich noch weitgehend, leistungsschwache Schüler ausgewogen zu

fördern, doch klafft insbesondere im Sekundarbereich die Lücke weit auseinander (vgl. Konsortium

Bildungsberichterstattung 2006, 70).

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Wie eine Reihe an Studien zeigt, übt die soziale Herkunft einen starken Einfluss darauf aus, ob ein

Schüler mehr oder weniger starke Kompetenzen entwickelt. Darüber hinaus hängt auch die Bildungs-

beteiligung, d.h. die besuchte Schulart (Gymnasium, Realschule, Hauptschule), wesentlich vom sozia-

len Hintergrund ab. Auch die Schulabgänger ohne Abschluss verteilen sich unterschiedlich auf einzel-

ne sozioökonomische Gruppen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, Aktionsrat Bildung

2007).

In vorliegenden empirischen Untersuchungen werden oftmals zwei Aspekte der sozialen Herkunft

betrachtet (vgl. z.B. Aktionsrat Bildung 2007, 30ff.). Dabei handelt es sich zum einen um die Frage

nach der Zugehörigkeit zu Sozialschichten und der Bildungsnähe der Herkunftsfamilie, d.h. um die

Ausstattung des Elternhauses mit materiellen, kulturellen und sozialen Ressourcen. Zur Charakterisie-

rung dieses Aspektes der sozialen Herkunft werden in der Regel bestimmte Merkmale wie die über

Berufsklassifikationen ermittelte sozioökonomische Stellung der Eltern, der Bildungsabschluss der

Eltern oder deren Erwerbstätigkeit herangezogen. Einzelne Studien fassen verschiedene Merkmale

auch zu Indizes zusammen, so etwa zum „Index of Economic, Social and Cultural Status (ESCS)“, der

in den PISA-Studien Verwendung findet, oder zum „International Socio-Economic Index (ISEI)“, der

die Berufsangabe mit Aspekten der Ausbildungsdauer, des Einkommens sowie des sozialen Berufs-

prestiges kombiniert (zu einem Überblick vgl. Hovestadt/ Eggers 2007, 8f.). Schütz/Wößmann (2005,

16f.) weisen daraufhin, dass nicht alle Merkmale gleichermaßen für länderübergreifende Vergleiche

geeignet sind. Betrachtet man etwa den elterlichen Bildungsstand, so ist zu beachten, dass das Bil-

dungsniveau in verschiedenen Ländern auf unterschiedliche Bildungsjahre und –qualitäten zurückzu-

führen sein kann. Deswegen wird gerade in internationalen Untersuchungen häufig die „Anzahl der

Bücher im Haushalt“ als bevorzugtes Maß verwendet (Schütz/ Wößmann 2005, 16f.).

Zum anderen wird soziale Herkunft aber auch im Sinne eines Migrationshintergrunds verstanden. Be-

trachtet man Unterschiede in der Bildungsbeteiligung bzw. den Bildungschancen nach Migrationshin-

tergrund, so ist allerdings zu beachten, dass dieser sowie die soziale Herkunft im Sinne der Zugehö-

rigkeit zu Sozialschichten eng miteinander verknüpft sind, kommen doch zugewanderte Jugendliche

bzw. Jugendliche der zweiten Generation sehr viel häufiger aus Familien mit einem niedrigen sozio-

ökonomischen Status (Aktionsrat Bildung 2007, 35).

Im Folgenden werden einige Befunde zum Zusammenhang von sozialer Herkunft auf der einen und

Bildungsbeteiligung bzw. Kompetenzen auf der anderen Seite präsentiert.

3.4.1 Soziale Herkunft und Bildungsbeteiligung

Die ungleiche Bildungsbeteiligung verschiedener sozio-ökonomischer Gruppen wird vor allem an den

Übergängen im Schulsystem deutlich, die an den Schnittstellen innerhalb des Bildungswesens oder bei

seinem Verlassen auftreten (vgl. etwa Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, Hovestadt/ Eggers

2007).

Dem Übergang vom Primarbereich (Grundschule) in den Sekundarbereich I kommt dabei für den Ver-

lauf des späteren Bildungswegs und der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten eine besondere Be-

deutung zu. Nach dem Besuch der in der Regel vierjährigen Grundschule werden die Schülerinnen

und Schüler auf die einzelnen Schularten im Sekundarbereich I verteilt. Dabei verbinden sich Leis-

tungsgesichtspunkte mit dem Elternwillen. Wie die Ergebnisse von PISA und IGLU zeigen, ist dieser

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Übergang durch primäre Ungleichheiten (Ungleichheiten in den bis dahin erworbenen Kompetenzen,

die im Zusammenhang mit der sozialen Herkunft stehen) und sekundäre Ungleichheiten (Disparitäten,

die aus einem je nach sozialer Lage der Familien unterschiedlichen Entscheidungsverhalten beim

Übergang entstehen) gekennzeichnet. Die Folge ist, dass Kinder unterer Sozialgruppen auch bei glei-

cher Übergangsentscheidung benachteiligt sind (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 49).

So ist etwa die relative Chance, das Gymnasium zu besuchen, für Jugendliche aus dem obersten Vier-

tel der Sozialschicht um ein Mehrfaches höher als für Jugendliche aus den unteren Sozialschichten.

Dabei beeinflusst die soziale Herkunft die Chance, ein Gymnasium zu besuchen, auch dann, wenn die

Jugendlichen die gleichen (über PISA gestesteten) Kompetenzen aufweisen (vgl. Aktionsrat Bildung

2007, 31).

Ebenso sind auch bei den Übergängen zur Hauptschule Kinder aus höheren sozialen Schichten bei

gleich schwachen Schulleistungen insoweit bevorzugt, als es ihren Eltern häufiger zu gelingen scheint,

den Besuch dieser Schulart zu vermeiden. Die sozialen Ungleichheiten sind dabei in Ostdeutschland

deutlich geringer ausgeprägt als in Westdeutschland (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006,

50).

Auch zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden sich die Bildungsmuster:

So besuchen Migrantenkinder häufiger die Hauptschule, während sie in der Realschule und dem

Gymnasium unterrepräsentiert sind. Dies zeigt sich auch bei den erreichten Schulabschlüssen (vgl.

Tabelle 3): Im Vergleich zu den ausländischen Schulabgängern verließen im Jahr 2004 dreimal so

viele deutsche eine Schule mit Abitur. Demgegenüber blieben im gleichen Jahr fast doppelt so viele

ausländische Schüler ohne Abschluss wie deutsche. Für die ausländischen Jungen liegt dieser Anteil

bei 20% eines Altersjahrgangs (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 72f.). Dabei bestehen

jedoch Unterschiede zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, wobei türkische und italienische

Kinder die schlechteste Position im Schulsystem innehaben, wohingegen andere Gruppen, wie etwa

Griechen, Spanier und Aussiedlerkinder, besser abschneiden (vgl. Kristen 2003).

Tabelle 3: Deutsche und ausländische Absolventen aus allgemein bildenden Schulen 2004 nach

Abschlussart und Geschlecht (in %)

Deutsche Ausländer

Männlich Weiblich Männlich Weiblich

Ohne Hauptschulabschluss 9,5 5,6 19,7 12,9

Mit Hauptschulabschluss 32,3 23,8 45,3 41,2

Mit mittlerem Abschluss 50,9 57,1 32,2 40,4

Mit Fachhochschulreife 14,8 13,1 7,5 6,7

Mit allgemeiner Hochschulreife 26,3 34,9 8,1 10,4

Quelle: Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 254.

3.4.2 Soziale Herkunft und Kompetenz

In kaum einem anderen Land streuen die Schülerleistungen, wie sie in internationalen Vergleichsun-

tersuchungen getestet werden, so stark wie in Deutschland. Als wesentlicher Einflussfaktor der erziel-

ten Leistungen erweist sich dabei die soziale Herkunft.

In Veröffentlichungen, die auf den PISA-Daten beruhen, wird häufig der sogenannte soziale Gradient

berechnet, um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzniveau auszudrücken.

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Der soziale Gradient wird durch eine einfache Regression berechnet; seine Steigung quantifiziert den

Kompetenzunterschied bei Änderung des Statuswertes der Schüler um eine Standardabweichung. Da-

bei ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schülerleistung um so größer, je steiler die

Steigung des Gradienten ist (vgl. etwa PISA-Konsortium 2007).

Tabelle 4: Vergleich des sozialen Gradienten der mathematischen Kompetenz 2003

Steigung des sozialen Gradienten

Steigung (S.E.)

Stärke des Zusammenhangs

Varianzaufklärung in % (S.E.)

Ungarn

Belgien

Slowakei

Tschechische Republik

Schweiz

Deutschland

Japan

Türkei

Niederlande

Polen

USA

Dänemark

Norwegen

Neuseeland

Österreich

Frankreich

Australien

Schweden

Korea

Irland

Griechenland

Luxemburg

Italien

Kanada

Spanien

Finnland

Mexiko

Portugal

Island

OECD-Durchschnitt

55 (2,3)

55 (1,7)

53 (2,6)

51 (2,1)

47 (2,1)

47 (1,7)

46 (4,1)

45 (4,8)

45 (2,4)

45 (1,8)

45 (1,6)

44 (2,0)

44 (1,7)

44 (1,6)

43 (2,3)

43 (2,2)

42 (2,2)

42 (2,1)

41 (3,1)

39 (2,0)

37 (2,2)

35 (1,2)

34 (2,0)

34 (1,4)

33 (1,7)

33 (1,6)

29 (1,9)

29 (1,2)

28 (1,7)

42, (0,4)

27 (1,81)

24,2 (1,32)

22,2 (1,85)

19,4 (1,44)

16,8 (1,27)

22,8 (1,47)

11,6 (1,69)

22,3 (3,70)

18,6 (1,21)

16,6 (1,21)

19,0 (1,19)

17,6 (1,41)

14,1 (1,09)

16,8 (1,20)

16,3 (1,57)

19,6 (1,78)

13,7 (1,19)

15,3 (1,329

14,2 (1,95)

16,3 (1,55)

15,9 (1,92)

17,1 (1,02)

13,5 (1,34)

10,5 (0,82)

14,1 (1,34)

10,8 (1,05)

17,1 (2,06)

17,5 (1,50)

6,5 (0,84)

16,8 (0,35)

Quelle: PISA 2003; PISA-Konsortium

In Tabelle 4 ist die Steigung des sozialen Gradienten der mathematischen Kompetenz aus PISA 2003

in ausgewählten Ländern dargestellt. Es zeigt sich, dass in allen Ländern Jugendliche höherer sozialer

Herkunft bessere Schulleistungen erzielen als Jugendliche niedrigerer Schichten. Allerdings ist die

Steigung nicht in allen Ländern gleich steil. In Deutschland beträgt die Steigung 47 Leistungspunkte

und liegt damit zwar über dem OECD-Durchschnitt von 42 Punkten, doch ist dieser Unterschied sta-

tistisch nicht signifikant. Wie eng die soziale Herkunft mit dem Kompetenzerwerb zusammenhängt,

wird auch durch das Kriterium der aufgeklärten Varianz beschrieben. Dieses sagt aus, inwieweit die

Unterschiede in den Kompetenzen durch die sozioökonomischen Bedingungen des Elternhauses vor-

hergesagt werden können. Die Vorhersagbarkeit ist in Deutschland mit einem Wert von 22,8 beson-

ders hoch und die Kopplung somit eng; unter allen untersuchten OECD-Staaten nimmt die Bundesre-

publik nach Ungarn und Belgien den dritten Platz ein (vgl. Hovestadt/ Eggers 2007, 57f.)

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In einer empirischen Analyse gehen Schütz und Wößmann (2005) der Frage nach, ob die internationa-

len Unterschiede in der Chancengleichheit systematisch mit der in den einzelnen Ländern verfolgten

Schulpolitik zusammenhängen. Dabei betrachten sie als Merkmale der Schulpolitik insbesondere die

potenziellen Einflüsse des Umfangs des vorschulischen Bildungssystems und der Mehrgliedrigkeit des

weiterführenden Schulsystems, berücksichtigen aber auch Faktoren wie Ganztagsschulen oder die

private Beteiligung am Schulsystem.

Die Schätzungen zeigen, dass ein hoch signifikanter Zusammenhang zwischen der Besuchsquote des

vorschulischen Bildungsbereichs und der Größe des Einflusses des familiären Hintergrunds in einem

Land besteht, der den Verlauf eines umgekehrten U aufweist. Die Chancenungleichheit wächst also

mit steigender vorschulischer Besuchsquote zunächst an, nimmt aber dann, nach Überschreiten eines

bestimmten Niveaus, wieder ab. Die Autoren erklären diesen Befund damit, dass vorschulische Bil-

dungseinrichtungen einen zusätzlich zu den Bildungsleistungen der Familie auftretenden, ausgleichen-

den Effekt auf die Lernfortschritte der Kinder ausüben können, der allerdings erst dann eintritt, wenn

ein substantieller Anteil der Kinder einer Altersstufe (und nicht nur die Kinder aus begünstigten Fami-

lien) eine derartige vorschulische Bildungseinrichtung besuchen.

Nicht nur der Umfang, sondern auch die Dauer des Systems frühkindlicher Bildung steht ihren Unter-

suchungen zufolge in einem signifikanten Zusammenhang zum Ausmaß der Chancenungleichheit. So

sinkt die Stärke des Einflusses des familiären Hintergrunds auf die Schülerleistungen mit zunehmen-

der Dauer des Vorschulprogramms. Auch Studien für die USA und Großbritannien zeigen, dass vor-

schulische Bildungssysteme effektiv in der Förderung langfristiger Bildungs- und Arbeitsmarkterfolge

sein können, gerade für Kinder aus problembeladenen familiären Verhältnissen. Ein Grund hierfür

kann sein, dass frühes Lernen die Effektivität späteren Lernens erleichtert (vgl. hierzu die Idee des

„Lebenszyklus der Bildungspolitik“ von Carneiro/ Heckman (2003), die besagt, dass die Erträge bil-

dungspolitischer Maßnahmen umso höher sind, je eher sie einsetzen).

Darüber hinaus zeigen die Autoren, dass der familiäre Einfluss auf die erzielten Schülerleistungen

umso größer ist, je früher Schüler in unterschiedliche Schulformen selektiert werden. Während in

Deutschland die erste schulische Selektion (Übergang von der Grundschule auf die weiterführende

Schule) in der Regel bereits im Alter von zehn Jahren stattfindet, erfolgt sie in einer Reihe an anderen

Ländern erst mit 14 Jahren oder später. Schütz und Wößmann (2005) erklären ihren Befund damit,

dass die schulische Leistung der Schüler umso stärker von ihrem familiären Umfeld beeinflusst wird,

je jünger sie sind.

Weitere Merkmale dagegen üben keinen oder nur einen schwachen Einfluss auf das Ausmaß der

Chancenungleichheit aus: So findet sich etwa kein signifikanter Effekt für die Höhe der Bildungsaus-

gaben oder die Länge eines Schultages in einem Schulsystem (Halb- vs. Ganztagsschulen). Lediglich

die Frage der privaten Schulträgerschaft bzw. –finanzierung wirkt sich auf die Chancenungleichheit

aus. Dabei gilt, dass Bildungssysteme, die einen höheren Anteil an privaten Bildungsausgaben aufwei-

sen, eine höhere Ungleichheit aufweisen, wohingegen ein höherer Anteil von Schulen in privater Trä-

gerschaft die Ungleichheit zu reduzieren scheint. „Während private Finanzierung die Chancen von

Kindern aus ärmeren Familien verringert und damit sowohl die Ungleichheit zu erhöhen als auch das

durchschnittliche Leistungsniveau zu senken scheint, scheint eine – separat betrachtete – private Leis-

tung der Schulen eher dazu beizutragen, dass gerade auf die Leistungen der benachteiligten Schüler

geschaut wird, so dass sowohl das durchschnittliche Niveau höher als auch die Ungleichheit geringer

ist“ (Schütz/ Wößmann 2005, 23).

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3.5 Zusammenfassung

Dem schulischen Bildungsabschluss kommt für den weiteren Lebens- und Bildungsweg eine wichtige

Bedeutung zu. Kohortenvergleiche zwischen verschiedenen Altersgruppen zeigen, dass die jüngeren

Altersgruppen ein höheres schulisches Bildungsniveau aufweisen als die älteren. Dabei ist der Anstieg

des Bildungsniveaus der Bevölkerung zu einem großen Teil auf die verstärkten Bildungsanstrengun-

gen der Frauen zurückzuführen.

Trotz der Erhöhung der Bildungsbeteiligung insgesamt unterscheiden sich einzelne soziale Gruppen in

der von ihnen besuchten Schulart. Dabei wird die ungleiche Bildungsbeteiligung verschiedener sozio-

ökonomischer Gruppen vor allem an den Übergängen im Schulsystem, insbesondere von der Grund-

schule auf die weiterführende Schule, deutlich. Aber nicht nur die Art der besuchten Schule, sondern

auch die Leistungen der Schüler, werden wesentlich durch die soziale Herkunft beeinflusst. So zeigen

die Ergebnisse internationaler Schülerleistungstests wie PISA, dass die Kompetenzen der Schüler in

Deutschland so stark streuen wie in kaum einem anderen Land. Der familiäre Einfluss auf die Schüler-

leistungen hängt u.a. mit dem Zeitpunkt der Selektion in unterschiedliche Schulformen sowie dem

Umfang und der Dauer des Besuchs frühkindlicher Bildungseinrichtungen zusammen.

Die internationalen Schülerleistungstests haben nicht nur auf den starken Einfluss, den die soziale

Herkunft in Deutschland auf die erzielten Schülerleistungen hat, aufmerksam gemacht. Darüber hinaus

haben sie auch gezeigt, dass die Kompetenzen der Schüler und Schülerinnen in Deutschland nur im

(unteren) Mittelfeld vergleichbarer Industrienationen liegen. Empirische Untersuchungen haben ge-

zeigt, dass die erzielten Schülerleistungen in einem Land vor allem mit den institutionellen Rahmen-

bedingungen des Schulsystems zusammenhängen. Dazu gehört etwa die Frage von Entscheidungsbe-

fugnissen von Schulen und Lehrern oder die der Existenz von privat geleiteten Schulen.

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Literatur

Aktionsrat Bildung (2007): Bildungsgerechtigkeit. Jahresgutachten 2007, Wiesbaden.

Gundlach, E. (2003): Nach dem PISA-Schock: Höhere Bildungsausgaben oder umfassende Bildungs-

reform?, Kiel.

Hovestadt, G./ Eggers, N. (2007): Soziale Ungleichheiten in der allgemein bildenden Schule, Rheine.

Konsortium Bildungsberichterstattung (2006): Bildung in Deutschland, Bielefeld.

Kristen, C. (2003): Ethnische Unterschiede im deutschen Schulsystem. In: Aus Politik und Zeitge-

schichte, B 21-22, 1-10.

PISA-Konsortium Deutschland (2007): PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten internationalen Ver-

gleichsstudie.

Schütz, G./ Wößmann, L. (2005): Wie lässt sich die Ungleichheit der Bildungschancen verringern? In:

Ifo-Schnelldienst 58 (21), 15-25.

Wößmann, L. (2007): Letzte Chancen für gute Schulen. Die 12 großen Irrtümer und was wir wirklich

ändern müssen, Gütersloh.

Wößmann, L. (2006): Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests: Wettbewerb,

Autonomie und externe Leistungsüberprüfung. In: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 7 (3), 417-

444.

Wößmann, L. (2005): Ursachenkomplexe der PISA-Ergebnisse: Untersuchungen auf Basis der inter-

nationalen Mikrodaten. Ifo Working Paper No. 16.

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4. Hochschulausbildung

In diesem Abschnitt sollen Antworten auf folgende Fragen gegeben werden:

Wie hat sich die Anzahl der Studienberechtigten und der Studienanfänger an deutschen Hochschu-

len entwickelt?

Welche Rolle spielt die betriebliche Berufsausbildung vor der Aufnahme eines Hochschulstudi-

ums?

Wie oft und warum kommt es zu Studienfachwechseln und Studienabbrüchen?

Welche Trends sind bei den Studienabschlüssen erkennbar?

Wie haben sich die Studiendauern an den deutschen Hochschulen entwickelt?

Wo besteht Reformbedarf im Hochschulwesen?

4.1 Einführung

„Als Institutionen der Wissensproduktion (durch Forschung) und Wissensdistribution (durch Lehre in

Erstausbildung und Weiterbildung) gewinnen Hochschulen eine immer größere Bedeutung“ schreiben

die Autoren des Ersten Nationalen Bildungsberichts (2006, 101). Sie verweisen auf das beträchtliche

Wachstum des Hochschulsektors seit dem 2. Weltkrieg, der mit dem „shift from elite to mass higher

education“ verbunden sei. Gegenwärtig befinde sich das deutsche Hochschulsystem erneut in einer

Phase des tiefgreifenden Umbruchs:

Durch den Bologna-Prozess verändert sich das Studiensystem grundlegend – weit über eine

neue Studienstruktur mit neuen Abschlüssen hinaus.

Die Studienreform, die Exzellenzinitiative und der insgesamt stärkere Wettbewerb zwischen

den Hochschulen werden dazu führen, dass sich durch Profilbildung, Differenzierung und

Konvergenz neue institutionelle Strukturen jenseits der Gliederung nach Fachhochschulen und

Universitäten herausbilden.

Die Einführung des gestuften Studiensystems wird das Verhalten der Studienberechtigten und

den Übergang der Hochschulabsolventen in den Beruf nachhaltig verändern.

Diese Entwicklungen vollziehen sich vor dem Hintergrund einer starken Nachfrage nach Hochschul-

absolventen und ihrer im Vergleich zu anderen Qualifikationsgruppen niedrigen Arbeitslosigkeit. Der

daraus resultierende Mangel an Fachkräften wird in einem eigenen Kapitel in diesem Band behandelt.

4.2 Die Entwicklung der Studienanfänger an Hochschulen

Im langfristigen Zeitvergleich ist der Anteil der Personen in einer Geburtskohorte, die eine Studienbe-

rechtigung erworben haben, deutlich gestiegen. Wie Abbildung 1 zeigt, ist dieser Anteil von 26% im

Jahr 1993 auf 38% im Jahr 2005 gestiegen. In dieser Grafik wird aber auch deutlich, dass die Studien-

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anfängerquote in den letzten Jahren gesunken ist. Das Abitur oder Fachabitur bietet nämlich nicht nur

die Möglichkeit, ein Studium aufzunehmen, sondern auch eine Berufsausbildung wird realisierbar,

wobei sich oftmals die Chancen, eine Lehrstelle zu bekommen, auf einem angespannten Lehrstellen-

markt im Vergleich zu Real- oder Hauptschulabsolventen als günstiger erweisen (vgl. hierzu auch das

Kapitel „Betriebliche Ausbildung“).

Abb. 1:

Quelle: Statistisches Bundesamt

Auch korrigieren viele Studienberechtigte eine anfängliche Entscheidung gegen ein Studium im Laufe

der Zeit und nehmen zu einem späteren Zeitpunkt doch noch ein Studium auf. So ist nach HIS-

Befragungen die Übergangsquote des Jahrgangs 1999 innerhalb der ersten drei Jahre nach dem Schul-

abgang von 66% auf 74% angestiegen, weil sich viele Studienberechtigte erst nach Abschluss einer

beruflichen Ausbildung aufgrund veränderter Einschätzungen ihrer beruflichen Entwicklungschancen

nachträglich noch für ein Studium entschieden haben (Tabelle 1).

Während 1980 der Anteil der Studienberechtigten, der ein Studium aufgenommen hat, an allen Studi-

enberechtigten noch bei 87% lag, liegt er mittlerweile etwa 10 Prozentpunkte niedriger (Konsortium

Bildungsberichterstattung 2006, 102). Ausschlaggebend ist insbesondere die geringere Studierbereit-

schaft der Frauen. Der Abstand zwischen den Studienanfängerquoten der weiblichen und männlichen

Studienberechtigten betrug bis 2000 mehr als 10 Prozentpunkte und ist danach etwas geringer gewor-

den. Da seit Anfang der 1990er Jahre deutlich mehr Frauen als Männer die Hochschulreife erwerben,

hat der Anteil der Studienanfängerinnen dennoch zugenommen. Interessant ist auch, dass nur etwa die

Hälfte der Studienberechtigten mit Fachhochschulreife ein Studium beginnt, während sich etwa 80%

der Abiturienten für ein Studium entscheiden.

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Tabelle 1: Übergangsquoten Schule – Hochschule seit 1980 nach Geschlecht und Art der Hoch-

schulreife und Migrationshintergrund (in %)

1) Bis Studienbeginn SS 1992 Deutsche, danach Deutsche und Bildungsinländer

2) Ab Studienbeginn WS 1992/93 einschließlich der ostdeutschen Länder

3) Prognosewerte auf Basis des HIS-Studienberechtigtenpanels (Bandbreite von Kern- und Maximalquote, Befragungen 6 Monate nach

Schulabgang

Quelle: Bildung in Deutschland 2010 (Statistische Ämter des Bundes und der Länder; HIS-Studienberechtigtenpanel, Hochschulstatistik)

Auswertungen aus dem HIS-Studienberechtigtenpanel ergeben, dass die Abiturnote die wichtigste

Determinante der Studienbereitschaft ist. Demnach kann die Schulleistung Nachteile der sozialen Her-

kunft teilweise ausgleichen. Jedoch ist die Übergangsquote bei Studienberechtigten aus nichtakademi-

schen Elternhäusern (unter Einschluss derjenigen, die ein Studium nach einer Berufsausbildung auf-

nehmen) unterdurchschnittlich. Die Übergangsquoten liegen in den Bundesländern Bayern, Berlin,

Bremen und Baden-Württemberg am höchsten. Noch nicht geklärt werden kann gegenwärtig, ob sich

die Einführung von Studiengebühren oder eines gestuften Studiensystems auf den Anteil der Studien-

berechtigten, der ein Studium aufnimmt, auswirkt.

In der Tabelle 2 ist der in Deutschland im internationalen Vergleich geringe Anteil der Studienanfän-

ger an den Studienberechtigten dargestellt. Im OECD-Mittel beginnt jetzt mehr als die Hälfte eines

Jahrgangs eine Ausbildung im Tertiärbereich A, was in Deutschland einem Studium an einer Fach-

schule, Fachhochschule oder Universität entspricht, und in Australien, Finnland, Island, Neuseeland,

Norwegen, Polen und Schweden sind es sogar 70% und mehr. Die OECD (2007, 4) meint, dass man in

vielen Staaten von einem Paradigmenwechsel sprechen kann, von der traditionellen Ausbildung, die

darauf abzielt, den gegenwärtigen Qualifikationsbedarf des Arbeitsmarktes abzudecken, hin zur Inves-

tition in die weiterführende Bildung junger Menschen, um diese zu befähigen, den wirtschaftlichen

und sozialen Wandel der Gesellschaft aktiv zu gestalten. Die OECD weist auch drauf hin, dass das

Durchschnittsalter der Studienanfänger in Deutschland mit 21,4 Jahren im internationalen Vergleich

recht hoch ist.

Tabelle 2: Studienanfängerquoten 2000 bis 2007 internationalen Vergleich (in %)

Staat 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Land / Geschlecht / Art der Hochschulreife / Migrati-

onshintergrund

Übergangsquoten1)

Prognosewerte3)

Studienberechtigtenjahrgang2)

1980 1985 1990 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2008

in %

Deutschland 87,0 78,4 84,2 76,3 76,8 74,2 73,9 76,0 77,7 75,6 75,3 73,1 71-77 69-76 68-74 68-75

Nach Geschlecht

Männer 94,3 89,8 92,3 84,4 84,4 80,7 80,7 83,7 85,4 82,2 81,3 78,6 75-80 69-77 72-78 74-79

Frauen 78,3 65,7 74,8 68,5 69,7 68,2 67,9 69,2 71,0 69,7 70,1 68,1 67-74 68-74 64-71 64-71

Nach Art der Hochschulreife Allgemeine Hochschulrei-

fe 91,8 84,5 91,7 81,7 82,6 81,7 82,1 85,7 87,9 87,0 87,3 84,6 76-81 75-83 73-79 74-80

Fachhochschulreife 71,7 57,7 64,2 58,9 57,7 49,8 49,4 47,0 54,4 47,8 47,3 47,3 57-65 50-57 53-61 52-60

Nach Migrationshintergrund

Ohne 70-76 68-75 67-74 68-74

Mit 75-82 79-83 72-78 71-79

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in %

Deutschland 30 32 35 36 37 36 35 34

Finnland 71 72 71 73 73 73 76 71

UK 47 46 48 48 52 51 57 55

Italien 39 44 50 54 55 56 55 53

Japan 40 41 42 43 42 44 45 46

Schweden 67 69 75 80 79 76 76 73

USA 43 42 64 63 63 64 64 65

Österreich 34 34 31 34 37 37 40 42

Niederlande 53 54 54 52 56 59 58 60

Schweiz 29 33 35 38 38 37 38 39

OECD-Mittel 47 48 52 53 53 55 56 56 Quelle: OECD Education at a glance (2009)

Weiterhin könnten die geringe Studienanfängerquoten in Deutschland auch darauf zurückzuführen

sein, dass Abiturienten sich in Deutschland zunächst für die Aufnahme einer betrieblichen Berufsaus-

bildung entscheiden, um sich damit gegen das Risiko eines Scheiterns während des Studiums abzusi-

chern, oder aber weil sie es für erforderlich halten, um eine bestimmte von ihnen angestrebte berufli-

che Position zu erreichen. Der gewählte Umweg erweist sich allerdings vielfach als so attraktiv, dass

auf ein (Fach-) Hochschulstudium verzichtet wird.

Die Frage der volkswirtschaftlichen Bewertung stellt sich aber auch insofern, dass den höheren indivi-

duellen Opportunitätskosten verlängerter Bildungs- und Ausbildungswege niedrigere Einkommen

zumindest bei Beginn der Erwerbstätigkeit gegenüberstehen (Büchel/ Helberger 1995). Doppelqualifi-

zierte müssen nach den Ergebnissen von Büchel/ Helbeger (1995) sogar länger als Einfachqualifizierte

nach einer ausbildungsadäquaten Beschäftigung suchen. Da zudem die individuellen und betrieblichen

Investitionen in betriebs- und berufsspezifisches Humankapital bei Aufnahme eines Studiums nach

Abschluss einer betrieblichen Berufsausbildung zumindest teilweise verloren gehen, gelangen die

Autoren zu der Schlussfolgerung, dass die Entscheidung für eine betriebliche Ausbildung nicht berufs-

inhaltlich, sondern in starkem Maße als durch Risikoüberlegungen bestimmt erfolgt. Entscheidend

dafür dürften die Aussichten sein, ein Studium erfolgreich zu beenden.

Nach den Ergebnissen der HIS-Studienabbrecherbefragung betrug die Studienabbrecherquote 2004 an

den Universitäten 24% und an der Fachhochschule 17%. Im Vergleich zu den Ergebnissen der Befra-

gung im Jahr 2002 ist die Quote gesunken (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 112). Diese

Entwicklung könnte für viele Studienberechtigte ein Grund sein, die „Nebenoption“ zum Abitur, näm-

lich die Option einer betrieblichen Berufsausbildung, zu nutzen. Als besonders gefährdet, das Ziel

eines Studienabschlusses nicht zu erreichen, könnten sich die weniger leistungsfähigen Studienberech-

tigten mit schlechteren Abiturnoten einschätzen. Gleichwohl können natürlich große Unterschiede

zwischen der Abiturnote und den Noten in den einzelnen Fächern, die Bestandteil des Abiturzeugnis-

ses sind, bestehen. Diese Unterschiede sind insofern relevant, als die Leistungen in den gewählten

Studienfächern von der durchschnittlichen Leistung eines Abiturienten abweichen können. Deshalb

sind die Abiturnoten nur bedingt als Indikatoren für die Leistungsfähigkeit der Studierenden und das

sich daraus ableitbare Risiko eines Studienabbruchs geeignet.

Auf zutrittsbeschränkten Arbeitsmärkten sorgt der Arbeitsplatzwettbewerb im Sinne von Thurow

(1975) dafür, dass die produktivsten Arbeitsplätze auch mit möglichst produktiven Arbeitskräften, d.h.

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mit Personen von vergleichsweise hohem Ausbildungsstand und besonderen Fähigkeiten, besetzt wer-

den. Denn Bildung und Ausbildung werden nicht um ihrer selbst willen unternommen, sondern dienen

als Verteidigungsstrategie zur Sicherung der eigenen erreichten Position und relativ zu potenziellen

Konkurrenten. Dieser fortlaufende Prozess des dauernden Vergleichs und des Konkurrenzmoments

erklärt die Aufnahme weiterer Ausbildungen im Ausbildungs- und Erwerbsverlauf (Jacob 2001). Gute

Abiturnoten können somit zur Beschreibung einer bestimmten sozialen Position dienen, die es mit

Hilfe einer Doppelqualifikation zu verteidigen gilt. Insofern ist ein positiver Zusammenhang zwischen

einer guten Abiturnote und der kumulativen Bildungsstrategie zu erwarten – ganz im Gegensatz zu der

These vom Erwerb einer Doppelqualifikation als Versicherungsstrategie.

Tabelle 3: Probit-Schätzungen Doppelqualifikation (Ja/Nein) nach West- und Ostdeutschland,

Marginale Effekte

Westdeutschland Ostdeutschland West- und Ost-deutschland

ab 1991

Abitur (Dummy) -0.317** -0.431 -0.706*** -2.45 -1.18 2.89

Abiturnote 0.415*** 0.173 0.352*** 7.89 1.39 3.46

Alter beim höchsten Schulab-schluss

0.032 -0.025 -0.669

0.18 -0.06 -1.27

(Alter beim höchsten Schul-abschluss)

2

-0.003 -0.003 -0.017

-0.75 -0.21 -1.37

Jahr des Schulabschlusses 0.025*** -0.002 -0.024 6.68*** -0.33 -1.03

Studienfach (Referenz: Sonstiges)

Technisches Studium (Dummy)

0.258*** 0.36* 0.297*

2.62 1.94 1.73

Natur- und geisteswis-senschaftliches Studium (Dummy)

0.433*** 0.341* 0.601***

5.58 1.74 4.22

Weiblich (Dummy) -0.076 -0.05 -0.264* -1.05 -0.3 -1.94

Migrationshintergrund (Dum-my)

0.099 -0.092 -0.402

0.53 -0.2 -1.33

Schulabschluss im Osten (Dummy)

0.051

0.28

Konstante -50.618*** 4.648 39.676 -6.75 -0.33 0.86

Fallzahl 2901 583 866

Pseudo-R2 0.08 0.04 0.09

Robuste Standardfehler unter den marginalen Effekten

* p<0.1; ** p<0.05 *** p<0.01

Quelle: BIBB-BAuA-Erhebung, eigene Berechnungen

Mit den Daten der BIBB-BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2007 haben Bellmann/Janik (2010) die

beiden aufgestellten Hypothesen empirisch überprüft. Betrachtet werden dabei Personen im Datensatz,

die nach bestandenem (Fach-) Abitur direkt studieren oder zunächst eine duale Ausbildung und an-

schließend ein Studium absolvieren. Mit Hilfe verschiedener Probit-Modelle wird der Einfluss der

Abiturnote auf die Entscheidung für oder gegen den Erwerb einer Doppelqualifikation untersucht.

Dabei werden als weitere Regressoren die Art des Abiturs, das Jahr des Schulabschlusses, das Alter

beim höchsten Schulabschluss in linearer und quadrierter Form, die Art des Studiums, das Geschlecht

und eine (0,1)-Variable, die angibt, ob der Schulabschluss in West- oder Ostdeutschland erworben

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wurde, berücksichtigt. Nach den erhaltenen empirischen Ergebnissen (s. Tabelle 3) entscheiden sich

Abiturienten seltener als Fachabiturienten und Schüler mit relativ schlechten Noten häufiger als solche

mit guten Zensuren für eine Doppelqualifikation als Versicherungsstrategie. Insofern wird die These

von Büchel/ Helberger (1995) bestätigt, dass sich Studienberechtigte durch ihre Berufsausbildung

gegen das Risiko des Scheiterns im Studium absichern.

Sowohl die Entwicklung des Anteils der Studienberechtigten, die ein Studium aufnehmen, als auch der

Anteil der Doppelqualifizierten zeigt deutliche Unterschiede zwischen Fächergruppen. Nach den im

Ersten Nationalen Bildungsbericht wiedergegebenen Informationen hat sich seit 1975 die Fächerwahl

der Studienanfänger deutlich verändert. Aus Tabelle 4 wird deutlich, dass die Fächergruppen Rechts-,

Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bei den Neuimmatrikulierten stark hinzugewonnen haben. da-

gegen zeigt sich bei den Ingenieurwissenschaften ein unterschiedliches Muster.

Tabelle 4: Studienanfängerinnen und -anfänger (1. Hochschulsemester) in den wichtigsten Stu-

dienbereichen 1975 bis 2009

Studienjahr1)

Sprach- und Kul-turwiss.

Sport

Rechts-, Wirt-

schafts-, und Sozi-

alwiss.

Mathematik/ Naturwiss.

Human-medizin/ Gesundheitswiss.

Veterinär-medizin

Agrar-, Forst-,

und Ernäh-

rungswiss.

Ingenieur-wiss.

Kunst, Kunst-wiss.

in %

BRD (ab 1990 gesamtes Bundesgebiet)

1975 23,6 1,7 23,5 16,8 3,0 0,3 3,4 21,6 5,9

1980 20,5 1,6 29,5 14,7 5,4 0,5 3,1 19,9 4,7

1985 18,2 0,7 29,6 15,9 4,4 0,3 3,1 23,5 4,1

1990 18,0 0,9 31,6 16,8 3,5 0,3 2,2 23,3 3,3

1995 21,5 1,2 35,3 13,0 4,2 0,4 2,4 18,2 3,7

2000 19,9 1,0 34,0 18,7 3,7 0,3 2,0 16,8 3,5

2005 19,8 1,1 32,0 17,9 4,3 0,3 2,2 18,9 3,3

2006 19,7 1,0 32,5 17,9 4,6 0,3 2,2 18,2 3,4

2007 18,9 1,0 33,1 17,4 4,4 0,3 2,2 18,9 3,5

2008 17,0 0,8 35,2 16,6 4,6 0,3 2,1 19,7 3,4

20092)

17,3 0,9 35,1 16,7 4,4 0,2 2,1 19,6 3,4

Quelle: Bildung in Deutschland 2010

Zwischen 1983 und 1989 hat sich noch ungefähr ein Viertel der Neuimmatrikulierten für ein ingeni-

eurwissenschaftliches Fach entschieden. In den 1990er Jahren ist dann die Studiennachfrage in dieser

Fächergruppe sowohl absolut als auch relativ stark zurückgegangen. In den letzten Jahren haben die

Ingenieurwissenschaften vom Anstieg der Studiennachfrage nur unterdurchschnittlich profitiert. Auch

in der Fächergruppe Mathematik/Naturwissenschaften ist die Nachfrage nach Studienplätzen in der

ersten Hälfte der 1990er Jahre insgesamt zurückgegangen; der Wiederanstieg der Studienanfängerzah-

len in den 1990er Jahren ist im Wesentlichen auf den Boom der Informatik zurückzuführen, der sich

teilweise aus den Ingenieurwissenschaften speiste. Nach ihrem starken Einbruch in der ersten Hälfte

der 1990er Jahre haben sich Mathematik/Natur- und Ingenieurwissenschaften zusammen in den letzten

Jahren wieder konsolidiert. Nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der einzelnen Fächergruppen

zeigen sich zum Teil deutliche Verschiebungen in den Präferenzen der Studienanfängerinnen und

–anfänger (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 107f.).

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Zugenommen hat auch die Anzahl der Studienanfängerinnen. Seit einigen Jahren liegt der Frauenanteil

an den Universitäten stabil bei über 50%, und an den Fachhochschulen schwankt er um die 40%. Dies

ist auf das größere Gewicht der Ingenieurwissenschaften an den Fachhochschulen zurückzuführen.

Bemerkenswert ist die unterschiedliche Entwicklung des Frauenanteils in den einzelnen Studienfä-

chern. Während seit Ende der 1970er Jahre in der Medizin der Anteil der Frauen von etwa einem Drit-

tel auf zwei Drittel angestiegen ist, erhöhte sich in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

der Anteil der Frauen von ebenfalls etwa einem Drittel auf mehr als die Hälfte. In den Ingenieurwis-

senschaften hat sich der Frauenanteil zwar fast verdreifacht, liegt aber bei nur etwa 20%. In den ma-

thematischen und naturwissenschaftlichen Fächern hat sich der Frauenanteil mit ungefähr 40% am

wenigsten verändert.

4.3 Studienfachwechsel und Studienabbruch

Etwa 20% der Studienanfänger wechseln im Laufe des Studiums das Fach oder streben einen anderen

als den ursprünglich gewählten Abschluss an (Isserstedt u.a. 2004). Ein großer Teil der Fachwechsel

findet jedoch innerhalb der Fächergruppe statt. Insbesondere die Studierenden der Ingenieur- und Na-

turwissenschaften wechseln nur sehr selten in ein gänzlich anderes Fach.

Bezogen auf die Absolventen des Jahrgangs 2004 beträgt der Anteil der Studierenden, die das Hoch-

schulsystem auf Dauer und ohne Abschluss verlassen haben, an den Universitäten 24 % und an den

Fachhochschulen 17 % (Quelle: HIS-Studienabbrecherbefragung). Die OECD gibt eine Gesamtquote

von 27 % an, die unter dem OECD-Mittel von 29 % liegt. Längere Studiengänge weisen danach mit

35 % eine im internationalen Vergleich hohe Abbrecherquote auf, die unter elf Staaten mit vergleich-

baren Daten mit 40% nur von der Tschechischen Republik übertroffen wird. Bei den 3- bis 5-jährigen

Studiengängen liegt die Abbrecherquote mit 8 % dagegen deutlich unter der der meisten OECD-

Staaten.

Gegenüber der Vergleichsbefragung der HIS für das Jahr 2002 ist die so definierte Studienabbruch-

quote etwas gesunken. Männer brechen ihr Studium häufiger ab als Frauen. Das liegt auch an ihrer

Studienfachwahl. Mit einer Studienabbruchquote von mehr als 30% verzeichnen an den Universitäten

die Studienbereiche Sprach- und Kulturwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Informatik und

einige Ingenieurwissenschaften besonders hohe Quoten. Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Bereichen

Informatik und Elektrotechnik an den Fachhochschulen. In Abbildung 2 sind die wichtigsten Motive

für den Studienabbruch des Studienjahres 2000/01 dargestellt. An erster Stelle stehen bei den Studien-

abbrechern an den Universitäten eine mangelnde Studienmotivation, die berufliche Neuorientierung

und finanzielle Probleme. Die beiden letzten Motive sind auch für die Studienabbrüche an den Fach-

hochschulen sehr wichtig. Dort folgen dann aber nicht die mangelnde Studienmotivation, sondern

familiäre Probleme und Leistungsprobleme als weitere bedeutende Motive.

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Abbildung 2: Hauptmotive der Studienabbrecher 2008

Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2011)

4.4 Studiendauern

Die mit dem Bologna-Prozess verbundene Einführung der Studienabschlüsse zum Bachelor und Mas-

ter soll nicht nur die Transparenz und damit die Mobilität der Studienabsolventen fördern, sondern

auch eine Verkürzung der Zeit bis zum Erreichen des ersten Studienabschlusses bewirken. Die Einfüh-

rung des gestuften Studiensystems führt nicht zwangsläufig zu kürzeren Studienzeiten und weniger

Studienabbrüchen. Die bisherigen Erfahrungen mit Bachelorabschlüssen deuten aber in diese Rich-

tung.

In der Abbildung 3 sind die Mediane sowie das untere und obere Quartil für die Gesamtstudiendauern

der Absolventen des Jahrgangs 2004 dargestellt. Danach ist die durchschnittliche Gesamtstudiendauer

bei Diplomabschlüssen an Universitäten mit 12,3 Semestern am längsten. Immerhin benötigen 75%

der Absolventen 14,6 und mehr Semester, um die Diplomprüfung zu bestehen. Das Fachhochschuldip-

lom wird nach durchschnittlich 8,7 Semestern erreicht. Die große Bandbreite in der Studiendauer bei

den Masterstudiengängen hängt mit den unterschiedlichen Typen von Studiengängen und den jeweili-

gen Zielgruppen zusammen. Zwischen 2000 und 2004 ist die Studiendauer an den Universitäten leicht

rückläufig.

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Abb. 3: Gesamtstudiendauer 2000 – 2008 nach Art des erworbenen Abschlusses

4.5 Die Entwicklung der Studienabschlüsse

Das Angebot an Hochschulabsolventen ist für die Deckung des Bedarfs an Fach- und Führungskräften

der Wirtschaft entscheidend. Nicht nur das Konsortium Bildungsberichterstattung (2006) hat darauf

hingewiesen, dass sich die Anzahl der Hochschulabsolventen in Deutschland in den letzten zehn Jah-

ren nicht erhöht hat. Dass sie nicht noch niedriger ausfällt, liegt vor allem an dem stark gestiegenen

Anteil der Frauen.

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- 48 -

Abbildung 4:

Quelle: Bildung in Deutschland 2010, Statistisches Bundesamt und Landesämter sowie Hochschulstatistik

Die Abbildung 4 zeigt, dass die Anzahl der Abschlüsse eines Erststudiums mit ca. 172.000 im Jahr

2001 den niedrigsten Stand seit 1995 erreicht hat und seitdem wieder zugenommen hat, allerdings

noch nicht wieder auf das Niveau der 1990er Jahre. Der Anteil der Bachelorabschlüsse fällt bislang

noch sehr gering aus. Der Anteil der Fachhochschulabsolventen betrug 2004 fast 40% – fachspezifisch

lag er teilweise noch höher.

Abb. 5: Verteilung der Absolventen eines Erststudiums 1995 bis 2004 auf die Fächergruppen (in

%)

0

5

10

15

20

25

30

35

40

1995 1997 1999 2001 2003

Sprach- und Kultur- w iss.

Sport

Rechts-, Wirt-schafts-,

Sozialw iss.

Mathematik, Naturw iss.

Human-medizin

Veterinär-medizin

Agrar-, Forst-, Ernährungs-

w iss.

Ingenieur-w iss.

Kunst, Kunstw iss.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Hochschulstatistik (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 115).

Die Verteilung der Erstabsolventen auf die Fächergruppen ist in der Abbildung 5 dargestellt. Auffällig

ist die Abnahme des Anteils der Ingenieurwissenschaften von fast einem Viertel im Jahr 1995 auf nur

noch 17 % im Jahr 2004. Der Anteil der Mathematik und Naturwissenschaften an den

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- 49 -

Absolventenzahlen ist leicht gestiegen, was auf die Entwicklung der Anzahl der Informatikabsolven-

ten zurückzuführen ist. Die Fächergruppe der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ver-

zeichnet starke Anteilsgewinne, mit Ausnahme der Studienbereiche Rechts- und Verwaltungswissen-

schaften. Die Anzahl der Absolventen der Fächergruppe der Sprach- und Kulturwissenschaften ist

ebenfalls stark gestiegen.

Die Anzahl der ausländischen Studienanfänger hat seit 1997 stark zugenommen. Verglichen mit dem

Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung in Deutschland (etwa 9 %) ist der Anteil der ausländi-

schen Absolventen mit einer in Deutschland erworbenen Studienberechtigung mit 2,4 % allerdings

sehr niedrig. Während 1997 der größte Teil der Bildungsinländer einen ingenieurwissenschaftlichen

Abschluss erwarb, machten im Jahr 2004 die meisten Bildungsinländer ihren Erstabschluss in der Fä-

chergruppe der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Der Anteil der ausländischen Absol-

venten mit einer im Ausland erworbenen Studienberechtigung lag 2004 bei 4,3 %. Auch hier haben

die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die Ingenieurwissenschaften vom ersten Platz ver-

drängt.

Die OECD (2007, 2f.) hat berechnet, dass in Deutschland in den Ingenieur- oder den Bildungswissen-

schaften in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen sich aktuell nur 0,9-mal so viele Absolventen mit

Universitäts- oder Fachhochschulabschluss wie in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen befinden –

also weniger als zur Bestandserhaltung notwendig. Dies könnte nach Ansicht der OECD zu Problemen

bei der Wiederbesetzung der Stellen führen, wenn die aktuell 55- bis 64-Jährigen in den nächsten Jah-

ren in den Ruhestand gehen. Im OECD-Mittel gibt es dagegen in der jüngeren Altersgruppe 1,9-mal so

viele Absolventen der Ingenieurwissenschaften wie in der älteren Gruppe der aktuell noch Erwerbstä-

tigen. Auf alle Hochschulabsolventen bezogen beträgt die Relation der jüngeren zur älteren Alters-

gruppe aktuell in Deutschland 1,2, aber 2,3 im OECD-Mittel. Die Abschlussquote bei den Universitä-

ten und Fachhochschulen stieg in Deutschland von 14 % im Jahr 2000 auf 20 % im Jahr 2005, aber

von 20 % auf 36 % im OECD-Mittel. Bei den Promotionen liegt Deutschland mit 2,4 % dagegen in

der Spitzengruppe hinter der Schweiz (3,1 %) und Portugal. Der Wert ist in Deutschland fast doppelt

so hoch wie im OECD-Mittel. 13,4 % der Promotionen entfallen in Deutschland laut OECD-Angaben

auf Ausländer.

4.6 Hochschulreform

Erwähnt wurden bereits der Bologna-Prozess und die Einführung des gestuften Studiensystems, die

nicht nur eine internationale Vergleichbarkeit und Transparenz von Studienabschlüssen sicherstellen

sollen, sondern auch als Reaktion auf andere Probleme der Hochschulausbildung wie zu geringe

Durchlässigkeit, sehr lange Studiendauern und niedrige Absolventenzahlen zu verstehen sind.

Zur Verbesserung der wissenschaftlichen Exzellenz ist nach Ansicht von Beobachtern die Stärkung

des Wettbewerbs zwischen den Hochschulen wichtig, deren finanzielle Zuweisungen nicht nach regi-

onalpolitischen Gesichtspunkten, sondern nach ihrem Erfolg im nationalen und internationalen Wett-

bewerb bei der Einwerbung von Drittmitteln und der Anzahl von Veröffentlichungen in peer-reviewed

journals erfolgen sollten. Erforderlich sei auch eine Verbesserung der Finanzausstattung, wobei die

private Förderung in den europäischen Ländern nur 0,1 % des Bruttosozialprodukts beträgt, in den

USA aber 1,4 % (Butler 2007, 10). In diesem Zusammenhang wird kontrovers auch über die Einfüh-

rung von Studiengebühren gestritten. Weiterhin wird eine Konzentration von Ressourcen vorgeschla-

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gen. Während in Europa fast 2000 Universitäten existieren, von denen die meisten auch Forschungs-

ziele anstreben und Studiengänge für Postgraduierte anbieten, gibt es an weniger als 250 Universitäten

in den USA Post-Doc-Ausbildungen, und nur weniger als 100 Universitäten werden als forschungsin-

tensiv betrachtet (Butler 2007, 11). Liegt es an dieser starken Konzentration von Ressourcen in den

USA, dass die USA auf vielen Forschungsgebieten weltweit führend ist?

Sicherlich erfolgt der Übergang zu einem System, in dem die Universitäten einem stärkeren Wettbe-

werb ausgesetzt sind und die Allokation der Forschungsmittel prinzipiell auf der Basis der Veröffent-

lichung von peer-reviewed Artikeln erfolgt, nicht konfliktfrei. In diesem Zusammenhang wird auch

gefordert, dass den Universitäten die Auswahl ihrer Studierenden obliegen sollte. Ebenso sollte den

Universitäten eine größere Autonomie bei der Entwicklung ihrer Spezialisierungen und Gestaltung

ihrer Curricula eingeräumt werden.

4.7 Kosten und Nutzen des Studiums an Hochschulen

In Deutschland gibt es mit den Universitäten und Fachhochschulen zwei verschiedene Angebote im

Bereich der Tertiärbildung, die sich in wichtigen Aspekten unterscheiden. Riphahn et al. (2010) haben

die erste empirische Studie vorgelegt, in der Kosten und Nutzen des Studiums an Universitäten und

Fachhochschulen verglichen werden. Die folgenden Angaben sind ihrer Untersuchung entnommen,

wenn keine anderen Hinweise gegeben werden.

Zuvor sollen jedoch die wichtigsten institutionellen Unterschiede dargestellt werden. Im Wintersemes-

ter 2007/08 gab es in Deutschland 104 Universitäten mit 1,307 Millionen Studierenden und 184 Fach-

hochschulen mit 0,543 Millionen Studierenden (Statistisches Bundesamt 2008, 141). Während die

erste Universität in Deutschland 1386 in Heidelberg gegründet wurde, gibt es Fachhochschulen in

Deutschland erst seit Ende der 1960er Jahre. Im Bildungsauftrag für die Fachhochschulen wurde eine

besondere Praxisorientierung von Forschung und Lehre festgelegt. Seit 1985 gehört die anwendungs-

bezogene Forschung sowie der Technologie- und Wissenstransfer zum Aufgabenspektrum der Fach-

hochschulen, wobei etwa für die Berufung von Hochschullehrern an den Universitäten die wissen-

schaftliche Qualifikation ausschlaggebend ist, während für die Berufung von Fachhochschullehrern

die längere Praxistätigkeit außerhalb (!) des Hochschulbereichs erforderlich ist. Für die Studierenden

ist an den Universitäten meistens die allgemeine Hochschulreife (Abitur) Zugangsvoraussetzung, wäh-

rend diese an der Fachhochschule landesspezifisch geregelt ist. Die Fachhochschulreife kann mit dem

Übertritt in das 11. Schuljahr eines Gymnasiums, aber auch mit einem Meistertitel oder mit einer ab-

geschlossenen Berufsausbildung plus Fachabitur erlangt werden. Da die Ausbildungskosten stark vom

Studienfach abhängen, werden in der Tabelle 5 die laufenden Grundmittel pro Absolvent für die

Fachgrupppen (1) Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, (2) Mathematik und Naturwissen-

schaften und (3) Ingenieurwissenschaften getrennt ausgewiesen. Die laufenden Grundmittel sind der

Teil der Hochschulausgaben, den der Hochschulträger aus eigenen Mitteln den Hochschulen für lau-

fende Zwecke wie z.B. die Personalaufgaben, Unterhaltung der Grundstücke und Gebäude zur Verfü-

gung stellt. Die Investitionsausgaben der Hochschulen sind darin also nicht enthalten. In dieser Tabel-

le sind nicht nur die unterschiedlichen Studiendauern an den Universitäten mit 12 Semestern und an

den Fachhochschulen mit 9 Semestern berücksichtigt, sondern es wurde auch eine Zuordnung der

laufenden Grundmittel auf Lehre und Forschung der Hochschulen, zu deren Kernaufgabe die For-

schung zählt, wahrgenommen. Unabhängig von der Berücksichtigung der Forschungsanteile zeigt sich

im Panel A, dass die laufenden Grundmittel pro Absolvent an den Universitäten höher als an den

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Fachhochschulen sind. Das Ergebnis ändert sich aber in einigen Fällen, wenn die unterschiedlichen

Studiendauern an den Universitäten und Fachhochschulen berücksichtigt werden. Das Panel B zeigt,

dass bei Berücksichtigung des Forschungsanteils der Kostenvorteil der Fachhochschulen in den

Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu einem Kostennachteil wird und sich deutlich in den

Ingenieurwissenschaften reduziert.

Tabelle 5: Laufende Grundmittel pro Absolvent nach Fachgruppe und Hochschulart mit und

ohne Forschungsanteil (Mittelwert der Jahre 2002 – 2006 in 1000 Euro)

Fächergruppe Universitäten Fachhochschulen

mit ohne mit ohne

Forschungsanteil

Panel A: Ohne Korrektur für Studien-dauer

Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwiss. 19,7 13,0 11,4 10,8

Mathematik, Naturwissenschaften 67,4 41,0 20,7 19,7

Ingenieurwissenschaften 66,1 38,5 28,3 26,9

Panel B: Pro Semester (univ. 12, Fachh. 9)

Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwiss. 1,6 1,1 1,3 1,2

Mathematik, Naturwissenschaften 5,6 3,4 2,3 2,2

Ingenieurwissenschaften 5,5 3,2 3,1 3,0

Quelle: Riphahn et al. 2010,109

In der Abbildung 6 sind preisbereinigt die laufenden Grundmittel pro Studierenden wiederum für die

drei Fächergruppen dargestellt. Es zeigt sich, dass die Universitäten im Bereich der Rechts-, Wirt-

schafts- und Sozialwissenschaften im betrachteten Zeitraum die niedrigsten Werte aufweisen, die lau-

fenden Grundmittel pro Studierendem sind in diesem Fächerbereich an den Fachhochschulen etwas

höher. In den Ingenieurwissenschaften unterscheiden sich die Werte an beiden Hochschularten zumin-

dest seit 2001 nicht mehr so deutlich wie zwischen den Jahren 1996 und 2000. In der dritten betrachte-

ten Fächergruppe, der Mathematik und den Naturwissenschaften, liegen dagegen die laufenden

Grundmittel an den Universitäten wesentlich höher als an den Fachhochschulen.

Abbildung 6: Reale laufende Grundmittel ohne Forschungsanteil pro Studierendem nach Fach-

gruppe und Hochschulart (1995–2006, in Euro von 2000)

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Quelle: Riphahn et al. 2010, 112.

Die Schätzung individueller Bildungsrenditen wird von Riphahn et al. (2012) auf der Basis von

Mincerschen Einkommensfunktionen vorgenommen, wobei sie die Daten des Sozio-ökonomischen

Panels der Jahre 2001-2007 verwenden. Dabei berücksichtigen sie die endogene Selektion in die Er-

werbstätigkeit um folgende Einflussfaktoren: Alter als Polynom dritter Ordnung, Familienstand, Nati-

onalität und Wohnort-Bundesland, Indikatoren für Teilzeit- und befristete Beschäftigung, Betriebszu-

gehörigkeitsdauer (linear und quadriert), Tätigkeit im öffentlichen Sektor, vier Indikatoren für die

Unternehmensgröße, neun Berufskategorien und acht Branchenindikatoren, sowie einem Indikator

dafür, ob die Angabe zum Verdienst imputiert ist.

Nach den in der Abbildung 7 dargestellten Ergebnissen liegen nur zu Beginn der Erwerbskarriere die

mittleren Löhne der Fachhochschulabsolventen höher als die der Universitätsabsolventen. Im Alter

von 45 Jahren beträgt der Lohnabstand bei den Männern ca. 18 und bei den Frauen ca. 25 Prozent.

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Abbildung 7: Vorhergesagte Log-Lohnprofile im Lebenszyklus für Absolventen von Universitä-

ten und Fachhochschulen

Quelle: Riphahn et al. 2010, 124.

Die Tabelle 6 bietet eine Differenzierung nach den drei Fächergruppen. Den größten absoluten und

relativen Universitätsbonus erzielen die Naturwissenschaftlerinnen (33 %). Der Lohnvorteil der männ-

lichen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler ist zwar größer als bei anderen Fächergruppen, aber

kleiner als bei den weiblichen Universitätsabsolventen in allen betrachteten Fächergruppen. Hinzuwei-

sen ist noch darauf, dass die Autoren auch untersucht haben, ob die Lohnstruktur des öffentlichen

Dienstes die Ertragsdifferenzen für die Absolventen beider Hochschularten beeinflusst hat. Dies ist

nicht der Fall.

Frauen

Männer

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Tabelle 6: Vorhergesagte mittlere reale Stundenlöhne nach Geschlecht, Hochschulart und Fach-

gruppe (in Euro von 2005)

Frauen Männer

FH Uni Abs. Diff.

Rel. Diff.

FH Uni Abs. Diff.

Rel. Diff.

Ingenieurwissenschaften 16,86 19,95 3,09 18,33% 21,34 23,15 1,81 8,48%

Wirtschafts-, Sozialwiss. 15,72 18,06 2,34 14,89% 20,92 24,33 3,41 16,30%

Naturwissenschaften 16,13 21,46 5,33 33,04% 22,42 23,45 1,03 4,59%

Sonstige 14,70 17,19 2,49 16,94% 19,30 21,84 2,54 13,16%

Quelle: Riphahn et al. 2010, 125.

Selbstkritisch weisen die Autoren aber auch darauf hin, dass Schlussfolgerungen nur vorsichtig gezo-

gen werden sollten, da die beschriebenen Kosten- und Renditestrukturen auf Änderungen von Studie-

renden- und Ressourcenströmen reagieren. Eine Gesamtbewertung der Universitäten und Fachhoch-

schulen sollte aber auch Unterschiede im Forschungsoutput und den gesellschaftlichen Aufgaben be-

rücksichtigen.

4.8 Zusammenfassung

Das deutsche Hochschulsystem hat sich in der Nachkriegszeit von einer Institution für die Elitebildung

zu einer „Massenuniversität“ entwickelt. Gegenwärtig befindet es sich erneut in einem Reformprozess,

der durch die mit dem Bologna-Prozess verbundene Einführung von Bachelor- und Masterabschlüs-

sen, weitreichenden Studienreformen und einem stärkeren Wettbewerb zwischen den Hochschulen

beschrieben werden kann. Stichworte dabei sind z.B. die Steuerung der Mittelzuweisungen nach dem

Erfolg der Wissenschaftler im nationalen und internationalen Wettbewerb – gemessen an der Anzahl

der peer-reviewed Artikel und der Einwerbung von Drittmitteln.

Im langfristigen Zeitvergleich, nicht aber in allen Jahren, ist der Anteil der Personen, die in einer Ge-

burtskohorte eine Studienberechtigung erworben haben, deutlich gestiegen. Allerdings sind die Studi-

enanfängerquoten auch aufgrund der alternativen Optionen, die mit dem Abitur verbunden sind, im

internationalen Vergleich relativ niedrig. Relativ häufig sind Studienfachwechsel und Studienabbrü-

che. Inwieweit die mit dem Bologna-Prozess verbundene Einführung von Bachelor- und Masterab-

schlüssen die Transparenz und Mobilität von Studienabsolventen fördert, bleibt ebenso abzuwarten

wie die Entwicklung der Studiendauern.

Für die Deckung des Fachkräftebedarfs ist nicht nur eine Erhöhung der Anzahl der Hochschulabsol-

venten generell, sondern auch insbesondere in Mathematik, den Natur- und in den Ingenieurwissen-

schaften entscheidend. Die Zahl der Hochschulabsolventen wäre noch geringer, wenn nicht die Stu-

dierneigung der Frauen deutlich gestiegen wäre. Außerdem hat die OECD berechnet, dass in Deutsch-

land den Ingenieur- oder den Bildungswissenschaften die Anzahl der Absolventen mit Universitäts-

oder Fachhochschulabschluss in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen kleiner als der gegenwärtige

Bestand in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen ist. Damit unterscheidet sich die Entwicklung in

Deutschland von der für den Durchschnitt der OECD-Länder, in denen mehr Absolventen ausgebildet

worden sind, als es für die Bestandserhaltung erforderlich wäre.

Die Untersuchung der Kosten und Erträge des Studiums an verschiedenen Hochschularten hat gezeigt,

dass die als laufende Grundmittel gemessenen Kosten fächerspezifisch gesehen nicht eindeutig günsti-

ger für eine bestimmte Hochschulart ausfallen. Auf der Ertragsseite lassen sich aber eindeutig Vorteile

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für die Universitätsabsolventen ermitteln. Aufgrund der spezifischen Kosten- und Ertragssituation im

Fächerbereich der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften erscheint dort das Studium an

Fachhochschulen als ineffizient.

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Literatur

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Büchel, F. /Helberger, C. (1995): Bildungsnachfrage als Versicherungsstrategie. In: Mitteilungen aus

der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Jahrgang 28, Heft 1, 32-42.

Butler, N. (2007): Europe’s Universities – Time for Reform. Centre Piece 12 (2), 10-11.

Jacob, M. (2004): Hält ‚doppelt gemoppelt’ wirklich besser? IAB-Kurzbericht 16/2004.

Jacob, M. (2001): Ausmaß und Strukturen von Mehrfachausbildungen. Arbeitspapier Nr. 3 des Pro-

jekts Ausbildungs- und Berufsverläufe der Geburtskohorten 1964 und 1971 in Westdeutschland.

Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin.

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Riphahn, R./Eschelbach, M./Heineck, G./Müller, St. (2010): Kosten und Nutzen der Ausbildung an

Tertiärbildungsinstitutionen im Vergleich. Perspektiven der Wirtschaftspolitik Band 11, Heft 2,

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5. Betriebliche Berufsausbildung

In diesem Abschnitt sollen Antworten auf folgende Fragen gegeben werden:

Wie hat sich die betriebliche Berufsausbildung in Deutschland seit den 1970er Jahren entwi-

ckelt?

Wovon hängen das betriebliche Ausbildungsengagement und damit das Angebot von Ausbil-

dungsplätzen ab?

Was sind die Determinanten der betrieblichen Ausbildungsentscheidung?

Wie entwickelt sich die Übernahme von Ausbildungsabsolventen im Ausbildungsbetrieb?

Welche Erträge stehen den Kosten der betrieblichen Berufsausbildung in Deutschland gegen-

über – auch im Vergleich zur Schweiz?

Worin bestehen die Stärken und Schwächen und der Reformbedarf des deutschen Berufsaus-

bildungssystems?

5.1 Einleitung

In den letzten 10 Jahren gab es in Deutschland eine relativ große Anzahl an Jugendlichen, die sich

einer betrieblichen Berufsausbildung unterziehen wollten, aber keinen Ausbildungsplatz in einem

Ausbildungsbetrieb oder in einer (Vollzeit-)Schule gefunden haben und somit auf das Übergangssys-

tem angewiesen waren. Beim Übergangssystem handelt es sich um berufsvorbereitende Maßnahmen,

die individuelle Kompetenzen vermitteln und somit die Chancen verbessern, einen Ausbildungsplatz

zu erhalten,. In diesem Kapitel sollen die Determinanten der betrieblichen Entscheidung Ausbildungs-

plätze anzubieten empirisch analysiert werden. Dabei wird u.a. auf die Entwicklung seit den 1970er

Jahren, auf die Auswirkungen demografischer Veränderungen, auf den sektoralen Strukturwandel und

von der Betriebsgröße ausgehende Effekte eingegangen.

5.2 Die Entwicklung der betrieblichen Berufsausbildung

Im Vergleich zu anderen Teilen des deutschen Bildungssystems nimmt das duale System der Berufs-

ausbildung insofern eine Sonderrolle ein, als es im Gegensatz zur schulischen und hochschulischen

Bildung gleichzeitig Bestandteil des Beschäftigungssystems und somit abhängig von den durch das

Beschäftigungssystem gesetzten Rahmenbedingungen ist. In der Abbildung 1 sind für Westdeutsch-

land (ohne Berlin) die Jahre 1981 bis 2007 die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge nach

der bei den Industrie- und Handelskammern erhobenen Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung

dargestellt. Dabei zeigt sich zunächst bis zum Jahr 1984 ein kontinuierlicher Anstieg bis auf 689.000

neu abgeschlossene Verträge. Danach setzte ein Schrumpfungsprozess ein, dessen Tiefpunkt 1996 bei

rund 435.000 Neuverträgen lag. Nach einer moderaten Aufwärtsentwicklung zwischen 1997 und 2000

gab es dann ab 2001 erneut starke Rückgänge. In den letzten Jahren stieg dann aber die Anzahl der neu

abgeschlossenen Verträge in den alten Bundesländern auf ein Niveau, das dem von Anfang der 1990er

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Jahre entsprach. Auch im Jahr 2008 verharrte die Zahl der begonnenen Ausbildungsverhältnisse bei

502.000, sank aber in der Finanz- und Wirtschaftskrise auf 467.000.

Abbildung 1: Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge 1981 – 2007 in Westdeutschland

Quelle: Troltsch und Walden (2007)

Tiefergehende Analysen von Troltsch und Walden (2007) kommen zum Ergebnis, dass die Betriebe

über einen sehr langen Zeitraum auf Entwicklungen beim Angebot an Schulabsolventen reagiert ha-

ben. Gleichwohl kam es deshalb nicht zu einer „Vollversorgung“ der ausbildungswilligen Jugendli-

chen. Der in der Geschichte bisher erreichte höchste Stand an Ausbildungsverträgen im Jahr 1984 war

gleichzeitig auch mit einem Höchststand an unvermittelten Ausbildungsplatzbewerbern verbunden.

Der Zeitraum 1960 bis 1984 ist weiterhin durch die hohen Bestände an Auszubildenden, Beschäftigten

und Erwerbstätigen im Verarbeitenden Gewerbe gekennzeichnet. Die Gruppe der Facharbeiter und

Arbeitskräfte ohne formalen Berufsabschluss bildete eindeutig die Mehrheit der Erwerbstätigen. Ver-

gleichsweise geringe Akademikeranteile sprechen für einen niedrigen Qualifikationsbedarf der Betrie-

be.

In der Phase 1985 bis 1996 gingen die Schulabgängerzahlen zurück, was u.a. auch Altbewerbern

zugutekam, die Ausbildungsplätze besetzen konnten. Dass in diesem Zeitraum aber auch ein starkes

Beschäftigungswachstum, vor allem im Dienstleistungsbereich, zu verzeichnen war, ist als einer der

Gründe dafür anzusehen, dass es dem dualen System der Berufsausbildung im Dienstleistungsbereich

nicht gelang, eine ähnlich starke Stellung wie im Verarbeitenden Gewerbe zu erlangen.

0

100000

200000

300000

400000

500000

600000

700000

Jahr

1981

1982

1983

1984

1985

1986

1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

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Abbildung 2: Zahl Auszubildender, alte Länder inklusive Berlin (vor 1991 nur Berlin-West), 1977-2008

Quelle: BIBB (2010)

Seit 2001 sieht sich eine wachsende Anzahl von Schulabgängern einem bestenfalls gleichbleibenden

Angebot an Ausbildungsplätzen gegenüber. Die günstige konjunkturelle Entwicklung in den letzten

Jahren hat allerdings dazu geführt, dass die Anzahl der Ausbildungsplätze wieder leicht angestiegen

ist.

Für die neunziger Jahre ist auch in Ostdeutschland eine Parallelentwicklung der Ausbildung zur An-

zahl der Schulabgänger zu beobachten. Allerdings gibt es bezogen auf diese weniger Ausbildungsstel-

len in Ostdeutschland als in Westdeutschland, obwohl sich diese Relation etwas verbessert hat und am

aktuellen Rand sogar günstiger als in Westdeutschland ist. Allerdings subventioniert die öffentliche

Hand – beispielsweise im Jahr 2004 mit 110.000 bzw. 31 % - eine große Zahl von außerbetrieblichen

Ausbildungsplätzen. Darin zeigt sich der Einfluss der hohen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland.

In der Abbildung 2 ist für Westdeutschland einschließlich Berlin die Zahl der Auszubildenden im län-

gerfristigen Zeitverlauf seit 1977 dargestellt. Man sieht sehr gut, dass der Anstieg der Anzahl der Aus-

bildungsplätze bereits Mitte der 1970er Jahre begann, als die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er

Jahre Berufsausbildungsplätze nachfragten. Außerdem wird deutlich, dass die weiblichen Auszubil-

denden in der Minderheit sind.

Die Angebots-Nachfrage-Relation nach Ausbildungsplätzen ist in Abbildung 3 zu finden. Dabei wurde

nicht nur die gesetzliche Definition abgebildet, sondern ergänzend auch eine Variante, in der jene Ju-

gendliche enthalten sind, die nach zunächst gescheitertem Ausbildungszugang von der Bundesagentur

für Arbeit oder aus eigenem Antrieb in eine alternative Maßnahme vermittelt worden sind, ihren Ver-

mittlungswunsch aber aufrecht erhalten haben (sog. erweiterte Definition). Aus der Grafik ist zu ent-

nehmen, dass sich die Verringerung der Ausbildungsplatzlücke von 2006 und 2007 auch 2008 und

2009 fortsetzt. In der erweiterten Definition bleibt eine Ausbildungsplatzlücke von gut 60.000 Ausbil-

dungsplätzen bzw. 10% bestehen.

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Abbildung 3: Abgeschlossene Ausbildungsverträge, Ausbildungsstellenangebot und –nachfrage im dualen

System 1995 bis 2009

Quelle: Bildung in Deutschland 2010, S.1

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5.3 Betriebliche Lehrstellenangebote

Nach einer Betrachtung des Ausbildungsplatzangebots und der Ausbildungsplatzbewerber kann in

einem zweiten Analyseschritt auf der Ebene der Betriebe untersucht werden, wovon das betriebliche

Ausbildungsengagement abhängt. Für die Untersuchung dieser Frage eignet sich das IAB-

Betriebspanel, da es nicht nur Angaben über die betriebliche Beteiligung an der Berufsausbildung

enthält, sondern auch solche zur betrieblichen Ausbildungsberechtigung und zur Übernahme von Aus-

bildungsabsolventen im Ausbildungsbetrieb.

Tabelle 1: Zahl und Anteil der Erwerbstätigen und der Auszubildenden 2006-2010 (in %)

Gesamt 2006 2007 2008 2009 2010

Erwerbstätige 33057640 33628932 34184061 34240163 34616914

Auszubildende 1493543 1484312 1543183 1542742 1525500

Prozent Auszubildende 4,5 4,4 4,5 4,5 4,4

West Erwerbstätige 26982364 27503362 27988129 28018154 28293167

Auszubildende 1176151 1179466 1238292 1250032 1254485

Prozent Auszubildende 4,4 4,3 4,4 4,5 4,4

Ost Erwerbstätige 6075276 6125569 6195932 6222009 6323747

Auszubildende 317392 304846 304890 292710 271016

Prozent Auszubildende 5,2 5,0 4,9 4,7 4,3

Quelle: IAB-Betriebspanel 2010

Auswertungen mit den Daten für das Jahr 2006 zeigen, dass von den 33 Millionen Erwerbstätigen in

Deutschland 84 % in West- und 16 % in Ostdeutschland zu finden sind (vgl. Tabelle 1). Nicht be-

schäftigungsproportional ist die Verteilung der Auszubildenden: 80 % der Auszubildenden sind im

Westen und rund 20 % im Osten tätig. Deshalb ist das Verhältnis der Anzahl der Auszubildenden

(rund 1,5 Millionen) zur Zahl der Erwerbstätigen in Westdeutschland mit 4,4 % deutlich niedriger als

in Ostdeutschland mit 5,2 %. Die Tabelle 1 zeigt auch, dass sich der Anteil der Auszubildenden an den

Erwerbstätigen von 2006 bis 2010 in Ostdeutschland deutlich verringert hat, während er sich in West-

deutschland kaum verändert hat.

Tabelle 2: Verteilung der Auszubildenden auf die Betriebsgrößenklassen 2010 (in %)

1 bis 9 Mitarbeiter 17,0

10 bis 19 Mitarbeiter 13,3

20 bis 49 Mitarbeiter 17,0

50 bis 249 Mitarbeiter 25,6

250 bis 499 Mitarbeiter 9,3

500 und mehr Mitarbeiter 17,7

Gesamt 100,0

Quelle: IAB-Betriebspanel 2010

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In der Tabelle 2 ist die Verteilung der Auszubildenden auf die Betriebsgrößenklassen dargestellt. Es

zeigt sich, dass der Großteil der Auszubildenden dem Segment der kleinen und mittleren Betriebe

zuzuordnen ist. 17 % der Auszubildenden sind demnach in den Betrieben mit höchstens 9 Beschäftig-

ten zu finden, 30 % in den Betrieben mit 10 bis 49 Beschäftigten und mit 35 % am meisten in der

Größenklasse von 50 bis 499 Beschäftigten. Den Betrieben mit 500 und mehr Beschäftigten sind fast

18 % aller Auszubildenden zuzuordnen. Insgesamt folgt die Verteilung jedoch der Verteilung der Ge-

samtbeschäftigung in Deutschland, so dass kaum über- oder unterproportionale Ausbildungsleistungen

einzelner Betriebsgrößenklassen zu verzeichnen sind.

In der Tabelle 3 folgt ein Überblick über die Verteilung der Auszubildenden nach Wirtschaftszweigen.

Mehr als die Hälfte aller Auszubildenden sind in drei Branchen tätig: Im Bereich Handel und Repara-

tur, im Verarbeitenden Gewerbe und in den sonstigen Dienstleistungen. Die andere Hälfte der Auszu-

bildenden verteilt sich demnach auf die restlichen der hier abgebildeten 11 Branchen.

Tabelle 3: Verteilung der Auszubildenden auf einzelne Branchen 2009-2010 (in %)

2009 2010

Land- und Forstwirtschaft 1,6 1,7

Bergbau, Energie, Wasser, Abfall 1,5 1,4

Verarbeitendes Gewerbe 22,2 21,1

Baugewerbe 9,5 8,8

Handel und Kfz-Reparatur 19,2 19,8

Verkehr und Lagerei 2,5 2,5

Information und Kommunikation 1,6 1,4

Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 3,3 3,7

Unternehmensnahe Dienstleistungen 8,4 9,5

Sonstige Dienstleistungen 26,5 26,2

Öffentliche Verwaltung und Sozialversiche-rung 3,7 3,8

Gesamt 100 100 Quelle: IAB-Betriebspanel 2009,2010

Bei der vorgenommenen Deskription beziehen sich die Ergebnisse auf alle Betriebe mit mindestens

einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Dabei wurde aber nicht berücksichtigt, ob der Be-

trieb überhaupt zur Ausbildung berechtigt ist und ob er gegebenenfalls überhaupt ausbildet. Ein Be-

trieb darf in Deutschland nur dann Ausbildungsplätze anbieten, wenn er die gesetzlichen Vorausset-

zungen zur Berufsausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) bzw. der Handwerksordnung

(HwO) erfüllt – wenn er also über eine Ausbildungsberechtigung verfügt. Dazu muss der Betrieb nach

Art und Einrichtung für die Berufsausbildung geeignet sein sowie über persönlich und fachlich geeig-

netes Ausbildungspersonal verfügen (vg. §§ 27, 28 BBiG, § 21 HwO). Aus der Abbildung 4 ergibt

sich, dass etwa 35 % der Betriebe die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Die Unterschiede zwi-

schen West- und Ostdeutschland sind im Wesentlichen auf die kleinst- und kleinbetrieblich struktu-

rierte Betriebslandschaft Ostdeutschlands zurückzuführen.

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Abbildung 4: Erfüllung der sächlichen und/oder personellen Voraussetzungen für eine Ausbildung bei

Nichtausbildungsbetrieben nach verschiedenen Betriebsmerkmalen (in %)

Quelle: BIBB-Betriebsbefragung zur Gewinnung von Fachkräften 2008

In einem weiteren Schritt werden deshalb die ausbildungsberechtigten Betriebe daraufhin untersucht,

ob sie sich auch an der Ausbildung beteiligen. In Tabelle 4 wird dargestellt, dass in Westdeutschland

rund 34 % der Betriebe ausbilden. 27 % haben zwar eine Ausbildungsberechtigung, bilden aber den-

noch nicht aus. In Ostdeutschland bilden rund 24 % der Betriebe aus, während 28 % trotz Berechti-

gung nicht ausbilden. Das heißt, dass in beiden Landesteilen nur etwa jeder zweite an sich zur Ausbil-

dung berechtigte Betrieb auch ausbildet. Die Abbildung 5 zeigt weiterhin, dass es vorwiegend die

kleineren Betriebe sind, die sich nicht an der betrieblichen Berufsausbildung beteiligen.

Tabelle 4: Betriebliche Ausbildungsaktivität nach Region

Gesamt Westdeutschland Ostdeutschland

ausbildungsaktiv 32 % 34 % 24 %

ausbildungsinaktiv

trotz Berechtigung 27 % 27 % 28 %

Keine Ausbildungs-

berechtigung 41 % 39 % 48 %

Quelle: IAB-Betriebspanel 2010

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Abbildung 5: Betriebliche Ausbildungsbeteiligung nach Betriebsgröße 2010 (in %)

Quelle: IAB-Betriebspanel 2010

Der große Anteil ausbildungsberechtigter, aber nicht ausbildender Betriebe könnte den Schluss nahe

legen, dass die Aktivierung dieser Betriebe zu einer Erhöhung des Ausbildungsplatzangebots beitragen

könnte. Sie stellen – zumindest auf den ersten Blick – das Potenzial zur Gewinnung zusätzlicher Aus-

bildungsplätze dar. Würde nur die Hälfte dieser Betriebe auch nur einen Ausbildungsplatz schaffen,

entspräche das ca. 250.000 zusätzlichen Ausbildungsstellen. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen,

dass sich die Ausbildungsbeteiligung auf der betrieblichen Ebene ganz anders darstellen kann als auf

der gesamtwirtschaftlichen. Für die Beurteilung des Ausbildungspotenzials ist es daher hilfreich, ne-

ben der durchschnittlichen jährlichen Ausbildungsbeteiligung auch das Ausbildungsverhalten der aus-

bildungsberechtigten Betriebe auf der betriebsindividuellen Ebene im Zeitverlauf zu betrachten (Fi-

scher et al. 2007). So kann ermittelt werden, wie sich das – zumindest rein rechnerisch erschließbare –

Ausbildungspotenzial zusammensetzt, und es kann differenzierter über mögliche Maßnahmen zur

Erhöhung des Ausbildungsplatzangebotes diskutiert werden. Im Folgenden werden daher alle Betriebe

betrachtet, die in den Jahren 2001 bis 2007, also einem Zeitraum von insgesamt sieben Jahren, ausbil-

dungsberechtigt waren. Diese Betriebe lassen sich in drei Gruppen einteilen:

Ausbildungsaktive: Betriebe, die jedes Jahr im Zeitraum 2001-2007 ausgebildet haben;

Ausbildungsunterbrecher: Betriebe, die im Zeitraum 2001 und 2007 nicht in jedem Jahr

ausgebildet haben;

Ausbildungspassive: Betriebe, die im gesamten Beobachtungszeitraum nicht ausgebildet ha-

ben.

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Tabelle 5:

Quelle: IAB-Betriebspanel 2001-2007

Im Ergebnis zeigt sich für den beobachteten Zeitraum folgendes Bild: 42 Prozent der Betriebe mit

Ausbildungsberechtigung haben von 2001 bis 2007 kontinuierlich ausgebildet, 36 Prozent der ausbil-

dungsberechtigten Betriebe haben mit Unterbrechung ausgebildet und nur ca. ein Fünftel hat sich zu

keinem Zeitpunkt an der Ausbildung beteiligt, war also ausbildungspassiv (vgl. Tabelle 5 und Abbil-

dung 6).

Bei den ausbildungspassiven Betrieben handelt es sich fast ausschließend um Kleinst- und Kleinbe-

triebe mit im Durchschnitt acht Beschäftigten. Für diese Betriebe ist es schwieriger, die personellen,

technischen und finanziellen Lasten für ein ständiges Engagement in der Berufsausbildung zu tragen.

Gleichzeitig tritt bei vielen kleineren Betrieben nur in größeren Abständen ein Bedarf an Nachwuchs-

kräften auf (Fischer et al. 2007, Frei und Janik 2008). Wie Tabelle 5 zeigt, bilden Mittel- und Großbe-

triebe hingegen nahezu permanent aus. Bemerkenswert ist, dass dies auch für 29 Prozent aller ausbil-

dungsberechtigten Kleinstbetriebe gilt. Trotz der vergleichsweise eingeschränkten Möglichkeiten be-

teiligen sich somit auch zahlreiche Kleinstbetriebe kontinuierlich an der Ausbildung von jungen Frau-

en und Männern. Auch zwischen den Branchen zeigen sich bei der Betrachtung im Zeitverlauf deutli-

che Unterschiede. Während im Produzierenden Gewerbe der Anteil der kontinuierlich ausbildenden

Betriebe über und der Anteil nie ausbildender Betriebe unter dem Bundesdurchschnitt liegt, ist dies im

Dienstleistungsbereich genau umgekehrt (vgl. Tabelle 5).

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Abbildung 6: Ausbildungsaktivität und Betriebsgröße von Betrieben mit Ausbildungsberechti-

gung im Zeitraum 2001 bis 2007

Um die Gründe für den Ausbildungsverzicht der Betrieb etwas zu erhellen, können wir auf weitere

Angaben der BIBB-Betriebsbefragung aus dem Jahr 2008 zurückgreifen. Aus Tabelle 6 ergibt sich als

bedeutsamster Grund, dass die mit der Ausbildung verbundenen Kosten bzw. der Zeitaufwand für die

Betriebe zu hoch ist. Ebenfalls häufig findet sich – im Osten sogar am häufigsten – der Hinweis, dass

man aus Zeitmangel nicht ausbilde. Die übrigen Nennungen fallen deutlich geringer aus. Hervorzuhe-

ben ist an dieser Stelle noch, dass der in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierte Punkt der Eignung

der Bewerber erst an fünfter Stelle bei der Anzahl der Nennungen angegeben wird.

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Tabelle 6: Gründe der Nichtausbildungsbetriebe für den Verzicht auf Ausbildung nach Region (in %)

Insgesamt West Ost

Zu hohe Ausbil-

dungskosten

49 47 55

Fehlende Zeit 48 45 58

Zu viele Vorschrif-

ten

42 44 34

Azubis zu selten im

Betrieb

40 41 36

Keine qualifizierten

Bewerber/-innen

38 39 37

Betrieb zu speziali-

siert

36 36 37

Zu geringer Nutzen

der Ausbildung

36 37 32

Deckung des Fach-

kräftebedarfs durch

Weiterbildung

35 31 48

Kein Fachkräftebe-

darf

33 29 46

Azubis verlassen zu

oft Betrieb

32 32 34

Günstigere Personal-

suche auf Arbeits-

markt

26 23 36

Schlechte Erfahrun-

gen mit Azubis

16 17 13

Quelle: BIBB-Betriebsbefragung zur Gewinnung von Fachkräften 2008

5.4 Bestimmungsgründe der betrieblichen Ausbildungsentscheidung

Im Abschnitt über die Humankapitaltheorie und auch in der vorangegangenen Deskription des betrieb-

lichen Lehrstellenangebots wurden bereits einige Bestimmungsgründe der betrieblichen Ausbildungs-

entscheidung identifiziert. Dabei wird es im Weiteren notwendig sein, die Entscheidung eines potenzi-

ellen Ausbildungsbetriebs als zweistufigen Entscheidungsprozess zu betrachten, wenn auch in der

Realität beide Entscheidungen nicht unabhängig voneinander getroffen werden. Demnach entscheidet

ein Betrieb erstens grundsätzlich, ob er sich in der betrieblichen Berufsausbildung engagiert und Aus-

bildungsplätze regelmäßig oder auch mit Unterbrechungen anbietet. Zweitens ist über den Umfang der

Ausbildung, d.h. über die Anzahl der angebotenen Ausbildungsplätze, zu entscheiden.

Diese beiden Entscheidungen der Betriebe hat Niederalt (2004) in einer empirischen Studie mit den

Daten des IAB-Betriebspanels untersucht. Für die Analyse der Ausbildungsbeteiligung wird zunächst

ein Probit-Modell betrachtet, bei dem die abhängige Indikatorvariable den Wert Eins annimmt, wenn

ein Betrieb ausbildet, und den Wert Null, wenn er dies nicht tut. Auf der zweiten Stufe wird dann im

Rahmen eines trunkierten Regressionsmodells die Ausbildungsintensität, also der Anteil der Auszu-

bildenden an der Gesamtzahl der Beschäftigten, analysiert (vgl. Tabellen 7 und 8).

Die Ergebnisse der Studie von Niederalt (2004) sowie die weiterer Untersuchungen (Neubäumer/

Bellmann 1999, Hartung/Schöngen 2007) zeigen, dass die Ausbildungsbeteiligung mit der Betriebs-

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größe zunimmt. Wie die Abbildung 5 zeigt, steigt mit wachsender Beschäftigtenzahl der Anteil der

Betriebe, die zur Berufsausbildung berechtigt sind. Deshalb sind größere Betriebe eher in der Lage,

auszubilden. Großbetriebe haben zudem seltener die Abwanderung der ausgebildeten Fachkräfte zu

befürchten, da sie wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und durch ein ausgeprägtes betriebsinternes Seg-

ment attraktive Aufstiegsmöglichkeiten wie auch weitere Vorteile für die Berufsausbildung (vielfältige

Einsatzmöglichkeiten) bieten können. In den trunkierten Regressionsschätzungen für die Bestim-

mungsgründe der Ausbildungsintensität, dessen Ergebnisse in der Tabelle 8 dargestellt sind, ist der

Einfluss der Betriebsgröße dagegen negativ, d.h. größere Ausbildungsbetriebe bilden unterproportio-

nal aus und stellen oftmals in kleineren und mittleren Betrieben ausgebildete Fachkräfte ein.

Tabelle 7: Bestimmungsgründe der Ausbildungsbeteiligung im Jahr 2000

(Probit-Schätzungen; abhängige Variable: Ausbildungsbetrieb ja – nein)

Erklärungsvariablen West Ost

Betriebsgröße (Referenz: 1-9 Mitarbeiter) 10-19 Mitarbeiter 20-49 Mitarbeiter 50-99 Mitarbeiter 100-199 Mitarbeiter 200-499 Mitarbeiter 500 und mehr Mitarbeiter

0,738 (12,62)** 1,150 (19,99)** 1,597 (22,68)** 1,972 (22,06)** 2,141 (25,59)** 2,769 (23,43)**

0,946 (13.03)** 1,395 (16,97)** 1,912 (17,93)** 2,132 (13,79)** 2,417 (15,67)** 2,676 (11,13)**

Neugründung -0,134 (1,16) -0,082 (0,99)

Erwartete Beschäftigungsentwicklung (Dummies, Referenz: gleich bleibend) steigend fallend nicht vorhersehbar

-0,132 (2,92)** 0,011 (0,22)

-0,192 (2,42)*

-0,114 (1,52) 0,059 (0,85) -0,111 (0,98)

Erwarteter Weiterbildungs- und Qualifizierungsbedarf 0,340 (5,21)** 0,230 (2,65)**

Qualifizierte Mitarbeiter 0,749 (8,99)** 0,736 (7,40)**

Investitionssumme je Beschäftigten -8 E-7 (1,93) 1 E-7 (0,33)

Technischer Stand der Anlagen (5stufiger Index mit 5= neuester Stand)

0,095 (3,14)** 0,114 (3,73)**

Einstellungen von ungelernten Arbeitskräften -0,530 (1,75) -0,247 (0,53)

Einstellungen von Fachkräften -0,194 (0,83) -0,497 (2,82)**

Einstellungen von hoch qualifizierten Fachkräften -2,769 (2,80)** 0,448 (0,77)

Erwarteter Fachkräftemangel 0,145 (3,92)** 0,047 (0,85)

Arbeitslosenquote im Kreis des Betriebes 0,013 (2,14)* 0,001 (0,13)

Befristet Beschäftigte -0,469 (2,20)* -0,586 (3,03)**

Arbeitnehmerkündigungen 0,048 (0,18) 0,498 (1,63)

Gemeindetypzugehörigkeit (9 Dummies, Referenz: Gemeinde mit über 500.000 Ein-wohnern, Kerngebiet)

+**

+*

Tarifbindung 0,377 (7,41)** 0,188 (3,56)**

Betriebsrat -0,217 (3,66)** -0,244(3,10)**

Selbständiger Betrieb 0,237 (3,87)** 0,420 (5,95)**

Einzelunternehmen/ Personengesellschaft 0,270 (5,99)** 0,254 (3,70)**

Betrieb in ausländischem Eigentum -0,273 (3,71)** 0,065 (0,38)

Branchenzugehörigkeit (10 Dummies, Referenz: Land- und Forstwirtschaft)

Ja**

Ja**

Konstante -2,511 (10,97)** -2,959 (12,73)**

Zahl der Fälle n Chi² (45) Pseudo R²

5365 1988,53**

0,2873

3541 1929,91**

0,2636

Quelle: IAB-Betriebspanel 2000 (Berechnungen von Niederalt 2004)

Bei ostdeutschen, nicht aber bei westdeutschen Betrieben zeigt sich ein signifikant positiver Zusam-

menhang zwischen dem betrieblichen Weiterbildungs- und Qualifizierungsbedarf einerseits und der

betrieblichen Ausbildungsintensität andererseits. Betriebe, deren Anlagen dem neuesten technischen

Stand entsprechen, sind signifikant häufiger Ausbildungsbetriebe. In Ostdeutschland zeigt sich, dass

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Betriebe mit einer hohen Investitionssumme weniger intensiv ausbilden als andere Betriebe. Ist der

Anteil der qualifizierten Mitarbeiter hoch, gilt dies auch für die Ausbildungsintensität.

Die Einstellung von Fachkräften erfolgt in Ostdeutschland seltener in Ausbildungsbetrieben, dassel-

be gilt in Westdeutschland für die Einstellung hoch qualifizierter Fachkräfte. Während aber in

Ostdeutschland die Ausbildungsintensität positiv mit der Einstellung von Fachkräften korreliert ist,

findet Niederalt (2004) einen negativen Zusammenhang von Ausbildungsintensität und Einstellungen

hoch qualifizierter Fachkräfte in Westdeutschland. Die Einstellung von hochqualifizierten Fachkräften

steht also in westdeutschen Betrieben sowohl mit ihrer Ausbildungsbeteiligung als auch mit ihrer

Ausbildungsintensität in einem signifikant negativen Zusammenhang.

Tabelle 8: Bestimmungsgründe der Ausbildungsintensität in Ausbildungsbetrieben

(trunkierte Regression; abhängige Variable: Anteil der Auszubildenden an den Beschäftigten)

Erklärungsvariablen West Ost

Betriebsgröße (Referenz: 1-9 Mitarbeiter) 10-19 Mitarbeiter 20-49 Mitarbeiter 50-99 Mitarbeiter 100-199 Mitarbeiter 200-499 Mitarbeiter 500 und mehr Mitarbeiter

-0,099 (3,78)** -0,144 (6,35)** -0,190 (6,70)** -0,241 (6,93)** -0,290 (7,71)** -0,338 (7,97)**

-0,114 (4,21)** -0,190 (6,28)** -0,233 (6,67)** -0,272 (5,66)** -0,244 (5,61)** -0,348 (2,92)**

Ausbildungssubventionen 0,045 (2,14)* 0,128 (4,74)**

Erwartete Beschäftigungsentwicklung (Dummies, Referenz: gleich bleibend) steigend fallend nicht vorhersehbar

-0,019 (1,50) .0,019 (1,20) 0,013 (0,61)

0,010 (0,30) 0,045 (2,08)* -0,027 (1,03)

Erwarteter Weiterbildungs- und Qualifizierungsbedarf 0,002 (0,16) 0,104 (2,97)**

Qualifizierte Mitarbeiter 0,133 (3,26)** 0,149 (3,46)**

Investitionssumme je Beschäftigten -2 E-7 (1,01) -4 E-7 (2,09)**

Technischer Stand der Anlagen (5-stufiger Index mit 5=‘neuester Stand‘)

-4 E-4 (0,04) -0,007 (0,62)

Einstellungen von ungelernten Arbeitskräften -0,192 (0,99) 0,049 (0,44)

Einstellungen von Fachkräften 0,077 (1,22) 0,115 (2,18)*

Einstellungen von hoch qualifizierten Fachkräften -0,966 (2,26)* 1,770 (1,73)

Erwarteter Fachkräftemangel -0,004 (0,37) -0,046 (2,10)*

Arbeitslosenquote im Kreis des Betriebes 3 E-4 (0,15) 0,001 (0,54)

Befristet Beschäftigte 0,062 (0,76) 0,193 (3,10)**

Arbeitnehmerkündigungen -0,064 (3,21)** -0,104 (4,11)**

Gemeindetypzugehörigkeit (9 Dummies, Referenz: Gemeinde mit über 500.000 Ein-wohnern, Kerngebiet)

Ja Ja

Tarifbindung 0,017 (1,48) -0,010 (0,52)

Betriebsrat -0,062 (2,43)* -0,087 (2,41)*

Selbständiger Betrieb -0,020 (0,99) -0,001 (0,02)

Einzelunternehmen/ Personengesellschaft 3 E-4 (0,02) 0,046 (2,00)*

Betrieb in ausländischem Eigentum -0,078 (1,98)* -0,066 (1,06)

Branchenzugehörigkeit (10 Dummies, Referenz: Land- und Forstwirtschaft)

Ja** Ja**

Konstante 0,301 (3,05)** -0,029 (0,29)

Zahl der Fälle n Chi² (45)

1879 311,57**

1008 446,53**

Quelle: IAB-Betriebspanel 2000 (Berechnungen von Niederalt 2004)

Insofern gibt es zumindest in Westdeutschland Hinweise auf die Gültigkeit der Substitutionsthese,

dass die Einstellung von Akademikern eine Alternative zur Eigenausbildung darstellt. Eine weitere

Erklärung besteht darin, dass in bestimmten Betrieben hohe fachliche Anforderungen an die Mitarbei-

ter gestellt werden, die sich nicht im Rahmen der betrieblichen Berufsausbildung vermitteln lassen.

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Bereits angesprochen wurden die wirtschaftszweigspezifischen Einflüsse auf die Ausbildungsbeteili-

gung. Hierfür verantwortlich sind u.a. die bei der Ausbildung entstehenden Kosten wie z.B. Ausbil-

dungsvergütungen, die Betriebsspezifität der Ausbildungsinhalte oder auch die Bewerbersituation um

Ausbildungsplätze.

Da Auszubildende befristet beschäftigt sind und somit nach Abschluss ihrer Ausbildung sofort oder

nach einem auf der Ebene von Tarifverträgen vereinbarten Übernahmezeitraum von in der Regel sechs

Monaten entlassen werden können, entstehen bei einer Beteiligung an der Ausbildung Flexibilitätser-

träge. Beschäftigte mit einem befristeten Arbeitsverhältnis stellen eine Alternative zu Auszubil-

denden dar, denn auch sie können bei einem Rückgang der betrieblichen Arbeitsnachfrage freigesetzt

werden. Daraus ergibt sich die Hypothese eines negativen Zusammenhangs zwischen dem Anteil an

befristet Beschäftigten einerseits und der Ausbildungsbeteiligung und –intensität andererseits. Die

negativ signifikanten Schätzergebnisse im Probit-Modell sowohl für West- als auch für Ostdeutsch-

land bestätigen diese Hypothese. Dagegen stehen die Ergebnisse im trunkierten Regressionsmodell

zumindest in Ostdeutschland nicht im Einklang mit der Hypothese einer Konkurrenzbeziehung zwi-

schen Auszubildenden und befristet Beschäftigten, weil beide Beschäftigungsformen in besonderer

Weise die betriebliche Flexibilität erhöhen.

Als weitere Variable können die Merkmale Übernahme von Ausbildungsabsolventen in Ausbil-

dungsbetrieben (aber auch nur in solchen), die so genannte Verbleibsquote, und Arbeitnehmer-

kündigungen in die Regressionsmodelle einbezogen werden. Es lässt sich argumentieren, dass die

Erträge aus generellen und betriebsspezifischen Humankapitalinvestitionen bei einer kürzeren

Verbleibsdauer im Betrieb geringer ausfallen. In West- und Ostdeutschland deutet ein negativer und

hochsignifikanter Zusammenhang zwischen Arbeitnehmerkündigungen und der Ausbildungsintensität

im trunkierten Regressionsmodell darauf hin, dass die Betriebe, die mit der Abwanderung von selbst

ausgebildeten Fachkräften verbundenen geringeren Erträge von Bildungsinvestitionen bei ihrer Aus-

bildungsentscheidung berücksichtigen.

Die Entwicklung der betrieblichen Gesamtbeschäftigung steht ebenfalls im Zusammenhang mit der

betrieblichen Ausbildungsbeteiligung, weil davon der Bedarf an Fachkräften abhängt. Insofern ist das

empirische Ergebnis überraschend, dass Betriebe mit steigenden Beschäftigungserwartungen seltener

Ausbildungsbetriebe sind. Unter Umständen sehen diese Betriebe die Möglichkeit, ihren erwarteten

Mitarbeiterbedarf extern zu rekrutieren. Ein direkter Indikator für die mangelnde Verfügbarkeit von

Fachkräften stellt die Variable „erwarteter Fachkräftemangel“ dar. Betriebe, die für die Zukunft

Probleme erwarten, benötigte Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen, müssen daher eher auf

eigene Ausbildungsmaßnahmen zurückgreifen, um ihren Bedarf zu decken. Weiterhin kann die Ver-

fügbarkeit von Fachkräften am externen Arbeitsmarkt über die Variable „Arbeitslosenquote im

Kreis“ abgebildet werden. Während ein erwarteter Fachkräftemangel und eine hohe Arbeitslosenquote

auf der Kreisebene nur für Westdeutschland die betriebliche Ausbildungsbeteiligung signifikant erhö-

hen, lässt sich ein derartiger Einfluss für die betriebliche Ausbildungsintensität nicht ermitteln – für

Ostdeutschland besteht sogar ein negativ signifikanter Einfluss des erwarteten Fachkräftemangels.

Die betriebliche Umsatzentwicklung und Ertragslage üben einen direkten und indirekten Einfluss

auf die betriebliche Gesamtbeschäftigung aus. Ein länger anhaltender Rückgang des Geschäftsvolu-

mens und eine unbefriedigende Ertragslage sind mit einem Rückgang der Ausbildungsaktivitäten ver-

bunden. Gleichwohl können öffentliche Zuschüsse die Ausbildungsentscheidung positiv beeinflussen,

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da die Ausbildungskosten sinken. Die Betriebe, die Ausbildungssubventionen erhalten, bilden nach

den Ergebnissen von Niederalt (2004) intensiver aus als Betriebe ohne Subventionen, wobei der Zu-

sammenhang in Ostdeutschland deutlich stärker ausfällt als in Westdeutschland.

In den Tarifverträgen sind häufig Regelungen zur Ausbildungstätigkeit der Betriebe festgeschrieben.

Deshalb wäre eine größere Ausbildungsbeteiligung in tarifgebundenen Betrieben als in anderen Be-

trieben zu erwarten. In der Tabelle 7 wird diese Erwartung bestätigt, nicht aber in der Tabelle 8 für die

Ausbildungsintensität. Die These, dass die tariflich festgelegte Übernahme von Ausbildungsabsolven-

ten die betriebliche Ausbildungsbeteiligung reduziert, kann somit nicht bestätigt werden, allerdings

kommt es im Zusammenhang damit zu einer niedrigeren Ausbildungsintensität. Dagegen führt die

Existenz von Betriebs- oder Personalräten eher zu einer Reduktion der Ausbildungsbeteiligung. Der

hier im Vordergrund stehende Bestandsschutz der Stammbelegschaft könnte durch die Bereitstellung

von selbst ausgebildeten Fachkräften mit betriebsinternem Wissen bedroht werden. Sowohl die Ergeb-

nisse des Probit- als auch die des Tobit-Modells stehen im Einklang mit dieser Hypothese.

Außerdem wird durch Dummyvariablen in den Regressionsmodellen berücksichtigt, dass bei selb-

ständigen Betrieben, Einzelunternehmen und Personengesellschaften vor allem in ländlichen

Regionen inländische Betriebe stärker in der Berufsausbildung engagiert sind, weil bei ihnen Repu-

tationsüberlegungen zu vermuten sind. Im Modell für die Determinanten der Ausbildungsbeteiligung

der Betriebe werden diese Überlegungen bestätigt, während die entsprechenden Variablen im Modell

für die Determinanten der Ausbildungsintensität der Betriebe mit der Ausnahme einer Dummy-

Variablen für die Einzelunternehmen/Personengesellschaften in Ostdeutschland nicht signifikant sind.

Oftmals verzichten, wie bereits erwähnt, ausbildungsberechtigte Betriebe auf eine betriebliche Berufs-

ausbildung, weil sie keine Möglichkeit der Übernahme von Ausbildungsabsolventen im eigenen Be-

trieb sehen. Die Übernahmequote des IAB-Betriebspanels gibt an, wie viele der Auszubildenden nach

Abschluss ihrer Ausbildung einen Arbeitsplatz in ihrem Ausbildungsbetrieb erhalten.

Die Übernahmequote liegt nach den Angaben des IAB-Betriebspanels im Jahr 2007 bei 59 %. Damit

bewegt sich die Quote wieder aus dem zwischenzeitlichen Tief der Jahre 2004 und 2005 heraus. Ver-

gleicht man die Angaben, die für die neuen Länder ermittelt wurden, mit denen für die alten Länder,

wird deutlich, dass die Übernahmequote in den neuen Ländern wesentlich geringer ausfällt, was nicht

zuletzt auf den hohen Anteil an außerbetrieblicher Ausbildung zurückzuführen ist. Die Differenz zwi-

schen alten und neuen Ländern ist in keinem Jahr kleiner als 13 Prozentpunkte, in 2003, 2005 und

2008 lag der Unterschied jeweils sogar bei 18 Prozentpunkten.

Tabelle 9 gibt die Ergebnisse der Übernahmequote für die Betriebsgrößen wieder. Dabei lässt sich in

jedem Jahr beobachten, dass die Übernahmequote positiv mit der Betriebsgröße korreliert. Der Ver-

gleich zwischen alten und neuen Ländern offenbart jedoch einen erheblichen Unterschied zwischen

den zwei Landesteilen. Dabei wird deutlich, dass die positive Korrelation von Übernahmequote und

Betriebsgröße auf die alten Länder zurückzuführen ist, in den neuen Ländern hingegen ist dieser Zu-

sammenhang nicht zu finden. Hier sind es eher die mittleren Betriebsgrößenklassen, die durch höhere

Übernahmeaktivitäten gekennzeichnet sind. Die Übernahmequote kann allerdings nicht das gesamte

Geschehen an der zweiten Schwelle darstellen, weil Absolventen und Absolventinnen einer Ausbil-

dung auch einen Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb oder Unternehmen erhalten können.

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Tabelle 9: Übernahmequote nach Betriebsgröße, West- und Ostdeutschland 2000-2008 (in %)

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

D-West 1-9 Besch. 46 44 47 49 39 47 44 49 50

10-49 Besch. 60 51 51 54 52 50 56 56 60

50-499 Besch. 65 66 62 57 59 57 57 68 69

500+ Besch. 72 77 72 69 66 68 73 74 76

Gesamt 60 59 57 57 54 55 57 62 64

D-Ost 1-9 Besch. 49 41 40 30 37 32 44 44 35

10-49 Besch. 49 46 50 44 49 49 47 53 51

50-499 Besch. 41 44 42 39 41 34 42 44 51

500+ Besch. 48 36 44 37 33 30 46 46 41

Gesamt 46 43 44 39 41 37 44 47 46

Bundesgebiet 1-9 Besch. 46 44 45 47 39 45 44 48 47

10-49 Besch. 57 50 51 52 51 50 54 56 58

50-499 Besch. 60 61 58 54 55 52 54 62 65

500+ Besch. 69 70 68 64 61 62 68 69 76

Gesamt 58 56 55 53 52 52 55 59 61 Quelle: IAB-Betriebspanel

5.5 Kosten und Erträge der betrieblichen Berufsausbildung

Aus ökonomischer Sicht ist für die betriebliche Ausbildungsbereitschaft die Rentabilität der Ausbil-

dung entscheidend. Das BiBB hat im Jahre 2000 bei einer Gruppe von 2500 repräsentativ ausgewähl-

ten Ausbildungsbetrieben den Nutzen und die Kosten der Ausbildung in insgesamt 52 Ausbildungsbe-

trieben erhoben (Beicht und Walden 2002). Es werden beim Nutzen der Ausbildung

der Nutzen durch die produktiven Leistungen der Auszubildenden

der Nutzen durch die Ausgebildeten

der Nutzen, den Betriebe durch ihre Ausbildungsbeteiligung ganz allgemein erzielen,

unterschieden (Abbildung 7).

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Abbildung 7: Nutzen der Ausbildung

Quelle: Schönfeld et al 2010, 39

Ähnlich wie der Nutzen lassen sich auch die Kosten der Ausbildung in verschiedene Komponenten

zerlegen. Die 18 Kostenarten sind nach vier Hauptkategorien unterteilt (Abbildung 8):

Personalkosten der Auszubildenden

Personalkosten für die Ausbilder

Anlage- und Sachkosten

sonstige Kosten (z.B. Prüfungsgebühren, Lehr-/Lernmittel)

Abbildung 8: Kostenarten der betrieblichen Berufsausbildung

Quelle: Walden / Beicht 2002, 39 und Schönfeld et al. 2010, 34.

In der Abbildung 9a sind die Bruttokosten, Ausbildungserträge und Nettokosten der beruflichen Be-

rufsausbildung für Deutschland sowie nach West- und Ostdeutschland getrennt dargestellt. Die Abbil-

dung enthält zudem eine Differenzierung nach fünf Ausbildungsbereichen.

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- 74 -

Abb. 9a: Bruttokosten, Erträge und Nettokosten (Vollkosten) der betrieblichen Berufsausbil-

dung 2007 insgesamt, in West- und Ostdeutschland sowie nach Ausbildungsbereichen

Durchschnittliche Beträge pro Auszubildenden und Jahr in Euro

3596 38802557

46072513

962 268

7234

1169212269

9576

12133

10820

11138 12691

10063

0

2000

4000

6000

8000

10000

12000

14000

16000

18000

20000

Insg

esam

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West

Ost

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und

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el

Hand

wer

k

Land

wirt

scha

ft

Freie B

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Öffe

ntlic

her D

iens

t

Erträge

Nettokosten

1528816149

12133

16740

13333

1210012959

17297

Quelle: BiBB-Kosten- und Nutzenerhebung 2007

Abb. 9b: Bruttokosten, Erträge und Nettokosten (Vollkosten) der betrieblichen Berufsausbil-

dung 2007 nach Betriebsgrößen

Durchschnittliche Beträge pro Auszubildenden und Jahr in Euro

2468 2969 2799

7165

1073211019

12615

11870

0

2000

4000

6000

8000

10000

12000

14000

16000

18000

20000

1-9 Beschäftigte 10-49 Beschäftigte 50-499 Beschäftigte 500 und mehr

Beschäftigte

Erträge

Nettokosten

1320013988

15414

13200

Quelle: BiBB-Kosten- und Nutzenerhebung 2007

Danach haben im Jahr 2007 in Deutschland die Bruttokosten der betrieblichen Berufsausbildung

durchschnittlich 15.288 Euro pro Auszubildenden pro Jahr betragen. Davon entfallen ca. 61 Prozent

auf die Personalkosten der Auszubildenden. Berücksichtigt man die Ausbildungserträge von durch-

schnittlich 11.692 Euro, dann ergeben sich Nettokosten von 3.596 Euro. Auf der Basis der so genann-

19035

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ten Teilkostenrechnung, bei der ausschließlich die durch die Ausbildung verursachten zusätzlichen

Kosten berücksichtigt werden, ergibt sich ein deutlich niedrigerer Bruttobetrag von 9.490 Euro. Bei

der Teilkostenrechnung bleiben die Kosten für das nebenberuflich mit Ausbildungsaufgaben betraute

Personal unberücksichtigt. Ein Drittel der Unternehmen gibt an, dass die Kosten-Nutzen-Bilanz posi-

tiv ausfällt: Die Ausbildungserträge übersteigen die Ausbildungskosten.

Eine repräsentative Untersuchung in der Schweiz zeigt, dass die Kosten der dualen Berufsausbildung

etwa 15 Prozent höher liegen als in Deutschland. Allerdings liegt der Nutzen um 150 Prozent über

dem Nutzen einer deutschen dualen Berufsausbildung. Insgesamt führt dies dazu, dass in der Schweiz

der Ausbildungsnutzen deutlich die Ausbildungskosten übersteigt. Nur für ein Drittel der Unterneh-

men entstehen Nettokosten (Abbildung 10).

Einschränkend ist bei beiden Studien zu erwähnen, dass die Erfassung des Nutzens der betrieblichen

Berufsausbildung ausschließlich über die direkten Erträge der Ausbildung erfolgt. Die Kompensation

nicht planbarer Personalausfälle, die erhöhte Anpassungsfähigkeit der Belegschaft an das betriebliche

Tätigkeitsspektrum und der Reputationsgewinn durch Ausbildung, die auch bei den multivariaten

Analysen zur Ausbildungsbeteiligung angesprochen worden sind, sind ebenso zu nennen. Hinzu

kommt die Rekrutierungsfunktion, wenn Ausbildung als verlängerte Probezeit dient oder eine Bindung

an den Ausbildungsbetrieb entsteht.

Abbildung 10: Kosten und Erträge der Berufsausbildung in Deutschland und in der Schweiz

16929

15499

17017 16599 16613

19389

5472

16382

7697

18382

10955

21918

11499

-883

9320

-1427

5657

-2529

-5000

0

5000

10000

15000

20000

25000

1. Jahr DE 1. Jahr CH 2. Jahr DE 2. Jahr CH 3. Jahr DE 3. Jahr CH

Bruttokosten

Ausbildungserträge

Nettokosten

Quelle: Wolter/Mühlemann/Schweri 2003, 7; Beicht/Walden/Herget 2004, 76; Reformwerkstatt

NRW, Programm zur Zukunft der beruflichen Bildung, Düsseldorf 2007, 28

5.6 Reformbedarf der betrieblichen Berufsausbildung

In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist nach wie vor das System der dualen Berufsausbildung,

also die Verbindung von betrieblichen und schulischen Ausbildungsabschnitten, dominierend. Dabei

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ist die Bereitschaft der Betriebe, Ausbildungsplätze bereitzustellen, in erster Linie von deren Bedarf an

Fachkräften bestimmt, doch sind zusätzlich betriebsstrukturelle Merkmale wie die Qualifikationsstruk-

tur, die verwendete Produktionstechnik oder das Vorhandensein einer Ausbildungstradition zu berück-

sichtigen.

Nimmt man an, dass mit modernen Produktionstechniken auch der Bedarf an qualifizierten Mitarbei-

tern zunimmt, erscheint es zudem konsequent anzunehmen, dass diese Betriebe stark in der berufli-

chen Ausbildung engagiert sind. Geht mit den modernen Produktionstechniken aber ein ständiger

Wandel der Produktionstechniken einher, und/ oder sind die Betriebe in sehr innovativen Bereichen

tätig, ist die Verwertung der in der Ausbildung erworbenen Qualifikation fraglich. So kritisiert

Heidenreich (1998), dass die industriegesellschaftliche Prägung der Berufsausbildung eine fortschritt-

liche Anpassung an veränderte Anforderungen verhindert, weil

die weitgehend standardisierte Berufsausbildung den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen

der Jugendlichen und sich ändernden Ausbildungsanforderungen immer weniger gerecht wür-

de,

die klassischen funktionalen Qualifikationen den Umgang mit neuen Organisations- und

Koordinierungsformen erschweren, und

das Berufsausbildungssystem seine Monopolstellung bei der Ausbildung für die mittleren be-

trieblichen Positionen verliert, da immer mehr berufsfachliche mit schulischen Ausbildungs-

formen konkurrieren.

Bellmann/Janik (2007) zeigen mit multivariaten Analysen, dass Unternehmen im Dienstleistungsbe-

reich die Rekrutierung von bereits ausgebildeten Fachkräften der eigenen Ausbildung tendenziell vor-

ziehen, wenn die Personalfluktuation im Betrieb bzw. der Anteil der qualifizierten Beschäftigten ver-

gleichsweise hoch sind. Dienstleistungsbetriebe, deren Belegschaft zu mehr als zwei Drittel aus quali-

fizierten Mitarbeitern besteht, bevorzugen also die Rekrutierung von Fachkräften gegenüber der eige-

nen Ausbildung. Hingegen präferieren Betriebe mit einem Qualifiziertenanteil von weniger als zwei

Dritteln die betriebliche Ausbildung.

Ferner sind situative Faktoren zu berücksichtigen. Insbesondere die demografische Entwicklung sowie

der Konjunkturverlauf bzw. der einzelbetriebliche Geschäftsverlauf und damit verbundene kurz- und

mittelfristig wirkende Anpassungsprozesse erweisen sich hier als zentral (vgl. Dietrich/Gerner 2007).

Öffentlich finanzierte, außerbetrieblich organisierte Berufsausbildung ist bislang nur bedingt in der

Lage, dem nicht versorgten Bestand an Ausbildungsplatzbewerbern Angebote zu unterbreiten. Interes-

sant sind Überlegungen, die duale Ausbildung etwa durch eine stärkere Modularisierung oder eine

Kombination von Berufsausbildung und Hochschulstudium zu reformieren.

Stehen auf dem externen Arbeitsmarkt nicht genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, können diese

auch im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen selbst „produziert“ werden. Dabei kann Weiterbil-

dung zum einen als präventive Strategie zur Versorgung mit dem benötigten Humankapital eingesetzt

werden, zum anderen aber auch als Reaktion auf einen bereits bestehenden Bedarf. An dieser Stelle

kann auf den Abschnitt zur betrieblichen Weiterbildung verwiesen werden.

Besonders soll aber die Verzahnung von betrieblicher Aus- und Weiterbildung betont werden. Moder-

ne Berufsbildungskonzepte sehen eine Beschränkung der Berufsausbildung auf bestimmte Kernberei-

che und Wahlmöglichkeiten der Auszubildenden vor, die durch gezielte Weiterbildungsangebote er-

gänzt werden können. Durch die öffentliche Förderung der beruflichen Weiterbildung sollen die Be-

schäftigungschancen von Arbeitslosen und durch Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten insbeson-

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dere Gruppen, die ansonsten eine unterproportionale Weiterbildungsbeteiligung zeigen, verbessert

werden. Als Fördervarianten sind (a) Maßnahmen zur Qualifikationserweiterung für Arbeitnehmer, die

bereits einen Berufsabschluss besitzen, (b) berufliche Weiterbildungen mit einem Abschluss in einem

anerkannten Ausbildungsberuf und (c) Maßnahmen in Übungseinrichtungen zu unterscheiden. Wäh-

rend die kürzeren Maßnahmen eher einer Anpassung von bereits bestehenden individuellen Kenntnis-

sen an die aktuellen Anforderungen von Arbeitsplätzen dienen, könnten insbesondere längere Maß-

nahmen mit einem Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf bei gezieltem Einsatz einem

Fachkräftemangel entgegen wirken.

Mit den Daten des IAB-Betriebspanels 2005 lässt sich zeigen, dass vor allem ostdeutsche Betriebe

dann auf Weiterbildung setzen, wenn sie bei der Stellenbesetzung Kompromisse hinsichtlich der Qua-

lifikation der eingestellten Arbeitskräfte eingehen mussten.

In vielen Ländern hat sich mittlerweile die berufliche Erstausbildung und die Weiterbildung als dritte

Säule des Bildungssystems – neben und zwischen Schule und Hochschule – etabliert. Während die

Berufsvorbereitung noch zur Sekundarstufe I zu zählen ist, gehören die duale Berufsausbildung, die

Ausbildung in Berufsfachschulen, Berufsoberschulen und beruflichen Gymnasien zur Sekundarstufe

II. Der Bereich der beruflichen Weiterbildung besteht aus der Aufstiegsfortbildung, der formalisierten

Weiterbildung in Fachschulen und Hochschulen, der traditionellen Weiterbildung sowie den von der

Bundesagentur für Arbeit geförderten Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen (Abbildung 11).

Nach dem Konzept des lebensbegleitenden Lernens sollte in seiner speziellen Form die berufliche

Weiterbildung so weit wie möglich mit dem Lernen in Arbeitsprozessen verknüpft werden. Für die

Erhöhung der Durchlässigkeit und Transparenz im Bildungssystem ist ein nationaler Qualifikations-

rahmen erforderlich, der auf dem Konzept der Berufsfähigkeit basiert und verschiedene Qualifikati-

onsniveaus unterscheidet, die ihre Entsprechung im Europäischen Qualifikationsrahmen besitzen (vgl.

Reformwerkstatt NRW, Programm zur Zukunft der beruflichen Bildung, Düsseldorf 2007).

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Abb. 11: Die Struktur des beruflichen Bildungssystems

Quelle: Reformwerkstatt NRW, Programm zur Zukunft der beruflichen Bildung, Düsseldorf 2007, 12

Die Zukunft des dualen Systems der Berufsausbildung wird seit längerem von allen gesellschaftlichen

Gruppen diskutiert (Dietrich und Severing 2007). Neben der Verbesserung der Durchlässigkeit und

Transparenz des Systems der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung insgesamt sind die fol-

genden Diskussionspunkte am wichtigsten: Erstens erhält seit Mitte der 1990er Jahre eine große An-

zahl von Jugendlichen überhaupt keine Lehrstelle oder keine im „Wunschberuf“ oder kann erst nach

dem Durchlaufen einer Warteschleife in eine Berufsausbildung eintreten. Besonders betroffen sind

Jugendliche mit Hauptschulabschluss. Zweitens wird die unzureichende Anpassungsfähigkeit der dua-

len Berufsausbildung an die Bedingungen einer hochentwickelten Dienstleistungs- und Wissensgesell-

schaft kritisiert. Die traditionelle Verankerung der dualen Ausbildung im Verarbeitenden Gewerbe und

in den Produktionsberufen könne den veränderten Qualifikationsanforderungen einer zunehmend

wissensbasierten und technologieintensiven Arbeitswelt nicht mehr in ausreichendem Maße entspre-

chen. Die Betriebe würden daher stärker als bislang Hochschulabsolventen rekrutieren. Der Wettbe-

werb der Bildungsgänge verschärft sich also. Drittens kommen als quasi „natürliche“ Strukturschwä-

chen der dualen Berufsausbildung ihre deutliche Konjunktur- und Demografieanfälligkeit hinzu, die

aus der Sonderrolle der dualen Berufsausbildung als Bestandteil sowohl des Bildungs- als auch des

Beschäftigungssystems und der daraus erwachsenden Abhängigkeiten von den Rahmenbedingungen

beider Systeme resultieren. Viertens werden in jüngerer Zeit die grundsätzlichen Fragen der Struktu-

rierung und Zertifizierung der dualen Berufsausbildung diskutiert. Die Einführung zweijähriger Aus-

bildungsgänge und dualer Studiengänge oder Vorschläge zur Modularisierung der Berufsausbildung

werden in diesem Zusammenhang erörtert. Dagegen stehen fünftens Fragen der Aktualität einzelner

Ausbildungsgänge und der Zeit- und Ressourcenaufwand für die Neugestaltung konkreter Berufsbilder

weniger im Mittelpunkt der Diskussion.

Berufliche Weiterbildung (lebensbegleitend)

Aufstiegsfort- bildung (BBIG)

Fachschule dual/schulisch

Fachhochschule Berufsakademie

Universität

Tertiärer

Bereich

Duale Berufsausbildung mit optio-

naler Fachhochschulreife (Berufsschule/Fachoberschule)

Berufsoberschu-le/FOS

Berufsfachschule

(2 Jahre)

Berufliche Gymnasien

Sek. II

Sek. I

Duale Berufsvorbereitung

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5.7 Zusammenfassung

Das duale System der Berufsausbildung, also die Verbindung von betrieblicher und schulischer Be-

rufsausbildung, nimmt gerade deshalb als Bestandteil sowohl des Beschäftigungs- und des Bildungs-

systems eine Sonderrolle ein, die sich vor allem in einem stark schwankenden Angebot an betriebli-

chen Ausbildungsplätzen niederschlägt. In diesem Zusammenhang können auch weitere Probleme des

Systems der betrieblichen Berufsausbildung wie z.B. seine Durchlässigkeit und Transparenz, die Ent-

wicklung von Warteschleifen sowie die mangelnde Anpassungsfähigkeit an die Bedingungen einer

hochentwickelten Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft genannt werden.

Als wichtigste Determinanten des betrieblichen Ausbildungsengagements sind neben der Zugehörig-

keit zu bestimmten Betriebsgrößen und Wirtschaftszweigen der Standort des Ausbildungsbetriebs,

seine Personal- und Qualifikationsstruktur sowie der Bedarf an Fachkräften zu nennen. Wichtig ist in

diesem Zusammenhang auch die Differenzierung nach Betrieben mit und ohne Ausbildungsberechti-

gung und solchen, die kontinuierlich, gelegentlich oder niemals ausbildungsaktiv sind.

Die vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) 2009 vorgenommene Gegenüberstellung von Kos-

ten und Erträgen der betrieblichen Berufsausbildung zeigt, dass neben den Kosten für die Auszubil-

denden, den Personalkosten der Ausbilder, den Anlage- und Sachkosten und den sonstigen Kosten

auch beträchtliche Erträge anfallen. Dabei sind wiederum deutliche Unterschiede für die Wirtschafts-

bereiche, Betriebsgrößen sowie West- und Ostdeutschland festzustellen. Oftmals amortisiert sich eine

betriebliche Berufsausbildung erst nach ihrem Abschluss. Mit den Daten des IAB-Betriebspanels lässt

sich die Übernahme von Ausbildungsabsolventen in ihrem Ausbildungsbetrieb untersuchen.

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6. Berufliche Weiterbildung

In diesem Abschnitt werden Antworten auf folgende Fragen gegeben:

Welche Arten der Weiterbildung lassen sich unterscheiden und wie kann der Bedeu-

tungszuwachs der Weiterbildung erklärt werden?

Wie haben sich Angebot und Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung entwickelt

und was sind die Bestimmungsgründe der betrieblichen Weiterbildungsentscheidung?

Wie stellt sich die Weiterbildungsbeteiligung aus Sicht der Individuen dar und welche

Faktoren nehmen Einfluss auf die individuelle Entscheidung, an Weiterbildungsmaß-

nahmen zu partizipieren?

Wie gestaltet sich die Finanzierung der Weiterbildung und welche Finanzierungsar-

rangements lassen sich unterscheiden?

6.1 Einleitung

Im Anschluss an die Erstausbildung nehmen Individuen oftmals an beruflichen Weiterbil-

dungsaktivitäten teil. Gerade vor dem Hintergrund technischer und organisatorischer Ände-

rungen wird diesen eine zunehmende Bedeutung beigemessen. Auch wenn das Niveau der

beruflichen Weiterbildung in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen ist, gibt es nach wie

vor einige Bereiche, die nicht oder nur unterdurchschnittlich an Weiterbildung teilnehmen.

Dazu gehören auf der Ebene der Betriebe vor allem kleine und mittlere Betriebe, auf Ebene

der Personen neben den Geringqualifizierten insbesondere Ältere und Personen mit Migrati-

onshintergrund.

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der beruflichen Weiterbildung aus Sicht der Unter-

nehmen und der Betriebe. Zunächst wird der Begriff der Weiterbildung definiert und auf die

Faktoren eingegangen, die zu einem Bedeutungszuwachs der Weiterbildung führen. An-

schließend werden ausgewählte empirische Befunde der betrieblichen und der individuellen

Weiterbildungsforschung präsentiert. Abschließend gehen wir auf die Finanzierung der beruf-

lichen Weiterbildung ein.

6.2 Grundlagen der Weiterbildung

In diesem Abschnitt definieren wir den Begriff der Weiterbildung und unterscheiden zwischen ver-

schiedenen Arten der Weiterbildung. Weiterhin gehen wir auf die Faktoren ein, die zu einer Bedeu-

tungszunahme der Weiterbildung führen.

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6.2.1 Arten der Weiterbildung

Der Begriff der Weiterbildung wird in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion nicht ein-

heitlich definiert. Einigkeit besteht jedoch darin, dass es sich bei der Weiterbildung um die Fortset-

zung oder Wiederaufnahme von Lernprozessen nach Abschluss der Erstausbildung handelt (vgl. zur

grundlegenden Weiterbildungsdefinition, die heute noch oft verwendet wird, Deutscher Bildungsrat

1970).

Darüber hinaus kann der Begriff der Weiterbildung anhand verschiedener Kriterien abgegrenzt wer-

den:

Anhand des Lerninhalts lässt sich zwischen der allgemeinen und der beruflichen Weiterbildung un-

terschieden.

Die berufliche Weiterbildung dient dem Ziel, die beruflichen Kenntnisse zu aktualisieren, zu vertiefen

oder zu ergänzen. Sie kann weiter untergliedert werden in die Umschulung, die Aufstiegsfortbildung

und die Anpassungsweiterbildung:

Unter einer Umschulung ist das Erlernen eines neuen Berufs oder einer neuen Qualifikation zu

verstehen, das in der Regel mit einem anerkannten Abschluss beendet wird.

Aufstiegsfortbildungen dienen der beruflichen Entwicklung durch Erweiterungen von Qualifi-

kationen (z.B. Meister).

Anpassungsfortbildungen schließlich zielen auf den Erhalt und die Aktualisierung der Qualifi-

kationen an neue Anforderungen im Beruf ab.

Die allgemeine Weiterbildung dient im Unterschied dazu der generellen Persönlichkeitsbildung und

umfasst solche Lernprozesse, die nicht primär berufsbezogen sind. Was genau unter der allgemeinen

Weiterbildung zu verstehen ist, lässt sich am besten beschreiben, wenn die hierunter fallenden Berei-

che betrachtet werden. Im Berichtssystem Weiterbildung (BSW) etwa werden die folgenden Themen-

gebiete zur allgemeinen Weiterbildung gezählt: Fragen der Gesundheit und der gesundheitsgerechten

Lebensführung, Versicherungs-, Renten-, Steuer- und andere Rechtsfragen, Haushaltsführung, Kinder-

erziehung, persönliche/familiäre Probleme, Sprachkenntnisse, praktische Kenntnisse, Wissen über

Naturwissenschaften und Technik, Kenntnisse für aktive Freizeitgestaltung, Wissen auf Gebieten wie

Kunst, Literatur, Religion, Geschichte oder Länderkunde, Umweltschutz, Ökologie, Kenntnisse für die

Ausübung von Sportarten, Rechte und Pflichten des Staatsbürgers, Wissen über Politik, multikulturelle

Fragen, Astrologie/esoterische Fragen, Computer/EDV/Internet sowie sonstige Themenbereiche.

Bereits an dieser Auflistung wird deutlich, dass sich allgemeine und berufliche Weiterbildungsmaß-

nahmen in der Praxis nicht immer klar voneinander abgrenzen lassen. So sind etwa Sprachkenntnisse

oder der Umgang mit Computer und Internet in der Arbeitswelt von großer Bedeutung und können

somit nicht nur der allgemeinen, sondern auch der beruflichen Weiterbildung zugeordnet werden.

Gegenstand der folgenden Ausführungen ist ausschließlich die berufliche Weiterbildung.

Nach der Art des Lernens können die formelle und die informelle Weiterbildung unterschieden wer-

den. Manche Autoren führen eine zusätzliche Lernart ein, die sie als non-formelle Weiterbildung be-

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zeichnen. Die in der Literatur vorfindbaren Definitionen für diese zwei bzw. drei Lernformen sind

nicht einheitlich. Wir unterscheiden nur die formelle und die informelle Weiterbildung und verwenden

hierfür folgende Begriffsbestimmungen (vgl. auch Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung

und Forschungsförderung 2004):

Formelle Weiterbildung wird als Lernen verstanden, das im Rahmen organisierter Aktivitäten von

betrieblichen und außerbetrieblichen Weiterbildungsträgern stattfindet. Formelle Weiterbildung ist in

Bezug auf die Lernziele, die Lernmittel und die Lernzeit strukturiert, findet in einer vorgeschriebenen

Lernumgebung statt und zeichnet sich durch die Anwesenheit eines Lehrers oder Trainers aus. In der

Regel führt die Teilnahme an einer formellen Weiterbildungsmaßnahme zu einer Zertifizierung. Zu

dieser Weiterbildungsform zählen insbesondere Kurse, Lehrgänge und Seminare.

Informelle Weiterbildung dagegen findet nicht in einer Bildungsinstitution, sondern außerhalb organi-

sierter Aktivitäten – oftmals im Prozess der Arbeit statt. Gleichwohl kann auch informelle Weiterbil-

dung mit einer organisierten Lernunterstützung wie z.B. einer Medieninfrastruktur verbunden sein.

Nach Erpenbeck (2003) ist informelle Weiterbildung in Tätigkeiten eingebettet, „die nicht explizit als

Lernen bezeichnet werden, jedoch ein ausgeprägtes Lernelement enthalten.“ Im Gegensatz zur formel-

len Weiterbildung ist die informelle Weiterbildung damit nicht ausschließlich auf das Lernen ausge-

richtet, sondern das Lernen kann hier auch ein Nebeneffekt sein. Informelle Weiterbildung führt in der

Regel nicht zu einer Zertifizierung. Beispiele für informelle Weiterbildung sind Qualitätszirkel, Ar-

beitsgruppen, Job-Rotation, der berufsbezogene Besuch von Fachmessen/Kongressen, aber auch die

Einarbeitung/Unterweisung am Arbeitsplatz, das Lernen durch Beobachten und Ausprobieren am Ar-

beitsplatz sowie das selbstorganisierte Lernen wie das Lesen von Fachliteratur oder die Nutzung von

Selbstlernprogrammen oder Lernangeboten im Internet.

Nach der (hauptsächlichen) Finanzierung der Weiterbildung werden die betriebliche, die individu-

elle sowie die durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) geförderte Weiterbildung voneinander unter-

schieden (vgl. hierzu auch die Ausführungen im Abschnitt „Finanzierung der Weiterbildung“).

Bei der betrieblichen Weiterbildung werden die Lernaktivitäten ganz oder teilweise durch den Betrieb

bzw. das Unternehmen finanziert. Die Finanzierung durch den Arbeitgeber kann sich dabei auf die

direkten Weiterbildungskosten und/oder die indirekten Weiterbildungskosten beziehen. Während die

direkten Weiterbildungskosten die Kosten für die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen externer

Träger und/oder die Bereitstellung eigener Weiterbildungsmaßnahmen umfassen, fallen unter die indi-

rekten Kosten die Kosten für die entgangene Arbeitszeit während der Beteiligung an einer Weiterbil-

dungsmaßnahme. Der Betrieb kann die Weiterbildungskosten vollständig alleine tragen; es kann aber

auch zu einer Beteiligung der Arbeitnehmer kommen – indem die Weiterbildungsmaßnahmen ganz

oder teilweise während der Freizeit stattfinden (in diesem Fall liegt eine Beteiligung an den indirekten

Weiterbildungskosten vor) oder die Arbeitnehmer zumindest einen Teil der Kosten für Lehrgänge

tragen (Beteiligung an den direkten Kosten). Darüber hinaus können Rückzahlungsklauseln vereinbart

werden, die den Arbeitnehmer zur Erstattung der vom Betrieb übernommenen Weiterbildungskosten

für den Fall vorsehen, dass er den Arbeitgeber vor Ablauf einer bestimmten Frist verlässt (und dieser

somit von dem Nutzen der Weiterbildung nicht voll profitieren kann).

Die individuelle Weiterbildung dagegen wird in der Regel durch Eigenmittel der Privatpersonen fi-

nanziert, wobei es auch hier zu einer Kostenbeteiligung durch die Betriebe kommen kann. Auch hier

fallen neben direkten Kosten, die für Kursgebühren oder den Kauf von Lernmaterial aufgewendet

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werden, indirekte Kosten in Form des Freizeitverlusts an. Für bestimmte Bereiche gibt es Möglichkei-

ten der finanziellen Förderung (z.B. im Rahmen des sog. Meister-BAföG) oder der bezahlten Freistel-

lung von der Arbeit für Weiterbildung durch Bildungsurlaubsgesetze.

Die Finanzierung von Weiterbildungsmaßnahmen durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) wird im

Sozialgesetzbuch III (SGB III) geregelt, das 1998 aus dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) heraus

entstanden ist. Im SGB III wurde die bis dahin bestehende Differenzierung zwischen Fortbildung und

Umschulung zugunsten des einheitlichen Begriffs der Weiterbildung aufgegeben. Gefördert werden

insbesondere Weiterbildungsmaßnahmen, um bei Arbeitslosigkeit eine Wiedereingliederung zu errei-

chen, eine drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder um einen fehlenden Berufsabschluss nachzuho-

len. Auf Basis des SGB III können dabei unter anderem die Kosten für die Weiterbildungsmaßnah-

men, Fahrtkosten, Unterbringungs- und gegebenenfalls Betreuungskosten übernommen werden.

Eng verwandt mit dem Kriterium der Finanzierung der Weiterbildung ist das der Trägerschaft. Es

können folgende Träger der Weiterbildung unterschieden werden:

Betriebliche Weiterbildungsträger

Öffentlich-rechtliche Träger betrieblicher Weiterbildung: Industrie- und Handelskammern,

Handwerks- und Landwirtschaftskammern, Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien

Öffentliche Träger: Hochschulen, Fachhochschulen und Fachschulen

Partikular organisierte Träger: gewerkschaftsnah bzw. wirtschaftsnah

Private, kommerzielle und gewerbliche Träger

Einrichtungen des Fernunterrichts als Orte der besonderen Lernform.

Die Frage nach der Trägerschaft wird oftmals verwendet, um Weiterbildungsaktivitäten den drei Seg-

menten der betrieblichen, individuellen und öffentlichen Weiterbildung zuzuordnen. Dies erscheint

jedoch weniger trennscharf als der Aspekt der Finanzierung der Weiterbildung, da z.B. Betriebe ihre

Belegschaft bei Bildungsträgern außerbetrieblich weiterbilden lassen können, oder Betriebe im Auf-

trag der und finanziert durch die Bundesagentur für Arbeit Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitslose

bzw. von Arbeitslosigkeit Bedrohte durchführen (vgl. z.B. Behringer 1999).

Nach der Verwertbarkeit des vermittelten Wissens schließlich können Weiterbildungsaktivitäten,

die der Bildung von allgemeinem Humankapital dienen, von solchen abgegrenzt werden, die spezifi-

sches Humankapital vermitteln. Grundlage hierfür ist der humankapitaltheoretische Ansatz von Becker

(1964, vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2). Während allgemeines Humankapital die Produkti-

vität der Weiterbildungsteilnehmer sowohl innerhalb als auch außerhalb des bestehenden Beschäfti-

gungsverhältnisses erhöht und damit nicht nur im aktuellen Betrieb, sondern auch bei anderen Arbeit-

gebern einsetzbar ist, führt die Bildung von spezifischem Humankapital nur im aktuellen Betrieb zu

einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität und kann bei einem Arbeitsplatzwechsel nicht produktiv ver-

wertet werden. Beispiele für die Bildung von allgemeinem Humankapital sind etwa Sprach- oder

Computerkurse; Beispiele für die Bildung von spezifischem Humankapital ein Einarbeitungskurs in

rein firmenspezifische Produktionsprozesse oder das Erlernen eines betriebsspezifischen EDV-

Programms (vgl. Rürup/Kohlmeier 2007).

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6.2.2 Zum Bedeutungsgewinn der Weiterbildung

In der jüngeren Zeit wird von einer wachsenden Bedeutung der beruflichen Weiterbildung im Ver-

gleich zur Erstausbildung ausgegangen. Diese wird mit technischen und organisatorischen Änderun-

gen, der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft sowie der demografischen Entwicklung

begründet (vgl. etwa Schiersmann 2007 oder Expertenkommision 2002t):

Der technische Fortschritt macht eine permanente Anpassung der Qualifikationen erforderlich. Die

Einführung neuer Produkte und Produktionsprozesse verkürzt die Halbwertszeit des Wissens. Die

Qualifikationen der Beschäftigten müssen den Neuerungen angepasst werden, der Einzelne muss die

Handhabung des Neuen erlernen und selbst zur Entwicklung von Neuerungen beitragen. Insbesondere

durch die zunehmende Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien sind die

Arbeitsprozesse oft abstrakter und komplexer geworden, und die Ablauf- und Entscheidungsprozesse

haben sich beschleunigt. Diese Entwicklungen haben Einfluss auf die erforderlichen Fähig- und Fer-

tigkeiten und Kompetenzen. Neben dem Vermitteln von fachlichen Kenntnissen wie dem Erlernen des

Umgangs mit neuen Maschinen oder Prozessen stehen dabei auch zunehmend Kompetenzen wie Prob-

lemlösefähigkeit, Kreativität sowie die Bereitschaft, die eigene Wissensbasis ständig zu erweitern, im

Mittelpunkt.

Mit technischen Neuerungen gehen oftmals organisatorische Änderungen einher. Stark arbeitsteilige

und hierarchische Organisationsformen verlieren gegenüber Dezentralisierung, Selbstorganisation und

vernetzter Kooperation an Bedeutung. Neue Arbeits- und Organisationsformen sind häufig verbunden

mit flacheren Hierarchieebenen und einer Verlagerung von Kompetenzen; es werden selbst organisier-

te Einheiten (z.B. Profit-Center), neue Kooperationsformen wie Gruppenarbeit und neue Steuerungs-

formen eingeführt. Dies alles führt zu einer stärkeren Wissensbasierung der Arbeitstätigkeiten sowie

zu einem Bedeutungszuwachs bestimmter Kompetenzen wie der Fähigkeit zur Selbstorganisation, der

Kommunikationsfähigkeit oder dem Reflexionsvermögen.

In einer internationalisierten Wirtschaft hat ein rohstoffarmes Land wie Deutschland komparative

Vorteile bei der Erstellung wissensbasierter Produkte und Dienstleistungen, so dass einem hohen Qua-

lifikationsniveau der Beschäftigten eine herausragende Bedeutung zukommt. Neben dem weltweiten

Austausch von Waren beinhaltet das Phänomen der Globalisierung zunehmend auch weltweit verteilte

Wertschöpfungsketten, die mit prozessgebundenen Kooperationen zwischen Beschäftigten aller Ebe-

nen in verschiedenen Ländern einhergehen. Dies erfordert die Kompetenz zu internationaler Koopera-

tion, Sprachkenntnisse, Mobilitätsfähigkeit sowie das Verständnis fremder Kulturen.

Schließlich wird auch im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung von einer Bedeu-

tungszunahme der Weiterbildung ausgegangen. Die steigende Lebenserwartung und sinkende Gebur-

tenzahlen führen nicht nur zu einem Rückgang, sondern auch einer Alterung der deutschen Bevölke-

rung. Diese Entwicklungen haben Konsequenzen für das soziale Sicherungssystem, aber auch für die

Arbeitswelt und den Arbeitsmarkt. So werden die (längere) Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und

damit auch der Erhalt und Ausbau ihrer Leistungspotenziale zu einem immer wichtigeren Thema.

Dass die Weiterbildung dabei eine wichtige Rolle spielt, ist nach vorherrschender Auffassung unum-

stritten. Dabei besteht Einigkeit darin, dass Weiterbildung nur langfristig greifen kann: So wird für ein

kontinuierliches Lernen über den gesamten Erwerbsprozess hinweg plädiert, da kaum erwartet werden

kann, dass eventuell auftretende Qualifizierungsdefizite älterer Arbeitnehmer durch Qualifizierungsak-

tivitäten, die erst im Alter beginnen, ausgeglichen werden können.

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Die dargestellten Entwicklungen haben auch Konsequenzen für die Art der Weiterbildung. Von den

im vorangegangenen Abschnitt unterschiedenen Formen der Weiterbildung wird insbesondere von

einem Bedeutungszuwachs der informellen Weiterbildung ausgegangen. Gerade im Kontext sich

verändernder Arbeitsstrukturen komme es nicht mehr nur auf fachliche Kenntnisse an, sondern auch

auf Sozial- und Methodenkompetenzen wie die Fähigkeit zur Selbstorganisation oder Reflexion, die

besser durch informelle Weiterbildung vermittelt werden können. Staudt/Kriegesmann (1999) etwa

argumentieren, dass formelle Weiterbildung in innovativen Feldern „chronisch verspätet“ komme und

ein „Lernen auf Vorrat“ hier nicht mehr greife.

Darüber hinaus wird argumentiert, dass die Zugangsbarrieren bei der informellen Weiterbildung weni-

ger gering sind als bei der formellen Weiterbildung. Dies hat damit zu tun, dass das Lernen bei der

informellen Weiterbildung nicht zwangsläufig im Mittelpunkt steht, sondern quasi auch ein Nebenef-

fekt des Arbeitsprozesses sein kann. Die Entscheidung für oder gegen die Beteiligung an einer Weiter-

bildungsaktivität ist hier also weniger offensichtlich. Dies kann zur Folge haben, dass bislang bei der

Weiterbildung unterrepräsentierte Gruppen wie Geringqualifizierte, aber auch Ältere, in verstärktem

Maße an informellen Lernprozessen teilhaben, und die bestehenden Unterschiede in der Weiterbil-

dungsbeteiligung somit verringert werden.

6.3 Weiterbildung aus Sicht der Betriebe

Betrachtet man die vorliegende empirische Weiterbildungsforschung, so lassen sich zunächst solche

Arbeiten ausmachen, die sich mit dem Weiterbildungsverhalten der Betriebe beschäftigen und die

Betriebs- bzw. Unternehmenserhebungen mit Weiterbildungsinformationen als Datengrundlage ver-

wenden. Diese Arbeiten gehen verschiedenen Fragestellungen nach und befassen sich etwa mit dem

Umfang und der Entwicklung des betrieblichen Weiterbildungsengagements, den Determinanten der

betrieblichen Weiterbildungsentscheidung oder den Auswirkungen der Weiterbildung auf den Unter-

nehmenserfolg. Darüber hinaus sind Studien zu finden, die spezielle Aspekte der betrieblichen Wei-

terbildung untersuchen und z.B. die Weiterbildung in verschiedenen „Betriebstypen“ (KMU vs. Groß-

betriebe, Betriebe mit Betriebsrat vs. Betriebe ohne Betriebsrat) analysieren oder die Ursachen und

Auswirkungen verschiedener Finanzierungsarrangements der Weiterbildung betrachten.

Im Folgenden werden einige ausgewählte Forschungsarbeiten aus dem Bereich der betrieblichen

Weiterbildungsforschung präsentiert, wobei zunächst deskriptive Befunde zu den Weiterbildungsakti-

vitäten vorgestellt und anschließend die Determinanten der betrieblichen Weiterbildungsentscheidung

betrachtet werden.

6.3.1 Angebot und Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung

Informationen zu dem Umfang und den Strukturen der betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten lassen

sich aus verschiedenen Unternehmens- bzw. Betriebsbefragungen zur Weiterbildung gewinnen. Dabei

handelt es sich insbesondere um das IAB-Betriebspanel, die europäische Weiterbildungserhebung

CVTS (Continuing Vocational Training Survey) sowie die Weiterbildungserhebung des Instituts der

deutschen Wirtschaft (IW). Diese Erhebungen unterscheiden sich voneinander im Hinblick auf Befra-

gungszeitraum, Befragungseinheiten, Befragungsmethodik und den verwendeten Weiterbildungsbe-

griff. Dies hat zur Folge, dass auch ihre Ergebnisse – vor allem was das Niveau der Weiterbildungsbe-

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teiligung betrifft – voneinander abweichen. Nichtsdestotrotz lassen sich zwischen den Erhebungen

übereinstimmende Befunde ausmachen, was die Strukturen der betrieblichen Weiterbildungsaktivitä-

ten anbelangt. Dies gilt etwa im Hinblick auf die zeitliche Entwicklung des betrieblichen Weiterbil-

dungsengagements oder das Angebot bzw. die Beteiligung von Betrieben verschiedener Größenklas-

sen und Branchen. Im Folgenden werden einige ausgewählte Ergebnisse zum betrieblichen Weiterbil-

dungsengagement dargestellt, wobei vor allem auf Ergebnisse des IAB-Betriebspanels zurückgegriffen

wird.

Nach dieser Datenbasis haben im 1. Halbjahr 2009 insgesamt 45% der Betriebe Weiterbildungsmaß-

nahmen gefördert, indem sie die Kosten hierfür zumindest teilweise übernommen und/ oder Beschäf-

tigte zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen freigestellt haben. In der zeitlichen Entwicklung

(seit 1997) ist festzustellen, dass der Anteil der weiterbildenden Betriebe angestiegen ist, in den letzten

Jahren aber weitgehend stagniert. Im Krisenjahr 2009 ist das Angebot an Weiterbildung im Vergleich

zu den Vorjahren zurückgegangen (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Angebot an betrieblicher Weiterbildung 1997-2009

Quelle: IAB-Betriebspanel

Anmerkung: Im Jahr 2001 unterschied sich die Art der Abfrage beim Thema Weiterbildung, so dass die Ergeb-

nisse nicht direkt vergleichbar sind. Aus diesem Grund wurde dieser Beobachtungszeitpunkt nicht mit in die

Zeitreihe aufgenommen.

Differenziert nach Größenklassen zeigt sich, dass das Weiterbildungsangebot mit der Betriebsgröße

deutlich ansteigt. Während von den Großbetrieben fast alle Weiterbildung fördern, sind es von den

Kleinstbetrieben mit bis zu neun Beschäftigten nur 37%. Ebenso ergeben sich Unterschiede im

Weiterbildungsangebot von Betrieben verschiedener Branchen. Als besonders weiterbildungsaktiv

erweisen sich die Betriebe der Bereiche Öffentliche Verwaltung/ Sozialversicherung, Kredit- und Ver-

sicherungswesen, Gesundheits- und Sozialwesen und Bergbau/ Energie/ Wasserversorgung (vgl. Ta-

belle 1).

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Tabelle 1: Angebot an betrieblicher Weiterbildung im 1. Halbjahr 2007 nach Größenklassen

und Branchen

West Ost gesamt

1 bis 9 36 41 37

10 bis 49 62 67 63

50 bis 249 85 85 85

250 bis 499 95 96 95

500 u.m. 95 97 95

Land- u. Forstwirtschaft 33 36 33

Bergbau/Energie/Wasserversorgung 68 76 70

Verbrauchsgüter 24 33 26

Grundstoffverarbeitung 48 44 47

Investitionsgüter 49 54 50

Baugewerbe 32 36 33

Handel 42 46 43

Verkehr/Nachrichtenübermittlung 33 37 34

Kredit/Versicherung 70 63 68

unternehmensbezogene Dienste 50 53 50

sonstige Dienste 36 38 37

Gesundheits- und Sozialwesen 69 77 71

Org. ohne Erwerbszweck 42 51 44

Gebietskörpersch./Sozialversicherung 78 73 77

Insgesamt 45 48 45

Quelle: IAB-Betriebspanel 2007

Im Hinblick auf die Verbreitung einzelner Weiterbildungsformen zeigen die Ergebnisse des IAB-

Betriebspanels 2007, dass externe Weiterbildungskurse am häufigsten eingesetzt werden, gefolgt von

der Weiterbildung am Arbeitsplatz, der Teilnahme an Vorträgen, sowie internen Weiterbildungsfor-

men (vgl. Abb. 2). Die relativ große Bedeutung formeller Weiterbildungsarten (also interner und ex-

terner Kurse) im IAB-Betriebspanel kann jedoch auch mit der in dieser Erhebung verwendeten Frage-

stellung bzw. Filterführung zu tun haben, die den Fokus auf organisierten Lernformen hat. Andere

Erhebungen wie CVTS oder die Weiterbildungserhebung des IW dagegen ermitteln eine im Vergleich

dazu größere Bedeutung arbeitsintegrierter, informeller Lernformen.

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Abb. 2: Verbreitung verschiedener Weiterbildungsformen

3

4

5

10

21

24

24

39

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45

Arbeitsplatzwechsel

Qualitätszirkel

sosntige Weiterbildung

selbstgesteuertes Lernen

interne Kurse

Weiterbildung am Arbeitsplatz

Teilnahme an Vorträgen

externe Kurse

Quelle: IAB-Betriebspanel 2007

Neben dem Angebot an Weiterbildung ist der Umfang der Beteiligung der Mitarbeiter hieran ein wei-

terer Indikator für das betriebliche Weiterbildungsengagement. Betrachtet man die Partizipation an

Weiterbildungsmaßnahmen, so lassen sich zwei verschiedene Arten von Teilnahmequoten berechnen.

Interessiert man sich vorwiegend für die Reichweite der Weiterbildung, so können die Weiterbil-

dungsteilnehmer auf die Beschäftigten aller Betriebe bezogen werden, und zwar unabhängig davon, ob

diese überhaupt Weiterbildung anbieten oder nicht. Fragt man dagegen nach der Intensität der Weiter-

bildung, so erscheint es sinnvoll, nur die Beschäftigten der weiterbildenden Betriebe als Bezugsgröße

zu verwenden.

Bezieht man die Weiterbildungsteilnehmer auf alle Beschäftigten (betrachtet man also die Reichweite

der Weiterbildung), so lag die so berechnete Teilnahmequote im 1. Halbjahr 2007 nach den Ergebnis-

sen des IAB-Betriebspanels bei 22 %. Gut jeder fünfte Beschäftigte hat demnach im Untersuchungs-

zeitraum also an Weiterbildungsaktivitäten teilgenommen. Dabei lag die Weiterbildungsbeteiligung im

Osten über der im Westen. Stellen hingegen die Beschäftigten der Weiterbildungsbetriebe die Bezugs-

größe dar, so liegt die Teilnahmequote bei 29 %. Auch die so berechnete Weiterbildungsbeteiligung

liegt in den neuen Bundesländern über der in den alten Bundesländern. In Ostdeutschland ist also nicht

nur ein höherer Anteil an weiterbildungsaktiven Betrieben zu finden; diese beziehen auch einen größe-

ren Belegschaftsanteil in die Weiterbildung ein.

Für die Weiterbildungsbeteiligung innerhalb einzelner Betriebsgrößenklassen ist festzustellen, dass die

Reichweite der Weiterbildung sich zwischen den einzelnen Klassen nicht stark unterscheidet. Anders

hingegen sieht es aus, wenn die Intensität der Weiterbildung betrachtet wird: So ist der Anteil der

Weiterbildungsteilnehmer in den weiterbildungsaktiven Kleinbetrieben größer als der entsprechende

Anteil in den weiterbildenden Großbetrieben (vgl. Tabelle 2). Aus diesem Befund lässt sich folgern,

dass kleinere Betriebe – sofern sie weiterbilden – vergleichsweise engagiert in der Qualifizierung ihrer

Mitarbeiter sind.

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Tabelle 2: Weiterbildungsintensität und –reichweite im 1. Halbjahr 2007 nach Größenklassen

Teilnahmequote Teilnahmequote

(alle Betriebe) (Weiterbildungsbetriebe)

1 bis 9 22 52

10 bis 49 23 35

50 bis 249 23 26

250 bis 499 20 21

500 u.m. 20 20

Gesamt 22 29

Quelle: IAB-Betriebspanel 2007

Interessant ist nicht nur die Frage nach der Weiterbildungsbeteiligung der Arbeitnehmer insgesamt,

sondern auch die nach der Beteiligung einzelner Beschäftigtengruppen. Das IAB-Betriebspanel stellt

Informationen zur qualifikations- und geschlechtsspezifischen Weiterbildungsbeteiligung zur Verfü-

gung. Im Hinblick auf die Weiterbildungsbeteiligung von Angehörigen verschiedener Qualifikations-

gruppen zeigt sich, dass höher qualifizierte Mitarbeiter eine höhere Teilnahmequote aufweisen als

geringer qualifizierte Mitarbeiter. Dieses Ergebnis wird auch durch die Befunde anderer Erhebungen

bestätigt und wird oftmals als Matthäus-Prinzip der Weiterbildung („Denn wer da hat, dem wird gege-

ben“) bezeichnet.

Nicht einheitlich sind dagegen die vorliegenden empirischen Befunde zur Weiterbildungsbeteiligung

von Männern und Frauen. Während das IAB-Betriebspanel eine höhere Weiterbildungsbeteiligung der

Frauen ermittelt, kommt die europäische Weiterbildungserhebung CVTS zu dem Schluss, dass Män-

ner häufiger partizipieren als Frauen.

6.3.2 Determinanten der betrieblichen Weiterbildungsentscheidung

In den vorangegangenen Ausführungen wurde bereits deutlich, dass sich das Weiterbildungsverhalten

von Betrieben verschiedener Branchen und Größenklassen unterscheidet. Darüber hinaus wurde ge-

zeigt, dass sich auch Unterschiede in Abhängigkeit von der Personalstruktur (Qualifikation und Ge-

schlecht) ergeben.

Um einen näheren Einblick in die Faktoren zu gewinnen, die Einfluss darauf nehmen, ob ein Betrieb

weiterbildet oder nicht bzw. wie intensiv er sich in der Weiterbildung engagiert, wurden verschiedene

Untersuchungen zu den Determinanten des betrieblichen Weiterbildungsengagements durchgeführt.

Dabei werden zumeist im Rahmen eines Probit- oder Logit-Modells zunächst die Determinanten des

Weiterbildungsangebots (ja – nein) geschätzt und sodann im Rahmen von Tobit-Modellen die Ein-

flussfaktoren der Weiterbildungsintensität (gemessen als Anteil der Weiterbildungsteilnehmer an den

Beschäftigten) untersucht.

Im Folgenden seien einige wichtige Befunde dieser empirischen Untersuchungen (vgl. u.a. Bellmann/

Düll/Leber 2001 oder Gerlach/Jirjahn 2001) skizziert:

Betriebsgröße: Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits angemerkt, dass das Angebot an Wei-

terbildung mit der Betriebsgröße ansteigt. Dies zeigt sich nicht nur in deskriptiven Auswertungen,

sondern auch in entsprechenden multivariaten Analysen, in denen das Weiterbildungsangebot die ab-

hängige und die Beschäftigtenzahl eine der unabhängigen Variablen darstellt. Das unterdurchschnittli-

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che Weiterbildungsangebot von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wird in der Literatur wie

folgt begründet (vgl. z.B. Bellmann/ Leber 2006):

Das Angebot an internen Weiterbildungsveranstaltungen ist erst ab einer bestimmten Beschäf-

tigtenzahl organisatorisch durchführbar bzw. wirtschaftlich vertretbar. Insofern macht es für

KMU oftmals keinen Sinn, eigene Qualifizierungsaktivitäten durchzuführen.

Eine Alternative sind externe Weiterbildungsveranstaltungen. Wie vorliegende Untersuchun-

gen zeigen, sind die Unternehmen über die vorhandenen externen Angebote aber oftmals nicht

oder nur unzureichend informiert. Dies gilt gerade für KMU, die häufig über keine eigene Per-

sonalabteilung bzw. -arbeit verfügen und somit schlechtere Möglichkeiten der Informations-

beschaffung haben.

Die fehlende Personalentwicklung in KMU kann auch dazu führen, dass der Qualifikationsbe-

darf nicht bekannt ist und Weiterbildung in der Folge nicht als nötig erachtet wird.

IN KMU stellt sich die Freistellung von Mitarbeitern zum Zwecke der Teilnahme an Weiter-

bildungsveranstaltungen schwieriger dar als in größeren Betrieben.

Größeren Betrieben fällt es oftmals leichter, weitergebildete Mitarbeiter an sich zu binden.

Dies erhöht den Anreiz, Weiterbildungsmaßnahmen zu finanzieren, da die Realisation der Bil-

dungserträge mit einer größeren Sicherheit verbunden ist. So werden etwa Rückzahlungsklau-

seln sehr viel häufiger von Großbetrieben als von KMU eingesetzt. Ebenso ist auch für das

Angebot an Sozialleistungen wie die betriebliche Altersvorsorge ein Größeneffekt festzustel-

len.

Wird die Betriebsgröße dagegen als unabhängige Variable zur Erklärung der Weiterbildungsbeteili-

gung (innerhalb der weiterbildenden Betriebe) verwendet, so bestätigt sich auch hier der oben gezeigte

deskriptive Befund, dass ein negativer Zusammenhang zwischen Beschäftigtenzahl und Weiterbil-

dungsintensität besteht.

Personalstruktur: Als relevant für das betriebliche Weiterbildungsverhalten haben sich in vorliegen-

den empirischen Untersuchungen auch Merkmale der Personalstruktur erwiesen. Zum einen steigt das

Weiterbildungsengagement der Betriebe mit dem Anteil qualifizierter Mitarbeiter. Dies gilt sowohl für

das Angebot als auch die Beteiligung an Weiterbildung. Möglicherweise gehen Betriebe bei qualifi-

zierten Mitarbeitern von höheren Weiterbildungserträgen aus, da sich diese bereits in der Vergangen-

heit als lernfähig und –bereit erwiesen haben. Zum anderen sind Betriebe umso weniger in der Weiter-

bildung engagiert, je höher der Anteil Älterer im Betrieb ist. Eine Ursache hierfür kann darin liegen,

dass Arbeitgeber aufgrund des absehbaren Ausscheidens der älteren Mitarbeiter aus dem Betrieb nicht

mehr dazu bereit sind, in deren Humankapital zu investieren. Dieses Argument der vergleichsweise

kurzen Auszahlungsperiode der Weiterbildungserträge kann auch bei befristet Beschäftigten eine Rol-

le spielen. Wie vorliegende empirische Untersuchungen zeigen, nimmt das betriebliche Weiterbil-

dungsengagement mit dem Befristetenanteil im Betrieb entsprechend ab. Ein negativer Zusammen-

hang besteht zudem zwischen der betrieblichen Weiterbildung und dem Anteil an Teilzeitbeschäftigten

(zu weiteren Gründen für die geringere Weiterbildungsbeteiligung bestimmter Beschäftigtengruppen

vgl. die Ausführungen zu den Determinanten der individuellen Weiterbildungsentscheidung).

Technische/ organisatorische Ausstattung bzw. Neuerungen: Vorliegende empirische Untersu-

chungen zeigen, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem betrieblichen Weiterbildungsenga-

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gement (Angebot und Teilnahme) und der Einführung von technischen sowie organisatorischen Neue-

rungen besteht. Technische Neuerungen ziehen oftmals einen Qualifikationsbedarf und entsprechende

Weiterbildungsaktivitäten nach sich. Dies gilt insbesondere für die Einführung von Neuerungen aus

dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik. Zudem führen neue Arbeits- und Orga-

nisationsformen oft zu einer stärkeren Wissensbasierung der Tätigkeiten und erfordern zusätzliche

Kompetenzen, die durch Weiterbildungsmaßnahmen vermittelt werden können (vgl. hierzu auch die

Ausführungen zum Bedeutungszuwachs der Weiterbildung).

Betriebliche Arbeitsnachfrage/ Fachkräftebedarf: Das betriebliche Weiterbildungsangebot sowie

dessen Nutzungsintensität werden auch dadurch beeinflusst, ob und inwieweit die Rekrutierung auf

dem externen Arbeitsmarkt ein funktionales Äquivalent zur Deckung des Qualifikationsbedarfs dar-

stellt. Dabei zeigen die vorliegenden Befunde, dass Betriebe vor allem dann durch die Förderung von

Weiterbildungsmaßnahmen in die Fähig- und Fertigkeiten ihrer Mitarbeiter investieren, wenn Qualifi-

kationsengpässe vorliegen bzw. Schwierigkeiten bestehen, geeignete Fachkräfte auf dem externen

Arbeitsmarkt zu finden. Weiterbildung kann dabei zum einen proaktiv – zur Vorbeugung eines Quali-

fikationsbedarfs – als auch reaktiv auf bereits bestehende Engpässe eingesetzt werden.

Kontext der Arbeitsbeziehungen: In manchen Tarifverträgen (so z.B. im Qualifizierungstarfivertrag

Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg aus dem Jahr 2001) werden Weiterbildungsansprü-

che der Beschäftigten formuliert, die sich etwa auf die Durchführung von Qualifikationsbedarfsanaly-

sen oder die Einrichtung von Bildungsinstitutionen beziehen. Darüber hinaus räumt das Betriebsver-

fassungsgesetz (insbesondere seit der Novellierung im Jahr 2001) dem Betriebsrat Mitbestimmungs-

und Mitwirkungsrechte im Bereich der Weiterbildung ein. Die Existenz eines Betriebsrates bzw. eines

Tarifvertrages können somit das Engagement im Bereich der Weiterbildung erhöhen, was sich in ent-

sprechenden Analysen auch empirisch bestätigt hat.

Regionale Faktoren: Auch regionale Faktoren bzw. die Standortbedingungen des Betriebes üben

einen Einfluss auf die Weiterbildungsentscheidung aus, wobei die theoretischen Überlegungen zur

Richtung des Einflusses nicht eindeutig sind (Brunello/Gambarotto 2004). Zum einen werden die

Mobilitätskosten bzw. die Gefahr des Poaching (Abwerben von weitergebildeten Mitarbeitern durch

andere Arbeitgeber) auch dadurch beeinflusst, ob sich ein Unternehmen in einem dicht besiedelten

Gebiet bzw. einem Ballungsraum oder einem weniger stark besiedelten, ländlichen Gebiet befindet.

Dabei gilt: Je dichter die Region, in der ein Betrieb angesiedelt ist, umso größer ist die Zahl der Wett-

bewerber, und um so größer ist die Gefahr, dass weitergebildete Mitarbeiter den Betrieb wechseln.

Dies spricht für einen geringeren Anreiz zur Finanzierung von Weiterbildung von Betrieben in Bal-

lungsgebieten.

Zum anderen kann ein dichter lokaler Arbeitsmarkt aber auch den Nutzen von Weiterbildung und da-

mit den Anreiz zur Finanzierung derartiger Aktivitäten erhöhen. Dies kann mit positiven externen

Effekten, die von einem regionalen „labor pooling“ ausgehen, begründet werden. Dieser Überlegung

zufolge können Firmen, die räumlich nah beieinander liegen, voneinander profitieren, indem sie Ideen

und Informationen austauschen oder gemeinsam Lösungswege erarbeiten. Die Weiterbildung der Mit-

arbeiter kann in diesem Zusammenhang helfen, aktiv an diesem gegenseitigen Austauschprozess teil-

zunehmen, und somit von den positiven Externalitäten, die von einem dichten Arbeitsmarkt ausgehen,

zu profitieren.

Zudem ist die Anzahl externer Weiterbildungsträger in Ballungsgebieten größer. Firmen in dicht be-

siedelten Gebieten haben somit die Möglichkeit, aus einem größeren Angebot an externen Weiterbil-

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dungsinstitutionen und -veranstaltungen das für sie passende auszuwählen, was die Wahrscheinlich-

keit, (externe) Weiterbildungsmaßnahmen zu finanzieren, erhöhen dürfte. Hinzu kommt, dass die Kos-

ten der externen Weiterbildung (und hier vor allem die Reisekosten) in Ballungsgebieten in der Regel

niedriger sein dürften, was ebenfalls für einen positiven Zusammenhang zwischen Weiterbildung und

regionaler Bevölkerungs- bzw. Beschäftigungsdichte spricht.

Die vorliegenden empirischen Befunde ergeben einen positiven Zusammenhang zwischen Beschäfti-

gungsdichte und betrieblichem Weiterbildungsengagement, was darauf hindeutet, dass die positiven

Effekte die negativen, die mit der Gefahr der Abwanderung verbunden sind, (über)kompensieren

(Brunello/Gambarotto 2004, Bellmann/ Leber 2005).

6.3.3 Betriebliche Weiterbildung in der Wirtschaftskrise

Die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise hatte vielfältige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und das

betriebliche Handeln. Dabei war auch der Bereich der betrieblichen Weiterbildung betroffen (vgl.

Bellmann/ Leber 2010). Ob Betriebe in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mehr oder weniger in die

Weiterbildung investieren als in wirtschaftlich besseren Zeiten, lässt sich theoretisch nicht eindeutig

beurteilen. So gibt es Gründe, die für, als auch solche, die gegen ein betriebliches Engagement in der

Weiterbildung sprechen (vgl. zusammenfassend Tabelle 3).

Zunächst dürfte es vielen Arbeitgebern in der aktuellen Situation schwer fallen, die mit der Weiterbil-

dung verbundenen Aufwendungen zu tragen. Hinzu kommt, dass die Erträge der Weiterbildungsinves-

tition mit größerer Unsicherheit behaftet sind: Wenn Beschäftigung abgebaut werden muss, erweisen

sich die Kosten für die Weiterqualifizierung der Beschäftigten im Rückblick möglicherweise als

Fehlinvesitition. Dem steht allerdings gegenüber, dass die Gefahr der Abwanderung weitergebildeter

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angesichts der eingetrübten Beschäftigungsperspektiven in konjunk-

turell schwierigen Zeiten geringer als sonst sein dürfte. Gehen Unternehmen davon aus, dass sie ihre

Belegschaft halten können, kann sich dies positiv auf ihren Anreiz zur Finanzierung von Weiterbil-

dung auswirken.

Für die Durchführung von Weiterbildung bei schlechter Auftragslage spricht der Umstand, dass Per-

sonal unter diesen Umständen leichter für Qualifizierungsmaßnahmen freigestellt werden kann als in

wirtschaftlichen Boomphasen. Ökonomisch betrachtet verringern sich also bei nicht voll ausgelasteten

Kapazitäten die Opportunitätskosten der Weiterbildung. Zudem senden Arbeitgeber, die Weiterbil-

dungsveranstaltungen anbieten, ihren Beschäftigten das positive Signal, dass sie diese trotz der ge-

genwärtigen Probleme weiterbeschäftigen wollen. Dies wiederum kann deren Motivation und Leis-

tungsfähigkeit stärken. Positiv auf das betriebliche Engagement in der Weiterbildung dürfte sich zu-

dem auch die öffentliche Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen auswirken, die in der jüngsten

Zeit — insbesondere bei der Qualifizierung während Kurzarbeit — stark an Bedeutung gewonnen hat.

Probleme bereitet vielfach die zeitliche Abstimmung der Weiterbildungsmaßnahmen mit den betrieb-

lichen Produktionsprozessen. Unternehmen, die in der Krise weiterbilden, sind auf flexible Bildungs-

angebote angewiesen (vgl. Crimmann/ Wießner 2009). Diese sollten bei teilweisem Arbeitsausfall

möglichst genau die zeitlichen Lücken füllen und bei wieder anlaufender Produktion unter- bzw. ab-

gebrochen werden können. Inwieweit gerade längere Weiterbildungsmaßnahmen dieser Anforderung

genügen, ist zumindest fraglich.

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Tabelle 3: Gründe für und gegen Weiterbildung in der Krise

Gründe für Weiterbildung in der Krise Gründe gegen Weiterbildung in der Krise

- geringere Opportunitätskosten der

Weiterbildung

- geringere Abwanderungsgefahr

weitergebildeter Mitarbeiter

- öffentliche Förderprogramme

- Sicherung des Fachkräftepotenzials

- direkte Weiterbildungskosten schwer zu

tragen

- Weiterbildungserträge unsicher

Empirische Schätzungen zeigen, dass krisenbetroffene Betriebe im ersten Halbjahr 2009 signifikant

häufiger ihr Weiterbildungsangebot zurückgefahren haben als nicht-krisenbetroffene Betriebe. Auf die

Weiterbildungsintensität dagegen hat sich die Krisenbetroffenheit eines Betriebes nicht statistisch

signifikant ausgewirkt (vgl. Tabelle 4).

Tabelle 4: Weiterbildungsanpassung in der Krise

Weiterbildungsangebot Weiterbildungsintensität

Krise 0,027*** 0,007

t09 -0,056*** -0,023***

Krise*t09 -0,022* -0,006

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Daten des IAB-Betriebspanels 2008 und 2009. Weitere

Variablen sind in den Schätzungen enthalten.

***/**/* bezeichnet Signifikanz auf dem 1 %/5 %/10 %-Niveau.

6.4 Weiterbildung aus Sicht der Individuen

Weiterbildungsforschung wird nicht nur auf betrieblicher Ebene, sondern auch auf Ebene der Indivi-

duen als potenzielle Weiterbildungsteilnehmer betrieben. Grundlage der entsprechenden empirischen

Analysen sind verschiedene Personenbefragungen mit Weiterbildungsinformationen wie das Berichts-

system Weiterbildung (BSW), der Mikrozensus oder das Sozio-Ökonomische Panel (SOEP). Auch für

den Bereich der individuellen Weiterbildung lassen sich verschiedene Forschungsrichtungen unter-

scheiden, die sich unter anderem mit den Determinanten der individuellen Weiterbildungsentschei-

dung oder den Effekten der Weiterbildungsteilnahme, insbesondere auf das Einkommen oder die Be-

schäftigung, befassen.

Im Folgenden präsentieren wir wiederum einige ausgewählte Ergebnisse der individuellen Weiterbil-

dungsforschung. Analog zum Vorgehen im vorangegangenen Abschnitt stellen wir zunächst einige

deskriptive Ergebnisse zu den Strukturen der Weiterbildungsbeteiligung vor, bevor wir uns anschlie-

ßend den Determinanten der Weiterbildungsentscheidung der Individuen widmen.

Es sei angemerkt, dass sich der Begriff „individuelle Weiterbildung“ im Folgenden nicht nur auf rein

individuell finanzierte Weiterbildung bezieht. Vielmehr werden im Folgenden solche Untersuchungen

betrachtet, die das Individuum zum Gegenstand haben, auch wenn die Weiterbildungsbeteiligung zu-

mindest teilweise betrieblich finanziert sein kann.

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6.4.1 Individuelle Beteiligung an beruflicher Weiterbildung

Ebenso wie die Ergebnisse zur betrieblichen Weiterbildung sind auch die vorliegenden empirischen

Befunde zur individuellen Weiterbildung nicht einheitlich, sondern differieren zwischen Studien auf

der Basis verschiedener Erhebungen. Dies gilt insbesondere für den Umfang der Weiterbildungsbetei-

ligung, der zumeist in Form von Teilnahmequoten (d.h. als Anteil der Weiterbildungsteilnehmer an

allen (Erwerbs-)Personen) ausgedrückt wird. Dennoch lassen sich auch für die individuelle Weiterbil-

dungsbeteiligung einige einheitliche Ergebnisse ausmachen, die im Folgenden knapp skizziert werden.

Dabei wird insbesondere auf die Ergebnisse des BSW zurückgegriffen.

Das BSW wurde erstmalig im Jahr 1979 durchgeführt und stellt seitdem im dreijährigen Turnus In-

formationen zur Weiterbildungsbeteiligung der Bevölkerung zur Verfügung. Auf dieser Datenbasis

zeigt sich, dass die Teilnahmequote der beruflichen Weiterbildung im Zeitverlauf deutlich angestiegen

ist, in den letzten Jahren aber stagniert bzw. wieder leicht rückläufig ist (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3: Beteiligung an beruflicher Weiterbildung 1979-2007

Quelle: Berichtssystem Weiterbildung

Auch wenn die Weiterbildungsbeteiligung der Bevölkerung insgesamt angestiegen ist, bestehen (nach

wie vor) deutliche Unterschiede in der Teilhabe verschiedener Personengruppen. Dies gilt insbesonde-

re im Hinblick auf das schulische und berufliche Qualifikationsniveau, aber auch das Alter, das Ge-

schlecht, die Nationalität sowie die Art des Beschäftigungsverhältnisses. Im Folgenden seien exempla-

risch die Teilnahmequoten einzelner Gruppen dargestellt (vgl. Tabelle 3); auf mögliche Ursachen der

unterschiedlichen Weiterbildungsbeteiligung verschiedener Personen wird im nächsten Abschnitt ein-

gegangen.

1012 12

18

21

24

3029

26 26

0

5

10

15

20

25

30

35

1979 1982 1985 1988 1991 1994 1997 2000 2003 2007

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Tabelle 3: Weiterbildungsbeteiligung verschiedener Personengruppen

Niedrige Schulbildung

Mittlere Schulbildung

Abitur

16 %

32 %

38 %

Keine Berufsausbildung

Lehre/Berufsfachschule

Meister-, andere Fachschule

Hochschulabschluss

11 %

24 %

38 %

44 %

Arbeiter

Angestellte

Beamte

Selbständige

19 %

39 %

59 %

34 %

19 bis 34 Jahre

35 bis 49 Jahre

50 bis 64 Jahre

29 %

31 %

17 %

Deutsche

Ausländer

27 %

13 %

Quelle: Berichtssystem Weiterbildung 2003

6.4.2 Determinanten der individuellen Weiterbildungsentscheidung

Es liegen verschiedene empirische Studien vor, die die Determinanten der individuellen Weiterbil-

dungsentscheidung untersuchen. Diese berücksichtigen als erklärende Faktoren insbesondere sozio-

demografische Charakteristika der (Nicht-)Weiterbildungsteilnehmer, aber auch Merkmale des Ar-

beitgebers oder des Wohnortes. Im Wesentlichen haben sich folgende Merkmale in diesen Analysen

als einflussreich erwiesen (vgl. z.B. Behringer 1999 oder Leber/ Möller 2007):

Qualifikation: Wie oben bereits angemerkt wurde, steigt die Weiterbildungsbeteiligung mit dem Qua-

lifikationsniveau an. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die schulische als auch die berufliche Bildung.

Ursachen für die unterdurchschnittliche Weiterbildungsbeteiligung Geringqualifizierter sind zum ei-

nen im betrieblichen Verhalten zu sehen (vgl. hierzu die Ausführungen im vorangegangenen Ab-

schnitt). Danach sind Betriebe möglicherweise eher dazu bereit, höherqualifizierte Mitarbeiter in Wei-

terbildung einzubeziehen. Zum anderen kann aber auch das Verhalten der geringqualifizierten Indivi-

duen selbst ihre geringe Weiterbildungsbeteiligung erklären. So können bei Angehörigen dieser Per-

sonengruppe beispielsweise gewisse Lernhemmungen oder eine Lernentwöhnung vorliegen, die die

Schwellen der Weiterbildungsteilnahme erhöhen. Darüber hinaus spielen eventuell auch die jeweiligen

Merkmale des Arbeitsplatzes bzw. der ausgeübten Tätigkeit (z.B. die Nutzung eines PCs) eine Rolle

bei der Entscheidung über die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme.

Alter: Ältere Individuen nehmen weniger häufig an beruflicher Weiterbildung teil als jüngere Indivi-

duen – auch auf diesen Zusammenhang wurde oben bereits verwiesen. Ebenso wie die qualifikations-

spezifische Weiterbildungsbeteiligung kann auch die altersspezifische Weiterbildungsbeteiligung mit

dem Verhalten der Betriebe (vgl. hierzu die Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt) sowie dem

der Individuen selbst erklärt werden (vgl. zu einem Überblick verschiedener Forschungsergebnisse

Bellmann/Leber 2008). Aus individueller Perspektive können dabei folgende Faktoren eine Rolle spie-

len:

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Ebenso wie aus betrieblicher Sicht kann auch aus individueller Perspektive der vergleichswei-

se kurze Zeithorizont der Beschäftigung eine Rolle spielen. Gehen die Individuen davon aus,

dass sie in der ihnen verbleibenden Erwerbszeit keinen hinreichenden Nutzen aus der Weiter-

bildung mehr ziehen können (sei dieser monetärer Art, z.B. in Form einer Lohn- oder Gehalts-

erhöhung, oder nicht-monetärer Art, z.B. in Form einer Änderung des Tätigkeitsfeldes oder

des Aufgabenspektrums), kann dies dazu führen, dass sie kein Interesse an einer Weiterbil-

dungsbeteiligung mehr bekunden oder ein entsprechendes betriebliches Angebot nicht anneh-

men.

Gerade, wenn ältere Beschäftigte längere Zeit nicht mehr gelernt haben, kann sich eine gewis-

se Lernentwöhnung einstellen. Diese kann sich darin äußern, dass die eigene Lernfähigkeit als

gering eingeschätzt wird, aber auch darin, dass bestimmte Fertig- und Fähigkeiten durch

Nichtgebrauch abhanden gekommen sind. Die Angst vor dem Lernen an sich, vor Misserfolg

oder auch dem Einsatz bestimmter Medien können die Folge sein – und die Bereitschaft, an

Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen, entsprechend abnehmen. Wie vorliegende Studien

zeigen, hängt die Lernkompetenz wesentlich auch von der Lernförderlichkeit der Arbeitsum-

gebung ab. Insbesondere wenn Arbeitnehmer über eine lange Zeit die gleiche, monotone Tä-

tigkeit ausgeübt haben, wird es für sie immer schwieriger, Neues zu erlernen.

Untersuchungen zeigen, dass mit zunehmendem Alter oftmals eine gewisse Beharrungsten-

denz einsetzt. Danach sinkt die Fluktuationsneigung und wächst die Zufriedenheit mit dem

bislang Erreichten. Die Bemühungen um berufliches Fortkommen werden zurückgefahren.

Dies kann auch entsprechende Konsequenzen für die Motivation, sich weiterzubilden, haben.

Geschlecht/ familiärer Kontext: Im vorangegangenen Kapitel wurde gezeigt, dass die vorliegenden

Befunde der betrieblichen Weiterbildungsforschung zur Weiterbildungsbeteiligung von Männern und

Frauen nicht eindeutig sind. Die Weiterbildungsforschung auf der Basis von Individualdaten macht in

diesem Zusammenhang auf die Bedeutung weiterer Faktoren wie des familiären Kontexts und des

Beschäftigungsverhältnisses aufmerksam, zu denen Betriebsdaten keine Informationen zur Verfügung

stellen können. Danach ist die geringere Weiterbildungsbeteiligung der Frauen, wie sie sich aus man-

chen Studien ergibt, vor allem auf die Rahmenbedingungen ihrer Beschäftigungssituation zurückzu-

führen. Frauen partizipieren vor allem dann weniger häufig an Weiterbildung, wenn sie betreuungsbe-

dürftige Kinder im Haushalt haben und (oftmals im Zusammenhang damit) eine Teilzeitbeschäftigung

ausüben. Eine Weiterbildungsbeteiligung ist in diesem Fall organisatorisch schwieriger durchzuführen

oder mit höheren Kosten (für Kinderbetreuung) verbunden. Betrachtet man dagegen Männer und

Frauen innerhalb vergleichbarer Subgruppen (also z.B. Männer und Frauen ohne Kinder, Männer und

Frauen mit einer Vollzeitbeschäftigung), so sind die Frauen weiterbildungsaktiver als die Männer.

Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses: Nicht nur das Ausüben einer Teilzeitbeschäftigung,

sondern auch das Vorliegen eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses wirkt sich negativ auf die

individuelle Weiterbildungsbeteiligung aus. Aus betrieblicher Sicht kann dieser Zusammenhang mit

der vergleichsweise kurzen verbleibenden Beschäftigungsdauer befristeter Beschäftigter erklärt wer-

den (vgl. hierzu die Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt). Aus Perspektive der befristete

Beschäftigten ist die Wirkungsrichtung dagegen nicht eindeutig und dürfte stark mit der Art der ver-

mittelten Qualifikationen zusammenhängen: Während nur ein geringer Anreiz bestehen dürfte, in Fä-

hig- und Fertigkeiten zu investieren, die nur beim gegenwärtigen Arbeitgeber einsetzbar sind, dürfte

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durchaus ein Interesse vorliegen, in allgemeine, übertragbare Qualifikationen zu investieren, da dies

die Beschäftigungschancen bei anderen Betrieben erhöhen dürfte.

Merkmale des Arbeitgebers: Als Merkmale des Arbeitgebers berücksichtigen einige Studien die

Betriebsgröße sowie die Branchenzugehörigkeit. Dabei bestätigen sich die bereits oben dargestellten

Befunde, wonach die Wahrscheinlichkeit, an Weiterbildung teilzunehmen, für einen Arbeitnehmer

zum einen dann größer ist, wenn er in einem Großbetrieb beschäftigt ist. Zum anderen zeigen sich

auch in den Untersuchungen auf der Basis von Individualdaten Unterschiede zwischen Beschäftigten

in Unternehmen verschiedener Branchen.

Nationalität/ Migrationshintergrund: Als letztes Merkmal soll hier schließlich die Nationalität be-

trachtet werden. In empirischen Untersuchungen wurde gezeigt, dass Ausländer bzw. Personen mit

Migrationshintergrund weniger häufig an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung teilnehmen als

Deutsche bzw. Personen ohne Migrationserfahrung. Dabei hängt die Weiterbildungsbeteiligung stark

mit den Sprachkenntnissen zusammen. Je besser sich diese darstellen, umso höher ist die Wahrschein-

lichkeit, dass ein Ausländer an Weiterbildung teilnimmt.

6.5 Finanzierung der beruflichen Weiterbildung

In diesem Abschnitt beschreiben wir zunächst die gegenwärtigen Finanzierungsstrukturen der berufli-

chen Weiterbildung in Deutschland und stellen einige empirische Befunde hierzu vor (vgl. zu den

folgenden Ausführungen insbesondere Expertenkommission 2002). Anschließend geben wir einen

Überblick über ausgewählte Modelle der Weiterbildungsfinanzierung, die in der derzeitigen öffentli-

chen und wissenschaftlichen Diskussion eine besondere Rolle spielen.

6.5.1 Grundzüge der Weiterbildungsfinanzierung

Oben wurde deutlich, dass an der Finanzierung der beruflichen Weiterbildung verschiedene Akteure

(öffentliche Hand, BA, Betriebe und Individuen) beteiligt sind. Zudem wurde bereits darauf hingewie-

sen, dass die Finanzierung der Weiterbildung neben der Ressource Geld (direkte Weiterbildungskos-

ten, z.B. für Lehrgangsgebühren) auch die Ressource Zeit (indirekte Weiterbildungskosten, insbeson-

dere in Form der entgangenen Arbeits- bzw. Freizeit während der Weiterbildungsbeteiligung) umfasst.

Will man sich einen Überblick über die Finanzierungsstrukturen der Weiterbildung verschaffen, so ist

es weiterhin erforderlich, zwischen der Zahler- und der Kostenträgerebene zu unterscheiden. In diesem

Zusammenhang wird oftmals auch von der Vor- und der Refinanzierung der Weiterbildung gespro-

chen. Diese Abgrenzung ist bedeutsam, da sich die Weiterbildungsfinanziers, d.h. die Zahler, auf ver-

schiedene Art und Weise refinanzieren können, indem sie sich ihre Ausgaben von anderen Akteuren

ganz oder teilweise ersetzen lassen. Interessiert man sich für die tatsächlichen Belastungen, die durch

die Weiterbildung entstehen, so ist auf die Refinanzierungs- oder die Kostenträgerebene abzustellen.

Die Zahlerebene

Auf der Zahlerebene sind zunächst die Betriebe als (Vor-)Finanziers der Weiterbildung zu betrachten.

Neben den direkten Weiterbildungskosten haben die Betriebe auch die indirekten Weiterbildungskos-

ten zu tragen. Betriebe können zum einen die von ihnen angebotenen Weiterbildungsmaßnahmen al-

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lein finanzieren; es kann aber auch zu einer Mischfinanzierung kommen, indem die Weiterbildungs-

teilnehmer (also die Individuen) oder auch staatliche bzw. parafiskalische Akteure wie die BA an den

Weiterbildungskosten beteiligt werden.

Eine Beteiligung der Arbeitnehmer kann dabei sowohl an den direkten als auch den indirekten

Weiterbildungskosten erfolgen (vgl. zu den folgenden Ausführungen auch Bellmann/ Leber, in: Lern-

gelder): Zu einer Beteiligung an den indirekten Kosten kommt es dann, wenn Qualifizierungsmaß-

nahmen zumindest teilweise von der Arbeits- in die Freizeit verlagert werden, so dass sich die Lohn-

ausfallkosten aus Sicht der Arbeitgeber verringern. Darüber hinaus liegt eine weitere Möglichkeit,

Freizeitanteile in die Weiterbildung einzubringen, in der Nutzung von Arbeitszeitkonten für Lernzwe-

cke: Bei diesem auch als „Lernzeitkonto“ bezeichneten Instrument wird ein vorhandenes Zeitgutha-

ben für Weiterbildung genutzt und ein erworbener Freizeitanspruch somit in Arbeits- bzw. Lernzeit

umgewandelt.

Übernehmen die Arbeitnehmer einen Teil der Aufwendungen für Weiterbildungsveranstaltungen, so

kommt es zu einer Beteiligung an den direkten Kosten. In manchen Fällen ist die Beteiligung der Be-

schäftigten an den direkten Weiterbildungskosten an bestimmte Bedingungen geknüpft: So verpflich-

ten sich etwa die Weiterbildungsteilnehmer im Falle der sog. Rückzahlungsklauseln, einen Teil der

vom Arbeitgeber übernommenen Kosten für den Fall zurückzuzahlen, dass sie den Betrieb vor Ablauf

einer vertraglich festgelegten Frist aus einem von ihnen zu vertretenden Grund verlassen. Durch die

Vereinbarung von Rückzahlungsklauseln soll sichergestellt werden, dass die Weiterbildungserträge

auch tatsächlich dem finanzierenden Betrieb und nicht einem anderen Arbeitgeber oder dem Weiter-

bildungsteilnehmer selbst zugutekommen (zu näheren Informationen zu Rückzahlungsklauseln vgl.

Alewell 1997 oder Leber 2000).

Neben den Betrieben treten die Individuen als (Vor-)Finanziers der Weiterbildung auf. Auch sie ha-

ben direkte und indirekte Weiterbildungskosten in Form des Freizeitverlusts zu tragen. Wie die be-

triebliche Weiterbildungsfinanzierung kann auch die individuelle Finanzierung eine Mischfinanzie-

rung sein, an der Betriebe oder (para-)fiskalische Akteure beteiligt sind

Der Staat (Bund, Länder, Gemeinden, EU) ist ein weiterer Vorfinanzier der Weiterbildung. Die ent-

sprechenden Instanzen finanzieren dabei zum einen in ihrer Rolle als Arbeitgeber die Weiterbildung

ihrer Beschäftigten. Zum anderen fördern sie aber auch unter gewissen Voraussetzungen Bildungsan-

bieter sowie Betriebe und Individuen.

Die Finanzierung der SGB III-geförderten Weiterbildung schließlich erfolgt durch die BA. Diese para-

fiskalische Einrichtung finanziert einerseits die Weiterbildung ihrer Beschäftigten in ihrer Funktion als

Arbeitgeber, fördert aber auch Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit

Bedrohte.

Die Kostenträgerebene

Wie oben erwähnt, können unter Refinanzierung alle Möglichkeiten verstanden werden, die sich ei-

nem Weiterbildungsfinanzier bieten, um die von ihm vorfinanzierte Kostenlast zu verringern (Exp.

Komm., Zwischenbericht). Refinanzierungsmöglichkeiten ergeben sich zum einen durch rechtliche

Bestimmungen, insbesondere solche des Steuerrechts. Zum anderen unterscheiden sich Zahler- und

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Kostenträgerebene der Weiterbildung aber auch dadurch, dass Überwälzungen stattfinden und weiter-

bildungsbedingte Erträge anfallen.

Das deutsche Steuerrecht ermöglicht es weiterbildungsaktiven Individuen und Betrieben, die durch die

Weiterbildung entstandenen Kosten steuerlich geltend zu machen. So stellen Weiterbildungsaufwen-

dungen für Unternehmen abzugsfähige Betriebsausgaben dar, die die Bemessungsgrundlage verrin-

gern. Individuen können Aufwendungen für Weiterbildungsmaßnahmen im aufgewendeten Beruf als

Werbungskosten geltend machen. Nach Maßgabe des jeweiligen Grenzsteuersatzes beteiligt sich der

Fiskus damit an den Weiterbildungsaufwendungen des jeweiligen Steuerpflichtigen, so dass eine Ver-

lagerung der privaten Kosten auf die Allgemeinheit der Steuerzahler stattfindet.

In manchen Fällen können Unternehmen die nach Steuer verbleibenden Weiterbildungsaufwendungen

überwälzen. Dabei ist zwischen der Vor-, der Rück- und der Schrägwälzung zu unterscheiden. Wäh-

rend im Falle der Vorwälzung die Weiterbildungskosten in Form höherer Absatzpreise an den Käufer

weitergegeben werden, kommt es im Falle der Rückwälzung zu einer Überwälzung auf die

Faktorpreise. Träger (zumindest eines Teils) der Weiterbildungskosten sind hier also etwa die Arbeit-

nehmer, die einen geringeren Lohn erhalten, oder die Zulieferer von Vorprodukten, wenn sie einen

geringeren Preis für ihre Waren erzielen. Schräg- oder Querwälzung schließlich bedeutet eine Über-

wälzung auf andere betriebliche Kosten.

Refinanzierungsmöglichkeiten ergeben sich für Betriebe darüber hinaus auch dann, wenn sie die Er-

träge der Weiterbildung (z.B. Produktionszuwächse infolge gestiegener Produktivität) internalisieren

können.

Ebenso können Individuen einen Teil der oder die gesamten Weiterbildungsaufwendungen wieder

einholen, wenn sie infolge der Weiterbildung ein höheres Einkommen erzielen.

Die empirische Erfassung der Finanzströme stellt sich vergleichsweise schwierig dar. Verschiedene

Datenquellen stellen Informationen zu den Weiterbildungskosten und -ausgaben einzelner Akteure

(Betriebe, Individuen, Staat, BA) bereit. Eine Zusammenrechnung der einzelnen Ergebnisse im Sinne

einer Gesamtfinanzierungsübersicht ist schwierig. Zu beachten ist auch, dass die Statistiken nur Aus-

kunft über die Vorfinanzierung der Weiterbildung geben. Die Refinanzierungsebene der Weiterbil-

dung dagegen entzieht sich weitgehend einem empirischen Zugriff und kann allenfalls in ihrer Wir-

kungsrichtung anhand von Plausibilitätsüberlegungen abgeschätzt werden (vgl. Expertenkommission

2002 oder Schiersmann 2007).

6.5.2 Modelle der Weiterbildungsfinanzierung

In der Öffentlichkeit und Wissenschaft werden – gerade in der jüngeren Zeit - verschiedene Modelle

der Weiterbildungsfinanzierung diskutiert. Diese sollen dazu beitragen, die Beteiligung an Weiterbil-

dung insgesamt bzw. die bislang bildungsferner Gruppen zu erhöhen. Dabei werden auch die Finan-

zierungsmodelle anderer Länder und die Erfahrungen, die damit gemacht wurden, berücksichtigt. Im

Folgenden wird ein Überblick über einige ausgewählte Modelle der Weiterbildungsfinanzierung gege-

ben, die in der gegenwärtigen Diskussion eine besondere Rolle spielen. Dabei handelt es sich um Bil-

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dungskonten, Bildungsgutscheine und Bildungsfonds (vgl. u.a. Expertenkommission 2002 oder Jaich

2005.

Bildungskonten/Bildungssparen

Bildungskonten bzw. Bildungssparen stellen ein nachfrageorientiertes Instrument der Weiterbildungs-

finanzierung dar. Nachfrageorientierte Instrumente zeichnen sich dadurch aus, dass die Förderung an

den Bildungsnachfragern (d.h. den Individuen) ansetzt und nicht an den Bildungsträgern, wie es bei

der Angebotssteuerung der Fall ist.

Das Grundprinzip von Bildungskonten, die auch als Bildungssparen bezeichnet werden, besteht darin,

dass auf ihnen Ressourcen angesammelt und bei Bedarf abgezogen werden. Dabei sind verschiedene

Ausgestaltungsmöglichkeiten von Bildungskonten denkbar: Zum einen können die Einzahlungen nur

von den Individuen selbst geleistet werden, zum anderen können die Eigenmittel der Individuen aber

auch durch den Staat oder durch Dritte, wie z.B. Unternehmen, ergänzt werden. In Abhängigkeit von

der Höhe der Einzahlungen bzw. der zugrunde liegenden Konzeption können die auf den Bildungskos-

ten angesammelten Mittel entweder nur zur Finanzierung der direkten Weiterbildungskosten oder auch

zur Finanzierung des Lebensunterhalts während der Bildungsbeteiligung eingesetzt werden.

Durch Bildungskonten wird angestrebt, die private Mittelaufbringung für Bildungszwecke zu kanali-

sieren und zu stimulieren. In der Literatur wird dabei insbesondere dann von einer Erhöhung des indi-

viduellen Spar- und Lernanreizes ausgegangen, wenn die Eigenmittel durch externe Zuwendungen

ergänzt werden. Als Vorteil von Bildungskonten wird zudem gesehen, dass sie mit einer vergleichs-

weise großen Verantwortung und Entscheidungsfreiheit der Individuen verbunden sind, da diese selb-

ständig über die Verwendung ihrer Guthaben disponieren können. Darüber hinaus wird bei Bildungs-

konten im Speziellen bzw. bei nachfrageseitigen Finanzierungsinstrumenten im Generellen von positi-

ven Auswirkungen auf die Angebotsseite des Weiterbildungsmarktes ausgegangen. So wird argumen-

tiert, dass nachfrageorientierte Instrumente in der Lage sind, ein bedarfsgerechtes Bildungsangebot

hervorzubringen, was mit einer Steigerung der Qualität und der Vielfalt des Bildungsangebots verbun-

den sein dürfte.

Gegen Bildungskonten wird hervorgebracht, dass sie – so wie alle nachfrageseitigen Finanzierungsin-

strumente – zu einer Risikoverlagerung von der öffentlichen Hand zu den Weiterbildungsträgern füh-

ren. Kommt es zu Nachfrageschwankungen, so kann die Existenz der Bildungseinrichtungen unter

bestimmten Voraussetzungen gefährdet sein. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass sich die

konkrete Ausgestaltung von Bildungskonten als schwierig erweisen kann. Dies gilt etwa für die Frage,

wie mit Guthaben auf Konten bei deren Auflösung (z.B. bei Renteneintritt) verfahren werden sollte.

Schließlich wird davon ausgegangen, dass Bildungskonten – ebenso wie andere öffentlich geförderte

Vermögensbildungsmodelle – vor allem von einkommensschwachen (bildungsfernen) Gruppen nur

unterdurchschnittlich genutzt werden, weil diese oft eine Präferenz für unmittelbare Konsumausgaben

haben (vgl. Jaich 2005).

Bildungskonten werden in der Praxis bislang vergleichsweise selten genutzt. Jaich verweist etwa auf

die Bildungskonten bei der schwedischen Versicherungsgesellschaft Skandia, auf die Arbeitnehmer

und Arbeitgeber jeweils bis zu 50% einzahlen. Bei „Problemgruppen“ wird der Arbeitgeberanteil er-

höht. Die auf dem Konto angesammelten Guthaben werden zur Finanzierung der Maßnahmenkosten

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und des Lebensunterhalts während der Bildungsbeteiligung verwendet; Arbeitgeber und Arbeitnehmer

entscheiden gemeinsam über die Verwendung der Mittel.

In Deutschland wurde Mitte des Jahres 2007 vereinbart, ein Modell des Weiterbildungssparens zu-

nächst für einen Erprobungszeitraum von drei Jahren einzuführen. Dieses sieht unter anderem die Ein-

führung einer Weiterbildungsprämie in Höhe von maximal 154 € für Einkommensgruppen mit bis zu

17.900 € (alleinstehend) bzw. 35.800 € (verheiratet) zu versteuerndem Jahreseinkommen zur hälftigen

Kofinanzierung von Weiterbildung vor, wenn mindestens die gleiche Summe als Eigenbetrag zur Fi-

nanzierung der Teilnahmeentgelte geleistet wird. Zudem soll das Vermögensbildungsgesetz um die

Möglichkeit ergänzt werden, Mittel zum Zwecke der Weiterbildung aus dem Ansparguthaben vor

Ende der Bindungsfrist zu entnehmen, ohne dass die Arbeitnehmersparzulage entfällt.

Bildungsgutscheine

Ebenso wie Bildungskonten stellen auch Bildungsgutscheine ein nachfrageorientiertes Finanzierungs-

instrument dar. Es handelt sich hierbei um Wertpapiere, die die Bildungsnachfrager vom Staat bzw.

einer staatlich anerkannten Stelle erhalten. Das einzelne Wertpapier repräsentiert einen bestimmten

Geld- oder Zeitwert, der an die Nachfrager nicht ausgezahlt wird, sondern mit verbrieften individuel-

len Anspruchsrechten verknüpft ist. Nehmen die Nachfrager ein Bildungsangebot wahr, so übergeben

sie das Wertpapier dem Bildungsanbieter, der sich über die staatliche bzw. die staatlich anerkannte

Stelle refinanziert. Die Bildungsnachfrage wird durch das Gutscheinmodell zumindest teilweise von

den individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen entkoppelt.

Es sind verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten des Bildungsgutscheins denkbar (vgl. Jaich 2005):

Erstens kann ihre Ausgabe zeitlich oder vom Umfang her begrenzt sein. Liegt eine Begrenzung vor, so

müssen die Bildungsleistungen zum Marktpreis gekauft werden, wenn die Gutscheine aufgebraucht

sind. Im Unterschied dazu können Gutscheine aber auch immer dann ausgegeben werden, wenn der

„Versicherungsfall“ eintritt. Zweitens kann der Wert der Gutscheine einkommensabhängig gestaffelt

sein oder auf den gleichen Nennwert lauten. Im zuletzt genannten Fall ist der Verwaltungsaufwand

geringer, allerdings werden hier die individuellen Einkommensverhältnisse nicht berücksichtigt. Drit-

tens ist es denkbar, dass Gutscheine durch private Geldmittel ergänzt werden können oder sich nur auf

die Höhe des Gutscheinwerts beziehen. Viertens kann die Verwendung der Gutscheine an bestimmte

Auflagen gebunden sein. Dabei kann es sich etwa um Qualitätsstandards der Bildungsanbieter oder um

Weitergabemöglichkeiten der Gutscheine handeln.

Als Vorteil der Bildungsgutscheine werden in der Literatur insbesondere die damit erwarteten Aus-

wirkungen auf das Weiterbildungsangebot herausgestellt, die sich bei nachfrageorientierten Finanzie-

rungsinstrumenten im Allgemeinen ergeben (vgl. hierzu die obigen Ausführungen).

Neben den oben genannten generellen Einwänden gegenüber nachfrageorientierten Finanzierungsin-

strumenten wird es als Problem der Bildungsgutscheine erachtet, dass diese – je nach konkreter Aus-

gestaltung – die Gefahr der sozialen Polarisierung erhöhen können. Vor allem dann, wenn Gutscheine

übertragbar sind oder durch eigene Mittel aufgestockt werden können, ist es denkbar, dass Reiche

zuzahlen und bessere Angebote auswählen, wohingegen ärmere, bildungsfernere Gruppen ihre Gut-

scheine verkaufen und damit ihre Weiterbildungschancen verspielen können. Verstärkt wird dieses

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Problem dadurch, dass Bildungsgutscheine vergleichsweise hohe Anforderungen an den Informations-

stand der Gutscheininhaber stellen, der vermutlich mit dem Qualifikationsniveau steigt (vgl. Jaich).

Bildungsgutscheine sind unter anderem in den USA sowie in Großbritannien erprobt worden. In

Deutschland wurden Bildungsgutscheine im Jahr 2003 im Zuge der Neuausrichtung der SGB III-

geförderten Weiterbildung eingeführt. Danach erhalten Arbeitslose bzw. von Arbeitslosigkeit Bedroh-

te nach einer Beratung durch die Arbeitsagentur, in der die Notwendigkeit einer Weiterbildung festge-

stellt wird, einen Bildungsgutschein, der die Finanzierung der Weiterbildung sichert. Der Bildungsgut-

schein kann zeitlich befristet sowie regional und auf bestimmte Bildungsziele beschränkt sein. Der

vom Bezieher des Gutscheines ausgewählte Bildungsträger legt der Arbeitsagentur den Gutschein bei

Beginn der Maßnahme vor. Mit der Einführung der Bildungsgutscheine im Bereich des SGB III wurde

vor allem das Ziel verfolgt, Wettbewerb und Transparenz am Weiterbildungsmarkt zu stärken. Zudem

sollte an die Stelle einer Zwangszuweisung der Teilnehmer auf bestimmte Maßnahmen durch die Ar-

beitsagentur eine Erhöhung der Wahlmöglichkeiten und Eigenverantwortung der betroffenen Indivi-

duen treten.

Bildungsfonds

Im Unterschied zu den beiden zuvor skizzierten Instrumenten setzen Bildungsfonds nicht an der För-

derung der individuellen, sondern der betrieblichen Weiterbildung an. Hierbei handelt es sich um ein

kollektives Finanzierungsinstrument, das an die Stelle der einzelbetrieblichen Finanzierung der Wei-

terbildung tritt. Das Grundprinzip besteht darin, dass einem oder mehreren Finanziers der Weiterbil-

dung nach festgelegten Kriterien periodisch Finanzmittel entzogen und den Anbietern von Weiterbil-

dung zugeteilt werden.

Auch bei den Bildungsfonds sind unterschiedliche Ausgestaltungsmöglichkeiten denkbar: Zum einen

können die Fondsmittel entweder durch Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerumlagen und/ oder durch

Zuschüsse öffentlicher Haushalte finanziert werden. Zum anderen können die Bildungsfonds gesetz-

lich verankert, tarifvertraglich ausgehandelt oder das Ergebnis freiwilliger unternehmerischer Selbst-

verpflichtung sein. Die rechtliche Basis der Fonds hat auch Auswirkungen auf die Entscheidungsgre-

mien, die sich aus Arbeitgebern, Gewerkschaften oder staatlichen Interessenvertretern zusammenset-

zen können. Darüber hinaus können Fonds dauerhaft oder temporär angelegt sein, und ihre Bemes-

sungsgrundlage können die Bruttolohn- und Gehaltssumme, der Gewinn, die Bruttowertschöpfung

oder der Umsatz sein. Schließlich können Zentral- oder Partialfonds unterschieden werden: Während

Zentralfonds alle Unternehmen unabhängig von der Branche oder Region mit einer Umlage belegen,

beziehen sich letztere auf eine bestimmte Region, Branche oder Berufsgruppe.

Von der Einrichtung von Bildungsfonds verspricht man sich ein höheres Weiterbildungsengagement

der Betriebe. So wird argumentiert, dass die Unternehmen einen Anreiz haben, die Weiterbildung ihrer

Beschäftigten auszubauen, da dies für sie nicht mit zusätzlichen direkten Kosten verbunden ist. Viel-

mehr sind die Arbeitgeber in jedem Fall an der Finanzierung der Weiterbildung beteiligt – und zwar

unabhängig davon, ob sie ihren Mitarbeitern Qualifizierung ermöglichen oder nicht. Zudem wird da-

rauf hingewiesen, dass Fonds Anreize schaffen, solche Weiterbildungsmaßnahmen nachzufragen, die

allgemein qualifizieren und sich nicht nur an den kurzfristigen betrieblichen Interessen ausrichten. Die

in Fonds angesammelten Mittel könnten darüber hinaus auch antizyklisch und somit unabhängig von

der jeweiligen konjunkturellen Konstellation eingesetzt werden. Schließlich wird von einer Qualitäts-

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- 105 -

verbesserung der Bildungsangebote ausgegangen, die durch eine Orientierung an Mindeststandards

stimuliert und kontrolliert werde (vgl. etwa Jaich 2005).

Als problematisch wird in der Literatur die Frage nach der Förderung informeller Lernaktivitäten

durch Fonds betrachtet. Umfassen Fonds die Finanzierung informeller Weiterbildung, so besteht die

Gefahr einer Fehlnutzung der Mittel, da die Kosten informeller Weiterbildung nur schwer ermittelt

werden können. Wird informelle Weiterbildung dagegen nicht gefördert, so ergibt sich das Risiko,

dass Betriebe diese Lernformen nur suboptimal nutzen.

Zudem wird kritisch diskutiert, ob Zentral- oder Partialfonds die geeignete Lösung darstellen. Für

Partialfonds wird hervorgebracht, dass diese eher in der Lage sind, den regionalen oder branchenspezi-

fischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Allerdings könne die Einrichtung von Partialfonds dazu

führen, dass in strukturschwachen Regionen oder Branchen nur unterdurchschnittlich in Weiterbildung

investiert wird. Zudem könne sich die Branchengliederung in manchen Fällen als problematisch er-

weisen, so etwa dann, wenn einzelne Betriebe auch branchenatypische Qualifikationen nachfragen.

Als Lösung werden übergeordnete Dachfonds vorgeschlagen, die Umverteilungen zwischen Bran-

chen- bzw. Regionalfonds vornehmen. Derartige Dachfonds sind allerdings mit einer Erhöhung der

Organisations- und Transaktionskosten verbunden (vgl. Expertenkommission 2002.).

Sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern sind verschiedene Weiterbildungsfonds zu finden.

So sind in Deutschland etwa (Partial-)Fonds für die Aus- und Weiterbildung auf tarifvertraglicher

Basis im Gerüstbaugewerbe und in der Land- und Forstwirtschaft eingerichtet worden. Auf internatio-

naler Ebene lassen sich exemplarisch Frankreich, Dänemark, Belgien und die Niederlande nennen.

6.6 Zusammenfassung

Der beruflichen Weiterbildung kommt vor dem Hintergrund des technischen und organisatorischen

Wandels sowie der demografischen Entwicklung eine wachsende Bedeutung zu. Im Zeitverlauf ist die

Beteiligung an beruflicher Weiterbildung gestiegen. Dennoch gibt es nach wie vor Bereiche, die nur

unterdurchschnittlich an Weiterbildungsaktivitäten teilhaben. Auf der Ebene der Betriebe sind dies vor

allem kleine und mittlere Betriebe. Auf der individuellen Ebene dagegen nehmen gering qualifizierte

und ältere Personen, Personen mit Migrationshintergrund und teilzeitbeschäftigte Frauen mit be-

treuungsbedürftigen Kindern nur unterdurchschnittlich an Weiterbildung teil.

Fragt man nach den Gründen für die geringe Weiterbildungsbeteiligung einzelner Gruppen, so lassen

sich hierfür sowohl betriebliche als auch individuelle Faktoren identifizieren. So konzentrieren Unter-

nehmen z.B. ihre Weiterbildungsbemühungen auf jene Mitarbeiter, bei denen entsprechende Investiti-

onen besonders lohnend erscheinen. Individuen nehmen u.a. deswegen nicht an Weiterbildung teil,

weil sie gewisse Lernhemmungen haben oder eine Weiterbildungsbeteiligung aus organisatorischen

Gründen nur schwer möglich ist. Auf beiden Seiten kommt zudem dem Informationsstand über Ange-

bote und Nutzen der Weiterbildung eine wichtige Bedeutung zu. Zur Erhöhung des Angebots und der

Beteiligung an beruflicher Weiterbildung werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert, wobei insbe-

sondere Finanzierungsmodelle wie z.B. Bildungsfonds oder das Bildungssparen eine Rolle spielen.

Mit der Einführung der Weiterbildungsprämie verfolgt die Bundesregierung die zuletzt genannte Stra-

tegie.

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- 108 -

7. Fachkräftebedarf der Wirtschaft

In diesem Abschnitt sollen Antworten auf folgende Fragen gegeben werden:

Welche Bedeutung hat die Sicherstellung ihres Fachkräftebedarfs für die deutschen Betriebe

und die Regionen, in denen sie ihren Standort haben?

Wie entwickelt sich das Erwerbspersonenpotential in Deutschland bis zum Jahre 2050?

Aus welchen Gründen passen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage nicht zusammen?

Wie wird Fachkräftebedarf gemessen?

Mit welchen Strategien kann dem Mangel nach (hoch-)qualifizierten Arbeitskräften begegnet

werden?

Wie lässt sich das Potential der Älteren und der Personen mit Migrationshintergrund nutzen?

Welche Rolle kann die Zuwanderung nach Deutschland spielen?

7.1 Einführung

Die Frage nach einem branchenspezifischen und gesamtwirtschaftlichen Fachkräftebedarf rückt auf-

grund der günstigen konjunkturellen und der demografischen Entwicklung zunehmend in den Vorder-

grund der aktuellen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Diskussion in Deutschland.

Beim IAB-Betriebspanel 2006 wurden den fast 16.000 teilnehmenden Betrieben Fragen zur Bedeu-

tung verschiedener Standortfaktoren gestellt. Dabei stellte sich der Standortfaktor „Qualität des Fach-

kräfteangebots“ in fast allen Bundesländern als sehr bedeutsam dar: Jeweils mehr als 90% der Betriebe

sagten, dass dieser Faktor eine Rolle spiele (von „weniger wichtig“ bis „äußerst wichtig“, für über die

Hälfte der Betriebe in allen Ländern war dieser Faktor sogar „sehr wichtig“ bis „äußerst wichtig“, vgl.

Abb. 1). Damit wird von den Arbeitgebern ein relativ einheitliches Bild von der hohen Bedeutung des

Fachkräfteangebots gezeichnet. Die besten (Schul-)Noten werden für diesen Standortfaktor von den

Betrieben in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern vergeben. Die schlechtesten Bewertungen erfolg-

ten in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Der Unterschied zwischen der

besten und schlechtesten Bewertung liegt bei 0,5 Notenpunkten. Auffällig sind die überdurchschnitt-

lich guten Bewertungen in den neuen Bundesländern. Diese liegen – mit Ausnahme Mecklenburg-

Vorpommerns – oberhalb des gesamtdeutschen Durchschnitts von 2,5. Ein Grund für das positive

Abschneiden der ostdeutschen Länder dürfte u.a. die aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit relativ große

Anzahl von verfügbaren Arbeitskräften für qualifizierte Tätigkeiten sein.

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Abbildung 1: Durchschnittswert der einzelnen Standortfaktoren nach ihrer Bedeutung für den

eigenen Betrieb, Deutschland

Aufgrund der demografischen Entwicklung wird aber IAB-Berechnungen zufolge (vgl. Fuchs 2005,

Fuchs/ Söhnlein 2007) das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial bis zum Jahr 2050 um rund 18 Mil-

lionen Personen sinken (vgl. Abb. 2). Dieser Rückgang dürfte durch Zuwanderung und einen Anstieg

der (Frauen-) Erwerbsbeteiligung abgeschwächt werden. Daraus könnte sich bis zum Jahr 2050 ein

Erwerbspersonenpotenzial, das „nur noch“ um rund 9 Millionen Personen unter dem heutigen liegen

wird, ergeben. Bis zum Jahr 2020 wird das Potenzial an Arbeitskräften mit rund 1,4 Millionen nur

leicht zurückgehen, danach schlägt die demografische Entwicklung in voller Stärke durch.

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Abbildung 2: Szenarien zur Entwicklung des Erwerbspersonenpotentials bis 2050

Durch die schrittweise Anhebung des Alters, ab dem eine abschlagsfreie Altersrente bezogen werden

kann, auf das 67. Lebensjahr bis zum Jahr 2029 stehen ebenfalls nach IAB-Berechnungen (vgl. Fuchs

2006) zwischen 1,2 Millionen und 3 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung (vgl. Abb. 3).

Diese Zunahme kann aber nicht einfach gegen den Rückgang der Erwerbsbevölkerung aufgerechnet

werden, weil der größte Teil der Auswirkungen der demografischen Entwicklungen erst nach 2030

zum Tragen kommt.

Abbildung 3:

Szenarien zur Entwicklung des

Erwerbspersonenpotenzial bis 2050

20,0

25,0

30,0

35,0

40,0

45,0

1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050

Mio

. P

ers

on

en

35,5 Mio. bei +200.000 WS

31,5 Mio. bei +100.000 WS

27,6 Mio. stark steigende Erwerbsquoten, keine Nettozuwanderung

26,3 Mio. konstante Erwerbsquoten, keine Nettozuwanderung

Szenarien: starker Anstieg der Erwerbsquoten Wanderungssaldo Ausländer 0-99 J.

39,4 Mio. bei +300.000 WS

Quelle: Fuchs/Dörfler (IAB-Kurzbericht 11/2005)

IAB

Annahme: Jährliche Nettozuw anderung 200.000

und steigende Potenzialerw erbsquoten der Frauen

2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050

500

1.000

1.500

2.000

2.500

3.000

3.500

Zusätzliches Erwerbspersonenpotenzial bei einer Rente mit 67

Quelle: Eigene Berechnungen

... stärkere

Zunahme (Variante 2)

... schwächere

Zunahme (Variante 1)

Erwerbsquoten

Älterer ...

Personen

in Tsd

Quelle: IAB-Kurzbericht Nr. 16/2006

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Übrigens speist sich der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials um 18 Millionen zum größten Teil

aus dem Geburtendefizit (12,8 Millionen), das mit einer Zeitverzögerung wirkt, und zu einem kleine-

ren Teil aus der Alterung der Erwerbsbevölkerung, die zu einem Rückgang der Erwerbstätigkeit führt

(5,4 Millionen). Die Ursache dafür ist die im Alter zurückgehende Erwerbsbeteiligung. Abb. 4 zeigt,

dass der Anteil der 50-64-jährigen an der potentiell erwerbstätigen Bevölkerung etwa bis zum Jahre

2020 um 25 % zunehmen und dann wieder sinken wird. Das heißt, dass die deutsche Erwerbsbevölke-

rung zunächst bis zum Jahre 2020 altert und im Wesentlichen erst danach schrumpft.

Abbildung 4:

IAB

Altersstruktur des

Erwerbspersonenpotenzials bis 2050

1990 2000 2010 2020 2030 2040 20500

5

10

15

20

25

15-29 Jahre

30-49 Jahre

50-64 Jahre

65-75 Jahre

Mio.

Annahmen: Wanderungssaldo 200.000 p.a. und

steigende Potenzialerwerbsquoten

- Personen in Mio. -Altersgruppen

Quelle: IABKurzbericht Nr. 11/2005

Die beruflichen Perspektiven der Akademiker verbessern sich aber auch noch aus einem anderen

Grund. Die derzeitige Akademikererwerbstätigkeit wird hauptsächlich von den mittleren Altersgrup-

pen getragen. In den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten scheiden nach Berechnungen von Reinberg

und Hummel (2003) diese geburtenstarken Jahrgänge sukzessive aus dem Erwerbsleben aus. Da die

Bildungsexpansion früherer Jahrzehnte in Westdeutschland seit den 1990er Jahren mehr oder weniger

zum Stillstand gekommen ist, kann der Ersatzbedarf an Akademikern nicht mehr gedeckt werden.

Die quantitative Besetzung der Altersstufen und ihre entsprechenden Qualifikationsniveaus zeigen die

zu erwartenden Probleme bei der Besetzung freiwerdender Stellen. Nach Abbildung 5 müssen die

Personen im Alter 35-44 durch eine wesentlich kleinere Gruppe von Personen im Alter 25-34 Jahre

ersetzt werden. Das wird in den Jahren 2027 bis 2036 der Fall sein.

Hinzu kommt der Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Die Erzeugung, Nutzung und

Organisation von Wissen werden heute als zentrale Quellen von Produktivität und Wachstum begrif-

fen. Die steigende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften erhöht die Chancen der Arbeitslosen

bei der Jobsuche, birgt aber gleichzeitig auf längere Sicht die Gefahr eines Arbeitskräftemangels bei

bestimmten Qualifikationen und Berufen. In der ökonomischen Theorie werden aber dauerhafte Nicht-

verfügbarkeiten nur sehr selten zur Erklärung wirtschaftlicher Vorgänge herangezogen. Vielmehr wer-

den Kosten der Suche des geeigneten Marktpartners berücksichtigt. Ein Arbeitskräftemangel ist damit

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grundsätzlich Ausdruck eines Matching-Problems: Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage passen nicht

zusammen. Für diesen sogenannten Mismatch können unterschiedliche Gründe verantwortlich sein:

Personen, die einen Arbeitsplatz suchen, fehlen möglicherweise Informationen über bestehen-

de Stellenangebote (Informationsunvollkommenheiten)

Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage können regional auseinanderfallen oder wegen man-

gelnder Mobilität nicht zusammenfinden (räumlicher Mismatch)

Die Qualifikationen der Arbeitskräfte weichen grundsätzlich von den Qualifikationsanforde-

rungen der Betriebe ab (qualifikatorischer Mismatch)

Die Vorstellungen über die allgemeinen Arbeitsbedingungen (bspw. Entlohnung, Urlaub oder

Arbeitszeitvorstellungen) verhindern den Abschluss eines Arbeitsvertrags.

Abbildung 5:

Quelle: Reinberg und Hummel (2003)

Bei diesen verschiedenen Formen des Mismatch besteht eine wesentliche Gemeinsamkeit aller Varian-

ten außer der des qualifikatorischen Mismatch, dass die Unternehmen grundsätzlich auf verschiedenen

Wegen versuchen können, Informationen über offene Stellen potenziellen Arbeitsplatzbewerbern zu

vermitteln und Kompromisse über Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Allerdings kann dabei nicht in

allen Fällen davon ausgegangen werden, dass keine staatlichen Aktivitäten erforderlich sind. Bei-

spielsweise könnte ein stärkere Erwerbsbeteiligung durch verbesserte Möglichkeiten der Kinderbe-

treuung und die Einrichtung von Ganztagsschulen angestrebt werden. Bei der Ausschöpfung des Po-

tenzials der älteren Arbeitnehmer sind die Wirkungen von staatlichen Regulierungen z.B. bei der ge-

setzlichen Festlegung des Renteneintrittsalters zu berücksichtigen. Ein besonders Problem ergibt sich

jedoch beim qualifikatorischen Mismatch, weil der für den Erwerb einer beruflich verwertbaren Quali-

fikation erforderliche Zeitraum zu berücksichtigen ist.

Um dem Mangel an (hoch-)qualifizierten Arbeitskräften zu begegnen, sind zunächst höhere

Absolventenzahlen und die Verbesserung der Qualität und der Durchlässigkeit des Bildungs- und

Ausbildungssystems erforderlich. Hinzu kommt die betriebliche Aus- und Weiterbildung. In diesem

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Zusammenhang ist die Flexibilität des dualen Systems der Berufsausbildung im Hinblick auf die sich

wandelnden Bedürfnisse der Betriebe für die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze von besonde-

rer Bedeutung. Im Bereich der betrieblichen Weiterbildung stellen „weiterbildungsabstinente“ Berei-

che wie kleine und mittlere Unternehmen, Ältere, Personen mit Migrationshintergrund und Geringqua-

lifizierte ein besonderes Problem dar. Dabei kann die Förderung der beruflichen Weiterbildung als

Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik dazu beitragen, die Weiterbildung in den Problemberei-

chen gezielt zu fördern. Schließlich kann der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften durch Nutzung

des Potenzials bei Frauen und Älteren sowie durch Anwerbung von (hoch-) qualifizierten Arbeitskräf-

ten aus dem Ausland verringert werden. Diese Themenbereiche werden in den nächsten Abschnitten

nacheinander behandelt. Zuvor wird jedoch noch auf die Messung des Fachkräftemangels eingegan-

gen.

7.2 Messung des Fachkräftemangels

In der öffentlichen Diskussion finden sich häufig unterschiedliche Aussagen über den Umfang und

damit die Bedeutung des Fachkräftemangels. Ein wichtiger Grund dafür dürfte die Schwierigkeit der

Messung des Fachkräftebedarfs bzw. –mangels sein. Zunächst ist eine möglichst genaue Abgrenzung

problematisch: Für IKT-Fachkräfte enthält die internationale Berufsklassifikation (ISCO, 88) nur we-

nige Kategorien (z.B. Systemanalysten und Programmierer). Im Mikrozensus werden zwar fünf Kate-

gorien von IKT-Berufen unterschieden, jedoch sind diese Berufsbezeichnungen teilweise veraltet. Falk

(2002) weist außerdem darauf hin, dass für das Ausüben eines bestimmten Berufs in der Praxis auch

weitere zusätzliche Qualifikationen wie z.B. Computer- und Fremdsprachenkenntnisse erforderlich

sind, die nicht unmittelbar zur Berufsausbildung dazugehören.

Unter einem Fachkräftemangel wird ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach

Fachkräften unter derzeit existierenden Marktbedingungen (Roy /Henson/ Lavoi 1996), bei gleichzei-

tig langsamen Anpassungsgeschwindigkeiten an das Ungleichgewicht (Veneri 1999, Freeman/ Aspray

1999) und obwohl „angemessene“ Rekrutierungsaktivitäten und Löhne angeboten werden (Green/

Owen 1992) verstanden. Insofern spielen verzögerte Anpassungsprozesse auf Seiten der Unternehmen

eine wichtige Rolle.

Viele Diskussionen über das Ausmaß des Fachkräftemangels resultieren aber auch aus der Tatsache,

dass die Größe des Arbeitsangebots nicht bestimmbar ist.

Bei zu geringem Angebot an ausreichend qualifizierten Arbeitskräften greifen die Betriebe selten zum

Instrument der Lohnerhöhung, um geeignete Arbeitskräfte zu gewinnen, da ansonsten die Produktivi-

tät in den anderen, nun relativ schlechter entlohnten Bereichen sinken würde, z.B. weil sich andere

Arbeitskräfte unfair behandelt fühlen. Die Betriebe setzen eher auf die betriebliche Aus- und Weiter-

bildung, wobei sie auch geringer qualifizierten Arbeitskräften eine Chance geben. Insofern ist der

Vergleich von Angebot und Nachfrage bei bestimmten Gruppen von Fachkräften als Indikator wenig

geeignet zur Messung des Fachkräftemangels.

Haskel/Martin (1993) verwenden daher die durchschnittliche Dauer der Besetzung offenere Stellen,

Stevens (1994) erfasst Rekrutierungskosten und Green/Ashton (1992) erheben die Einschätzung darü-

ber, ob unbesetzte Stellen für bestimmte Berufsgruppen leicht oder schwer zu besetzen sind. Häufig

wird für einen bestimmten Zeitpunkt auch die Quote offener Stellen bezogen auf die Beschäftigten

einer bestimmten Berufsgruppe betrachtet (Abraham 1983). Ein anderes Konzept zur Messung offener

Stellen beruht auf der Unterscheidung zwischen tatsächlich besetzten und unbesetzten Stellen während

eines Zeitraums und nicht zu einem Zeitpunkt (Kölling 2001, Farm 2000). Diese Definition ignoriert

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allerdings weitgehend die sofort besetzten offenen Stellen. Damit sind länger unbesetzte Stellen und

schwierig zu besetzende Stellen stärker vertreten. Eine Erweiterung des Ansatzes wurde im IAB-

Betriebspanel 2005 mit der Erhebung von Kompromissen, die Betriebe bei der Stellenbesetzung ein-

gehen mussten, vorgenommen (vgl. Bellmann et al. 2006).

Die monatlich veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) über die ihr bekannten offe-

nen Stellen zeigen nur einen Ausschnitt des Fachkräftebedarfs, weil die Betriebe und Verwaltungen

der BA nur einen Teil der offenen Stellen melden. Deshalb lässt das IAB regelmäßig eine Befragung

von Personalverantwortlichen durchführen, um ein umfassendes Bild zu erhalten.

Abbildung 6:

*ohne Ein-Euro-Jobs, Personal Service Agenturen, Beschäftigung schaffende Infrastrukturmaßnahmen, ABM

und Strukturanpassungsmaßnahmen

Quelle: IAB, Gesamtwirtschaftliche Stellenangebot 2000-2009.

Abbildung 6 zeigt, dass im Herbst 2006 in Deutschland insgesamt 1,371 Millionen offene Stellen an-

geboten wurden. Etwa jeder fünfte Betrieb suchte nach Personal. Der größere Teil des Stellenangebots

besteht aus unverzüglich zu besetzenden Stellen, die auch als Vakanzen bezeichnet werden. Etwa jede

vierte offene Stelle ist erst später zu besetzen. Vakanzen entstehen natürlich auch durch arbeitsmarkt-

politische Maßnahmen, wie z.B. Soziale Arbeitsgelegenheiten, Beschäftigung schaffende Infrastruk-

turmaßnahmen, ABM und Strukturanpassungsmaßnahmen, deren Anteil in Ostdeutschland wesentlich

höher ist als in Westdeutschland. Ein weiterer Indikator für die Intensität der Arbeitsnachfrage ist die

„Vakanzrate“, also das Verhältnis zwischen Vakanzen und aktuell Beschäftigten. Die zunehmenden

Anspannungen am deutschen Arbeitsmarkt zeigen sich in einem Anstieg der Vakanzrate von 1,3% im

Jahr 2004 und 2,3 % im Jahr 2005 auf 2,9 % im Jahr 2006 (jeweils einschließlich geförderter Stellen).

Die folgende Abbildung 7 liefert einen Überblick der zentralen Handlungsfelder, die zur Steigerung

des künftigen Fachkräfteangebots laut Bundesagentur für Arbeit bearbeitet werden müssen. Es wird

deutlich, dass es sich um einen breiten Maßnahmenmix handelt der quantitative (Arbeitszeitverlänge-

rung), qualitative (Höherqualifizierung der Bevölkerung) sowie institutionelle Ansatzpunkte umfasst.

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Zusätzlich werden für alle Maßnahmen mögliche Effekte auf das Fachkräfteangebot geschätzt. So

würde eine Verringerung der Schulabbrecherquote um 10-50% positiv mit zusätzlichen 0,05-0,3 Mio.

Fachkräften zu Buche schlagen. Diese recht breite Spanne macht exemplarisch deutlich, dass solche

Schätzungen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind, da niemand weiß inwieweit das Bildungs-

system dieses Ziel in Zukunft tatsächlich erreichen kann.

Rechnet man auf allen Handlungsfeldern auf der Basis internationaler Vergleiche mit dem günstigsten

Szenario, so ergäbe sich ein theoretisches – wenn auch wenig realistisches Plus an zusätzlichen 7,1

Mio. Fachkräften. Die untere Grenze, die von einer 10-prozentigen Verbesserung auf allen Handlungs-

feldern gegenüber dem heutigen Zustand ausgeht, kommt dagegen mit 2,65 Mio. auf einen deutlich

geringeren Wert.

Abbildung 7: Handlungsfelder zur Steigerung des Fachkräfteangebots bis 2025

In den einzelnen Kapiteln dieses Skripts wurden einige Handlungsfelder bereits angesprochen. In die-

sem Kapitel soll der Fokus auf der Nutzung des Potentials von Älteren und Frauen, sowie von Perso-

nen mit Migrationshintergrund und Zuwanderern nach Deutschland liegen.

Erwerbspartizipation von Älteren und Frauen erhöhen

Arbeitsmarkttransparenz erhöhen

Zahl der Schul,- Ausbildungs,- und Studienabbrecher reduzieren

Qualifizie-rungsniveau anheben

Zuwanderung von Fachkräften

Arbeitszeit von Voll,- und Teilzeit- beschäftigten erhöhen

Steuern und Abgaben prüfen

Fachkräfteangebot

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7.3 Nutzung des Potenzials von Älteren und Frauen

Im europäischen Vergleich der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer zeigen sich deutliche

Unterschiede zwischen einzelnen Ländern und insbesondere zu Deutschland. Für die unterschiedliche

Entwicklung in den einzelnen Ländern sind vielfältige Faktoren verantwortlich: Einschränkungen im

Zugang bzw. Abschaffung von Frühverrentungssystemen, arbeitsmarkt- und rentenpolitische Refor-

men, die demografische Entwicklung sowie die gesteigerte Erwerbsbeteiligung von Frauen gerade

auch im späteren Erwerbsalter. Kennzeichnend für den Erfolg waren jedoch auch die wirtschaftlichen

Rahmenbedingungen – so ging häufig ein Aufschwung der Trendwende voraus oder begleitete diese

(vgl. Kraatz et al. 2006).

Das Qualifikationsniveau hat einen deutlichen Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung. Eine bes-

sere Qualifikation erhöht die Chancen, eine Stelle zu finden und auch nach dem 55. Lebens-

jahr beschäftigt zu bleiben. Die Grundtendenz – höhere Qualifikation bedeutet höhere Er-

werbsbeteiligung – ist in allen EU-Ländern zu beobachten, allerdings mit Niveauunterschie-

den zwischen den Ländern. Im Vergleich der Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen

nach Qualifikationsniveau zeigen sich dabei folgende Tendenzen:

Bei den Hochqualifizierten zeigen sich Unterschiede zwischen den skandinavischen Ländern

und Großbritannien mit einer hohen Erwerbstätigenquote auch im späten Erwerbsalter im

Vergleich zu Österreich, Frankreich, Italien und den Niederlanden, die im Jahr 2006 deutlich

unter dem EU-Durchschnitt von 65,5% liegen. Deutschland befindet sich im Mittelfeld mit

65,3%. In allen Ländern stieg die Erwerbstätigenquote der hochqualifizierten Älteren in den

vergangenen fünf Jahren an. Bemerkenswert sind dabei auch die Fortschritte für Deutschland.

Hier erhöhte sich die Quote von 2001 zu 2006 um knapp acht Prozentpunkte.

Bei den Geringqualifizierten sieht die Situation deutlich schlechter aus. In allen Ländern liegt

die Erwerbstätigenquote deutlich unter der Quote für Hochqualifizierte, dennoch zeigen sich

die gleichen länderspezifischen Unterschiede wie im Bereich der Hochqualifizierten. Deutsch-

land liegt auch hier im Mittelfeld, und zwar mit einer Quote von 35,3 % (2006) und einem

Anstieg von etwa neun Prozentpunkten seit 2001.

Das Arbeitslosigkeitsrisiko Älterer hängt in starkem Maße von der Qualifikation ab: Ältere mit gerin-

gem oder mittlerem Qualifikationsniveau weisen höhere Arbeitslosenquoten auf als Hochqualifizierte.

Dies gilt grundsätzlich über alle Länder, auch wenn Unterschiede bestehen. Auffällig ist die hohe Ar-

beitslosenquote gering qualifizierter Älterer in Deutschland (19,2 % in 2006) im Vergleich zu Groß-

britannien (3,3 % in 2006). Einschränkend muss aber betont werden, dass gerade in Großbritannien

oder Österreich viele Ältere eine Erwerbsminderungsrente erhalten und damit de facto nicht mehr als

arbeitslos gelten (vgl. Kraatz et al. 2006). In Deutschland hat sich die Situation durch die Einschrän-

kung der Vorruhestandsregelungen verstärkt, denn bis dahin verschwanden gerade viele gering quali-

fizierte Ältere in Frühverrentungsmaßnahmen.

Zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmer müssen sich mehr Betriebe in wichtigen per-

sonalpolitischen Bereichen engagieren. Die Ergebnisse des IAB-Betriebspanels liefern dazu auf reprä-

sentativer Basis Informationen, die auch mit früheren Angaben vergleichbar sind.

In den Befragungen der Jahre 2002 und 2004 wurde beispielsweise festgestellt, dass nur knapp ein

Fünftel der Betriebe Maßnahmen der Gesundheitsprävention jenseits der gesetzlichen Mindestnormen

praktiziert – wobei auch noch Krankenstandsanalysen und Mitarbeitergespräche im Vordergrund ste-

hen. Der Anteil der Betriebe, der sich an Weiterbildungskosten beteiligt oder die ihre Mitarbeiter für

die Teilnahme von Weiterbildungsmaßnahmen freigestellt haben, ist laut IAB-Betriebspanel (jeweils

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auf das 1. Halbjahr bezogen) zwischen 1997 und 2005 von 37 auf 43 % gestiegen. Allerdings hat der

Anteil der geförderten Personen nur bis 2003 zugenommen und stagnierte dann 2005 bei 22% aller

Beschäftigten. Die Panel-Ergebnisse zeigen auch, dass Beschäftigte mit geringerem, beruflichem Sta-

tus weit unterdurchschnittlich am betrieblichen Weiterbildungsangebot partizipieren.

Eigentlich müsste mit der Alterung der Erwerbsbevölkerung die berufliche Weiterbildung an Bedeu-

tung gewinnen. Die Erstausbildung allein wird den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt in

aller Regel nicht mehr gerecht – insbesondere, wenn Ältere immer länger erwerbstätig sein sollen. Bei

einer längeren Erwerbstätigkeit steigt aber auch die Rendite von Humankapitalinvestitionen für Be-

triebe und Beschäftigte, da der Amortisationszeitraum länger wird. Ähnliches lässt sich über die be-

triebliche Gesundheitsförderung sagen.

Insofern ist es besonders problematisch, dass die sowieso geringe Verbreitung von personalpolitischen

Maßnahmen für ältere Beschäftigte (Bellmann et al. 2007) weiter leicht abgenommen hat: Der Anteil

der Betriebe mit Maßnahmen für Ältere an allen Betrieben mit über 50-jährigen Beschäftigten ist zwi-

schen 2002 und 2006 von 19 auf 17 % zurückgegangen (vgl. Abb. 9). Dabei ist zu beachten, dass die

meistgenannten Maßnahmen auch noch Altersteilzeitregelungen sind, die in der Regel eher das frühere

Ausscheiden denn das längere Arbeiten Älterer unterstützen. Erschwerend ist zudem, dass nur wenige

Betriebe Ältere in Weiterbildungsmaßnahmen einbeziehen oder spezifische Weiterbildungsmaßnah-

men für Ältere fördern – und ihr Anteil sinkt.

Abbildung 8:

Eine weitere Strategie, einem künftigen Fachkräftebedarf zu begegnen, ist die stärkere Einbindung von

Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Angesichts ihrer Zugewinne auf allen Ebenen des Bildungs- und Aus-

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bildungssystems bilden sie eine immer bedeutendere Gruppe des qualifizierten Erwerbspersonenpo-

tenzials. In Bezug auf die Erhöhung der Erwerbsquoten gibt es allerdings bei (hoch-)qualifizierten

Frauen kaum noch Spielräume. Der genauere Blick auf die Arbeitsmarktsituation von Frauen zeigt

jedoch, dass im Hinblick auf das Arbeitsvolumen noch erhebliche Potenziale vorhanden sind. 2004

besetzten Frauen nur ein gutes Drittel der Vollzeitarbeitsplätze, aber drei Viertel aller Teilzeitstellen

und konnten so lediglich 41 % zum Arbeitsvolumen beitragen, obwohl 49 % aller Beschäftigten weib-

lich waren.

Insbesondere die familiäre Einbindung versperrt vielen Frauen den Weg in Vollzeitarbeit. So öffnet

sich die Lücke zwischen Beschäftigten- und Arbeitsvolumenanteilen von Frauen besonders stark im

Alter von Anfang bis Mitte 30 – also in der Phase der Familiengründung (vgl. Wanger 2005). Es ist

daher notwendig, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Nicht nur der Staat, sondern

auch die Betriebe sollten dabei stärker als bisher in Pflicht genommen werden, um Frauen eine konti-

nuierliche Vollzeitbeschäftigung zu ermöglichen. In nur 14% aller Betriebe mit mehr als zehn Be-

schäftigten gibt es betriebliche, tarifliche oder freiwillige Vereinbarungen für eine familienfreundliche

Arbeitsplatzgestaltung. Insbesondere Programme, die über die Möglichkeit von Teilzeiterwerbstätig-

keit hinausgehen, wie etwa die Bereitstellung von Kinderbetreuung, werden vergleichsweise selten

angeboten (vgl. Allmendinger et al. 2006).

Die Förderung kontinuierlicher Vollzeitbeschäftigung von Frauen kann auch einen Beitrag leisten, den

Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen. Die IAB-Führungskräftestudie zeigt, dass derzeit in

der obersten Führungsebene von Betrieben nur jede vierte Stelle von einer Frau besetzt ist. In großen

Betrieben sinkt der Anteilswert sogar auf unter zehn Prozent (Kleinert et al. 2007). Eine Erhöhung der

weiblichen Führungskräfteanteils würde nicht nur die berufliche Chancengleichheit von Frauen und

Männern fördern, sondern auch zur besseren Nutzung von Humankapital beitragen.

Ausschöpfungspotenziale gibt es auch hinsichtlich des Berufsspektrums der Frauen. So zeigen Ergeb-

nisse des IAB, dass sich Frauen stärker als Männer auf wenige Berufsgruppen konzentrieren und nach

wie vor kaum in typische Männerdomänen eindringen. Um hier einen Ausgleich zu schaffen, reicht es

allerdings nicht, stärker für diese Berufe zu werben – auch die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen

von Frauen in diesen Berufen müssen verbessert werden. Analysen des IAB zur Arbeitsmarktlage von

Ingenieurinnen und Informatikerinnen haben in diesem Zusammenhang gezeigt, dass sie gegenüber

ihren männlichen Fachkollegen deutlich benachteiligt sind. Sie finden sich auf niedrigeren Positionen,

sind häufiger befristet beschäftigt und etwa doppelt so häufig arbeitslos (vgl. Plicht/ Schreyer 2002).

7.4 Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland

Ungleichheiten zwischen Einheimischen und Migranten werden häufig als „ethnische Benachteili-

gung“ beschrieben. Ein Großteil dieser Unterschiede lässt sich auf die Ausstattung mit Humankapital

zurückführen, die in Deutschland in hohem Umfang von Generation zu Generation vererbt wird. Sei-

bert (2008) hat daher zunächst ein Blick auf die Schulabschlüsse der 15-24Jährigen geworfen. Wie

Abbildung 9 zeigt, besitzen lediglich 2 Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund keinen

Schulabschluss, 22 Prozent haben einen Hauptschulabschluss erlangt, weitere 39 Prozent einen Real-

schulabschluss und 36 Prozent verfügen über ein (Fach-)Abitur.

Deutlicher fällt im Vergleich dazu der Abstand der Deutschen mit türkischer Herkunft aus: 8 Prozent

besitzen keinen Schulabschluss, 35 % lediglich einen Hauptschulabschluss, 33 % einen Realschulab-

schluss und 23 % haben das (Fach-)Abitur erreicht. Türkische Staatsangehörige schneiden mit 13 %

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ohne Schulabschluss und 58 % Hauptschulabschluss, 25 % Realschulabschluss und 13 % Abitur sogar

noch schlechter ab als die eingebürgerten Türken.

Insgesamt unterscheiden sich junge Erwachsene mit Migrationshintergrund erkennbar von den Ein-

heimischen hinsichtlich ihrer schulischen Vorbildung. Die Diskrepanzen fallen für die Personen mit

nichtdeutscher Staatsangehörigkeit größer aus als für die bereits Eingebürgerten. Junge Menschen mit

türkischer Herkunft schneiden dabei besonders schlecht ab – und das noch mehr, wenn sie keinen

deutschen Pass besitzen.

Abbildung 9:

Quelle: Berechnungen von Seibert (2011) nach dem Mikrozensus 2008.

Die schlechteren Schulabschlüsse von Migranten lassen sich insbesondere auf ihre im Durchschnitt

niedrigere soziale Herkunft zurückführen (Kristen/Granato 2007) und auf die Tatsache, dass das deut-

sche Schulsystem der Vererbung von niedriger Bildung nur wenig entgegenzusetzen hat (Prenzel et al.

2007; Brück-Klingberg et al. 2009).

Hinsichtlich der beruflichen Bildungsabschlüsse von jungen Migranten zeigt sich ein ähnliches Bild

wie bei den Schulabschlüssen. (Spät-)Aussiedler sind dem Muster der Deutschen ohne Migrationshin-

tergrund (14% ohne Berufsabschluss, 69% mit Berufsausbildung, 17% mit (Fach-) Hochschulab-

schluss) noch am nächsten (Abbildung 10).

Personen mit türkischer Herkunft haben weitaus häufiger keinen Abschluss: Unter den Deutschen mit

türkischer Herkunft sind es 33 Prozent, bei den türkischem Staatsangehörigen sogar 54 Prozent. Auch

die Anteile mit Berufsausbildung (57% bzw. 44%) und (Fach-) Hochschulabschluss (10% bzw. 2%)

unterscheiden sich deutlich von denen der gleichaltrigen Einheimischen. Migranten mit sonstiger Her-

kunft nehmen hier eine mittlere Position ein, wobei diejenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit wie-

derum höhere Abschlüsse besitzen als jene mit nichtdeutscher.

Wie bei den Schulabschlüssen sind es auch bei den beruflichen Bildungsabschlüssen die Migranten

mit deutschem Pass, die besser abschneiden als die ausländischen Staatsangehörigen. Türkische Mig-

ranten erreichen aber deutlich seltener berufliche Bildungsabschlüsse als alle anderen Gruppen (Sei-

bert 2008).

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Abbildung 11 zeigt, dass eine inländische Berufsausbildung die Wahrscheinlichkeit einer qualifizier-

ten Tätigkeit nachzugehen deutlich erhöht. Allerdings sind die Chancen der Türken am schlechtesten,

selbst wenn sie eine Berufsausbildung in Deutschland absolviert haben.

Abbildung 10:

Quelle: Berechnungen von Seibert (2008) nach dem Mikrozensus 2005.

Abbildung 11:

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Quelle: Berechnungen von Seibert (2011) nach dem Mikrozensus 2008

7.5 Zuwanderung nach Deutschland

Um im Handlungsfeld „Steuerung der Zuwanderung von Fachkräften“ das darin enthaltene Potential

von 0,4-0,8 Mio. zusätzlichen Fachkräften zu erreichen, (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011) ist die

Erhöhung der Attraktivität Deutschlands und die Etablierung einer umfassenden Willkommenskultur

erforderlich. Seit der Jahrtausendwende entwickelt sich der Wanderungssaldo zu Ungunsten Deutsch-

lands (vgl. Abbildung 12), Im Jahr 2009 sind mehr Menschen aus Deutschland weggezogen (734.000)

als hierher zugewandert (721.000). Unter den Zuwanderern befanden sich nur 17.000 ausländische

Fachkräfte: Rund 12.000 Hochschulabsolventen, gut 4.400 Mitarbeiter multinationaler Unternehmen

und knapp 700 Hochqualifizierte. Der größte Teil davon sind Ausländer. Unter den deutschen Staats-

bürgern betrug die Nettoabwanderung rund 30.000 Personen

Darauf hinzuweisen ist, dass die Gewinnung von 0,4-08 Mio. Fachkräften eine Nettowanderung von

etwa 200.000 Personen pro Jahr voraussetzt, denn pro Zuwanderer kommen ein bis zwei Familienan-

gehörige mit. Außerdem wurde bei der Schätzung ein Fachkräfteanteil von 40% unterstellt. Um dieses

Potential zu realisieren, bedarf es deutlich veränderter Rahmenbedingungen. Die Schaffung einer Kul-

tur, in der die Einheimischen offen auf die Einwanderer zugehen (Zimmermann 2011), ist dabei eben-

so erforderlich wie institutionelle Änderungen, um die Zuwanderung nach Qualifikationskriterien

steuern zu können:

- Bedenkenswert ist die Abschaffung der Vorrangprüfung bei Mangelberufen, die auf einer Po-

sitivliste vermerkt sind. Der Vorteil dieses Modells liegt darin, dass es leicht und schnell um-

setzbar ist.

- Bei einem Punktesystem wie es z.B. in Kanada existiert werden für Kriterien wie Ausbildung,

Alter und Beherrschung der Landessprache Punkte vergeben, deren Gesamtzahl über die Zu-

wanderungserlaubnis entscheidet. Der Vorteil dieses Modells liegt in seiner großen Transpa-

renz.

- Hinzu könnte die transparente und zügige Anerkennung ausländischer Abschlüsse für die zu-

künftige Zuwanderung von Fachkräften und die hier lebenden Personen mit Migrationshinter-

grund sein.

Abbildung 12:

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Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2011, Statistisches Bundesamt

In der Diskussion der Fachöffentlichkeit spielt die Migration von Personen aus der EU, insbesondere

den neuen Beitrittsländern, und aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland eine besondere Rolle (Baas et

al. 2009). Die Zuwanderung in Regionen und Arbeitsmarktsegmente mit Fachkräftemangel kann ei-

nen bestehenden Mismatch reduzieren, ohne gleichzeitig die (bestehende) Arbeitslosigkeit zu erhöhen.

Die Erhöhung der Nachfrage nach komplementären Arbeitskräften kann die (bestehende) Arbeitslo-

sigkeit sogar verringern. Unter den Bedingungen des demografischen Wandels hat die Migration

wichtige langfristige Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Zwar sind unrealistisch hohe Migrations-

raten erforderlich, um den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland aufzuhalten. Al-

lerdings kann durch Zuwanderung der Alterungsprozess abgeschwächt werden, so dass ein Nettoge-

winn für die öffentlichen Finanzen und Sozialversicherungssysteme entsteht (Leber 2003).

Die Wohlfahrtseffekte der Zuwanderung hängen sehr stark von der Qualifikationsstruktur der Zuwan-

derer ab: Erstens steigt die Wachstumsrate der gesamtwirtschaftlichen Produktion und Produktivität

mit dem Qualifikationsniveau der Migranten. Zweitens werden die fiskalischen Gewinne ebenfalls von

der Qualifikation und dem erzielbaren Einkommen der Zuwanderer bestimmt. Drittens können die

Probleme der Arbeitsmarktintegration die zuvor genannten gesamtwirtschaftlichen Vorteile erheblich

reduzieren; dies ist vor allem bei Personen ohne beruflich verwertbare Qualifikation der Fall.

In einer neuen Studie haben Brenke et al. (2009) die Konsequenzen der Zuwanderung seit der EU-

Erweiterung um acht neue Mitgliedsländer (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien,

Tschechien und Ungarn) im Jahr 2004 für den deutschen Arbeitsmarkt betrachtet. Vergleicht man mit

den Mikrozensusdaten die Nettozuwanderung der Jahre 2000-2003 mit der der Jahre 2004 bis 2007, so

zeigt sich eine Zunahme um 150 %. Die in Abbildung 13a dargestellten Analysen ergeben, dass die

Mehrheit der Zuwanderer aus den neuen EU-Ländern männlich und jung ist, aber wesentlich seltener

als Zuwanderer aus den EU 15-Staaten schulische und berufliche Bildungsabschlüsse vorweisen kann.

Abbildung 13a: Durchschnittlicher Schulbesuchsdauer von männlichen Zuwandern nach Deutschland

nach dem Zuwanderungszeitpunkt und dem Herkunftsland

Quelle: Brenke et al. 2009, S. 29.

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Abbildung 13b: Durchschnittlicher Schulbesuchsdauer von weiblichen Zuwandern nach Deutschland

nach dem Zuwanderungszeitpunkt und dem Herkunftsland

Quelle: Brenke et al. 2009, S. 30.

Die Veränderung der Qualifikationsstruktur der Personen, die seit 2004 nach Deutschland gekommen

sind im Vergleich zu den Personen, die früher zugewandert sind, ist aus der Tabelle 13b ersichtlich:

Die durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs der in den Jahren 2004-2006 aus den neuen EU-

Mitgliedsländern und nicht aus der EU zugewanderten Männern war zueinander sehr ähnlich, aber

wesentlich niedriger als die der aus den „alten“ EU-Mitgliedsländern zugewanderten. Bei den aus den

neuen EU-Ländern zugewanderten Frauen war die durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs zwar

größer als aus den Nicht-EU-Ländern, aber ebenfalls kürzer als bei den Frauen, die aus den „alten“

EU-Ländern nach Deutschland kamen (vgl. Abbildung 13b).

7.6 Zusammenfassung

Aufgrund der zunehmenden Alterung, der Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung in Deutschland so-

wie des Übergangs von der Industrie- zur Wissensgesellschaft ist die Frage nach dem branchenspezifi-

schen und gesamtwirtschaftlichen Fachkräftebedarf in den Vordergrund der aktuellen wirtschafts- und

arbeitsmarktpolitischen Diskussion gerückt. Im IAB-Betriebspanel wurden die Betriebe um die Ein-

schätzung der Relevanz und um eine Beurteilung verschiedener Standortfaktoren gebeten. Dabei zeig-

te sich die herausragende Stellung des Standortfaktors "Qualität des Fachkräfteangebots".

Die unterschiedlichen Definitionen und Messverfahren des Fachkräftebedarfs bzw. - mangels erschwe-

ren die öffentliche Diskussion. Aus der IAB-Befragung zum gesamtwirtschaftlichen Stellenangebot

zeigen die zunehmenden Anpassungen am deutschen Arbeitsmarkt im Zeitraum 2004-2006.

Aus der Diskussion der Einzelaspekte des Themas wie der Akademikermangel, die betriebliche Aus-

und Weiterbildung, die Nutzung des Potenzials von Älteren und Frauen sowie die Migration ergibt

sich nicht nur die Bedeutung dieser Handlungsfelder, sondern auch, welche Herausforderungen noch

bestehen.

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8. Politische Ökonomie der Bildung

In diesem Abschnitt sollen Antworten auf folgende Fragen gegeben werden:

Ist Bildung ein öffentliches oder privates Gut?

Aus welchen Gründen kommt es im Bildungsbereich zu Marktversagen?

Welche Möglichkeiten der Bereitstellung von Bildungsgütern sind zu unterscheiden?

Was verbindet gemeinnützige Bildungseinrichtungen in privater und öffentlicher Träger-

schaft?

Wie ist die Rolle des New Public Managements im Bildungswesen zu beurteilen?

Wie haben sich die Bildungsausgaben seit 1995 entwickelt?

Welche Auswirkungen hatte die globale Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Hochschulaus-

gaben?

8.1 Einleitung

Im Zentrum der politischen Ökonomie der Bildung steht die Bestimmung des Verhältnisses von öf-

fentlichen und privaten Gütern im Bildungsbereich. Ökonomisch lassen sich staatliche Eingriffe in das

Bildungswesen mit verschiedenen Formen des Marktversagens begründen. Deshalb werden im nächs-

ten Abschnitt die geläufigen theoretischen Definitionen von Marktversagen wie Nichtrivalität, Nicht-

ausschließbarkeit, externe Effekte und unzureichende Nachfragesouveränität dargestellt. Danach wird

gezeigt, dass es sich bei Bildungsgütern – was ihre Bereitstellung und Finanzierung angeht – um einen

Mix öffentlicher und privater Güter oder anders ausgedrückt: um gemischte Güter handelt. Dies gilt

sowohl für die Bildung insgesamt als auch für einzelne Bildungsgüter. Danach werden verschiedene

Formen der öffentlichen und privaten Bereitstellung von Bildung differenziert betrachtet. Schließlich

wird auf verschiedene Aspekte der öffentlichen und privaten Bildungsfinanzierung eingegangen. Im

Weiterbildungskapitel dieses Skripts wurden in dieser Hinsicht auch schon bereits einige Punkte dis-

kutiert.

8.2. Gründe für Marktversagen

Die klassische Definition eines öffentlichen Guts stellt auf die fehlende Rivalität und/oder die fehlende

Ausschließbarkeit im Konsum eines Gutes ab. In den meisten Fällen gibt es eine Rivalität bei der Nut-

zung eines Gutes: ein Apfel kann entweder von der Person A oder B gegessen werden. Nichtrivale

Güter können hingegen von beliebig vielen Konsumenten ohne gegenseitige Beeinträchtigung genutzt

werden. Ein Beispiel wäre in diesem Sinne das ökonomische Wissen über das Bildungswesen.

Nichtausschließbarkeit liegt immer dann vor, wenn es technisch nicht möglich, teuer oder sozial nicht

vertretbar ist, einzelne von der Nutzung des betreffenden Gutes auszuschließen. Beispiele sind die

öffentliche Sicherheit und die saubere Umwelt.

Ein weiterer Grund für Marktversagen ist in externen Effekten zu sehen. Diese treten auf, wenn der

Nutzen und/oder Schaden einer Markttransaktion nicht den unmittelbar an dieser Transaktion beteilig-

ten Marktteilnehmern zugerechnet werden kann, sondern wenn auch für Unbeteiligte entweder Erträge

oder Belastungen anfallen. Im ersteren Fall spricht man von positiven Externalitäten und im zweiten

Fall von negativen Externalitäten, die z.B. im Bereich von Umweltverschmutzungen auftreten. Wie

noch dargelegt werden wird, gibt es im Bildungsbereich bedeutende positive externe Effekte, was dazu

führt, dass der gesellschaftliche Gesamtnutzen ist größer als die private Nutzung für die einzelnen

Bildungsteilnehmer. Schließlich sollten die Konsumenten nicht über die Bereitstellung solcher Güter

entscheiden, bei denen ihre Prioritätensetzung nicht den gesellschaftlichen Wertvorstellungen ent-

spricht (sog. meritonische Güter) und bei denen ihrer Entscheidungskompetenzen nicht ausreichen.

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Über die Art und den Umfang dieser verschiedenen Formen des Marktversagens lässt sich trefflich

streiten. Was die Nichtrivalität des Konsums im Bildungsbereich angeht, können Ressourcen wie z.B.

Seminarräume, Betreuungskapazitäten der Lehrkräfte, Bibliotheken nicht gleichzeitig von einer belie-

ben Anzahl von Studierenden genutzt werden. Überfüllte Seminare, Wartelisten für Laborplätze u.ä.

belegen, dass der notwendige Ressourcenaufwand im Bildungswesen in einem bestimmten Verhältnis

zur Zahl der Bildungsteilnehmer stehen muss. Allerdings besteht keine strenge Rivalität, da der Unter-

richt meistens in Gruppen stattfindet und die Gruppengröße durchaus in sinnvollen Grenzen variieren

kann. Bildungsgüter werden deshalb auch als Klubgüter bezeichnet, bei denen innerhalb einer gewis-

sen Klubgröße keine oder nur eine schwache Nutzungskonkurrenz zwischen den Klubmitgliedern

besteht. Erst wenn die Anzahl der Klubmitglieder eine kritische Grenze überschreitet, beginnt eine

ausgeprägte Rivalität um die gemeinsamen Güter oder Leistungen (Straubhaar/Winz 1992,59).

Ein weiteres Kriterium für Marktversagen ist die Nichtausschließbarkeit. Die technischen Möglichkei-

ten dazu bestehen sicherlich oder wären etwa beim Bildungsfernsehn leicht realisierbar. Im Pflicht-

schulbereich besteht umgekehrt sogar aus Gründen der sozialen Erwünschtheit eine Teilnahmever-

pflichtung, die notfalls polizeilich durchgesetzt wird. Bei weiterführenden Bildungsgängen wird die

Teilnahme von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig gemacht. Gründe sind die Rivali-

tät bei der Nutzung von Bildungseinrichtungen und die den Bildungsteilnehmern unterstellte einge-

schränkte Entscheidungskompetenz darüber, ob sie die Voraussetzungen für die erfolgreiche Teilnah-

me an den betreffenden Bildungsgängen erfüllen.

Externe Effekte entstehen durch Bildung, weil diese weitreichenden ökonomischen und sozialen Nut-

zen stiftet, wobei sich dabei in Geld ausdrückbare oder monetäre und nicht-monetäre Erträge unter-

scheiden lassen. In der Abbildung 1 wird dargestellt, dass die Erzielung eines höheren individuellen

Einkommens, das im Mittelpunkt der Humankapitaltheorie steht, nicht die einzige private Ertragsform

der Bildung darstellt. Hinzu kommen die höhere Erwerbsbeteiligung und das geringere Risiko, arbeits-

los zu werden. Auf diese Aspekte wird in diesem Skript im Kapitel zur Bildungspolitik noch einge-

gangen. Für die Gesellschaft ergeben sich monetäre Bildungserträge, weil Arbeitseinkommen zu ver-

steuern sind, und darauf außer bei Beamten und innerhalb bestimmter Grenzen Sozialversicherungs-

beiträge zu entrichten sind. Umgekehrt werden die Arbeitslosen teilweise für ihren Einkommensaus-

fall entschädigt. Zu den privaten, nicht-monetären Erträgen der Bildung gehören das höhere Sozial-

prestige, das z.B. Akademiker wie Professoren, Geistliche, Rechtsanwälte und Ärzte genießen, aber

auch deren höhere Lebenserwartung und bessere Gesundheit. Die Vermittlung von Wissen „lohnt“

sich für die Gesellschaft auch deshalb, wenn Werte und Einstellungen, die für den Zusammenhalt der

Gesellschaft und die Nachhaltigkeit des wirtschaftlichen Handelns erforderlich sind, vermittelt wer-

den.

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Abbildung 1: Private und soziale Bildungserträge

monetär nicht-monetär

privat

höheres Einkommen, höhere Er-

werbsbeteiligung, geringere Arbeits-

losigkeit

Sozialprestige, Ausbildung sozia-

ler/kultureller Interessen, die einen

gehobenen Lebensstil erlauben, hö-

here Arbeitsqualität, höheres

Gesundheitsbewusstsein

sozial

höhere Steuern, geringere Arbeitslo-

sentransfers;

geringere Ausgaben für Gesundheit

und Umwelt

gesellschaftlich wertvolle Einstellun-

gen, z.B. Umweltbewusstsein

soziale Verantwortlichkeit aufgrund

gehobener Stellung

Quelle: Pechar, 2006, 38.

Damit ist angesprochen die Bereitstellung meritorischer Güter, also solcher, die höhere Werte und

Bedürfnisse der Gesellschaft repräsentieren und die deshalb nicht der Entscheidung des einzelnen

Bürgers überantwortet werden dürfen. Kollektive politische Entscheidungen sind deshalb prinzipiell

besser geeignet, z.B. eine Gemeinwohlorientierung im Lehrplan zu verankern. Historisch gesehen gab

es in beiden Teilen der Bevölkerung, der die entsprechende Zukunftsorientierung fehlte, durchaus

Widerstände gegen die Einführung der allgemeinen Schulpflicht.

Außerdem ist in Bildungsfragen eine inhaltliche Entscheidungskompetenz des einzelnen erforderlich,

die oftmals erst im Nachhinein gegeben ist. Bildung kann deshalb als Vertrauensgut bezeichnet wer-

den, weil schwer korrigierbare Entscheidungen getroffen werden müssen, die auf Fähigkeiten beruhen,

die erst im Laufe des individuellen Bildungsprozesses erworben wurden, gleichzeitig aber die Voraus-

setzung einer rationellen Bildungsentscheidung bilden.

8.3 Öffentlicher und privater Mix bei Bildung

Wegen der verschiedenen Formen, in denen Marktversagen auftritt, gibt es im Bereich der

Bildung nur wenig private Güter. Auf der anderen Seite werden auch nur wenige Bildungsgü-

ter strikt als öffentliche Güter bereit gestellt, denn oftmals fallen Gebühren an oder Private

beteiligen sich an der Finanzierung. Die Abbildung 2 betrachtet die einzelnen Bereiche des

Bildungsangebots differenziert. Dabei zeigt sich ein Mix öffentlicher und privater Güter ers-

tens bei ihrer Bereitstellung, der von öffentlichen Schulen bis zu Privatschulen reicht, und

zweitens in der Finanzierung, wo das Spektrum von öffentlichen Schulen bis zu den Privat-

schulen geht.

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Abbildung 2: öffentlich/privater Mix bei Bildungsgütern

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Pechar 2006, 38.

Im Schulwesen gibt es in Deutschland einen Trend, der aber nicht besonders ausgeprägt ist, in

Richtung privater Güter. Rund jeder 12. Schüler besucht eine Privatschule (Statistisches Bun-

desamt 2011). Bei dem Teil der Privatschulen, der eine religiöse Trägerschaft aufweist, über-

nimmt der Staat die Personalkosten. Private Finanzierungsanteile entstehen bei den Bildungs-

teilnehmern bzw. ihren Elterndurch das „Büchergeld“ bei Schulbüchern, private Fahrtkosten

u.ä.. Die Schulen sind auch zunehmend erfolgreich bei der Einwerbung von Sponsorengel-

dern.

Im Unterschied dazu haben Einnahmen von Privaten im Hochschulbereich durch Studienge-

bühren, Sponsoring und Forschungsaufträge auch von Unternehmen stetig zugenommen.

Auch hat sich der Staat zunehmend aus den universitären Entscheidungsstrukturen zurückge-

zogen (z.B. werden seit 2009 an der Universität Erlangen-Nürnberg die Professoren nicht

mehr vom Wissenschaftsministerium, sondern vom Präsidenten der Universität berufen).

Zwar gelten weiterhin öffentlich-rechtliche Regelungen, und der Staat hat z.B. im Rahmen der

Hochschulausbauplanung strategische Interessen, aber die Grundsätze des New Public Mana-

gement haben auch in den Hochschulen Einzug gehalten, so dass hybride Organisationen ent-

standen sind.

In der Bereitstellungs- und Finanzierungsdimension besetzen die Privatuniversitäten den pri-

vaten Pol. Sie sind überwiegend über Studien- und Prüfungsgebühren finanziert sowie über

Stiftungsmittel. Letztere spielen traditionell in den USA eine große Rolle bei der Finanzierung

von Hochschulen.

In der betrieblichen Aus- und Weiterbildung ist – wie in den entsprechenden Kapiteln dieses

Skripts auch gezeigt wurde – die Rolle der Betriebe und Unternehmen sehr stark. Aber auch

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im Hochschulbereich könnte mit dem Bolognaprozess und der damit verbundenen Zunahme

der Bedeutung von weiterbildenden berufsbegleitenden Masterstudiengängen, für die oftmals

Beiträge der Studierenden verlangt werden, eine Verschiebung der Hochschulen in Richtung

der marktlichen Bereitstellung und Finanzierung bewirkt werden.

8.4 Öffentliche und private Bereitstellung von Bildung

Während bisher die Unterschiede zwischen privater und öffentlicher Bildung im Sinne der

Bereitstellung und Finanzierung betrachtet wurden, soll im Folgenden die Unterscheidung

von gemeinnützigen und gewinnorientierten Bildungsangeboten im Vordergrund stehen. Im

internationalen Vergleich zeigt sich das Spektrum der Angebote und deren Anteile. Dies be-

deutet, dass es kein eindeutiges „ökonomisches Gesetz“ gibt, das die Vorteilhaftigkeit einer

bestimmten Organisationsform quasi erzwingt. Dafür gibt es aber bildungspolitische Diskus-

sionen auf der Basis von bestimmten systematischen Argumenten, über die im Folgenden ein

Überblick gegeben werden soll.

Gewinnorientierte Unternehmen sind im Bildungsbereich nicht völlig ausgeschlossen. Aller-

dings ist ihre Stellung aufgrund der verschiedenen Formen des Marktversagens eher auf die

Ränder der Bildungssystems beschränkt. Bildung wird – wie wir gesehen haben – als öffentli-

ches Gut oder im öffentlichen/privaten Mix bereitgestellt und finanziert. Die Abbildung 3

zeigt eine weitergehende Differenzierung dieser Bildungsinstitutionen, die auf gemeinnützige

Ziele ausgerichtet sind. Der staatliche Einfluss auf den Bildungsbereich ist z.B. in den USA

weitaus weniger ausgeprägt als in verschiedenen europäischen Ländern, was sicherlich auf

unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen zurückzuführen ist. Von Interesse sind aber auch

die möglichen Unterschiede, mit der die vom Staat übernommenen Aufgaben organisiert wer-

den. Traditionell dominiert die behördliche Organisationsform, die durch Bindung an Regeln,

starre Hierarchien und Finanzierung durch Haushaltsaufstellungsverfahren zu charakterisieren

ist. Dagegen verfügen öffentlich-rechtliche Unternehmen über größere Handlungsspielräume

als Behörden. In jüngster Zeit haben die Reformen in vielen europäischen Ländern diesen

Typus der öffentlichen Aufgabenerfüllung gestärkt.

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Abbildung 3: Bereitstellung des Bildungsangebots

Quelle: Pechar 2006, 57.

Aus der Sicht der Vertreter des „New Public Management“ (NPM) im Bildungsbereich gilt es

die zentralistische „Überregulierung“ und „Übersteuerung“ öffentlicher Bildungseinrichtun-

gen zu überwinden, da sie gravierende betriebswirtschaftliche und pädagogische Nachteile

aufweisen. Der zentrale pädagogische Einwand gegen das herkömmliche Steuerungssystem

besteht darin, dass der Staat die Input- und Prozessebene stark reguliert, aber keinen Einfluss

auf die Ergebnisse des Bildungsprozesses besitzt. Die Ausstattung der Bildungseinrichtungen

wird ebenso politische festgelegt wie die Lehrpläne und schulischen Abläufe, während die

Lehrkräfte große Freiräume bei der Unterrichtsgestaltung erhalten. Die Reformen im Sinne

des NPM zielen auf eine Erweiterung der Handlungsspielräume bei den Inputs und Prozessen

und ein stärkeres Monitoring der Bildungsergebnisse verbunden mit der Setzung adäquater

Anreize für Leistungsverbesserungen. Gegen die Praxis der Implementation von Steuerungs-

elementen wird kritisch eingewendet, dass dies ein eleganter Weg sei, um Budgetkürzungen

nach unten zu delegieren. Allerdings ist die Stärkung der Ressourcenverantwortung eine we-

sentliche Voraussetzung für eine effektivere und effizientere Mittelverwendung bei größerer

Knappheit der Ressourcen.

Ein weiterer wesentlicher ökonomischer Vorteil von öffentlichen Unternehmen, den Behör-

den nicht besitzen, besteht in der Möglichkeit der Erzielung von Überschüssen, die aber im

Unternehmen verbleiben und im Sinne der gemeinnützigen Ziel wieder ausgegeben werden

müssen. Das sog. „Dezemberfieber“ also dem Bemühen noch vor dem Ende des Haushalts-

jahres die zugesagten Haushaltsmittel aufzubrauchen, weil diese sonst nicht nur verfallen,

sondern auch im nächsten Jahr Haushaltskürzungen drohen, lässt sich auf diese Weise ver-

meiden. Darin besteht auch eine wesentliche Gemeinsamkeit mit Non-profit Organisationen

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privater Trägerschaft. Bei Non-profit Organisationen in privater und öffentlicher Trägerschaft

darf die Gemeinwohlorientierung kein leeres Versprechen sein, sondern muss in konkreten

Normen ihren Niederschlag finden. Dagegen können die gewinnorientierten Unternehmen im

Bildungsbereich diesen strengen ethischen Maßstäben nicht genügen, wenn sie sich erfolg-

reich am Markt behaupten wollen. Auch die Rücksichtnahme auf die soziale Lage ihrer Klien-

ten kann von rein gewinnorientiert tätigen Unternehmen im Bildungsbereich nicht erwartet

werden. Schließlich können die Leistungen von Bildungsanbietern nur unvollkommen ver-

traglich definiert werden, auch wie die Bildungsinhalte einem ständigen Wandel unterworfen

sind und die Bildungsteilnehmer wesentlichen Einfluss auf ihren „Erfolg“ besitzen. Die Nor-

men gemeinnütziger Bildungsträger schützen die Klienten davor, dass die Organisationen,

denen sie sich anvertraut haben, ihre unklare rechtliche Lage ausnutzen.

Aber auch mit der Wahlfreiheit der Nachfrager nach Bildungsleistungen können Non-profit

Organisationen teilweise besser umgehen als Behörden, die sich eine hohe Definitionsmacht

über das von ihnen bereitgestellte Bildungsangebot besitzen. Beispielsweise würden viele

Studierende, wenn sie die Wahl hätten, nur solche Angebote auswählen, die ihnen mit gerin-

gem Aufwand hohe private Erträge versprechen. Das sind vor allem spezielle Qualifikationen,

die am Arbeitsmarkt zumindest aktuell knapp sind und deshalb besonders gut entlohnt wer-

den. Gemeinnützige Einrichtungen können auf diese Wünsche und Ansprüche nur im Rahmen

kohärenter Curricula eingehen, die auch aufgrund der Professionsethik und –standards entwi-

ckelt wurden.

Auf der anderen Seite wird es auch in der Öffentlichkeit begrüßt, wenn das Vordringen ge-

winnorientierter Unternehmen dazu führt, dass auch Bildungsträger kostengünstiger arbeiten.

Pechar (2006,70) weist darauf hin, dass sich dieses Phänomen nicht nur durch Effizienzsteige-

rungen erklären lässt. Da gemeinnützige Bildungseinrichtungen subventioniert würden, weil

sie soziale Ziele und nicht nur private verfolgen, bestünden hohe Markteintrittsbarrieren für

private gewinnorientierte Bildungsanbieter. Allerdings gibt es auch neuere Entwicklungen,

die diese Eintrittsbarrieren gesenkt haben. Dazu gehört der Einsatz neuer Informationstechno-

logien, die bei bestimmten Unterrichtsinhalten zu erheblichen Produktivitätszuwächsen ge-

führt hatten. Zudem konzentrierten sich gewinnorientierte Hochschulen auf Studienangebote,

für die keine hohen Ausstattungskosten anfallen und verzichteten ganz auf Forschung oder

zumindest auf teurere Gundlagenforschung. Schließlich erreiche die Hochschulbildung neue

(zumindest berufstätige) Zielgruppen, weil sie erstens hohe zeitliche Flexibilität mit guter

didaktischer Qualität verbinden und zweitens verstärkt auf Qualifikationsaspekte mit unmit-

telbaren privaten Erträgen gesetzt würde.

8.5 Entwicklung der Bildungsausgaben

Diskussionen über die angemessene Finanzierung bestimmen vielfach die öffentlichen Debat-

ten über die Bildungspolitik. In diesem Zusammenhang sind internationale Vergleich der

Entwicklung der Bildungsausgaben sehr wichtig geworden.

In der Abbildung 4 sind die Bildungsausgaben bezogen auf das Bruttosozialprodukt darge-

stellt. Einige Länder wie Kanada, Frankreich, Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark und

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USA übertreffen den OECD-Schnitt von 5,7% (2007) zum Teil deutlich, während Spanien,

Deutschland, Australien, Portugal und Italien darunter bleiben.

Abbildung 4:

Quelle: OECD (2010)

Die Bildungsausgaben im Primarbereich pro Schüler weisen ein ähnliches Muster wie die Bildungs-

ausgaben bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt auf (vgl. Abbildung 5).

Abbildung 5:

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Quelle: OECD (2010)

Dagegen sind im Tertiärbereich im Vergleich dazu einige Unterschiede festzustellen, z.B. sind dort die

Ausgaben pro Student im Durchschnitt niedriger als in Deutschland.

Außerdem betrachtet die OECD die öffentlichen und privaten Finanzierungsanteile der Bildungsaus-

gaben. In den europäischen Ländern werden die Bildungsausgaben vergleichsweise stark öffentlich

finanziert. Dies ist auch ein entscheidender Grund dafür, dass die Bildungsausgaben nicht mit den

steigenden Schüler- und Studentenzahlen Schritt halten konnten. Aufgrund der demografischen Ent-

wicklung, der Schuldenkriterien im Maastricht-Vertrag und der Notwendigkeit der Finanzierung der

Auswirkungen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, kann es als wenig wahrscheinlich angese-

hen werden, dass sich diese Entwicklung umkehren wird.

Jedoch haben wir in diesem Skript auch auf die Effizienz öffentlicher Bildungsfinanzierung hinge-

wiesen, Heckman und Jacobs (2009, 14) schreiben dazu klipp und klar: „Poverty traps create not only

large tax burdens on work effort but also on skill formation, if it does not pay work it does not pay to

invest in skills either.“

In diesem Zusammenhang ist die Erhebung der European University Association (EUA), einer Verei-

nigung von 850 Hochschulen aus 46 Ländern besonders interessant. Die Einrichtung hat die aktuelle

Finanzsituation der europäischen Hochschulen auf einer Europakarte übersichtlich dargestellt (Abbil-

dung 6). Danach haben nur Deutschland, Frankreich und Portugal die Gelder für ihre Hochschulen

nicht gekürzt. In Frankreich wurde eine „große Staatsanleihe“ aufgelegt und in Deutschland u.a. der

Hochschulpakt geschlossen.

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Abbildung 6:

Quelle: Estermann/Pruvot 2011, 25

8.6 Zusammenfassung

Aufgrund verschiedener Formen des Marktversagens kommt es im Bildungsbereich zu einem

Mix öffentlicher und privater Güter. Über Art und Umfang dieses Marktversagens lässt sich

natürlich streiten. Was die Nichtrivalität des Konsums im Bildungsbereich angeht, ist die Be-

zeichnung von Bildungsgütern als Klubgüter angemessen. Die Nichtausschließbarkeit ist aber

auch durch die den Bildungsteilnehmern unterstellte Entscheidungskompetenz begründet. Die

vielfältigen privaten und sozialen Bildungserträge wären in rein marktwirtschaftlich organi-

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sierten Bildungssystemen nicht realisierbar. Außerdem handelt es sich bei Bildung um ein

meritorisches Gut, da es höhere Werte und Bedürfnisse der Gesellschaft repräsentiert und

deshalb nicht der Entscheidung des einzelnen Bürgers überantwortet werden darf. Da in Bil-

dungsfragen eine inhaltliche Entscheidungskompetenz des einzelnen erforderlich ist, die oft-

mals erst im Nachhinein gegeben ist, können Bildungsgüter auch als Vertrauensgüter be-

zeichnet werden.

Was die Bereitstellung und die Finanzierung einzelner Bildungsgüter angeht, gibt es erhebli-

che Unterschiede bei den einzelnen Bereichen des Bildungswesens, wobei die öffentlichen

Schulen und die Privatuniversitäten ihre Extrempole darstellen. Weiterhin sind verschiedene

Formen der Trägerschaft zu unterscheiden. Innerhalb der öffentlichen gemeinnützigen Bil-

dungsinstitutionen ist die Rolle des „New Public Management“ Gegenstand der aktuellen

Diskussion – auch vor dem Hintergrund der größeren Ressourcenknappheit. Abschließend

werden internationale Vergleiche der Bildungsausgaben im Verhältnis zum Bruttosozialpro-

dukt – auch getrennt nach Bildungsbereichen betrachtet.

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Literatur

Estermann, Th./Pruvot, E.B. (2011): European Universities diversifying Income Streams: an overview

of the study, Beiträge zur Hochschulforschung 33 (2), hrsg. vom Bayerischen Staatsinstitut für

Hochschulforschung und Hochschulplanung, 18-39.

Heckman, J./Jacobs, B. (2009): Policies to Create and Destroy Human Capital in Europe, IZA Discus-

sion Paper No. 4680.

OECD (2010): Bildung auf einen Blick. OECD-Indikatoren 2010, Paris.

Pechar, H. (2006): Bildungsökonomie und Bildungspolitik. Studienreihe Bildungs- und Wissensmana-

gement, Münster u.a.

Statistisches Bundesamt (2011): Private Schulen. Fachserie 11, Reihe 1.1. (Bildung und Kultur).

Wiesbaden.

Straubhaar, Th./Winz, M. (1992): Reform des Bildungswesens. Kontroverse Aspekte aus ökonomi-

scher Sicht, Bern.

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9. Bildungspolitik

In diesem Abschnitt sollen Antworten auf folgende Fragen gegeben werden:

Warum sollte der Anteil Geringqualifizierter gesenkt werden?

Welche Bedeutung hat das Humankapital für das wirtschaftliche Wachstum?

Wie wirken sich Bildungsunterschiede auf Arbeitslosigkeit, Partizipation am Erwerbsleben,

Gesundheit und zwischenmenschliches Vertrauen aus?

Wie kann Zuwanderung nach Qualifikationskriterien gesteuert werden?

9.1 Bedeutung der Bildungspolitik

Die Perspektiven der Geringqualifizierten auf dem Arbeitsmarkt haben sich durch den technisch-

organisatorischen Wandel und die Globalisierung in den letzten Jahrzehnten erheblich verschlechtert

(vgl. z.B. Katz und Autor 1999). Um die negativen Auswirkungen des Rückgangs der Nachfrage nach

Geringqualifizierten auf ihre Entlohnung zu reduzieren, werden in vielen europäischen Ländern Kün-

digungsschutzregelungen und Mindestlöhne eingeführt. Damit sind allerdings sinkende Beschäfti-

gungsquoten und steigende Arbeitslosigkeit für die Un- und Angelernten verbunden.

Eine Reihe von namhaften Wissenschaftlern wie Heckman und Jacobs (2009) haben deshalb eine Ver-

stärkung des öffentlichen und privaten Engagements im Bildungsbereich gefordert: „Reinvention of

human capital policy is required to combat the emergence of an underclass“ (Heckman und Jacobs

2009, 4). Diese Autoren weisen darauf hin, dass sich die Abhängigkeit vom Wohlfahrtsstaat auf die

Geringqualifizierten konzentriert: Un- und Angelernte haben eine höhere Arbeitslosenquote und neh-

men stärker Sozialhilfeleistungen und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen in Anspruch. Viele soziale

Probleme wie Kriminalität, Drogenkonsum und Schwarzarbeit sind auf diese Personengruppe konzen-

triert (Europäische Komission 2005). In einer Studie für die Bertelsmann-Stiftung haben Wößmann

und Piopiunik (2009) auf die erheblichen Defizite des deutschen Bildungssystems nicht nur im inter-

nationalen Vergleich, sondern auch bei der Erreichung des Ziels, allen Kindern und Jugendlichen den

Zugang zu guter Bildung zu sichern, hingewiesen. Der Anteil der häufig in der Fachliteratur als „Risi-

koschüler“ bezeichneten Gruppe von Schülern, die nicht über die unterste Kompetenzstufe (von 420

PISA-Punkten) hinauskommen, liegt bei PISA 2006 in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen

zwischen 15 und 20 Prozent (PISA-Konsortium Deutschland 2008). In ihrer Einleitung betonen Drä-

ger und Stein (2009) die entscheidende Bedeutung, denen die intensive Kooperation zwischen Bil-

dungseinrichtungen und Eltern zukommt. Neben den Kindertageseinrichtungen sind dafür die Ange-

bote und Serviceleistungen im Sozialraum, dem direkten Umfeld der Kinder und Familien wichtig:

„Besonders in benachteiligten Sozialräumen werden Netzwerke gebraucht, in denen Bildungseinrich-

tungen beispielsweise mit Jugendhilfe, Gesundheitsvorsorge, Vereinen, Kirchen und Moscheen zu-

sammenarbeiten. Gemeinsam müssen sie diese Sozialräume zu Orten der Integration werden lassen“

(Dräger und Stein 2009,8).

Heckman und Jacobs (2009) sehen in den niedrigen Erwerbsquoten - nicht nur der Älteren – weitere

negative Anreize für die Humankapitalbildung. Aber auch hoheSteuern, Sozialabgaben und Teilzeit-

beschäftigung reduzieren die Bildungsanreize. Sowohl Heckman und Jacobs (2009) als auch

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Wößmann und Piopiunik (2009) weisen dabei ausdrücklich auf die Vorteile früher Bildungsmaßnah-

men im Vergleich zu solchen, die in späteren Lebensphasen ansetzen, hin.

Empirische Studien auf der Basis der neoklassischen Wachstumstheorie haben die begrenzte Erklä-

rungskraft der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital für Wachstumsunterschiede zwischen ver-

schiedenen Ländern gezeigt (Denison 1962). Die neue Wachstumstheorie hat der Qualität des Produk-

tionsfaktors Arbeit und damit dem Humankapital eine entscheidende Rolle für den wirtschaftlichen

Wachstum von Regionen und Ländern zugewiesen (z.B. Lucas, 1988, Romer 1990). Mit der Entwick-

lung in der Informations- und Kommunikationstechnologie ist eine Wissensökonomie entstanden, in

der das Humankapital sogar noch wichtiger geworden ist.

Insgesamt ist der Bildungsverlauf als dynamisches System zu betrachten, in dem sich Entscheidungen,

Lernumwelten und Kompetenzentwicklungen wechselseitig beeinflussen. Hinzu kommen noch

Sonderbedingungen etwa für Frauen, die ihre Kinder allein erziehen. Kompetenzentwicklung ist aber

nur eine wichtige Konsequenz des Bildungsverhaltens. Andere sind z.B. das Gesundheitsverhalten,

politische Partizipation, Schutz vor Arbeitslosigkeit und Partizipation am Erwerbsleben. Auch diese

Prozesse stehen mit dem Bildungsverlauf in einem dynamischen Interdependenzverhältnis. Die Bil-

dung beeinflusst beispielsweise das Gesundheitsverhalten und der individuelle Gesundheitsstand spielt

vor allem bei älteren Personen eine wichtige Rolle für die Bildungsteilnahme.

9.2 Bildung und Wirtschaftswachstum

Entsprechend der Neuen Wachstumstheorie (z.B. Lucas 1988, Romer 1990, Aghion und Howitt 2009)

wird die Rolle des Humankapitals für das wirtschaftliche Wachstum von Hanushek und Wößmann

(2009) und von Wößmann und Piopiunik (2009) in Form von Bildungskompetenzen in Wachstumsre-

gressionen berücksichtigt. Die Autoren untersuchen die Determinanten des langfristigen Wirtschafts-

wachstums in einem Querschnitt von Ländern. In Abbildung 5 werden die durchschnittlichen Bil-

dungsleistungen der Bevölkerung, für die auch international vergleichbare Daten über das langfristige

Wirtschaftswachstum vorliegen, dargestellt.

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Abbildung 5: Bildungskompetenzen und wirtschaftliches Wachstum

Quelle: Wößmann und Piopiunik (2009,19)

Es zeigt sich, dass die erzielten Leistungen in den internationalen Schülertests in einem engen Zu-

sammenhang mit dem realen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf stehen. Wenn sie verschiedene Regressi-

onsmodelle betrachten, erhalten die Autoren das interessante Ergebnis, dass die Berücksichtigung der

Bildungsleistungen die Erklärungskraft des Modells deutlich erhöht. Werden auch noch die kognitiven

Leistungen in die Regressionsanalyse einbezogen, verliert die Variable „durchschnittliche Bildungs-

dauer“ ihren signifikanten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum.

Bemerkenswert sind auch die weitergehenden Analysen von Wößmann und Piopiunik (2009), in de-

nen der Frage nachgegangen wird, ob es mehr auf Spitzenleistungen, die wichtig für Erfinden und

Generieren von Produkt- und Prozessinnovationen sind, oder eher auf die Bildungsbasis in der breiten

Bevölkerung, die entscheidend für die Umsetzung von Erfindungen und Innovationen ankommt.

Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse einer Wachstumsregression, die neben der Anzahl der Bildungsjahre

und dem Bruttoinlandsprodukt im Ausgangsjahr auch die Anteile der Schüler der betrachteten Länder

mit über 600 PISA-äquivalenten Punkten (Spitzenleistungen, eine Standardabweichung über dem

OECD-Durchschnitt) sowie den Schüleranteil mit zumindest 400 PISA-Punkten (als Maß einer ma-

thematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagenkenntnis, eine Standardabweichung unter dem OECD-

Durchschnitt) mit einbezieht. Das Ergebnis belegt die Bedeutung beider Schüleranteile, da sie beide

signifikante Regressionskoeffizienten aufweisen. Es kommt für die Generierung von Wirtschafts-

wachstum im Bildungsbereich also sowohl auf die Spitze, als auch auf die Breite an.

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Tabelle 1: Kognitive Fähigkeiten als Bestimmungsfaktor wirtschaftlichen Wachstums

(1) (2) (3) (4)

Kognitive Fähigkeiten 1,980*

Bildungsjahre 1960 0,369* 0,026 0,022 0,112

BIP pro Kopf 1960 -0,379* -0,302* -0,287* -0,330*

Anteil Schüler Basisleistungen 2,732* 4,717*

Anteil Schüler Spitzenleistungen 12,880*

Konstante 2,785* -4,737* 1,335* 0,348

Anzahl der Länder 50 50 50 50

R² (angepasst) 0,252 0,728 0,719 0,610

Abhängige Variable: Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des BIP pro Kopf im Zeitraum

1960-2000, * signifikant auf 5% Niveau

Quelle: Wößmann und Piopiunik (2009, 62)

In einem weiteren Schritt simulieren Wößmann und Piopiunik (2009) den Effekt der Erhöhung des

PISA Mittelwertes von 496,1 auf 510,2 Punkte innerhalb von zehn Jahren, wodurch der Anteil der

Schüler mit weniger als 420 PISA-Punkten (als Niveau für die Zugehörigkeit zur Gruppe der „Risiko-

schüler“) um 90% sinken würde. Im Übrigen entspricht der Wert von 510,2 PISA-Punkten etwa dem

derzeitigen Niveau Frankreichs. Die Niederlande mit 531 Punkten, und Finnland mit 542 Punkten

liegen jedoch noch deutlich über diesem Wert. Aus der Multiplikation der in Tabelle 1 dargestellten

Koeffizienten und der beschriebenen Erhöhung des PISA-Mittelwerts von 496,1 auf 510,2 Punkte

ergibt sich ein entsprechend höheres Wirtschaftwachstum. In jedem Jahr wächst das Bruttoinlandspro-

dukt – nach der Übergangsphase von zehn Jahren – um 0,18 Prozentpunkte. Werden alle durch die

„Bildungsreform“ erzeugten wirtschaftlichen Erträge aufsummiert, ergibt sich, dass bereits 2035 das

Bruttoinlandsprodukt um 1% höher wäre als ohne Erhöhung des PISA-Mittelwerts. Im Jahr 2044 läge

das BIP um 2%, im Jahr 2090 sogar um 10,3% über dem Ausgangsniveau. Die ökonomische Bedeu-

tung der „Bildungsreform“ wird durch die Betrachtung der absoluten Änderung deutlich. Wenn ein

2009 geborenes Kind im Jahr 2076 in Rente geht, ist das BIP 6471€ höher als bei seiner Geburt. Der

über das Leben dieses Kindes aufsummierte (auf das Jahr 2009 diskontierte) Betrag beliefe sich auf

34255€ (vgl. Abbildung 6).

Abbildung 6: Jährliche Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf (Wößmann und Piopiunik 2009)

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9.3 Qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit und Partizipation am Er-

werbsleben

Ein Grund für die geringe Erwerbsbeteiligung kann in den niedrigen individuellen Ertragsraten der

Bildung gesehen werden. Das führt aber dazu, dass bereits akkumuliertes Humankapital nicht genutzt

wird. Infolgedessen reduziert eine geringe Nutzung des Humankapitalbestands seine Erträge. Die Er-

werbsbeteiligung von qualifizierten Personen ist deshalb in allen von der OECD betrachteten Ländern

höher als für Geringqualifizierte (Abbildung 7).

Abbildung 7:

Quelle: OECD 2010

Große Aufmerksamkeit haben die Untersuchungen von Biersack et al. (2008) zur Entwicklung der

qualifikationsspezifischen Arbeitslosigkeit in Deutschland für die Jahre 1975-2005 erlangt (Abb. 8).

Dabei zeigt sich, dass nach der ersten Ölkrise in den Jahren 1973/74 die Arbeitslosenquote der Perso-

nen ohne Berufsabschluss auf mehr als das Vierfache stieg (von 6,1 % auf 26,0 %). Im Vergleich dazu

erhöhte sich die Arbeitslosigkeit in allen anderen Qualifikationsgruppen weniger stark. So lag im Jahr

2005 die Arbeitslosenquote für alle Erwerbspersonen bei 11,8 %. Erwerbspersonen mit abgeschlosse-

ner Lehre/Berufsausbildung waren hingegen zu 9,7 % von Arbeitslosigkeit betroffen. Auch die Ar-

beitslosenquoten von Hochschul- und Fachhochschulabsolventen fielen mit 4,1 % deutlich geringer

aus. In Ostdeutschland gab es eine ähnliche Strukturalisierung aber auf deutlich höherem Niveau.

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Abbildung 8:

Quelle: IAB-Kurzbericht 18/2008

Die ausgesprochen schlechten Arbeitsmarktchancen der Personen ohne beruflichen Bildungsabschluss

zeigen sich auch bei den Anteilen der Nichterwerbspersonen in der Tabelle 2. Aber auch die Personen

mit Lehr-/Anlernausbildung haben deutlich höhere Anteile von Nichterwerbspersonen. Dies gilt be-

sonders für Personen in der Altersgruppe 55-65. Hierbei dürften auch die Möglichkeiten, bei erfolglo-

ser Arbeitsplatzsuche frühzeitig in die Rente zu gehen, eine große Rolle spielen.

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Tabelle 2:

Quelle: Bildungsbericht 2008

9.4 Bildung, Gesundheit und Vertrauen

Höhere Bildung hat positive Wirkungen über die beschriebenen Wachstums- und Beschäftigungsef-

fekte hinaus auf die Chancengleichheit und eine Reihe von Lebensbereichen wie z.B. dem gesundheit-

lichen Wohlbefinden, der kulturellen und politischen Partizipation und einer vielseitigen Freizeitge-

staltung (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, 197-208). In allen OECD Staaten be-

steht auch ein mehr oder weniger deutlicher Zusammenhang zwischen dem Erreichen eines höheren

Bildungsstandards einerseits sowie der Selbsteinschätzung der Gesundheit und dem zwischenmensch-

lichen Vertrauen andererseits (Abbildung 9). Dies gilt auch bei Berücksichtigung von Alters-, Ge-

schlechts-, und Einkommensunterschieden und kann auf eine gesunde Lebensweise mit besseren Mög-

lichkeiten zur Vermeidung gesundheitlicher Belastungen, aber auch auf einen informierteren und bes-

seren Umgang mit etwaigen Erkrankungen hindeuten.

Interessant ist auch das mit zunehmender Bildung steigende zwischenmenschliche Vertrauen. Unter-

schiede bestehen in den meisten Ländern besonders beim Vergleich zwischen einem Abschluss unter-

halb der Sekundarstufe II und einem tertiären Abschluss. Trotz unterschiedlicher Niveaus kann dies

für Deutschland, Irland, die Schweiz, die Niederlande und die nordischen Länder festgestellt werden.

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Dagegen ist der Kennwert für das zwischenmenschliche Vertrauen in Polen, Tschechien, Spanien und

Italien wesentlich niedriger.

Abbildung 9:

Quelle: OECD 2010

9.5 Steuerung von Zuwanderung nach Qualifikationskriterien

In einer international vergleichend angelegt Studie der Fondazione Rodolfo De Benedetti haben

Bertoli et al. (2009)1 ermittelt, dass die zunehmende internationale Mobilität hochqualifizierter Ar-

beitskräfte innerhalb der OECD-Länder im Zensusjahr 2000/01 dazu geführt hat, dass 73% der Zu-

wanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften in die klassischen Einwanderungsländer Australien,

Kanada, Neuseeland und USA erfolgte, aber nur 5% nach Deutschland. Dabei kommen gut 60% der

Migranten aus Schwellen- und Entwicklungsländern, die übrigen 40% aus OECD-Ländern.

Interessant ist aber auch die Betrachtung der Wanderung aus der EU. So kamen in den Jahren 200/01

zwar 2,1 Millionen Hochschulabsolventen aus anderen OECD-Ländern in die EU, aber im selben Zeit-

raum verließen 5,1 Millionen Hochschulabsolventen die EU, um in ein anderes OECD-Land zu zie-

hen. Die Abb.1 zeigt, dass besonders der Anteil der Migranten aus OECD-Ländern an den Hochschul-

absolventen besonders groß ist in Australien, gefolgt von Kanada, Großbritannien und Deutschland.

Allerdings zeigt diese Abbildung auch, dass der Anteil der Hochschulabsolventen, die Großbritannien

verlassen am weitaus größten ist, gefolgt von Deutschland. Insgesamt ergibt sich damit auf die OECD-

Ländern bezogen, da der Anteil der eingewanderten Hochschulabsolventen kleiner als der Anteil der

ausgewanderten Hochschulabsolventen ist, ein Brain Drain für Großbritannien, Deutschland und

Frankreich. Betrachtet man auch die Nicht-OECD-Länder als Herkunftsländer für Migranten, ergaben

sich ähnliche Anteile an zugewanderten Hochschulabsolventen. Das bedeutet, dass in Australien im

Zensusjahr 2000/01 fast jeder zweite Hochschulabsolvent aus dem Ausland stammt. Der Bedarf an

Fachkräften kann dort zu einem erheblichen Teil durch die Zuwanderung Hochqualifizierter gedeckt

1 Für eine nicht-technische Darstellung vgl. Brücker (2010)

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werden. Australien, Kanada und Neuseeland, mit Einschränkung auch die USA und seit einigen Jahren

Großbritannien, steuern die Zuwanderung nach einem Punktesystem nach Qualifikationskriterien.

In Deutschland gibt es bislang keine Steuerung der Zuwanderung nach der Qualifikation der Einwan-

derer. Im Jahr 2005 wurde zwar die „Greencard“ für IT-Spezialisten eingeführt, die aber wegen der

hohen Mindestverdienstgrenze von aktuell 8500€ weniger als 1000 Personen genutzt haben. Quantita-

tiv bedeutsamer sind die Zuwanderungen nach der sogenannten Vorrangprüfung durch die Bundesa-

gentur für Arbeit oder die Versetzung von Mitarbeitern innerhalb von multinationalen Unternehmen.

Die Autoren schätzen die Anzahl der Personen, die pro Jahr auf diesem Wege nach Deutschland

kommen, auf 30.000. Auch aufgrund seiner geringen Studiengebühren ist Deutschland bei ausländi-

schen Studierenden sehr attraktiv. Die Tabelle 3 zeigt die Zielstaaten für internationale Studierende.

Deutschland belegt nach den USA und Großbritannien den 3. Platz, knapp vor Frankreich. Das größte

Kontingent stellen in Deutschland - wie auch in allen betrachteten Ländern insgesamt – die Chinesen.

Deutlich kleiner ist die Anzahl der Studierenden aus der Türkei, Russland und Korea.

Tabelle 3:

Quelle: OECD (2007)

Ein häufiger Einwand gegen die Förderung von Zuwanderung aus Schwellen- und Entwicklungslän-

dern besteht darin, dass diese Länder durch den Brain Drain Humankapitalverluste erleiden. Das wäre

aber nicht der Fall, wenn die individuelle Entscheidung, in Bildung zu investieren, von den Migrati-

onsaussichten abhängt. Die jungen Menschen werden bei ihrer Entscheidung nicht nur die Erträge

ihrer Bildungsinvestition, sondern ebenso berücksichtigen, ob sie ohne ein Hochschulstudium zu ab-

solvieren, in ein Hochlohnland migrieren können. Die Steuerung der Zuwanderung mittels eines Punk-

tesystems nach Qualifikationskriterien erschwert diesen Weg. Allerdings sinkt der Anreiz für die

Auswanderungsländer in öffentliche Bildung zu investieren, wenn die Zahl der Länder zunimmt, die

ihre Zuwanderung steuern.

Zehn wichtigste Ziel- und Herkunftsstaaten von internationalen Studierenden in 2007 (Anzahl)

Zielstaaten

Herkunfts-staaten Gesamt USA

Großbritan-nien

Deutsch-land

Frank-reich Australien Kanada Japan

Spa-nien Italien

Russi-sche Föd.

Andere Staaten

Gesamt 3.021.106 595.874 351.470 258.513 246.612 211.526 132.246 125.877 59.814 57.271 60.288 921.615

China 457.366 98.958 49.594 27.117 18.836 50.418 28.635 80.231 867 1.678 · 101.062

Indien 162.221 85.687 23.833 3.899 891 24.523 7.176 434 128 589 · 15.062

Korea 107.141 63.772 4.311 5.206 2.449 5.430 750 22.109 100 338 · 2.677

Deutschland 85.963 8.847 14.011 X 6.947 1.866 1.083 404 1.854 2.067 · 48.883

Frankreich 63.025 6.852 13.068 6.274 X 872 4.944 445 1.907 1.083 · 27.580

Türkei 59.150 11.760 2.233 24.602 2.339 254 690 168 71 384 · 16.649

Japan 56.060 36.062 5.706 2.385 2.071 3.249 1.611 X 192 316 · 4.468

USA 52.085 X 15.956 3.411 3.165 3.023 9.129 1.888 728 481 · 14.305

Marokko 50.917 1.229 212 8.095 27.684 12 2.769 47 5.328 1.017 · 4.525

Russische Föd. 50.724 4.856 2.580 12.831 3.219 530 1.383 375 696 930 X 23.324

Andere Staaten 1.876.454 277.852 219.966 164.694 179.011 121.349 74.076 19.776 47.943 48.388 60288 663.111

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9.6 Zusammenfassung

Bildungspolitik kommt aus verschiedenen Gründen eine wichtige Bedeutung zu. Eine zentrale Rolle

spielen dabei insbesondere die sich verschlechternden Einkommens- und Beschäftigungsperspektiven

von Geringqualifizierten auf dem Arbeitsmarkt. Diese wiederum haben Auswirkungen nicht nur auf

globale Größen wie das Wirtschaftswachstum oder die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme,

sondern auch auf persönliche Lebensbereiche wie das gesundheitliche Wohlbefinden oder die kulturel-

le, politische und soziale Partizipation.

Literatur

Biersack, W./ Kettner, A./ Reinberg, A./ Schreyer, F. (2008): Akademiker/innen auf dem Arbeits-

markt: Gut positioniert, gefragt und bald sehr knapp. IAB-Kurzbericht 18/2008, Nürnberg.

Denison, E. F. (1962): Sources of Economic Growth in the United States and the Alternatives Before

Us, New York.

Lucas, R.E. (1988): On the mechanics of economic development. In: Journal of Monetary Economics

22, 3-22.

Romer, P. (1986): Increasing returns and long-run growth. In: Journal of Political Economy 94, 1002-

1037.

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Methodischer Anhang zur Bildungsökonomie

1. Grundstruktur ökonometrischer Modelle

Im Grundsatz lassen sich ökonometrische Modelle in drei Komponenten klassifizieren. In die endoge-

nen Variablen, die exogenen Variablen und die Störvariable. Die endogenen Variablen sind die vom

Modell erklärten Variablen, sie werden sozusagen durch die Innenwelt des Modells erklärt.

Die exogenen Variablen sind die vom Modell nicht erklärten, übernommenen Variablen. Um in unse-

rer Analogie zu verbleiben quasi die von der Außenwelt übernommenen Variablen. In den Modellen

ist zusätzlich zu beachten, dass immer eine Restgröße bzw. „catch-all“-Größe verbleibt, welche durch

die Störvariable dargestellt wird.

2. Funktionstypen

Lineare Regressionsmodelle sind leichter handhabbar als nichtlineare. Sind die Gleichungen nichtli-

near in den Variablen, so lassen sich durch Variablentransformation die Gleichungen als linear behan-

deln. Hierzu ein Beispiel:

Bei einer Vielzahl nichtlinearer Funktionen lässt sich eine lineare Transformation durchführen.

Nach der Transformation stellt sich die Gleichung wie folgt dar:

wobei hier eine Elastizität darstellt.

Zur Verdeutlichung ein weiteres Beispiel:

Eine wichtige Funktion in der Ökonomie stellt die Produktionsfunktion dar, welche im Folgenden

ausführlicher behandelt wird.

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Als klassische Produktionsfunktion lässt sich die Cobb-Douglas-Produktionsfunktion identifizieren,

welche folgende Grundform besitzt:

Hier stellt A den Effizienzparameter dar, L den Produktionsfaktor Arbeit und K den Produktionsfaktor

Kapital.

Nach Logarithmieren und Anpassung an das OLS-Schätzmodell ergibt sich:

Hier stellt Y den Umsatz dar, L die Beschäftigtenzahl, K das Kapital und den Störterm.

Die (mit i=1, 2, 3) bilden die Regressionskoeffizienten ab.

Die Cobb-Douglas-Produktionsfunktion ist ein Spezialfall der CES-Produktionsfunktion, bei der die

restriktive Annahme einer Substitutionselastizität von eins aufgehoben ist. Die CES-Funktion in ihrer

Grundform lautet wie folgt:

wobei für den Distributionsparameter steht, für den Substitutionsparameter, y für den Niveaupa-

rameter und v für den Homogenitätsparameter.

Mittels einer Taylorreihenapproximation erhält man folgende Schätzgleichung:

Die Annahme einer konstanten Substitutionselastizität wird bei der Translog-Produktionsfunktion

aufgehoben. Die Produktionsfunktion hat folgende unspezifizierte Form:

Für die Koeffizientenschätzungen wird die Funktion mittels einer Taylor-Reihe approximiert und lo-

garithmiert, sodass folgendes Gleichungssystem entsteht. (vgl. Greene 1993, S.209)

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3. Das einfache lineare Modell

Grundstruktur des Modells ist folgende Gleichung:

Die Regressionsgerade hierzu hat folgende Form:

wobei das „Dach“ für geschätzte Werte steht.

4. Multiples Bestimmtheitsmaß und korrigiertes multiples Bestimmtheits-

maß

Definiert ist das multiple Bestimmtheitsmaß wie folgt:

Je größer der Wert von R², umso besser ist die Projektion. Allgemein ist das multiple Bestimmtheits-

maß ein Vergleichsmaß für die Anpassungsgüte der Regression, bzw. gibt die „goodness of fit“ an. Je

näher R² bei 1 liegt, für umso geeigneter wird eine Modellspezifikation gehalten. Probleme ergeben

sich beim Bestimmtheitsmaß, wenn verschiedene endogene Variablen modelliert sind, ein Trend in

exogenen Variablen vorhanden ist, oder zusätzliche erklärende Variablen vorkommen. Das letzte

Problem lässt sich durch das korrigierte multiple Bestimmtheitsmaß allerdings beseitigen, das folgen-

de Form annimmt:

mit K als Zahl der exogenen Variablen und n als Fallzahl.

5. Hypothesentests

Für einzelne Regressionskoeffizienten oder für Linearkombinationen lässt sich folgender Test durch-

führen:

Nullhypothese: Alternativhypothese:

Die Testentscheidung lautet wie folgt: Lehne ab, wenn

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bei

Bei einem Test über den Einfluss von Variablengruppen bietet sich der Test von Kmenta (1971, 371)

an. Prüfgröße des Tests ist:

6. Statistische Probleme und ihre Konsequenzen

Im Folgenden sollen einige Kriterien aufgezeigt werden, und das Auftreten von statistischen Proble-

men bei diesen Kriterien erläutert werden. Als erstes wäre hier die verzerrte Schätzung der Regressi-

onskoeffizienten, der so genannte Bias, zu erwähnen. Tritt nämlich ein bestimmtes Problem auf, so

produziert der OLS einen Schätzer für die , von dem nicht erwartet werden kann, dass er mit dem

wahren übereinstimmt.

Als zweites ist natürlich analog die verzerrte Schätzung der Standardabweichung der Regressionskoef-

fizienten anzuführen, also der Bias für . Als Folge wird die t-Statistik ungültig, wenn ein Regres-

sionskoeffizient und/oder seine Standardabweichung verzerrt geschätzt worden ist.

Die Effizienz sagt unter anderem, dass ein Konfidenzintervall für einen Regressionskoeffizienten so

klein wie möglich sein sollte, also beispielsweise

Dies gilt allerdings nur für unverzerrte Schätzungen, sonst muss der mean square error als Kriterium

verwendet werden.

Nun zu den häufig auftretenden Problemen. Das wichtigste Problem ist eine klassische Fehlspezifika-

tion, das heißt es wird eine falsche funktionale Form angenommen oder eine falsche Variable model-

liert. Bei einem Verdacht einer Fehlspezifikation sollte dies anhand von statistischen Tests überprüft

werden.

Zweites Problem ist die Heteroskedastie, welche in folgenden Fällen zu beobachten ist:

die Varianz der Störvariable als Funktion der exogenen Variablen

heterogene Gruppenbildung

gruppierte Beobachtungsdaten

stochastische Regressionskoeffizienten

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Auch hier sollte bei einem Verdacht auf Vorliegen von Heteroskedastie ein Test durchgeführt werden,

und auch eine gewichtete Schätzung.

Drittens sollte insbesondere bei Zeitreihen die Autokorrelation beachtet werden. Bei Verwendung von

Zeitreihendaten ist die Störgröße nicht mehr zeitinvariant, sondern der Störeffekt überträgt sich von

Periode zu Periode. Idealtypisch besteht die Störgröße aus einer Vielzahl von weniger bedeutsamen,

nicht messbaren Einflussgrößen auf die endogene Variable, deren Effekte sich im Durchschnitt kom-

pensieren. Je länger die jeweiligen Perioden sind, in denen jeweils eine Beobachtung gesammelt wird,

umso stärker ist der Ausgleichsprozess. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Autokorrelation

ist umso größer, je mehr man von Jahres- zu Quartals- und schließlich zu Monatswerten übergeht.

Analog sollte man das Vorliegen einer Autokorrelation testen und eine gewichtete Schätzung vor-

nehmen.

Viertes Problem ist eine mit exogenen Variablen korrelierte Störgröße. Auftreten tut das Problem ins-

besondere, wenn sich unter den Variablen auf der rechten Seite der Gleichung endogene Variablen

befinden. Dann ist eine Systemschätzung erforderlich. Im Prinzip wird hierbei eine 2. Gleichung ge-

schätzt und als Regressor an Stelle von verwendet. Wie schon bei den anderen Problemen muss

getestet werden.

Fünftes Problem ist ein Fehler in den Variablen, welcher aber schwer feststellbar ist.

Die nachstehende Tabelle liefert eine Übersicht über die Verzerrungen:

Regressionskoeffizienten

Standardabweichung der

Regressionskeffizienten t-Statistik

Fehlspezifikation ja ja ja

Heteroskedastie nein ja ja

Autokorrelation nein ja ja

Fehler in den

Variablen ja ja ja

mit exogenen

Variablen korrelierte

Störgröße

ja ja ja

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7. Qualitative exogene und endogene Variablen

7.1 Qualitative exogene Variablen

Am einfachsten verdeutlicht werden kann das Prinzip durch ein Beispiel:

In der Regression wird eine dieser Dummy-Variablen weggelassen, also zum Beispiel:

Für die Interpretation der Koeffizienten im linearen Modell betrachten wir zunächst folgende Regres-

sion:

Differenzierung nach x und d ergibt folgende Ausdrücke:

und

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7.2 Qualitative endogene Variable

Hierzu soll zunächst ein kurzer Überblick über die verschiedenen Modelle gegeben werden. Wichtig

sind insbesondere:

Logit- und Probit-Modell

Tobit-Modell bzw. Heckman’s 2-stufiger Ansatz

Zähldatenmodelle (hier besteht die abhängige Variable aus ganzen Zahlen)

multinominales Logit und Probit (hier lässt die abhängige Variable mehr als zwei Alternativen

zu)

Ordered Probit (hier lassen sich die Alternativen im Unterschied zum multinominalen Logit

oder Probit ordnen)

Bivariates Probit (hier gibt es zwei abhängige Variablen die jeweils einer (0,1)-Verteilung fol-

gen

7.2.1 Wahrscheinlichkeitsmodelle

folge einer (0,1)-Verteilung mit

Da es sich um Wahrscheinlichkeiten handelt, müssen die folgenden Restriktionen gelten:

7.2.2 Probit- und Logitmodelle

Das Probit-Modell stellt sich wie folgt dar:

Die Gleichung des Logit-Modells nimmt folgende Form an:

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Die zweite Gleichung des Logit-Modells gibt die so genannte Odds-Ratio an.

Zur Interpretation des Logit-Modells sollten folgende Gleichungen betrachtet werden:

wobei der Mittelwert der abhängigen Variablen y ist.

Alternativ können die marginalen Effekte der Koeffizienten angegeben werden.

wobei der Vektor der Mittelwerte der unabhängigen Variablen x ist.

7.2.3 Anpassungsmaße

Ein wichtiges Anpassungsmaß ist die so genannte Log-Likelihood-Ratio ,

wobei den Wert der Likelihoodfunktion im Modell mit Konstante angibt und den Wert der

Likelihoodfunktion im „vollen“ Modell.

Weiterhin gilt:

McFadden’s Pseudo- ist definiert als:

beziehungsweise

Zu beachten ist, dass noch diverse weitere Anpassungsmaße existieren.

Nun soll noch ein Blick auf den F-Test geworfen werden, der den Einfluss von Variablengruppen in

KQ-Regressionen angibt. Die relevante Prüfgröße ist:

Im Gegensatz dazu ist der Likelihood-Ratio-Test anzuwenden um den Einfluss von Variablengruppen

in Logit- Probit- und Tobitmodellen zu bestimmen. Hierzu verwendet man folgende Prüfgröße:

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Anhang zu den Datengrundlagen mit Informationen zu den Themen Aus-

und Weiterbildung

Informationen zur Aus- und Weiterbildung stehen sowohl aus Betriebs- bzw. Unternehmensbefragun-

gen als auch aus Personen- bzw. Haushaltsbefragungen zur Verfügung.

1. Betriebs- bzw. Unternehmensbefragungen:

IAB-Betriebspanel

Das IAB-Betriebspanel ist eine seit 1993 jährlich erhobene Befragung von Betrieben in Deutschland.

Grundgesamtheit sind alle Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftig-

ten. Im Rahmen des IAB-Betriebspanels wird hierzu aus der Betriebsdatei der Beschäftigtenstatistik

der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Zufallsstichprobe nach dem Prinzip der optimalen Schichtung

gezogen. Von den insgesamt rund 2 Millionen Betrieben werden aktuell jährlich ungefähr 16.000 be-

fragt. Die Erhebung erfolgt überwiegend im Rahmen von persönlich-mündlichen Interviews durch

Mitarbeiter von TNS Infratest Sozialforschung. Der Fragebogen des IAB-Betriebspanels enthält Fra-

gen zur Beschäftigungs- und Geschäftsentwicklung, zu Investitionen, zu Personalstruktur und –

bewegungen sowie zur betrieblichen Aus- und Weiterbildung. Es handelt sich beim IAB-Betriebspanel

also um eine Mehrthemenbefragung, die vielfältige Informationen zu Betrieben in Deutschland erhebt.

Im Rahmen des Themenkomplexes „betriebliche Weiterbildung“ wird beispielsweise gefragt, ob der

Betrieb Weiterbildungsmaßnahmen fördert oder nicht, und wenn ja, welche Art von Weiterbildungs-

maßnahmen angeboten werden. Hierbei wird zwischen kursförmig organisierten, formellen Weiterbil-

dungsformen und arbeitsintegrierten Lernformen wie z.B. Gruppenarbeit oder Einweisung am Ar-

beitsplatz differenziert. Darüber hinaus werden Informationen zur Anzahl der Weiterbildungsteilneh-

mer (nach Qualifikation, Alter und Geschlecht) sowie zur Kostenaufteilung der Weiterbildung auf

Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhoben. Zur Ausbildung im Betrieb wird gefragt, ob überhaupt ausge-

bildet wird, wie viele Auszubildende beschäftigt sind und wie viele Auszubildende nach der Ausbil-

dung übernommen werden. Durch seine Breite ist das IAB-Betriebspanel geeignet, mögliche Zusam-

menhänge zwischen Aus- und Weiterbildung und anderen Unternehmensmerkmalen herzustellen, also

z.B. nach den Determinanten oder den Effekten der betrieblichen Bildungsaktivitäten zu fragen. Auf-

grund seines Längsschnittcharakters ermöglicht es das IAB-Betriebspanel darüber hinaus, Aussagen

zur Entwicklung von Aus- und Weiterbildung auf betriebsindividueller Ebene zu treffen.

Continuing Vocational Training Survey (CVTS)

Der Continuing Vocational Training Survey (CVTS) ist eine Erhebung zur beruflichen Weiterbildung

in Unternehmen, die von der Europäischen Kommission und Norwegen in Auftrag gegeben wird.

Durchgeführt wird die Befragung alle sechs Jahre von den nationalen Statistischen Ämtern, wobei

bisher drei Erhebungen stattfanden (1994, 2000 und 2006). Grundgesamtheit sind alle Unternehmen

mit mindestens zehn Beschäftigten, das heißt die Befragung beruht anders als das IAB-Betriebspanel

nicht auf dem Betriebs-, sondern dem Unternehmenskonzept. Die Befragung erfolgt schriftlich-

postalisch, wobei die Rücklaufquoten etwa ein Drittel betragen. Der Stichprobenumfang lag in den

Jahren 2000 und 2006 bei etwa 10.000 Unternehmen in Deutschland. Ziel des CVTS ist, europaweit

umfangreiche Kenntnisse über die betrieblich finanzierte bzw. betrieblich veranlasste Weiterbildung

zu erlangen. Der CVTS stellt somit eine Einthemenbefragung dar. Es werden unter anderem Informa-

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tionen zum Angebot und Umfang der Weiterbildung sowie zu den Kosten der Weiterbildung erhoben.

Im Hinblick auf die Weiterbildungsformen unterscheidet der CVTS zwischen kursförmig organisier-

ten, formellen Lernarten und weichen, arbeitsintegrierten Formen der Weiterbildung. Die Weiterbil-

dungsbeteiligung wird differenziert für Arbeitnehmer nach Alter und Geschlecht erfragt; darüber hin-

aus werden Angaben z.B. zur Unternehmensgröße oder Branchenzugehörigkeit erhoben. In Deutsch-

land werden im Anschluss an die Haupterhebung telefonische Zusatzbefragungen durchgeführt, um zu

verschiedenen Themen (z.B. Weiterbildung Älterer) zusätzliche Informationen zu erhalten.

IW-Erhebung zur betrieblichen/privaten Weiterbildung

Die Weiterbildungserhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist eine Einthemenbefragung

von Betrieben zur betrieblichen Weiterbildung. Die Befragung wird seit 1992 alle drei Jahre durchge-

führt. Grundgesamtheit sind alle kammerzugehörigen Betriebe (IHK und HWK), es folgt also dem

Betriebskonzept, wie auch das IAB-Betriebspanel. Die Befragungen erfolgen postalisch, wobei die

Rücklaufquote bei etwa 15-20% liegt. Für die Erhebung des Jahres 2008 wurden 10.000 Unternehmen

kontaktiert, von denen schließlich gut 1.700 in die Auswertung einbezogen werden konnten. Bei der

IW-Erhebung handelt es sich um eine Querschnittsanalyse. Der Fragebogen enthält verschiedene Fra-

gen zum Angebot an Weiterbildung, wobei der der IW-Erhebung zugrunde liegende Weiterbildungs-

begriff relativ weit gefasst ist. Darüber hinaus werden Informationen zu den Kosten oder zum zeitli-

chen Umfang der Weiterbildung sowie zu Merkmalen des Betriebes (z.B. Größe, Branche) erhoben.

2. Personen- bzw. Haushaltsbefragungen:

Sozio-Ökonomisches Panel (SOEP)

Das beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) angesiedelte Sozio-ökonomische Panel

ist eine Längsschnittuntersuchung ausgewählter Haushalte in Deutschland. Beim SOEP handelt es sich

um eine Mehrthemenbefragung, in der sich Fragen zu soziodemografischen Merkmalen (z.B. Alter,

Geschlecht, Qualifikation, berufliche Stellung), zur Gesundheit, zum Einkommen und zur gesell-

schaftlichen Partizipation und Zeitverwendung finden. Die Befragung erfolgt auf Basis persönlich-

mündlicher Interviews. In jährlich wechselnden Schwerpunkten wird unter anderem auch die Aus- und

Weiterbildungsbeteiligung der Haushaltsmitglieder erfragt. Dabei wird beispielsweise gefragt, ob man

sich derzeit in einer Aus- oder Weiterbildung befindet, und wenn ja in welcher Art von Ausbildung

und Weiterbildung. Zudem wurden in einzelnen Erhebungswellen Informationen zur Anzahl der be-

suchten Weiterbildungskurse, zu den Zielen der Weiterbildung oder zur finanziellen Unterstützung

durch den Betrieb erhoben. Da das SOEP eine Mehrthemenbefragung ist, bietet es den Vorteil, dass

Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Aus- und Weiterbildungsbeteiligung unter-

sucht werden können. Zudem können auf dieser Datenbasis – ebenso wie auf Grundlage des IAB-

Betriebspanels – Längsschnittanalysen durchgeführt werden.

Mikrozensus

Der Mikrozensus ist die seit 1957 jährlich erhobene amtliche Repräsentativstatistik des Statistischen

Bundesamtes, die Informationen über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt in Deutschland liefert.

Der Mikrozensus erfasst jährlich 370.000 Haushalte mit 820.000 Personen, also ungefähr ein Prozent

der Gesamtbevölkerung. Dabei wird jährlich ein Viertel der Stichprobe ausgetauscht, so dass ein

Haushalt vier Jahre in der Stichprobe verbleibt. Der Mikrozensus ist somit eine sich wiederholende

Page 158: Bildungsökonomik - iab.rw.fau.deiab.rw.fau.de/lehre/files/Skript_Bildungsoekonomik2012.pdf · retische Struktur erforderlich, die in diesem Abschnitt des Buches präsentiert wird

H:\Bereich allgemein\Bellmann\Lehrveranstaltungen\Skript\Skript Bildungsökonomik SS 2012.doc

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Querschnittbefragung. Prinzipiell besteht beim Mikrozensus eine Auskunftspflicht, die allerdings für

einige Fragen eingeschränkt ist. Da der Mikrozensus aus einem breiten Fragenprogramm besteht, ist er

den Mehrthemenbefragungen zuzuordnen. Die Befragungen werden persönlich-mündlich durchgeführt

und enthalten unter anderem Fragen zu soziodemografischen Merkmalen, zur Erwerbstätigkeit bzw.

zur Arbeitslosigkeit. Seit 1996 werden die Befragten auch jährlich zu ihrer Beteiligung an Aus- und

Weiterbildungsmaßnahmen gefragt. Dabei werden im Themenkomplex „Ausbildung“ Fragen zu den

Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen gestellt. Im Abschnitt zur allgemeinen und beruflichen Wei-

terbildung werden unter anderem Informationen zu Formen, Zweck, Inhalten und Dauer der Weiter-

bildung der Befragten erfasst, wobei der Begriff der Weiterbildung im Mikrozensus relativ eng gefasst

ist. Auch sind Zeitvergleiche nur eingeschränkt möglich, da der Fragenkatalog und der Erhebungszeit-

raum mehrfach geändert wurden.

Adult Education Survey (AES)

Die Erhebung über Erwachsenenbildung ist eine von der Europäischen Union (EU) initiierte Befra-

gung in den Mitgliedsstaaten der EU sowie einigen Beitrittskandidaten zum Thema Weiterbildung

Erwachsener. Die Erhebungen wurden erstmals im Jahr 2007 durchgeführt und finden alle zwei bis

drei Jahre statt. In Deutschland und den anderen Teilnehmerländern besteht die Grundgesamtheit aus

der erwerbsfähigen Wohnbevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren, wobei der Stichprobenumfang in

Deutschland etwa 7.000 Personen beträgt. Anders als das SOEP handelt es sich beim AES um eine

Querschnittsbefragung, die mithilfe von persönlich-mündlichen Interviews durchgeführt wird. Der

Fragebogen enthält Fragen zur Weiterbildungsbeteiligung im Erwachsenenalter, wobei etwa Angaben

zur Art und zum Inhalt der besuchten Weiterbildungsmaßnahmen, zur Finanzierung oder zum Nutzen

der Weiterbildung erhoben werden. Darüber hinaus liegen Informationen zu verschiedenen soziode-

mografischen Merkmalen der Befragten vor. Ein wesentlicher Vorteil des AES ist Vergleichbarkeit

des individuellen Weiterbildungsverhaltens in den einzelnen europäischen Ländern.

BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung (früher: BIBB/IAB-Erhebung)

Die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung (früher: 2005 BIBB/IAB-Erhebung) ist eine sich wieder-

holende Querschnittsbefragung, die bisher 1979, 1985/86, 1991/92, 1998/99 und 2005/06 durchgeführt

wurde. Die nächste Befragung ist für 2011/12 geplant. Erfragt werden die Qualifikation und die Er-

werbssituation der Befragten, wobei die Grundgesamtheit sich aus allen Erwerbstätigen ab 15 Jahren

mit einer regelmäßigen Beschäftigung von mindestens 10 Stunden pro Woche zusammensetzt. Im Jahr

2005/06 wurden 20.000 Individuen telefonisch befragt. Die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung ist

eine Mehrthemenbefragung, die wechselnde Schwerpunkte setzt. Allgemein werden Fragen zur beruf-

lichen Position, den Beschäftigungsbedingungen, den Arbeitsmitteln und dem beruflichen Abschluss

der Interviewten gestellt. Desweiteren spielen die Weiterbildungsaktivitäten der Befragten eine Rolle,

wobei die Teilnahme an Lehrgängen oder Seminaren erfragt wird. Da auch Persönlichkeitsmerkmale

erfragt werden, ist eine breitere Analyse möglich, da Bezug auf bestimmte Merkmale genommen wer-

den kann.