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Bipolar affektive Störung einige klinische Grunddaten einige Grundfragen zur Behandlung H.P. Kapfhammer Klinik für Psychiatrie Medizinische Universität Graz

Bipolar affektive Störung - Universitätsklinik für …psychiatrie.uniklinikumgraz.at/Lehre/psychologen/... · 2016-01-13 · 90%: mindestens 1 psychotisches Symptom im Self - Rating

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Bipolar affektive Störung

einige klinische Grunddaten einige Grundfragen zur Behandlung H.P. Kapfhammer Klinik für Psychiatrie Medizinische Universität Graz

Verbreiterung des bipolaren Spektrums

Bipolar II

Bipolar I

Spektrum bipolarer Erkrankungen

~ 6 %

1, 5 – 2 %

Lebenszeitprävalenz

[Pini et al. 2006]

Depression als erster Bezugspunkt für die Diagnose einer bipolar affektiven Störung

Major Depression

Klinische Hinweise für bipolare Depression

früh schnell atypisch psychotisch familiär

[Mitchell et al. 2008 Grunze 2011]

Manie und Hypomanie als zweiter Bezugspunkt für die Diagnose einer bipolar affektiven Störung

Schweregrad – psychosoziale Beeinträchtigung – Dauer

ICD-10

Diagnostik bipolar affektiver Störungen

Bipolarität Zeitkriterium: - 1 Woche Manie - 2 Wochen Depression - 4 Tage Hypomanie - 1 – 2 Tage manische Symptome - 2 Jahre Zyklothymia Verlauf einzelne Episode, rezidivierend, chronisch spezielle Merkmale: psychotische Symptome - stimmungskongruent - stimmungsinkongruent

Spektrum bipolarer Störungen

Manie

Depression

euphorisch dysphorisch- feindselig

psychotisch V E R L A U F

rapid cycling

Depression

Hypomanie

atypisch + Ärger

Zyklothymia

hyperthym OCD

Persönlichkeitsstörungen B/C Affektive Mischzustände

Hypomanie

Depression

Antidepressiva

Alkohol Drogen

Zyklo-

Bipolar I Bipolar II Bipolar III Bipolar IV

Stimmungslabilität

zyklothym – ängstlich – sensitiv

Impulskontrollstörung Binge – Eating, Bulimie

Borderline – Persönlichkeit

thymia

Panik

Validierende Strategien

Klinische Phänomenologie Temperament Komorbidität Switching Famlienanamnese Zyklizität Verlauf Mischzustand Alter bei Krankheitsbeginn Saisonalität

Was ist die klinische Bedeutung einer Bipolar II-Störung

Depressive Symptomatologie: atypische Zeichen (affektive Reagibilität, Hyperphagie, Hypersomnie, bleierne Schwere/Müdigkeit,

Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisungen) [Perugi et al. 1998]

Besonderes Suizidrisiko [Rihmer u. Pestality 1999]

Früheres Erkrankungsalter [Benazzi 1999]

Anamnestisch: Merkmale eines zyklothymen Temperaments Prädiktor für spätere Hypomanien - Manien [Akiskal et al. 1995]

Hohe psychiatrische Komorbidität Angst-, Zwangs-, Ess-, substanzbezogene, Persönlichkeitsstörungen [Perugi et al. 1999]

Burden of disease von Bipolar – I und Bipolar – II sehr ähnlich

Affektive Mischzustände

Konzept sowohl in ICD-10 als auch DSM-IV/5 verankert EPIMAN-Studie [Akiskal et al. 1998]: N = 104 Patienten mit Manie Mischzustand (+ 5 depressive Symptome): 6.7 % (+ 2 depressive Symptome): 37 % therapeutische Bedeutung: z.B. Lithium versus Valproat

Klinische Bedeutung: z.B. nach 1 Jahr persistierende Indexepisode - euphorisch-manische Episode: 7 % - bipolar-depressive Episode: 22 % - gemischte Episode: 32 % [Keller et al. 1986]

Affektive Mischzustände

nach E. Kraepelin [1913]

Diagnostische Probleme bei affektiven Mischzuständen

euphorische / depressive Stimmung dysphorische Stimmung psychomotorische Erregung psychomotorische Hemmung Ideenflucht Gedankenhemmung

Spektrum: Manie mit Angst / depressiven Symptomen Manie mit Angst und verlangsamter Sprache gehemmte / stuporöse Manie Depression mit beschleunigter Sprache agitierte Depression

Verlauf bipolar affektiver Störungen

Beginn: 20 % vor 20. Lebensjahr mit zunehmender Krankheitsdauer Zunahme der Episodenhäufigkeit = krankheitsfreie Zeit zwischen manischen / depressiven Phasen kürzer manische Phasen in der Regel kürzer als depressive Phasen 7 – 14 % der bipolaren Patienten chronischer Verlauf ohne zwischenzeitliche Vollremission 20 – 50 % Residualsymptome (Persönlichkeit) bipolare Patienten mit psychotischen Episoden: 2 – 3-fach erhöhtes Rezidiv-Risiko gegenüber Patienten ohne psychotische Episoden

Bipolar affektive Störungen und Suizidalität

25 bis 50 % der bipolaren Patienten: mindestens einmal Suizidversuch Tod durch Suizid: 30-fach erhöhtes Allgemeinrisiko erhöhtes Suizidrisiko: + Alkoholismus, + emotional instabile Persönlichkeitsstörung 10-Jahresstudie: meisten Suizide in ersten 5 Jahren nach Diagnosestellung Suizidalität: bei 79.3 % der bipolar Depressiven und bei 56.3% mit Mischzustand im einfachen Vergleich „bipolar vs. unipolar“: kein signifikanter Unterschied in dieser Variable des Outcome

Goodwin u. Jamison (1990) Dalton et al. (2003) Disalver et al. (1997)

Bipolar affektive Störung

Welche psychischen Komorbiditäten sollten bei Patienten mit bipolar affektiver Störung beachtet werden?

Psychotische Symptome in der Manie

Prävalenz 55%: mindestens 1 psychotisches Symptom gegenüber Arzt 90%: mindestens 1 psychotisches Symptom im Self - Rating häufiger in der Manie als in der Depression 2 – 3-fach erhöhtes Rezidiv-Risiko gegenüber Patienten ohne psychotische Episoden Stimmungskongruente vs. – stimmungsinkongruente Symptome: diagnostisches Konzept der schizoaffektiven Psychose

Behandlungskonsequenzen

Psychotische Symptome bei der bipolar affektiven Störung

Stimmungskongruente psychotische Symptome Größenwahn: Wert, Macht, Wissen, Identität, spezielle Beziehungen depressiver Wahn: Selbstwert, Schuld, Bestrafung, Krankheit, Tod, Nihilismus hierauf bezogener Beziehungs- und Verfolgungswahn Akustische Halluzinationen

Nicht-stimmungskongruenter Wahn

Positive Denkstörungen Gedankendrängen, Logorrhoe, Gedankenentgleisung, Inkohärenz, Verworrenheit,

Tangentialität, Ablenkbarkeit, überinklusives Denken Negative Denkstörungen Verarmung des spontanen Sprechens, der Sprechinhalte, Neologismen, unterinklusives

Denken Katatone Symptome McElroy et al. (1996; DSM-IV-TR (2002)

Differentialdiagnostische Probleme bei bipolar affektiver Störung

Bipolar affektiv + psychotische

Symptome

Schizoaffektive Psychose gemischt

Zykloide Psychose

Angst-Glück Verwirrtheit erregt / gehemmt

Motilität hyperkinetisch / akinetisch

depressiv manisch

unipolar depressiv

bipolar affektiv

kongruent

inkongruent

Schizophrenie

Bipolare affektive Störungen - Angsterkrankungen

Erhöhte Assoziation in epidemiologischen Studien an Allgemeinbevölkerung (Kessler et. al. 1998) Komorbidität Symptomschwere, Chronizität, Suzidalität, Therapie (Frank et al. 2002, Young et al. 1993, Feske et al. 2000) Zusammenhang zu familiärer Häufung in Linkage-Studien (MacKinnon et al. 1998) Zusammenhang zu bipolar II > bipolar I / Interepisoden: Panikstörung, soziale Phobie (Perugi et al. 1999, 2001) Angstsensitivitäts-Index während Manie als potentieller Vermittler von Panikstörung (Simon et al. 2005) Zusammenhang zu Depressionsschwere > Manie / affektiver Mischzustand (Gaudiano, Miller 2005, Disalver, Chen 2003) Bipolare Prädisposition + frühe Traumata erhöhtes PTSD-Risiko (Goldberg, Garno 2005)

Behandlungskonsequenzen

Bipolare affektive Störungen – Substanzgebrauch schädlicher Gebrauch - Abhängigkeit

50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0 %

28

11

4

13

7

2

41

18

6

bipolar Major Depression Allgemeinbevölkerung

Abhängigkeit Missbrauch Total

Drogenkonsum in ECA-Studie (Regier et al. 1990)

Bipolare affektive Störungen – Substanzgebrauch schädlicher Gebrauch - Abhängigkeit

National Comorbidity Survey (NCS – Kessler et al. 1997) - psychische Störungen allgemein (LZP) 48 % - Substanz-induzierte Störungen - Alkoholabhängigkeit 14.1 % - Drogenabhängigkeit 7.5 % - Stimmungsstörungen 19.3 % Depression 2 x Rate SUS Bipolar affektiv 7 x Rate SUS

Bipolare affektive Störungen – Alkoholismus allgemeiner Einfluss

verringerte Behandlungscompliance ungünstige Therapieresponse niedriges psychosoziales Adaptationsniveau erhöhte Rate an Suizidalität / Fremdaggression erhöhte Inanspruchnahme medizinischer / sozialer Institutionen

Bipolare affektive Störungen – Alkoholismus differentielle Einflüsse

Modifikation Verlauf Episode Outcome früherer Krankheitsbeginn größere Anzahl der Symptome erhöhte Chronizität kürzere Zykluslänge mehr depressive Symptome erhöhte Behinderung Persistenz der Symptome häufiger rapid cycling, erhöhte Mortalität verzögerte Erholung + gemischte, dysphorische schnellerer Rückfall Subtypen häufigere Episoden abrupter / schnellere Episode Progression der Episode – switch längere Episode

Behandlungskonsequenzen

Faktoren mit Einfluss auf Rückfall und Chronizität

Tyrer (2006)

Chronizität schwerwiegende körperliche Krankheit Substanzmissbrauch positive Familienanamnese ungünstige prämorbide soziale Adaptation depressive oder gemischte Zyklen rapid cycling längere Krankheitsepisoden hohe Anzahl von Episoden

Mortalität bei bipolar affektiver Störung

Angst et al. (2002) Follow up Studie über 20 Jahre bei 220 Patienten standardisiertes Mortalitätsrisiko: hoch signifikant „behandelt vs. unbehandelt“

Neoplasma vaskuläre Erkrankungen Suizid Unfälle / Intoxikationen andere Ursachen

Metabolismus, Lebensstil und bipolar affektive Störungen

Lebensstil, Krankheit, Behandlungsfaktoren erhöhte Raten an Adipositas, Metabolischem Syndrom, Diabetes mellitus, koronaren Herzerkrankungen OR: ca. 2.0

Morries, Mohammed (2005)

Bipolar affektive Störungen – andere potentiell bedeutsame somatische

Komorbiditäten

erhöhtes Demenzrisiko (Kessing, Nilsson 2003) Migräne (Oedegaard, Fasmer 2005) Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen (Jablensky et al. 2005)

Differentialdiagnostik bipolar affektiver Störungen

Schizophrenie – schizoaffektive Psychose – zykloide Psychose – Depression D: schizodepressiv, saisonal affektiv, rezidivierend kurz M: schizomanisch, schizophreniform, schizophren

Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHD) bedeutsame Komorbidität – möglicherweise gemeinsame Diathese – kindliches

ADHD möglicherweise Prädiktor für frühen Beginn; wenn Koexistenz, dann: schwerere Episoden, höhere Chronizität, nachteiligere psychosoziale Adaptation

Borderline-Persönlichkeitsstörung Substanz-induzierte affektive Störung

Organisch bedingte affektive Störung

Bipolar affektive Störungen Zusammenfassung relevanter klinischer Aspekte

Langzeiterkrankung psychiatrische Komorbidität - Substanzmissbrauch - Angsterkrankungen Suizidrisiko bei Nichtbehandlung erhöhte Mortalität auch durch nicht-psychiatrische Erkrankungen psychotische Symptome psychosoziale Konsequenzen z.B. Arbeitsplatzverlust, Scheidung bedeutsame Daly’s (disability adjusted life years)

Burden of disease bei bipolar affektiver Störung

z.B. für 25-jährige Frau bei Ersterkrankung eine um ca. 9 Jahre verkürzte Lebenserwartung Verlust von 12 Jahren normalen gesunden Lebens Verlust von 14 Jahren normaler beruflicher / familiärer Aktivität

Spektrum bipolar affektiver Störungen – grundlegende therapeutische Herausforderung

Klinik Akuttherapie Prophylaxe

“TYP A” Stimmungsstabilisatoren

“TYP B” Stimmungsstabilisatoren

Stimmungsstabilisatoren – Mood stabilizers

Bipolare Störungen: Therapie

Manie Depression

Antipsychotika z.B. Clozapin, Risperidon Olanzapin Aripiprazol

Antidepressiva z.B. SSRIs

beachte bei AD: Switch-Risiko

Stimmungsstabilisatoren/Antikonvulsiva z.B. Lithium

Carbamazepin Valproinsäure

Lamotrigin

Quetiapin Olanzapin +

Prävention

SSRI’s

Lamotrigin

Quetiapin

Olanzapin +

Stimmungsstabilisatoren:

Lithium

Carbamazepin

Valproinsäure

Manie Depression

Akuttherapie Antipsychotika 2. G.

Bipolare Störungen: Therapie