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Zwang und Zwangsstörungen

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Zwang und Zwangsstörungen

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Zwang - Definition

„Zwang ist, wenn jemand Bewusstseinsinhalte nicht loswerden kann, obwohl er sie gleichzeitig als inhaltlich unsinnig oder wenigstens als ohne Grund beherrschend oder beharrend beurteilt. Will man ganz kritisch sein, so sage man 'von innen kommende' Bewusstseinsinhalte, um die Zwangserlebnisse begrifflich gegen die von außen gemachten Erlebnisse Schizophrener abzudichten.“

[K. Schneider 1959] 1. Gefühl eines subjektiven Zwangs: - intrusiv 2. mit innerem Widerstand dagegen: - wechselnder Erfolg 3. erhaltene Einsichtsfähigkeit: - sinnlos, inadäquat

[A. Lewis 1936]

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Zwang - formale Charakterisierung

Zwang („obsession“)

- Zweifel: Glaube, Handlung nicht zufrieden stellend abgeschlossen zu haben - Denken: endlose Gedankenkette, häufig auf Zukunftsaspekte bezogen - Bild: lebhafte Visualisierung, Katastrophenbild, Kontrollhandlungen störend - Impuls: mächtiger Drang eine Handlung auszuführen, die trivial, sozial

beschämend/störend/bedrohlich - Befürchtung: Angst vor Kontrollverlust, der zu sozial beschämender/ gefährlicher Handlung führen könne ohne Drang Zwangshandlung („compulsion“)

- als zwangsgeleitete Handlungsausführung - als ritualisierte Kontrollhandlung gegen den Zwang

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Zwang - formale Charakterisierung

affektive Konnotation: - unangenehm, quälend, - angstbesetzt, nicht lustvoll Obsession: - mental Compulsion: - behavioral ICD 10: O und C: statisch, äquivalent Obsession: - emotionalem Distress Compulsion: - Handlungen (kognitiv +

behavioral) gegen Distress DSM IV: O und C: dynamisches Verhältnis

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Inhaltliche Extensionen von Zwangsphänomenen

[Akhtar et al. 1975]

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Empirische Syndrom-Cluster der Zwangsstörung

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Zwanghafte (anankastische) Persönlichkeit

Freud (1908)

- Ordnungsliebe (Pedanterie) - Sparsamkeit (Geiz) - Eigensinn (Trotz) [Abwehr aggressiver/sexueller Triebimpulse durch Reaktionsbildung, Affektisolierung, Ungeschehenmachen, Gegenbesetzung/Verschiebung] Shapiro (1965)

- übertriebener Versuch, Autonomie und Selbstkontrolle herzustellen - Kampf um Definition und Sicherheit in bedrohlich und chaotisch erlebter Welt - Rigidität und Ambiguitätstoleranz - Vermeidung von engen emotionalen Erfahrungen und Kontakten

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Anankastische Persönlichkeit

Janet (1908) - „sentiment d ' incompletude“ - [Psychasthenie: Störung des Willens] Reed (1969) - „under-inclusive thinking“ Rasmussen, Eisen (1988) - abnorme Risikoeinschätzung Angst - pathologischer Zweifel - inneres Unvollständigkeitsgefühl niedrige Angst

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Zwangsstörung - Epidemiologie

Zwangsstörung keine seltene Erkrankung - ECA-Studie: - 6-Monats-Prävalenz: 1.6% [Myers et al. 1984] - Lebenszeit-Prävalenz: 2.5% [Robins et al. 1984]

4. häufigste psychiatrische Störung - stationär-psychiatrische Aufnahmen: - Inzidenz: 1% [Goodwin et al. 1969]

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Zwangsstörung - Epidemiologie

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Zwangsstörung - Epidemiologie

Zwangsstörung - anankastischer Persönlichkeit: weder linearer noch uniformer Zusammenhang Black (1974) - 71%: mäßige/ausgeprägte Zwangspersönlichkeitsmerkmale Rasmussen, Tsuang (1986) [n = 44] - 66%: Achse II-Diagnosen (DSM III-R) - 55%: Zwangspersönlichkeitsstörung Joffee et al. (1988) [n = 23] - 83%: Achse II-Diagnosen (DSM III-R) - 61%: "passiv-aggressiv" - 56%: "vermeidend" - 56 %: "abhängig" - 39%: "Borderline" - 4%: "anankastisch"

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Zwangsstörung - Verlauf und Prognose

Goodwin et al. (1969) - häufig erst nach Jahren fachärztliche Hilfe beansprucht - in 30% - 50% keine bedeutsamen psychosozialen Auslöser - 65%: Beginn vor 25. L.j., 15%: nach 35. L.j. - 25%: ausgeprägte depressive/Angstsymptomatik koexistent - Prognose bei milder Symptomausprägung: recht günstig - Prognose bei schwerer Symptomausprägung: - 35%: Besserungsrate - 5% - 10%: chronische Progredienz Marks (1987) - häufig rezidivierende/remittierende Episoden vor chronischer Progredienz - sehr selten vollständige Remission Black (1974) - 57%: - statisch, progredient-chronisch - 13%: - phasisch - 30%: - fluktuierend

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Lebenszeitprävalenz komorbider Störungen bei Zwangsstörungen

Komorbide Störung Lebenszeitprävalenz in % Punktprävalenz in %

Affektive Störungen 63,9 – 74,1 16,4 – 36,3 Major Depression 56,5 – 67,2 15,0 – 18,3 Bipolare Störung 2,7 – 3,4 0,7 – 1,0 Dysthymie 5,5 – 7,8 0,0 – 5,5 Angststörungen 46,1 – 52,6 36,6 – 38,0 Panikstörung 18,4 – 9,1 7,2 – 9,2 Agoraphobie ohne Panikstörung 1,4 – 2,6 1,3 – 1,4 Soziale Phobie 24,1 – 27,6 18,8 - 19,1 Generalisierte Angststörung 7,5 – 9,2 7,5 – 9,2 Spezifische Phobie 10,5 – 18,1 8,2 – 14,7 PTBS 4,7 – 6,5 3,1 – 3,4 ADHD 10,2 2,7 Substanzabhängigkeit 13,6 – 25,6 5,2 – 5,8 Psychotische Störung 2,7 – 4,7 2,0 – 2,6 Essstörungen 10,2 – 10,7 1,7 – 5,0 Impulskontrollstörungen 15,0 11,3 Somatoforme Störungen 5,8 – 7,5 5,8 – 6,1

[Pinto et al. 2006; Hofmeijer-Sevink et al. 2013]

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Zwang - überwertige Idee - Wahnidee

Zwang: - Kriterium der Intrusivität - Kriterium des inneren Widerstands - Kriterium der Einsichtsfähigkeit in Sinnlosigkeit überwertige Idee: - Kriterium der verständlichen, aber falschen Überzeugung - Kriterium des stark affektbesetzten Handelns gemäß der Überzeugung - Kriterium der sinnvollen Handlung Wahnidee: - Kriterium der qualitativ abnormen, unverständlichen Bedeutungszuschreibung - Kriterium der Unkorrigierbarkeit „Gibt es wahnhafte Zwangsideen?“

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Zwangsstörungen mit schwacher oder fehlender Einsichtsfähigkeit

DSM-IV-Feldstudie [Foa, Kozak 1995]: zahlreiche Patienten mit Zwangsstörungen sehen ihre Zwänge weder als sinnlos an noch handeln sie immer unter Widerstand ! - 13%: sicher, befürchtete Konsequenz: nein - 30%: unsicher - 25%: meist sicher, befürchtete Konsequenz: ja - 4%: absolut sicher, befürchtete Konsequenz: ja Insel, Akiskal (1986): - Einsicht in die Sinnlosigkeit obsessiver Ängste oft situationsgebunden - Übergänge aus Zwangsideen in wahnhafte Überzeugungen oder sekundär wahnhafte Verarbeitungen möglich bei sonst fehlenden schizophrenen Symptomen - meist vorübergehende Dauer Eisen, Rasmussen (1989): nur dann ungünstige Prognose, wenn vergesellschaftet mit Symptomen aus dem schizophrenen Spektrum

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Zwangssymptome und Schizophrenie

„Zwangskrankheit eine Form der Schizophrenie“ [Westphal 1878, Bleuler 1912] „Zwang als Kompensation/Maskierung einer Schizophrenie“ [Stengel 1945] „Zwang als existentieller Versuch, dem psychotischen Persönlichkeitszerfall entgegenzuwirken“ [Lang 1981] „Zwangssymptome (Vorstellungszwang, Zwang zur Reflexion, Gedankenruminationen, Hängenbleiben an Fragen) als Verlust an Leitbarkeit der Denkvorgänge: Basissymptome einer Schizophrenie“ [Huber 1966]

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Zwangssymptome und Schizophrenie

empirische Follow-up-Studien: - „möglicher Übergang aus Zwangsstörung (Prodromalstadium) in Schizophrenie“ [Müller 1953: 12%] - „Patienten mit Zwangsstörungen nicht häufigere Schizophrenie als nicht zwanghafte Patienten“ [Goodwin et al. 1969] * heute nicht mehr aufrecht zu halten - „Prävalenz von Schizophrenie bei Zwangsstörungen nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung“ [Hodgson 1980] * heute nicht mehr aufrecht zu halten Prognostische Bedeutung von Zwangssymptomen bei der chronischen Schizophrenie - ungünstigere klinische und psychosoziale Prognose [Fenton, McGlashan 1986, Berman et al. 1995] - möglicherweise Kontamination mit anderen Chronizitätsvariablen

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Zwangssymptome und Schizophrenie

Meier et al. (2014): dänische Studie mit Bevölkerungsstichprobe von mehr als 3 Millionen Einwohnern der Geburtsjahrgänge 1955-2006 vorherige Diagnose einer Zwangsstörung = erhöhtes Risiko, später eine Schizophrenie

oder eine Schizophrenie-Spektrumstörung zu entwickeln Inzidenzrate für Schizophrenie für 6.9, für Schizophrenie-Spektrumsstörungen 5.77 =

deutlich über der normalen Inzidenz. Nachkommen von Eltern mit der Diagnose einer Zwangsstörung: erhöhtes Risiko für

Schizophrenie (IRR: 4.31), für Schizophrenie-Spektrumsstörung (IRR: 3.10) Poyurovsky et al. (2004): Zwangssymptome werden nicht nur komorbid bei ca. 12-25%

der schizophrenen Patienten beobachtet; können auch innerhalb dieser Erkrankung vor oder nach einem psychotischen Schub auftreten.

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Zwangsstörung und Depression

hohe Komorbidität [Welner et al. 1976, zeitliche Abfolge (n = 150)] - 38%: sekundäre Depression - 13%: Depression koexistent - 16%: sekundärer Zwang nach Depression ca. 85% sekundäre Depressionen [Rasmussen, Eisen 1988] kontradepressive Funktion des Zwangs bei gleichzeitiger Depression [Stengel 1957, Quint 1987] „anankastische Depression“ [Lauter 1962] - prominente Zwangssymptome (v.a. Angst vor kriminellen und aggressiven Impulsen) bei depressiven Zuständen - Phasen häufig länger, weniger exakt abzugrenzen im Vergleich zu uni- /bipolaren Depressionen ohne Zwang - Aggression fast ausschließlich gegen die Umwelt gerichtet, damit mitigierender Einfluß auf die Schwere der depressiven Verstimmung einhergehend - sthenischer Stachel im asthenischen Gesamt der Primärpersönlichkeit, „extraversiver Werthorizont“ - häufig lebenssituative Auslösung: Schwangerschaft,Wochenbett

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Zwangsstörung und neurologische Erkrankungen/ pharmakologische Therapie

Encephalitis lethargica (Economo) idiopathischer Morbus Parkinson Mangan-induzierter Parkinsonismus Chorea Sydenham Gilles de la Tourette-Syndrom bilaterale Nekrose des Nucleus pallidus Meige-Syndrom iktale Zwänge („Zwangsdenken“) Schädelhirntrauma Hirntumor L-Dopa-Therapie Amphetamin-Intoxikation Clozapin-induziert Benzodiazepin-Entzug

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Zwangsstörung und neurologische Erkrankungen/ pharmakologische Therapie

Differentialdiagnose hirnorganisch bedingter Zwänge gegenüber anderen Syndromen: enechetischer Persönlichkeitstypus bei Epilepsie Perseveration Echolalie Autismus Hypermetamorphose (Klüver-Bucy-Syndrom)

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Zwangsspektrum-Erkrankungen entlang der Dimension „Zwanghaftigkeit“ versus „Impulsivität“ [Hollander 1993]

zwanghaft impulsiv

ZW Hyp KDSt AN Dep TS Trich PS Para BPSt Risiko-vermeidend Risiko-suchend Abkürzungen: ZW: Zwangsstörung, Hyp: Hypochondrie, KDSt: Körperdysmorphe Störung, AN: Anorexia nervosa, Dep: Depersonalisationsstörung, TS: Tourette Syndrom, Trich: Trichotillomanie, PS: pathologisches Spielen, Para: Paraphilien, BPSt: Borderline Persönlichkeitsstörung

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Psychische Störungen im Zwangsspektrum

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Kognitiv-behaviorales Modell der Zwangstörung

[nach: Salkovskis 1998]

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Zur Psychodynamik der Zwangsstörung

defensive Regression von ödipalen Konflikten auf anal-sadistische Konflikte defizitärer Entwicklungsstillstand Impulse: - antisozial, aggressiv, dominierend - anal-lustvoll pathogene Impulse kaum je unbewusst vielmehr eher ins bewusste Erleben einbrechend, dagegen die Abwehr gerichtet archaische Triebimpulse moralische-idealbildende Struktur „Über-Ich-Strenge“

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Zur Psychodynamik der Zwangsstörung

Ich-Funktionen: Symptomatik: Überwiegen des Triebfaktors versus Überwiegen der Gewissensfaktors Abwehr: - Reaktionsbildung - Regression - Isolierung - Ungeschehenmachen - Intellektualisierung Zweifel des Denkens versus affektive Ambivalenz „Handlungsstörung“ schwach ausgebildete Ich-Funktionen: kein funktionstüchtiges Probehandeln magisches Denken: Denken = Handeln

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Zur Psychodynamik der Zwangsstörung

o Bedürfnis des Kindes nach Autonomie o Einsicht in existentielle Abhängigkeit von Eltern o Wut auf Einengung o Reaktive Induktion von Schuld-Angst o Verdrängung von ohnmächtiger Wut o Überanpassung: formale anstelle der inhaltlichen Übererfüllung

Emotionale Autarkie Vermeidung autonomer Handlungen Gefühl des ständigen Getrieben seins

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Pathophysiologisches und neuroanatomisches Modell der Zwangsstörung [nach: Saxena et al. 1998]

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Zwangsstörung: eine Störung der serotonergen Neurotransmission ?

periphere serotonerge Indikatoren [nach: Zaudig et al. 2001] Höhere Liquorkonzentrationen von 5-Hydroxyindolessigsäure (5-

HIAA), dem Hauptmetaboliten des Serotonins, bei Zwangspatienten im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden

Höhere Serotonin-Konzentration im Vollblut bei Zwangspatienten mit positiver Familienanamnese

Signifikante Korrelation (r = 0.75) zwischen Besserung der Zwangssymptome während einer Behandlung mit Clomipramin und der Abnahme der 5-HIAA-Konzentration im Liquor

Signifikante Korrelation (r = 0.77) zwischen klinischer Besserung und Abnahme der Serotonin-Konzentration in den Thrombozyten bei Kindern mit Zwangssymptomatik und Behandlung mit Clomipramin

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Therapie der Zwangsstörung

- psychopharmakologisch - Serotonin-Hypothese der pharmakologischen Therapie von Zwangsstörungen Clomipramin / Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer / andere serotonerge Antidepressiva Add on: mittlerweile gute Daten für atypische Antipsychotika Allgemein: - ausreichende Dosierung (200 mg C) - ausreichende Therapiedauer (4-6 Wochen) - 60% Response vs. 5 - 10% unter Placebo bei zusätzlicher Angst: + Buspiron bei zusätzlichen Tics: + Antipsychotikum bei wahnhaften Ideen: + Antipsychotikum bei schizotypischer PSt: + Antipsychotikum Lithium-Augmentation kein Behandlungsabbruch vor 10-12 Wochen bei Ansprechen: therapeutische Dosis 6 - 12 Monate anschließender Versuch der Dosisreduktion Gesamtdauer: Absetzversuch nach 1-2 Jahren

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Therapie der Zwangsstörung - psychotherapeutisch -

Verhaltenstherapie: - Exposition Zwänge (obsession) - Response-Prävention Zwangshandlungen (compulsion) - kognitive Techniken - langfristige Erfolgsquote: 40 - 80% - geringere Behandlungsmotivation als Angstpatienten - große Bedeutung von Beziehungsproblemen für Rückfallrisiko - große Bedeutung der therapeutischen Beziehung Psychoanalyse: - eher geringe Erfolgsaussichten bei schweren Zwangsstörungen - Indikation bei akuter Manifestation von leichteren Zwangsstörungen, anankastische Persönlichkeiten - große Bedeutung für das Verständnis der Beziehungsdynamik (auch bei VT, PhT)

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Therapie der Zwangsstörung – Elektrokrampftherapie / Transkranielle

Magnetstimulation

Eine Subgruppe von therapierefraktären Zwangspatienten scheint sowohl auf EKT als auch auf TMS positiv anzusprechen. Zur EKT liegen im Unterschied zur TMS aber keine randomisierten und kontrollierten Studien vor.

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Tiefenhirnstimulation bei therapierefraktärer Zwangsstörung

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Was ist das praxeologische Rationale für Tiefenhirnstimulation [DBS]

bei Zwangsstörungen

Bedeutsame Prävalenz – bedeutsame Rezidivneigung – hohe Chronizität Hohe psychiatrische Morbidität Hohes subjektives Leiden – bedeutsame Einschränkungen in störungsbezogener

Lebensqualität – bedeutsame interpersonale Belastungen – starke psychosoziale Behinderungsgrade – bedeutsame sozioökonomische Kosten

Fokus: chronische, therapierefraktäre Zwänge: - ca. 50 -75 % bezogen auf Pharmakotherapie u. Psychotherapie (KVT)

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Was ist das theoretische Rationale für DBS bei Zwangsstörungen?

Neurobiologische Verständnis der neuronalen Regelkreise für effiziente / Referenzebene: gestörte Kontrolle willentlicher Handlungen [Konvergenz aus strukturellen u. funktionellen

Neuroimaging-Methoden, anderen Stimulationsverfahren, neurochirurgisch-stereotaktische Läsionen, DBS-Erfahrungen aus M. Parkinson-Indikation]

nach: Saxena et al. (1998)

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Was ist das theoretische Rationale für DBS bei Zwangsstörungen?

Neurobiologische - noch nicht sehr klares Verständnis vieler Referenzebene: anderer neurobiologischer Ebenen der OCD - hohe klinische syndromale Komplexität - Implikation einer neuronalen Stimulation in funktional-differenzieller Region unterschiedliche neurochirurgische Zielregionen („target sites“): - ventro-anteriore Capsula interna - N. caudatus - N. subthalamicus / N. accumbens