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Bis hierhin und viel weiter!

Bis hierhin und viel weiter! · auch das erste Team in freundschaftlicher, manchmal fast zärtlicher Weise aufeinander ... Arbeitsfeld erhalten bzw. neu herstellen. Die Organisationsentwicklung

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Bis hierhin und viel weiter!

ImpressumDruck: MECKE Druck und Verlag, DuderstadtLayout: NEUEFORM Göttingen

Therapeutische FrauenberatungGroner Straße 32/33D-37073 GöttingenTelefon +49·(0)551·45615Telefax +49·(0)551·5316211therapeutische-frauenberatung@w4w.dewww.therapeutische-frauenberatung.de

Göttingen im Herbst 2004

von links nach rechts: Gabriele Betz, Bettina Schneider, Ilse Hilliger, Wiebke Landwehr und Ulla Koch.

Kurze Vorrede zu einer langen Geschichte

Als Margit Brenig-Eggebrecht, Dagmar Bielsteinund ich als Vorstand der Therapeutischen Frau-enberatung (TFB) angefragt wurden, ob wir mitdiesem Vorwort zum 20jährigen Jubiläum bei-tragen wollten, trafen wir uns und sammeltenHistorisches aus den 80ern und 90ern. Und wirschwelgten ein bisschen in der Vergangenheit,weil es so viele nette (interessante, warme, be-geisterte, lustige, im Rückblick auch niedliche)Erinnerungen gab. Einen Eindruck davon möch-te ich der Festschrift voranstellen: dass es wirk-lich gut war und (so mein sicherer Eindruck)heute noch ist, in diesem Projekt zu arbeiten.

Einer der Leitsätze damals, als sich die Frau-enzentren und -projekte gründeten, war »Frau-en gemeinsam sind stark«. Das meinte u.a.Selbstbewusstsein, eine von Männern unabhän-gige Identität, die Betonung von Frauenfreund-schaften und eine gemeinsame Arbeitsfähigkeit.

Im Hinblick auf Selbstbewusstsein bin ichsicher, dass wir viel gelernt haben. Immer mehrErfahrungen als Therapeutin zu bekommen, warnatürlich das Offensichtliche. Aber wir habenauch Buchhaltung gemacht, uns um die Finan-zierung gekümmert, Veranstaltungen organi-siert, Vorträge gehalten, Flugblätter geschrieben,

mit PolitikerInnen gesprochen etc. Wichtig fürdas Selbstwertgefühl ist natürlich auch, dass wirnach Möglichkeit, also fast immer, respektvollmiteinander und mit divergierenden Meinungenumgegangen sind. Und: von der Initiative einerGruppe von Frauen zu einem Projekt, das sichetablieren und letztlich bis in die neuen EU-Län-der vernetzen konnte, ist es eine beachtlicheEntwicklung, will sagen: wir waren offensichtlichnicht dumm, feige oder hilflos.

Vielleicht kennen einige die Erfahrung, miteiner oder einigen Frauen zusammenzusitzenund zu plaudern, und dann kommt ein Mann inden Raum und das Klima, die Nähe, der wech-selseitige Bezug verändern sich, warum auchimmer. Als ich Anfang der 80er Jahre erstmaligim alten Frauenzentrum war, erschien mir derSchritt als kleine persönliche Revolution: wegvon einer Klimastörung fühlte ich mich selbst-verständlicher und nicht mehr latent auf meineunterstellte wenngleich sogar noch als attraktivempfundene leichte Minderwertigkeit als Frauhin angesehen; das Frausein bekam in derUmdeutung jener Zeit etwas Neues, Wertvolles.Das Prinzip der Frauenräume ermöglicht,davon bin ich auch heute noch überzeugt, unge-störtes Denken, Fühlen und Handeln, auch wennFrauen keine manifesten Gewalterfahrungenhaben.

Wie Margit und Dagmar beschrieben, warauch das erste Team in freundschaftlicher,manchmal fast zärtlicher Weise aufeinanderbezogen, einige verliebten sich auch ineinan-der. Das war später auch noch so. Und dasvermisse ich als selbstständige Niedergelasse-ne: eine kollegiale Frage eben mal im Büro zuklären oder wegen irgendwas laut zu schimp-fen, zu wissen, die anderen kennen, in grobenZügen zumindest, meine momentanen Krisenund Glücksgefühle und das hat Platz im Alltag.Einzelne fahren zusammen in Urlaub, feiern,helfen bei Umzügen. (Natürlich wurde auchgestritten, manchmal sogar recht nachhaltig.)Die engen persönlichen Beziehungen zwi-schen Frauen als so wichtig zu sehen,wurdevon der Frauenbewegung als geschlechts-spezifische Stärke bewusstgemacht, betontund beschrieben. Was ich an der Arbeits-fähigkeit so gut fand: Rücksicht, Bezugneh-men, Konzentration, Aufgabenbezug undLösungsorientierung, wenig aufgabenfernesGeplauder, wenig Drang zu vorrangiger Selbst-darstellung. Ich habe unsere Plenumssitzun-gen als anstrengend aber befriedigend in Erin-nerung, je selbstsicherer und professionellerwir wurden, desto mehr. Jedenfalls: Frauengemeinsam sind stark und können bis hierhinund viel weiter kommen. Ariane Ploetz

chen Vorzeichen gleichgeschlechtlicheArbeitszusammenhänge begründet wurden,welchen Konfliktfeldern sie sich gegenüberse-hen und wie die Dinge in der TFB stehen.Abgesehen vom Letzterem ist darüber im übri-gen seit gut zehn Jahren eine Menge gemeint,geforscht und geschrieben worden. EinigeLiteraturhinweise stehen am Schluss.

Zu Herzen und an die Nieren –Blick zurück

Frauen haben vor zwanzig, dreißig Jahrenauch deshalb Projekte gegründet, um neueFormen solidarischer Zusammenarbeit zu rea-lisieren – ohne Konkurrenz- und Neidgefühle,ohne geschlechterhierarichische Diskriminie-rungen. Sie wollten eigenbestimmte Lebens-und Arbeitsräume schaffen mit basisdemokra-tischen Strukturen. Autonom sein in demSinne, dass die dort Arbeitenden die Kontrolleüber ihre Geschäfte ausüben. Die Frauenerwarteten im Kollektiv mit anderen Frauen

selbstverständliche Vertrautheit und Gemein-schaft, Verständnis, Unterstützung und Strebennach identischen Zielen. Nachfolgenden Pro-jektfrauen-Generationen war vielleicht dieSelbstverwirklichung in der Arbeit wichtiger.Was immer: Projekte sind Herzensangelegen-heiten.

Natürlich lauert hier die große Gefahr,Arbeitszusammenhänge gnadenlos zu über-frachten. Viele Wünsche und Hoffnungen blie-ben tatsächlich unerfüllt, vielleicht unerfüll-bar. Unterschiede untereinander, Meinungs-differenzen, Gegensätze konnten nur schwerertragen, geschweige denn besprochen undakzeptiert werden. Enttäuschung, Wut undFeindseligkeit folgten. Hinzu kommt, dass einTeil der Frauenbewegung Anfang der 80erJahre grundsätzlich in Frage gestellt hat, dassdas Geschlecht (und seine Unterdrückung)überhaupt in der Lage ist, Gemeinsamkeit zubegründen. Nicht alle Projekte und nicht jedeFrau sind aus dieser Zeit mit heiler Haut her-aus gekommen.

Vita der Therapeutischen...

Studentinnen des Pädagogischen Seminars

gründen die Initiative »Frauen beraten Frauen«

für Frauenhausbewohnerinnen 1983

Gründung des Vereins.

Vornehmlich Studentinnen zwischen 20 und 30

Jahren suchen in den Räumen des Frauenzentrums

in der Kurzen Geismar Straße Beratung1984

Von der Initiative zur Institution

Frauenprojekte sind angetreten, um dieLebensbedingungen für Frauen zu verbessern.Immer waren die Initiativen eine Antwort aufgesellschaftliche Missstände und Ungerechtig-keiten. Diese liefern auch heute noch ausrei-chend Handlungsbedarf. Die Initiativen sindindes meist zu Institutionen herangewachsen,zu selbstverständlichen Größen in der sozialenInfrastruktur. Vom Selbsthilfeursprung gelöst,stellen sie heute Orte professioneller Arbeitvon Frauen dar. Wir reden zwar nach wie vorvom »Frauenprojekt«, in etlichen Fällenjedoch wäre es wohl zutreffender, von Non-Profit-Unternehmen zu sprechen, die ihrer-seits Projekte für Frauen durchführen.

Dieser Institutionalisierungsprozess istnicht unumstritten, birgt er doch neben ande-rem die Gefahr von Abstrichen an Freiheitenund Frauenbewegungskultur. Das aber stehtauf einem anderen Blatt. Auf diesem möchtenwir vielmehr einiges darüber sagen, unter wel-

Häufig lesen sich Darstellungen über dieZusammenarbeit in Frauenprojekten wie Dra-men in vier Akten: hoffnungvoller Anfang,Höhenflug und Bauchlandung, anschließendesWeiterwurschteln. Das ist zwar übersichtlich,darum aber nicht richtig. Hier spiegeln sichVorurteile und Geringschätzungen, die Frau-enprojekten oft entgegengebracht werden(Nette Utopie, funktioniert aber nicht. Derangeblich ewig-weibliche Konkurrenzkampfusw.). Frauen selbst stellen in ihren persönli-chen Berichten ebenfalls oft das Konflikthaftein der Zusammenarbeit in den Vordergrund.In dieser Abwertungspraxis spiegelt sich wohlleider das Unvermögen, Erfolge, vielleichtauch nur Teilerfolge anzuerkennen – trotzkritischer Bemerkungen. In jeder sozialenBewegung jedoch kommt es zu Ermüdung undEnttäuschung. Es ist die Frage, wie mit ihnenumgegangen wird, was daraus folgt. Im bestenFalle wachsen alle Beteiligten und wächst dieBewegung an den Konflikten und entwickeltsich in der Auseinandersetzung.

Auch in 20 Jahren TFB gab es Kolleginnen, dieim Ärger gegangen sind. Sie mögen sich viel-leicht falsch gefühlt haben, weil ihre Ansichtimmer wieder als unfeministisch gebrand-markt wurde. Oder sie dachten, dass mit die-ser unpolitischen Gruppe von Frauen derFeminismus auf jeden Fall baden gehe, dieanderen also nicht richtig seien. Oder siemeinten, dass das Kollektiv ihre individuelleEntwicklung einschränke. Wie auch immer –Gleichheit und Differenz, das Spannungsfeldzwischen Gemeinschaft (Wir) und individuel-len Zielen (Ich) fordert uns auch heute noch.

Project in progress

Der Weg, den wir heutigen Kolleginnen in die-sem Jahrtausend gegangen sind, war nichtimmer gradlinig. Aus mancher Supervisionsind wir – jede für sich – herausgekommenmit Befremden darüber, dass wieder nichtüber etwas geredet werden konnte, wo dochganz offensichtlich etwas in der Luft lag. Statt-

dessen Schweigen. Manche Beschlüsse warenzu den festgesetzten Terminen immer nochnicht umgesetzt, was je nach Stimmungslagezu frustrierter Lähmung oder zu Ärger führte.

In diesem Entwicklungsprozess haben wirregelmäßig die Beratung einer externen Orga-nisationsentwicklerin in Anspruch genommen.Sie sollte uns dabei unterstützen, die innereStrukturierung so voranzutreiben, dass wiräußere Anforderungen bestehen können, aberebenso Glück und Zufriedenheit in unseremArbeitsfeld erhalten bzw. neu herstellen. DieOrganisationsentwicklung oder kurz OE istlängst nicht abgeschlossen: Nur rollende Bällesetzen kein Moos an. Es soll auch gar nichtder Eindruck erweckt werden, dass der Pro-zess immer harmonisch und ohne Konfliktverlief. (Unseren Supervisorinnen gebührtehrlicher Dank.)

An dieser Stelle möchten wir keinesfallsden OE-Verlauf ausführlich darstellen. Nureinige uns wichtige Aspekte in unserer Zusam-menarbeit möchten wir konkretisieren. Dazugehört die Gratwanderung zwischen Projekt-

Umzug in eigene Räume in der Prinzenstraße.

Bewilligung der ersten AB-Maßnahme. Mitgliedschaft

im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Alle Projektfrauen beginnen mit Therapieausbildungen.1985

alltag und Anspruch, Über- und Unterstruktu-rierung. All dies wie auch Hierarchie und Kon-kurrenz werden immer wieder als zentraleKonfliktfelder in – sagen wir mal – unserenKreisen beschrieben. Schauen wir mal.

In gänzlich anderen Kreisen andererseitsentwickeln sich gegenwärtig Anforderungspro-file, die etliche Grundsätze unserer Zusam-menarbeit im Frauenprojekt aufgreifen, so inmodernen Dienstleistungsunternehmen. Diesmag ein etwas irritierender, aber vielleichtgerade deshalb spannender Blickwinkel sein.

Am Ende doch nicht zuletzt geht’s umsGeld.

Die Themenchefin oder: Wie hälst du es mit Macht und Konkurrenz?

Alle machen alles und alle können alles. Magsein. Das Gleichheits-Credo der Anfangsjahreist verständlich vor dem Hintergrund, ge-schlechterspezifische Hierarchien überwinden

zu wollen. Aber nicht jede macht alles gleichgut und manche können einiges besser. Undwas schon soll der tiefere Sinn davon sein,dass eine Frau, die wunderbare Projekte kon-zipieren, sie aber nicht präsentieren kann,zwar alles macht, nur leider niemals eineNGeldergeberIn finden wird.

Mehr oder weniger, schlechter oder bes-ser – damit tut sich ein Feld auf, das nichtohne Brisanz ist. Wer entscheidet darüber? DieStärke der anderen kann als Bedrohung emp-funden werden, kann Neid auslösen. Sich her-vorzutun nährt auf der anderen Seite die Angstvor Sympathieverlust. Expertinnentum gibtMacht. Und Macht – so die verbreitete Mei-nung – ist eines der Ur-Tabus unter Frauen.

Um auf diesem weiten Feld nicht insStraucheln zu geraten, bedarf es veränderterPerspektiven: Das Mehr der einen ist nicht einWeniger der anderen; ihr Mehr und dasanderweitige Mehr der anderen addieren sichvielmehr zum Nutzen für das gemeinsame Pro-jekt. Anerkennung und Wertschätzung unter-schiedlicher Kompetenzen sind dafür unab-

dingbar. Dass uns dieser Blickwechsel in derTFB gut gelingt, ist das Resultat unterschiedli-cher Umstände. Wesentlichen Anteil trägt injedem Fall eine auf positive Verständigung ori-entierte Kommunikationskultur, die Abwertun-gen vermeidet.

In der TFB ist jede Frau auf mindestenseinem Gebiet Themenchefin. Ihre spezifischenQualitäten, (Zusatz- und Weiter-) Qualifikatio-nen, Erfolge und ihre Lust für eine bestimmteAufgabe machen sie dazu. So entwickeln sichan Inhalten orientierte Hierarchien im Plural,denn sie wechseln, sind nicht starr. Ihre Legi-timation begründet sich für uns in der Sache.

Die positive Erfahrung, dass jede von denKenntnissen und Interessen der Kollegin profi-tieren kann, wirkt zurück auf die Bereitschaft,einer Expertin Macht zuzugestehen. Auf dieseWeise haben wir alle teil an einer Vielfalt, diewir allein oder in eifersüchtiger Konkurrenzmiteinander nicht erlangen würden. So gese-hen können Qualifikation und Kompetenzaller wachsen durch Respekt für die Arbeitund das Wissen der einzelnen. Und die Zug-

Ein »Jahresbericht« will werden.

Vorerst macht das zwei Seiten, getippt auf

der elektrischen (!) Schreibmaschine.1988

Neues Domizil in der Weender Str. 20!

Die offene Sprechstunde boomt. Über 200 Nutzerinnen

von Einzelberatung, Selbsthilfe- und Selbsterfahrungs-

gruppen1987

kraft auf den gemeinsam Strang wird ja nurgrößer, wenn unsere ganz unterschiedlichenKompetenzen und Neigungen sich ergänzen.Darin sehen wir unsere Zukunftschancen.

Wie überall gibt es dann noch die unge-liebte Dödelarbeit: Briefe eintüten, kopieren,den Postkorb sortieren. Diese zu tun, ist weni-ger eine Frage von Qualifikation und Kompe-tenz, es wäre vielmehr eine Frage von Macht,sich ihr entziehen und delegieren zu können.Da gibt’s dann aber Grenzen. Grundsätzlichmuss vom Dödel bei uns jede etwas überneh-men – da seien die übrigen Qualifikationenwie sie wollen und auch die Unlust.

Unsere ungleichen Lebensgestaltungensind ein weiteres Übungsfeld in Sachen Aner-kennung von Differenzen: mit Kind, ohneKind, verheiratet, unverheiratet, Single, les-bisch, bi und hetero. Diese Mikro-Pluralitätstößt uns alltäglich darauf, wie unerschiedlichFrauen ihr Leben gestalten. Auch bei uns wieüberall gibt es nicht die Frau und das(womöglich noch richtige) weibliche Sein.

Es lebe die autonome Einzelentscheidung!

Basisdemokratische Strukturen bergen eineReihe von Problemen. In hierarichischenStrukturen, in denen eine Entscheidung vonoben nach unten durchgereicht wird, bedarfes weit weniger Mühe des Aushandelns. Dasbasisdemokratische Modell fordert ein hohesMaß an Beteiligung und an Transparenz. Einegute Kommunikationskultur ist für den Fortbe-stand gerade kleiner Teams, in denen die mei-sten Dinge gemeinsam diskutiert und abge-stimmt werden müssen, von existientiellerBedeutung. Wir sehen sie auch als Vorausset-zung für eine gleichbleibend hohe ideelleIdentifikation mit der Arbeit. Andererseits:Wird die Sache schonungslos betrieben,besteht Gefahr, sich handlungsunfähig undfrustriert zu diskutieren. Und es ist wohl einIrrglauben anzunehmen, dass kollektive Ent-scheidungsformen die individuelle Handlungs-freiheit per se allein durch Mitsprache ver-größern. Ganz im Gegenteil können sie durch-

aus in erheblichen Konflikt mit unseren indivi-duell gewünschten Gestaltungspielräumengeraten.

Ein wichtiges Ergebnis der OE ist die Neu-ordnung der internen Entscheidungsbefugnis-se. Heute haben alle Mitarbeiterinnen der TFBden Status von Geschäftsführerinnen und beiallen Entscheidungen gleichberechtiges Mit-spracherecht. Abgesehen von den Zuständig-keiten der gewählten Organe führt das Mitar-beiterinnenkollektiv maßgeblich die Geschäftedes Vereins. Der Zuwachs an Verantwortungerweist sich als sehr positiv, nicht zuletzt hatdadurch die Verbindlichkeit im Team zuge-nommen.

Eine generelle Leitungsfunktion existiertnicht. Grundsätzlich gilt das Konsensprinzip,dessen integrierendes Potenzial wir hochschätzen. Denn es gewährleistet am sicher-sten, dass richtungsweisende Entscheidungenvon allen getragen sind. Bei anderen verstän-digen wir uns im Vorfeld schon mal auf Mehr-heitsentscheidung – da sind wir gegebenen-falls leidenschaftslos pragmatisch. Gerne und

… jetzt übernimmt ein erster PC die Schreibarbeiten.1989

Ausrichtung des 13. Frauentherapiekongresses

zum Thema »Therapie und Politik«1990

mit zunehmender Tendenz bauen wir außer-dem auf die sog. autonome Einzelentschei-dung. Mit ihr wird dem Kollektiv wieder stär-ker die individuelle Gestaltungsfreiheit zurSeite gestellt. Das ist motivationsfördernd undes ist auch entlastend, dass nicht jede überallmitreden muss und Entscheidungen abgege-ben werden können. Voraussetzung dafür istVertrauen und das unbedingte Wissen, sichaufeinander verlassen zu können. Und dafürwiederum ist die personelle Kontinuität imTeam eine basale Bedingung.

Arbeits- und Lebensqualität

Das Privatleben von Mitarbeiterinnen bleibt ankeinem Garderobenhaken hängen: Immer istdie ganze Frau »auf Arbeit«. Und je mehrEnergie sie darauf verwenden muss, bloßeines vom anderen fein säuberlich zu trennen,desto mehr Energie ist nutzlos vertan. Dennletztlich funktioniert es nicht.

Wir haben nun allerdings auch zu schätzengelernt, dass es gut ist, wenn nicht jede zujeder Zeit und überall überfallen wird mit kol-legialem Privatleben. Einen Raum dafür zureservieren, hat sich bewährt. Bei uns heißter: Gecko-Runde. Jede Teamsitzung beginnenwir mit dieser Art Ritual: Ein mit Sand gefüllterGecko (ein Souvenir aus Gomera, wohin dasgesamte Team vor einigen Jahren im Rahmeneines EU Projektes gereist ist) macht dieRunde und welche ihn in der Hand hält,erzählt kurz, wie es ihr geht, was zu Hausegerade aktuell wichtig ist, wie sie sich in derBeratungsstelle fühlt, etc. Wir scheuen nichtdas Wort Befindlichkeitsrunde, das so oft ver-ächtlich benutzt wird. Etwas von den gegen-wärtigen Gefühlen und Stimmungen, vonTagesform positiv oder negativ beeinflussen-den privaten Ereignissen mitzubekommen,erleichtert den Umgang miteinander erheb-lich. Verhalten lässt sich besser einordnenund eine Gereizheit wird nicht gleich auf dieeigene Person bezogen.

Man kann auch sagen, dass das unserenArbeitsplatz zusätzlich mit einem sogenanntenpositiven Reproduktionsfaktor ausstattet. Die-ser Faktor ist ziemlich entscheidend für diehohe Zufriedenheit, die uns mit der Arbeit ver-bindet. Ein anderer ist die Tatsache, dass dieArbeit viele zeitliche und strukturelle Freiräu-me für jede einzelne bietet. Wie gesagt: DasTeam ist wie ein Mikrokosmos, in dem esdiverse Lebensentwürfe gibt. Wir bemühenuns, die Arbeitsorganisation immer wieder andie veränderten Lebensbedingungen undBedürfnisse der Mitarbeiterinnen anzupassen:Familie, zweite Erwerbstätigkeiten, Weiterbil-dungen usw. fordern flexible Lösungen. Miteinem Arbeitsplatzverständnis jenseits der8.00 bis 17.00 Uhr Marken und viel Kreativitätist – das sei allen Unternehmen ins Frauenför-derstammbuch geschrieben – so einiges mög-lich.

Beratung, Gruppen, Fortbildungen und Fachvorträge: Die Beratungs-

stelle platzt aus allen Nähten. Die 3. Etage wird dazu gemietet.1991-1993

Frauenprojekte: Impulse für die Arbeitswelt

Soft skills sind seit längerer Zeit schon gefragtauf dem freien Markt, emotionale Intelligenzsteht hoch im Kurs. Gefordert ist zunehmendder ganze Mensch: Unternehmen wollenArbeit nicht in der Reduktionsform Job. Arbeitsoll als Aufgabe begriffen werden, Identifikati-on ist angesagt. In einem Buch mit dem schö-nen Untertitel »feministische Spurensuche inder Non-Profit-Ökonomie« ist davon die Rede,dass auch im profitorientierten Bereich die»zunehmende Entgrenzung der Arbeit, dieEinforderung umfassender sozialer Kompeten-zen, von Selbstmotivation und ständiger Wei-terqualifizierung« stattfindet (Mertens, 171,in: Ganze Arbeit). Stichworte sind: flache Hier-archie, horizontale Kommunikation, Eigenver-antwortung, Teamgeist.

Hier ist etwas Paradoxes passiert: Struktu-ren, die ursprünglich eher antiautoritär undgegen die Profit-Ökonomie gerichtet waren,halten heute mehr und mehr Einzug in den

Markt. Die Entgrenzung des traditionellenArbeitsbegriffs war ein wichtiger Impuls amBeginn der Frauenprojektebewegung, siebegründete ihre emanzipatorische soziale Pra-xis. Manche behaupten zwar, die auf Gleich-heit und Ganzheitlichkeit, Lebens- undArbeitsqualität ausgerichteten Ideen hättenden Zusammenprall mit den Realitäten derkapitalistisch-bürokratischen Arbeitswelt nurhöchst eingeschränkt überstanden (Anita Hei-liger). So sehen wir das allerdings nicht.

Moderne gewinnorientierte Dienstlei-stungsunternehmen haben längst gemerkt,dass motivierte und von der Sache überzeugteMitarbeiterInnen dem Profit viel dienlichersind als unselbstständige JobberInnen, die mitwenig Überzeugung in der Sache zu Werkegehen und nur über verkümmerte sozialeKompetenzen verfügen. Soft skills werdennicht selten für den Unternehmenserfolg sogarhöher bewertet als Sachverstand und IQ.Bestehende Strukturen geschlechtsspezifischerArbeitsteilung werden so mehr und mehr dys-funktional – nicht dass Männer soziale Kom-

petenz nicht lernen könnten, Frauen jedenfallshaben sie bereits millionenfach erlernt.

Frau kann sich nun grämen, dass ur-sprünglich kapitalismuskritische Konzepteheute vom modernen Markt antizipiert wer-den. Doch was solls. Erstens lässt sich dieseEntwicklung als Bestätigung sehen. Und zwei-tens: Wir haben ja zwanzig Jahre Vorsprung.

Last but not least: Money makesthe work go round

Die Schaffung von Erwerbsarbeitsplätzen warzwar nicht genuines Ziel der Gründungsfrauen,doch ergab sich das folgerichtig: Denn einer-seits muss die unbezahlte Arbeit von Frauen –sei es Familien- oder ehrenamtliche Arbeit –sehr kritisch betrachtet werden und anderer-seits nehmen die Projekte eine öffentliche Auf-gabe wahr, wofür sie zu Recht eine staatlicheFörderung sprich Bezahlung beanspruchenkönnen.

6 Mitarbeiterinnen mit abgeschlossenen Beratungs- bzw. Therapie-

ausbildungen. Erste Personalmittel vom Land Niedersachsen sowie

2 ABM und eine §19 BSHG-Stelle. Umstellung der Buchhaltung auf EDV.1994

Wenn auch nicht von Anbeginn, so sind Frau-enprojekte heute mehrheitlich Orte vonErwerbsarbeit mit Angestellten nach BAT. Siesiedeln im Sektor zwischen Staat und Markt –im sog. Dritten Sektor, der zum Gemeinwohlund nicht profitorientiert wirtschaftet. Gearbei-tet wird hier überall jenseits aller Vergünsti-gungen, die der öffentliche Dienst sonst so bie-tet – und natürlich weit jenseits der Einkom-mensmöglichkeiten in der freien Wirtschaft.Auch in der TFB sind die Stellen befristet, zuJahres- und gegebenfalls zu Förderende jeder-zeit kündbar. Die BAT Eingruppierung ent-spricht kaum den Qualifikationen, bei Tarifer-höhungen sind Nullrunden die Regel. Gehalts-erhöhungen gingen zu Lasten anderer wichti-ger Aufgaben, da beispielsweise vom Festbe-trag, mit dem das Land Niedersachsen die TFBfördert, immer weniger übrig bliebe. Was wir heute an unbezahlter Arbeit für dieBeratungsstelle leisten, nennen wir innovativeArbeitszeit. Dies ist weniger eine trendige Neu-verpackung von ehrenamtlicher Arbeit, alsvielmehr eine Anleihe bei den Strukturen von

Selbstständigen. Wir investieren Zeit in dieKonzeption neuer Projekte und Angebote,sozusagen in die Zukunft des Betriebs.

Dass die Arbeitsplätze in Frauenprojektengesicherter werden, fordern Frauen, fordernwir seit langem. Dies ist jedoch viel mehr alseine Frage des persönlichen Komforts, es istnicht weniger als ein Qualitätskriterium:Durchlauferhitzer – als die Frauenprojekteoftmals bezeichnet werden, weil Frauen her-ein- und alsbald wieder herauslaufen, umwoanders den notwendigen Lebensunterhaltzu verdienen – verbrauchen unglaublich vielEnergie. Energie, die wir besser nutzen wol-len: für neue Projekte, für neue Ideen, fürFrauen. Seit Mitte 2003 ist das Team auf fünfMitarbeiterinnen geschrumpft. Das reicht: Mitweniger Frauen lassen sich etliche Arbeits-prinzipien viel schwerer verwirklichen, mitweniger Frauen geht es nicht. Unser Ziel ist,diesen Status zu erhalten. Mindestens.

Ilse Hilliger

Zum Weiterlesen:

Katrin Andruschow (Hgin) (2001): Ganze Arbeit. Feministische Spurensuche in der Non-Profit-Ökonomie. edition sigma: Berlin.

Arbeitskreis Autonomer Frauenprojekte (Hgin) (1992):20 Jahre und (k)ein bisschen weiser? Bilanz und Perspektiven der Frauenprojektebewegung. Bonn.Darin Anita Heiliger: Frauenprojekte zwischen Widerstand und Anpassung. 33-41.

Margit Brückner (1996): Frauen- und Mädchen-projekte. Von feministischen Gewissheiten zu neuen Suchbewegungen. Opladen.

Claudia Koppert (Hgin) (1993): Glück, Alltag und Desaster. Über die Zusammenarbeit von Frauen.Orlanda: Berlin.

Renate Rieger (Hgin) (1993): Der Widerspenstigen Lähmung? Frauenprojekte zwischen Autonomie undAnpassung. Frankfurt.

Christine Stegmann (2003): Interaktion und Dominanz.Konflikte in der Zusammenarbeit am Beispiel von Frauenprojekten. Gesellschaft für erfahrungswissen-schaftliche Sozialforschung e.V.: Hamburg.

Die Erstkontakte in den Sprechstunden pegeln sich auf ca. 250 im Jahr ein,

so ist es bis heute. Dank der Unterstützung des DPWV gibt’s ein zweites Telefon.1995

Kick-off: Erste Organisationsberatung zur Verbesserung der

Arbeitsstrukturen mit »Geld&Rosen«1996

Beratung und Therapie von Frauen für Frauen

Die Frauengesundheitsbewegung hat schonsehr früh sehr kritisch die Prämisse der tradi-tionellen Medizin und Psychotherapie unterdie Lupe genommen, »den Menschen« kurie-ren zu wollen und dessen Geschlecht dabeiüberwiegend sekundäre Bedeutung beizumes-sen. Ob Mann, ob Frau, einerlei? Keineswegs:Die hinter solchem »Menscheln« sich tarnen-de vermeintliche Objektivität ist ein Trugbild;mit ideologiekritischem Blick ist sie z.B. inihrer Geschlechtsgebundenheit schnell ent-larvt. Kein traditioneller medizinischer, psy-chologischer und psychotherapeutischer An-satz ist frei von Wertungen und von Vorstellun-gen davon, was eigentlich weiblich und wasmännlich ist. Weitere wichtige Faktoren, dieunsere Bilder im Kopf beeinflussen, sindSchicht- und Kulturzugehörigkeit, Ethnie undAlter. Das betrifft ÄrztInnen, PsychologInnenund PsychotherapeutInnen ebenso wie Patien-tInnen und KlientInnen.

Das Geschlecht ist zwar nicht die alleinige,doch aus frauenpolitischer Sicht die in unse-rer Gesellschaft zentrale Kategorie, an der sichSozialisation, Lebensweisen und gesellschaft-liche Positionen scheiden. Diese Grunder-kenntnis der Frauenbewegung findet sichheute auch in ganz offiziellen Politikprogram-men wieder. Zum Beispiel im Gender Main-streaming (GM).

Gender ruft ins Bewusstsein, dass Ge-schlechtsrollen von Frauen und Männern ge-sellschaftlich, sozial und kulturell geprägtsind. Natürlich ist an ihnen (fast) nichts.Mainstreaming nimmt sich vor, diese Tatsacheimmer und in allen gesellschaftlichen Berei-chen zu berücksichtigen. »Geschlecht imHauptstrom« – 1995 auf der Weltfrauenkonfe-renz in Peking gefordert, ist dieser Ansatzüber Brüssel als zentraler Auftrag für die Mit-glieder der Gemeinschaft formuliert worden.Ziel ist die Gleichstellung von Frauen undMännern.

Unterschiede zwischen Frauen und Männernzu erkennen und Gleichbehandlung zu for-dern, sagt zunächst noch wenig darüber aus,wie ungleich die Ausgangsposition von Frauund Mann real ist. GM will: gleiche Einbezie-hung beider Geschlechter in die Politik, glei-che Teilhabe in allen Bereichen der Gesell-schaft, gleiche Berufschancen, gleiche Vertei-lung der Ressourcen. Real schlägt das Pendelauf Seiten der Frauen bekanntermaßen in alldiesen Bereichen weit im Minusbereich aus –wenn natürlich nicht bestritten werden soll,dass Männer es schwerer haben, den Berufdes Kindergärtners oder des Grundschul-lehrers zu ergreifen. Die derzeitige Geschlech-terrollenverteilung geht ohne Zweifel zu Lastenvon Frauen; es ist das Verdienst der kritischenFrauenbewegung, diese patriarchale Ordnungunserer Gesellschaft sichtbar gemacht zuhaben. Abzubauen sind infolgedessen haupt-sächlich geschlechtsspezifische Benachteili-gungen eines Geschlechts. Deshalb gibt esFrauenspezifische Beratung und Therapie unduns, die Therapeutische Frauenberatung.

Die Therapeutische geht auf’s Land und bietet Beratung in den Räumen

des »Mütter-Zentrums« in Hann.Münden an.

Ausscheiden der letzten »Gründerin«. Veranstaltungsreihe zum Thema

Lesben und Schwule in Beratung und Psychotherapie in Kooperation mit

der AIDS-Hilfe und dem Lesbentelefon.1997

Worte aber nicht Worte allein

Wir sagen frauenspezifisch, könnten wahlwei-se auch frauengemäß, mit den Britinnen»women-friendly« oder feministisch benutzen.Historical correct wäre Feministische Thera-pie, die in den 70er Jahren im Rahmen derus-amerikanischen Frauenbewegung entstand.Der Begriff jedoch provoziert immer wiederMissverständnisse.

So suggeriert er zum einen die Vorstel-lung, es handle sich um ein spezielles Thera-pieverfahren: FT wie VT (Verhaltenstherapie).Das stimmt aber nicht und Texte über dieFeministische Therapie beginnen nicht seltenmit einer diesbezüglichen Klarstellung: Femi-nistische Therapie ist kein spezielles Therapie-verfahren und keine eigenständige Therapie-form. Ja, was ist sie denn dann?

Zum anderen ist feministisch bei vielenMenschen – Frauen wie Männern – negativbesetzt. Feministinnen gelten als dogmatisch,verbittert und männerfeindlich. Eigentlichkönnten wir das getrost in die Schublade mitden gepflegten Vorurteilen stecken, doch lei-

der ist’s damit nicht getan. Ein anderer Wegwäre, das Reizwort bewusst zu benutzen, umdie Auseinandersetzung zu fördern: diesjedoch möglicherweise um den Preis, beste-hende Schwellenängste etlicher Frauen zuschüren und es ihnen zu erschweren, dieUnterstützungsangebote von Frauenberatungs-stellen wahrzunehmen. Andere Frauen aller-dings, das hören wir auch, entscheiden sichbewusst für die feministische Beratungsstelle:Es ist ihr politisches Zuhause.

Jede Sprache hat ihre Zeit. Wenn sieanfängt, viele derjenigen, die sie erreichenwill, eher zu verstören, sollten wir über Alter-nativen nachdenken.

Der Ausdruck FrauenLesben, der zeitwei-se in keiner politischen Stellungnahme fehlendurfte, steckt in ähnlichem Dilemma. Sinnvollwar er, um gleichgeschlechtliche Lebensfor-men von Frauen sichtbar zu machen. Dochebenso ist (miss-)zu verstehen, dass Lesbenkeine Frauen seien oder alle Frauen eigentlichLesben (zu sein hätten). Beides gleicher-maßen unmöglich.

Der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin,Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF)hat bereits 1999 dafür plädiert, sprachlicheAlternativen zu »feministisch« zu suchen. Ersieht dies als Chance, sich jenseits negativerAssoziationen zu begegnen und als ein Merk-mal für die Niedrigschwelligkeit des Angebots.Besonders schön ist das englische »women-friendly«, das allerdings verdeutscht furchtbarpolitical correct klingt. »Frauengemäß« oder»frauenspezifisch« drücken ebenfalls aus,worum es geht: um den Standort der Frau.Vorrang hat für uns, möglichst viele Frauen zuerreichen und sie nicht durch aufgeladeneWorte abzuschrecken. Der Bedarf an frauen-bzw. geschlechtsorientierten Angeboten istungebrochen, steigt eher; annehmen werdenFrauen sie jedoch nur, wenn wir mit ihnen imGespräch bleiben.

Mitorganisation des Feministischen Frauentherapiekongresses in St.

Andreasberg: »Täterinnen – von Schuldgefühlen zur Verantwortung…«1998

Und das hat Methode?Kennzeichen frauenspezifischerBeratung und Therapie

Frauengemäße Therapie arbeitet methoden-übergreifend: Sie integriert Elemente aus derhumanistischen Therapie (Gestalttherapie,Gesprächspsychotherapie), tiefenpsychologi-sche und verhaltenstherapeutische Ansätzesowie verschiedene Körper- und Kreativthera-pieformen.

All diese Verfahren werden jedoch einermehr oder minder radikalen Revision unter-zogen: Denn erstens bleibt die Geschlechter-hierarchie in den traditionellen Therapieme-thoden weitgehend ausgeblendet. Doch sindsie zweitens natürlich keineswegs frei von tra-ditionellen Frauenbildern, die es kritisch zubetrachten gilt. Welche Grundmethode imVordergrund steht, hängt zumeist von indivi-duellen Qualifizierungen ab. Bei den Mitarbei-terinnen in der Therapeutischen Frauenbera-tung sind es körperorientierte Ansätze,Gesprächspsychotherapie, systemische Verfah-

ren und Psychodrama. Ergänzt werden siedurch Weiterqualifizierungen z.B. in Trauma-therapie und Supervision. Multiprofessiona-lität at its best.

Das Verbindende innerhalb dieser Plura-lität liegt in einer grundsätzlich verändertenHaltung. Frauenspezifisch arbeitende Frauenintegrieren bewusst die gesellschaftlichenRahmenbedingungen, in denen Beratung undTherapie stattfinden, in ihre individualthera-peutische Arbeit. So entwickeln sie eine ganz-heitliche Sicht auf die ratsuchenden Klientin-nen. Diese sind in ihrem jeweiligen biographi-schen Kontext verortet, und werden gleicher-maßen vor dem Hintergrund ihrer gesell-schaftlichen Eingebundenheit gesehen. EinBeispiel: Bei einem Mädchen mit Ess-Störun-gen mag es wohl wichtig sein, innerhalb derFamilie nach möglichen Ursachen zu suchen.Um ihr Ess-Problem wirklich zu lösen, darfaber nicht ausgeblendet bleiben, dass diesesMädchen in der Schule, den Medien, überalldarauf stößt, dass nur schlanke junge Frauenals schön und attraktiv gelten. Hierher gehört

der allseits bekannte Slogan vom Persönli-chen, das politisch ist. Was als individuelle»Störung« zu Tage tritt, in diesem Falle dieUnzufriedenheit mit dem eigenen Körper, stehtin einem engen Zusammenhang mit dem kul-turellen Umfeld, das zur Überbetonung desweiblichen Körpers neigt und genaue Vorstel-lungen davon hat, was einen schönen Frau-enkörper ausmacht.

Störung steht in Gänsefüßchen: Das ver-weist auf eine zweite Basiseinstellung frau-enspezifischen Arbeitens, nämlich auf ein ver-ändertes Verständnis von psychischen Störun-gen und Symptomen. Wir sehen sie in ersterLinie als Reaktionen, die durchaus »Sinn«machen vor dem Hintergrund individuellerwie allgemein gesellschaftlicher Lebensbedin-gungen von Frauen: als Bewältigungsversuche,wenn auch in mancherlei Hinsicht als nicht-gelungene, und nicht als individuelles Ver-sagen. Benachteiligung und Diskriminierungbewirken ja nicht allein Ungleichheit unddamit Schluss. Sie haben extreme und lang-fristige Auswirkungen auf die Seele, die sich

CARLOTTA, das erste europaweite Projekt der »Therapeutischen« eröffnet

neue Horizonte. Neue Räumlichkeiten gibt es ebenfalls: in der Groner

Straße 32/331999

Strategien sucht, um zu überleben angesichtsvon Männergewalt, die Frauen jedes Gefühlvon Selbstachtung nimmt. Von Arbeitsverhält-nissen, in denen die Arbeit von Frauen weni-ger wert ist als die der Männer! Von Schlank-heits- und Schönheitsnormen! Von sich wider-sprechenden Rollenerwartungen! Welche psy-chischen Spuren hinterlässt eine Sozialisation,die in erster Linie in Selbstbeschränkung undAbhängigkeit einweist? Sich dagegen abzu-grenzen, fällt Frauen schwer. Zumal auchderen Verhaltens- und Lösungsmöglichkeitendurch gesellschaftliche Rollenzuweisungenstark eingeschränkt sind: Randale oder emo-tionales Herausziehen gehören nicht in dengesellschaftlich tolerierten weiblichen Reakti-onskanon. Mögen die Verarbeitungsstrategienindividuell auch noch so verschieden sein, imGrunde sehen wir es als eine gesunde Reakti-on an, angesichts der beschriebenen Norma-lität krank zu werden. Bei Lessing heißt es:Wer über gewissen Dingen den Verstand nichtverliert, hat keinen zu verlieren.

Zwischen Selbstverachtung und Frauenverach-tung, zwischen geringem Selbstvertrauen undökonomischer und politischer Machtlosigkeitvon Frauen besteht ein Zusammenhang. Ihn zuerkennen, ist eine wichtige Voraussetzung da-für, dass Frauen den Kreislauf von Selbstbe-zichtigungen und -vorwürfen, von Schuld- undVersagensgefühlen überwinden können. Frau-enspezifische Beratung und Therapie unter-stützen diese Erkenntnis. Darin unter anderemist ihre Parteilichkeit begründet, ein dritterSchlüsselbegriff.

Parteiliche Beratung bedeutet, im Wissenum die benachteiligte weibliche Lebenssituati-on zu handeln und Frauen in jeder Hinsicht zustärken. Oftmals wurde Parteilichkeit als un-kritische Verbündung mit irgendwelchen sub-jektiven Interessen von Frauen missver-standen. Und unter Umständen liegen an ebenjener Stelle die Hunde der Anerkennung frau-enspezifischer Beratung und Therapie in derFachwelt begraben. Wissenschaftlichkeit näm-lich hängt in unserer Kultur zumeist aufs engste mit Objektivität zusammen – wovon

Parteilichkeit so ziemlich das Gegenteil ist.Objektivität ist wie gesagt immer nur schein-bar. Viel entscheidender als die Illusion vonObjektivität aufrecht erhalten zu wollen, fin-den wir es, Werthaltungen und die eigeneStandortgebundenheit transparent zu machen.

Umfassende Transparenz ist ein wichtigesQualitätsmerkmal frauengemäßen Arbeitens.Sie macht u.a. deren emanzipatorischen Cha-rakter aus. Transparent sollte nicht allein dieWerthaltung der Therapeutin sein, sondernalle Modalitäten des Therapieprozesses selbstsowie die durch Fachkompetenz der Thera-peutin begründete Machtposition gegenüberder Klientin. So hoffen wir die Abhängigkeitder Klientin zu minimieren, ihre eigenverant-wortliche Handlungskomptenz zu fördern.Zentral ist außerdem die Reflexion des eige-nen geschlechtsgebundenen Sozialisationspro-zesses und der eigenen Geschlechtsrolle.

Denn: Mit der oben beschriebenen gesell-schaftlichen Situation sind alle Frauen kon-frontiert, auch Therapeutinnen und Beraterin-nen. Dieser einfache Umstand führt zu einem

Aus Teamfrauen werden Geschäftsführerinnen.

Die Rotstiftpolitik trifft auch uns. Die letzte ABM läuft…

und läuft aus.2001

Gründung des Vereins CARLOTTA in Hann.- Münden. Die Europäische

Kommission finanziert erstmalig ein Viertel der Stellen, das Arbeitsamt,

bisher über 30%, nunmehr 15%.2000

Begriff aus der Gründungszeit der Feministi-schen Therapie: der Betroffenheit aller Frauenvon diskriminierenden gesellschaftlichen Rah-menbedingungen. Das Prinzip hat zu derberechtigten Kritik Anlass gegeben, hier würdegleich gemacht, wer nicht gleich ist. WeiblicheLebenslagen können sehr unterschiedlichsein; es gibt Privilegien in Status, Ausbildung,Hautfarbe, etc. Nicht alle Frauen teilen diereale Erfahrung gesellschaftlicher Benachteili-gung. Das stimmt. Betroffenheit ist mehr aufeiner strukturell-analytischen Ebene zu verste-hen. Denn ohne alle Frauen über den ega-litären Kamm zu scheren, müssen wir fest-stellen, dass keine Frau vor geschlechtsspezifi-schen Diskriminierungen sicher ist. Schauenwir etwa auf das Thema Gewalt, so schützenweder Privilegien noch Status: HäuslicheGewalt betrifft jede fünfte Frau in allen sozia-len Schichten.

Für die Beziehung zwischen Klientin undTherapeutin bleibt heute die Erkenntnis wich-tig, dass die Diskriminierungen der Klientinnicht auf individuelles Versagen zurückzu-

führen sind, sondern in einem Zusammen-hang stehen mit der Geschlechterrolle. Dakönnen die Lebensentwürfe so verschiedensein wie sie wollen.

Der Prozess ist das Ziel

Was frauenspezifische Beratung und Therapiemit ihren Klientinnen erreichen wollen, ist dieStärkung von Selbstständigkeit, Selbstachtung,Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein, Selbstfür-sorge und Selbstverantwortung.

Die Vorsilbe »selbst« verweist auf den Ur-sprung des Ansatzes in der Selbsthilfebewegung.Wenn daraus heute auch professionelle Hilfezur Selbsthilfe geworden ist, so sehen wir dieratsuchenden Frauen immer noch als dieeigentlichen Expertinnen für deren Leben an.Darum gebührt ihnen auch die Definitions-macht darüber, was in Therapie und Beratungletztlich geschieht und wohin sie führen sollen.Wir ermuntern Frauen darin, sich ihrer Kräfteund Ressourcen zu erinnern. Selbst in noch so

krisenhaften Situationen sind diese Quellenmeist nicht versiegt; ihr Potenzial ist nur in denSymptomen gebunden und steht nicht zur Verfü-gung für anderes. Für was? In diese Richtungweiterzudenken, ist nicht unproblematisch.Vielleicht sollten wir alle Versuche unterlassen,eine richtigere Form von weiblichem Lebendefinieren zu wollen. Wenn wir unser Wissenund unsere Erfahrung dafür einsetzen, dassFrauen nicht auf den Opferstatus festgeschrie-ben bleiben und die Position von aktiv Handeln-den gewinnen. Und wenn unsere kritische Ana-lyse geschlechtsgebundener Zuschreibungenund Zumutungen deren Selbstverständlichkeitund angebliche Natürlichkeit entlarvt. Dannergeben sich neue Handlungsperspektiven, diejede Frau für sich selbst füllen mag.

Für diesen Prozess bieten wir Frauengeschützte Räume. Was nicht mehr und nichtweniger bedeutet als die Abwesenheit von Män-nern und die ausschließliche Anwesenheit vonFrauen. A room for their own – er ermöglichtFrauen, mit weniger Furcht und Scham da seinzu können als an anderen Orten.

Help-The-Helper, das EU-Projekt, mit dem die Therapeutische in GÖ

und Umgebung Mitarbeiterinnen in der psychosozialen Landschaft

fortbildet, ist bewilligt und startet durch. Mitgründung des Bundes-

verbandes der Frauenberatungsstellen.2003

Wie die Integration gesellschaftlich normativerGegebenheiten in den individualtherapeuti-schen Prozess für frauenspezifische Ansätzezentral ist, so ist sie es auch umgekehrt. Wirmöchten die Bedingungszusammenhänge zwi-schen individuellem Problem und Umfeld imöffentlichen Raum diskutieren. Auf diesemWeg befreien wir die Therapie sozusagen ausihrem unpolitischen Elfenbeinturm. Das Wis-sen um die konkrete weibliche Lebenssituati-on, das wir in unserer Arbeit mit Frauenerwerben, geben wir weiter. In Gremien undArbeitskreisen vertreten wir den Standort»Frau« und benennen Handlungsbedarfe z.B.für eine frauengemäße Gesundheitsversor-gung. In Fortbildungen sensibilisieren wir fürdie Geschlechterproblematik und deren viel-schichtige Auswirkungen. Immer geht es auchdarum, verborgene Wertsysteme von Ge-schlechterkonstruktionen sichtbar zu machen.

Ausblick

Frauenspezifische Beratung und Therapie, wiewir sie hier beschrieben haben, ist weit davonentfernt, ein selbstverständlicher Bestandteilin öffentlichen Einrichtungen, in Rehabilitati-onszentren und in Kliniken zu sein. Es fehlenfür Frauen reservierte Stationen. Traumasta-tionen allerdings sind nicht selten durch diehohe Zahl betroffener Frauen quasi von alleinzu Frauenstationen geworden. Es mangelt aneinem tieferen Verständnis für die Geschlech-terproblematik. Außerhalb der spezifischenFrauenberatungsstellen werden die Ge-schlechtsrollen mit ihrer stereotypen Zuord-nung von Fähigkeiten und Eigenschaften kaumje kritisch und systematisch in die individu-altherapeutische Arbeit oder Beratung einbe-zogen. Unreflektiert übernommen, reprodu-ziert sich das System immer wieder.

Dass die Katagorie Geschlecht einenkrankmachenden Einfluss hat, wird in denentsprechenden Klassifikationen der Kranken-kassen immer noch nicht anerkannt. Ge-

schlechtsgebundene Belastungen jedoch müs-sten aufschlüsselbar sein, um ursachen-adäquate Diagnosen und Behandlungen zu er-möglichen.

Die to-do-Liste ließe sich problemlos wei-ter führen z.B. im Bereich der Aus- und Fort-bildung. Unterm Strich: Da liegt noch was vor uns. Aber auch: Nach 20 Jahren liegt schon einigeshinter uns.

Ilse Hilliger

Zum Weiterlesen:

Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. – AKF (1999):Zum Stand der Entwicklung frauengemäßer Psycho-therapie. Dokumentation eines transnationalen Austausches im Rahmen des European Women‘sHealth Network (EWHNET).

Dagmar Bielstein (1991): Von verrückten Frauen. Notizen aus der Psychiatrie. Frankfurt.

Helga Bilden (Hgin) (1992): Das Frauentherapie-handbuch. Frauenoffensive: München

Bundesministerium für Famile, Senioren, Frauen und Jugend (Hg) (2003): Gender Mainstreaming. Was ist das?

Claudia Brügge, Wildwasser Bielefeld e.V. (Hgin)(1999): Frauen in ver-rückten Lebnswelten. EFeF: Bern.

Die Therapeutische geht »Online«.

EU-Osterweiterung: ein joint-

venture mit Frauen-Zimmer e.V.

und der Demokratischen Frauen-

union in Breslau.2004

Warum die Therapeutische Frauenberatung für mich richtig war

Fünf ehemalige Klientinnen – die Therapienliegen unterschiedlich lang zurück – habensich bereit erklärt zu einem Gespräch. Wirhaben sie gefragt, wie sie zu uns gekommensind, warum sie sich ausgerechnet eine Frau-enberatungsstelle ausgesucht haben und wassie noch als bemerkenswert über ihre Arbeitbei uns erinnern.

Miteinander gesprochen haben:CHRISTINE, 30 Jahre alt, Beamtin, Grund des Kommens: BulimieANNE, 41 Jahre alt, Verkäuferin, Grund des Kommens: TrennungskonfliktCARMEN, 26 Jahre alt, Studentin, Grund des Kommens: in der Kindheit sex. missbrauchtNICOLE, 30 Jahre alt, Uni-Angestellte, Grund des Kommens: MobbingMARIANNE, 53 Jahre, Krankenschwester, Grund des Kommens: Depressionen

Aufgezeichnet von Ulla Koch

NICOLE: Ich kannte die Therapeutische übereine Gruppe, die ich schon mal hier mitge-macht habe und als sich die Situation an mei-ner Arbeitsstelle zugespitzt hat, war schnellklar, dass ich mir in der TFB Unterstützungholen würde.

CHRISTINE: Ich kannte die Beratungsstel-le ebenfalls schon vorher, aber quasi als Kol-legin, und ich hatte selbst schon Patientinnenhierhin geschickt und von den Rückmeldun-gen den Eindruck gewonnen, dass hier netteFrauen arbeiten, die auch was können.

CARMEN: Bei mir hat es ewig gedauert,bis ich eine passende Hilfe gefunden habe. Ichwohne ja auf dem Land und als es mir immerschlechter ging, habe ich begonnen, mir eini-ge Therapeutinnen und Therapeuten anzu-gucken. Einer von ihnen hat gemeint, alserstes müßte ich meinen Vater anzeigen, sonsthätte es überhaupt keinen Sinn, das Thematherapeutisch zu bearbeiten. Das hat michtotal geschockt und abgeschreckt, weil ichseinerzeit noch gar nicht an dem Punkt war.Bei zwei anderen hatte ich den Eindruck, dassdie sich gar nicht gut mit dem Thema »Miss-brauch« auskennen; jedenfalls habe ich michunverstanden gefühlt, als ich darüber gespro-chen habe.

In die Beratungsstelle bin ich über einen Flyergekommen, zuerst in die Sprechstunde, undda war mir schnell klar, dass ich richtig binmit meinem Thema, und dass das in meinemTempo gehen kann.

ANNE: Das war für mich auch wichtig. Ichhatte ja noch nie Psychotherapie oder etwasähnliches gemacht. Eine Freundin hat mirempfohlen, in die Beratungsstelle zu gehen,sie hatte davon in der Zeitung gelesen.

Ich war richtig überrascht, wie nett undunkompliziert die hier sind, nicht so von obenherab.

MARIANNE: Ich habe in den Gelben Seitengeguckt und alle Stellen, die mit Frauen undBeratung drinstanden angerufen, und zufällighatten die bei der Frauenberatungsstelle gradeSprechstunde. Es war ein Dienstagabend unddie Frau war sehr nett am Telefon, hat michgleich zu einem persönlichen Gespräch einge-laden. Wenn da nicht sofort jemand drangewesen wäre, wär’ ich nie hingegangen, son-dern wieder in meiner Depression versackt.

Als ich dann ein paar Tage später da reinkam, war der Wartebereich voll und ich hättesofort wieder gehen können. Sie hatten auchnicht sofort einen Therapieplatz frei, aber ichkonnte mit einer Beratung zur Überbrückunganfangen.

Zu Hause saß ich wieder in meinem Loch,aber jetzt gab’s da auch ein Lichtpünktchen.Ich erinner mich noch an so Kleinigkeiten,z.B. im Sommer als es heiß war, bekam ichimmer ein Glas Wasser angeboten, wenn ichkam, oder, wenn grade Kaffee da war, habensie mir jedes Mal was angeboten.

CHRISTINE: Überhaupt: die Räume, dieganze Atmosphäre waren wohltuend für mich.Zumal bei mir ging’s sehr an’s Eingemachtemit teilweise 2-3 Stunden in der Woche. Ichhatte schwere Zeiten im Laufe dieser Therapie.Was ich gut fand, war, dass immer eine fürmich erreichbar war. Selbst wenn meine The-rapeutin im Urlaub war, konnte ich in dieSprechstunde kommen und fühlte mich da gutaufgehoben.

Ich war schon als Jugendliche magersüch-tig und bin dann irgendwann in die Bulimiegerutscht. Klinikaufenthalte habe ich auchschon hinter mir, aber den letzten habe ichabgebrochen. Die haben da so ein bestimmtesBild von Weiblichkeit vertreten und wenn dudem nicht entsprochen hast, hattest duschlechte Karten. Hier fand ich gut, dass ichausprobieren konnte, wie das für mich passt.Meine Therapeutin hatte nicht so’n fertigesBild davon, wie ich als Frau sein sollte.

Carmen: Ich wusste lange auch überhaupt garnicht, wie ich als Frau eigentlich bin oder seinmöchte und sowieso wollte ich mit diesemThema gar nichts mehr zu tun haben. Aber,obwohl wir uns echt mögen, hatten meinFreund und ich damals immer wieder großeSchwierigkeiten und mir war klar, dass dasmit dem Missbrauch zu tun hatte. Deswegenfand ich’s auch gut, dass meine Therapeutinsich auch vorstellen konnte, ein paar Stundenmit mir und meinem Freund zusammen zumachen. Der hat dann viel besser verstanden,wie es mir innerlich geht und warum ichmanchmal so abweisend und zurückgezogenbin. Zwischendurch war ich mir allerdingsnicht mehr sicher, ob unsere Beziehung dieTherapie überdauern würde, aber dadurch,dass wir ein paar Stunden gemeinsam hatten,konnten wir auch an unserer Beziehung arbei-ten, und heute sind wir immer noch zusam-men.

ANNE: Bei mir war echt Schluss mit mei-nem Mann. Der hat mich nur noch kontrol-liert und unser Geld verbraten. Am Ende warer richtig rücksichtslos, hat mich immer häu-figer geschlagen und ist dann auch nochfremd gegangen. Ich hab’ das mehrere Jahremitgemacht und mich immer schlechter

gefühlt. Erst dachte ich noch, »das ist wohlnormal so mit den Männern« oder, dass dasan mir liegt. Meine Freundin, die hat michmitgeschleppt. Ich konnte gleich bei der Fraubleiben, die mich in der Sprechstunde beratenhat. Das war ’ne richtige Erleichterung als diemir gesagt hat, dass das ganz »normal« ist,wie’s mir geht, und dass mein Mann unrechthat mit dem, was er mir antut. Eigentlich hatteich mich ja schon entschieden, mit der Tren-nung und als ich dann bei der Beraterin war,habe ich Nägel mit Köpfen gemacht, gleichangerufen, die Schlösser auswechseln lassenund seine Sachen vor die Tür gestellt.

NICOLE: So’n Schlussstrich hätte ich auchgerne gezogen, aber wenn das bei deinerArbeit ist und du abhängig davon bist…Obwohl alles harmlos anfing. Ich habe micheigentlich immer gut verstanden mit der Kolle-gin, mit der ich im Team gearbeitet habe, aberirgendwann hat sie wichtige Informationen,die ich für meine Arbeit brauchte, einfachnicht an mich weitergegeben. Erst denkst dunichts Schlimmes, einfach nur, dass sie’s ver-gessen hat oder so. Aber dann hat sich dasgehäuft und als nächstes hat sie mir Arbeits-aufgaben vor der Nase weggeschnappt, umdamit hinterher selber beim Chef zu glänzen.

Und so ging das dann weiter… bei den Kolle-gen hat sie rumerzählt, ich würde bestimmteAufgaben wohl nicht bewältigen, würde michüberfordert fühlen und so weiter.

Als ich mit der Therapie anfing, habe ichmeiner eigenen Wahrnehmung nicht mehrgetraut. Meine Therapeutin hat dann z.B. Rol-lenspiele mit mir gemacht, und das hat mirgeholfen, klarer zu sehen, wer welche Anteilean der Situation hat und wie ich selbst dasGanze immer wieder aufrecht erhalte. Dabeihat sie mich aber auch in meiner Wahrneh-mung unterstützt. Irgendwann war ich psy-chisch wieder soweit stabilisiert, dass ichinnerhalb des Teams zu einer Frau mit vielErfahrung in Supervision und Coachinggewechselt habe. Mit der zusammen habe ichganz konkrete Lösungsschritte erarbeitet, dieich in den Alltagssituationen bei meiner Arbeitausprobiert habe. Heute fühle ich mich erheb-lich selbstbewusster und kann mich an mei-nem Arbeitsplatz auseinandersetzen.

MARIANNE: In der Therapie habe ich erst-mal gemerkt, wie wenig ich mir meiner selbstüberhaupt bewusst gewesen war bis dahin.Das kam vor allem über die Körperarbeit. Ichwusste anfangs gar nicht, was das ist und hatteauch irgendwie Angst davor. Aber dann hat

meine Therapeutin so Wahrnehmungsübun-gen mit mir gemacht, ich sollte meinen Atembeobachten und meine Füße spüren und sowas. Immer mehr ging das dann, und inzwi-schen habe ich mich wie neu entdeckt. Jahre-lang war ich nur wie taub gewesen.

ANNE: Selbstbewusster bin ich auch aufjeden Fall geworden. Was ich noch gut fand,ist, dass meine Therapeutin mir richtig guteTipps gegeben hat, ganz konkret, wie ich wasmachen kann bei meinem Mann z.B. Und ichfand es gut, in der Beratungsstelle auch ande-re Frauen zu treffen. Die sahen alle ganz nor-mal aus und im Wartebereich gab’s immerjede Menge Informationen über Gruppen undVeranstaltungen. Da hab’ ich dann auch denAnschlag gefunden von ’ner Gruppe von Frau-en in Trennungssituationen. Da bin ich heutenoch drin und das hilft mir sehr.

MARIANNE: Genau, das habe ich auch soerlebt. Auch wenn ich mit den anderen Frauennie gesprochen habe, habe ich mich trotzdemirgendwie in einer Gemeinschaft gefühlt, manhat ja mitgekriegt, dass da immer auch andereFrauen sind, gleichzeitig mit einem, oderabends in den Gruppen.

CHRISTINE: Ja, und dass die da nicht nur The-rapie machen, sondern sich auch politisch fürFrauenbelange engagieren, das hat mir sehrgefallen, so was finde ich richtig wichtig.

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