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<k Vľ/BITKOM Stellungnahme Revision der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (EG) Nr. 2790/1999 und der dazugehörigen Leitlinien 28. September 2009 Seite 1 Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Me- dien e.V. vertritt mehr als 1.300 Unternehmen, davon 950 Direktmitglieder mit etwa 135 Milliarden Euro Umsatz und 700.000 Beschäftigten. Hierzu zählen Anbieter von Software, IT-Services und Telekommunikationsdiensten, Hersteller von Hardware und Consumer Electronics sowie Unternehmen der digitalen Medien. Der BITKOM setzt sich insbesondere für bessere ordnungspolitische Rahmenbedingungen, eine Modernisierung des Bildungssystems und eine innovationsorientierte Wirtschaftspolitik ein. Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. Zusammenfassung Die Freistellung bestimmter Wettbewerbsbeschränkungen darf nicht dazu füh- ren, dass die Verbreitung von Verbraucherinformationen oder der Vertrieb über das Internet ohne ausreichende Rechtfertigung behindert werden. Vereinbarun- gen über selektive Vertriebssysteme, die ein Unternehmen nur deshalb vom Verkauf eines bestimmten Produkts ausschließen, weil es seine Waren oder Dienstleistungen allein über das Internet anbietet, sind mit dem Wettbewerbsbe- schränkungsverbot des EG-Vertrages unvereinbar. Solche Vereinbarungen dürfen nicht nach Art. 81 Abs. 3 EGV freigestellt werden, da sie die Interessen der Verbraucher und die Entwicklung innovativer Geschäftskonzepte übermäßig einschränken. Allerdings sollte auch der reine Internetvertrieb zum Schutz der Hersteller- und Händlerinteressen gewissen objektiv gerechtfertigten Kriterien zum Schutz des guten Rufs der Marke und zur Gewährleistung einer Chancen- gleichheit mit dem stationären Handel unterliegen können. 1. Allgemeines Es ist zu begrüßen, dass die EU-Kommission mit ihrer Initiative zur Änderung der vertikalen Gruppenfreistellungsverordnung das europäische Wettbewerbs- recht in diesem Bereich modernisieren und es geänderten Marktgegebenheiten sowie neuen technischen Entwicklungen anpassen will. Aus Sicht des BITKOM hat sich die bisherige Gruppenfreistellungsverordnung grundsätzlich bewährt. Eine Nachfolgeregelung für die derzeit geltende, jedoch zum 31. Mai 2010 außer Kraft tretende Gruppenfreistellungsverordnung ist daher wünschenswert. Albrechtstraße 10 A 10117 Berlin-Mitte Tel.: +49.30.27576-0 Fax: +49.30.27576-400 [email protected] www.bitkom.org Ansprechpartner Thomas Kriesel Bereichsleiter Steuern, Allgemeine Rechtsfragen des Unternehmens und Mittelstandsfinanzierung Tel.: +49.30.27576-146 Fax: +49.30.27576-409 [email protected] Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder Bei der Revision der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung ist jedoch zu berücksichtigen, dass verpflichtende Vorgaben von Herstellern und Markeninha- bern für den Vertrieb ihrer Produkte unter Ausschluss bestimmter Händlergrup- pen zu einer Kontrolle des Absatzmarktes und zu einer künstlichen Beschrän- kung des Angebots führen. Solche Vorgaben behindern den effektiven Wettbe- werb der Händler und sie verhindern Markttransparenz und Wahlmöglichkeiten für den Verbraucher. Aus guten Gründen sind daher Maßnahmen zur Einschrän-

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<k Vľ/BITKOM Stellungnahme

Revision der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (EG) Nr. 2790/1999 und der dazugehörigen Leitlinien 28. September 2009 Seite 1

Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Me­dien e.V. vertritt mehr als 1.300 Unternehmen, davon 950 Direktmitglieder mit etwa 135 Milliarden Euro Umsatz und 700.000 Beschäftigten. Hierzu zählen Anbieter von Software, IT-Services und Telekommunikationsdiensten, Hersteller von Hardware und Consumer Electronics sowie Unternehmen der digitalen Medien. Der BITKOM setzt sich insbesondere für bessere ordnungspolitische Rahmenbedingungen, eine Modernisierung des Bildungssystems und eine innovationsorientierte Wirtschaftspolitik ein.

Bundesverband

Informationswirtschaft,

Telekommunikation und

neue Medien e.V.

Zusammenfassung

Die Freistellung bestimmter Wettbewerbsbeschränkungen darf nicht dazu füh­ren, dass die Verbreitung von Verbraucherinformationen oder der Vertrieb über das Internet ohne ausreichende Rechtfertigung behindert werden. Vereinbarun­gen über selektive Vertriebssysteme, die ein Unternehmen nur deshalb vom Verkauf eines bestimmten Produkts ausschließen, weil es seine Waren oder Dienstleistungen allein über das Internet anbietet, sind mit dem Wettbewerbsbe­schränkungsverbot des EG-Vertrages unvereinbar. Solche Vereinbarungen dürfen nicht nach Art. 81 Abs. 3 EGV freigestellt werden, da sie die Interessen der Verbraucher und die Entwicklung innovativer Geschäftskonzepte übermäßig einschränken. Allerdings sollte auch der reine Internetvertrieb zum Schutz der Hersteller- und Händlerinteressen gewissen objektiv gerechtfertigten Kriterien zum Schutz des guten Rufs der Marke und zur Gewährleistung einer Chancen­gleichheit mit dem stationären Handel unterliegen können.

1. Allgemeines Es ist zu begrüßen, dass die EU-Kommission mit ihrer Initiative zur Änderung der vertikalen Gruppenfreistellungsverordnung das europäische Wettbewerbs­recht in diesem Bereich modernisieren und es geänderten Marktgegebenheiten sowie neuen technischen Entwicklungen anpassen will. Aus Sicht des BITKOM hat sich die bisherige Gruppenfreistellungsverordnung grundsätzlich bewährt. Eine Nachfolgeregelung für die derzeit geltende, jedoch zum 31. Mai 2010 außer Kraft tretende Gruppenfreistellungsverordnung ist daher wünschenswert.

Albrechtstraße 10 A

10117 Berlin-Mitte

Tel.: +49.30.27576-0

Fax: +49.30.27576-400

[email protected]

www.bitkom.org

Ansprechpartner Thomas Kriesel

Bereichsleiter Steuern,

Allgemeine Rechtsfragen

des Unternehmens und

Mittelstandsfinanzierung

Tel.: +49.30.27576-146

Fax: +49.30.27576-409

[email protected]

Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. mult.

August-Wilhelm Scheer

Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder

Bei der Revision der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung ist jedoch zu berücksichtigen, dass verpflichtende Vorgaben von Herstellern und Markeninha­bern für den Vertrieb ihrer Produkte unter Ausschluss bestimmter Händlergrup­pen zu einer Kontrolle des Absatzmarktes und zu einer künstlichen Beschrän­kung des Angebots führen. Solche Vorgaben behindern den effektiven Wettbe­werb der Händler und sie verhindern Markttransparenz und Wahlmöglichkeiten für den Verbraucher. Aus guten Gründen sind daher Maßnahmen zur Einschrän-

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kung und Kontrolle des Warenabsatzes nach Art. 81 Abs. 1 Buchst. b EGV verboten.

Andererseits kann es – wiederum aus Gründen des Verbraucherschutzes oder zum Schutz anderer überwiegender Gemeininteressen – erforderlich sein, das strenge Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen nach Art. 81 Abs. 1 EGV zu lockern und Ausnahmen zuzulassen. Dabei ist auch das Interesse der Hersteller, ihre Produkte und Marken zu schützen, zu berücksichtigen. Diese Ausnahmen vom Kartellverbot müssen tatsächlich gerechtfertigt und sorgfältig mit dem Gebot der Wettbewerbsfreiheit abgewogen sein. Außerdem müssen die Aus­nahmen transparent, nachvollziehbar und in der Unternehmenspraxis leicht umsetzbar sein. Nicht gerechtfertigt sind Vorgaben von Herstellern und Marken­inhabern, die ohne weitere Begründung das Internet als Vertriebsweg oder als Verkaufsplattform oder Internetanbieter als Verkäufer ausschließen.

Letztendlich darf eine Freistellung vertikaler Vertriebsvereinbarungen vom Ver­bot der Wettbewerbsbeschränkung nur ultima ratio zur Durchsetzung eines mindestens gleichwertigen Interesses sein. Keinesfalls darf sie zu einem Instru­ment für den regelmäßigen Marktausschluss unliebsamer Wettbewerber wer­den.

2. Vorteile des Internets für Verbraucher und Unternehmen bewahren Die gegenwärtig laufende Überarbeitung der Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/1999 sollte die Interessen der Verbraucher und die Chancen zur Entfal­tung unternehmerischer Initiativen im Internet in den Vordergrund stellen, gleich­zeitig jedoch die Interessen der Hersteller und stationären Händler entsprechend berücksichtigen. Das Internet erweitert für den Verbraucher das Angebot an Waren und Dienstleistungen, erleichtert ihm Preis- und Produktvergleiche sowie Abwicklung von Kauf und Lieferung von Waren. Mit Hilfe des Internets ist eine zuvor nicht bekannte Markttransparenz möglich geworden. Insbesondere ermög­licht das Internet auch einen vergleichsweise unproblematischen grenzüber­schreitenden Vertrieb und verwirklicht damit in idealtypischer Weise das europä­ische Leitbild des freien Verkehrs von Waren und Dienstleistungen. Allerdings haben sich durch das Internet auch neue Missbrauchsmöglichkeiten ergeben, die den Verbraucher verunsichern können, und nicht immer korrespondiert das erheblich erweiterte Angebot an Waren und Dienstleistungen mit entsprechend weitgehenden Beratungsmöglichkeiten. Für Unternehmen bietet das Internet zusätzliche Absatzwege, Chancen für neue Geschäftsmodelle und erweiterte Möglichkeiten zur Produktpräsentation.

Die Vorteile würden stark eingeschränkt oder sogar beseitigt, wenn das Internet durch selektive Vertriebsvereinbarungen als Absatzkanal oder als Marketing­Plattform ohne sachlichen Grund ausgeschlossen werden dürfte. Vielmehr sollten Unternehmen frei wählen können, ob und in welcher Weise sie elektroni­sche Möglichkeiten wie das Internet und elektronische Marktplätze für ihre Zwecke nutzen. Nur so können sie bestmöglich die Anforderungen der Verbrau­cher erfüllen, die diese an Auswahl, Verfügbarkeit, Produktinformation, Preisges­taltung und Kundendienst stellen.

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3. Diskriminierung des Internet-Handels verhindern Die Nutzung des Internets als Vertriebsweg allein ist kein geeignetes Kriterium zur Differenzierung und Einteilung von Marktteilnehmern. Dazu sind in der gegenwärtigen Geschäftswelt die Absatzwege über das Internet und über her­kömmliche Ladengeschäfte zu eng verzahnt. Ein Verbrauchsgüterkauf kann sowohl Elemente des elektronischen Geschäftsverkehrs als auch Elemente des herkömmlichen Filialvertriebs enthalten. Daher kann die Nutzung des Internets als Vertriebsweg auch kein Rechtfertigungsgrund für Vereinbarungen sein, die Unternehmen vom Vertrieb bestimmter Produkte ausschließt.

4. Ausschluss von Internet-Verkäufern durch selektive Vertriebssyste­me nicht gerechtfertigt

In der Vergangenheit wurde die Erlaubnis zum Vertrieb eines Produkts oftmals durch Vertriebsvereinbarungen auf eine bestimmte Gruppe von Händlern be­schränkt. Internet-Händler wurden auf diese Weise teilweise vom Vertrieb des Produkts ausgeschlossen. Begründet wurde dies mit den höheren Kosten der an der Vertriebsvereinbarung beteiligten Händler aufgrund von Investitionen in Werbung, Kundenberatung und Kundenbetreuung. Internet-Händler sollten nicht von diesen Investitionen profitieren können, ohne entsprechende eigene Kosten zu haben. Sie sollten nicht als „Trittbrettfahrer“ die entsprechenden Produkte billiger anbieten können. Als Begründung dienten aber auch Kriterien wie die hohe technische Komplexität eines Produktes oder die hohe Qualität.

Angesichts der aktuellen Marktgegebenheiten kann eine Diskriminierung von Internet-Händlern nicht mehr begründet werden, sofern der Internethändler objektive Qualitätskriterien erfüllt, etwa eine markengerechte Präsentation der Waren und ein hohes Beratungsniveau. Denn Produktanbieter und Handelsket­ten betreiben inzwischen neben physischen Verkaufsfilialen auch Internetplatt­formen zur Vermarktung ihrer Produkte. Auf der anderen Seite haben viele Internet-Händler zwischenzeitlich eigene Ladenlokale eingerichtet.

Des Weiteren zeigen Untersuchungen, dass sich Verbraucher gern im Internet über Produkte informieren, das ausgewählte Produkt dann aber nicht über das Internet, sondern in einem herkömmlichen Ladengeschäft kaufen. In diesem Fall profitieren also Ladengeschäfte von den Produktpräsentationen durch Online­Händler. Online- und Offline-Vertriebswege ergänzen sich und stärken einander.

Darüber hinaus erfordert auch der Betrieb von E-Commerce-Plattformen und Internet-Verkaufsmöglichkeiten erhebliche Investitionen für die Produktpräsenta­tion, die rechtlich einwandfreie Darstellung des Angebots, die reibungslose Abwicklung der Bestellungen, für Kundenbetreuung und die Reklamationsbear­beitung. Nicht wenige Online-Händler bieten Kunden-Service rund um die Uhr und an allen Wochentagen an.

Auf der anderen Seite investieren Hersteller von Produkten erhebliche Summen in die Qualität ihrer Waren und die Förderung des Images ihrer Marken sowie die Kundenbindung. Es ist daher auch ein berechtigtes Interesse des Herstel­lers, dass seine Produkte in objektiv gerechtfertigter Weise unter bestimmten Voraussetzungen verkauft und angeboten werden. Dies dient auch dem Schutz des Verbrauchers.

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5. Selektive Vertriebssysteme bei ausreichender Rechtfertigung zuläs­sig

Insgesamt sollte eine Erlaubnis für die Einrichtung selektiver Vertriebssysteme eng gehalten werden. Selektive Vertriebssysteme, die zur Beschränkung oder zum Ausschluss von Verkäufen über Internetplattformen führen, sind dann zulässig, wenn ausreichende Rechtfertigungsgründe für eine solche Wettbe­werbsbeschränkung vorliegen. Wie oben dargestellt, kann allein die Wahl des Internets als Vertriebsweg keinesfalls ausreichender Grund für die Zulässigkeit einer Vertriebsvereinbarung sein.

Denkbarer Rechtfertigungsgrund für einen Ausschluss bestimmter Produkte vom Online-Vertrieb wäre möglicherweise die besondere Beratungsintensität eines Produkts. Eine solche besondere Beratungsintensität wäre zu bejahen, wenn die unsachgemäße Anwendung des Produkts Gesundheitsgefahren für den Verbraucher zur Folge hätte. Ein Beratungserfordernis etwa wegen technischer Komplexität oder eine besonders hohe Qualität eines Produktes sollte zudem durch entsprechende objektive und qualitative Anforderungen an den Vertrieb umgesetzt werden können. Für alltägliche Gebrauchsgüter wie Spielwaren, Uhren oder Haushaltsgeräte ist eine solche Notwendigkeit für intensive Beratung allerdings in vielen Fällen wohl nicht gegeben.