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1/66 Blinkfeuer über der Ostsee Dies ist ein Scan des o.g. Jugendbuchs von Franz Seinsche, erschienen 1984 im Steyler-Verlag, Sankt Augustin. Nur zu Vorlese- und Erzählzwecken in der Jungschar gedacht – und zu sonst nichts! Eine Jungengruppe, die an der Ostsee zeltet, erlebt unerklärliche und bedrückende Ereignisse, Diebstähle, Brandstiftung und heimliche Lauscher waren zu entdecken. Als Schlimmstes verschwanden zwei der Jungen; offensichtlich wurden sie entführt. Unerklärliche Botschaften werden durch Lichtsignale übermittelt. Man vermutet die beiden verschwundenen Jungen in einem einsamen Forsthaus und will versuchen, sie zu befreien... Der Brief ................................................................................................................................................................................................. 3 Seltsame, beunruhigende Nachrichten............................................................................................................................................... 3 Mit Fahrtengepäck und Leuchtpistole................................................................................................................................................ 4 Die Spannung wächst, je näher das Ziel kommt .............................................................................................................................. 5 Fahrt durch die Nacht ........................................................................................................................................................................... 6 „Gebrannt?“............................................................................................................................................................................................ 7 Ein geheimnisvolles Licht.................................................................................................................................................................... 7 Hans erzählt... ......................................................................................................................................................................................... 8 Fußspuren – und ein geheimnisvoller Besucher .............................................................................................................................. 9 Rätselhafte Ereignisse ......................................................................................................................................................................... 10 Ein Lauscher im Dunkeln ................................................................................................................................................................... 11 Es brennt ............................................................................................................................................................................................... 11 Zwei Jungen sind verschwunden ...................................................................................................................................................... 12 Plötzliche Finsternis ............................................................................................................................................................................ 12 Gedanken um die verschwundenen Jungen .................................................................................................................................... 14 Auf Torland spukt es... ....................................................................................................................................................................... 14 Blinkfeuer... .......................................................................................................................................................................................... 15 Auf dem Leuchtturm? ......................................................................................................................................................................... 16 Eine dunkle Gestalt ............................................................................................................................................................................. 17 Herr Karsten ......................................................................................................................................................................................... 17 „Da funkt einer!“ ................................................................................................................................................................................. 18 Ein unverständlicher Funkspruch ..................................................................................................................................................... 19 Neue Spuren und ein Verdacht .......................................................................................................................................................... 20 Ein Beobachter im Versteck .............................................................................................................................................................. 21 Geheimnis um das Forsthaus ............................................................................................................................................................. 22 Enttäuschung........................................................................................................................................................................................ 24 Gespensterhaft in der Stille der Nacht ............................................................................................................................................. 24 Das Forsthaus ist doch bewohnt!...................................................................................................................................................... 24 Erneute Drohung .................................................................................................................................................................................. 25 Herr Karsten wundert sich................................................................................................................................................................. 26 Seltsames Briefpapier ......................................................................................................................................................................... 27 Sturm droht ........................................................................................................................................................................................... 27 Wieder dieselbe Spur .......................................................................................................................................................................... 27 Fröhliche Ausfahrt............................................................................................................................................................................... 28 Unfreundliche Ablehnung .................................................................................................................................................................. 29 Eine Ahnung, ein Verdacht ................................................................................................................................................................ 29 Schon wieder! ....................................................................................................................................................................................... 30 „Das ist er!“ .......................................................................................................................................................................................... 30 Rätsel um einen Leuchtturm.............................................................................................................................................................. 31 Das Geheimnis des Forsthauses lüftet sich ..................................................................................................................................... 32 Durch die dunkle Nacht...................................................................................................................................................................... 32 Mit erhobener Waffe ... ...................................................................................................................................................................... 33 Schreck um Mitternacht ..................................................................................................................................................................... 33

Blinkfeuer über der Ostsee - jungschar.biz · 2010. 2. 17. · 1/66 Blinkfeuer über der Ostsee Dies ist ein Scan des o.g. Jugendbuchs von Franz Seinsche, erschienen 1984 im Steyler-Verlag,

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Blinkfeuer über der Ostsee Dies ist ein Scan des o.g. Jugendbuchs von Franz Seinsche, erschienen 1984 im Steyler-Verlag, Sankt Augustin. Nur zu Vorlese- und Erzählzwecken in der Jungschar gedacht – und zu sonst nichts! Eine Jungengruppe, die an der Ostsee zeltet, erlebt unerklärliche und bedrückende Ereignisse, Diebstähle, Brandstiftung und heimliche Lauscher waren zu entdecken. Als Schlimmstes verschwanden zwei der Jungen; offensichtlich wurden sie entführt. Unerklärliche Botschaften werden durch Lichtsignale übermittelt. Man vermutet die beiden verschwundenen Jungen in einem einsamen Forsthaus und will versuchen, sie zu befreien...

Der Brief ................................................................................................................................................................................................. 3 Seltsame, beunruhigende Nachrichten............................................................................................................................................... 3 Mit Fahrtengepäck und Leuchtpistole................................................................................................................................................ 4 Die Spannung wächst, je näher das Ziel kommt .............................................................................................................................. 5 Fahrt durch die Nacht ........................................................................................................................................................................... 6 „Gebrannt?“............................................................................................................................................................................................ 7 Ein geheimnisvolles Licht.................................................................................................................................................................... 7 Hans erzählt... ......................................................................................................................................................................................... 8 Fußspuren – und ein geheimnisvoller Besucher.............................................................................................................................. 9 Rätselhafte Ereignisse......................................................................................................................................................................... 10 Ein Lauscher im Dunkeln................................................................................................................................................................... 11 Es brennt ............................................................................................................................................................................................... 11 Zwei Jungen sind verschwunden ...................................................................................................................................................... 12 Plötzliche Finsternis ............................................................................................................................................................................ 12 Gedanken um die verschwundenen Jungen .................................................................................................................................... 14 Auf Torland spukt es... ....................................................................................................................................................................... 14 Blinkfeuer... .......................................................................................................................................................................................... 15 Auf dem Leuchtturm? ......................................................................................................................................................................... 16 Eine dunkle Gestalt ............................................................................................................................................................................. 17 Herr Karsten......................................................................................................................................................................................... 17 „Da funkt einer!“ ................................................................................................................................................................................. 18 Ein unverständlicher Funkspruch..................................................................................................................................................... 19 Neue Spuren und ein Verdacht.......................................................................................................................................................... 20 Ein Beobachter im Versteck.............................................................................................................................................................. 21 Geheimnis um das Forsthaus............................................................................................................................................................. 22 Enttäuschung........................................................................................................................................................................................ 24 Gespensterhaft in der Stille der Nacht ............................................................................................................................................. 24 Das Forsthaus ist doch bewohnt!...................................................................................................................................................... 24 Erneute Drohung.................................................................................................................................................................................. 25 Herr Karsten wundert sich................................................................................................................................................................. 26 Seltsames Briefpapier ......................................................................................................................................................................... 27 Sturm droht........................................................................................................................................................................................... 27 Wieder dieselbe Spur.......................................................................................................................................................................... 27 Fröhliche Ausfahrt............................................................................................................................................................................... 28 Unfreundliche Ablehnung.................................................................................................................................................................. 29 Eine Ahnung, ein Verdacht................................................................................................................................................................ 29 Schon wieder!....................................................................................................................................................................................... 30 „Das ist er!“ .......................................................................................................................................................................................... 30 Rätsel um einen Leuchtturm.............................................................................................................................................................. 31 Das Geheimnis des Forsthauses lüftet sich..................................................................................................................................... 32 Durch die dunkle Nacht...................................................................................................................................................................... 32 Mit erhobener Waffe ... ...................................................................................................................................................................... 33 Schreck um Mitternacht ..................................................................................................................................................................... 33

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„Hände hoch!“...................................................................................................................................................................................... 34 Verhängnisvolle Fehler ...................................................................................................................................................................... 34 Überraschende Entdeckung............................................................................................................................................................... 35 Und immer wieder Blinkfeuer........................................................................................................................................................... 35 Noch immer keine Spur der verschwundenen Jungen .................................................................................................................. 36 Ein Fehler mit Folgen ......................................................................................................................................................................... 37 Eine rote Rakete meldet Gefahr........................................................................................................................................................ 37 Zur gleichen Stunde - draußen auf See............................................................................................................................................ 38 Eilige Schritte in der Nacht................................................................................................................................................................ 38 Als o doch! Endlich! ............................................................................................................................................................................ 39 Vorbereitungen zur Flucht................................................................................................................................................................. 39 Schon jemand auf der Spur? .............................................................................................................................................................. 40 Sorge um den kranken Freund .......................................................................................................................................................... 40 Jan Doerksens Geschichte.................................................................................................................................................................. 41 Eine riskante Aufgabe......................................................................................................................................................................... 43 Vor dem Sturm..................................................................................................................................................................................... 43 Am Leuchtturm.................................................................................................................................................................................... 44 Endlich bei den verschwundenen Jungen........................................................................................................................................ 44 Angst ... ................................................................................................................................................................................................. 45 Ertappt, überwältigt und gefangen.................................................................................................................................................... 46 Hoch über dem Meer .......................................................................................................................................................................... 47 Ein gefährlicher Plan........................................................................................................................................................................... 47 Hoffnung auf Befreiung ..................................................................................................................................................................... 48 Flucht vom Leuchtturm...................................................................................................................................................................... 49 Dunkle Wolken am Horizont............................................................................................................................................................. 50 Ein Unwetter kündigt sich an ............................................................................................................................................................ 51 In Sturm und Regen ............................................................................................................................................................................ 52 Blinkfeuer über der Ostsee!............................................................................................................................................................... 52 Ein jäher Schreck................................................................................................................................................................................. 53 Ein Flugzeug ... .................................................................................................................................................................................... 53 Wilde Drohungen................................................................................................................................................................................ 54 Waghalsige Flucht............................................................................................................................................................................... 54 Ein kühner Sprung............................................................................................................................................................................... 54 In letzter Sekunde................................................................................................................................................................................ 55 In großer Gefahr .................................................................................................................................................................................. 55 Erleichterung und Freude................................................................................................................................................................... 56 Der Kriminalbeamte berichtet........................................................................................................................................................... 56 Mitten in der Nacht ............................................................................................................................................................................. 57 Sturm um den Leuchtturm ................................................................................................................................................................. 58 Das Lager in Gefahr............................................................................................................................................................................ 58 Eintöniger Regen................................................................................................................................................................................. 59 Ein tolles Unwetter bricht los............................................................................................................................................................ 59 Der Orkan packt das Schiff................................................................................................................................................................ 60 Unverhoffte Begegnung..................................................................................................................................................................... 60 Der Gefangene is t getürmt ................................................................................................................................................................. 61 Eine Überraschung bahnt sich an...................................................................................................................................................... 61 Endspurt ................................................................................................................................................................................................ 62 Eine unangenehme Überraschung.................................................................................................................................................... 62 Entkommen ... ...................................................................................................................................................................................... 63 Die Verfolgung geht weiter ............................................................................................................................................................... 63 Ein gefährlicher Plan........................................................................................................................................................................... 64 „Aufmachen!“ brüllte der Dicke....................................................................................................................................................... 64 Eine blendende Idee............................................................................................................................................................................ 65 Kampf um Sekunden........................................................................................................................................................................... 66

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Der Brief Nicht allzu weit vom Strande liegt in der Ostsee eine Gruppe kleiner Inseln. Die größte von ihnen weist immerhin ein paar Dörfer auf, ist von einer schnurgeraden Landstraße durchzogen, und an ihrer Ostküste, der einzigen Seite übrigens, wo ihr keine der kleineren Inseln vorgelagert ist, liegt sogar ein etwas größeres Hafenstädtchen, von dem aus täglich einmal ein blitzsauberer kleiner Dampfer von Insel zu Insel pendelt. Fragt mich nicht nach dem Namen der großen Insel noch nach dem ihrer kleineren Geschwister. Er ist für den Verlauf dieser Geschichte kaum von Bedeutung. Nennen wir die große Insel meinethalben Gravenhage, dann erzählt es sich etwas leichter. Im Westen von Gravenhage, auf der kleinen Insel Geest, hatten die Jungen aus G. seit einigen Tagen ihre Zelte aufgeschlagen und wollten hier ihre Ferien verleben. Rheinische Jungen waren es, frische, lustige Kerle. Ihr Führer Hans Rosenberg hatte mit viel Geschick diesen Lagerplatz ausfindig gemacht und viel Tinte und Papier an Förster und andere Waldmenschen verschrieben, bis er die Geest für seine Gruppe erobert hatte. Es war gelungen; der prachtvolle Lagerplatz gehörte ihnen. Die kleine Insel lag einsam, und die Zelte standen gleich am Wasser auf einer weiten Wiese. Auch gutes Trinkwasser war nicht weit. Rings um die Wiese wuchs schöner, dunkler Kiefernwald in den Himmel; man hätte es sich gar nicht besser wünschen können. Aber schon nach drei Tagen waren auf der kleinen Geest so merkwürdige Dinge geschehen, dass Hans einen dringenden Brief schreiben musste. Es war am Freitagmorgen in aller Frühe. Von Grevemünde her blinkte noch der Leuchtturm. Hans saß mit seinen beiden Fähnleinführern Julius und Heinz im Vorratszelt. Die übrigen Buben schliefen noch. Und Hans schrieb, schrieb schnell mit hastender Feder auf ein Notizbuchblatt. Julius und Heinz kauerten stumm in einer Ecke und ließen ihre Augen verzweifelt rundum gehen.... Denn ach, wie sah das Vorratszelt aus! Furchtbar, einfach furchtbar! Jetzt war Hans fertig, steckte das Blatt in einen blauen Umschlag und schrieb die Anschrift: Werner Lindener in G. am Rhein, Rehstraße 14. Dann gab er den Brief Heinz und sagte: „Lauf, Kerl! Wenn du dich beeilst, geht der Brief noch mit der ´Hansa´ weg!“ Und Heinz schlüpfte aus dem Vorratszelt und lief durch den Wald in nördlicher Richtung davon. Stumm saßen sich Hans und Julius noch eine Weile gegenüber; dann sagte Hans: „Hoffentlich kommt Werner gleich! So kann’s unmöglich weitergehen! – Und nun denke ich, schmeißen wir unsere Kerle aus den Zelten; es ist Zeit zum Aufstehen. Das Grübeln und Sinnieren bringt uns doch keinen Schritt weiter.“

Seltsame, beunruhigende Nachrichten Werner Lindener kniete Samstagmorgen mit beiden Knien auf seinem Koffer und versuchte mit aller Kraft, die Schlösser zuzudrücken. Es gelang ihm erst nach mehreren vergeblichen Bemühungen. Und dann schellte der Postbote und brachte den Eilbrief. Werner riss schon auf der Treppe den blauen Umschlag auf, zog das Notizblatt hervor und las. Als er wieder in seinem Zimmer war, setzte er sich auf seinen Koffer und pfiff durch die Zähne, während seine Finger achtlos mit dem Notizblatt spielten. Werner war überrascht und zunächst ratlos, was sonst selten vorkam. Er las den Brief zum zweiten Mal, aber da änderte sich nichts. Da stand geschrieben: Auf der Geest bei Ranau auf Gravenhage, den 7. August Lieber Werner! Hoffentlich erreicht Dich dieser Brief noch zu Hause. Ich bitte Dich dringend, nicht nach Tirol zu fahren, sondern gleich hierher zu kommen. Wir sind erst seit Dienstag hier, aber in den drei Tagen haben sich Dinge ereignet, denen wir bisher völlig hilflos gegenüberstehen. Es geht alles drunter und drüber. Näheres zu schreiben ist zwecklos! Komme bitte sofort! Bringe auch, wenn eben möglich, ein langes, starkes Seil mit, Batterien für Taschenlampen, eine Blendlaterne und, wenn es geht, auch einen Revolver oder doch eine Scheintodpistole. Wir erwarten Dich bis spätestens Montagabend. Solltest Du bis dahin nicht hier sein bzw. wir keine zusagende Antwort von Dir haben, werden wir das Lager abbrechen müssen. Also komme sofort! Um halb drei geht täglich der Dampfer von Grevemünde nach

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der Geest; wir stehen jeden Tag an der Landebrücke. Gib sofort Nachricht (Telegramm)! Hoffentlich kommst Du gleich. In großer Sorge Treu Dein Hans P.S. Solltest Du schon abgereist sein und Dich dieser Brief erst in Erl erreichen, überleg Dir, ob Du nicht doch nach hier kommen kannst. Auch dann gib schnell Nachricht. D.O. Als Werner Lindener den Brief zum zweiten Mal gelesen hatte, war er auch nicht klüger. Er stand auf, ging in seinem Zimmer hin und her und überlegte. Die tollsten Gedanken brachen über Werner herein: Was mochte geschehen sein? Warum wünschte Hans so dringend seine Anwesenheit? Wozu verlangte er die angegebenen Gerätschaften? Ein Seil, deren es doch da oben in allen Segelbooten genügend gab? Einen Revolver? Das hörte sich ja ganz gefährlich an. Wurden die Jungen von jemandem bedroht? Er zwang sich, ruhig zu überlegen. Der Brief war so drängend geschrieben, es musste schon etwas Besonderes geschehen sein. Mit einem betrübten Lächeln sah Werner Lindener seinen Koffer an. Er hatte sich so auf die Berge gefreut. Das schien nun erledigt, denn auf diesen Brief konnte man nicht einfach absagen. Werner gab sich einen Ruck und brummte leise: „Schluss! Ich fahre nach Gravenhage!“ Wenige Minuten später fuhr er, den Brief in der Tasche, auf seinem Rad mit höchster Eile durch die Stadt. Werner Lindener war bisher immer mit den Jungen aus G. in die Ferien gezogen. Er war ein alter Freund der Gruppe, hatte sie selbst lange Jahre geführt, und alle Jungen mochten ihn gern. Die Führer schätzten sein klares und sicheres Urteil, und die kleinen Buben konnten ihm stundenlang zuhören, wenn er zur Abendzeit am flackernden Feuer Geschichten erzählte. Aber Werner war jetzt Student geworden und wollte in diesen Ferien eigentlich in die Alpen ziehen. Er liebte die Berge, und der Lehrer eines kleinen Tiroler Dörfchens hatte ihn zu sich eingeladen; darum war Hans in diesem Jahre mit seiner Schar allein losgezogen. Hans Rosenberg, ein offener, frischer, aber verantwortungsvoller Achtzehnjähriger, verdiente unbedingtes Vertrauen. Er war ein schlanker, blonder Kerl, der eine feste Art aufzutreten hatte, doch immer verbunden mit einer gewissen gewinnenden Herzlichkeit. Seine Kerle zu begeistern verstand er ausgezeichnet, und da er sich stets selber treu blieb und nie schlechter Laune war, stand die Gruppe fest zu ihm. Aber auch die etwas jüngeren Fähnleinführer Heinz und Julius waren zuverlässige Kerle. Und trotzdem musste da heute Morgen dieser Brief ankommen. Werner Lindener zwängte sich mit seinem Fahrrad durch das Vormittagsgewühl seiner rheinischen Heimatstadt und grübelte: Was ist da geschehen?

Mit Fahrtengepäck und Leuchtpistole Auf der Post gab er zwei Telegramme auf: Eines an die Gruppe: „Komme sofort. Werner.“, das andere nach Erl, eine einstweilige Absage. Dann kaufte er ein halbes Dutzend Batterien für Taschenlampen. Einen Revolver? Werner schüttelte den Kopf. Das ging nun nicht. Denn ganz abgesehen davon, dass er keinen Waffenschein besaß, meinte er, dass solch ein Schießzeug nicht in ein Zeltlager und nicht in die Hand von Jungen gehöre. Auf dem Bahnhof studierte Lindener dann noch gleich die Fahrpläne und fand einen günstigen Nachtzug nach Hamburg. Nun fuhr Werner schnell zu Dr. Everhardt. Das war der geistliche Führer der Gruppe, der in einer Vorstadt von G. in einem schlichten Gartenhäuschen wohnte. Dr. Everhardt hatte in diesem Jahre auch nicht mit den Jungen losziehen können. Er war ein noch ziemlich junger Geistlicher, der neben seinen Buben auch die Bücher liebte. Und da die Buben die Schulzeit und jede freie Stunde des Doktors mit Beschlag belegt hatten, blieben für die Bücher nur die Ferien. Werner Lindener fand dann auch den Doktor in dichtem Tabakqualm gehüllt über mächtigen Folianten sitzen. Nach kurzem, herzlichen Gruß legte er ihm den Brief auf den Tisch und sagte: „Da, lesen Sie mal!“ ... und der Doktor las... und sprang vom Stuhl auf: „Jetzt brat mir einer einen Storch! Was ist denn da geschehen? Hans lässt sich doch wahrhaftig nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Fahr sofort hin,

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Werner! Ist etwas Schlimmes geschehen, schickst du mir gleich ein Telegramm, dann komme ich nach. Hier hast du etwas Geld für unvorhergesehene Fälle, und nun los! Schreib mir gleich und ausführlich, schon der Eltern wegen. Gott sei mit dir!“ Die beiden reichten sich die Hand, und Werner Lindener fuhr eilends nach Hause. Daheim wurde der schwere Koffer wieder ausgepackt. Werner legte seine Fahrtenkluft an, warf noch einen betrübten Blick auf seinen Reiseführer nach Tirol und fuhr dann mit der Straßenbahn zum Bahnhof und nach Köln. Genau acht Stunden nach Empfang des Briefes dampfte der Köln-Hamburger Schnellzug aus der mächtigen Halle. Werner Lindener saß am Fenster seines Abteils und sah in die Nacht. Schlafen konnte er nicht. – Was war auf der Geest geschehen? – Immer wieder der gleiche Gedanke! Werner suchte sich abzulenken und überlegte, ob er auch nichts Notwendiges vergessen habe, und er musste lächeln, als ihm einfiel, dass er seine Leuchtpistole, die er mit in die Berge nehmen wollte, im Eifer mitverpackt hatte. Er dachte: Schließlich ist das auch eine Waffe! Dass diese ´Waffe´ für die kommenden Ereignisse sogar noch von Bedeutung werden sollte, ahnte er freilich nicht. Langsam kam der junge Mann ins Träumen, und nach einiger Zeit war er doch eingeschlafen. Als er wieder aufwachte, rollte der Zug in der ersten Morgendämmerung durch die Lüneburger Heide. Einen Augenblick lang kam über Werner die Erinnerung an sommerliche Fahrten durch weite Birkenwälder und blühendes Heidekraut, aber dann brach voller Unruhe gleich wieder der Gedanke vor: Wie mag es jetzt im Lager auf der Geest aussehen? Hoffentlich haben die Kerle mein Telegramm erhalten! Und Lindener wünschte sehnlichst, endlich am Ziel zu sein.

Die Spannung wächst, je näher das Ziel kommt Am frühen Morgen war er in Hamburg. Da Sonntag war, wohnte er in einer kleinen Kirche, nicht weit vom Bahnhof, der Heiligen Messe bei und verpasste so den einzigen Zug, der ihn noch rechtzeitig an den Dampfer nach Grevemünde gebracht hätte. Aber Werner war nicht der Kerl, der sich deshalb gleich wieder Gedanken gemacht hätte. Mit dem erstbesten Schnellzug fuhr er weiter und sagte sich: Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit, nach Ranau und von dort zu dem Lager der Jungen auf die Geest zu kommen. Kurz nach sechs Uhr nachmittags war er in Grevemünde. Als Werner auf die Straße trat, lag zum ersten Male in seinem Leben breit und sonnenbeschienen das Meer vor ihm. Die Wellen rollten silbern heran und rauschten an den Strand. Rechts im Hafen schaukelten die Masten der Fischerboote im Winde, und gerade vor Werner, die Wasser des Meeres in der Ferne begrenzend lag Land; das musste wohl Gravenhage sein, und da musste er hin. Werner Lindener kaufte sich zunächst in der Bahnhofsbuchhandlung eine genaue Karte von Gravenhage und den Nebeninseln im Maßstab 1:25.000. Als er wieder am Hafen war, studierte er diese Karte, denn es konnte ihm ja nur nützen, wenn er von der Gegend des Lagers schon eine ungefähre Ahnung hatte. An Ort und Stelle ersparte das vielleicht viel Zeit. Die Geest war strenggenommen keine Insel, sondern nur eine Halbinsel, die mit der Insel Gravenhage durch einen Steindamm verbunden war. Werner Lindener stellte das mit einer gewissen Überraschung fest. Der nördliche Teil der Insel Gravenhage war breiter als der südliche. Vom äußersten Nordwestpunkt der Insel lief der Steindamm zu einer etwa fünf bis sechs Kilometer langen Landzunge herüber, die sich fast südlich in die See vorstreckte. Das war die Geest; an der breitesten Stelle war sie höchstens einen Kilometer breit. Auf dieser Landzunge lag also das Lager. Mit Ausnahme der Südspitze schien die Geest ganz bewaldet zu sein. An der Südspitze aber befanden sich eine Lotsenstation und ein paar Häuser. Durch die Wälder auf der Geest zog sich in der Längsrichtung vom Steindamm bis zur Lotsenstation ein Weg, an welchem auf halber Strecke etwa ein Forsthaus eingezeichnet stand. Am Nordende der Geest, ungefähr an der Stelle, wo der Steindamm nach Gravenhage hinüberlief, war eine Fliegerstation vermerkt. Geest, Steindamm und die Insel Gravenhage selbst umgrenzten einen breiten, tiefeinschneidenden Meerbusen, den Ranauer Bodden. Auf Grevenhage, der Geest gleich gegenüber, lag nämlich dicht am Strande der kleine Ort Ranau. Bei der Fliegerstation befand sich eine Dampferanlegestelle. Hier hatten die Jungen also wohl das Schiff verlassen, ehe es über den Ranauer Bodden in den Hafen fuhr.

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Werner Lindener überlegte: So einsam, wie die Jungen daheim immer behauptet hatten, lag die Geest nun eigentlich nicht. Flieger- und Lotsenstation, dazu das Forsthaus; da wohnten doch sicher Leute; sodann war die Geest mit der Insel durch einen Steindamm verbunden; die Buben waren also keineswegs von aller Welt abgeschnitten. Sicher konnte er auf der Station nach dem Lagerplatz der Jungen fragen. Den Fußweg rings um den ganzen Bodden schätzte Werner aber auf zweieinhalb Stunden. Auch keinen Fall konnte er dann vor Mitternacht im Lager sein. „Wenn ich freilich nicht zu spät nach Ranau käme“, plante Werner, „kann ich vielleicht noch mit einem Boot quer über den Bodden gleich auf die Geest gelangen.“ Mit Freuden stellte er dann fest, dass der Bodden prachtvoll zum Baden geeignet sein müsse. Er war sehr seicht, hatte also im Sommer angenehm warmes Wasser. Aber auch die offene See, die an der Westseite die Geest bespülte, konnte ebenso bis weit hinein nicht sehr tief sein. Etwa fünf bis sechs Kilometer von der Geest entfernt lag in der See, etwas nach Süden zu, langgestreckt eine Insel, die sich, nach Norden zu langsam ansteigend, zu einer Höhe von 50 Metern über dem Seespiegel erhob. Auf dieser Anhöhe, die auf der Karte mit Renover Haken bezeichnet war, stand ein Leuchtturm. Die Insel hieß Torland. Der Renover Haken lag der Geest gerade gegenüber, so dass sich also von ihr aus eigentlich nur nach Nordwesten ein freier Blick auf die offene See ergab. Werner überlegte eben noch, dass das Lager wohl zum Bodden hin liegen werde. Weil der Wind hier meist vom Westen kommt, bot der Wald auf der Geest ja den besten Schutz. Da kam der Bootsmann, den er geheuert hatte, und sagte, sein Segler sei fahrbereit. Werner Lindener stieg ins Boot, und ein wenig später lag das kle ine Schiff vor dem Winde und glitt leicht über die Wasser hin mit Kurs auf Gravenhage. Was würde seiner dort warten? Das war der Gedanke, dem Werner die ganze Fahrt nachhing, aber er spürte auch, wie er den Jungen näher kam; noch wenige Stunden, und er würde bei ihnen sein. Die Spannung wuchs, je näher er der Geest kam.

Fahrt durch die Nacht Das Boot steuerte die Insel an, vielmehr: es kreuzte durch ein Gewirr kleiner und kleinster Inselchen hin und her und lag schließlich an der Fähre von Gravenhage. Werner Lindener stieg aus. Es war unterdessen acht Uhr geworden. Zwei Stunden aber sollten noch vergehen, bis endlich das Auto kam, das er von Gravenhage aus telefonisch bestellt hatte, um ihn nach Ranau zu bringen. Der Chauffeur hatte unterwegs eine Panne gehabt. Mit wachsender Ungeduld war Werner die zwei langen Stunden am Strande auf und ab gelaufen, den Kopf voll von quälenden Gedanken. Aber was half alle Ungeduld? Er konnte, da er den Dampfer verpasst hatte, überhaupt froh sein, wenn er das Lager heute noch erreichte. Die Jungen erwarteten ihn diesen Abend sicher nicht mehr. Gegen zehn Uhr – es war unterdessen schon Nacht geworden – kündete fernes Hupen endlich das Nahen eines Autos an. Werner atmete auf. Zehn Minuten später fuhr er bereits in dem kleinen alten Opel quer über die Insel auf schnurgerader Landstraße dahin. Die Lichtkegel der Scheinwerfer bohrten sich in die Nacht, und die Pappeln zur Seite der Straße, gespenstig erhellt, schienen sich, Riesen gleich, auf den Wagen stürzen zu wollen. Immer wieder huschten sie heran, wichen in die Finsternis zurück, vorbei... Zwölf Kilometer war Werner etwa gefahren, dann gabelte sich die Landstraße, das Auto stoppte sein schnelles Tempo einen Augenblick ab und bog scharf nach links. Dann begann der Motor wieder heller zu summen, der scharfe Fahrtwind dröhnte wieder in Werners Ohren und fuhr durch sein helles Haar, aber schon nach etwa fünf Minuten glommen in der Ferne Lichter auf, kamen näher, das Auto fuhr langsamer, holperte... Man fuhr durch Ranau. Niedere Häuser mit Strohdächern standen zu beiden Seiten der Straße in der Finsternis. Der Wagen machte eine scharfe Kurve, rechts wurde auf einen Augenblick eine breite, niedere Kirche mit stumpfem Turm in der Dunkelheit sichtbar, dann bremste das Auto plötzlich und stand. Werner atmete auf, denn er hörte das Plätschern von Wellen und sah die steilen Maste der Segelboote gegen den Nachthimmel ragen. In der Ferne blinkte ein Leuchtturm. Werner war am Hafen von Ranau. Nur knapp vier Kilometer Luftlinie entfernt lag das Lager der Jungen. Die Uhr zeigte viertel vor elf.

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„Gebrannt?“ Lindener schritt eben auf die Hafenmole zu, als im Dunkeln eine Gestalt vor ihm auftauchte. Es war ein Mann. Das Aufglimmen einer kurzen Pfeife ließ Werner sein Gesicht auf ein paar Augenb licke schwach erkennen. Hinter der Pfeife her brummte er „n’Abend!“. „Guten Abend“, sagte Werner. „Verzeihen Sie, ich bin fremd hier und möchte noch gerne heute Abend auf die Geest hinüber. Könnte ich da wohl noch ein Boot bekommen?“ „Auf die Geest? Sie wollen wohl ins Erholungsheim ´Seestern´?“ „Erholungsheim? Wo ist denn das?“ „Nun, direkt drüben am Steindamm! Sehen Sie die Lichter nicht?“ „Doch, ja, ich sehe! – Dann ist das wohl am Ende die Fliegerstation?“ „Freilich, das war sie im Krieg. Jetzt ist in den Baracken da und in den Offiziershäusern das Ferienheim eines Jungenbundes.“ „Aha! Ja, wissen Sie, da drüben muss auch seit einigen Tagen ein Zeltlager von Jungen sein; zu denen möchte ich eigentlich hin. Wissen Sie ungefähr, wo...“ Der Mann mit der kurzen Pfeife ließ Werner gar nicht ausreden... „Ach, ich weiß schon, das sind die Jungen drüben am Rühler Haff; bei denen hat’s gestern Nacht gebrannt. Das hat man bis hierher sehen können. Also da wollen Sie hin?“ „Gebrannt?“ „Ja, Stroh hat gebrannt, es war aber weiter nicht schlimm, wie mir der Herr Karsten vom ´Seestern´ drüben gesagt hat.“ „Soso! Kann ich also noch zu den Zelten hinüber? Es liegt mir viel daran, möglichst schnell bei den Jungen zu sein.“ „Gut, ich werde Sie noch hinüberbringen. Steigen Sie da in die ´Lotte´, die fährt gut.“

Ein geheimnisvolles Licht Zehn Minuten später blubberte der offene Motorkutter langsam aus dem Hafen in die weite Dunkelheit des Boddens. Werner Lindener saß vorne am Bug der ´Lotte´ und spähte durch die Finsternis nach der Geest hin. Aber alle paar Augenblicke stach ihn ein helles Licht in die Augen und blendete ihn. Das war der Leuchtturm von Torland. In regelmäßigen Abständen blinkte es auf und erlosch wieder. Da Werner zum ersten Mal an der See war, zog ihn das geheimnisvolle, nie rastende Licht aus der Ferne, das da unerbittlich aufleuchtete und wieder verschwand, ganz in seinen Bann. Es kam ihm fast unheimlich vor: ein Zyklopenauge, das lauernd mit grausamer Regelmäßigkeit in die Nacht blinzelte. Als das Boot etwas in den Bodden hinausgekommen war, blinkte plötzlich von links her ein zweites Leuchtfeuer auf, viel heller noch als das Blinklicht von Torland; auch waren die dunklen Zwischenräume bald länger, bald kürzer. Der Schiffer, der Werners Interesse bemerkt hatte, sagte ihm, das sei der Leuchtturm von Grevemünde, der, wenn er auch viel weiter weg war als der Torländer, doch noch heller sei. „Man muss ihn eben viel weiter sehen können“, sprach der Mann weiter. „Aber warten Sie nur, bis wir mitten auf dem Bodden sind, dann sehen Sie auch das Blinkfeuer von Kap Lankow; das ist das hellste. Es leuchtet über die ganze Ostsee weg. Sehen Sie, da drüben ist es schon!“ Und nun gleißte ein neuer Lichtstrahl von Osten her über den Bodden hin. Blinkfeuer über der Ostsee! Von allen Seiten kreisten die hellen Feuer... an, aus... an, aus... bald hier, bald da... Die feierliche Stille der Nacht bedrückte Werner, und das umso mehr, als sein Herz wegen der Jungen voll Sorge war. Endlich näherte sich das Boot dem Ufer. Schon äugte der Schiffer scharf nach einer Landemöglichkeit. Da konnte Werner nicht mehr an sich halten, stand auf und pfiff zum Ufer hin das geheime Erkennungssignal der Jungen, wie sie es daheim gebrauchten. Er pfiff einmal... zweimal... dann hörte er Stimmen, eine Taschenlampe flammte im Ufergesträuch auf und strahlte den Bug der ´Lotte´ an. Im gleichen Augenblick schon stieß das Boot mit leichtem Ruck auf Grund. Werner sprang mit bloßen Füßen ins seichte Wasser und sah drei Gestalten auf sich zulaufen, drei Hände streckten sich ihm

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entgegen, die Taschenlampe leuchtete, und er erkannte Hans, Julius und Heinz. Alle drei machten den Eindruck tiefster Niedergeschlagenheit. „Gott sei Dank, dass du da bist!“ sagte Hans. Die beiden andern schwiegen. Bei Werner aber regte sich ein Gefühl der Erleichterung: nun hatte er es doch geschafft, er war bei seinen Jungen.

Hans erzählt... Rasch war der Schiffer entlohnt. „Komm hierher, Werner!“ Im Dunkeln wies Hans seinem alten Gruppenführer den Weg ins Lager. Das Licht seiner Taschenlampe glitt über die Zelte hin, die etwas erhöht ganz nahe am Ufer standen. Im Innern raschelte das Stroh, und man hörte Flüstern. „Kerls, Werner ist da!“ sagte Julius. „Ihr braucht euch nicht aufzuregen. Schlaft nur ruhig weiter.“ Etwas abseits vom Lager, in niederem Kieferngebüsch, stand ein hohes Giebelzelt. Das war das Vorratszelt, in dem Hans Freitagmorgen den Brief an Werner geschrieben hatte. Die Jungen traten ein. Am Firstbalken hing eine Stalllaterne. Es war warm da drinnen. „Wir haben dich heute nicht mehr erwartet“, sagte Hans. „Nun bin ich froh, dass du da bist.“ „Ja, wir wollten eben schlafen gehen“, fügte Heinz hinzu, „da hörten wir den Pfiff.“ „Willst du etwas essen?“ fragte Julius. Werner verneinte, und die drei Jungen schwiegen still. Jetzt erst, im Lichte der Zeltlaterne, sah er die Gesichter seiner Freunde und erschrak, wie verstört und trostlos die Kerle aus ihren sonst so frohen Augen schauten. Er setzte sich auf einen verschlossenen Marmeladeeimer und sagte laut: „Menschenskinder, was ist denn nun eigentlich los?“ Keine Antwort. „Kerls, seid doch nicht so miesepetrig! Mal frisch erzählt! Euer Stroh ist verbrannt, das weiß ich schon. Und was nun sonst noch? – Hans?“ „Das ist nicht das Schlimmste“, stieß nun Hans heraus. „Gottfried und Hermann sind seit dieser Nacht oder vielmehr seit heute Morgen ganz früh verschwunden – spurlos!“ Werner spürte, wie sein Herz jäh einen Schlag aussetzte und wie mit einem Male ein eisiger Schauer über seinen ganzen Körper glitt. „Was ist das?“ schrie er fast. „Und seit dieser Nacht erst? Davon hast du also auch nichts gewusst, als du mir den Brief schriebst.“ Hans lachte plötzlich bitter auf. „Ach, als ich den Brief schrieb, Werner, da war ja alles noch ganz harmlos. Was bis dahin geschah, das waren ja nur erst Kleinigkeiten, aber jetzt, jetzt ist es fast zum Verzweifeln!“ „Seid ihr denn verhext hier?“ gab Werner zurück. „Nun, wir wollen ruhig bleiben; am besten ist wohl, Hans, du erzählst mir einmal der Reihe nach, was alles geschehen ist. Also leg mal los!“ Werners Augen sahen gespannt zu Hans hinüber, der mitten im Zelt stand und vor sich hin starrte. Er hielt mit der Rechten die Zeltstange umklammert. Julius und Heinz sahen zu Boden. Und Hans erzählte: „Am Dienstagnachmittag halb drei Uhr fuhren wir von Grevemünde mit der ´Hansa´ los. Wir waren alle in bester Stimmung, und abgesehen davon, dass wir mit einem etwas reichlich dicken Herrn mächtigen Krach kriegten, weil Helmut seinen Spazierknüppel in die Ostsee warf, war’s sogar ganz sauber auf dem Dampferchen.“ „Spazierstock in die Ostsee warf?“ fragte Werner. „Das war aber nun auch ´ne Frechheit!“ „Nö“, sagte Hans, „Helmut konnte nichts dafür. Der Dicke war selber schuld, ein ganz ekelhafter Kerl, der uns gemein angebrüllt hat. Na, als wir in Torland anlegten, stieg er aus, und unserer guten Laune hat er mit seinem Gekläffe wenig geschadet. Gegen halb sechs Uhr kamen wir oben beim Erholungsheim ´Seestern´ an. Herr Karsten, der Leiter dieses Heims, und der katholische Geistliche, der jeden Morgen die Heilige Messe mit uns feiert, waren mit zahlreichen Jungen am Ufer versammelt, um uns zu empfangen. Der Geistliche ist übrigens ein schon ziemlich alter Herr, der zudem nicht gut hört. Herr Karsten begrüßte uns sehr freundlich und gab mir einen Brief des Försters, in dem uns diese Stelle hier

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am Rühler Haff als Lagerplatz angewiesen war. Dann stand noch drin: Wasser könnten wir uns aus dem Brunnen am Forsthaus holen; das trockene Holz aus dem Walde dürften wir zum Feuern gebrauchen und unser Stroh, das der Förster schon für uns besorgt hatte, liege am Rühler Haff aufgeschichtet bereit. Wir sind dann auch gleich vom Erholungsheim hierher marschiert und haben die Zelte aufgeschlagen.“ „Wie weit ist es von hier bis zu diesem Erholungsheim?“ fragte Werner Lindener. „Über eine halbe Stunde“, fuhr Hans fort, „das Forsthaus aber ist nicht weit weg, höchstens 500 bis 700 Meter. Es ist schon seit langem unbewohnt. Türen und Fenster sind fest vernagelt. Neben der Försterei steht ein kleiner Schuppen, in dem sich der Brunnen befindet.“ Werner fragte wieder: „Wo wohnt denn der Förster?“ „Genau weiß ich das auch nicht. Es ist aber ziemlich weit drüben an der Ostküste der Insel. Die Wälder hier auf Gravenhage sind alle staatlich und müssen wohl dem einen Förster unterstellt sein. – Wir schlugen also die Zelte auf und schafften das Stroh hinein. Der Förster hatte eine Riesenmenge hierher bringen lassen. Mit der Hälfte hätten wir schon reichlich genug gehabt. Ich ließ es aber, soweit wir es nicht gebrauchten, aufgeschichtet liegen und mit Zeltbahnen zudecken, weil ich mir sagte: nach vierzehn Tagen wechseln wir das Stroh dann einmal aus. Dienstagabend gingen wir sehr früh schlafen, weil die Kerle von der langen Bahnfahrt ordentlich müde waren.“ „Wann seid ihr in die Zelte gegangen?“ „Schon bald nach acht Uhr; zu Abend haben wir nur Butterbrote gegessen, die wir noch bei uns hatten.“

Fußspuren – und ein geheimnisvoller Besucher Hans machte eine Pause und trocknete sich den Schweiß von der Stirne. „Ja, Werner, jetzt fängt es an! Ich ha tte die Nacht sehr gut geschlafen und stand am andern Morgen als erster auf. Wie ich vor das Zelt trete, merke ich gleich, dass in der Nacht jemand im Lager gewesen sein musste. Obgleich es nämlich windstill war, fand ich die Zeltbahnen über dem Strohhaufen verlegt. Irgendwer hatte den Strohhaufen untersucht. Ich sah mich gleich etwas genauer um und fand an einer Stelle ganz frische Fußspuren: ziemlich breite und große Schuhe. Die Sohlen zeigten keine Nägel. Am Abend vorher waren sie bestimmt nicht dagewesen. Zudem haben wir alle Nägel unter den Schuhen. Ich ließ die Jungen nun aufstehen, und einige erklärten auch sofort auf meine Frage, sie hätten in der Nacht Schritte gehört. Keiner aber hatte sich Gedanken gemacht, denn es konnte ja jemand von uns da herumgelaufen sein. Ich wollte nun die Spur verfolgen lassen, aber sie verlor sich plötzlich, und wir fanden weiter nichts, selbst auf den Wegen nicht. Doch machte ich mir weiter keine Sorgen, weil ich dachte, einer aus dem Erholungsheim hätte uns einen frühen Besuch gemacht, denn die Jungen, die die Schritte gehört hatten, sagten, es sei schon dämmrig gewesen.“ „Hast du denn beim Erholungsheim einmal nachgefragt?“ „Natürlich. Herr Karsten erklärte allerdings, von seinen Gästen gehe keiner vor sieben Uhr aus dem Hause; er schließe selbst immer um diese Zeit die Türen auf. Der geheimnisvolle Besucher des Lagers blieb uns ein Rätsel. Trotzdem haben wir uns weiter keine Gedanken über ihn gemacht. Aber als wir Donnerstagmorgen aufstanden, waren unsere sämtlichen Wimpel von den Speeren verschwunden.“ Sobald das Werner Lindener hörte, lachte er leise vor sich hin und brummte: „Also daher weht der Wind!“ ´Wimpelklauen´ ist eine beliebte Kampfansage unter zünftigen Wandervögeln, wenn sie sich ins Gehege kommen. Werner ahnte schon einen Zusammenhang. Aber Hans hatte gleich Werners Bemerkung verstanden und gab zu: „Ja, wir glaubten auch, dass noch irgendeine andere Wandergruppe hier auf der Geest sei oder sonst in der Nähe. Wir waren alle wütend und uns vollkommen einig: die Wimpel müssen wieder heran, mag es kosten, was es will. Zuerst suchten wir wieder nach Spuren. Nach dem Morgenkaffee habe ich das ganze Lager losgeschickt. Julius, an der Spitze der Jungen, machte eine Streife über die Geest bis zur Lotsenstation hin. Ich selbst suchte mit Heinz den Boden um das Lager genau ab. Aber weder eine Spur noch ein Mensch hier auf der Geest außer uns ließen sich finden. Nachmittags ist Julius mit vier Mann in einem Segelboot nach Ranau hinüber, um Lebensmittel zu kaufen; auch in Ranau war von einer Wandergruppe nichts bekannt. Schließlich sagten wir uns: Wer Wimpel klaut, der lässt im Allgemeinen auch einen Fehdebrief zurück

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und legt Wert darauf, dass er zu finden ist, damit ein zackiges Spiel zustande kommt. Unsere Wimpel sind nicht von Kameraden aus anderen Bünden gestohlen worden. Und damit standen wir wieder völlig im Dunkeln. Wir wussten nicht, wer gegen uns etwas im Schilde haben könnte. Nachmittags habe ich dann mit einer Reihe von Kerlen das Vorratszelt aufgebaut, um die Lebensmittel, die Julius nachher bringen würde, gut verstauen zu können. Am Abend beschlossen wir, für die kommende Nacht Wachen auszustellen, immer je zwei Mann eine Stunde lang. – Wir haben Wachen ausgestellt, und am anderen Morgen, also am Freitag, war unser Vorratszelt leer.“

Rätselhafte Ereignisse Werner Lindener riss vor Staunen beide Augen weit auf. „Donnerwetter!“ platzte er los. „Das ist aber doch die Höhe! Trotz eurer Wache? Das verstehe ich einfach nicht.“ „Ja, trotz der Wache! Die Küche ist ja immer etwas abseits vom Lager, damit der Rauch nicht stören kann. Das Vorratszelt haben wir natürlich bei der Kochstelle gebaut, doch ist es von den anderen Zelten, wie du dich überzeugen kannst, nur knapp 50 Meter entfernt. Die Wache hat nun freilich nicht an das Vorratszelt gedacht. Sie ist immer im Lager geblieben, und da die Nacht ziemlich stürmisch war – es hat sogar mehrere Stunden geregnet -, hat auch kein Mensch etwas von den Dieben gehört. Außerdem gibt keine Wache zu, dass während ihrer Stunde die Lebensmittel gestohlen worden seien.“ Werner schüttelte doch ein wenig den Kopf, als er diese Dinge hörte. Da stellt das Lager die ganze Nacht Wachen auf, und unter ihren Augen stiehlt man das Vorratszelt leer. Das war mehr als seltsam. „Und Spuren?“ fragte Werner. „Haben wir diesmal zwei gefunden, und zwar direkt beim Vorratszelt. Ich habe sie selbst genau geprüft“, erwiderte Hans. „Die eine Spur gehörte wieder dem geheimnisvollen Besucher der ersten Nacht. Es waren die breiten Sohlen ohne Nägel. Die zweite Spur stammte auch von Männerschuhen, aber der hatte kleinere Füße; unter der rechten Sohle stellte ich einen aufgesetzten Lederfleck fest. Mit der Verfolgung war es aber wieder nichts. Die Diebe müssen unter den Kiefern hergelaufen sein, da sich auf dem Nadelboden keine Spuren ergeben. Nur einmal fand ich beide Spuren. Das war vielleicht zehn Minuten von hier nach der Lotsenstation zu. Sie gingen quer über den Weg. Die Kerle sind da in die Wälder der Seeseite hinübergewechselt. Im Walde und in den Dünen jenseits des Weges an der offenen See war aber auch nichts zu finden. Ich habe natürlich gleich Herrn Karsten die ganze Geschichte erzählt. Dessen Gesicht hättest du sehen sollen. Na, er ist überhaupt ein drolliger Kerl; du wirst ihn ja kennen lernen. Ich äußerte ihm auch den Verdacht, dass vielleicht jemand von den Leuten bei der Lotsenstation der Dieb sein könnte. Das hielt er aber für ausgeschlossen.“ „Wie viele Leute wohnen denn da unten auf dem Südzipfel der Geest?“ „Das weiß ich auch nicht; es stehen vier bis fünf Häuser da. Aber, Julius, das weißt du wohl“, wandte sich Hans an diesen, „du warst ja heute morgen in der Station.“ „Genau kann ich’s natürlich nicht sagen. Aber mehr als zwanzig Leute wohnen da unten nicht!“ „Gut. – Und was nun weiter?“ „Herr Karsten wusste auch keinen Rat. Als wir dann am Freitagmorgen an der Försterei Wasser holen wollten, war die Kette des Brunnens zerrissen, und der Eimer lag unten drin. Wir mussten deshalb das Wasser im Erholungsheim holen. Übrigens...“ Und nun machte Hans ein leicht verlegenes Gesicht, und zum ersten Mal seit Werners Ankunft huschte ein leichtes Lächeln über sein Gesicht. „An dem Brunnen war auch keine Spur zu finden; aber hast du das Seil mitgebracht?“ „Natürlich! Soll das etwa für den Brunnen sein?“ „Ja, so hatte ich es mir gedacht; wir haben auch einstweilen nur einen notdürftigen Ersatz.“ „Mein Gott, ich bringe ein vierzig Meter langes Kletterseil mit. Das wird sich nett machen, wenn an dem dicken Strang euer Brunneneimerchen in der Tiefe baumelt. Du warst wohl ein bisschen durcheinander an dem Morgen?“ Jetzt lachte Hans los.

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„Ja, weißt du, ich war an dem Morgen wirklich ´aus den Fugen´. Nachher fiel mir erst ein, Herrn Karsten nach einem Seil zu fragen; er gab mir auch eins, es ist aber nicht viel wert.“ „Schön, mein Manila-Seil kriegst du aber nicht als Brunnenkette, das kann ich dir flüstern“, warf Werner ein, „und nun erzähl weiter.“ „Ich habe dann am Freitagmorgen mit Julius und Heinz über eine Stunde zusammengesessen, und wir haben überlegt, was das wohl alles zu bedeuten habe; wir wissen nur eine Antwort.“ „Und die ist?“ „Jemand will uns möglichst bald wegekeln. Ich habe natürlich nicht die geringste Ahnung, wer das sein könnte.“ „Kann ich mir denken“, sagte Werner, „aber deine Meinung von dem Wegekeln hat viel für sich. Wir scheinen hier jemandem nicht hinzupassen. Doch erzähl erst mal fertig... Das heißt, wollen wir uns nicht vielleicht lieber ins Freie setzen? In eurem Vorratszelt ist die Luft recht stickig. Gehen wir doch nach draußen!“ Die drei waren einverstanden, und Julius fügte noch hinzu: „Es ist ja auch keine Wache da.“

Ein Lauscher im Dunkeln Heinz löschte die Zeltlaterne aus; die vier Jungen traten ins Freie. Sie bemerkten nicht, dass im gleichen Augenblick eine Gestalt blitzschnell in dem niederen Kieferngebüsch, das die Lagerwiese umsäumte, verschwand. Ein Mensch kauerte in den dichten Zweigen, kein Laut verriet ihn. Werner Lindener setzte sich auf einen Baumstumpf, den Rücken zum Bodden; zwischen den Kiefernstämmen des nahen Waldes kreiste das Blinkfeuer auf Torland. Die drei saßen ihm gegenüber. Hans erzählte weiter; gespannt hörten Werner, Heinz und Julius zu. Und kaum zwei Meter von Hans entfernt saß noch ein vierter Lauscher, nicht minder aufmerksam als die drei anderen; aber niemand ahnte seine Anwesenheit. Hans erzählte weiter... „Du kannst dir unsere Stimmung denken, als wir Freitagmorgen in aller Frühe – es begann kaum erst hell zu werden – unser Vorratszelt leer fanden. Das Brot war weg, die Butter, das Mehl, die Hülsenfrüchte. Nur den Marmeladeeimer und ein paar Pakete Nudeln hatte man uns übrig gelassen. Wir waren einfach ´erschossen´. Und als unsere Jungen später auch den Diebstahl erfuhren, wurden sie unruhig und nervös. Ein paar Kerle von den ´Schwänen´ - denk’ dir, Quartaner, die dazu noch zum ersten Male mit uns im Lager sind – wollten sogar nach Hause. Wir drei haben sie beruhigt, so gut es ging. Im ersten Schreck, als wir das leere Zelt fanden, hatten wir selbst daran gedacht, das Lager abzubrechen. Aber ich weiß nicht: so sang- und klanglos das Feld zu räumen und davonzulaufen, das passte uns auch nicht. Darum haben wir uns nach Hilfe umgesehen. Und da kamst nur du allein in Frage. Herr Karsten hat genug mit seinem Erholungsheim zu tun; obendrein hatten wir ihn schon so oft belästigt, abgesehen davon, dass er uns an jenem Morgen noch mit Lebensmitteln aushelfen musste. Der alte, schon etwas taube Pfarrer konnte uns auch nichts nützen. Sonst noch jemanden um Rat und Hilfe anzusprechen, lag uns nicht; wir waren ein wenig misstrauisch geworden. So haben wir gleich am Freitagmorgen den Schrieb an dich vom Stapel gelassen.“

Es brennt „Doch nun weiter: der Freitag war ein blöder Tag. Das Frühstück erst um zehn Uhr, immer der weite Weg zum Wasserholen, die Jungen allesamt ängstlich und schlecht gelaunt; wir hatten Mühe, sie am Freitagabend in die Zelte zu kriegen. Gott sei Dank blieb die Nacht diesmal ruhig, und so ging es gestern, am Samstag, wieder etwas besser. Am Abend aber war die alte Aufregung wieder da. Die Jungen wollten nicht schlafen gehen. Und die Wachen erst; mehrere Male bin ich geweckt worden: - Hans, da kommt einer! – Hans, ich sehe Licht! –

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Hans, ich höre Stimmen! – es war wirklich ekelhaft. Dabei hatte ich nur die ´Falken´ als Wache genommen. Na, verständlich war es ja... Von drei bis vier ging ich dann selbst mit Helmut auf Wache. Es war noch dunkel; die andern bedien waren kaum im Zelt, und ich ging mit Helmut eben auf die Kochstelle zu... als plötzlich hinter uns ein greller Lichtschein aufflackerte. Wir drehen uns blitzschnell um; da brennt unser Stroh! Ich stürze auf den hell auflodernden Haufen zu, reiße die Zeltbahnen, die noch heil waren, herunter, Helmut pfeift gellend auf seiner Signalflöte, das ganze Lager wird wach. Es entstand ein unbeschreib liches Durcheinander. Der Strohhaufen stand im Augenblick in hellen Flammen. Da war nichts mehr zu retten. Der Gedanke, zu untersuchen, wer das Feuer gelegt haben könnte, kam uns zunächst nicht. Und später waren die Kerle natürlich längst weg. Allein hätte ich wohl auch kaum den Mut gehabt, hinter ihnen herzurennen, und die Jungen erst recht nicht. Stell dir nur vor: sie werden plötzlich aus dem besten Schlaf gerissen, der Feuerschein leuchtet in die Zelte hinein, die Flammen prasseln und knattern, Funken regnen auf die Zeltbahnen nieder! Es war zum Verzweifeln. Der Wind blies sehr ungünstig von der offenen See her direkt auf die Zelte zu, so dass sie bedenklich in Gefahr waren. Einige Jungen suchten schon ihre Sachen in Sicherheit zu bringen; ein paar der Kleineren heulten. Julius ist es dann zu verdanken, dass die Kerle bald wieder vernünftig wurden. Er ließ sie aus dem Bodden die Eimer in langer Kette immer voll Wasser holen und löschen; das Stroh ist zwar völlig verbrannt, aber den Zelten ist nichts geschehen. Nach einer halben Stunde war alles vorbei.“

Zwei Jungen sind verschwunden „Wir waren aber alle so aufgeregt, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war. Es begann auch schon zu dämmern. Ich ließ darum die Jungen sich am Bodden waschen und befahl ihnen, nach Fähnlein anzutreten. Und da stellte sich heraus, dass Gottfried und Hermann fehlten. Beim Löschen waren sie noch gesehen worden, und nun waren sie spurlos verschwunden. Werner, da hat es mich gepackt. Ich habe gezittert wie ein kleines Kind. Alles Rufen und Pfeifen war umsonst: wir erhielten keine Antwort. Heinz, der die beiden ja in seinem Fähnlein hat, ist wie toll über die Geest gelaufen und hat gesucht. Alles vergebens. Ich ließ dann Kaffee kochen, und wir andern gaben uns, als es etwas heller geworden war, wieder ans Suchen. Wir haben nichts gefunden, keine Spur, nichts: es war völlig erfolglos. Um sieben Uhr sind wir ins Erholungsheim zur Heiligen Messe gegangen und haben für die beiden gebetet, so gut wir es bei unserer Aufregung konnten. Nach der Messe war dann dein Telegramm da. Das war eine kleine Beruhigung. Werner, so steht es hier mit uns! Das ist unser Zeltlager, auf das wir uns so gefreut haben! Ist das nicht furchtbar? Gut, das du gekommen bist. Wir haben den ganzen Tag die Geest abgesucht, Julius ist unten an der Lotsenstation in jedem Haus gewesen, ich oben am Erholungsheim in jeder Baracke; ja, wir sind sogar in die alten, baufälligen Flugzeughallen eingedrungen; jeder, der Zeit hatte, hat uns geholfen: nirgendwo war etwas zu sehen noch zu hören. Kein Mensch weiß etwas von den beiden Jungen. Selbst Herr Karsten ist ganz aufgeregt; er riet uns, zuerst einmal auf dich zu warten. Wir waren schon enttäuscht, als du heute Nachmittag nicht auf dem Dampfer warst, obwohl wir uns sagen mussten, dass du noch gar nicht da sein könntest...! Was soll nun jetzt geschehen? Was denkst du? Herr Karsten meint, wir sollten...!“

Plötzliche Finsternis Der Mann im Kieferngebüsch beugte sich ein wenig vor, um ganz genau hören zu können. Aber in diesem Augenblick geschah etwas Merkwürdiges. Plötzlich, wie mit einem Schlag, erlosch das Blinkfeuer auf Torland. „Jungens, was ist denn das? Der Leuchtturm, seht doch...!“

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Werner Lindener war aufgesprungen. Heinz, Julius und Hans spähten scharf in den finsteren Wald, durch dessen Geäst eben noch das Blinkfeuer geleuchtet hatte in seinem beruhigend gleichmäßigen Rhythmus. „Der Leuchtturm ist aus!“ meinte Heinz ganz verdattert. Die Jungen standen stumm. Werner hatte, während Hans berichtete, andauernd zu dem Leuchtturm hingesehen und darum das Erlöschen gleich bemerkt. „Was mag da los sein?“ fragte Hans. Aber alle schwiegen. Ein paar Sekunden verginge unter atemloser Stille. Dann rannte Werner zum Vorratszelt. Ohne sich Rechenschaft über das Warum geben zu können, hatte er eilends seine Leuchtpistole aus dem Koffer geholt, dann sprang er ins Freie und schoss ab. – Zischend fuhr die Rakete hoch, leuchtendrotes Licht ergoss sich über Wald und See. Werner starrte in die Richtung, wo der Leuchtturm stehen musste. – Als die Rakete erlosch, flammte das Blinkfeuer wieder auf, ruhig weiterkreisend, als sei nichts geschehen. „Was mag das wohl bedeuten?“ fragten Hans und Julius zu gleicher Zeit. „Das weiß ich nicht; wahrscheinlich nur ein Zufall, vielleicht aber auch mehr“, gab Werner nachdenklich zur Antwort. Die ganze Szene hatte vielleicht eine halbe Minute gedauert, der nächtliche Lauscher aber war lautlos verschwunden. Werner Lindener lag im Zelt der ´Schwäne´. Hans hatte ihm diesen Platz eingeräumt, weil auch er dort schlief. Beide lagen nebeneinander. Obschon Werner sehr müde war, konnte er nicht zur Ruhe kommen. Das Schicksal der beiden verschwundenen Jungen quälte ihn sehr. Wo mochten sie sein? Wer hatte sie beiseite geschafft? Waren sie gar am Ende nicht mehr am Leben? Werner spürte, wie ihm kalter Schweiß über das Gesicht lief. So trübe hatte er sich die Ereignisse hier nicht vorgestellt. Was würden die Eltern der Jungen denken, wenn sie solche Geschichten aus dem Lager hörten? Und Dr. Everhardt? Wer aber sollte die Jungen verschleppt haben? Hans vermutete wohl schon recht: Es hatte jemand ein Interesse daran, das Lager von der Geest wegzubringen, weil es ihm irgendwie dort unbequem war. Anders konnte man sich alle Geschehnisse kaum erklären. Aber wer? Eine fremde Wandergruppe? Werner Lindener spielte immer noch mit dem Gedanken ´Wimpelklauen´. ´Geiseln entführen´, das geschah schon, wenn sich zwei Gruppen ins Gehege kamen. Allerdings der Lebensmitteldiebstahl, die Brandstiftung, das waren Gemeinheiten; das war nicht die Art froher Jungen. Werner drehte sich unruhig in seiner Schlafdecke auf die Seite, stützte den Kopf in die Hand und sann weiter. Wo hatte man die Jungen hingebracht? Waren sie vielleicht doch noch auf der Geest oder drüben auf Gravenhage oder anderswo? Lotsenstation und Erholungsheim kamen, wenn Hans Recht hatte, nicht in Frage, und das Forsthaus war unbewohnt. – Das Forsthaus? Wenn es nun doch bewohnt wäre? Werner hatte längst bemerkt, dass Hans Rosenberg auch nicht schlief. Er stieß ihn leise in die Seite und flüsterte ihm zu: „Du, Hans, wie ist das eigentlich mit dem Forsthaus? Ist das wirklich unbewohnt?“ „Ja, ganz sicher“, gab Hans leise zurück. „Wir holen doch jeden Tag dort Wasser aus dem Brunnen; mehrmals schon habe ich mir das Gehöft genau angesehen. Die Tür ist fest verschlossen, an den Fenstern sind die Läden verrammelt. Heute Mittag haben wir mit den Fäusten darauf herumgeschlagen; es blieb alles still. Wenn Gottfried und Hermann oder sonst jemand in dem Hause wären, hätten wir doch etwas hören müssen. Ich bin misstrauisch geworden, Werner, trotzdem ist mir nichts Verdächtiges aufgefallen, nicht einmal Fußspuren, außer unseren eigenen natürlich. Zum Überfluss habe ich gestern überdies das Forsthaus von zwei Baumspähern den ganzen Tag beobachten lassen, die das Forsthaus dauernd im Auge hatten. Es ist alles lautlos still geblieben in dem Gehöft.“ „Warum sagst du Gehöft? Ist außer dem Wohnhaus sonst noch etwas da?“ „Ja, eine kleine Scheune und der Schuppen, in dem der Brunnen steht. In der Scheune war ich; sie steht offen und ist ganz leer.“ „Hm“, brummte Werner, und die beiden Mitarbeiter hingen wieder ihren eigenen Gedanken nach. Es war ganz still in dem dunklen Zelt. Man hörte nur das tiefe Atmen der schlafenden Jungen und das Rascheln des Strohs, wenn einer von ihnen im Schlafe sich unruhig hin und her warf.

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Gedanken um die verschwundenen Jungen „Also mit dem Forsthaus ist es anscheinend nichts“, grübelte Werner weiter. „Und wo könnten die beiden Kerle sonst sein? Sinnlos, so zu fragen. Überall hin konnte man sie verschleppt haben. Wer weiß, am Ende sind sie sogar auf dem Leuchtturm, dessen Licht vorhin so überraschend verlosch! Was mag da losgewesen sein?“ – Eine Zeitlang kreisten Werners Gedanken um die geheimnisvollen Blinkzeichen von jenseits der See. Wie die Lichter doch da drüben kreisten, unermüdlich, Stunde um Stunde, die ganze Nacht hindurch, hellen Schein über das brausende Meer sendend, und dann plötzlich... Finsternis! Unheimlich war das geradezu. Wer hatte das Licht ausgelöscht? Und plötzlich fragte er: „Wie war das mit den Spuren, Hans?“ „Am ersten Morgen, als wir hier waren, eine Spur: ziemlich große und breite Schuhe ohne Nägel. Zwei Tage darauf, am Freitagmorgen, als die Lebensmittel gestohlen waren, dieselbe Spur, direkt am Vorratszelt, und dabei eine zweite Spur: kleinere Schuhe, von denen die rechte Sohle einen Flicken hatte; wir haben die Spuren nachher unten auf dem Weg noch einmal festgestellt, zehn Minuten von hier auf die Lotsenstation zu; das ist alles.“ „Du hast dir die Spuren genau eingeprägt?“ „Selbstverständlich!“ „Gut! Habt ihr für morgen etwas Besonderes vor?“ Hans flüsterte: „Nein. Aber am Dienstag wollen wir eigentlich nachmittags mit zwei Booten nach Torland hinüber. Der Schiffer ist gerade an dem Tage frei, und so hatte ich durch Julius die Boote schon am Donnerstag festmachen lassen für uns, als er in Ranau war. Große Lust verspüre ich jetzt natürlich nicht mehr zu so einem Vergnügen, und wenn du meinst, kann ich die Boote morgen früh ja wieder abbestellen.“ „Lass nur so“, gab Werner zurück; „eine Seefahrt wird die Jungen etwas ablenken; eine Zerstreuung dürfte ihnen gut tun. Und schließlich möchte ich noch gerne wissen, was vorhin mit dem Blinkfeuer los war...“ Werner Lindener fühlte, dass er schläfrig wurde. Er drückte Hans noch einmal die Hand, rollte sich fest in seine Decke und schloss die Augen. Eine kleine Weile lag er noch wach mit dem feinen Gefühl der Freude, einmal wieder eine Zeltbahn als Dach über dem Kopf zu haben. Durch das offene Vordach hörte er die Kiefern im Waldwind flüstern und die See rauschen. Dann ein paar tiefe Atemzüge, er schlief ein...

Auf Torland spukt es... Einer der beiden Jungen, die draußen wachten – die Wache war unterdessen ein- oder gar zweimal gewechselt worden – kam leise, aber schnell an das Rundzelt der ´Schwäne´, und durch die Luke flüsterte er: „Hans, schnell! – Es ist etwas los!“ „Bestimmt? – Was denn?“ „Komm schnell, auf Torland spukt es!“ Hans Rosenberg stieß Werner in die Seite: „Hast du gehört?“ „Ja!“ gab dieser zurück und hatte schon seine Decke abgeworfen. „Komm!“ Werner Lindener war wieder völlig wach, schaltete seine Taschenlampe ein und sah auf die Uhr: es war kurz nach zwei. Eilends kroch er hinter Hans vor das Zelt, während die Jungen ruhig weiterschliefen. Draußen war dunkle Nacht. Ein kühler Wind strich von der offenen See her über die Zelte hin. Werner fröstelte. Hinter den Bäumen zur See hin stand der Mond. Erich, der Hans geweckt hatte, und Helmut, zwei ´Falken´, hatten die Wache. Beide standen dicht bei den Zelten und schienen sehr erregt. Halblaut berichtete Helmut in fliegender Eile: „Ich bin eben einmal an der offenen See gewesen, um mein Handtuch zu holen, das hab ich heute Mittag beim Baden liegengelassen, und da hab ich auf Torland ein Licht gesehen, das ging andauernd aus und an. Es war kaum zu erkennen, aber ich glaube, da signalisiert jemand hier herüber.“ „Du wärst wahrhaftig besser im Lager geblieben“, flüsterte Hans ungehalten. „Eine Wache läuft doch nicht davon, wo es hier so unsicher ist! Wenn dir nun etwas zugestoßen wäre!? So eine

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Unvorsichtigkeit! Na, es soll gut sein. Wecke schleunigst Jupp, der kann am besten Morsezeichen entziffern.“ Im Stillen bewunderte Werner den kleinen stämmigen Helmut, denn der Kerl hatte Mut. So bei Nacht und Nebel durch den finsteren Wald über die Geest an die See hinüberzulaufen, das war schon kühn. Nach knapp zwei Minuten war Jupp zur Stelle. Hans bestimmte: „Helmut geht mit uns. Erich, du weckst den Heinz, damit du nicht alleine zu wachen brauchst! – Wir ziehen los!“ Schnell und leise verließen die zwei Jungen das Lager. Sie liefen quer über eine Wiese und erreichten jenseits einen hohen Kiefernwald.

Blinkfeuer... Schweigend hasteten sie durch den dunklen Wald über die Geest. Jenseits führte sie Helmut etwa hundert Meter am Strand vorbei nach rechts, dann blieb er stehen und sagte leise: „Hier muss es gewesen sein.“ „Wo ist denn das Licht, das du gesehen haben willst?“ brummte Hans. „Es muss etwas links vom Leuchtturm sein und tiefer als das Blinkfeuer“, flüsterte Helmut. „Es war dicht über dem Wasser; ich sehe es jetzt auch nicht mehr...“ Die kleine Gruppe stand stumm und starrte hinüber... „Du hast Gespenster gesehen“, meinte Jupp. „Nein, da! – Da ist es!“ zischten plötzlich Hans und Helmut zu gleicher Zeit. Unwillkürlich kauerten sich alle in den Sand. Hans wies mit der Hand hinüber: „Da! Kannst du’s sehen, Jupp? – Geh vom Blinkfeuer senkrecht aufs Wasser hinab und dann etwas nach links.“ „Ich habe es!“ rief dieser. Eine kleine Pause entstand, dann fügte er hinzu: „Tatsächlich, da signalisiert jemand!“ „Gut, dann sieh zu, was du herauskriegst!“ Hans nahm Notizbuch und Tintenstift aus der Tasche. Die vier hatten nun alle das Licht entdeckt, aber es war nur sehr schwach und wegen des grellen Blinkfeuers kaum zu erkennen. Eine kurze Pause, dann diktierte Jupp leise: „d – p – u – n – k – t – 3 – 7 – 1 – 5 – 2 – 8 – d – p – u – n – k – t – 3 – 7 – 1 – 5 – 2 – 8 –...“ (Es folgte das Wiederholungszeichen und wieder zweimal die gleichen Zahlen und Zeichen.) Hans hatte mitgeschrieben und flüsterte: „Was bedeutet das, zum Kuckuck?“ „Das weiß der Himmel, am Ende eine Geheimschrift? Ruhig, es kommt etwas Neues!“ Drüben begann es wieder zu blinken, dieses niederträchtig schwache Lichtpünktchen. Werner Lindener hatte sich erhoben und starrte gebannt in die Nacht: an und aus, an und aus, lang-kurz, kurz, lang-kurz-lang, Punkte und Striche sandte ein Unbekannter da drüben in die Dunkelheit über das Meer... Wer mochte es sein, und was mochte er wollen? Und während Jupp nun weitersprach, einen Buchstaben nach dem anderen entziffernd, begann Werners Herz schneller zu schlagen vor atemloser Überraschung: „- a – c – h – t – u – n – g – d – o – n – n – e – r – t – s – t – a – g – m – o – r – g – e – n – e – i - n – u – h – r – m – u – s – s – a – l – l – e – s – f – e – r – t – i – g – s – e – i – n – h – a – r – r - y – a – u – f – d – r – e – i – u – h – r – b – e – s – t – e – l – l – t – z – e – l – t – l – a – g – e – r – m – u – s – s – m- i – t – t – w – o – c – h – e – n – d – g – ü – l – t – i – g – v – e – r – s – c – h – w – i – n – d – e – n – s – o – n – s – t – g – e – f – a – h – r – f – u – e – r – u – n – s – n – a – e – c – h – s – t – e – n – a – c – h – t – e – r – n – e – u – t – e – r – a – n – g – r – i – f – f – a – u - f – d – i – e - j – u – n – g – e - n u – l – t – i – m – a – t – u – m – s – t – e – l – l – e – n – s – c – h – l – u – s – s“ Das Morselicht erlosch, und nun sandte wieder nur mehr der Leuchtturm vom Renover Haken sein ruhig kreisendes Licht. Nach einer langen Pause, in der die Jungen kein Wort sprachen, begann das geheimnisvolle Licht seine Tätigkeit aufs Neue und brachte wiederum den gleichen Blinkspruch; dann kam nichts mehr. Die Jungen standen immer noch stumm da. Werner spürte: alle waren sehr erregt und konnten kaum mehr an sich halten. Hörbar ging ihr Atem. Er selbst suchte, wenigstens nach außen, ganz ruhig zu bleiben.

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„Kommt, Kerls“, sagte er, „der Knoten löst sich! Gehen wir doch etwas den Strand hier entlang und besprechen uns einmal ganz ruhig!“ Langsam stapften die vier Jungen durch den hohen Dünensand. „Wo, meinst du, dass die Kerle auf der Geest sitzen könnten? Nach eures Herrn Karsten Meinung wohnen hier doch nur grundehrliche Leute“, bemerkte Werner mit leisem Spott. „Diese Schufte könnten sich am Ende ganz gut unter den Gästen des Erholungsheimes ´Seestern´ verborgen halten“, glaubte Jupp. Hans blieb stehen und sagte: „Aber vom Erholungsheim aus kann man das Blinkfeuer bestimmt nicht sehen. Sieh mal, wie weit der Waldzipfel da in die See hineinstößt! Das Erholungsheim liegt dahinter, und da deckt der Wald sogar den Leuchtturm schon ab, dann aber sicher das Morsezeichen, denn das lag noch weiter nach links.“ Hans hatte Recht. Wenn das Erholungsheim hinter dem Waldzipfel lag, musste dieser fast die ganze Sicht auf Torland verdecken. „Also bleibt das Forsthaus“, warf Werner ein; „es kann ja schließlich doch bewohnt sein.“ „Das glaube ich nicht“, widersprach Hans aufs Neue, „und außerdem steht es mitten im Wald; hier verdecken die hohen Kiefern den Blick auf die See; das Haus ist sehr niedrig, man kann von ihm aus also das Sendelicht auch nicht sehen.“ „Dann bleibt also nur die Lotsenstation“, schloss Werner. „Und wenn euer Herr Karsten Recht hat, der behauptet, dass auch da unten nur grundehrliche Menschen wohnen, dann brauchen wir hier auf der Geest überhaupt nicht nach dem Lumpen zu suchen. Kerls, ich glaube, wir müssen uns ganz auf uns selbst verlassen und dürfen nicht auf das hören, was andere sagen, sonst kommen wir niemals weiter.“

Auf dem Leuchtturm? „Wie ist es denn mit dem Blockhaus?“ warf Jupp auf einmal dazwischen. „Mit welchem Blockhaus?“ fragte Werner erstaunt. „Nun, da unten, zehn Minuten vor der Lotsenstation, steht im Walde eine kleine verschlossene Hütte, direkt am Strande, von da aus konnte man das Licht sicher sehen.“ Werners Stimme klang erregt: „Hans, von dieser Blockhütte hast du mir ja noch gar nichts gesagt!“ „Daran habe ich tatsächlich nicht gedacht“, antwortete Hans verlegen. „Mit der Holzbude haben wir überhaupt nicht gerechnet, das stimmt. Dumm so was!“ „So bleiben einstweilen diese Blockhütte und die Lotsenstation zu erforschen, und finden wir da keine Spur und gar nichts Verdächtiges, dann müssen wir uns auch das Erholungsheim und das Forsthaus noch einmal ansehen, denn wir dürfen nicht vergessen, der oder die Leute, für die die Nachricht von Torland bestimmt war, können ja auch wie wir am Strand gestanden haben. Wir sind also noch lange nicht am Ziel. – Immerhin, wir wären ja keine Kerle, wenn wir die Geest nicht in ein paar Stunden in- und auswendig kennen sollten.“ „Wer mag aber nun eigentlich von Torland drüben gemorst haben?“ fragte Hans. „Das müssen wir unbedingt wissen.“ „Siehst du nun“, rief Werner, „wie gut es ist, dass wir Dienstag nach Torland segeln? Da haben wir die beste Gelegenheit, einmal Umschau zu halten.“ „Wenn’s bis dahin nicht zu spät ist“, erwiderte Hans. „Ich glaube schon mal, der Kerl sitzt auf dem Leuchtturm. Denk an das Erlöschen des Blinkfeuers in dieser Nacht!“ „Hans, sei mal still! - Hört ihr nichts?“ rief Jupp plötzlich mit gedämpfter Stimme. Die Jungen fuhren zusammen. „Was ist denn nun wieder?“ brummte Helmut. „Sssst!... Ganz still!... Da! Hört ihr nichts?“ Die vier Jungen standen wie angewachsen und horchten in die Nacht. Und deutlich trug der Wind das Geräusch eines knatternden Motors herüber. – Die vier verhielten sich lautlos, bis das Summen über den fernen Wassern erstarb. „Na, was sagst du nun?“ flüsterte Jupp fast heiser.

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„Ich glaube“, sagte Hans, „ich glaube, der Kerl da drüben hat gar nicht von der Küste, sondern von einem Motorboot aus gefunkt und kratzt nun ab. Und am Ende, wer weiß, am Ende sind auch Gottfried und Hermann mit dem Motorboot entführt worden; und dann mag der Himmel wissen, wo sie sind!“ „Was meinst du?“ fragte Jupp leise zu Werner hin. „Vielleicht! Aber warum soll der Kerl mit seinem Boot ausgerechnet von da drüben aus gemorst haben?“ „Weil da der Leuchtturm steht. In dem hellen Blinkfeuer fallen die Morsezeichen eben nicht auf.“ „Das wäre möglich.“ „Wenn wir nun schon mal wüssten, was die Zahl d.371528 zu bedeuten hat. Das wäre am Ende ein Anhaltspunkt, denn die Zahl spielt eine Rolle bei der Sache.“

Eine dunkle Gestalt Die vier Jungen waren bei ihrer lebhaften Unterhaltung rüstig weitergeschritten und hatten gar nicht beobachtet, dass sie zum Waldzipfel, der das Erholungsheim vorhin verdeckt hatte, langsam herumgegangen waren. Plötzlich lagen die Bauten vor ihnen: mehrstöckige Häuser mit hohen Schieferdächern, Baracken und große Holzhallen, die wohl früher einmal für die Flugzeuge bestimmt gewesen waren. Die Geest wird hier sehr eng und läuft schließlich in eine Spitze aus, von der dann der Steindamm in östlicher Richtung, den Bodden umschwenkend, nach Gravenhage hinübergeht. Die Jungen gingen über den Strand am Erholungsheim vorbei mit der Absicht, oben am Steindamm umzukehren und längs des Boddens wieder ins Lager zu gehen. Plötzlich jedoch blieb Hans wie angewurzelt stehen und griff erregt an Werners Schulter. „Mensch, da drüben!“ stieß er leise heraus. Er wies mit der Rechten auf den Steindamm hin, und dort stand, deutlich gegen den mondhellen Nachthimmel sich abhebend, keine zweihundert Schritte von den Jungen entfernt, unbeweglich eine hagere Gestalt, in einen langen Mantel gehüllt. Sie drehte den vieren den Rücken zu. „Donnerwetter!“ entfuhr es Werner. „Wer ist das?“ Die Jungen, im Dunkel am Waldrand wohl gedeckt, sahen zu dem geheimnisvollen Unbekannten hinüber. – Nun, wie es kam, wusste keiner zu sagen. Vielleicht hatte jener Einsame, der da unbeweglich mit starrem Blick über das Meer schaute, etwas gehört, genug, er drehte sich plötzlich zu der kleinen Gruppe hin. Die warfen sich blitzschnell zu Boden und schmiegten sich lang hin in die flachen Sandwellen der Düne. Ein paar Augenblicke vergingen, dann hob Werner einmal vorsichtig das Haupt und blickte zu der Stelle hin, wo der Fremde eben noch gestanden hatte... Er war verschwunden. Werner stieß die andern an: „Er ist weg!“ Behutsam standen die Jungen auf, sahen sich prüfend um, und Helmut lachte leise triumphierend vor sich hin: „Keine andere Möglichkeit, sage ich euch! Der ist ins Erholungsheim verduftet. Unser Feind sitzt in Herrn Karstens ´Seestern´!“ „Aber alles bleibt einstweilen unter uns“, sagte Werner.

Herr Karsten Halb sieben! Zeit zum Aufstehen! – Helle Signale klangen über die stille Waldwiese der Geest. In allen Zelten wurde es lebendig. „Raus, Kerls, es ist Zeit!“ Hurtig liefen die Jungen in ihrer leichten Turnkleidung an den Strand und stellten sich nach Lagerbrauch schweigend zu den Freiübungen auf. Es war ein frischer Morgen, kühl wehte der Wind von der Seeseite her, und in den Kiefern hing der Nebel und lagerte schwer über dem weiten Bodden. Die Buben froren. Als Werner vor das Zelt trat, liefen sie aber schon in schneidigem Dauerlauf um das ganze Lager, um warm zu werden. Wieder schmetterte nach kurzer Zeit ein Hornsignal durch die Luft; ein paar Minuten später standen alle Jungen sauber angezogen um das Lagerkreuz. Hans sprach das Morgengebet. Langsam stieg dann, während die Buben mit ihren hellen Stimmen ein Lied in den aufleuchtenden Morgen sangen, die große

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Lagerflagge am hohen Mast hinauf, ein tiefblaues Banner mit dem glühendroten Christuszeichen. Nach dem Lied wurde das Tagesprogramm bekannt gegeben. Die ´Möwen´ sollten kochen, die ´Schwäne´ das Lager säubern und die ´Falken´ eine Abfallgrube ausheben. Hans schloss: „Macht euch fertig für die Heilige Messe!“ Mit einem Schlag schwärmten die Buben auseinander, das Stillschweigen wich lautem Gelärm, man gab sich untereinander die Hand zum Morgengruß, und um Werner entstand ein frohes Gedränge. „Morgen, Werner! Endlich! Fein, dass du gekommen bist!“ schrie es durcheinander. Alle Jungen wollten ihn begrüßen, so dass fast eine kleine Balgerei entstand. Aber schon fielen auch die Namen Hermann und Gottfried. „Werner, du musst sie finden! – Wo, glaubst du, dass sie sein könnten, Werner?!“ klang es von allen Seiten. „Verlasst euch drauf, Kerls, in zwei Tagen sind sie spätestens wieder hier“, suchte der junge Mann das drängende junge Volk abzuschütteln. „Hoffentlich stimmt’s!“ dachte er bei sich. Die Buben ordneten sich und marschierten am Strand vorbei zum Erholungsheim. Ein paar ´Möwen´ blieben mit Julius zurück, um das Frühstück zu richten. Hinter der Horde gingen Helmut und Hans zusammen mit Werner. Ihr leise geführtes Gespräch drehte sich um den geheimnisvollen Fremden auf dem Steindamm, den sie vor ein paar Stunden im Mondlicht beobachtet hatten. „Ich lasse mich hängen“, murmelte Helmut, „wenn der nichts mit der Geschichte zu tun hat. Glaubt mir, der Kerl hat die Morsezeichen aufgenommen, die wir entdeckt haben.“ „Darüber wirst du am besten gleich einmal mit Herrn Karsten reden, Werner“, sagte Hans. „Ich will dich nach der Messe mit ihm bekannt machen. Auch mir scheint der Kerl verdächtig. Auf jeden Fall wollen wir erfahren, wer er ist, und darüber kann Herr Karsten wohl am besten Auskunft geben.“ Nach dem Gottesdienst suchte Werner den Leiter des Erholungsheimes auf. Beim Kaffee erzählte Werner dann von den geheimnisvollen Morsezeichen, die sie in der Nacht belauscht hatten. Schon während er sprach, merkte Werner, wie sein Gegenüber staunte, und kaum hatte der junge Mann geendet, fuhr Herr Karsten los: „Also, das ist schon gut! Auch von Torland hat man herübergefunkt, und hier zur Geest her, sagen Sie? Für wen soll das denn bestimmt gewesen sein?“ „Das will ich Ihnen sagen, Herr Karsten“, trumpfte Werner auf. „Ich weiß nichts Sicheres, aber ich habe einen starken Verdacht, dass vielleicht doch der eine oder andere Ihrer Gäste der Täter ist...“

„Da funkt einer!“ „Nanu!“ „Ja“, fuhr Werner fort, „es tut mir leid!“ Und mit einem kleinen Triumph erzählte der junge Mann dem überraschten Vorsteher des Erholungsheimes ´Seestern´ von dem geheimnisvollen Mann, den die vier Jungen vor einigen Stunden auf dem Steindamm stehen gesehen, und der so plötzlich verschwand, als sie näher kamen. Da lachte Herr Karsten ein recht vergnügliches Lachen: „Ja, Herr Lindener, nun hören Sie mal zu: Jener geheimnisvolle Mann, das war ich nämlich selbst.“ Jetzt sagte Werner: „Nanu!“ „Ja, und nun will ich Ihnen was erzählen. Stellen Sie sich vor, gegen viertel drei schlägt unten mein Hund an. Ich werde wach und, wissen Sie, die dummen Dinge da bei Ihnen haben mich doch stutzig gemacht. Ich ziehe mir Pantoffeln und Schlafrock an und gehe vors Haus. Draußen ist keine Menschenseele. Nur mein Treff jault und heult mir um die Beine. Ich sage: ‚Kusch dich!‘ und sehe mich etwas um. Und da blitzt plötzlich von der offenen See ein Licht herüber. Zum Kuckuck! Denke ich, wer kreuzt denn da herum? Das Licht flammt mehrere Male auf und erlischt, kommt aber näher, oder genauer gesagt, geht langsam nach links. Es war mir klar: Da wollte ein Boot nach Torland hinüber. Und wie es da so blitzt, sagte ich mir: da funkt einer; das ist interessant, die Zeichen schreibst du dir einmal auf! – Kennen Sie das Morsealphabet?“ Werner nickte.

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„Schön – ich verstehe nicht viel davon. Gleich können Sie meinen Zettel haben. Also: da blitzt es von dem Boot aus, und dann dreht es plötzlich und verduftet so schnell, dass ich bei dem Westwind deutlich das Knattern der Maschine hören konnte. – Na, ich war ein bisschen platt, wie Sie sich denken können. Auf einmal hörte ich nun ein paar Menschen kommen; wer’s war, konnte ich nicht erkennen. Aber im Schilde führten die nichts, denn sie sprachen ganz vergnüglich, und da habe ich mich dünngemacht, verstehen Sie, wegen meines leichten Kostüms!“ „So war das!“ sagte Werner nun ebenfalls lachend. „Sie können aber von Glück sagen, Herr Karsten! Stellen Sie sich nun einmal vor, wenn wir Sie jählings überfallen hätten?“ „Ja, hätten Sie mal tun sollen! Ich hatte ja auch mein Schießzeug bei mir. – Nun gut, hier sind die Morsezeichen“, fuhr Herr Karsten fort und schob Werner einen Zettel, die Rückseite einer Hotelrechnung, über den Tisch zu.

Ein unverständlicher Funkspruch Werner sah sich die Punkte und Striche an und entzifferte mit einiger Mühe folgende Worte: „achtung, bin einverstanden, komme donnerstag morgen drei uhr an die nordküste von torland. hole alles ab. alles muss fertig sein. hole zeitig herüber. harry. g-d-b-g-d-b- schluss.“ „Sie haben tadellos mitgeschrieben, Herr Karsten“, sagte Werner, nachdem er fertig war mit Übersetzen, und reichte das Blatt Herrn Karsten zurück. „Wir haben geglaubt“, fuhr er fort, „das Motorboot habe drüben in der Nähe des Leuchtturms gelegen und hier zur Geest herübergefunkt. Jetzt ist mir klar, dass man diese Nachricht hier von dem Boot aus an den Unbekannten gemorst hat, der seinerseits von Torland aus nach hier signalisierte.“ Herr Karsten antwortete: „Sie haben Recht. Aber weiß der Henker, was dahintersteckt. Wenn ich nun die Nachricht, die Sie, Herr Lindener, aufgefangen haben, mit meiner hier vergleiche, dann will also der Kerl da drüben auf Torland Donnerstagnacht ein Uhr hier von der Geest etwas abholen, was er um drei Uhr an den Harry auf Torland weitergibt. Sie und Ihr Lager aber bedeuten dabei eine Gefahr für diesen Herrn.“ Werner stimmte zu: „So ist es, Herr Karsten, und darum will man uns bis Mittwoch von hier weghaben.“ Langsam ging nun das Gespräch der beiden wieder auf die andere Frage über: Für wen auf der Geest waren die Morsezeichen bestimmt, die die Jungen aufgefangen hatten? Man überlegte hin und her, und Herr Karsten meinte: „Lotsenstation? Ausgeschlossen, die paar Leute da unten kenne ich. Prächtige Menschen. Die verschleppen keine Jungen. Forsthaus? Glaube ich nicht. Denn ich habe die Schlüssel in Verwahrung; das weiß hier jedes Kind. Da kann ich ja jederzeit rein. Glauben Sie nur, da verkriecht sich keiner drin. Bleibt noch die Holzbude da unten, die Wildfutterhütte, zu der hat der Förster selbst den Schlüssel. Wenn Sie meinen, brechen Sie das Ding auf und gucken Sie rein; das werde ich schon verantworten können. – Finden werden Sie aber nichts. Wenn der oder die Kerle, um die es sich dreht, tatsächlich auf der Geest sitzen, dann halten die sich irgendwo in den Wäldern verborgen, und die dann finden, das dürfte ein Kunststück sein. Oder glauben Sie, sich Erfolg versprechen zu können? Mein Vorschlag wäre, Sie sollten sich an die Polizei wenden, oder...“ „Ich habe allerdings wegen der beiden Jungen auch schon daran gedacht“, bemerkte Werner, „aber...“ „Wenn Sie’s tun, müssen Sie sich schon gleich nach Grevemünde wenden, denn drüben der alte Heister in Ranau kann nur Protokolle machen. Doch Sie sagen ´aber´?“ „Jawohl, Herr Karsten, ich habe ein Bedenken. Sehen Sie, für uns ist es wertvoll, wenn die Schufte, die gegen uns arbeiten, sich sicher fühlen und glauben, mit uns könnten sie machen, was sie wollen. Sobald aber Polizei anrückt, werden sie vorsichtig. So aber machen sie einmal eine kleine Dummheit, weil sie sich sicher fühlen, und die nutzen wir dann aus. Denken Sie einmal an die Morsezeichen, Herr Karsten! Die Kerle hätten bestimmt nicht offen signalisiert, wenn sie sich irgendwie beobachtet oder gar verfolgt glaubten.“ „Das lässt sich hören“, antwortete Herr Karsten, „aber was wollen Sie denn machen?“

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Werner Lindener schmunzelte. „Ganz einfach, Herr Karsten! Wir legen uns diese Nacht auf die Lauer, und wenn die Kerle kommen, um den von Torland befohlenen Angriff zu machen, fangen wir sie ab, und dann werden wir schon hören, wo unsere beiden Jungen sind.“ „Ist das nicht zu gefährlich?“ „Nein, wie ich es mir denke, nicht.“ „Na schön, probieren können Sie’s ja, und wenn Sie meine Hilfe irgendwie brauchen, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.“ „Danke schön, Herr Karsten. – Dann möchte ich auch gleich mit einer Bitte kommen. Gestatten Sie, dass unsere jüngeren Buben diese Nacht in Ihren Baracken schlafen dürfen?“ „Wenn’s weiter nichts ist, von Herzen einverstanden.“ Damit war die Unterredung beendet. Werner dankte Herrn Karsten noch einmal für seine Hilfsbereitschaft und verabschiedete sich. Nachdem Herr Karsten seinen Besucher noch bis zur Haustür geleitet hatte, ging er in sein Büro und suchte dort an einem Schlüsselbrett ein paar Schlüssel heraus. „Wird doch gut sein“, brummte er vor sich hin, „wenn ich mir heute Nachmittag einmal die alte Bude wieder von innen ansehe.“ Mit der alten Bude meinte er das Forsthaus. Die Schlüssel legte er auf seinem Schreibpult bereit.

Neue Spuren und ein Verdacht Als Werner ins Lager zurückkam, waren alle Buben feste bei der Arbeit. Die ´Möwen´ schälten Kartoffeln für das Mittagessen, und die beiden anderen Fähnlein schafften, wie ihnen das Tagesprogramm aufgetragen hatte. Werner Lindener suchte nach Hans; er fand ihn in der Nähe des Vorratszeltes, wo er mit Julius aufmerksam hinter einem Ginsterbusch den Boden zu untersuchen schien. „Du“, sagte er, als Werner bei ihm stand, „wir sind diese Nacht belauscht worden. Da haben wir gesessen, als ich dir vom Verschwinden Gottfrieds und Hermanns berichtete, und hier im Gebüsch hat der Kerl gekauert, der auf der rechten Sohle den Lederfleck trägt. Da sind wieder die gleichen Spuren im Sand. Sie sind noch ganz frisch, bestimmt noch keinen halben Tag alt.“ Werner war überrascht. „Man muss sich aber doch über die Frechheit dieser Lumpen wundern!“ sagte Hans. „Stell dir nur vor, wenn wir den Kerl bemerkt und abgefangen hätten!“ „Nun, das können wir ja in der nächsten Nacht tun“, lachte Werner. „Komm, ich muss dir was erzählen.“ Und langsam über den Thingplatz des Zeltlagers auf und nieder schreitend, besprachen die beiden den Plan für die kommende Nacht. Man sah es dem zufriedenen Gesicht von Hans an: das, was Werner ihm da auseinanderlegte, gefiel ihm. Einmal rief er sogar so laut: „Mensch, das wird sauber!“, dass es über den ganzen Lagerplatz schallte. – Eben schritten sie wieder auf das Küchenzelt zu, als ein kleiner, aber ziemlich dicker ´Schwan´ auf die beiden zukam; er strich in ihrer Nähe herum, und Hans rief ihm schließlich zu: „Bill willst du was?“ Bill bekam einen roten Kopf und druckste dann stotternd heraus: „Meine Decken sind weg!“ „Seit wann?“ „Ich weiß nicht genau, vermisst habe ich sie erst gestern Abend, als ich mich zudecken wollte.“ „Das ist schlimm; aber brauchst keine Sorge zu haben, Bill, ich frage gleich beim Essen einmal nach; vielleicht hat ein anderer die Decken auf die Seite gelegt. Lauf nur jetzt!“ Der dicke Bill schob ab. Hans blickte etwas ärgerlich zu Werner hin, der der kurzen Unterhaltung aufmerksam gefolgt war. „Das fehlt noch gerade“, brummte Hans. „Jetzt kann ich auch noch nach den Decken suchen.“ „Ich glaube nicht, dass du sie finden wirst“, entgegnete Werner. „Nanu, das wäre ja noch schöner.“

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„Hör mal zu“, fing Werner an, „mir ist da ein Gedanke gekommen. Sieh mal, wenn man einem Jungen so eine Decke über den Kopf wirft, dann schreit der nicht mehr. Ich glaube, die Decken sind nicht weit von Gottfried und Hermann weg.“ Hans sah Werner ganz erstaunt an. „Meinst du?“ „Ja, ich meine. – Komm, wir sehen uns einmal die Gegend an, wo die Decken gelüftet wurden.“ Die beiden gingen zu der Stelle hin und untersuchten genau die nähere und weitere Umgebung. Auf einmal bückte Hans sich und hob etwas vom Boden auf. Er hatte einen kleinen, gelben Bleistift gefunden mit einer silbernen Hülse. In diesem Augenblick pfiff Julius zum Mittagessen. Als die Jungen alle versammelt waren, fragte Hans, ob jemand etwas von Bills Decken wisse. Nur ein allgemeines Lachen war die Antwort – wahrscheinlich wegen Bill, dem dicken, ewigen Pechvogel. Aber von den Decken wusste niemand etwas. „Und wem gehört der Bleistift hier?“ Pause! – Einige Jungen durchwühlten ihre Taschen, andere kamen, den gezeigten Bleistift einmal genauer zu besichtigen. Da rief der rothaarige Peter: „Der Bleistift gehört dem Gottfried; ich habe ihn am Donnerstag von ihm geliehen.“ „Auch wiedergegeben?“ meinte Hans. „Ist doch klar!“ tönte es beleidigt von Peter zurück. „Am Ende könntest du Recht haben mit deiner Vermutung“, sagte da Hans leise und blickte zu Werner hin. „Gottfried könnte den Bleistift bei dem Überfall verloren haben.“ „So wird es wohl gewesen sein“, bemerkte der. Eine geraume Zeit lang sah Hans schweigend vor sich hin, dann sagte er leise: „Werner, wenn wir doch wüssten, wo unsere beiden Jungen sind! Glaubst du, dass wir sie bald wieder bei uns haben?“ „Gottvertrauen, Hans! Kopf hoch! Wir müssen hoffen, dass die beiden gesund und noch am Leben sind. Was wir für sie tun können, wird geschehen. Für das Übrige muss der Schutzengel der beiden sorgen. An ihn wollen wir uns halten, denke ich.“

Ein Beobachter im Versteck Gegen halb drei blies der Lagerhornist wieder sein helles Signal. Es klang gleich nach etwas ganz Besonderem, und alle Buben liefen um Hans zusammen. Zuerst erhielt jeder von ihnen ein großes Stück Brot – gegen den Hunger –, und dann verkündete der Lagerleiter, ´Schwäne´ und ´Möwen´ würden nun zu einem Geländespiel losmarschieren, das bis zum Abend dauern werde. Die ´Falken´ hätten für das Abendessen zu sorgen. So hatte Werner es mit Hans am Vormittag überlegt, denn die ´Falken´ durften bis zum Abend nicht zu müde werden, weil Werner sie in der Nacht brauchte. Werner blieb bei den ´Falken´ zurück und schrieb einen langen Brief an Dr. Everhardt, der letzteren genau über die Ereignisse auf der Geest aufklärte. Als Werner den Brief fertig hatte, war es schon reichlich über fünf Uhr. Die ´Falken´ hatten bisher faul in der Sonne gelegen und begannen nun langsam, das Abendbrot zu richten. Zwei von ihnen wollten gerade zur Försterei, um Wasser zu holen. Kurzerhand schloss Werner sich ihnen an, um sich bei der Gelegenheit das Gehöft einmal anzuschauen. In knapp zehn Minuten war das Forsthaus erreicht. Es war ein niederes, einstöckiges Gebäude mit einem Strohdach. Wie ausgestorben lag es in der Hitze des Nachmittags unter den breitastigen Tannen. Alle Fensterläden waren fest verschlossen, und auf der Türschwelle war vom regen Sand angeschwemmt worden. Mehrmals schritt Werner um das einsame Gehöft herum, untersuchte den Boden, betrachtete scharf die Fensterläden, rüttelte daran. Aber sie waren fest verschlossen. Werner spitzte die Ohren, ob er im Innern des Hauses nicht vielleicht ein Geräusch vernehmen könne. Alles blieb totens till. Er blickte durchs Schlüsselloch der Haustür; drinnen war alles finster. Zum Schluss durchschritt Werner langsam die Scheune und das Brunnenhäuschen, aber auch hier fand er nichts, was seine Aufmerksamkeit hätte erregen können. So machte er sich schließlich wieder auf den Heimweg, allerdings mit dem Gedanken, am nächsten Morgen doch einmal von Herrn Karsten die Schlüssel zum Forsthaus zu erbitten.

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Den Mann, der während der ganzen Zeit, die Werner um das Forsthaus herumstrich, jenseits des Waldweges in der Tannenschonung hockte, hatte der junge Mann nicht gesehen. Nachdem er fast schon wieder eine halbe Stunde im Lager war, verließ jener Lauscher sein dichtes Versteck. Es war der gleiche, der auch in der Nacht vorher von einem niederen Kieferngestrüpp aus dicht beim Lager den Bericht von Hans und Werner belauscht hatte, der Mann mit den kleinen Schuhen, auf deren rechter Sohle ein Lederfleck aufgesetzt war. Wenn Herr Karsten übrigens, wie er es ja vorhatte, am gleichen Nachmittag ‚einmal das Forsthaus wieder von innen beschaut hätte‘, wäre manches anders gekommen. Aber er kam nicht dazu, denn an diesem Nachmittag kamen neue Gäste, und das alte Fräulein aus Düsseldorf musste ins Krankenhhaus gebracht werden.

Geheimnis um das Forsthaus Nach dem Abendessen standen die Jungen noch eine kurze Weile in kleinen Gruppen beisammen oder saßen am Wasser und sahen in die langsam aufsteigende Dunkelheit der Nacht. In tiefem Frieden lag der See. Als der Vollmond hinter den Wäldern Gravenhages langsam in die Höhe stieg, betete Hans das Abendgebet. Stumm standen die vierzig Jungen im großen Ring um das Lagerkreuz. Ein feines Abendlied, von mehreren Gitarren schlicht und gedämpft begleitet, klang über die Geest hin. Der Abendwind trug es über die Wellen zu den fernen Lichtern von Ranau. Dann reichten sich die Buben die Hand zu einem geschlossenen Kreis, die Lagerflagge glitt lautlos zu Boden. „Gute Nacht“, sprach Hans klar und fest, und „Gute Nacht!“ schallte es ihm als Antwort der Jungen entgegen. Nun lösten sich die Hände, lautlos holten ´Möwen´ und ´Schwäne´ ihre Decken aus den Zelten, ordneten sich in Viererreihen und marschierten mit Heinz schweigend zu den Baracken des Erholungsheimes, um diese Nacht dort zu schlafen. Die ´Falken´ waren zurückgeblieben und sammelten sich auf ein Wort von Hans hin am Vorratszelt. Noch hatte ihnen niemand gesagt, was diese Nacht vor sich gehen sollte, aber sie fühlten, es musste etwas Besonderes sein. Julius und Hans gesellten sich zu den Wartenden; ein wenig später kam Werner. „Kerls“, begann er leise, „diese Nacht sollt ihr etwas für Gottfried und Hermann tun. Hört einmal scharf zu!“ Und flüsternd legte er nun seinen schweigenden Kameraden den Plan für die kommende Nacht dar. Drei ´Falken´ sollten mit Werner im Vorratszelt schlafen, vier mit Hans im Zelt der ´Schwäne´ und die übrigen vier mit Julius jenseits des Thingplatzes unter freiem Himmel hinter dichten Kiefernsträuchern. „So haben wir“, fuhr Werner fort, „unser Lager selbst eingekreist. Je einer von euch muss nun immer wach bleiben, und sobald sich etwas Ungewohntes regt, die anderen wecken. Ihr müsst euch natürlich abwechseln.“ Die Absicht des jungen Mannes war, den Gegner ruhig auf den Lagerplatz kommen zu lassen. Dann wollte Werner plötzlich seine Leuchtpistole abschießen, und das war das Signal für alle übrigen, auf den nächtlichen Besuch loszustürzen, mit bereitgehaltenen Decken ihn niederzuwerfen und zu fesseln. „Ich bin sicher, dass unser Plan gelingt. Mehr als zwei Mann werden es kaum sein, denn es waren auch bisher nicht mehr. Das grelle Licht der Rakete wird sie blenden, erschrecken, und ehe sie sich von ihrer Überraschung erholt haben, muss schon alles vorbei sein. Also, Kerls, seid fix und habt Mut.“ „Wenn die Lumpen aber nun bewaffnet sind“, warf Georg, die ´Brillenschlange´, ein wenig furchtsam ein. „Auch daran habe ich gedacht, und ich werde schon meine Scheintodpistole bereithaben, lieber Schorsch. Die wirkt unfehlbar und macht den Gegner im Nu wehrlos. Wenn wir nur schnell sind! Der Gegner ahnt ja nicht, dass wir ihn erwarten. Also, Kerls, habt ihr Mut und wollt ihr mittun?“ fragte Werner. „Ja“, sagten die 'Falken' mit fester Stimme. Ihre Augen sahen hell in das Dunkel der Nacht, ihre Glieder strafften sich entschlossen. „Gut! - Hans, dann übernimm du die Einteilung!“

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Hans machte es kurz. Helmut, Karl und Friedel kamen zu Werner; Jupp, Paul, Erich und Franz zu Julius, die übrigen vier zu Hans selbst. „Und nun auf die Plätze, Kerls! Macht eure Sache gut, ich verlasse mich auf euch!“ Mit leisem Schritt bezogen die drei Gruppen ihren Standort, und wenige Minuten später lag der weite Lagerplatz lautlos still im Mondlicht. Werner hatte sich mit seinen drei Gefährten im Vorratszelt eingenistet. Hinter seinem Kopfkissen lagen Leuchtpistole und Scheintodwaffe griffbereit. „Glaubst du, dass die Kerle kommen?“ flüsterte ihm Helmut zu. „Bestimmt!“ entgegnete Werner, „du kennst doch die Morsezeichen der letzten Nacht!“ „Richtig, aber. . .“ „Nichts aber, Helmut, jetzt schläfst du! Denk daran, dass wir diese Nacht unsere Nerven beisammen haben müssen.“ Helmut brummte noch etwas, dann warf er sich mit einem Ruck auf die Seite und schien bald zu schlafen. Werner übernahm selbst die erste Wache am Zelteingang. Alles blieb still. Nach einer Stunde weckte er leise den Friedel und legte sich zum Schlaf hin. „Beim geringsten Laut weckst du mich, Friedel. Und nun gib scharf Acht!“ Dann streckte sich Werner, und bald schlief er fest. Es war drei Uhr in der Nacht. Der Himmel hatte sich schwach bewölkt. Bisweilen nur noch warf der Mond sein fahles Licht gespenstig über Wald und Wasser und über den einsamen Lagerplatz. Hin und wieder glitzerte ein Stern vom Himmel, und rundum blinkten die Leuchtfeuer - an... aus..., an…aus..., an, aus... Da bekam Werner einen festen Stoß in die Rippen. „Auf, los!“ flüsterte Karl. „Sie kommen!“ Werner fuhr hoch, mit ihm Helmut und Friedel. Sprungbereit kroch alles in die Zeltluke. Drüben am Waldrand duckte sich Julius mit seiner Schar, im Zelt der „Schwäne“ fieberten die anderen . . . Es ging los! Lindener hielt seine Pistolen schussbereit. Er sah die mondbeschienene Waldwiese vor sich liegen, in der Ferne von den dunklen Tannen umgrenzt. Die Nachtluft war noch ziemlich warm und von einem schweren Heuduft gesättigt, den der Wind von Süden herübertrug, wo die Bewohner der Lotsenstation am Tag gemäht hatten. Karl zeigte Werner die Richtung, aber in der Dunkelheit konnte er nichts sehen. „Da, sie kommen näher...! Jetzt kannst du sie nicht sehen!“ flüsterte Karl. „Aber jetzt . . da, sie stehen auf der Wiese!“ Richtig, da bewegten sich zwei Gestalten vorsichtig auf die Zelte zu. Einen Augenblick lang brach das Mondlicht hell durch die Wolken. Werner sah deutlich, wie die beiden näher kamen, sie duckten sich, waren höchstens noch hundert Meter entfernt. Jetzt krachte ein dürrer Zweig. Gleich standen beide still, und einer richtete sich behutsam auf. Es war eine schwere Gestalt. „Mein Gott, das ist ja ... da drüben, das ist ja...!“ „Helmut, bist du wohl still! Um Himmels willen, du verrätst uns ja!“ zischte Werner dem plötzlich erregt auffahrenden Jungen zu. Helmut presste beide Hände vor den Mund, duckte den Kopf ins Gras und stöhnte leise. Er zitterte an allen Gliedern. Werners Nerven bebten. „Was hat der Kerl nur?“ fuhr es ihm durch den Kopf, „hoffentlich macht er keine Dummheiten!“ Aber noch hatten die beiden Männer auf der Wiese nichts gemerkt. Werner nahm die beiden Pistolen langsam hoch, duckte sich zum Sprung ... immer noch schlichen die Männern näher, einen Augenblick lang richtete sich Helmut wieder auf, da kam das Pech. Mit einem gellenden Schrei sprang der Junge plötzlich auf die beiden Unbekannten los, und „Halt, stehenbleiben!“ hallte es schrill über die nachtstille Wiese und im Echo vom Waldrand zurück. Von allen Seiten sprangen im gleichen Augenblick die Jungen hoch. „Kerl, bist du toll!“ schrie Hans von drüben Helmut zu. Die Männer aber, fünfzig Meter ungefähr vom Lager entfernt, waren wirklich einen Augenblick stehen geblieben, dann drehten sie um und liefen schnell davon. Werner schoss zwar seine Rakete ab, und deutlich sah man, wie die beiden über die Wiese liefen und jenseits im Wald verschwanden, dann war's aus.

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Enttäuschung Zitternd stand Helmut vom Boden auf. Mit einem Riesenkrach wollten die 'Falken' über ihn herfallen ... „Haltet Ruhe!“ fuhr Werner sie an, „und hört zu! Vier Mann gehen jetzt mit Julius hier die Küste entlang, langsam bis zur Lotsenstation und wieder zurück. Ihr beobachtet scharf den Bodden, bis es hell ist, ob jemand von der Geest mit einem Boot hinüberfährt. Geschieht's, gut Acht geben, wohin es fährt. Los! Haltet euch unter den Bäumen, damit ihr nicht gesehen werdet. - Ihr anderen fünf geht auf dem schnellsten Weg an die offene See und tut das gleiche. Langsam zur Lotsenstation hinunter und wieder zurück, bis es hell ist. Acht geben, ob jemand nach Torland hinüberfährt! - Los, Helmut, geh mit! Wir reden nachher noch miteinander!“ Die Jungen verschwanden eilends in der Dunkelheit. Hans und Karl blieben mit Werner zurück. Hans war recht niedergeschlagen über Helmuts mangelnde Selbstbeherrschung. „Nun hat der Kerl uns alles verdorben“, sagte er zu Werner. „Stell dir vor, wenn wir die Lumpen jetzt in unserer Gewalt hätten. Jetzt werden unsere Gegner sich natürlich höllisch in Acht nehmen, dass wir sie nicht noch einmal erwischen. Es ist zum Verzweifeln.“ „Kopf hoch, Hans!“ entgegnete Werner. „Der Zwischenfall mit Helmut ist gewiss ärgerlich, aber wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen, hörst du! Die Jungen sind weg in zwei Gruppen, wir beide sind die dritte. Pass auf, es wird noch alles gut. Wir machen uns jetzt an das Forsthaus heran, schnell natürlich, und sehen zu, ob da etwas los ist. Kommen wir alle, die 'Falken' und du und ich, ohne Erfolg zurück, dann gehören die Kerle von vorhin eben doch ins Erholungsheim oder zur Lotsenstation. Hat aber einer von uns Erfolg, dann wissen wir mehr. Also komm!“ Werner bat den zurückbleibenden Karl, noch weiter zu wachen, und dann gingen die beiden Jungen eilends davon. Sie liefen durch den finsteren Wald, stolperten in der Dunkelheit über Baumwurzeln und rissen sich die nackten Knie blutig an dem dichten und dürren Tannenunterholz, aber was tat's! Sie rannten und rannten.

Gespensterhaft in der Stille der Nacht In knapp fünf Minuten waren sie am Forsthaus. Es lag gespensterhaft öde mit seinen verrammelten Läden in der Stille der Nacht. Einen Augenblick standen die beiden still, aber nichts rührte sich. Werner flüsterte: „Hoffentlich kommen wir nicht zu spät!“ Dann suchten sie sich einen guten Beobachtungsposten. Nach einigem Zögern entschied sich Werner für die Scheune. Sie lag dem Wohnhaus genau gegenüber und hatte zwei große Einfahrten, die sich ebenso gegenüberlagen, je eine in den beiden Längsseiten der Scheune; sie war also halb offen. Das eine Tor gab einen guten Überblick auf das Forsthaus, das andere Tor gestattete einen breiten Blick nach Süden in den Wald und über den Weg, der rechts an der Scheune vorbeiführte. Und von Süden her vermutete Werner das Kommen der Männer. An dieser Seite sollte sich Hans hinter die Scheunenwand legen, durch ein paar Garben Strandhafer gedeckt, den Kopf dicht am Tor, denn Hans hatte scharfe Augen. Werner nahm selbst dem Hans gegenüber Posten in derselben Weise. So lagen nun die beiden in der Scheune und spähten abwartend in die Nacht. Alles blieb ruhig. „Hoffentlich kommen die Kerle, oder die 'Falken' haben wenigstens Erfolg“, dachte Werner, „sonst stehen wir tatsächlich wieder am Anfang, nur mit dem Unterschied, dass unsere Gegner nun vorsichtiger sein werden.“

Das Forsthaus ist doch bewohnt! Aber Minute um Minute verrann. Die beiden lagen unbeweglich auf dem festgestampften Lehmboden der Tenne. Werner hörte sein Herz in der Brus t schlagen, und bisweilen ächzten und flüsterten draußen

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die Tannen im Winde; sonst war alles totenstill. Schon kam ihm leise der Gedanke: gehen wir nach Hause, das Lauern ist umsonst, und die alte Bude hier ist und bleibt unbewohnt. Da, nach einer halben Stunde etwa, wurde Hans unruhig; er flüsterte: „Hinten kommt jemand!“ „Ruhig bleiben! Kopf möglichst zurück!“ Werner beobachtete weiter das Haus. Zwei schier endlose Minuten vergingen, aber dann hörte man Schritte ... Hans und Werner bissen die Zähne aufe inander und mussten sich zwingen, unbeweglich und ruhig zu bleiben. Herrschaft, war das schwer! Die Schritte näherten sich, gingen an der Scheune vorbei, und dann war es soweit ... ein Schatten fiel über den Weg, und nun sah Werner einen nicht eben großen Mann mit hochgeschlagenem Rockkragen schnell, aber doch ziemlich ruhig auf das Forsthaus zuschreiten, über den Hof zur Tür. Er zog einen Schlüssel aus der Hosentasche, schloss die Tür auf und verschwand im Innern der Försterei. Werner hörte noch, wie der Schlüssel innen herumgedreht und abgezogen wurde, dann war wieder alles ruhig. Langsam atmete Werner auf, ein ungeheurer Druck in ihm löste sich, behutsam richtete er sich empor. Hans kroch leise zu ihm hin und flüsterte: „Das Forsthaus ist also bewohnt!“ „Jawohl“, gab Werner zurück, „das wissen wir jetzt, und das genügt einstweilen. Komm, wir müssen nun ins Lager zurück!“ Vorsichtig und ohne jedes Geräusch brachten sich die beiden aus dem Bannbereich des Forsthauses, erst einige fünfzig Meter von ihm entfernt wagten sie, schneller zu gehen, und ein paar Minuten später waren sie wieder an den Zelten. „Das war einer von den Kerlen, die wir vorher hier auf der Wiese gesehen haben“, war das erste, was Hans sagte. „Und wo mag der andere sein?“ fragte Werner. „Ja, der andere! Weißt du, an wen der mich erinnerte?“ sprach Hans mehr zu sich selbst als zu Werner hin: „An den dicken Herrn von der 'Hansa'!“ Unterdessen kamen auch die beiden Spähergruppen zurück. Beide hatten sie die Ufer der Geest genau beobachtet, aber es war weder nach Torland noch über den Bodden nach Gravenhage ein Boot von der Geest abgefahren. Hans brummte: „Also ist der Kerl noch auf der Geest! Aber wo nun?“ „Am Ende in der Blockhütte!“ „Ich werde sie nachher gleich untersuchen ... Vielleicht ist er auch ins Forsthaus und nur etwas später gekommen als der erste.“ „Mag sein“, entgegnete Werner, „dann dürfte es aber kaum euer dicker Herr sein; denn der gehört nach Torland.“

Erneute Drohung Die 'Falken' waren auf dem Weg ins Erholungsheim zur Messe. Man ging am Strand vorbei. Hinterher schritten Werner und Hans. Ihr leise geführtes Gespräch war sehr ernst. „Glaubst du, Gottfried und Hermann könnten vielleicht doch im Forsthaus festgehalten werden?“ fragte Hans. „Nein, das glaub' ich nicht. Ein Kerl wie Gottfried hätte sich längst bemerkbar gemacht.“ „Wo mögen sie wohl sein? Werner, wenn sie nur noch leben und gesund sind!“ „Das wollen wir nun doch hoffen, Hans!“ „Ich frag' mich immer schon, was der Kerl von dieser Nacht so geheimnisvoll in der Försterei zu schaffen hat! Wenn wir das wüssten . . .“ „Dann wären wir allerdings weit genug“, vollendete Werner den Satz. „Ja, und was willst du nun machen?“ fragte Hans weiter. „Nächste Nacht lauern wir den Kerlen wieder auf“, antwortete Werner. „Das ist ganz klar. Sieh mal, die beiden Gangster wollen und müssen uns bis Mittwoch von hier weghaben. Sie werden in der nächsten Nacht aufs Neue versuchen, uns einen gemeinen Streich zu spielen. Aber diesmal lassen wir sie gar nicht bis zum Lager kommen. Wir schle ichen uns ans Forsthaus und fangen sie gleich da ab, wenigstens den

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einen, der in der Bude drin ist. Und dann werden wir auch erfahren, was in dem alten Gemäuer so Rätselhaftes vor sich geht.“ „Glaubst du denn, dabei mehr Glück zu haben?“ fragte Hans. „Bestimmt“, sagte Werner, „diesmal muss es klappen.“ „Können wir denn unser Lager die Nacht im Stich lassen?“ „Wieso im Stich lassen? Julius bleibt mit einer Wache zurück, mit meiner Leuchtpistole, und wenn Gefahr droht, schießt er eine Rakete ab. In wenigen Minuten können wir dann wieder im Lager sein.“ In diesem Augenblick hörten die beiden Jungen hinter sich hastige Schritte. Sie wandten sich um; mit fliegendem Haar, nassgeschwitzt und hinter Atem kam Helmut angerannt. „Da, das hab' ich an der krummen Kiefer da hinten gefunden“, keuchte er und gab Werner ein Blatt Papier. Darauf stand: „Wenn ihr bis heute Abend die Geest nicht verlassen habt, machen wir kurzen Prozess mit euch! Denkt an die beiden Geiseln! Euer Spionieren haben wir satt! Ihr seid zum letzten Male gewarnt!“ Werner gab das Blatt Hans, der las auch und wurde bleich. „Was nun, Werner?“ „Auch jetzt noch müssen wir bei meinem Plan bleiben, Hans, denn wo Gottfried und Hermann sind, wissen wir nicht. Haben wir nur diesen Kerl aus dem Forsthaus einmal fest, dann nützt das den beiden auch. Aber ruhig, Hans, da kommen die Jungen!“ Wenn die beiden geglaubt hatten, die 'Schwäne' und 'Möwen' wären der Meinung, man hätte sie nur zum Spaß die letzte Nacht in den Baracken schlafen lassen, dann war das ein arger Irrtum. Kaum waren die beiden in der Nähe der Baracken, da stürmte auch der ganze wilde Haufen der übermütigen Jungen auf sie los, überschüttete sie mit Fragen und wollte wissen, was diese Nacht im Lager los gewesen sei. Aber die beiden schwiegen sich aus, da half kein Schmollen und kein Betteln. Kurzerhand schob Werner die ungeduldigen Kerle in die Kapelle, und dann begann die Heilige Messe. Hans bangte um Gottfried und Hermann. Werner aber war voll Hoffnung. Nach der Danksagung - die Buben marschierten gleich alle wieder ins Lager zurück - machte er seinen zweiten Besuch bei Herrn Karsten; er traf ihn in seinem Büro.

Herr Karsten wundert sich. „Nun, haben Sie jemand erwischt diese Nacht?“ begann der gleich zu Werner. Werner erzählte kurz das nächtliche Erlebnis der Gruppe. „Sie sehen, lieber Herr Karsten, das Forsthaus ist doch bewohnt!“ „Hätte ich tatsächlich nicht für möglich gehalten. Wissen Sie, schlau ist der Mann, der nun da drin sitzt, aber nicht, wirklich nicht! Schafsdumm ist er! Ich habe doch den Schlüssel von der Kate. Da liegt er auf dem Pult; gestern Morgen habe ich ihn herausgelegt, um am Nachmittag noch in die Bude hineinzusteigen. Ich hab's ja nun nicht getan, weil die Zeit nicht langte; aber da kann der Kerl doch nichts zu. So was verstehe ich einfach nicht.“ „Nun, Herr Karsten. Vielleicht weiß der Kerl nicht, dass Sie einen Schlüssel haben, und außerdem: bisher haben Sie es doch wahrhaftig nicht eilig gehabt, das Forsthaus zu untersuchen, einfach, weil Sie keinen Verdacht haben, und damit haben der oder die Kerle gerechnet. Sie sagten sich eben: Wo man uns am wenigsten vermutet, da sind wir am siche rsten.“ „Jetzt werde ich aber die Bude erstürmen“, polterte Herr Karsten los. „Tun Sie's bitte nicht“, bat ihn Werner und legte seinen neuen Plan dar, diese Nacht an das Forsthaus heranzuschleichen, seinen Bewohner beim Verlassen des Hauses zu fassen und dann selbst in dieses einzudringen, um dem geheimen Treiben des Kerls auf die Spur zu kommen.

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Seltsames Briefpapier Dem Leiter des „Seestern“ schien das Vorhaben der Jungen erst etwas bedenklich; doch er gab sich bald einverstanden. Zum Schluss zeigte ihm Werner noch das Ultimatum, das Helmut auf der Wiese beim Lager gefunden hatte. Herr Karsten las es aufmerksam, besah sich das Blatt von beiden Seiten, rieb es zwischen den Fingern und meinte: „Eigentümliches Briefpapier; finden Sie nicht auch?“ „Wieso eigentümlich?“ fragte Werner. „Ja - wieso weiß ich auch nicht, aber das Papier ist merkwürdig.“ Er sah sich noch einmal den Brief genau an, konnte aber nichts Besonderes feststellen. Etwas glatt kam ihm zwar das Papier vor und auch ziemlich stark, das war aber alles. „Schließlich auch Nebensache“, brummte Herr Karsten. „Die Hauptsache ist der Inhalt des Wisches! Na, wenigstens wissen Sie nun, dass Ihre beiden vermissten Jungen noch leben. Vielleicht ist es ja nicht…“ „Aber es ist mir doch eine große Beruhigung“, erwiderte Werner. „Allerdings tappen wir trotz allem noch im Dunkeln…“ „Hier auf der Geest sind sie wohl kaum.“ „Nein, Herr Karsten, das glaub' ich auch nicht. Vielleicht hält man sie auf Torland fest, vielleicht auch auf Gravenhage drüben, vielleicht hat man sie auch mit dem geheimnisvollen Motorboot anderswohin geschafft. Und trotzdem, ich werde sie finden, Herr Karsten“, sagte Werner. Herr Karsten gab ihm den auf dem Pult liegenden Schlüssel zur Försterei.

Sturm droht „Den können Sie diese Nacht ja wohl gebrauchen. Und ... was ich Ihnen noch sagen wollte: Es tut mir leid, aber da habe ich gestern Abend von Cap Rosa die Nachricht bekommen, dass in den nächsten Tagen Sturm zu erwarten ist.“ „Wie?“ fragte Werner. „Ist das so gefährlich, dass man den überall ansagen muss?“ „Ja, Sie Landratte, Seesturm ist wahrhaftig kein Spaß. Sie werden gut tun, morgen oder übermorgen Vorsorge für Ihr Lager zu treffen. Wenn's richtig losgeht, müssen Sie damit rechnen, dass ihnen die Zelte davonfliegen. Vielleicht brechen Sie Ihr Lager auf ein paar Tage ab und siedeln hier in eine meiner Baracken über; ich stelle sie Ihnen gern zur Verfügung.“ Da dachte Werner plötzlich an die für den Nachmittag geplante Fahrt nach Torland und fragte besorgt: „Glauben Sie, dass es heute auch schon losgehen kann?“ „Nein, damit ist nicht zu rechnen, das Barometer steht noch still. Auch morgen wird das Wetter noch halten, mein' ich. Aber dann -sehen Sie sich vor, Herr Lindener. Das Unwetter kann urplötzlich da sein!“ „Ob wir da nicht doch besser heute Nachmittag daheim bleiben?“ „Nein, segeln Sie ruhig nach Torland. Wie gesagt, heute und morgen hält sich das Wetter noch, dessen bin ich sicher.“ Werner ging nun zufrieden ins Lager zurück mit dem Gedanken, am nächsten Tag Vorsorge für den drohenden Seesturm zu treffen. Aber unter dem Eindruck der nun folgenden Ereignisse dachte er gar nicht mehr an Unwetter und Lagerabbruch, und das sollte nicht ohne schwere Folgen bleiben.

Wieder dieselbe Spur Im Lager wurde Werner schon von Hans erwartet. „Es sind immer die gleiche Kerle“, sagte der Junge. „Auf dem Wege zur Lotsenstation waren wieder ihre Spuren, breite Sohlen bei dem einen, bei dem andern der aufgesetzte Lederfleck unter der rechten Sohle. Und das ist der, der jetzt im Forsthaus sitzt. - Wenn wir nur noch wüssten, wo der andere Lump hin wäre. In der Blockhütte steckt er nicht. Ich habe nachgesehen; ob er nicht doch in der Lotsenstation...?“ „Werner, kann ich dich einen Augenblick sprechen?“ Das war Helmut; Hans verdrückte sich.

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Dieser etwas draufgängerische, hochgeschossene Helmut mit seinem ewig wirren, hellblonden Haaren und den dunkelblauen Augen, die so prachtvoll blitzen konnten, war doch ein Prachtkerl! - Da die „Falken“ nicht wussten, dass Hans und Werner einen der nächtlichen Besucher des Lagers im Forsthaus hatten verschwinden sehen, nahm er an, durch seine mangelnde Beherrschung letzte Nacht alles verdorben zu haben. Werner tröstete Helmut und sagte ihm, dass er sich den Gedanken ruhig aus dem Kopf schlagen dürfe; sie seien mit den Ergebnissen der letzten Nacht durchaus zufrieden. „Aber jetzt werdet ihr mich natürlich nicht mehr dabeihaben wollen, wenn ihr hinter dem Kerl her seid oder Gottfried und Hermann aus ihrer Gefangenschaft befreit?“ „Liegt dir denn da so viel dran?“ „Mensch, frag' doch nicht so blöde! Bei so etwas dabei sein dürfen ist doch eine Ehre! Und ich hatte mich schon so darauf gefreut.“ „Gut, Helmut“, sagte Werner. „Du sollst weiter mit dabei sein, aber nimm dich künftighin zusammen. Du hättest uns diese Nacht viel verderben können.“ „Ich habe mich heute Morgen schon genug zusammengenommen, das kannst du mir glauben. Du hast gar keine Ahnung, wie die anderen aus dem Fähnlein mich heute schon veralbert haben wegen dieser Nacht.“ „So?- Das soll aber nicht sein!“ „Sag' ihnen nicht, dass ich dir das verraten habe; aber es wurmt einen doch. Na, ich hätte mich ja auch mehr beherrschen können, aber...“ „Was denn ,aber’?“ „Sieh mal, einer von den Kerlen auf der Wiese diese Nacht, weißt du, der dicke, schwere Kerl, ich glaubte tatsächlich, das wäre der dicke Herr von der 'Hansa` gewesen, dem ich den Spazierstock ins Wasser geworfen habe. Und auf den hatte ich eine Stinkwut. Dieses Ekel hat mich beschimpft, und diese Nacht, als ich die beiden sah, da konnte ich einfach nicht mehr!“ „Glaubtest du denn wirklich, dass es der dicke Herr war?“ „Bestimmt! Nachher bin ich ja unsicher geworden, es war so dunkel ... aber zutrauen könnte ich ihm schon die ganze Gemeinheit und alles, was hier passiert ist!“ „Nun, es ist gut, Helmut, den Kerl von dieser Nacht werden wir schon noch erwischen. Dann wird man sehen, ob du mit deiner Vermutung Recht hast. Aber komm jetzt zum Essen. Hans wartet schon!“

Fröhliche Ausfahrt Nach dem Essen aber fuhren die Jungen in zwei Segelbooten nach Torland hinüber. Nur Heinz blieb mit einem trauernden Rest „Möwen“ im Lager als Wache zurück. Er erhielt zur Vorsicht Werners Scheintodwaffe. „Ich denke, wir steigen einmal zum Leuchtturm hinauf“, sagte der junge Mitarbeiter, als er in eines der Boote stieg, zu Hans, „und fragen mal, warum das Licht vorgestern Nacht plötzlich versagt hat. Die Sache war doch merkwürdig.“ „Gut, ich bin einverstanden! Und nun: Abfahren!“ rief Hans. Die Bootsleute zogen die Segel auf und brachten die Boote in den Wind; langsam glitten sie vom Ufer weg. Die Jungen waren guter Dinge und folgten gespannt den Manövern der Schiffer. Man fuhr die Geest entlang bis zur Südspitze und dann in weitem Schlag um die Geest herum in die Ostsee. Nun griff voller Wind in die Segel, die Boote legten sich etwas auf die Seite und glitten pfeilschnell durch die Wellen. Hoch spritzten die Wasser um den Bug, es war eine prachtvolle Fahrt. Eine gute Stunde segelte man im hellen Sonnenschein, dann legten die Boote in Seewerk an. Die Jungen sprangen ans Ufer und marschierten durch das Dorf über die Insel zum langsam ansteigenden Renover Haken hinauf. Die Gruppe sang, und die Augen vieler Sommergäste folgten der frischen Schar. Als man Seewerk hinter sich hatte, bog von dem Weg zum Renover Haken rechts ein Pfad ab, der zum Strand hinunterführte. Das brachte Hans auf einen Gedanken. „Du, Werner, meinst du nicht, ich sollte einmal am Strand entlanggehen und nachschauen, ob ich die Stelle finden kann, von wo vorgestern

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Nacht die Morsezeichen kamen? Vielleicht entdecke ich dort am Ende eine Spur; es hat ja nicht geregnet.“ „Glaubst du, die Stelle finden zu können?“ „Das kann ich nicht beschwören, aber ich werde schon meine Augen auftun.“ „Meinetwegen versuch' es ruhig einmal; schaden kann es nicht. - Soll einer mit dir gehen?“ - Hans nickte. – „Dann nimm Helmut mit, der brennt darauf, seinen Fehler von vergangener Nacht gutzumachen.“ Die beiden bogen nach rechts ab und waren bald in den Dünen verschwunden.

Unfreundliche Ablehnung Bis zum Leuchtturm war ein weiter Weg, und da es stetig, wenn auch langsam, bergan ging, rann den Jungen bald der Schweiß von den Stirnen, denn die Sonne brannte vom wolkenlosen Sommerhimmel. Je mehr die Horde auf die Höhe kam, einen umso weiteren Blick hatte sie über die See, und als schließlich das Ziel erreicht war, konnten die Buben sich nicht satt sehen. Die Dünungswellen zu ihren Füßen glänzten im Sonnenlicht wie flüssiges Silber, und von Osten her grüßten aus der Ferne dunkelgrün die weiten Wälder der Geest über die Wasserfläche. Auf der höchsten Höhe des Renover Hakens aber stand der Leuchtturm, plump und schwer ragte er auf mit den großen Gläsern und Linsen über der Galerie. Man sah es den Jungen an, wie gerne sie einmal hinaufgestiegen wären. In der Tür zum Turm stand, lässig an den Pfosten gelehnt, ein Mann und rauchte seine kurze Pfeife. Werner fragte ihn, ob ein Besuch des Turmes erlaubt sei. Der Mann verneinte das. Als Werner ihn aber nun weiter fragte, weshalb wohl in der Nacht von Sonntag zu Montag das Licht auf kurze Zeit versagt habe, wurde er unfreundlich und erklärte brummend, das ginge keinen Menschen etwas an. Werner gab zurück: „Verzeihen Sie, eine höfliche Frage verdient doch wohl eine höfliche Antwort. Und ich habe Sie anständig gefragt.“ „Kurzschluss“, sagte der Mann da. „Es war Kurzschluss, Sicherung durch. - Sind Sie jetzt zufrieden?“ „Schon eher!“ Werner musste lachen. – „Und nun sagen Sie mir nur noch: Haben Sie gesehen, dass wir kurz nach Erlöschen des Blinkfeuers drüben auf der Geest eine Rakete abgeschossen haben?“ „Nein“, sagte der Mann, „dazu haben wir keine Zeit.“ Das war nun eine dumme Antwort, dachte sich Werner, empfahl sich und ging wieder zu den Jungen zurück, die von dieser Unterredung nichts gehört hatten und immer noch staunend den Leuchtturm betrachteten.

Eine Ahnung, ein Verdacht Um den bärbeißigen Kerl in der Tür etwas heiterer zu stimmen, ließ Werner die Jungen ein frisches Fahrtenlied singen. Kaum aber hatten die Buben zu singen begonnen, klopfte der Mann seine Pfeife aus und verschwand eilends im Turm. „Er ist anscheinend nicht musikalisch“, dachte Werner Lindener und sah sich den Leuchtturm noch einmal von unten bis oben an. Was ihn dabei so seltsam erregte, wusste er nicht. Komisch war das. Aber nichts Verdächtiges war zu merken. Es sah wohl jeder Leuchtturm aus wie dieser hier, und dass sich unten auf der dem Eingang entgegengesetzten Seite ein kleiner Schuppen an den Turm lehnte, war auch nichts Besonderes. Werner guckte mal hinein und sah im Inneren den Brunnen und daneben eine alte Feuerspritze stehen. Was die Bewohner mit diesem vorsintflutlichen Ungetüm wollten, war ihm zwar nicht recht klar. Ob die Feuerwehr von Seewerk am Ende den Leuchtturm für ihre Brandübungen gebrauchte? Komisch! Die Geschichte mit dem Kurzschluss klang recht glaubhaft. Werner Lindener hatte sich an den Abhang des Renover Haken gestellt, in die Richtung, aus der er Hans und Helmut erwartete. Der Renover Haken, ein mächtiger Kreidefelsen, fiel von oben erst langsam, dann aber steil ins Meer ab. Der Strand unten konnte nur schmal sein.

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Werner konnte ihn nicht sehen, und so war es ihm klar, dass die Bewohner des Leuchtturms von hier oben unmöglich den Sender der Morsezeichen erblicken konnten, die er und die drei Jungen in der Nacht auf Montag beobachtet hatten. Der Sender hatte wirklich eine geschickte Stelle zum Signalisieren gefunden. Schließlich fragte sich Werner, wie Hans überhaupt hier heraufkommen könne. Ob in die steilen Hänge ein Weg gebahnt war? Da aber sah er plötzlich Hans mit Helmut über den Hang eilends hinaufsteigen, und Hans überstürzte sich fast, so dass sein Begleiter ihm kaum folgen konnte.

Schon wieder! Kaum waren sie in Werners Nähe gekommen, sah dieser, dass Hans etwas gefunden haben musste, denn er lachte und strahlte über sein ganzes Gesicht. „Werner, stell dir vor“, begann er auch gleich, „die zweite Spur, die breiten Sohlen ohne Nägel, der Kerl, der zweimal im Lager war, der gehört doch nach Torland, wenigstens ist er es, der in der Nacht auf Montag zur Geest hinübergefunkt hat. Unten am Strand hab' ich seine Spur gefunden. Ein Irrtum ist ausgeschlossen! Wo mag der Kerl stecken? Ob er wieder hier auf der Insel ist, ob er noch drüben sitzt? Mensch, Werner, ich ahne was! Und der Kerl ist wieder hier auf Torland, die 'Falken` haben eben seine Abfahrt diese Nacht verpasst, sie sind vielleicht zu spät gekommen. Aber wir werden den Schuft schon finden! Was meinst du, was wir machen sollen?“ „Nach Hause fahren, Hans, es ist schon sehr spät. Aber morgen fahren wir beide nochmals nach Torland hinüber, und dann werden wir den Kerl schon finden.“ „Und dann sind wir weit genug!“ jubelte Hans. „Diese Nacht das Forsthaus und seine Bewohner, morgen der Kerl hier. Jetzt haben wir Gottfried und Hermann bald wieder bei uns!“ „Das wollen wir hoffen“, erwiderte Werner. Aber es sollte noch ganz anders kommen.

„Das ist er!“ Die Jungen eilten schnellen Schritts nach Seewerk. Es war wirklich schon spät. Als die Horde in Seewerk ankam, war die Dämmerung schon über die See aufgestiegen; man marschierte eilends zum Strand, wo bereits die hellen Bogenlampen glühten, und näherte sich den Booten. Bei den Schiffsleuten stand ein Herr in eifrigem Gespräch, ein ziemlich umfangreicher Herr, und plötzlich griff Helmut jäh nach Werners Arm ... Er hatte den Herrn erkannt. „Du, der Dicke von der 'Hansa' . . .! Das ist er! Das Ekel, dieser...!“ „Ruhig, Helmut!“ flüsterte Werner. „Jetzt wirst du zeigen, Kerl, dass du dich in Acht nehmen kannst!“ Hans zwinkerte mit den Augen. Die Jungen kamen heran. „Das ist also der dicke Herr!“ sagte sich Werner. Er machte eigentlich keinen üblen Eindruck; schon von weitem hatte er das Näherkommen der Horde bemerkt. Aber erst, als die Buben dicht vor ihm standen, schien er sie wiederzuerkennen. Er zog freundlich den Hut. Sein Gesicht schien etwas verlegen. „Mein Gott, das sind ja die Jungen, mit denen ich da vorige Woche auf der 'Hansa' zusammengestoßen bin. Tja, habe euch wohl etwas grob angefahren. War schlechter Laune damals. Wird wohl nicht so schlimm gewesen sein, was?“ Der Dicke lächelte, und sein Lächeln war widerlich. Nein, das ist kein wirklicher Herr, trotz der guten Kleidung, stellte Werner bei sich fest. – „Aber so was kann ja jedem mal passieren; nichts für ungut, Jungens! ... Tja, schön auf Torland, schöner Blick vom Renover Haken da oben, sehr schöner Blick. Wäret wohl gern einmal auf den Leuchtturm gestiegen: Wird aber nicht erlaubt, ich weiß! Na, gute Heimfahrt! Auf Wiedersehen!“ Mit diesen Worten zog der Dicke nochmals seinen Hut und trottete ab. Die Jungen sahen ihm nicht besonders freundlich nach.

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Hans aber zerrte Werner plötzlich wieder am Arm, so dass dieser ganz erschrocken herumfuhr und jäh erschrak. Wie sah Hans aus! Er war kalkweiß im Gesicht, seine Augen stierten auf den Boden. Alle Buben gewahrten die schreckliche Veränderung ihres Anführers. Hans wies mit der Hand auf den feinen, vom Seewasser durchfeuchteten Sand, er zitterte... „Da, die Spur ... die Spur... sieh da, da wieder ... die großen Sohlen ohne Nägel! Der Kerl ist im Lager gewesen, der hat die Lebensmittel geklaut, der hat nach der Geest signalisiert, der hat...!“ „Hans, ruhig! - Ist das bestimmt die gleiche Spur?“ „Ich lasse mich totschlagen, wenn ich mich irre! - Werner, dem Kerl müssen wir nach!“ „Jetzt müssen wir heim, Hans“, entgegnete Werner ganz ruhig. „Der Dicke läuft uns nicht davon. Komm jetzt, ich glaube, dass alles gut werden wird.“ Nur mit Widerstreben war Hans zum Einsteigen zu bewegen.

Rätsel um einen Leuchtturm „Nun hat Helmut also doch recht vermutet“, grübelte Werner, „der dicke Herr ist mit im Spiel bei dem Kampf gegen unser Lager: Nun gilt es, auch ihm auf die Spur zu kommen.“ Nachdem die Schiffer ihre Boote wieder vor den Wind gebracht hatten - schon glitten sie langsam auf das dunkle Wasser -, fragte Lindener den Bootsführer, was der dicke Herr von ihm und seinem Kollegen aus dem andern Segler gewollt habe, und er erfuhr, dass jener habe wissen wollen, ob die Jungen häufiger Segelfahrten machten und wann diese Reise nach Torland abgemacht worden sei. Der Fischer hatte wahrheitsgemäß geantwortet, dass das schon am Donnerstag der verflossenen Woche geschehen ist. Erleichtert atmete Werner auf. „Das hat den Dicken sicher beruhigt“, dachte er. „Dass wir auch hinter ihm her sind, scheint er noch nicht gemerkt zu haben. Das wird schon kommen . . .“ „Nebenbei“, begann der Fischer noch einmal, „Sie hätten ruhig auf den Leuchtturm steigen können, das ist nicht verboten. Wenn Sie den Turmwächter gefragt hätten, wäre es Ihnen sicher erlaubt worden.“ „Nun habe ich aber gefragt“, gab Werner zurück, „und er hat uns tatsächlich nicht hinaufgelassen.“ „Nicht? - Das finde ich sonderbar!“ „Kennen Sie den Leuchtturmwächter?“ „Ja, was man so kennen heißt, nicht besonders; aber ich weiß doch, dass man für gewöhnlich auf den Turm hinauf darf.“ „Ob der Dicke vielleicht etwas mit dem Leuchtturm zu schaffen hat?“ grübelte Werner; „das wäre ja interessant!“ Die Heimfahrt der Jungen war sehr still. Die Entdeckung von Hans hatte das drückende Schicksal des Lagers, den Verlust der beiden Jungen, wieder allen vor Augen treten lassen. Und nun legte sich die feierliche Ruhe des Abends über dem weiten Meer schwer auf das Gemüt der Buben. Dazu war es jetzt auf dem Wasser empfindlich kühl. Die Jungen hatten ihre Windjacken angelegt und den Kragen hochgeschlagen. So saßen sie eng aneinandergekauert im Boot und betrachteten den tiefdunklen Himmel, an dem langsam die ersten Sterne aufleuchteten. Auf Torland begann das Blinkfeuer zu kreisen. Das stetige Auf und Ab der Wellen machte schläfrig. Schon hatten ein paar Buben müde den Kopf auf die Schulter des Nachbarn gelegt und versuchten zu schlafen. Die meisten träumten mit offenen Augen in die Ferne. Auch Hans schien müde zu sein. Er sah grübelnd vor sich hin, den Blick tief gesenkt, und sprach kein Wort. Werner kam der Wunsch, seinem Freund ein herzliches Wort zu sagen. Aber dann fiel ihm sein Plan für die kommende Nacht ein. War er nicht doch verpflichtet, endlich eine Vermissten-Meldung zu machen? Aber wenn der alte Gendarm hilflos war? „Haben wir uns da am Ende zuviel vorgenommen?“ sagte er leise und fragte Hans, ob man nicht dieses Vorhaben aufgeben oder doch wenigstens auf den frühen Morgen verschieben sollte. „Wir können ja schließlich die Nacht alle in den Baracken schlafen.“ „Nein, Werner, wir bleiben dabei. Ich muss endlich Klarheit haben; so ha lte ich es nicht mehr aus.“ Da ließ Werner ihn zufrieden. Sehr spät erst legten die Segelboote wieder beim Lager an. Die Jungen machten sich gleich über das Abendessen her, das Heinz bei Fackellicht austeilte. Dann betete Hans das Abendgebet. Schweigend gab

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man sich die Hand im großen Ring, die Lagerflagge sank zu Boden, und die Jungen verschwanden in den Zelten.

Das Geheimnis des Forsthauses lüftet sich Auf einen Wink von Hans blieben die „Falken“ zurück, als die Kleinen zu den Baracken abgerückt waren. Werner hörte, wie Hans ihnen ernste Vorhaltungen machte. „Kerls, hier tut jeder, was er kann, und auch Helmut hat sicher das Seine getan. Wir sind alle etwas erregt in diesen Tagen, da kann jeder einmal losplatzen. Helmut aber hilft mir so gut, dass ihr kein Recht habt, ihn zu hänseln. Lasst bitte das Nörgeln! Ich denke, wir müssen zusammenstehen.“ Die „Falken“ standen betreten um ihren Anführer. Hans aber schlug nun gleich einen andern Ton an und legte den froh aufhorchenden Buben Werners neuen Plan dar, nämlich behutsam in der Nacht an das Forsthaus zu schleichen, seinen Bewohner beim Verlassen des Hauses zu fassen, um dann selber dem Geheimnis der Försterei auf die Spur zu kommen. „Wer weiß“, schloss Hans, „vielleicht wissen wir in einer Stunde schon, wo wir Gottfried und Hermann zu suchen haben.“ Die Jungen waren Feuer und Flamme für Werners Vorhaben. Währenddessen aber gab Heinz dem Letzteren einen Brief. Herr Karsten, so sagte er dabei, sei gegen Abend im Lager gewesen und habe ihn für Herrn Lindener dagelassen. Werner las. Sehr geehrter Herr Lindener! Möchte Ihnen kurz mitteilen, dass heute Nachmittag ein neuer Gast in meinem Erholungsheim abgestiegen ist. Er hat mich vertraulich wissen lassen, dass er Kriminalbeamter sei. Vielleicht können Sie seine Hilfe gebrauchen. Wenn Sie ihm anvertrauen, was Sie alle bewegt, steht er Ihnen sicher zur Verfügung. Wollen Sie nicht diese Nacht von Ihrem Plan ablassen, um sich erst einmal mit dem Herrn zu besprechen? Ich habe ihm noch nichts gesagt, weil ich nicht wusste, ob es Ihnen recht ist. Wie denken Sie darüber? Freundlichen Gruß Ihr Karsten Werner las den Brief den drei Mitarbeitern vor, merkte aber, dass sie von einem Aufgeben des nächtlichen Abenteuers nichts wissen wollten. Besonders Hans war sichtlich enttäuscht. Ihm zuliebe beschloss Werner darum, sein Vorhaben nun auch auszuführen. Es ging schon auf 23 Uhr zu, und sie durften nicht mehr zögern. „Wir brechen auf!“ flüsterte Werner. „Nehmt Decken mit! Am Forsthaus besetzen wir die Scheune und warten ab. Verlässt der Kerl das Haus, dann fallen wir gleich über ihn her, ich fessele ihn, und dann dringen wir in die Försterei ein. Heinz, gib mir meine Scheintodpistole. Nimm selbst die Leuchtwaffe! Sobald du hier in Gefahr kommst, gibst du mit einer Rakete ein Zeichen. Hochschießen! Wir sind dann gleich wieder hier.“

Durch die dunkle Nacht Wenige Minuten später befanden sich die Jungen auf dem Wege zum Forsthaus. Heinz lehnte am Flaggenmast und hielt mit drei Mann die Wache. Behutsam, immer wieder unter den dunklen Kiefern her und ohne jedes Geräusch, schlichen elf Buben mutig und entschlossen über die nachtdunkle Geest. Sie brauchten fast eine halbe Stunde, um in die Nähe der Försterei zu kommen. Aber das muss gesagt sein: Schleichen konnten die Jungen. Niemand hätte etwas von ihnen gemerkt.

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Als man sich bis auf Sichtweite herangearbeitet hatte, ließ Werner haltmachen. Das Haus lag wie ausgestorben in der Finsternis vor den Jungen. Kein Lichtschimmer drang durch die Fugen der verrammelten Fensterläden, kein Laut kam aus der einsamen Hütte, der zum Verräter hätte werden können, dass in diesem verlassenen Loch doch noch ein Mensch hauste, ein Mensch, der Geheimnisse zu verbergen hatte. Ringsum war Totenstille. Nicht einmal der Wind fuhr durch die hohen Tannen des Waldes; nur bisweilen klang irgendwoher aus der Ferne das klagende „Kiwitt“, „Kiwitt“ eines einsamen Käuzchens. Leise raunten die Wipfel der hohen Tannen. Stumm kauerten die Jungen im Unterholz und hörten ihr Herz in der Brust klopfen vor mühsam verha ltener Spannung. Werners Knie zitterten vor Erregung. Er wünschte mit einem Male, dass er den Kriminalbeamten bei der Horde hätte. Es war doch gefährlich, was er mit seinen Jungen in dieser Stunde versuchte. Aber dann dachte er an die beiden Jungen, denen man doch helfen musste. Weiß der Himmel, wie die sich nach uns und unserer Hilfe sehnen. Wir müssen voran! - “Hört mal“, wandte er sich leise an die „Falken“, „ihr bleibt jetzt ruhig, ich gehe erst allein und prüfe, ob die Luft rein ist. Also...!“ Und Werner legte vielsagend den Finger auf seinen Mund. Regungslos verharrten die Buben, in den Kiefern stöhnte der Nachtwind.

Mit erhobener Waffe ... Behutsam schlich der junge Anführer, lautlos, Schritt für Schritt, an die Scheune heran, tastete sich zum linken Torpfosten der Einfahrt, beugte sich ein wenig vorwärts und warf einen Blick in den dunklen Raum. - Da stockte Werner das Blut in den Adern vor Schreck: Deutlich sah er in der gegenüberliegenden Ecke eine Gestalt kauern, keine zehn Schritte von ihm entfernt, die ihn anstarrte. Einen Augenblick nur kreuzten sich ihre Blicke, Auge in Auge, dann fuhr Werner entsetzt zurück, denn der Mann in der Scheune hatte eine Waffe gegen ihn erhoben. Lindener rannte zu den „Falken“ zurück und flüsterte hastig: „Es sitzt einer drin; er hat mich gesehen, er hat eine Pistole!“ Einige Sekunden standen die Jungen alle schreckerstarrt und untätig. „Drüber her!“ zischte Helmut leise. „Das ist der Dicke!“ Und er entfaltete seine Decke. „Nein, weg, so schnell wie möglich!“ flüsterte Erich in plötzlicher Angst. „Hauen wir ab!“ brummte auch Hans ...

Schreck um Mitternacht „Guten Abend, Jungens, was wollt Ihr hier?“ Der Mann aus der Scheune stand unversehens vor den überraschten Jungen, sie standen wie angewurzelt... Aber das war doch nicht der Dicke, das war ja ein großer, schlanker Herr mit angenehmer Stimme, die leise, aber bestimmt weitersprach: „Verhalten Sie sich ruhig, bleiben Sie stehen! Was wollen Sie hier? Einer redet, aber leise!“ Den „Falken“ aber lähmte immer noch der Schreck die Kehle. „Nun reden Sie doch, um Gotteswillen; ich tue Ihnen ja nichts, aber Sie verpfuschen mir alles, wenn Sie mich noch lange hinhalten.“ Langsam wich die Überraschung von den Jungen. Werner dämmerte es: das war keiner der geheimnisvollen Feinde des Lagers, das war... „Wir warten auf den Kerl da drinnen! Wir wollen nur ins Forsthaus!“ sagte Werner. Der Unbekannte lächelte. „Na, endlich“, sagte er leise. „Dann wollen wir ja ganz das gleiche; ich bin Kriminalbeamter und interessiere mich für dieses Haus hier. Wer Sie sind, weiß ich. Nun kommen Sie so leise wie nur möglich zu mir in die Scheune ... So! Und nun verhalten Sie sich bitte ruhig!“

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Das taten die Buben gründlich, ihr Herz klopfte ihnen noch wild im Hals, da tat eine Atempause not. In einem der dunklen Scheunenwinkel hatte man sich auf die mitgebrachten Decken gehockt. Als Werner seine Gedanken wieder etwas klar beieinander hatte, sinnierte er vor sich hin: „Das ist also der Kriminalbeamte, und er interessiert sich auch für das Geheimnis des Forsthauses. Wahrscheinlich ist er also nicht nur so zu seiner Erholung im Erholungsheim 'Seestern` des Herrn Karsten abgestiegen. Es scheint auf jeden Fall etwas Besonderes zu sein, dieses Geheimnis der Försterei. Na, warten wir mal ab.“ Werner war aber doch froh, dass er nun einen „Mann vom Fach“ zur Seite hatte. Jetzt war er gespannt, was kommen würde. Er sollte es bald erfahren. Die Jungen dösten in ihrer Scheunenecke vor sich hin - über eine Stunde war schon vorbei -, als ein Geräusch aus dem Innern des Forsthauses sie plötzlich zusammenfahren ließ. „Peng“, brummte Helmut vor sich hin, „da ist ein Stühlchen umgeflogen! Das arme Schienbein!“

„Hände hoch!“ Aber dann näherten sich von innen Schritte der Tür, ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt... „Vorsicht!“ flüsterte der Beamte, „keine faulen Witze! Wir stürmen sofort hinaus! Dann rechts und links ausschwärmen, bleibt hinter meinem Rücken!“ Langsam richteten sich die Jungen auf, reckten eine Sekunde lang die steifen Glieder und standen dann sprungbereit. Der Augenblick war da! Man hörte noch, wie der Schlüssel gedreht wurde, die Haustür klinkte auf und drehte sich kreischend... „Hände hoch!“ In einem Satz waren die Jungen hinter dem Beamten her vor die Scheune gesprungen und standen einem völlig überraschten Manne gegenüber, der langsam beide Hände erhob und die Augen schloss, geblendet vom Licht einer grellen Blendlaterne, die ihm aus der Hand des Kriminalbeamten ins Gesicht blitzte. Als er sich von der Überrumpelung ein bisschen erholt hatte, stieß der Mann einen ärgerlichen Fluch aus. Ein wütender Blick aus stechenden Augen traf die Jungen. „Schweinebande!“ brummte der Kerl. Der Beamte sagte ruhig: „Zwei Mann treten hinter ihn und leeren ihm die Taschen; die andern besetzen die Tür! Es darf niemand heraus!“ Werner trat mit Hans hinter den Kerl, und beide durchwühlten ihm die Taschen. Die „Falken“ waren an die Tür gestürmt. Das Ergebnis der Untersuchung war gering: ein Schnupftuch, ein Taschenmesser, Streichhölzer und ein paar Zigaretten, das war alles. Der Mann sah sehr heruntergekommen aus, über seinem gelben, knochigen Gesicht, das von Bartstoppeln starrte, lag verwildertes schwarzes Haar. Um die hageren Glieder schlotterte ein ungepflegter Anzug. - Der Beamte stand, immer noch mit schussbereitem Revolver und eingeschalteter Blendlaterne, dem Gefangenen dicht gegenüber. Als die Jungen fertig waren, befahl er: „Fesseln!“ Werner nahm die mitgebrachten Zeltstricke von den Schultern von Hans. Man band dem Mann die Hände auf den Rücken. Es war schnell geschehen. „Die Füße auch fesseln!“ rief der Beamte noch und ließ die Waffe sinken. „So, das wäre geschafft! - Sechs Mann von euch leisten diesem Herrn hier draußen ein wenig Gesellschaft und passen auf, dass er keinen Fluchtversuch macht. Die übrigen können mit ins Haus gehen. Aber Vorsicht...! Ich gehe vor!“

Verhängnisvolle Fehler Wäre der Beamte doch nur auf den Gedanken gekommen, erst noch einmal die nähere Umgebung des Forsthauses abzusuchen! Deshalb bemerkten weder er noch einer der Jungen, dass im Schatten des Brunnenschuppens eine Gestalt kauerte. Unterdessen waren die andern im Forsthaus verschwunden. Ihre

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Taschenlampen erhellten den kleinen Hausgang. Gleich vorne in einer Ecke lag verschmutzt ein Wimpel aus dem Lager. „Werner, wird sind richtig!“ jubelte Hans, hob das bunte Tuch auf, klopfte liebevoll den Staub davon und barg es unter seinem grünen Fahrtenhemd. Je zwei Stuben lagen zu beiden Seiten des dunklen Flurs; im Hintergrund führte eine steile Stiege zum Speicherraum. Der Beamte war gleich in die Zimmer linker Hand getreten, sie waren aber beide leer. Nun klinkte er die Tür auf der rechten Seite auf. Neugierig drängten die Jungen nach. Auch dieses Zimmer war fast völlig kahl. Aber in einer Ecke lagen arg zerwühlt auf einem Strohsack ein paar Decken; es waren Bills Decken. In den Fensternischen standen die Reste der Lebensmittel aus dem Lager.

Überraschende Entdeckung „Gemeinheit so was!“ fluchte Helmut. „Die kann der Kerl bezahlen!“ Aber schon ging der Beamte in den anderen Raum hinein, seine Taschenlampe blitzte auf... „Aha, da ist's ja, was ich suche!“ hörten die Jungen ihn ausrufen. Sie liefen hinterher und standen staunend vor einer kleinen Druckpresse modernster Art; aufgeschichtetes Papier lag davor auf einer Kiste. Ein Teil davon war schon bedruckt, es waren saubere, neue Hundertmark-Noten. Auf einem Brett lagen ein geglätteter Stein, auf dem Farbe verrieben wurde, Spachtel, Farbbüchsen und andere Drucker-Utensilien. Sie hatten eine Falschmünzerwerkstatt ausgehoben. „Hast du Worte!“ staunte Jupp, „der Mann macht hier Moneten! Und wat 'ne Menge! Sieh mal da, wat en Haufen!“ Das Geheimnis der Försterei war entschleiert. Werner nahm einen der bedruckten Bogen in die Hand und stutzte: „Hans, schau mal hier! Merkst du nichts?“ „Nein, was ist denn los?“ „Unten links in der Ecke!“ „Ah, jetzt sehe ich! Mensch, Werner, das hätte ich niemals dahinter vermutet; ich bin einfach platt!“ Der Geldschein trug unten links in der Ecke die Zahl 371 528. War das nicht die Zahl, die der dicke Herr vorgestern von Torland herübersignalisiert hatte? „Wir wollen alles liegen lassen“, sagte der Beamte, „denn wir sind noch nicht fertig.“ Schon verließ er das Zimmer, Werner legte den Geldschein schnell wieder zu den übrigen, die merkwürdigerweise alle die gleiche Nummer trugen, und lief hinter dem Beamten her in den Hausgang zurück. Der Beamte kletterte schon die steile Stiege zum Speicherraum hinauf, immer noch mit schussbereiter Waffe und eingeschalteter Blendlaterne. Hans, Jupp und Helmut folgten beharrlich mit Werner hintendrein. Auch oben fand sich keine Menschenseele; außer vielem Staub und Gerümpel war der Speicher leer.

Und immer wieder Blinkfeuer Aber vor dem kreisrunden Loch in dem geschlossenen Fensterladen des Giebelfensters blitzte es in einem fort. Werner machte den Beamten darauf aufmerksam, und Hans Rosenberg stieß den Laden auf. Geblendet schlossen alle die Augen, denn eben fuhr wieder der scharfe Lichtkegel des Blinkfeuers von Torland vorüber. „Da haben wir's!“ entfuhr es Werner. Der Wald auf der Geest hatte gerade der Giebelseite des Forsthauses gegenüber in seiner oberen Hälfte eine kleine Lichtung bis zur offenen See. Und dieser schmale Kahlschlag gab genau den Blick frei auf den Leuchtturm von Torland und ein kleines Stück der Küste da drüben. Hier hatte also der Kerl, ohne das Haus überhaupt verlassen zu müssen, tadellos von drüben empfangen und auch selbst signalisieren

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können; denn unter einem alten Sack, sauber geschützt, fand Jupp in einem Winkel des Speichers einen kleinen Scheinwerfer und daneben einen Feldstecher. „Lassen wir alles liegen“, sagte der Beamte wieder. „Wir müssen weitersuchen, ich bin noch nicht zufrieden.“ Einen Keller hatte das Forsthaus seltsamerweise nicht, wie die Jungen feststellten. Der Beamte aber durchschritt, aufmerksam den Boden und die Wände betrachtend, nochmals alle Kammern. Im ersten Zimmer, das man vorhin betreten hatte, zog er den Strohsack aus seiner Ecke, und dann schmunzelte er: „Na, endlich!“ Der Beamte bückte sich, hob ein paar Dielenbretter hoch und entdeckte darunter zwei Pakete, die er mit einem Messer aufschnitt. Auch sie enthielten gefälschte Papiere. Es waren aber diesmal keine Banknoten, wie Werner feststellte, denn dafür waren die Bogen zu groß. „Das wird's wohl sein“, sagte der Beamte zufrieden. „Nun können wir gehen!“

Noch immer keine Spur der verschwundenen Jungen Von ihren beiden verschwundenen Kameraden aber hatten die Jungen nichts entdecken können. Draußen hatten unterdessen sechs „Falken“ treu und gewissenhaft bei dem Gefangenen Wache geschoben, und hinter dem Brunnenschuppen hockte immer noch, schwitzend vor Aufregung, jene fremde Gestalt, die es bedauerte, unbewaffnet zu sein. Auch jetzt kam dem Beamten nicht der Gedanke, sich die Umgebung des Forsthauses einmal genau anzuschauen, sondern er sagte ganz freundlich: „So, jetzt bringen wir den netten Herrn hier in das Heim hinüber, der Herr Karsten wird wohl ein möbliertes Zimmer für ihn haben.“ Damit bückte sich der Beamte und hob den Hausschlüssel auf, den der Gefangene vorhin im Schreck hatte fallen lassen. Er verschloss sorgfältig die Tür des Forsthauses und steckte den Schlüssel in seine Tasche. Darauf nahmen die Jungen dem Gefangenen den Zeltstrick von den Beinen und marschierten mit ihm in Begleitung des Beamten zum Erholungsheim. Unterwegs fragte ihn Hans nach den beiden Jungen. Der Mann zuckte die Achseln: er wisse nicht, wo sie seien. Aber der Herr „Kriminaler“ werde sie ja schon finden. „Das tue ich auch“, sagte der. „Viel Vergnügen!“ antwortete der Gefangene frech. Nun hatten ja weder Werner noch Hans fest damit gerechnet, im Forsthaus Gottfried und Hermann zu finden, trotzdem aber war doch immer noch eine ferne Hoffnung in ihren Herzen wach geblieben, wenigstens eine Spur, einen wenn auch noch so kleinen Fingerzeig zu entdecken, aber nichts. Stattdessen nur die freche Bemerkung des Gefangenen. „Werner, wo sollen wir nun noch Gottfried und Hermann suchen?“ fragte Hans ungeduldig. „Wir besprechen uns gleich einmal vernünftig mit dem Beamten; der muss Rat wissen“, erwiderte Lindener, und nur um seinen Freund abzulenken, fuhr er fort: „Sag mal, Hans, warum mögen wohl all diese falschen Geldscheine die gleiche Nummer haben? Geradezu unsinnig kommt mir das vor. So muss die Fälschung doch sofort herauskommen, wenn das Geld in Umlauf kommt.“ „Vielleicht wollen die Gangster das“, meinte Hans. „Hans, dann steckt hinter der ganzen Sache viel mehr, als wir ahnen! Pass auf, die Geschichte ist noch nicht zu Ende.“ „Zu Ende ist die Geschichte erst, wenn wir unsere Jungen wieder bei uns haben“, gab Hans zurück. Werners Schweigen zeigte deutlich genug, dass er da seinem Freund Recht gab. In einer halben Stunde war man am Erholungsheim und trommelte Herrn Karsten aus dem Bett. Der war ordentlich erstaunt, als er die Jungen mit dem Kriminalbeamten herankommen sah. Der Gefangene wurde in ein kleines, einsam stehendes, gemauertes Häuschen eingesperrt, wie deren beim Erholungsheim mehrere standen. Als hier oben mal die Fliegerstation war, hatte man in diesen Kammern den Brennstoff für die Flugmotoren aufbewahrt. Vergitterte Fenster und eine massive Eisentür machten eine Flucht aus solcher „Zelle“ unmöglich. Der Gefangene erhielt aus den Baracken ein Feldbett in den kleinen Raum gestellt. Herr Karsten brachte ihm sogar etwas zu essen, und dann war er versorgt. Die eiserne Tür wurde hinter ihm verschlossen, und den Schlüssel erhielt der Beamte. Dieser wandte sich nun an die Jungen und sagte:

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„Ich danke Ihnen, meine jungen Freunde, für Ihre wertvolle Hilfe. Sie haben mir meine Arbeit bedeutend erleichtert. Wenn ich Ihnen aber einen guten Rat geben darf: Lassen Sie sich künftighin nie mehr in solche Abenteuer ein, wie sie eines für diese Nacht vorhatten, ohne, na sagen wir einmal, wenigstens das stille Einverständnis von Leuten meines Fachs. Sie sind trotz Ihres Mutes, den ich aufrichtig bewundere, nicht in der Lage, mit modernen Verbrechern fertig zu werden. Sie bringen sonst sich selbst in große Gefahr und erschweren uns nur die Arbeit. Was Ihre beiden Kameraden betrifft, die offenbar von dem Gefangenen hier und seinen Helfershelfern festgehalten werden, so seien Sie ohne Sorge. Sie sind nicht in Lebensgefahr, und ich werde sie Ihnen bald ins Lager zurückbringen. Nun muss ich noch einmal zurück, um die Druckplatten und das Falschgeld an mich zu nehmen. Wenn Sie mir mein Motorrad durch den Sand schieben helfen, will ich zu Fuß mit Ihnen gehen; Ihr Lager liegt ja ganz in der Nähe.“ Der Beamte hatte mit großem Ernst gesprochen, und die Jungen standen alle etwas verlegen da. Er holte nun seine schwere Maschine aus einer Baracke, und während die „Falken“ es eifrig auf das Forsthaus hin durch den Wald schoben, gingen Hans und Werner mit dem Beamten hinterher.

Ein Fehler mit Folgen Niemand aber von allen hatte bemerkt, dass in der Dunkelheit jene Gestalt am Forsthaus ihnen mit größter Vorsicht zum Erholungsheim gefolgt war und nun schon längst wieder in höchster Eile der Försterei zuhastete, ein beträchtliches Stück vor ihnen her. Nein, die „Falken“ freuten sich, dass diesmal der „Laden endlich geklappt“ hatte, und Werner wie Hans begannen ihrem neuen Helfer zu erzählen, was sie bisher an Abenteuern erlebt hatten. Kaum fiel dabei aber zum erstenmal das Wort vom „dicken Herrn“, da blieb der Beamte voller Bestürzung stehen. „Der dicke Herr ... natürlich, das ist ja ... Herrschaften, wie konnte ich den vergessen! Hallo, ihr Jungen, mein Rad.“ Die „Falken“ blieben stehen, der Beamte lief auf sie zu; ohne auch nur noch ein Wort zu sagen, trat er den Motor an, der Scheinwerfer über der Gabel blitzte hell auf, und mit knallendem Getöse raste der Beamte auf dem gut fahrbaren festen Waldweg durch den dunklen Wald dem Forsthaus zu. „Was ist denn los mit dem Mann?“ wollte Helmut eben wissen; aber schon rief Hans: „Weißt du, was los ist? Wir haben ja nicht mehr an den dicken Herrn gedacht. Am Ende ist der auch wieder auf der Geest, im Forsthaus oder ... vielleicht auch im Lager!“ Das wirkte. Sofort setzten sich die Jungen in Trab und liefen, was das Zeug hielt, dem Forsthaus zu. Als sie in das Gehöft atemlos und heißgelaufen einbogen, stand die Tür zum Forsthaus weit offen, ein Blick in die Zimmer genügte, um den bestürzten Jungen zu zeigen, dass in der Zwischenzeit jemand in der Försterei gewesen sein musste. Das gefälschte Geld, die beiden Pakete, die der Beamte gefunden, ja selbst die Druckplatten waren verschwunden. „Wo ist der Beamte hin?“, wollte Helmut eben rufen, als dieser auch schon von der Seeseite her durch den Wald herbeilief. „Herr Lindener, kommen Sie mit, wir müssen gleich zur Lotsenstation! Ich habe eine Dummheit gemacht. Der Dicke war hier. Wir müssen ihm nach!“ Damit schwang sich der Beamte bereits wieder auf sein Motorrad. Werner sprang auf den Soziussitz, und fort ging es wie der Wind durch die nächtlichen Wälder der Geest.

Eine rote Rakete meldet Gefahr Langsam schlenderten die Jungen ihren Zelten zu. Da leuchtete es plötzlich hinter den Kiefern her in blutrotem Schein. Eine Rakete warf ihr gespenstisches Licht hell über den Wald.

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„Da! Alarm!“ schrie Hans. „Das Lager ist in Gefahr! Lauft, Kerls, lauft!“ Und die zehn Buben hasteten, jagten mit Windeseile ihrem Lager zu.

Zur gleichen Stunde - draußen auf See Pfeilschnell flog ein hochbordiges graues Boot über die See auf Torland zu. Das Wasser rauschte um seinen Bug und schäumte. Fernhin blinkte hell das Leuchtfeuer vom Renover Haken durch die Nacht. An einer einsamen Stelle stieß das Boot an Land. Werner und der Beamte stiegen aus. Während sie in der Dunkelheit rasch durch die Dünen liefen, kehrte das Boot zurück. Die beiden stiegen eilig durch hohes Strandgras aufwärts und stießen auf den Weg, der von Seewerk zum Renover Haken führte. Fern im Osten zeigte ein erster heller Streifen am Himmel den aufdämmernden Morgen an, sonst war noch völlig Nacht. Auf dem Wege waren die beiden stehen geblieben. Prüfend überblickte der Beamte, so gut es im Zwielicht ging, das Gelände, und ein paar Augenblicke lang blieben seine scharfen Augen an dem fernen Leuchtturm auf der Höhe haften, dessen Blinkfeuer ruhig und gleichmäßig seine Strahlen kreisen ließ. Immer wieder traf ein heller Strahl auf Sekunden die beiden einsamen Nachtschwärmer und hüllte sie in gespenstisches Licht.

Eilige Schritte in der Nacht „Hoffentlich kommen wir nicht zu spät“, flüsterte der Beamte. „Wenn mich nicht alles täuscht, dürften wir bald dem Dicken. . . Still, hören Sie nichts?“ Werner lauschte ... Deutlich hörte man aus der Ferne das Näherkommen schneller Schritte. Da lief einer durch die Nacht, der es sehr eilig hatte. „Das ist er“, flüsterte der Beamte, „Er hat also doch Angst bekommen, unser Dicker, und nun will er auskneifen; aber wir kriegen dich, Freundchen!“ Lautlos verschwanden die beiden zur Seite im hohen Grase, legten sich flach hin. Die Schritte kamen schnell näher. Ein plötzliches Freudengefühl durchschauerte Werner; das war der letzte Akt: Festnahme des dicken Herrn! Schon nach wenigen Minuten sahen die beiden in der schwach aufdämmernden Morgenhelle eine Gestalt heranlaufen. Aber das war der dicke Herr nicht, wie Werner gleich erkannte. Trotzdem entsicherte der Beamte behutsam seine Waffe, nahm die Blendlaterne in die andere Hand - ein paar Sekunden vergingen noch, der vorwärtshastende Mensch keuchte schon fast an ihrem Versteck vorüber, als ihm plötzlich das Licht der Blendlaterne grell ins Gesicht fuhr ... „Halt...! Hände hoch!“ rief der Beamte, und dann sah Werner in das schweißüberronnene Antlitz eines tödlich erschrockenen Jungen von höchstens sechzehn Jahren, der wie zum Schutz vor dem gleißenden Licht beide Hände zitternd vor die Augen hielt und vor jäher Angst fast zu Boden fiel. Werner fasste ihn schnell, musste den armen Kerl aber noch einige Zeit stützen, so war ihm der Schreck in alle Glieder gefahren. Der Beamte ließ die Waffe sinken und fragte nun mit warmer, freundlicher Stimme: „Wer sind Sie, und wo wollen Sie hin?“ Aber der Junge brachte kein Wort hervor. Er keuchte und zitterte, hielt die Hände vor die Brust gepresst und sah seine beiden Gegner schreckensbleich an. Sein schweißdurchnässtes, helles Haar hing ihm ins Gesicht und klebte auf der feuchten Stirn, seine Lippen standen weit geöffnet, der arme Kerl rang nach Atem und brach plötzlich in ein heftiges Schluchzen aus. Er war so erschöpft, dass es einen erbarmen musste. Wieder klang die herzliche Stimme des Beamten. „Es tut mir leid, dass wir Sie so erschreckt haben, aber es geschieht Ihnen nichts, wirklich nicht, seien Sie ohne Sorge! Wer sind Sie?“ „Ich heiße Jan Doerksen und bin der Sohn des Leuchtturmwächters.“ „Und wo wollen Sie hin?“ „Nach Seewerk zum Doktor.“

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„Zum Arzt? Ist jemand krank bei Ihnen?“ „Ja! - - Wir haben - - zwei Jungen da oben - zu - - - Besuch, und einer davon ist plötzlich krank geworden.“

Also doch! Endlich! „Zwei Jungen!“ schrie Werner geradezu. „Das sind ja . . .!“ „Ruhig bleiben!“ sagte der Beamte. „Ist er schwer erkrankt?“ „Ich weiß nicht - er hat Fieber!“ „Nun hören Sie einmal gut zu!“ sagte der Beamte. „So richtig zu Besuch sind die Jungen da oben bei Ihnen nicht, das wissen Sie so gut wie wir. Wir kennen die Jungen. Sagen Sie uns, wer hat die Jungen da oben hingebracht?“ „Mein Onkel!“ „Und wo ist Ihr Onkel jetzt?“ „Im Bett“, stotterte der Junge. „Sagen Sie schön die Wahrheit...!“ „Das ist die Wahrheit!“ rief der Bub. „Ich lüge nicht; mein Onkel ist eben vor einer halben Stunde mit dem Boot von Gravenhage gekommen, und dann hat er mich ja erst hinausgelassen, weil ich keinen Schlüssel vom Turm habe; und er is t ins Bett gegangen.“ „Recht so, mein junger Freund; ich glaube Ihnen, und nun kommen Sie, wir gehen mit Ihnen zum Arzt; wir sind beide gute Fußgänger. Unterwegs werden Sie uns dann etwas von Ihrem Onkel erzählen, was Sie so wissen. Sprechen Sie ganz offen, denn sonst bringen Sie sich und Ihren Vater vielleicht in große Unannehmlichkeiten. Sie sind ein ehrlicher Kerl, also los!“ Werner wusste nicht, wie ihm war. Eine übergroße Freude erfüllte plötzlich sein Herz. Gottfried und Hermann sind gefunden! jubelte es in ihm. Jetzt war alles klar, und nun wusste er, weshalb das Betreten des Turmes verboten, weshalb der Wächter gestern so unfreundlich war. Gott sei Dank, die Buben sind wieder da! Aber dann fiel ihm ein: Einer von ihnen ist ja krank, vielleicht schwer krank. Da klang Werners Freude schnell wieder ab, und im Weiterschreiten sprach er ein kurzes Gebet für die beiden. Die drei schritten eilends auf Seewerk zu. Langsam kam Jan Doerksen wieder zu Atem; er wurde ruhiger. Im Gehen trocknete er sich sein nasses Gesicht, wischte sich die Tränen aus den Augen und strich die feuchten Haare von der Stirn zurück. Werner Lindener hatte den Leuchtturmbuben noch nie in seinem Leben gesehen, aber er hatte ihn schon liebgewonnen. Seine Ehrlichkeit, dazu die treue Sorge für den kranken Jungen oben auf dem Leuchtturm. Der junge Anführer wusste gleich: Dieser Jan Doerksen ist ein feiner Kerl.

Vorbereitungen zur Flucht Inzwischen war der dicke Herr aber nicht, wie der Leuchtturmbub glaubte, zu Bett gegangen; im Gegenteil, kaum hatte der Junge im Laufschritt den Turm verlassen, als jener eilends begann, seine Koffer zu packen. Vorher hatte er noch telefonisch Seewerk angerufen und um ein Eilgespräch mit Berlin gebeten; bis die Verbindung hergestellt war, hatten die beiden von dem Beamten im Forsthaus gefundenen Pakete und auch das fertige Falschgeld bereits Platz in einem der Koffer gefunden, und als der Apparat rasselte, standen im Zimmer des dicken Herrn zwei Koffer fertig verpackt da. Jetzt hob der Mann den Hörer vom Telefon und sprach etwas schnaufend: „Hallo hier g-d-b. Wer dort? --- Bist du da, Harry? Gut, pass auf! Vor gut einer Stunde ist das Forsthaus hochgegangen. -- Wie? -- Ja, die Kerle müssen Lunte gerochen haben. Ernst ist geschnappt. Ganz zufällig war ich drüben, als man das Haus durchsuchte ... Bitte? --Ja, natürlich, die Lausbuben waren auch wieder dabei. Denen werde ich noch einheizen! Die Bande! Nun merke dir bitte: Man hat Ernst bei der Fliegerstation eingesperrt, und zwar in eine der alten Pulverzellen - es ist die zweite von dem großen Steindamm ab. - Ihr müsst sehen,

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dass ihr ihn befreit ... Wie? - Ganz einfach. Ich rechne bestimmt damit, dass die Polente vorerst einmal mir nachspüren wird, und so wird man Ernst wohl ein paar Tage in dem Loch lassen. Nun macht ihr es so: Anstatt morgen um drei Uhr hier beim Renover Haken anzufahren, seid ihr gegen zwei Uhr, also eine Stunde vorher, an der Geest. Ihr seid Leute genug, Ernst rauszuholen. Das Boot macht so viel Fahrt, dass man euch kaum wird verfolgen können ... Was ich mache? Keine Sorge! Ernsts Arbeiten habe ich hier auf dem Turm; ich habe sie dem Schnüffler unter der Nase weggeklaut. Morgen Nacht verdufte ich mit dem ganzen Kram. Freitag-Samstag bin ich dann bei euch. Verstanden? - - Also zwei Uhr auf der Geest, zweites Pulverhäuschen vom Steindamm ab! Nehmt euch aber vor den Bengels aus dem Rheinland in Acht, sie spionieren ganz niederträchtig. Also alles Gute! Schluss!“

Schon jemand auf der Spur? Der dicke Herr drückte befriedigt den Hebel des Apparates einen Augenblick herunter und rief aufs Neue das Fernamt in Seewerk an. Der Dicke verlangte eine Verbindung nach Hamburg. Sie wurde ihm zugesagt, aber dabei blieb es. Das Amt rief nicht mehr an, und als der Dicke nach einer halben Stunde ärgerlich nachfragen wollte, wo die Verbindung bleibe, erhielt er keine Antwort mehr. Einen Augenblick war der Dicke verblüfft. „Sollte mir schon jemand auf der Spur sein?“ brummte er verlegen vor sich hin. „Ach was, bis morgen muss ich schon aushalten, vorher kann Ottmar mich nicht holen kommen. Ich werde ihm telegrafieren, und das hat auch noch bis morgen Zeit. Auf keinen Fall kriegt ihr mich!“ Der dicke Herr schritt noch einige Zeit in seinem Zimmer auf und ab, schimpfte ärgerlich über den kranken Bengel über ihm, der ihm nun auch noch zur Last falle, schließlich aber warf er sich in seinen Kleidern auf das alte schwarze Sofa und begann nun tatsächlich bald zu schnarchen.

Sorge um den kranken Freund Zwei Stockwerke höher näherte sich in diesem Augenblick ein Junge so leise, wie es seine vierzehn Jahre ihm nur ermöglichten, dem Lager seines kranken Kameraden, und eine raue, sonnengebräunte Bubenhand bemühte sich mit ungewohnter Behutsamkeit, dem unruhig Daliegenden ein feuchtes Tuch auf die fieberheiße Stirne zu legen. Mit scheuer Bewegung strich er dabei seinem Freund die schweißnassen Haare von der Stirne und sagte mit seiner rauen Knabenstimme: „Bleib ruhig, Hermann, bald wird der Doktor kommen, dann wird es besser. Jan ist sicher schon in Seewerk.“ Der Angeredete sah einen Augenblick zu seinem ungeübten Samariter hin, dann seufzte er leise und starrte wieder wie vorhin schon zur niederen Decke des Turmzimmers hinauf. Gottfried aber schritt vorsichtig auf den Zehen an das einzige kleine Fenster des Raumes, durch das die frühe Morgendämmerung einen ersten blassen Schimmer warf, stützte die Ellbogen auf das Fenstersims und presste beide Wangen in die Hände. Mit hungrigem Blick sah der gefangene Bub über die grauen, fahlen Wellen des freien Meeres, das da unten um den Renover Haken spülte, sah weiterhin zum fernen Horizont, wo die dunkle Nacht noch über den Wassern kauerte, und nur ein Gedanke arbeitete dabei angestrengt hinter der Knabenstirne: „Wie kommen wir hier heraus?“ Das war Gottfrieds Beschäftigung schon, seit er in diesem Turme saß, und das waren schon drei Nächte und drei Tage. „Ob Hans drüben im Lager wohl ahnt, wo wir sind? Ob er nach uns sucht? - Es ist gleich!“ - Entschlossen richtete der Bub sich auf. „Ich versuche es immer wieder von neuem, einmal komme ich doch heraus, und wenn ich noch so viele Ohrfeigen kriege. Aber Hermann?“ - Ein scheuer Blick streifte das Lager des kranken Freundes. – „Schade, der kann nicht viel machen, und allein lass ich ihn nicht, und wenn ich zehnmal auskratzen könnte. Aber gleich kommt doch der Arzt, dem könnte ich

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einheizen, wer wir sind und dass die Lumpen uns hier gefangen halten. Wenn ich den Mann nur ein paar Sekunden allein kriegen könnte!“ Aber der dicke Herr zwei Stockwerke tiefer hatte vor dem Einschlafen noch bei sich beschlossen, den Arzt eben keinen Augenblick mit den beiden Jungen allein zu lassen.

Jan Doerksens Geschichte Kriminalrat Wolter war mit Werner und dem Leuchtturmbuben rüstig auf Seewerk zugeschritten, hatte seine Fragen an den blonden Inseljungen gestellt, und Jan hatte treulich erzählt, was er wusste. Und so erfuhr der Beamte mit Werner dies: Jan Doerksen bewohnte mit seinem Vater den Leuchtturm allein. Die Mutter des Buben war gestorben. Gut vor einem Monat war nun der Onkel plötzlich auf den Leuchtturm zu Besuch gekommen. Ein zweiter Mann war noch bei ihm gewesen, war aber am folgenden Tage schon wieder abgereist. Der Onkel hatte nun gebeten, fünf oder sechs Wochen gegen entsprechendes Entgelt zu Gast sein zu dürfen, er habe auf Gravenhage geschäftlich zu tun. Jeden Tag fuhr er auch nach der Insel hinüber, blieb öfters auch schon einmal längere Zeit dort. In den letzten Tagen aber sei er, der sonst immer vergnügt gewesen sei, schlechter Laune gewesen; warum, wisse weder er noch der Vater. In der Nacht von Samstag auf Sonntag sei er wieder von Gravenhage gekommen und habe die zwei Jungen bei sich gehabt. Beiden seien die Hände auf dem Rücken gefesselt gewesen. Der Vater sei ganz entsetzt gewesen und habe mit dem Onkel sehr laut geschimpft. Der Onkel aber habe erzählt, er habe die Jungen drüben auf der Geest beim Wildern ertappt und hoffe nun, von dem Förster eine Belohnung zu erhalten, wenn er die Jungen ausliefere. Er wolle sie bis dahin auf dem Turme festhalten. Zuerst habe der Vater nichts davon wissen wollen. Nach einer längeren Unterredung aber mit dem Onkel, deren Inhalt er nicht wisse, habe der Vater, wenn auch ungern, eingewilligt. Die Jungen seien im obersten Turmzimmer untergebracht worden, und seit der Zeit sei der Turm nachts immer verschlossen gewesen, und auch tagsüber habe man niemanden mehr hinaufgelassen. Er selbst habe nicht zu den Jungen ins Zimmer gedurft, der Vater nur, ohne mit ihnen zu sprechen. Aber er habe allmählich doch herausbekommen, dass die Jungen drüben von der Geest aus einem Jungenzeltlager seien. Der kleinere von den beiden habe einige Male tüchtig geweint, und heute Abend sei er plötzlich krank geworden. Gegen zehn Uhr nämlich, der Vater sei schon schlafen gewesen und der Turm verschlossen, hätte der größere Jungen an die ebenfalls verschlossene Türe ihres Zimmers geklopft. „Ich selbst“, sagte der Leuchtturmbub, „war eben auf der Galerie bei der Laterne. Zuerst habe ich mich um das Klopfen nicht gekümmert, denn einmal, wie ich es doch getan habe, bin ich schwer hereingefallen dabei. Als das Klopfen aber dann gar nicht aufhörte, hatte ich Sorge, der Vater würde wach, und da bin ich hinuntergegangen und hab' gefragt, was los sei. Da hörte ich, dass der kleine Junge, Hermann heißt er, krank sei, und ich sollte doch einen Arzt holen. Aber der Turm ist ja zu. Den Vater zu wecken, wagte ich nicht, denn er war auch in den letzten Tagen sehr schlechter Laune. Lange nach drei ist dann der Onkel nach Hause gekommen. Ich habe ihn gebeten, mich doch zum Arzt gehen zu lassen. Der Onkel hat zuerst nicht gewollt. Nachdem er aber selbst einmal bei dem kranken Hermann war, hat er mir den Turm aufgeschlossen und mich nach Seewerk geschickt, den Doktor zu holen.“ „Das hast du fein gemacht“, sagte der Beamte, als der Junge geendet hatte. „Du bist ein prächtiger Kerl, Jan. Aber nun hör zu: Wir werden gleich bei dem Arzt sein, und du wirst mit diesem wieder zum Leuchtturm zurückgehen. Und nun merk dir: Weder dein Vater noch dein Onkel dürfen erfahren, dass du uns das alles erzählt hast. Lieber Jan, ich kann dir nichts Genaues sagen, aber deinem Vater und dir droht eine große Gefahr. Ihr habt, ohne es zu wissen, etwas getan, was streng verboten ist. Von deinem Onkel will ich gar nicht reden. Wenn du aber schweigen kannst, und du musst schweigen, hörst du, mein Junge, soll dir und deinem Vater nichts Böses geschehen, das verspreche ich dir. Andernfalls aber wird dein Vater viel verlieren, und das wäre doch traurig. Versprichst du mir also, zu schweigen?“ Der Beamte hatte mit großem Ernst gesprochen; der Leuchtturmbub stotterte ein „Ja“. Plötzlich aber blieb der Kriminalist stehen, blickte einen Augenblick auf, wies mit der Hand nach oben und fragte: „Was ist denn das hier für eine Telefonleitung?“

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„Das ist unsere Verbindung“, antwortete Jan, „die geht vom Leuchtturm nach Seewerk.“ „Soso“, brummte der andere, „das ist aber peinlich.“ Und zum Staunen Werners und Jans warf der Beamte seinen Rock ab und kletterte mit großer Geschicklichkeit an einem der Holzmaste hinauf und arbeitete eine Weile oben in den Drähten. Es dauerte nicht lange, bis er wieder auf dem Boden stand, und dann schritten die drei eilends weiter nach Seewerk. Auf dem Leuchtturm aber schimpfte der Dicke, weil er seine Fernverbindung nicht erhielt. Ein paar Minuten später - es begann schon hell zu werden - zog Werner die Klingel des Arztes von Seewerk. Die drei wurden bald eingelassen, und nach ein paar weiteren Minuten war der Arzt zur Stelle. Der Kriminalbeamte gab sich ihm zu erkennen und bat um eine Unterredung. Die beiden zogen sich auf kurze Zeit in ein Nebenzimmer zurück. Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, reichte Werner dem Leuchtturmbuben die Hand und wiederholte das Lob des Beamten, indem er Jan Doerksen dankbar ansah: „Du bist ein prächtiger Kerl, Jan!“ Der Arzt war sofort mit Jan Doerksen losgefahren. Im Sprechzimmer saßen unterdessen Werner und der Beamte. Ein Mädchen hatte ihnen frischen Kaffee mit Brot gebracht, und sie ließen sich beides munden. „Sehen Sie“, sagte der Beamte, „unser dicker Herr glaubt, klug zu sein. Er hat die Druckplatten und das falsche Geld an sich genommen, einmal, um dadurch seinen Komplizen drüben auf der Geest zu entlasten, und zum andern denkt er, die gefälschten Scheine nun doch für seine Zwecke verwerten zu können, indem er sie an seine Hintermänner weitergibt. Aber nun hat er sich selber verraten. Ich glaube, dass er sich einstweilen auf seinem Leuchtturm noch ziemlich sicher fühlt; er weiß ja wohl nicht, dass ich auf der Geest beobachtete, wie er nach hier zurückfuhr. Und ich gedenke, ihn in seinem Sicherheitsgefühl noch zu bestärken. Sehen Sie hier: Diese Notiz wird heute morgen im 'Boten auf Torland` erscheinen.“ Und der Beamte las vor: Seewerk, den 12. August In der vergangenen Nacht hat die Kriminalpolizei in dem unbewohnten Forsthaus auf der Gravenhager Geest eine Falschmünzerwerkstatt ausgehoben, die von zwei Männern, wahrscheinlich im Zusammenhang mit einem größeren Konsortium, schon seit einiger Zeit an dieser abgelegenen Stelle betrieben wurde. Einer der Täter konnte an Ort und Stelle festgenommen werden. Während dessen Abtransport ist es dem andern, der sich verborgen hielt, gelungen, mit den Druckplatten und dem gefälschten Geld auf das Festland zu entkommen. Er wird aber verfolgt werden. Er versucht vermutlich nach Schweden zu entkommen. Die Hafenpolizei ist bereits verständigt. „Das wäre Nummer eins, eine kleine Morgenfreude für den dicken Herrn. Nebenbei, dass ich Ihre und der Jungen Mitarbeit nicht erwähnt habe, hat seine guten Gründe; der Dicke könnte an den beiden Gefangenen Rache üben. Man muss vorsichtig sein in solchen Fällen. Aber nun zuerst weiter: Sie haben selbst der nach drüben gefunkten Botschaft in der Nacht von Sonntag auf Montag wie auch aus den Morsezeichen, die Herr Karsten abgefangen hat, entnehmen können, dass in der nun folgenden Nacht die gefälschten Noten mit einem Boot hier von der Nordspitze Torlands abgeholt werden sollen. Fällt der Kerl auf dem Leuchtturm nun auf meine Zeitungsnotiz hier herein, und das hoffe ich, dann bleibt er wohl heute ruhig hier oben, um selbst diese Nacht in dem erwähnten Boot zu verduften. Für diesen Fall wird er aber kurz vorher von mir verhaftet, dann schnappe ich statt seiner das Motorboot um drei Uhr ab, und wir haben das ganze Konsortium der Fälscher beisammen. Verstehen Sie?“ Leider aber hatte Herr Wolter die Telefonleitung zu spät unbrauchbar gemacht. Und jenes Motorboot, das er nun für die kommende Nacht drei Uhr erwartete, dachte gar nicht mehr daran, um diese Zeit Torland anzulaufen. „Natürlich müssen wir auch damit rechnen, dass der dicke Herr trotz dieser für ihn sehr beruhigenden Zeitungsnachricht doch den Boden unter den Füßen brennen spürt. Damit er uns nicht entwischen kann, habe ich einen zweiten Plan ausgesonnen, zu dessen Verwirklichung ich Ihrer Hilfe bedarf, Herr Lindener, aber in einer Weise, die Ihnen sicher angenehm sein wird. Hören Sie zu!“

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Eine riskante Aufgabe Wolter fuhr fort: „Sie werden sich immer noch der beiden Jungen wegen ängstigen, und es wird Ihnen wohl etwas daran liegen, möglichst bald bei diesen zu sein. Das Vergnügen sollen Sie haben. - Ich habe mit dem Herrn Doktor folgendes ausgemacht: Ganz gleich, wie krank der Junge oben auf dem Leuchtturm ist, hoffen wir, dass es nicht schlimm ist, der Arzt wird oben kategorisch erklären, dass der Junge Pflege haben müsse; einfach den jungen Mann aus dem Turm herauslassen werden die da oben jetzt aber nicht wollen. Also muss ein erfahrener Krankenpfleger auf den Turm, der seinerseits wiederum auf Torland nicht zu bekannt sein darf. Und der sind Sie. Der Arzt wird Sie als Studenten der Medizin höheren Semesters ausgeben, dazu als sehr verschwiegenen und zuverlässigen Mann, der zufällig zu Besuch bei ihm sei, er wird Sie empfehlen. Fertig ist die Laube! Der Dicke wird zwar bocken, aber dann wird der Arzt mit Anzeige drohen, und die käme dem Herrn da oben ja heute gerade durchaus ungelegen.“ „Ja, aber“, wagte Werner zu widersprechen, „der dicke Herr hat mich doch hier in Seewerk bei den Booten gesehen, der Leuchtturmwächter oben auf dem Renover Haken, beide Mal waren unsere Jungen dabei, und ob Medizinstudenten in Fahrtenkluft herumlaufen?“ „Kleinigkeiten“, schnitt der Beamte dem jungen Mann das Wort vom Munde ab. „Einen tipptoppen Anzug besorge ich Ihnen, die Haare werden gefärbt - sehen Sie mich nur nicht so entsetzt an, es geht leicht wieder ab! Dann vielleicht eine kleine Fliege unter der Nase, eine Hornbrille darauf, und Sie sind fertig, kein Mensch erkennt Sie. Einverstanden, Herr Lindener?“ „Aber sicher“, entgegnete Werner schmunzelnd. „Sie haben aber mit Ihrem Besuch bei den Jungen die zweite Aufgabe zu verbinden, die ich eben erwähnte“, fuhr der Beamte fort, „Sie sollen nämlich den dicken Herrn beobachten und zu entdecken versuchen, was er vorhat. Zusammenstoßen werden Sie ja sicher mit ihm. Und ich habe jetzt anderes zu tun. Und nun würde ich Ihnen raten, ein paar Stündchen zu schlafen. Sie sehen müde aus; und auf dem Leuchtturm müssen Sie offene Augen und helle Ohren haben. Also legen Sie sich hier auf den Diwan, ich mache die Fensterläden zu und besorge Ihnen unterdessen alles Nötige für Ihr großes Abenteuer.“ Gehorsam legte sich Werner auf das Ruhesofa, das im Vorzimmer des Arztes stand, denn er war wirklich müde, hundemüde sogar. Ein paar Sekunden später war er fest eingeschlafen.

Vor dem Sturm Ein bleigrauer Himmel lastete über der Ostsee und ihren vielen Inseln, kein Lüftchen regte sich, es war drückend schwül. Schnellen Schrittes stieg ein junger Mann, in der rechten Hand einen kleinen Lederkoffer, zum Renover Haken hinauf. Es war der Student der Medizin Max Stralau aus Berlin. Sein Haar war schwarz gelockt, auf seiner Nase hockte eine dunkelbraune Hornbrille größten Formats, unter der Nase sprosste ein kleines, fein gestriegeltes Schnurrbärtchen, und der ganze Kerl steckte in einem hellen, leichten Sommeranzug. Tipptopp bis auf die hellen Socken und die braunen Halbschuhe. Niemand würde in dem geschniegelten Strandjüngling Werner Lindener erkannt haben, der noch in der vergangenen Nacht in grauer Fahrtenhose und grünem Hemd hier zur Seite der Straße im Strandgras auf der Lauer gelegen hatte. Max Stralau wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wenn einer der Bewohner Torlands diesen Seufzer gehört haben würde, hätte er dem jungen Herrn Studenten sicher gesagt: „Das ist die Ruhe vor dem Sturm; passen Sie auf, in ein paar Stunden bläst es mit voller Kraft von Westen her, regnet und hagelt es; bös wird das Wetter werden.“ Und dann würde dieser Max Stralau wohl plötzlich stehen geblieben sein und sich innerlich erinnert haben, dass ein gewisser Herr Karsten einem gewissen Werner Lindener erst tags vorher gesagt hatte: „Treffen Sie Vorsorge für Ihr Lager, es droht ein Seesturm!“

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Am Leuchtturm Aber kein Mensch hatte Werners knurrige Bemerkung gehört, und der hatte den Seesturm vollständig vergessen. Als er aber den Renover Haken erstiegen hatte, spürte er starkes Herzklopfen. In ein paar Minuten würde er bei seinen Jungen sein, aber auch dem Dicken gegenüberstehen. Jans Vater stand genau wie gestern in der Tür und rauchte seine Stummelpfeife. Den Ankömmling schien er kaum zu bemerken. Werner aber schwang seinen eleganten Filzdeckel, machte eine zackige Verbeugung und stellte sich als Student der Medizin Max Stralau vor, der als Krankenpfleger zu einem Jungen gewünscht worden sei. „Ja, ja, gehen Sie nur hinauf und klopfen Sie im zweiten Stock mal an die Tür; da wird man Ihnen Bescheid sagen.“ Während der Leuchtturmwärter das sagte, warf Werner einen schnellen Blick auf das Schlüsselloch in der Turmtür. „Davon kann ich keinen Wachsabdruck machen, Herr Wolter“, dachte er dabei. Dann stülpte der „Krankenpfleger“ seinen Kalabreser wieder auf die „Negerlocken“ und stieg klopfenden Herzens die enge Wendeltreppe hinauf zum zweiten Stock. An der einzigen Tür dort klopfte er an, und es öffnete der dicke Herr. Er trat hastig zu Werner heraus und zog die Tür gleich hinter sich zu. Aber einen kleinen Blick hatte Werner doch durch die Spalte werfen können. In dem Zimmer standen zwei mächtige Koffer. „Der Dicke will auskneifen“, blitzte es ihm durch den Kopf; „er packt schon!“ „So, Sie sind der Krankenpfleger“, wurde Werner unversehens angesprochen. Dabei musterte ihn sein Gegenüber misstrauisch von oben bis unten. „Max Stralau heißen Sie?“ „Zu Diensten“, bemerkte Werner höchst offiziell. „Schön, merken Sie sich gleich das eine: Nachtwachen gibt es auf keinen Fall, so krank ist der Bengel nicht, und wir wollen hier nachts unsere Ruhe haben. Na, weiter will ich dem Arzt ja nicht dreinreden. Nur noch eins: Kümmern Sie sich bitte nicht um die Privatangelegenheiten der Jungen. Beide haben von mir den strengen Befehl, auch nicht eine einzige Silbe mit Ihnen zu sprechen. Und ich wünsche, dass Sie meine Anordnungen respektieren. Haben Sie mich verstanden? So, nun kommen Sie!“ „Jawohl“, sagte der Herr Studiosus.

Endlich bei den verschwundenen Jungen Oben angekommen, öffnete er die verschlossene Tür und ließ Werner eintreten. Der große, fast runde Raum war durch ein einziges, kleines Fenster an der gegenüberliegenden Seite nur ganz spärlich erhellt. An diesem Fenster saß Gottfried, ein Buch in der Hand; er hatte seinem Freund vorgelesen. Als die Tür zum Zimmer aufsprang, brach der Junge mit Lesen ab, erhob sich zögernd und ängstlich und sah die Eintretenden an. Werner erschrak, als er in dem trüben Licht erkannte, wie schlecht der Junge aussah Die Wangen waren bleich, seine Augen sahen gequält und misstrauisch drein, und der Mund war trotzig verschlossen. Gottfried machte einen ungepflegten Eindruck. Wirr hingen ihm die Haare um den Kopf, sein Fahrtenhemd war verknittert, und die kurze Hose sah ganz so aus, als ob sie die letzten Nächte nicht mehr von dem Kerl heruntergekommen wäre. An der Wand, rechts vom Fenster, lag Hermann auf einem Strohlager, über welches Decken gebreitet waren. Er lag auf dem Rücken und sah teilnahmslos zur Decke des Zimmers. Auf seiner Stirn lag ein feuchtes Tuch. Am liebsten wäre Werner gleich hingegangen, um ihm ein liebes Wort zu sagen, denn das Aussehen Hermanns erfüllte ihn mit banger Sorge. Die Wangen des Jungen glühten im Fieber, seine Haare lagen in Strähnen um die Schläfen, und der Mund stand leicht geöffnet, wie wenn Hermann von Durst gequält würde. Werner war gleich an der Tür stehen geblieben und sah zu den beiden Gefangenen hin; er sprach kein Wort, vermochte es auch vorerst nicht. Aber er fühlte, wie es in ihm zu kochen begann, es wäre ihm jetzt

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ein Vergnügen gewesen, den Dicken, der lauernd hinter ihm stand, rechts und links ohrfeigen zu können. Nur mit Mühe vermochte Werner, sich ruhig zu verhalten und gleichgültig zu scheinen. Der Dicke, dem es wahrscheinlich ungemütlich zu werden begann, erklärte: „Wenn Sie etwas wünschen, können Sie klopfen oder sich zu mir herunterbemühen.“ Dann ging er und zog die Tür hinter sich ins Schloss, ohne sie aber zu verriegeln. Werner hörte, wie er die Treppe hinabstieg. Totenstille herrschte bei den Zurückbleibenden. Neben Hermanns Lager stand ein zweiter Stuhl, auf dem eine Schüssel mit Wasser stand. Werner stellte die Schüssel zu Boden und setzte sich. Nach einer kleinen Pause - sie war ganz unheimlich in ihrer Gespanntheit - sagte Werner leise: „Grüß Gott, Hermann!“ Wieder war es still. Hermann drehte langsam den Kopf ein wenig zu Werner herüber, sah ihn einen Augenblick an und schaute wieder weg.

Angst ... „Bitte, sprechen Sie nicht mit uns, wir dürfen nichts sagen und sagen auch nichts. Wir sind in Lebensgefahr. Sprechen Sie nicht mit uns, sonst sind wir verloren. Hier haben die Wände Ohren!“ Das war Gottfried. Hastig und leise flüsternd hatte er die Worte herausgestoßen. Werner sah zu ihm hin, der Junge starrte ihn unverhohlen feindselig an. Er hält mich für einen Spion, dachte Werner und sagte leise: „Guten Tag, Gottfried!“ Nun riss Gottfried aber doch die Augen auf. Die Stimme hatte er schon gehört, die kannte er, gut sogar, aber ... mit dem Fremden da, der ihn ganz freundlich ansah, konnte er nichts anfangen. Und dann der Dicke! Gottfried hatte Angst. „Ich bringe euch viele Grüße von Hans und dem ganzen Lager!“ Was war das! Jetzt fuhr Gottfried auf Werner los. „Wer bist...? Wer sind Sie?“ stieß er hastig hervor, stand vornübergebeugt und sah Werner maßlos gespannt an. „Wenn du mir versprichst, ganz ruhig zu bleiben und nur leise zu sprechen, wie ich es jetzt tue, dann sollst du bald alles erfahren.“ Mit diesen Worten nahm Werner langsam seine Hornbrille ab, wandte sich wieder an Gottfried, der ihn aus zusammengekniffenen Augen immer noch mit größter Spannung ansah, und sagte: „Nun denke dir einmal meine Haare blond und glatt nach hinten gekämmt und den blöden Schnurrbart weg…!“ „Mensch!“ schrie Gottfried. Erschrocken legte Werner den Finger auf den Mund: „Leise!“ „Ja, ich weiß nicht, bist du's am Ende wirklich?“ „Ja, ich bin es; aber nun halt die Klappe!“ Gottfried war Werner plötzlich um den Hals gefallen, umarmte ihn kräftig und heulte und lachte mit einem Male gleichzeitig heftig in sich hinein; es schüttelte den ganzen Kerl ordentlich durcheinander. Das war ja die Rettung! Gottfried wusste nicht, wie ihm war. Er fühlte sich auf einmal froh und so frei, ach so glücklich ... Dann ließ er schnell wieder von Werner ab, er wollte nicht zeigen, wie gewaltig es in ihm arbeitete. Gottfried war sonst ein verschlossener Junge, aber die Überraschung war zu plötzlich gekommen. Und doch, wie freute er sich! Er kauerte sich neben Hermann hin, der auch jetzt noch teilnahmslos vor sich hinstarrte, und... „Hermann, Hermann“, flüsterte er. „Hermann, hör doch! Der Werner ist da! Kerl, hör doch, wir werden frei! Herrschaft, wir kommen endlich hier heraus!“ Da richtete sich Hermann langsam auf, sah Werner an und sagte leise zu Gottfried, indes er sich wieder hinlegte: „Du bist ja verrückt!“ „Bestimmt, Hermann, er hat sich nur maskiert, um hier hereinzukommen. Bestimmt, er ist es!“ Gottfrieds Freude war nicht zu beschreiben. Werner beugte sich nun auch zu Hermann nieder und sprach leise auf ihn ein. „Hör mal, Hermann, ich bin es wirklich, bin es so sicher, wie ich dich vor ungefähr drei

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Wochen bei unserem letzten Waldspiel an den 'Sieben Inselchen` daheim gefangen habe. Bist du nun überzeugt?“ „Ja!“ sagte Hermann da, und dicke Tränen liefen ihm über die Wangen, dann flüsterte er: „Wann kommen wir hier weg? Ich will nach Hause.“ „Du musst jetzt vernünftig sein, Hermann, und dann dauert's auch ganz sicher nicht mehr lange.“ Werner nahm seinen kleinen Koffer und öffnete ihn, um den Fiebernden nach den Anweisungen des Landarztes zu behandeln. Rotwangige Äpfel, Apfelsinen und ein paar Tafeln Schokolade leuchteten Werner aus dem Koffer entgegen. Der Kriminalbeamte war doch ein prachtvoller Mensch! Werner gab jedem der beiden Jungen ein paar Äpfel, machte Hermann einen neuen Umschlag, ließ ihn das Fieber messen und gab ihm ein paar Pillen ein. Währenddessen flüsterte Gottfried: „Werner, lass uns nur ja vorsichtig sein, damit der Dicke nichts merkt. Er ist ein ganz gemeiner Schuft. Wir sind geliefert, wenn er uns mit dir sprechen hört.“ Einen Augenblick sah Werner zu Gottfried hin; Angst malte sich auf den Zügen des Jungen. „Nicht wahr, du sorgst dafür, dass der Dicke uns nichts tun kann; du bleibst jetzt bei uns, und wenn du gehst, nimmst du uns mit, oder?“ „Gottfried, Ruhe! Euch soll nichts geschehen; den Dicken packen wir, ehe er es glaubt.“ „Aber du, Werner“, warf hier Gottfried schon wieder ein, „ihr müsst das Forsthaus erobern so schnell, wie ihr könnt; da sitzt noch so ein Lump drin. Er und der Dicke haben das Stroh angesteckt und uns gefangengenommen.“ „Das Forsthaus haben wir schon, Gottfried! Sei nur beruhigt“, flüsterte Werner zurück, „der Kerl da drüben ist schon verhaftet!“ „Ist das wahr? Ein Glück! Dann weiß ich auch, weshalb der Dicke so 'ne Wut hat. Ihr habt also die Falschmünzerbande!“ „Aber sag mal, Gottfried, woher weißt du das denn mit dem Forsthaus?“

Ertappt, überwältigt und gefangen „Wir sind ihnen ja nachgeschlichen, das war ja der Blödsinn, ohne Hans oder sonst einem etwas zu sagen. Pass auf, Bill hatte seine Decken auf der Wiese liegen lassen. Wir hatten sie beim Feuerschein liegen sehen. Hermann und ich wollten sie ihm klauen und verstecken, damit er sie nachher suchen sollte. Als wir nun dahin kamen, wo die Decken gelegen hatten, waren sie weg, und Hermann sah eben einen Kerl unter den Bäumen verschwinden. Da kam mir die fabelhafte Idee: Dem schleichen wir nach und sehen, wohin er läuft. Und so kamen wir an das Forsthaus; der Kerl lief hinein und ließ die Tür offen. Wir schlichen noch ein bisschen in den Hausgang; denn aus einem Zimmer kam Licht, und wir wollten doch wissen, was der Kerl da drinnen zu tun hätte. Und da stand eine Druckmaschine, und auf einer Kiste lagen eine Menge Geldscheine. Wir wo llten eben verduften, da wurde auf einmal die Haustür zugeschlagen, und als wir uns umdrehten, stand der Dicke da und brüllte uns an: ‚So, ihr wollt hier spionieren! Das werde ich euch austreiben!’ Jetzt kam auch der andere aus dem Zimmer, und dann sind beide über uns hergefallen; es gab eine wüste Keilerei. Ich habe den Dicken vor sein Schienbein getreten, dass er nur so herumgehopst ist, aber wir kamen nicht gegen sie an. Sie banden uns die Hände auf den Rücken, und dann war es aus. Jetzt gab es ein ellenlanges Gemurmel zwischen den beiden, darauf haben sie uns die Augen verbunden, uns geknebelt und in ein Boot gebracht. Da kriegten wir es mit der Angst. Über eine Stunde sind wir bestimmt gefahren. Als wir dann irgendwo anlegten, ging es einen steilen Berg hinauf. Wir konnten weder schreien noch fortlaufen. Kreuz und quer kletterten wir hoch, manchmal ging es regelrechte Treppchen hinauf. Als wir oben waren, mussten wir uns erst einige Zeit auf den Boden setzen; der Dicke verhandelte mit jemandem.“ „Sag doch nur ruhig, wer es war“, warf Hermann hier mit leiser Stimme ein. „Ja natürlich, der Leuchtturmwärter, der olle Doerksen war es“, fuhr Gottfried lebhaft fort. „Wie die beiden fertig waren, führte der Dicke uns eine Wendeltreppe hinauf. Ich vermutete sofort: Wir sind in einem Turm, und dachte auch gleich an den Leuchtturm von Torland. Als man uns dann frei machte, waren wir hier in diesem Zimmer. Den ganzen Tag über haben wir hier gesessen, und ein alter Mann

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brachte uns zu essen und sah auch sonst nach uns, redete aber keinen Ton. Am Sonntagabend, als es dunkel wurde, begann hier über uns eine Maschine zu brummen, und es blitzte immer am Fenster vorbei. Der Leuchtturm fing an zu arbeiten. Wir konnten die ganze Nacht nicht schlafen. Andauernd habe ich überlegt, wie wir euch eine Nachricht geben könnten. Auf einmal hörte ich jemand die Treppe herunterkommen. Ich wusste, dass der Schlüssel von außen in der Tür steckte. Darum habe ich einmal geklopft und dem da draußen gesagt, er möchte uns doch einmal hinauslassen an die frische Luft, hier drinnen wäre es so heiß.

Hoch über dem Meer Es wurde tatsächlich aufgeschlossen, und draußen stand ein Junge und sagte, wir sollten aber leise sein. Dann ließ er Hermann und mich auf die Galerie. Der Junge war sehr nett und wollte uns etwas zu essen holen. Er tat es auch, und da sah ich auf einmal in einem kleinen Raum die Schalttafel. Ich hinein, den Hebel herunter, und der Leuchtturm war dunkel. Ich starrte mit Hermann nach der Geest hinüber und sagte: ‚Wenn die da drüben jetzt noch auf sind, dann merken sie das, und vielleicht kommt ihnen dann der Gedanke, dass wir hier sind.’ Und dann habt ihr plötzlich auf der Geest bengalisches Licht angezündet. - ,Hermann’, rief ich, ‚sie haben uns bemerkt!’ Aber da kam auch schon der Leuchtturmwärter herauf, der Junge hinter ihm: Im ganzen Turm war ja das Licht ausgegangen. Schnell rannte ich an den Schalter und stieß den Hebel wieder hoch. Aber ich bekam eine mächtige Ohrfeige weg, Hermann auch eine, und dann wurden wir wieder eingesperrt. Jan, so hieß der Junge, hat schwere Schimpfe bekommen, dass er uns überhaupt hinausgelassen hat. Am nächsten Tag war es sehr langweilig für uns. Wir warteten, dass ihr kämet. Aber der ganze Montag verging. Als gestern Vormittag noch immer keiner uns wegholen kam, waren wir fast verzweifelt. Aber gestern Nachmittag hörten wir euch dann einmal unten singen. ‚Hermann, da sind sie!’ rief ich. Mann, haben wir uns gefreut! Ich sprang schon ans Fenster, um hinunterzuschreien: ‚Hier sind wir, kommt uns holen!’ Da flog die Tür auf, der alte Leuchtturmbonze kam hereingeschossen, er riss mich zurück und schrie: ‚Kein Wort, sonst setzt es Prügel!’ Ihr sangt euer Lied aus, und wir standen hier im Zimmer mit dem alten Ekel und konnten uns nicht verraten. Wir haben vor Wut geheult. Und wie ihr fertig wart, kam nichts mehr. Es wurde dunkel, und wir sagten uns schließlich, dass ihr wohl gar nicht gewusst habt, dass wir hier sind. Und Hermann hat sich dann so aufgeregt, er bekam Kopfschmerzen und war ganz krank. Er weinte und wollte nach Hause . . .“ „Es ist gut, Gottfried“, sagte Werner und atmete tief auf, „das übrige weiß ich. Wir haben drüben geglaubt, die Kerle hätten euch schon beim Lager erwischt.“

Ein gefährlicher Plan Und als müsse Hermann die bittenden Worte seines Freundes bekräftigen, stützte er sich auf seinem Lager wieder auf und sagte: „Werner, ich habe Angst vor dem Dicken; er ist so gemein; du darfst uns nicht mehr mit ihm allein lassen.“ Den beiden Jungen drohte wirklich eine ernste Gefahr, und der Dicke konnte brutal werden, wenn jemand seine Pläne durchkreuzte, das glaubte Werner auch. Gottfried und Hermann waren ihm hilflos ausgeliefert. Das durfte nicht sein! Eine kleine Weile war es totenstill in dem Turmzimmer. Werner grübelte vor sich hin. Es wäre ihm lieb gewesen, wenn er jetzt Herrn Wolter dagehabt hätte. Nun musste er alleine handeln. Sein Gedanke war: Wie kriege ich die Jungen hier heraus, ehe der Beamte den Dicken verhaftet? Herrgott, hilf mir, ich muss es schaffen! Und mit einem Male reckte sich Werner hoch; er hatte einen Plan. Der war gefährlich, und doch; es musste gewagt werden. Um ihn vorzubereiten, brauchte er den Leuchtturmjungen, und so fragte er Gottfried, wie er Jan unauffällig erwischen könne. „Jan?“ sagte Gottfried. „Ich weiß nicht, wo der jetzt sein könnte.“ „Der ist tagsüber meistens oben auf der Galerie“, meinte Hermann.

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Hoffnung auf Befreiung „Dann will ich versuchen, Jan zu erreichen“, sagte Werner ruhig. Er riss ein Blatt aus seinem Notizbuch und schrieb darauf: Lieber Hans, Gottfried und Hermann sind gefunden. Du musst mir helfen, sie zu befreien. Ich erwarte Dich heute Abend gegen acht Uhr mit Julius und der Gruppe der „Falken“ in Seewerk an der Dampferbuhne. Kommt mit einem Boot her. Frohen Gruß, Werner Dieser Zettel musste so schnell wie möglich auf die Geest hinüber. Werner überlegte: Gegen halb fünf kam die „Hansa“ von Grevemünde her in Seewerk an und fuhr dann weiter zur Geest. Der Zettel konnte dem Kapitän gegeben werden mit der Weisung, ihn Herrn Karsten zu überliefern, und der würde ihn schon ins Lager besorgen. Werner sah auf die Uhr, es war viertel vor zwei. Das klappte also noch. Nun zog er eilends seine Schuhe aus, öffnete leise und behutsam die Tür und horchte die Wendeltreppe hinunter und hinauf alles war still. Vorsichtig zog Werner den Schlüssel aus der Tür und machte einen Wachsabdruck von dem Schlüsselbart, den er in eine leere Streichholzschachtel legte. Das Wachs hatte ihm der Beamte eigens zu diesem Zweck mitgegeben. Dann glitt er lautlos und schnell die Treppe hoch. In wenigen Sekunden war er an der Falltürluke zur Galerie. Vorsichtig lugte Werner einmal auf den Turmumgang hinaus, ehe er ihn vollends zu betreten wagte. Das Abenteuer musste glücken! Wenn Werner hier oben von dem dicken Herrn überrascht wurde, dann war alles verloren. Aber es war niemand zu sehen. Hinaus also! Der dicke Herr saß unten ruhig in seinem Zimmer, las schmunzelnd einen Artikel im „Boten von Torland“ und brummte dabei: „Jawohl, ihr Schafsköppe, jawohl, ich bin auf dem Festland.“ Er kicherte leise vor sich hin. „Gebt nur Acht, dass ich nicht nach Schweden verdufte!“ Dann schrieb der Dicke schnell ein paar Worte für ein Telegramm auf, denn leider war immer noch das Telefon nach Seewerk gestört. Werner huschte an der Wand vorbei über die Galerie hin und schaute zu den Gläsern hinauf nach Jan. Der Leuchtturmbub war nicht zu sehen. Erst als Werner einen Blick in den kleinen Schalterraum warf, fand er den Jungen drinnen beim Staubwischen. Jan erschrak, als er sich plötzlich einem wildfremden Menschen gegenübersah, der zudem noch auf Strümpfen da herumschlich. Er wusste weder, wer dies verkleidete Monstrum war, noch wie es überhaupt auf die Galerie kam. Mit einiger Mühe gab sich Werner zu erkennen. Da lachte der Junge. Werner drückte ihm seinen Brief und die Streichholzschachtel zu und sagte ihm, er solle die Streichholzschachtel dem Beamten in Seewerk geben, den Brief aber müsse der Kapitän der „Hansa“ erhalten, auch die Streichholzschachtel, falls der Beamte nicht zu finden sei. Zur Vorsicht schrieb Werner darum noch auf die Rückseite des Zettels an Hans: Sehr geehrter Herr Karsten! Besorgen Sie bitte zu diesem Wachsabdruck, falls Ihnen ein solcher von dem Kapitän der „Hansa“ übergeben werden sollte, einen passenden Schlüssel, und übersenden Sie ihn mit diesem Brief an das Lager. Geben Sie den Jungen auch einen starken Dietrich mit! Mit Gruß, Ihr Werner Lindener Den Dietrich glaubte Werner für die Tür zum Leuchtturm selbst gebrauchen zu können; denn einen Wachsabdruck konnte er hier nicht machen, wie er ja beim Betreten des Turmes festgestellt hatte. Jan freute sich sehr, nachdem er Werner erkannt hatte, und flüsterte ihm zu, er werde alles besorgen, sobald er nach Seewerk hinunterkäme.

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„Der Dicke ist gar nicht mein Onkel, er ist nur ein Bekannter vom Vater aus der Kriegszeit. Er will übrigens heute bestimmt noch abreisen. Wenn nichts dazwischenkommt, soll es gegen zwei Uhr sein, so hat er's Vater gesagt.“ Gegen zwei Uhr? Werner stutzte. Hatte der Beamte nicht gesagt, gegen drei Uhr würde das Boot Torland anlaufen? „Du hast dich wohl verhört, Jan: Drei Uhr hat der Dicke sicher gesagt?“ „Nein, ich hörte, wie er Vater sagte: Also, wie es zwei Uhr sind diese Nacht, bist du mich los. Nun sorg dafür, dass ich nicht gestört werde bis dahin.“ „So, so! - Dann sag das bitte auch dem Beamten, Jan, wenn du ihn erreichen kannst. Sieh zu, dass du ihn findest, das wird eine sehr wichtige Nachricht für ihn sein.“ Der Aufenthalt Werners auf der Galerie hatte höchstens zwei bis drei Minuten gedauert; Werner verabschiedete sich jetzt leise von Jan, um schnell und ungesehen wieder zu den Jungen zu kommen. Da wurde plötzlich im Turm eine Tür aufgerissen, und eine barsche Stimme rief: „Jan! Wo steckst du?“ Es war der dicke Herr. Die beiden auf der Galerie erschraken jäh. Wenn der Dicke den Werner hier oben bei Jan antraf, war alles aus. Und nun hörten sie ihn die Treppe hinaufstampfen, und wieder schrie er: „Jan! - Jaaan! - Zum Kuckuck, wo ist der Bengel denn?“ Die Schritte kamen näher. Werner stieß Jan schnell vorwärts und flüsterte: „Kerl, gib ihm doch Antwort!“ Und Jan lief zur Galerietür hin und rief hinab: „Ja, hier bin ich! Was willst du, Onkel?“ Gottlob, der Dicke hielt mit Steigen inne und schrie: „Komm herunter! Du musst schnell einmal für mich zur Post! Nach Seewerk, ein Telegramm aufgeben!“ Jan stieg langsam die Treppe hinab, und Werner schlich leise hinter ihm drein und war heilfroh, als er wieder bei Gottfried und Hermann im Zimmer war. Der Dicke hatte ihn nicht bemerkt. Aber jetzt fiel Werner plötzlich der zweite Auftrag des Beamten ein: „Passen Sie auf den Dicken auf!“ Die Koffer im Zimmer des Dicken, Jans Bemerkung oben auf der Galerie, jetzt das Telegramm: es stand bei Werner fest: Der Dicke wollte vor Ankunft seiner Helfershelfer auskneifen. „Hoffentlich findet Jan nur den Beamten, sonst ist Holland in Not!“ dachte Werner. Leider aber fand Jan den Beamten nicht!

Flucht vom Leuchtturm „Jungs, nun wird es Zeit für mich, ich muss nach Seewerk zurück, damit ich noch mit Herrn Wolter sprechen kann.“ Leise verabschiedete sich Werner von den beiden gefangenen Jungen. Deren Augen glänzten vor heimlicher Freude. Die Zeit ging auf fünf Uhr an. „Also, es bleibt dabei“, sagte Werner nochmals, „in einer Stunde, denk' ich, sieht der Arzt noch mal nach euch, und diese Nacht kurz nach zwölf bin ich mit den 'Falken`, mit Hans und Julius da, und dann hat eure Gefangenschaft ein Ende. Wisst ihr über alles genauen Bescheid?“ „Ja“, flüsterte Gottfried erregt. „Wenn Julius unten den Möwenschrei ausstößt, kommen wir ans Fenster und winken euch hinunter, ob die Luft rein ist, dann . . .“ „Schleichen ich und ein oder zwei 'Falken` gleich mit Nachschlüsseln in den Turm und hier herauf und holen euch! Es geht alles tadellos.“ „Wenn nur der Dicke nichts merkt“, flüsterte Hermann. „Keine Sorge, Kerl! Der ist um diese Ze it genug mit sich selbst beschäftigt, und außerdem wird Jan auf ihn Acht haben. Ich werde dem Leuchtturmbuben gleich genau Bescheid sagen, er muss mir ja unterwegs begegnen. - Aber vor allen Dingen, Gottfried, Hermann, lasst euch nichts anmerken, bleibt ruhig, seid anständig und tut nichts, was Verdacht erregen könnte. Und nun - bis Mitternacht, Jungens! Julius' Möwenschrei ist das Signal, dass wir da sind.“ „Auf Wiedersehen!“ flüsterten die Buben und drückten ihrem Anführer die Hand.

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Werner Lindener verließ leise das Zimmer der beiden. Eine Minute später verabschiedete sich der Student Max Stralau zwei Stockwerke tiefer von dem dicken Herrn mit den Worten: „Also bis morgen früh, dann komme ich noch mal vorbei!“ „Ist recht“, brummte der und drückte ihm zwei Mark in die Hand. Dann verließ Werner den Turm und trat den Rückweg nach Seewerk an...

Dunkle Wolken am Horizont Die dumpfe Schwüle des Tages war unterdessen noch drückender geworden, und am Horizont ballten sich bereits schwere Wolken mit scharf zerrissenen, weißen Rändern, die wie Schneegipfel in der Sonne gleißten. Werner aber hatte keinen Blick dafür; er tappte müde und unter der Hitze seufzend dem fernen Dorf zu. Unterwegs begegnete ihm Jan, der dem überraschten Werner berichte, dass er den Beamten zwei volle Stunden gesucht habe. Leider ohne Erfolg. Er habe dann Brief und Zündholzschachtel dem Kapitän der „Hansa“ gegeben, der versprochen habe, beides gewissenhaft zu besorgen. Als Werner Jan nach dem Inhalt des Telegramms fragte, erhielt er die Antwort: „Den kenne ich nicht. Das Telegramm war in einem verschlossenen Umschlag!“ Da war also nichts zu machen. Aber wo war Herr Wolter? Werner hatte Sorgen. Wenn er ihn jetzt auch nicht fand, dann konnte der Dicke entkommen, denn Werner hatte nicht die Macht, ihn aufzuhalten. „Vor zwei Uhr diese Nacht geht er bestimmt nicht weg“, beruhigte Jan ihn, „das weiß ich von Vater.“ „Na, dann ist ja alles in Ordnung!“ Ehe der Leuchtturmbub weiterging, weihte ihn Werner noch kurz in seinen Plan für die kommende Nacht ein und bat um seine Hilfe. Aber der Junge bedauerte, nicht so helfen zu können, wie Werner es vielleicht wünsche, weil sein Vater diese Nacht Dienst auf der Galerie tue. „Sie brauchen sich aber keine Sorge zu machen“, fügte er hinzu, „der schläft immer. - Vertreten kann ich ihn aber nicht gut, denn ich drücke mich sonst immer vorm Nachtdienst, wo ich nur kann. Auf jeden Fall werde ich diese Nacht aber wach bleiben, und dann helfe ich Ihnen, wo Sie mich brauchen!“ Werner bat Jan noch, auf die beiden Jungen und den Dicken achtzugeben, und falls letzterer doch vor dieser Nacht abreisen wolle, möglichst schnell Nachricht nach Seewerk zu geben. Auch damit erklärte sich der Leuchtturmbub einverstanden. Zum Abschied sagte Werner: „Gottfried und Hermann darf nichts geschehen, bis ich oben bin. Willst du dafür Sorge tragen, Jan?“ „Dafür werde ich sorgen“, sagte der Junge und sah Werner fest an. In Seewerk angekommen, ging er gleich zum Arzt, der sich seinerseits eben fertig machte, zum Leuchtturm zu gehen. Werner fragte ihn sofort nach dem Kriminalbeamten, aber auch der Doktor wusste nichts von dessen Verbleib. Er sei noch am Vormittag weggegangen, und seitdem habe er ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Werner beruhigte sich bei dem Gedanken, dass der Kriminalbeamte wohl, was ja auch das wahrscheinlichste war, wieder auf der Geest zurück sei, um sich des Gefangenen anzunehmen, und er dachte sich, dass er dann heute Abend sicher mit Hans und den anderen zurückkommen werde. Trotzdem war es Werner ungemütlich. Er hatte die Verantwortung für den Dicken übernommen. Aber wenn dieser jetzt auskniff? Was er tun konnte, hatte Werner getan, und mehr konnte keiner verlangen. Er wünschte nur, den Inhalt des Telegramms zu kennen, dann hätte er gewusst, was der Dicke plante, und könnte seine Gegenmaßnahmen treffen; so aber...

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Ein Unwetter kündigt sich an Einige Zeit später steckte der feine Strandjüngling „Max Stralau“ wieder in der altgewohnten Kluft. Er lief durch den Ort Seewerk und beschaffte sich einen Federwagen für Hermann. - Um Decken hatte er schon den Arzt gebeten. Gegen acht Uhr war Werner dann am Strand bei der Dampferbuhne. Wie aber hatte sich unterdessen das Wetter verändert! Ein mächtiger Regen rauschte vom Himmel, und ein kalter Wind peitschte dem einsam am Strand Stehenden die scharfen Tropfen ins Gesicht. Alle Ruhebänke von der Promenade, die Strandkörbe aus dem Seebad waren verschwunden. Das Meer ging bereits sehr hoch und rauschte gewaltig. Dumpf gurgelte und schäumte das Wasser in den schweren Balken des Landstegs. Da erinnerte sich Werner endlich an die Warnung Karstens vor dem drohenden Sturm. Es fiel ihm schwer auf die Seele, dass er die Jungen zu benachrichtigen vergessen hatte. Noch war seine Sorge allerdings nicht allzu groß, denn einem solchen Wetter waren die Zelte wohl eine Nacht gewachsen, ohne dass es den Jungen schadete. Unterdessen sah Werner schon von weitem das Boot von der Geest her kommen; es hatte widrigen Wind und musste kreuzen. Als es endlich beigefahren war, entstiegen ihm Hans, Julius und die „Falken“ - von Herrn Wolter aber war nichts zu sehen. Auch auf der Geest hatte niemand etwas von ihm entdecken können, und der Gefangene saß noch brav in seinem Pulverhäuschen. So erzählten die Jungen. Werner war ratlos. Herr Wolter war nicht auf der Geest? - Er war nun froh, dass er seinen eigenen Plan für Gottfrieds und Hermanns Befreiung fertig hatte. Die „Falken“ hatten Zeltbahnen zum Schutz gegen den Regen umgehängt; sie waren aber doch bereits völlig durchnässt, und die Jungen mit ihren nassen und zerzausten Haaren, ihren brennendroten Gesichtern und blaugefrorenen Händen sehnten sich nach einem trockenen Unterschlupf. Werner bedauerte die armen Kerle; aber sie wollten nichts davon wissen. Sie waren guten Mutes und freuten sich auf das kommende Abenteuer. Hans übergab Werner einen mächtigen Schlüsselbund, indem er einen Schlüssel aus der Menge hervorhob. Dieser entspreche dem Wachsabdruck. Aber Herr Karsten habe keinen Dietrich, darum der ganze Schlüsselbund. Er hoffe, dass einer schon passen werde. „Hoffentlich gelingt's“, dachte Werner und erzählte nun den Jungen auf dem Wege zur Wohnung des Arztes, was er in der letzten Nacht und heute den Tag über erlebt hatte; auch legte er ihnen seinen Plan auseinander. Hans berichtete ihm, das ganze Lager sei in Aufregung und erwarte mit Spannung die Rückkehr der Jungen. Selbst das Erholungsheim „Seestern“ nehme regsten Anteil an allem. „Übrigens“, fuhr er fort, „die Nacht hat es noch einen Riesenspaß gegeben. Du warst kaum mit der Maschine fort, da gab Heinz Alarmsignal. Was das Zeug hielt, spritzten wir zum Lager und fanden Heinz bleich wie ein Gerippe vor; er hatte eine Wildkatze für den dicken Herrn gehalten.“ Werner lachte, dann fragte er gleich weiter, ob Herr Karsten das Lager nicht vor dem Sturm gewarnt habe, der auszubrechen drohe; Hans verneinte. „Das ist dumm“, sagte Hans, „aber jetzt können wir nichts mehr dran ändern.“ „Wie ist es, halten die Zelte den Regen aus?“ fragte Lindener zurück. „Wenn es nicht ganz bedeutend schlimmer wird, geht's schon“, meinte Hans ziemlich unbesorgt. „So ein Wetter hält unser Lager schon aus. Die Zelte sind gut gebaut, die Abzugsgräben sind tief, und unsere Jungen wissen auch, wie sie sich so einem Wetter gegenüber verhalten müssen.“ „Hoffen wir das Beste“, meine Werner. In der Wohnung des Arztes wärmten sich die „Falken“ und erwarteten dessen Rückkehr vom Leuchtturm. Nach einer halben Stunde hörten sie den Wagen vorfahren. Dr. Zörner meinte, dass sie Hermann ruhig entführen könnten. Er werde das überstehen, denn sein Befinden habe sich sehr gebessert, und im übrigen werde er den befreiten Buben für die Nacht ein Bett zur Verfügung stellen, damit sie endlich ausschlafen könnten. Werner dankte dem Arzt herzlich für seine Freundlichkeit. Er erfuhr auch, dass der Dicke immer noch oben sei. Gegen zwei Uhr wolle er weg, hatte Jan ihm heute gesagt. Ob es stimmte? Bis dahin war man mit den beiden Gefangenen längst über alle Berge. - Aber wie den Dicken kapern? – „Kommt Zeit, kommt Rat“, dachte Werner. – Noch bis gegen elf Uhr hielten sich die Jungen bei dem Arzt auf, dann rollten sie die Decken in eine gute Zeltbahn, luden sie auf den Handwagen und fuhren los, ihrem neuen Abenteuer entgegen.

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In Sturm und Regen Hätten sie gewusst, was sich unterdessen auf dem Leuchtturm zugetragen hatte! Werner Lindeners ganzer Plan war nämlich längst hinfällig geworden, und der treue Helfer Jan, auf den der junge Anführer in diesem Augenblick große Hoffnung setzte, saß gefangen und mit verheulten Augen untätig im Keller des Leuchtturms. Gottfried und Hermann aber hatten alle Hoffnung aufgegeben... Draußen hatte unterdessen richtiger Dauerregen eingesetzt, verbunden mit einem wilden Weststurm. Aber so böse das Wetter auch war, die Jungen glaubten, für ihr nächtliches Abenteuer könne es nur von Nutzen sein. Denn wer vermutete sie bei solchem Sturm nach dem Leuchtturm unterwegs? Sie zogen frierend voran, heulend johlte der Wind über die kahle Höhe, der Regen peitschte den Jungen ins Gesicht, rann über ihre Zeltbahnen, tropfte ihnen auf ihre nackten Knie, und sie tappten in der Dunkelheit oftmals in die breiten Regenpfützen des aufgeweichten Weges, kurz: es war ein zweifelhaftes Vergnügen, sich so durch allen Dreck zu mühen und dabei nass zu werden und kalt dazu. Aber die Aussicht auf Gottfrieds und Hermanns Befreiung, das war etwas, was alle gerne diese Strapazen ertragen ließ. Und doch: Werner war nicht recht zufrieden; er überlegte hin und her, was ihn wohl so bedrücken könne. Jetzt gingen doch endlich die Sorgen des Lagers wie die Leiden der beiden Gefangenen zu Ende. War es, dass die Jungen drüben im Lager einem solchen Unwetter ausgesetzt waren, nur weil er vergessen hatte, sie zu warnen? Hans meinte auf eine erneute Frage Werners, er habe noch keine Sorge, die Zelte würden das schon aushalten. Ahnte Werner vielleicht, dass oben auf dem Leuchtturm, dem man schon beträchtlich näher kam, längst nicht mehr alles so war, wie er es für sein Abenteuer hoffte? Nein, das spürte er nicht. Aber auf einmal hatte er's. Die Worte des Beamten fielen ihm ein, die dieser gestern noch am Erholungsheim drüben gesprochen hatte. „Lassen Sie sich künftig nicht mehr in solche Abenteuer ein. Sie bringen sich selbst in Gefahr und erschweren uns nur die Arbeit!“ Wahrhaftig, und jetzt zogen sie schon wieder zu einem neuen Abenteuer aus. Werner sagte sich schließlich: Der Kriminalbeamte ist nicht zu finden, was hilft da der beste Vorsatz! Die Jungen sind in Gefahr, der Dicke will auskneifen. Es bleibt uns ja gar nichts anderes übrig, wir müssen handeln! Ungefähr eine Viertelstunde vom Leuchtturm entfernt ließen die Jungen den Handwagen mit einer Wache zurück und gingen weiter durch den strömenden Regen und die Dunkelheit auf das Blinkfeuer zu. In einem solchen Hundewetter brauchten sie tatsächlich keine Angst zu haben, dass man ihr Kommen von oben bemerken würde. Der Turm war bald erreicht. Lautlos schlichen die Jungen um ihn herum zu der Seite hin, wo die Fenster waren, und Werner sah nach oben. Da kreisten ruhig die mächtigen Gläser und warfen ihr helles Licht in die Nacht und über die tosende See:

Blinkfeuer über der Ostsee! In dem breiten Lichtschein sah man den Regen in Strömen niederfallen. Nur im zweiten Stock, wo der dicke Mann wohnte, brannte noch Licht, sonst waren alle Fenster dunkel. Am Strand unten rauschte laut die hochgehende See. Man hörte in der Tiefe die mächtigen, sturmgepeitschten Wogen ans Ufer brausen, hörte ihr Donnern und Schlagen. Der Wind pfiff und heulte um den Turm, er fegte über die kahle Höhe, dass die Jungen frierend zusammenschauerten. Sie waren durch und durch nass. Die Kleider klebten ihnen am Leib, aus den Haaren tropfte und lief der Regen über die Gesichter. Werner ließ die „Falken“ sich in das nasse Strandgras kauern. Dann tönte ein krächzender Möwenschrei in die Nacht. Alle sahen scharf zu dem Fenster der beiden Jungen hin, aber nichts rührte sich. Nur der Regen goss vom Himmel. Julius schrie ein zweites, ein drittes Mal - ohne jeden Erfolg. Das beunruhigte Werner. Schliefen die Kerle, oder was war los? Sie sollten doch ein Zeichen geben. Auch von Jan keine Spur. Noch einmal krächzte der Möwenschrei in das Tosen des Sturmes. Dann winkte Werner ab und fuhr sich mit dem Ärmel seiner Windjacke durch das nasse Gesicht.

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„Jetzt probieren wir es eben anders“, sagte er sich entschlossen und ließ Julius und Jupp Schuhe und Strümpfe ausziehen, tat selbst auch das gleiche und flüsterte den beiden zu: „Wir wollen versuchen, in den Turm hineinzukommen. Aber Vorsicht! Jedes unbeabsichtigte Geräusch kann zum Verräter werden.“ Die drei triefenden Gestalten näherten sich der Tür. Ihr Anführer hatte nur den einzigen Wunsch, recht bald einen passenden Schlüssel zu finden. Behutsam drückte er einmal die Klinke nieder. . . da ... ein leises, knarrendes Geräusch, die Tür sprang auf! Ist das nun Nachlässigkeit, oder kommen wir am Ende zu spät, fuhr es Werner durch den Kopf ... Aber der Dicke hatte ja noch Licht! Zu spät kam man wohl kaum. Die drei schlichen behutsam und lautlos in den Turm und die Wendeltreppe hoch. Ihr Herz klopfte. Aber der Sturm lärmte oben dermaßen durch den Turm, dass allzu große Vorsicht gar nicht nötig war. Die Treppe war völlig dunkel. Im zweiten Stock hörte man den Dicken hinter der Tür sprechen. Er ist also noch da, dachte Werner und zitterte vor Aufregung ... schnell vorbei…!

Ein jäher Schreck Die drei huschten hinauf, lauschten ... alles blieb still! Es hatte geklappt! „Gott sei Dank!“ flüsterte Lindener. Sein Herz pochte in Sprüngen. Unbehelligt erreichten die Eindringlinge den vierten Stock. Über ihnen summte in tiefem Ton der Motor des Blinkfeuers, der die Gläser drehte. Ganz leise und vorsichtig steckte Lindener den von Hans mitgebrachten Schlüssel ins Schloss, die Hand zitterte ihm dabei ... er passte ganz tadellos - aber ... Wie sehr sich Werner auch bemühte, er wollte sich nicht drehen. Werner drückte auf die Klinke, die Tür gab nach, sie war also nicht abgeschlossen! Zum Kuckuck, was war denn das? Werner schaltete seine Blendlaterne ein. Zitternd fuhr der Strahl an den Wänden hin, über den Boden ... das Zimmer war leer! Ein jäher Schreck durchzuckte den Führer; er flüsterte Julius und Jupp zu: „Die Jungens sind weg! Was jetzt? - Schnell hinunter ... aber leise ... um Gottes willen leise...!“ Die drei kamen wieder zum zweiten Stock. Der Sturm heulte im Turm, Werner schlich an die Tür, die Waffe schussbereit in der Rechten, presste das Ohr gegen das Holz und lauschte. Julius und Jupp standen zitternd vor Kälte in ihren triefenden Kleidern an der Wand. Im Zimmer sprach der Dicke ... kalt und frech: „…nun lasst euer blödes Weinen, ihr kommt mit! ... Das habt ihr nun von eurem Spionieren, hättet auf eurem Zimmer bleiben sollen...! Meint ihr dummen Bengels, ich würde euch hier lassen, damit man mich, wenn ich in England lande, gleich verhaftet? So schaut ihr aus ... Wenn ich wollte, könnte ich euch ja unterwegs ersäufen, kein Hahn krähte danach! Aber ich bin nicht so. Von England schiebe ich euch ab, und damit basta!“ „Lassen Sie uns doch hier, wir verraten Sie bestimmt nicht. Bestimmt, wir halten den Mund.“ Das war Gottfried ... er weinte... „Was mag geschehen sein, was ist nur geschehen?“ quälte sich Werner. „Und wo ist Jan...?“ „Ich denke gar nicht daran“, antwortete der Dicke. „Ihr habt es euch selbst zuzuschreiben ... Ssssst, jetzt seid mal ruhig!“ Der Dicke lief im Innern des Zimmers ans Fenster. Werner hörte ihn es öffnen ... Im Zimmer wurde es totenstill ... Dann hörte Lindener draußen deutlich ein feines Surren ... es kam schnell näher, dröhnte plötzlich in einer Sturmböe mächtig auf...

Ein Flugzeug ... „Mein Gott“, stöhnte Werner, „jetzt gib mir Kraft und Ruhe! Achtung. Julius, Jupp! ... Drüber her! Aber Vorsicht!“ „Da kommt meine Maschine! Los, wir gehen!“ schrie der Dicke.

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Werner wich zur Wand zurück ... alle Muskeln in ihm strafften sich, seine Nerven bebten ... die Tür flog auf...! „Halt, Hände hoch!“ schrie er. Einen Augenblick stutzte der Dicke jäh. Aber dann, ehe Werner wusste, was ihm drohte, erhielt er einen schweren Schlag auf die Hand. Die Pistole entfiel den vom Regen kalten Fingern, dann erhielt er einen Stoß vor die Brust, dass ihm der Atem verging und er zurücktaumelte. Julius erhielt einen furchtbaren Fußtritt, dass er niederstürzte, und Jupp rollte von einem Kinnhaken fast die Treppe hinunter. - Das Werk einer Sekunde! Und nun jagte er vorüber, die Jungen wehrlos hinter sich herschleifend. Sie hatten wieder die Hände gebunden.

Wilde Drohungen „Verdammt! Weiter, vorwärts!“ schrie der Dicke. „Ihr verdammte Saubande!“ Hermann rief laut um Hilfe ... dann waren sie draußen. Werner rappelte sich auf und stürmte die Treppe hinab. Unten erregtes Rufen: „Wer sich mir in den Weg stellt, den trete ich nieder, den erschieße ich...!“ Das war der Dicke. Werner lief ins Freie ... Finsternis rundum, Sturm und Regen! Lärmen und Schreie klangen im Tosen des Windes stoßweise vom Hang des Berges zu ihm herauf. Da rannte der Dicke den steilen Hang zum Strand hinunter. . . Schwach konnte Lindener ihn im Schein des Blinkfeuers erkennen. Die beiden Jungen zerrte er bald hinter sich her, bald stieß er sie brutal voran. Die „Falken“, Hans voran, liefen in geringem Abstand hinterdrein.

Waghalsige Flucht Da - durch den Kegel des Scheinwerfers glitt ein Wasserflugzeug. Nun ein zweites Licht! Ein starker Scheinwerfer am Bug der Maschine tastete den kaum dreißig Meter breiten Küstenstreifen zwischen Fels und Meer ab. Elegant setzte die kleine Maschine auf und rollte im Sturm wackelnd noch ein paar Meter. Der Dicke lief mit den Jungen auf das Flugzeug zu. Aber seine Kräfte ließen bereits nach, die Jungen hatten ihn fast schon eingeholt. Julius, Jupp und Werner näherten sich, so schnell ihre nackten Füße es zuließen. Aber immer wieder gelang es dem Dicken trotz der sich sträubenden Gefangenen, die er mitschleppte, einen Vorsprung zu gewinnen. Denn die Hänge des Renover Haken fielen zum Wasser oft so steil ab, dass die Verfolger Zeit brauchten, in der Dunkelheit einen Weg hinunter zu finden. Der Dicke aber kannte das Gelände und wusste die kürzesten Pfade. Auch glitten die „Falken“ mit ihrem durchnässten Schuhzeug immer wieder auf dem verregneten Strandgras aus. Von den nackten Füßen der drei Turmeindringlinge ganz zu schweigen. Es war ein wahnsinniges Jagen.

Ein kühner Sprung Eben wieder entkam der Dicke den „Falken“, die ihm schon dicht auf den Fersen gewesen waren. - Da war es Helmut, der plö tzlich den steilen Hang, fast sechs Meter tief, hinabsprang; er hatte den Dicken erreicht, fiel über ihn her, erhielt einen Fußtritt, rannte aufs neue an, packte Gottfried, ein kurzes Ringen, der Dicke gab Gottfried frei und rannte mit dem kleinen Hermann, der sich willenlos mitschleppen ließ, vorwärts. Und er erreichte die Küste. Fast hätten die übrigen „Falken“ ihn wieder eingeholt. Unten schob

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sich eine Landebuhne in die See. Darauf standen zwei Koffer im Regen. Das Flugzeug war an die Landebuhne herangefahren, schwankte hin und her. Der Dicke hatte den Holzsteg erreicht. Jetzt wehrte sich auch Hermann wie besessen. Aber der Dicke war schon bei seinem Flugzeug...

In letzter Sekunde Die Verfolger rannten wie verrückt. „Halt!“ schrie Werner. „Halt!“ Jetzt lief der Propeller der Maschine langsam aus, die Kabinentür öffnete sich. „Zu spät“, keuchte der Dicke höhnisch und stieß Hermann auf das Flugzeug zu. Aber da sprang ein Mann aus der Kabinentür ... „Hände hoch!“ Der Dicke erstarrte: „Sind Sie verrückt?“ „Hände hoch, sagte ich!“ rief der Mann. Die Stimme war Werner bekannt. Der Dicke hob langsam seine Arme, er konnte es nicht fassen. „Was fällt Ihnen denn ein! Wer sind Sie?“ stotterte er. In diesem Augenblick erreichten die Jungen die Gruppe. „Ah, da seid ihr ja, Jungens! - Fesseln!“ Der Beamte warf Werner eine Handfessel zu, die Jungen legten dem Dicken die Hände auf den Rücken, und die Fessel sprang zu. Das war besorgt! Der Dicke kochte vor Wut. Er schnaubte und spuckte und schrie, er werde sich beschweren... „So, das wäre geschafft“, sagte Herr Wolter lächelnd. „Wir wollen ins Trockene gehen.“ Das war nötig. Denn wie sahen die Jungen aus! Sie waren bis auf die Haut durchnässt, von oben bis unten beschmutzt und verdreckt: Dabei schwitzten sie vor Aufregung und Anspannung und froren vor Kälte. Hans und die „Falken“ hatten sich schon Hermanns angenommen, der vor Aufregung und wegen der überstandenen Angst noch leise schluchzte. Man hatte ihm die Hände freigemacht und führte ihn zum Leuchtturm hinauf. Helmut kam Werner auf halbem Wege mit Gottfried entgegen, der auch noch ganz verwirrt und fassungslos zu sein schien und bisweilen leise stöhnte. - Helmuts Augen glänzten. Werner gab ihm die Hand. „Donnerwetter! Helmut, das hast du fein gemacht! Du bist ein tapfe rer Kerl!“ „Reden wir von was anderem“, grinste der verlegen zurück. Aber er strahlte vor Freude. Hans sagte ihm: „Jetzt hast du deinen Versager zehnmal aufgewogen.“

In großer Gefahr Unterdessen waren die Jungen mit ihren befreiten Kameraden zum Leuchtturm hinaufgekommen. Als sie hineingehen wollten, weigerte sich Hermann trotz des strömenden Regens entschieden, ihn nochmals zu betreten. „Dann bringen wir euch gleich nach Seewerk; da wartet auf jeden von euch ein Bett“, sagte Hans. Und so wurde es auch gemacht. Vorher aber packte sich Werner doch noch eben Gottfried und fragte ihn: „Wie ist das, Gottfried, habt ihr Wort gehalten?“ Gottfried wurde sehr verlegen und schaute zu Boden. „Na, heraus mit der Sprache!“ Da lachte er: „Hm, der dicke Herr hatte ja vergessen, hinter dem Arzt wieder abzuschließen. Da bin ich die Treppe hinunter und habe den Dicken bei einem wohlgefälligen Monolog belauscht. Und da erzählte er, dass er noch diese Nacht in London sein werde, dann wäre alles in schönster Ordnung. Irgendwie muss der Kerl gemerkt haben, dass er einen Zuhörer hatte, und da ist er wütend geworden und wollte uns mitnehmen. Übrigens, Jan hat er in den Keller gesperrt, weil der uns verteidigt hat.“

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„Das ist ja eine wunderbare Geschichte, Gottfried. So kann ich mich also auf dich verlassen! Sei froh, dass noch einmal alles gutgegangen ist. Es hätte auch schief gehen können, wie du inzwischen wohl selbst gespürt haben wirst, und dann wärest du es zu einem großen Teil schuld gewesen. Die Folgen, die daraus entstanden wären, namentlich für Hermann, will ich nicht ausdenken.“ Gottfried war sehr niedergeschlagen bei den ernsten Worten, die er aus dem Munde des Anführers hörte. „Nun, ihr seid gerettet“, fuhr Werner fort, „und du darfst dich aufrichtig darüber freuen. Aber lass dir alles eine Lehre sein! Auf die Kerle aus unserer Gruppe muss man sich verlassen können!“ Gottfried gab seinem Anführer stumm die Hand. Werner bat Jupp, Helmut und Hans, noch mit ihm auf dem Leuchtturm zurückzubleiben. Die andern „Falken“ zogen mit den beiden befreiten Jungen eilends nach Seewerk, und die Zurückbleibenden betraten noch einmal den Leuchtturm, wo unterdessen Jan bereits sein „Notquartier“ im Keller an den dicken Herrn abgetreten hatte. Herr Wolter war hinaufgestiegen zu den Gläsern auf der Galerie, um dem Leuchtturmwächter zu seinem prächtigen Sohn zu gratulieren, dem die Jungen es verdankten, dass Gottfried und Hermann heil davongekommen waren. Die Jungen aber warteten brennend darauf, von Herrn Wolter endlich zu hören, wie er in das Flugzeug des Dicken gekommen war. Dann wollten auch sie wieder zum Lager zurückgehen. Sie ahnten noch nicht, was ihrer in den nächsten Stunden wartete...

Erleichterung und Freude Sie saßen auf dem Leuchtturm im gleichen Raum, den bisher der dicke Herr bewohnt hatte. Werner, Hans, Jupp und Helmut. Ihre durchnässten Kleider hatten die Jungen an Jan gegeben, der sie zum Trocknen in die Küche gebracht hatte. Ein breiter Kachelofen spendete wohlige Wärme, und der Leuchtturmbub hatte zudem noch jedem eine warme Decke umgehängt. Aus allen Gesichtern strahlte die Freude, Gottfried und Hermann waren in Sicherheit, der dicke Herr saß gefangen unten im Keller des Leuchtturms, wo er beispiellos vor sich hinfluchte. Seine beiden Koffer mit den gefälschten Papieren waren wieder in dem gleichen Raum, wo sie sich noch vor ein paar Stunden befunden hatten. Draußen heulte zwar noch der Wind um den mächtigen Leuchtturm und prasselte der Regen aus schweren Wolken nieder, aber Werner und die drei Buben oben im warmen Turmzimmer fühlten sich froh wie lange nicht mehr. Der schwere Druck, der all die Tage auf ihren Herzen gelastet hatte, war mit einem Male gewichen. Im fröhlichen Gespräch durchplauderte man noch einmal all die herben Drangsale und Ängste, die man nur wenige Stunden vorher noch verspürt hatte. Schon begann köstlicher rheinischer Humor das Überstandene zu verklären. „Mensch, war doch Sache“, grinste Jupp eben, „als Werner den K. o. des Dicken vor den Bauch bekam!“ „Na, und der Tritt auf deine werte Kehrseite, sag ich dir, das war ein Treffer!“ gab Werner lachend zurück. „Ich sage ja“, brummte nun Helmut los, „da stehen wir armen Männer draußen im Regen und werden klatschnass! Das Führerkollegium übt sich inzwischen im trockenen Leuchtturm in Leichtathletik!“

Der Kriminalbeamte berichtet In diesem Augenblick trat Herr Wolter, der bisher oben auf der Galerie mit dem Leuchtturmwächter Doerksen ein ernstes Gespräch geführt hatte, zu den Jungen herein, legte seinen durchnässten Regenmantel ab und nahm aufatmend den letzten freien Stuhl des Zimmers. „Das war ein fröhliches Jagen! Was? Nun wollen Sie wohl wissen, wie ich in das Flugzeug des dicken Herrn gekommen bin? Sollen Sie hören! Ich will Ihnen die ganze Geschichte erzählen, wie sie sich zugetragen hat. Sie ist zwar noch nicht ganz aus, aber der letzte Akt wird bald gespielt sein, und dann

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dürfen Sie mir die Hand zum Abschied reichen und mir ein freundliches Gedenken wahren. - Aber schauen wir einmal auf die Uhr: Genau eins! Da haben wir ja noch fast zwei Stunden Zeit. Bis dahin werden auch die Beamten aus Grevemünde mit dem Polizeiboot hier sein; ich habe sie bestellt, um unsere Gefangenen gleich abzutransportieren. Sehen Sie, meine Freunde, es gibt eine große Anzahl von Fabriken und Industrieunternehmen, an denen der Staat durch Aktien und andere Dinge beteiligt ist. Kracht ein solches Unternehmen zusammen, so ist das natürlich für die jeweilige Regierung eine schlimme Sache. Nun hatte eine radikalpolitische Sabotagegruppe den Plan ausgeheckt, ein großes Fabrikwerk, an dem unser Staat stark beteiligt ist, bankrott zu machen. Die Folgen für unsere Regierung können Sie sich schnell ausdenken. Man ließ Aktien fälschen, Aktien eben dieses Werkes, die an einem bestimmten Tag zu Spottpreisen auf den Markt geworfen werden sollten. Am gleichen Tage, so war beabsichtigt, sollten die Arbeiter dieser Fabrik mit Falschgeld entlohnt werden, was natürlich die Werksleitung aufs schwerste in Erschütterung bringen musste.“ „Aha, deshalb durften die Scheine auch alle die gleiche Nummer haben“, warf Hans hier ein. „Natürlich! Die Fälschung sollte ja möglichst schnell offenbar werden. Darum die gleiche Nummer auf allen Scheinen! - Na, ich will mich kurz fassen: Sie wissen ja, wie die Sache angepackt war. Der dicke Herr hier und der Gefangene im Pulverhäuschen drüben stellten die falschen Papiere her, und diese Nacht, drei Uhr, sollten sie von den Hintermännern abgeholt werden, um dann in der nächsten Woche für die eben von mir erwähnten Zwecke zu dienen. Die Polizei hat es herausbekommen, und gestern Abend haben wir den Fälscher festgenommen. Der dicke Herr hat uns aber dann die Papiere unter der Nase weggeschnappt und wollte damit verduften. Er ließ durch Jan heute Mittag ein Telegramm nach Hamburg aufgeben, in dem er ein Flugzeug für die Nacht bestellte. Da ich aber wusste, dass der Dicke mit seinen Helfershelfern in Verbindung treten würde, habe ich Postbeamter gespielt. Jan war dann auch so freundlich, das Telegramm des Dicken gewissenhaft zu übergeben. Da war es ja eine einfache Sache, das Flugzeug statt zum Renover Haken nach Grevemünde zu bestellen, wo ich dann an Bord ging, um hier den einsteigenden dicken Herrn zu seiner Überraschung abzufangen.“ Ein fröhliches Lachen der Jungen war die Antwort auf des Beamten Erzählung. Der aber fuhr fort: „Um drei Uhr nun werden die Kumpel unseres Dicken unten ahnungslos mit ihrem Motorboot anrücken. Wir werden sie schnappen, und dann ist die Geschichte aus. - Ist Ihnen das klargeworden?“

Mitten in der Nacht „Klar wie dicke Tinte!“ meinte Helmut (und dabei war die Sache doch längst nicht so klar, weil eben das starke Rennboot in dieser Stunde, getreu dem telefonischen Auftrag des Dicken, auf dem Wege zur Geest war, die es auch trotz des widrigen Wetters pünktlich zu erreichen hoffte). „Nun darf ich Sie wohl bitten“, fuhr der Beamte fort, „mir noch einmal behilflich zu sein. Ich brauche einen von Ihnen, der dem Motorboot den Willkommensgruß signalisieren soll, sonst legt es nämlich gar nicht an. Zwar befindet sich neben dem Piloten noch ein Funker an Bord meines Flugzeuges, aber die beiden müssen bei dem stürmischen Wetter auf ihre Maschine achten. Die Polizei aus Grevemünde möchte ich mir als Reserve zurückhalten. - Merkwürdig übrigens, dass die Leute noch nicht da sind... Den dicken Herrn habe ich soeben etwas untersucht. Er hatte ein nettes Notizbuch bei sich…“ Bei diesen Worten zog der Beamte ein kleines, in rotes Leder gebundenes Notizbuch aus der Tasche und blätterte eine Weile drin herum und sprach dann weiter: „Hier steht es ja: Nacht auf Donnerstag drei, Harry an der Nordspitze von Torland. Lichtzeichen g-d-b!“ „Richtig“, warf Werner Lindener hier ein, „so hat es ja auch Herr Karsten in der Nacht auf Montag festgestellt, als er im Schlafrock auf dem Steindamm stand. Die Buchstaben g-d-b kamen in dem Signal vor. Dann ist ja alles in schönster Ordnung.“ „Also, meine Freunde, das wäre der letzte Akt! Ort der Handlung: Nordspitze von Torland, Zeit: drei Uhr diese Nacht. Personen: Harry, sein Boot und wir! Es wird klappen!“

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Mit diesen Worten steckte der Beamte das Notizbuch wieder in die Westentasche. Dann machte er sich über die beiden Koffer des dicken Herrn her, während die vier Jungen lustig mit Jan weiterplauderten. Sie fühlten sich unter ihren warmen Decken am kräftig brennenden Kachelofen sehr wohl, und nur Hans meinte einmal: „Hoffentlich sind die 'Falken' bald in Seewerk.“ Es regnete noch immer in Strömen. „Nasser als nass können sie doch nicht werden“, gab Helmut trocken zurück, „und nass waren sie ja schon, ehe sie von hier abhauten, also . . .!“ In den Koffern waren sämtliche gefälschten Scheine und auch ein kleiner Scheinwerfer, den man zum Morsen gebrauchen konnte. Der Beamte legte das Falschgeld wieder sorgfältig in den Koffer zurück und verschloss ihn. In diesem Augenblick klopfte es. „Herein“, rief der Beamte, und schon stapften sechs völlig durchnässte, aber kräftige Schutzleute mit schwerem Schritt in das Zimmer. „Oberwachtmeister Schulze mit fünf Mann zur Stelle!“ meldete der Anführer, während ihm der Regen von der Mütze auf die Nasenspitze tropfte. „Schön!“ antwortete der Beamte. „Sie sind im Boot gekommen?“ „Ja!“ „Wo haben Sie beigedreht?“ „Direkt hier unten, Herr Kommissar.“ „Neben dem Flugzeug?“ „Ja, an der Landebuhne.“ „Na, es ist gut! Steigen Sie einstweilen zwei Stockwerke höher, meine Herren, da ist ein leeres Zimmer, wo Sie sich aufhalten können, bis ich Sie brauche.“ Die Polizisten machten kehrt. Große Wasserlachen zeigten die Stelle, wo sie gestanden hatten. Es war halb zwei in der Nacht.

Sturm um den Leuchtturm Bisher hatte es draußen immer noch in Strömen geregnet, und der Sturmwind, der fauchend um den Turm fuhr, warf die dichten Tropfen prasselnd gegen die Fenster. Kaum aber hatte die Uhr halb zwei geschlagen, da trat plötzlich draußen eine lautlose Stille ein. So unvermittelt geschah es, dass die Jungen fast erschraken. Der Regen ließ jählings nach, und der Sturm brach wie mit einem Schlag ab. Alle sahen sich betreten an... „Komisches Wetter“, brummte Hans. Aber dann klang in diese unheimliche Stille da draußen aus der Ferne ein dumpfes Tosen, ein Heulen, ein Grollen, es kam näher, tobte rasend schnell heran. Plötzlich schien der gewaltige Leuchtturm in seinen Fundamenten zu schwanken. Ein wütender Orkan kam von Westen her, heulte über die See und warf sich mit ganzer Wucht gegen den Turm. Es fauchte und ächzte in allen Luken, Regen und Hagel trommelten wie wild auf das Fenster, Türen flogen auf und krachend wieder zu, es pfiff und stöhnte im Treppenhaus. Ein ungeheurer Lärm brüllte durch die Nacht, ließ auf Augenblicke nach, um noch furchtbarer wieder aufzuheulen.

Das Lager in Gefahr Hans sah schreckensbleich zu Werner hin, alle Buben sprangen entsetzt auf. „Das Lager...!“ schrie Hans. Werner taumelte fast vor diesem Schrei... „Mein Flugzeug!“ rief der Beamte, lief in zwei Sätzen zur Tür, stemmte sie auf und rannte die Treppe hinab und in das Unwetter hinaus. Ein Windstoß fuhr ins Zimmer und fegte die Papiere, die auf dem Tisch lagen, wirbelnd zu Boben. Krachend schlug die Tür wieder zu. Von oben polterten die Polizisten

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in höchster Eile herunter, wieder schlugen die Türen des Turmes, Stimmen hallten von draußen durch das wilde Tosen. „Das Lager...“ schrie Hans noch einmal. - „So ein Wetter halten die besten Zelte nicht aus...!“ Traurig sahen die Jungen sich an. Werner Lindener blickte verstört zu Boden. „Das hätte ich verhindern können!“ sagte er leise. Draußen aber heulte und orgelte es in den Lüften, eine schauerliche Musik. Mit voller Wucht fegte der wütende Orkan über die Ostsee und die Inseln durch die Nacht, trieb Wolken, Regen und Graupeln vor sich her und riss nieder, was immer sich ihm in den Weg stellte und nicht widerstehen konnte. Oben auf dem Leuchtturm zischte er wild um die großen Linsen auf der Galerie ... Aber durch all den grausen Höllenlärm kreiste ruhig und unbeirrt, sein rettendes Licht in die Sturmnacht und über das zerwühlte Meer sendend, das Blinkfeuer auf Torland.

Eintöniger Regen Das Lager der Jungen! - Trotz des Regens, der schon gegen sieben Uhr am Abend eingesetzt hatte, hatten die Buben, soweit sie nicht mit nach Torland hinüber waren, fröhlich in ihren Zelten gelegen. Gegen neun Uhr hatte Heinz aus dem Zelt der „Möwen“ den „Schwänen“ hinübergerufen, sie sollten ihr Abendgebet beten und das Licht löschen. So war es geschehen. Fauchte auch draußen ein heftiger Wind durch den Kiefernwald, trommelte auch der Regen eintönig auf die straffen Zeltbahnen, die Jungen waren müde. Der Wetterlärm und das Rauschen der Wasser im Meer störte sie nicht; sie schliefen ein mit dem frohen Gedanken: „Morgen sind Gottfried und Hermann wieder hier.“ Als die Leuchtuhr von Heinz halb zwei zeigte, lagen alle Jungen in tiefem Schlaf...

Ein tolles Unwetter bricht los Aber dann fuhr Heinz plötzlich jäh aus einem wilden Traum hoch. Draußen ein unheimliches Jaulen, Fauchen und Tosen! Ehe er sich völlig klar darüber war, dass ein Orkan über die Geest hintobte, hörte er schon die „Schwäne“ draußen schreien und nach Hilfe rufen. Im gleichen Augenblick riss auch das Zelt der „Möwen“ aus den Pflöcken los, der Sturm fuhr kalt und nass unter den Bahnen herein, riss sie hoch, die Zeltstange kippte um. Im gleichen Augenblick fiel das nasse Zelt über den schlafenden Jungen zusammen. Der Sturm riss die Bahnen wieder hoch. Die erschreckt aus ihren Schlafsäcken auffahrenden „Möwen“ sahen sich in der Dunkelheit dem Unwetter, Regen und Hagel völlig preisgegeben. Heinz hatte sich als erster herausgearbeitet, griff schnell nach seiner Taschenlampe unter dem Affen und taumelte aus den Trümmern des zerstörten Zeltes ins Freie. Klatschend prasselte der Regen auf ihn nieder, er war im Nu durch und durch nass. Das schwache Licht der Taschenlampe half in dem unbeschreiblichen Durcheinander nichts, und so brüllte Heinz den aufgeregten Jungen zu: „Ruhig bleiben! Ihr wisst, wo ihr eure Sachen liegen habt! Schnell! Ich mache Licht!“ Heinz und seine Jungen kämpften sich durch das Unwetter auf das Vorratszelt zu. Auch dieses hatte der Sturm bereits umgelegt. Trotzdem fand er schnell Werners Koffer, nahm die Schachtel mit den Leuchtpatronen und schoss sie, eine nach der anderen, ab, gegen die Laufrichtung des Orkans. Für wertvolle zwanzig, dreißig Sekunden trieb ein Helle spendender Stern über das Chaos. Heinz rief den Jungen zu, was zu tun sei. Er selbst stand unbeweglich in Hagel und Regen, hörte das Rauschen des Wetters im nahen Walde, wo die Bäume im Winde ächzten und krachten. Brandend schlugen die hohen Wellen des Meeres ans Ufer. . . Nach wenigen Minuten waren „Möwen“ und „Schwäne“ dank der Ordnung, die im Lager herrschte, angezogen und mit ihren Habseligkeiten beladen bei den Trümmern des Vorratszeltes versammelt. „So schnell, wie ihr nur könnt, lauft ihr zum Erholungsheim“, befahl Heinz. „Nicht durch den Wald! Das ist zu gefährlich bei dem Wetter. Am Strand vorbei!“

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Schon rannte die ganze Bande geschlossen durch das Unwetter davon. Heinz hielt, da er Werners Koffer schleppte, kaum Schritt. Der Sturm aber tobte grausam in dem verlassenen Lager und zerstörte, was es noch zu zerstören gab.

Der Orkan packt das Schiff ... Kurz vor ein Uhr hatten die „Falken“ mit Gottfried und Hermann Seewerk erreicht. Sie lieferten die beiden Befreiten beim Arzt ab und eilten dann selbst durch den strömenden Regen an den Strand zu ihrem Boot. Gegen viertel nach eins fegte das Boot, mit dem die Jungen am Abend gekommen waren, pfeilschnell auf die Geest zu. Der Schiffer hatte ein Sturmsegel gesetzt. Das Boot hatte den Wind im Rücken und flog nur so voran. Es war völlig finster auf dem Wasser, der Regen fiel noch immer in Strömen, und nur von ferne blinkte das Leuchtfeuer auf Torland. Dann schlug die Turmuhr von Seewerk halb zwei. Deutlich hörte man in der plötzlich einbrechenden Stille den Glockenschlag. Da sprang der Schiffer auf, rief den Jungen zu, um Gottes willen ruhig sitzen zu bleiben und sich an den Bootsbänken festzuhalten. Er riss selbst noch schnell das Segel herunter, warf einen Treibanker aus, und schon fegte mit lautem Heulen der Weststurm heran. Ehe die „Falken“ auch nur ahnten, was ihnen drohte, umfuhr schon der wilde Orkan das kleine Schiff. Aufrauschte das dunkle Wasser, die Wellen gingen hoch und schlugen über Bord. Das Boot tanzte auf und nieder. Der Wind riss den Jungen die Zeltbahnen von den Schultern, Regen und Hagel peitschten auf sie nieder, und die Kälte drang durch ihre dünnen Fahr tenhemden. Die Wellen schlugen über die Bänke und klatschten den Jungen gegen den Rücken. Sie duckten die Köpfe nieder und hielten sich mit vor Kälte schon steifen Fingern an den Sitzen fest. Wild fuhr das Wetter über sie her, wollte sie von ihren Plätzen losreißen und über Bord werfen. Die Jungen bissen die Zähne zusammen, schlossen die Augen und hielten sich fest! Nur nicht loslassen! Keiner wusste nachher mehr zu sagen, wie lange diese furchtbare Seefahrt gedauert hatte, nur das Toben der aufgewühlten See donnerte ihnen noch lange in den Ohren. Einige wussten, dass sie ein fast verzweifeltes Gebet zur Himmelskönigin und das „Meerstern, ich dich grüße“ gebetet hatten. Dann gab es ein furchtbares Knirschen ... ein Ruck, die Buben flogen von den Bänken, schrieen vor Entsetzen und fanden sich plötzlich im tiefen und nassen Sand einer hohen Düne wieder. Das Boot war von einer mächtigen Welle auf den Strand gesetzt worden.

Unverhoffte Begegnung Die Buben waren gleich wieder auf den Beinen, keiner hatte sich verletzt, aber noch ganz starr vor Schreck schauten sie sich um und sahen - erleuchtete Fenster. Das Segelboot war dicht beim Erholungsheim „Seestern“ aufgelaufen. „Rennen wir zu den Baracken!“ schrie Erich laut. Aber dann sahen sich die „Falken“ plötzlich von einer Gruppe von Männern in Ölmänteln umringt, vier, fünf, sieben baumlange Kerle... „Wo kommt ihr her?“ brüllte einer der Männer. „Von Torland!“ „Vom Leuchtturm?“ „Ja!“ „Wo ist Wegener?“ „Kennen wir nicht!“ „Herr Wegener wohnt auf dem Leuchtturm, ein ziemlich dicker Herr ... Ihr kennt ihn schon...!“ „Der Dicke ... ? Der sitzt fest im Turm!“ platzte Gustav ungewollt los. „Hab' ich es nicht gesagt?“ brüllte nun einer der sieben Kerle los, und Gustav erschrak heftig ... es war der Gefangene aus dem Pulverhäuschen, der geheimnisvolle Bewohner des Forsthauses. Man hatte ihn gewaltsam befreit.

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„Da haben wir die Schweinerei!“ schrie ein zweiter. „Wegener bestellt uns auf zwei Uhr hier auf die Geest. Nun sitzt er selbst fest. Soll alles zum Teufel sein? Los, wir fahren hinüber und hauen Wegener frei! Wir können es wagen! Der Sturm lässt nach!“

Der Gefangene ist getürmt Die Männer ließen von den verdutzten „Falken“ ab und liefen zum Strand. Tatsächlich flaute das wilde Wetter bereits tüchtig ab. Die Jungen sahen, wie die Männer ein schlankes hochbordiges Boot eiligst ins Wasser stießen, knatternd sprang ein kräftiger Motor an, und das Boot verschwand in der Nacht. So kam es, dass das Schiff, welches der dicke Herr Wegener abbestellt hatte, nun doch, wie Herr Wolter es wünschte, gegen drei Uhr die Nordspitze von Torland anlief. Ein paar Augenblicke standen die „Falken“ noch still am Ufer und sahen dem schnell verschwindenden Boot nach, dann sagte Erich: „Machen wir, dass wir ins Trockene kommen! Ich friere mich noch tot!“ Die „Falken“ liefen auf das Erholungsheim zu und sahen plötzlich vom gegenüberliegenden Strand einen zweiten Trupp Jungen schwer beladen herankeuchen. Sie liefen in gleicher Richtung, nämlich auf die dunklen Baracken los. Pfiffe schallten, es kam Antwort. Der zweite Trupp waren die „Möwen“ und „Schwäne“ mit Heinz. Gustav klopfte schon wie wild an der Haustür von Herrn Karsten, der in kurzer Zeit erschien. Er sah die pudelnassen und frierenden Buben, und ohne ein Wort zu sagen, schloss er eine der größten Baracken auf. Es war halb drei. „Macht, dass ihr hineinkommt!“ rief Herr Karsten. „Ich will gleich Feuer machen, damit ihr euch wärmen könnt!“ „Herr Karsten, der Gefangene aus dem Pulverhäuschen ist entflohen!“ schrieen die „Falken“. „Wie?“ Der Angeredete stand einen Augenblick ganz verdutzt. „Männer mit einem Motorboot haben ihn befreit. Sie sind nach Torland hinüber.“ „Der Teufel soll die Bande holen! Jungens, macht, dass ihr ins Trockne kommt!“ Und die frierenden Jungen schlüpften aufatmend und erlöst in die trockenen Stuben und hockten wenige Minuten später um ein warm brennendes Ofenfeuer.

Eine Überraschung bahnt sich an Unterdessen saß Herr Wolter wieder bei den Jungen im Zimmer des dicken Herrn. „Machen Sie sich doch wegen des Lagers keine allzu großen Sorgen“, sagte er. „Wer weiß, vielleicht haben die Zelte das Unwetter doch ausgehalten, der schlimmste Sturm hat ja nicht lange gedauert. Jetzt ist es schon viel ruhiger draußen.“ Tatsächlich ließ das Unwetter nach. Der Beamte fuhr fort. „Es ist aber ein großes Glück für mich gewesen, dass eine Reihe neugieriger Bewohner von Seewerk trotz des Wetters hier hinausgekommen ist, um zu sehen, was los war, denn sonst hätte ich mein Flugzeug nicht in Sicherheit gebracht, und die Polizei ihren schweren Kahn wohl auch nicht. Na, es hat alles noch einmal gutgegangen. Hoffentlich kommt nun auch das Motorboot noch. Aber bei solchem Wetter ist damit zu rechnen, dass es ausbleibt.“ „Auf jeden Fall“, meinte Werner Lindener, „werden wir doch noch einmal zum Strand gehen, um Ausschau zu halten.“ So geschah es auch. Bis gegen halb drei blieb man noch auf dem Leuchtturm. Die Kleider der Jungen waren unterdessen in der Küche am Ofen getrocknet. Nachdem dann der Beamte noch die Polizei von der vierten Etage gerufen hatte, nahm Werner den Morsescheinwerfer, und der ganze Trupp trat ins Freie, um, wie der Beamte sagte, den letzten Akt zu spielen. Und der sollte dramatisch werden...

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Endspurt Als die Jungen, gefolgt von der Polizei, mit Herrn Wolter vor den Leuchtturm traten, umfuhr sie gleich ein heftiger Windstoß; frierend schauerten sie zusammen. Aber es hatte aufgehört zu regnen. Ostwärts in der Tiefe flackerte ein Lichtschein über das Wasser. Stimmengemurmel und hier und da ein lautes Lachen erklangen stoßweise im Windgebraus. Da war das Flugzeug am Strand festgezurrt, neben der Landebuhne, und gaffend und frierend standen die neugierigen Bewohner von Seewerk herum. Der Beamte schickte einen Polizisten hinunter mit der Weisung, das Licht müsse ausgelöscht werden und absolute Ruhe eintreten. Es war immer noch ein unfreundliches Wetter, doppelt unangenehm nach der schönen, warmen Stube, die die Jungen soeben verlassen hatten. Man wandte sich nach Norden. Jan ging voraus, in der Hand eine Laterne tragend, um den Nachfolgenden zu leuchten. Hinter ihr her stapften die Polizisten, von denen jetzt einer den Scheinwerfer trug; den Schluss bildeten die vier Jungen. „Sauberes Wetter!“ knurrte Helmut, den Kopf tief in den hochgeschlagenen Kragen seiner Windjacke vergraben. In kurzen, steilen Kehren tappte man in die Tiefe. Nach einer Viertelstunde war der Strand erreicht. Auf ein Wort Wolters hin blies Jan seine Laterne aus und ging zum Leuchtturm zurück, um den Dicken im Auge zu behalten. Die andern blieben in völliger Finsternis unten am Ufer. Einen Augenblick lang flammte der Scheinwerfer auf und erlosch. - Eng beieinander standen die Jungen in der stürmischen Nacht und schauten über die See nach Norden hin. Schwer und hart rollten die Wogen heran und donnerten mit dumpfem Rauschen über den Sand hin, bis zu ihren Füßen spülend. Lange Zeit verging unter Schweigen. „Wie viel Uhr mag es sein?“ flüsterte Hans, zähneklappernd vor Kälte. „Kurz vor drei“, gab Wolter leise zurück. „Hoffentlich sind die Kerle wenigstens pünktlich; es ist hier nicht lange auszuhalten.“ Dann schwiegen alle. Man hörte nur das Rauschen der wilden See und sah oben in der Höhe den tröstlichen Lichtkegel des Blinkfeuers kreisen. Schon war es drei Uhr. Der Beamte hatte den Scheinwerfer zu Boden gestellt, Jupp hockte dahinter; alles starrte in die Dunkelheit und horchte, ob nicht das Surren eines Motors hörbar werde. Aber es wurde Viertel nach drei, und nichts war zu sehen und zu hören. „Ob die Kiste überhaupt kommt?“ flüsterte Jupp. „Nur Ruhe!“ meinte Helmut. „Es dauert aber wahnsinnig lange!“ war die Antwort. Wieder vergingen ein paar Minuten. „Donnerwetter“, murmelte da der Kriminalbeamte, „kommt denn keiner? Funken Sie in Gottes Namen einmal unser Zeichen.“ Jupp hielt seine Hand vor die Linse des Sche inwerfers und schaltete das Licht ein; dann funkte er: g - d - b- -

Eine unangenehme Überraschung Die sieben Männer im Motorboot waren einfach baff... Da funkte es g - d - b? War der dicke Wegener nicht gefangen? Wer funkte denn da? Das war merkwürdig... „Vorsichtig! Langsam heranfahren, das kann eine Falle sein!“ brummte einer der Kerle, den die andern Harry nannten. g - d - b- - funkte Jupp wieder ... aber alles blieb finster über dem Wasser, keine Antwort kam, nur die See grollte. „Wir sind angeschmiert!“ schimpfte Helmut. Und zum dritten Male blinkte das Licht: g - d - b- -! Dann fuhren die Horcher am Ufer zusammen. - Etwas nach rechts, aber ganz in unmittelbarer Nähe war über dem Wasser ein Licht aufgeblitzt: die Antwort! „Aha“, murmelte der Beamte. „Mitlesen!“ Jupp las leise, schrieb auf. g-d-b--w-e-r--i-s-t --d-a-?

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„Wer ist da? Zum Donnerwetter“, brummte der Beamte, „das sollt ihr sehen, wenn ihr hier seid! - Funke zurück: ‚Hier ist Wegener!’“ Und Jupp gehorchte. Die Männer im Motorboot aber lachten grimmig, als sie die Zeichen gelesen hatten. „Das ist Wegener nicht; der funkt anders, langsam heran, wir werden ja sehen...!“ Und dann hörten die am Ufer Hockenden das Surren eines Motors, das Boot kam herein. Der große Augenblick war gekommen! Mit diebischer Freude hockten die Jungen im Strandgras. Zwar konnten sie das Boot noch nicht erspähen, aber die Beamten standen schon „empfangsbereit“ hinter einem niedrigen Kiefernstrauch, den Revolver in der Rechten. - Das Knattern des Motors kam näher ... Ha, wie schön würden die Dummköpfe da draußen ins Garn gehen ... Werner lachte sich schon eins ins Fäustchen, dann sahen die am Ufer Stehenden auf einer Woge das dunkle Boot wie ein Nachtgespenst aus der Dunkelheit auftauchen ... „Kommt nur!“ grinste Werner ... Im gleichen Augenblick stach der grelle Schein eines gleißenden Lichtes ihm und seinen Gefährten in die Augen. Geblendet fuhren sie zurück, die Polizei duckte sich noch schnell, dann hörte man den wenig schmeichelhaften Ruf herüberschallen: „Ihr Idioten!“ Der Scheinwerfer des Bootes erlosch wieder, und als die Augen der Überraschten am Ufer sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, war das Boot verschwunden. Man hörte den Motor, langsam leiser werdend, in der Ferne verklingen. „Halt!“ schrie der Beamte, „halt...! Haaaaalt!“ Ein paar scharfe Revolverschüsse knallten bellend in die Nacht, scharfen Pulvergestank um die Jungen verbreitend; der Beamte hatte dem Boot nachgeschossen; umsonst - sie waren entkommen. Nur die See brandete wieder rauschend gegen die Nordspitze Torlands.

Entkommen ... „Da haben wir's“, schimpfte Wolter wütend. „Sie sind weg, eine Gemeinheit das, entkommen, futsch! Aber wir kriegen euch! Wir kommen euch nach!“ Er wandte sich an die Polizisten. „Schulze, laufen Sie, was Sie können, mit Ihren Leuten zum Boot und fahren Sie los!“ „Verzeihung, Herr Kommissar, wohin soll ich fahren?“ „Meinetwegen zum Teufel!“ „Jawohl, Herr Kommissar!“ „Quatschen Sie nicht! Fahren Sie einstweilen in Richtung Westnordwest. Ich vermute, die Gangster versuchen nach Dänemark zu entkommen. Ich werde mit dem Flugboot hochgehen - es wird gleich dämmern - und suche von oben das Meer ab. Wir halten über Sprechfunk Verbindung. Los, laufen Sie!“ Die Polizei spritzte davon, als ob es auf Urlaub ginge. Der Beamte grüßte schnell noch einmal zu den Jungen herüber, dann lief er so schnell, wie die langen Beine konnten, dem Flugboot zu. Die traurigen Hinterbliebenen waren die Jungen. Ihre Aufgabe schien zu Ende.

Die Verfolgung geht weiter „Na, schön“, sagte Helmut, indem er sich seine Hände warm rieb, „gehen wir auf den Turm zurück und wärmen uns!“ „Was sollen wir auch sonst tun?“ brummte Jupp. Langsam schoben sich die Jungen wieder zum Leuchtturm hin. Schon ratterte rechts am Ufer unten das Motorboot mit der Polizei los. Ein Scheinwerfer vorne am Bug suchte leuchtend über das Meer. Jetzt surrte und dröhnte es links von den Jungen; da fegte das Flugboot über die Wellen hin, dass das Wasser nur so spritzte, hob leicht und ruhig ab in die Lüfte. Scharf zerschnitt der Propeller den stürmischen Wind.

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„Bin mal gespannt, ob sie die Kerle kriegen!“ meinte Hans, als das grüne Steuerbordlicht verschwand. „Gute Fahrt!“ gähnte Helmut hinter seiner rechten Hand. „Jetzt können die neugierigen Bürger von Seewerk sich wieder in die Klappe legen!“ „Und wir auch“, schloss Werner Lindener. Das aber sollte ein arger Irrtum sein!

Ein gefährlicher Plan Die Jungen verabschiedeten sich von Jan, versprachen ihm, bald einmal wiederzukommen. Draußen begann es schon hell zu werden. Langsam zerflockten die schweren Regenwolken am Himmel; man durfte wieder mit besserem Wetter rechnen. Die vier standen eben im Begriff, nach Seewerk hinunterzugehen, als Hans, der noch einmal über das stürmische Meer schaute, einen Ruf der Überraschung ausstieß. „Leute, seht mal da hinten!“ Hans wies mit der Hand nach Westen. Die andern folgten der angegebenen Richtung, und was sahen sie? Ein schnittiges Boot kam mit voller Kraft auf die Küste Torlands zu . . . „Ist das die Polizei?“ fragte Jupp. „Ausgeschlossen! Das Boot da drunten ist viel kleiner“, antwortete Helmut gleich. „Das sind die anderen!“ rief Werner. „Die wollen den Dicken befreien! Was jetzt?“ „Den Turm verrammeln! Schnell... dass sie nicht hineinkönnen!“ rief Hans. Da warf sich Helmut in die Brust: „Mann, sei schlau! Lass die Bande doch in den Turm hinein! Dann verrammeln wir die Tür und haben die ganze Sippschaft in der Falle!“ „Toll! Das machen wir!“ Die vier rannten in den Turm zurück, stürmten die Wendeltreppe hinauf auf die Galerie zu Jan und seinem Vater und teilten beiden mit, was jetzt geschehen würde. Auch diese hatten das Boot schon bemerkt, und der alte Doerksen fluchte mächtig; er wolle endlich seine Ruhe haben. „Klappe halten!“ flüsterte Helmut hinter Werners Rücken. Lindener warf einen Blick herunter. Die Kerle in ihren Ölmänteln hatten das Ufer erreicht und waren bereits auf dem Weg zum Turm. Das Boot schaukelte unten am Strand. „Schnell, Jan, den Schlüssel vom Turm!“ rief Werner. Jan kam mit dem Schlüssel. „So, wir schleichen uns in die Küche, lassen die Bande in den Turm hinein, dann hinaus, die Tür zu, abgeschlossen! Fertig ist die Kiste!“ Die vier Jungen hasteten die Treppen hinab. Schon hörte man Stimmen vor der Turmtür. Die Kerle stürmten herein, fragten den an der Tür stehenden alten Doerksen, wo der gefangene Wegener sei, und polterten in den Keller.

„Aufmachen!“ brüllte der Dicke. „Jetzt hinaus!“ flüsterte Werner. Aus der Küche schlichen auf leisen Sohlen vier Jungen, krochen die Treppe hinab und erschraken ... Da stand einer von den langen Kerlen breitspurig in der Türöffnung und hielt Wache. Aber er drehte den Jungen den Rücken zu. „Lass mich vor“, hauchte Helmut. Dann sprang er mit einem wütenden Satz dem Ahnungslosen da unten ins Genick, dass der entsetzt in die Knie sackte und ein fürchterliches Gebrüll anhob. Drei Jungen sprangen über den am Boden Liegenden ins Freie. Werner steckte den Schlüssel ins Schloss. Aber schon war der „Schmierensteher“ wieder auf den Beinen, brüllte, was das Zeug hielt, seine Kumpane herbei und boxte wie rasend auf Helmut los, der noch im Turme war. Helmut rannte mit dem Kopf dem Kerl wieder den Bauch, dass er hintenüberkippte über die Schwelle und die Beine hoch in die Luft warf. Helmut war draußen. Die vier gaben dem Gekippten einen deftigen Schubs! Rein in den Turm! Die Tür flog zu; abgeschlossen! Man hatte alle eingesperrt!

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Pause! - Helmut wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, die andern atmeten auf. „Das hätte geklappt“, bemerkte Hans zufrieden. Aber schon hörte man aus dem Keller den befreiten Dicken brüllen. Poltern auf der Treppe! Rappeln an der Tür! Es warf sich einer dagegen, dass das Tor in seinen Fugen krachte. Aber die Tür war fest. „Massiv Eiche!“ wie Jupp, der Schreinermeistersohn, sagte. Freilich, lange würde sie einem entschiedenen Angriff nicht standhalten, das war den Jungen klar. Was sollte jetzt geschehen? Inwendig dröhnten Fußtritte gegen die Tür. Verzweifelt schaute Werner über das Meer, ob die Polizei oder das Flugzeug nicht irgendwo in der Ferne auftauchte. Aber die waren ja auf dem Wege nach Dänemark, um die Verbrecher zu fangen, die unterdessen hier im Turm saßen und gleich mitsamt dem Dicken in ihrem Motorboot das Weite suchen würden. Halt! - Das Motorboot! „Wer versteht sich auf Motoren?“ fragte Werner die drei. „Ein bisschen kenne ich davon“, meinte Helmut bescheiden. „Traust du dir zu, den Motor da unten in dem Boot so zu bearbeiten, dass die Kerle mit dem Kahn nicht mehr wegkönnen?“ „Kleinigkeit, ein Tritt genügt!“ „Keine Dummheiten, bitte! Du darfst nichts kaputtmachen.“ „Schön, lassen wir den Brennstoff auslaufen und montieren die Vergaserdüse mit dem Verteilerkopf aus; ein paar Handgriffe, das langt!“ „Los, lauf, was du kannst, und mach das!“ Helmut raste los. Innen neue Tritte gegen die Tür. „Aufmachen ... aufmachen!“ brüllte der Dicke aus dem Turm.

Eine blendende Idee Auf der Galerie zeigte sich das bleiche Gesicht von Jan. „In den Schuppen!“ schrie er von oben. „Wasser! Spritzt die Kerle doch an!“ Werner rannte zu dem kleinen Schuppen, der sich an den Leuchtturm anlehnte. Er riss die Tür auf. Richtig, da stand die alte Brandspritze! Herrlich! Werner schrie nach Jupp; beide fuhren das alte Ungetüm ins Freie, den Schlauch in den Brunnen, der im Schuppen war, und nun gepumpt. Hans und Jupp begannen mit Macht, die alte Feuerspritze zu bedienen. Sie quietschte fürchterlich. Werner nahm den Schlauch in die Hand; es dauerte eine kleine Weile, aber dann krachte ein armdicker Strahl aus dem Rohr. Innen wurde jetzt die Tür mit Eisen bearbeitet. Es krachte ganz gefährlich. Wieder warf Werner einen schnellen Blick über das Wasser und den Himmel, nichts zu sehen, nichts zu hören...! Doch ... ! Ein fernes Surren! Das Flugzeug kam zurück. Werners Herz jauchzte! Krach! Krach! - ein Loch war in die Tür gehauen, ein Beil blitzte in der Öffnung. Krach! Ein neuer Schlag in das Loch! Aber dann ... Tssssssch! Ein armdicker Wasserstrahl zischte zum eben geschlagenen Loch hinein. Großes Gebrüll im Innern! „Verdammte Schweine!“ Schweißtriefend kam Helmut bei seinen Freunden wieder an. „Die Kiste läuft keinen Meter mehr!“ keuchte er. Dann grinste er, als er Werner spritzen sah: „Was macht ihr denn da? Lasst mich auch mal spritzen!“ Werner gab Helmut das Rohr, der kurz entschlossen an das Loch in der Tür lief und den vollen Strahl direkt und ungeteilt in den Turm prasseln ließ. Erneutes Gebrüll im Turm! Die Kerle polterten übereinander. Jan lachte laut von der Galerie herab. Dabei passte dieser Bengel von Helmut sogar auf, dass der Wasserstrahl auch seine Opfer traf.

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Kampf um Sekunden Schließlich war aber auch das kalte Wasser keine unbesiegbare Waffe. Innen dröhnten schon wieder neue Axtschläge gegen die Tür. Da war einer an der Arbeit, der nicht wasserscheu zu sein schien. Das Loch wurde größer und größer. Verzweifelt schaute Werner nach dem Kriminalbeamten aus. Oooh! Da! Endlich! - Er schwebte über der Insel. Langsam senkte sich das Flugzeug nieder. Werner winkte. Hoffentlich sah man ihn, denn jetzt handelte es sich nur noch um Sekunden. Schon konnte die so grausam behandelte Leuchtturmtür nicht mehr standhalten. Krachend flog sie auf. Fünf Mann stürmten ins Freie, um über die Jungen herzufallen. Die verteidigten sich hinter ihrem Wasserstrahl! Dabei bemerkten sie voller Schreck, dass auch der Gefangene aus dem Pulverhäuschen mit von der Partie war. Aber die Kerle konnten nichts machen; der starke Wasserstrahl fuhr den Angreifern ins Gesicht, dass sie sich krümmten. Nun erschien der Dicke in der Tür und schleppte tatsächlich die beiden Koffer noch hinter sich her. Einer jedoch hatte unten das Flugzeug auf dem Wasser gesehen; er rief seinen Kumpanen etwas zu, da ließen sie von den Jungen ab, die Koffer blieben stehen, und alle Mann rannten mit Windeseile auf das Motorboot unten an der Küste zu. Werner warf den Schlauch hin und stürmte den Hang hinab. „Wird's klappen?“ dachte Werner. Als er unten ankam, hing ihm die Zunge sozusagen aus dem Halse, er konnte nicht mehr. Aber er musste lachen. Am Strand mühten sich die Kerle in ihrem Boot verzweifelt, den Motor wieder in Gang zu bringen. „Die werden sich eins grinsen!“ dachte Werner. Jetzt glitt das Flugzeug heran, und hinter ihm ... richtig! Das war ja die Polizei! Rauschend fuhr das kleine graue Boot heran, am Bug der Oberwachtmeister, die Maschinenpistole im Anschlag. Noch ehe die Jungen heran waren, war alles zu Ende. Drei Pistolen flogen auf den Sand; dann schnappten mit metallischem Klicken die Handfesseln ein. Helmut bastelte wieder am Motor und setzte fachmännisch Düse und Verteilerkopf ein; beide Teile hatte er vorsichtshalber in seiner Hosentasche verschwinden lassen. Dann füllte er aus einem Kanister Brennstoff in den leeren Tank. Das Boot war startbereit. Der dicke Herr fluchte, ebenso der Gefangene aus dem Pulverhäuschen ... die andern waren noch zu baff, um es ihnen nachzutun, und alle standen da, triefend nass, ein Bild des Jammers! Herr Wolter aber lachte über sein ganzes Gesicht, mit ihm ebenso die Polizei und die vier Jungen. Der letzte Akt war ausgespielt.