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BAND 14 Mentale Infrastrukturen Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam Von Harald Welzer

Böll-Stiftung: Mentale Infrastrukturen · zwang anzugehen, der unser System bestimmt. Bei sich selbst anzufangen sitzt Bei sich selbst anzufangen sitzt dann nicht nur der Vorstellung

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Band 14

Mentale Infrastrukturen Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam

Von harald Welzer

herausgegeben von der heinrich-Boumlll-stiftung

Uumlber den autor Prof Dr Harald Welzer ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kultur-wissenschaftlichen Institut in Essen Zudem lehrt er Sozialpsychologie an der Universitaumlt Witten Herdecke Seine Arbeitsschwerpunkte liegen bei den Themen Erinnerung Gruppengewalt und Klimakultur Zahlreiche Veroumlffentlichungen zuletzt Das Ende der Welt wie wir sie kannten (mit Claus Leggewie) KlimakriegeWofuumlr im 21 Jahrhundert getoumltet wird

Der Autor dankt Susanne Quehenberger und Vanessa Stahl fuumlr Recherchen und Gedanken

Diese Publikation wird unter den Bedingungen einer Creative-Commons-Lizenz veroumlffentlicht httpcreativecommonsorglicensesby-nc-nd30de Eine elektronische Fassung kann heruntergeladen werden Sie duumlrfen das Werk

vervielfaumlltigen verbreiten und oumlffentlich zugaumlnglich machen Es gelten folgende Bedingungen Namensshynennung Sie muumlssen den Namen des AutorsRechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen (wodurch aber nicht der Eindruck entstehen darf Sie oder die Nutzung des Werkes durch Sie wuumlrden entlohnt) Keine kommerzielle Nutzung Dieses Werk darf nicht fuumlr kommerzielle Zwecke verwendet werden Keine Bearbeitung Dieses Werk darf nicht bearbeitet oder in anderer Weise veraumlndert werden

Mentale Infrastrukturen Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam Von Harald Welzer

Band 14 der Schriftenreihe Oumlkologie Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung 2011

Gestaltung graphic syndicat Michael Pickardt (nach Entwuumlrfen von blotto Design) Titel-Photo Dierk Schaefer flickrcom Druck agit-druck

ISBN 978-3-86928-050-9

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10117 Berlin t +49 30 28534-0 f +49 30 28534-109 e infoboellde W wwwboellde

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Inhalt

Vorwort und Einfuumlhrung 7

Wachstum als mentale Infrastruktur 11

Aus Fremdzwang wird Selbstzwang 15

Unendliches Wachstum 18

Energie und Mobilitaumlt 21

Arbeit und Wachstum 24

Endlichkeit der Ressourcen und Tod 26

Der globalisierte und flexibilisierte Mensch 28

Konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen 30

Der Locked-in-Effekt 34

Was heiszligt laquoUmbau der carbonen Gesellschaftraquo 37

Wie moumlchten wir gelebt haben 40

Literatur 43

Boumlll-Stiftung
Hinweis
Inhalt mit Links zu den Texten1313Mit Adobe Reader koumlnnen Markierungen und Kommentare angebracht werden 1313Suchen mit Strg+Shift+F = Suchergebnis als Liste13

VorWort und eInfUumlhrung

Kritik am alles dominierenden Paradigma des Wirtschaftswachstums ist mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre wieder gesellschaftsfaumlhig geworden Auch der Klimawandel und erst recht die japanische Nuklearkatasshytrophe loumlsen intensives Nachdenken aus Kann unsere Wirtschaft tatsaumlchlich ewig weiterwachsen Ist unsere Konsumwelt eigentlich zukunftsfaumlhig Kann Wirtschaftswachstum in Industrielaumlndern uumlberhaupt ein legitimes Ziel sein wenn die Weltwirtschaft jetzt schon an ihre oumlkologischen Grenzen stoumlszligt und weit mehr als eine Milliarde Menschen hungern Werden wir so weitermachen koumlnnen Diesen Fragen geht der Sozialpsychologe und Publizist Harald Welzer im vorliegenden Essay nach

Der Groszligteil der Wachstumskritik zielt auf die politische und oumlkonomishysche Sphaumlre des Wachstumszwangs Die Apologeten dieser Sphaumlren vertreten die Ansicht die Existenz des Zinses und der internationale Standortwettbeshywerb bedingen den kapitalistischen Wachstumszwang Ein weiteres Argument Die hohen Staatsschulden und die Notwendigkeit die sozialen Sicherungssysshyteme aufrecht zu erhalten und gesellschaftliche Umverteilung zu ermoumlglichen zwingen zum stetigen Wirtschaftswachstum

Wirtschaft und Politik sind sicherlich Wachstumstreiber Aber sie sind deshalb auch zentrale Akteure wenn es ums Umsteuern geht Wie die Menschen ndash als Individuen und in gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen ndash mit dem auf Wachstum ausgerichteten Gesellschafts- und Lebensmodell auf Engste verwoben sind das versucht Welzer in seinem Essay auszuleuchten

Das Wachstum als Wille und Vorstellung herrsche nicht nur in Konzernzenshytralen an Boumlrsen oder in Ministerien argumentiert der Autor sondern auch in unseren Koumlpfen Die materiellen Guumlter dienten laumlngst nicht mehr alleine den elementaren Beduumlrfnissen wie Nahrung Wohnen Gesundheit Bildung und Vitalitaumlt Materielle Guumlter sagten auch etwas aus uumlber den sozialen Status und uumlber Beziehungen uumlber kulturelle Vorlieben

Tatsaumlchlich praumlgen sie Zugehoumlrigkeit und Identitaumlt Wir kennen sie alle die Lust nach etwas Neuem nach steigendem Einkommen nach Besitz nach immer exotischeren Urlaubsreisen Die Vorstellung vom laquounendlichen Wachstumraquo ist seit der industriellen Revolution gleichsam in unseren emotionalen und kognitiven Haushalt eingebettet so Welzer Das aumluszligert sich etwa in Karrierewuumlnschen und Aufstiegsplaumlnen im Job ebenso in der Selbstfindungssuche nach dem laquowahren Ichraquo oder einer laquohoumlheren Erkenntnisstuferaquo Der moderne Mensch ist der Schmied seines eigenen Gluumlckes er will etwas aus seinem Leben machen und zwar nicht nur einmal sondern immer wieder aufs Neue um stetig seine Zufrieden-V

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heit zu steigern laquoDas Neue liefert Vielfalt und Aufregung und laumlsst uns traumlumen und hoffen Mit seiner Hilfe koumlnnen wir Traumlume und Sehnsuumlchte nach einem idealen Leben erforschen und der gelegentlich doch recht harten Lebensrealitaumlt entkommenraquo ndash so auch Tim Jackson in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum

Diese Lust nach Neuem nach Konsum und Wachstum ist wie Harald Welzer in seinem Essay zeigt als laquomentale Infrastrukturraquo in den Wuumlnschen Hoffnungen und Werten jedes Einzelnen in unseren Innenwelten verankert So kommt es dass das System nicht nur die laquoLebensweltraquo (Habermas) kolonialisiert sondern dass wir durch unsere Lebenswelt auch das System konstruieren das wir laquoverdienenraquo

Auch wenn Harald Welzers Erkenntnis zunaumlchst theoretisch und abstrakt erscheint so hat sie doch ganz unmittelbare praktische und politische Konseshyquenzen Die laquogroszlige Transformationraquo die unsere Gesellschaft in eine nachhaltige Zukunft beamen und den Kollaps der Biosphaumlre verhindern soll verlangt eben nicht nur technische und politische Loumlsungen Sie hat auch eine sozial-psychologische und kulturelle Dimension Oumlkonomische Innovationen und veraumlnderte Rahmenbeshydingungen Solarpanels und Oumlkosteuern alleine reichen nicht Nachhaltigkeit erforshydert auch soziale Innovationen und eine gesellschaftliche Transformation

Hier knuumlpft Welzer an vier Jahrzehnte Diskussion uumlber nachhaltige Lebensshystile Suffizienz und ethisches Konsumverhalten an und hebt die Lebensstil-Debatte in eine neue Dimension Es geht naumlmlich nicht bloszlig darum Empfehshylungen fuumlr korrektes Verhalten auszusprechen also gut gemeinte Ratschlaumlge zu erteilen doch bitte mal aufs Auto zu verzichten oder weniger Fleisch zu essen Ebenso wenig reicht es aus sich zu fragen wie viel materieller Besitz fuumlr die persoumlnliche Zufriedenheit genug waumlre Das zeigen nicht zuletzt die postmoshydernen laquoLohasraquo (laquolifestyle of health and sustainabilityraquo) die oft ein sehr hohes Umweltbewusstsein und trotzdem einen immer noch viel zu groszligen oumlkologishyschen Fuszligabdruck haben ndash durch Konsum von iPad Beamer und Seychellen-Reise als Beitrag zur Selbstverwirklichung und individuellen Zufriedenheit Wenn die groszlige Transformation gelingen soll dann muss eine noch tiefere Ebene der Selbstreflexion einbezogen werden Wir muumlssen die Mechanismen und Prinzishypien durchschauen auf denen unsere Ideale und Wuumlnsche unsere Vorstellungen und Empfindungen von Zufriedenheit fuszligen Denn diese werden durch unsere mentalen Infrastrukturen ein gutes Stuumlck vorgegeben

Welzer zeigt wie wir uns als Gestalterinnen und Gestalter unserer eigenen Persoumlnlichkeitsentwuumlrfe und Biographien laufend selbst zum (Konsum-) Wachstum zum Mehr antreiben Dies zu erkennen ist der erste Schritt in die richtige Richtung Und dies wiederum ist die Grundlage um den Wachstums-zwang nicht nur vom System zu loumlsen sondern laquoin uns drinnenraquo in unseren mentalen Infrastrukturen aufzuloumlsen Womoumlglich werden wir dann dem Wunsch nach laquoWeniger ist mehrraquo naumlher kommen oder die Frage laquoWie viel ist genug fuumlr ein gutes Lebenraquo anders beantworten koumlnnen

Um diese mentalen Infrastrukturen zu veraumlndern braucht es zweierlei neue Leitvorstellungen aber auch das aktive konkrete Ausprobieren von neuen Lebensentwuumlrfen Mit dem Dreiklang laquoFortschrittraquoWohlstandraquo und laquoWachstumraquo M

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der seit der Industrialisierung unsere mentalen Infrastrukturen praumlgt kann jedenfalls kaum eine verantwortungsvolle nachhaltige und auf Fairness zielende Gesellschaft begruumlndet werden Wie aber koumlnnen wir das laquorastlose Begehrenraquo umdrehen in ein erfuumllltes Leben das nicht staumlndig nach Neuem schreit Wir brauchen sagt Harald Welzer eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte ich einmal gewesen sein Wie moumlchte ich die Welt in 20 Jahren eingerichtet sehen wie moumlchte ich sie meinen Kindern hinterlassen

Die Frage zu beantworten wie man im Jahr 2030 oder 2050 gelebt haben moumlchte und daruumlber Visionen zu entwickeln die Menschen bewegen und neue Identitaumlten stiften kann nicht nur abstrakt gelingen Sie muss das Ausprobieren von konkreten Lebensentwuumlrfen einbeziehen Denn das laquobusiness-as-usualraquo der uns allgegenwaumlrtig umgebenden materiellen und institutionellen Infrastrukshyturen (Supermaumlrkte Autobahnen Allverfuumlgbarkeit und Leistungsdruck) haben eine ungeheure Macht weil wir uns taumlglich in ihnen bewegen und sie deshalb zwangslaumlufig bejahen oder unterstuumltzen Erst wenn jede(r) fuumlr sich konkret lebt und erlebt wie sie und er sich eigentlich wuumlnschen zu leben erst dann koumlnnen sich die mentalen Infrastrukturen veraumlndern

Deswegen ist es dann doch wichtig einfach vom Auto haumlufiger auf den Zug umzusteigen statt der exotischen Ferne die Region auszukundschaften statt der Karriere mal die Familie oder mehr Zeit im Freundeskreis vorzuziehen Nicht weil solches Handeln gleich die Welt verbessern wuumlrde dazu bleibt es zu singulaumlr und machtlos Aber weil es jedem Einzelnen eine bessere Vorstellung und Gewissheit vermitteln kann wie es sich nachhaltig gut leben laumlsst Es geht also auch darum Angst und Hemmschwellen abzulegen Neues auszuprobieren im sozialen Miteinshyander und im besseren Einklang mit den natuumlrlichen Lebensgrundlagen Erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wendet bringt Welzer es auf den Punkt bietet er eine handfeste Intervention gegen die materishyellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen des Wachstumszeitalters

Auf Basis von wachstumsbefriedeten oumlkonomischen und gesellschaftlichen Leitbildern wird es dann vielleicht auch eher gelingen gegen den Wachstums-zwang anzugehen der unser System bestimmt Bei sich selbst anzufangen sitzt dann nicht nur der Vorstellung auf die Gegenwart gleich verbessern zu koumlnnen Wenn wir im Kleinen Formen des Gemein-Wirtschaftens (laquocommoningraquo) praktishyzieren die jenseits der Marktoumlkonomie auf Reziprozitaumlt und Austausch und nicht auf Profitsteigerung ausgerichtet sind dann koumlnnen hieraus auch die Umrisse einer Postwachstumsoumlkonomie entwickelt und eine Gesellschaft greifbarer gemacht werden die die oumlkologischen Grenzen der Erde anerkennt

Berlin im April 2011

Barbara Unmuumlszligig Tilman Santarius Vorstand der Referent fuumlr Internationale Heinrich-Boumlll-Stiftung Klima- und Energiepolitik V

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1 Wachstum als mentale Infrastruktur

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Der Aufstieg des Wachstumskonzepts zum wirtschaftspolitischen Zentralbeshygriff der Industrienationen vollzog sich in verbluumlffend kurzer Zeit Die ledigshylich einige Jahrzehnte umfassende Zeitspanne in der der Wachstumsbegriff etwa in der Oumlkonomik eine prominente Rolle spielt und der Stellenwert den er wirtschaftstheoretisch hat steht in gar keinem Verhaumlltnis zu der nachgeshyrade magischen Bedeutung die ihm die Politik als Allheilmittel fuumlr allgemeine Prosperitaumlt Abdaumlmpfung sozialer Ungleichheit Bekaumlmpfung der Arbeitslosigkeit etc zuschreibt Keine Politikerin und kein Politiker kann es sich heute leisten wirtschaftspolitische Konzepte zu vertreten die eine dezidierte Abkehr von der Zivilreligion des Wachstums bedeuten ndash entweder setzt man wie die liberalshykonservativen Parteien und die sozialromantische laquoLinkeraquo auf den klassischen Wachstumsbegriff um Politikziele zu definieren oder ndash wie die laquoGruumlnenraquo und auch Teile der Sozialdemokratie ndash auf die Moumlglichkeit einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch und spricht dann vom qualitashytiven Wachstum Unabhaumlngig davon wie realistisch Entkoppelungsvorstellungen sind (zur Kritik siehe etwa Paech 2011 SommerWelzer 2010) zeigt sich in ihrer Propagierung jedenfalls die ungebrochene Prominenz des Wachstumskonzepts als Zentralkategorie des Realpolitischen Die Alleinstellung des Wachstumskonshyzepts erfuumlllt nicht zuletzt auch die Funktion keinen Plan B ndash also etwa den einer wachstumsbefriedeten oder Postwachstums-Gesellschaft ndash entwickeln zu muumlssen So wie die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit auf Wachstum als Befrieshydungsinstrument zur Entschaumlrfung sozialer Ungleichheit setzte so setzen die demokratischen Parteien heute auf Wachstum als Monostrategie zur Aufrechtershyhaltung eines wirtschaftlich wie sozial fragilen Status Quo

Das Fehlen jeder Alternative zum Wachstumskonzept in allen Parteien macht nicht nur einmal mehr seinen sakrosankten Charakter deutlich sondern zeigt zugleich an dass die Entwicklung alternativer Strategien zur Erreichung und Aufrechterhaltung zukunftstauglicher Lebensverhaumlltnisse sofort die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform in Frage zu stellen droht So befindet sich jegliche Erwaumlgung zu einer Wirtschaft ohne Wachstum unmittelbar in eklatantem Widerspruch zum kapitalistischen Wirtschaftsprinzip das ja auf die Produktion von Mehrwert setzt und jeder einzelne Schritt zur Post-Wachstumsgesellschaft ndash wie etwa lokale Tauschwirtschaften und Waumlhrungen etc ndash stellt automatisch auch die gelaumlufigen Verkehrsformen der Geld- und Kreditwirtschaft in Frage

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Insofern verknuumlpft sich mit der Wachstumsfrage automatisch immer die Frage ums Ganze des gegenwaumlrtigen immerhin uumlber zwei Jahrhunderte ungeheuer erfolgreichen Gesellschaftsmodells ndash kein Wunder dass da kaum jemand dran ruumlhren mag Tatsaumlchlich erfuumlllen die gegenwaumlrtigen Debatten uumlber Entkoppelung hier und die Entwicklung anderer Wohlstands- und Gluumlcksinshydizes dort vor allem die Funktion die Illusion aufrechtzuerhalten man koumlnnte im Rahmen des Bestehenden hinreichend viele Stellschrauben nachjustieren um die negativen Umweltfolgen des Wirtschaftswachstums zu mindern das Bestehende selbst aber unbeschadet lassen Dieser weder wissenschaftlich noch wirtschaftspolitisch begruumlndbare Illusionismus belegt selbst wie magisch und zwingend das Wachstumsdenken geworden ist Da dies wie gesagt in eigentuumlmshylichem Kontrast zu der historischen Zeitspanne seiner Prominenz steht liegt der Verdacht nahe dass es neben oumlkonomischen und politischen Begruumlndungen fuumlr den Wachstumszwang noch eine tiefere Dimension geben koumlnnte die im mentalen Bereich angesiedelt ist Mit dieser Dimension des Wachstumskonzepts wird sich der folgende Essay befassen

Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrashystrukturen bestimmt sondern auch durch mentale Vorstellungen uumlber Freiheit Mobilitaumlt Gluumlck etc sind ebenso durch historisch spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsformationen gepraumlgt wie etwa Lebenslaufkonzepte und Biographieshymuster Die Auszligenwelt uumlbersetzt sich bei Menschen deshalb immer auch in ihre Innenwelt weil sie ndash wie die Neurobiologie zeigt ndash uumlber ein plastisches Gehirn verfuumlgen das Umwelterfahrungen im Verlauf der Ontogenese in die neuronale Verschaltungsarchitektur des sich entwickelnden Gehirns einbaut Diese in der Biosphaumlre einzigartige Neuroplastizitaumlt sorgt dafuumlr dass man das menschliche Gehirn als ein biokulturelles Organ (Shore 1996 MarkowitschWelzer 2005 Huumlther 2001 Tomasello 2002) verstehen muss dessen Entwicklungsbedinshygungen nicht allein biologische sondern immer auch kulturelle sind Diese erst neuerdings prominent gewordene neurowissenschaftliche Perspektive hat einen sozialwissenschaftlichen Vorlaumlufer in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias der die Parallelitaumlt von Psycho- und Soziogenese anhand der Untersuchung von Zivilisierungsschritten und Persoumlnlichkeitsformationen aufgewiesen hat (Elias 1969) Und schon Marx hatte in der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und Subjektformation dargelegt ndash wie spaumlter dann Max Weber in der laquoProtestantischen Ethikraquo oder Georg Simmel in der laquoPhilosophie des Geldesraquo

In der gegenwaumlrtigen Wachstumsdebatte fehlen solche Erwaumlgungen und theoretischen Bezugnahmen voumlllig ndash ebenso wie in den Vorstellungen uumlber eine dritte industrielle Revolution (BMU 2008) bzw uumlber eine postcarbone Gesellshyschaft Wege aus dem Wachstum und Strategien hin zur postcarbonen Gesellshyschaft werden vorwiegend auf technologischer und ordnungs- und anreizposhylitischer Ebene gesucht Lebenswelt und Mentalitaumlten tauchen als Variablen in den technoiden Szenarien der laquoDritten Industriellen Revolutionraquo nicht auf in den Politikstilen der Gegenwart schon gar nicht Deshalb scheint ein Blick auf M

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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2 aus fremdzwang wird selbstzwang

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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schrIften zur OumlkologIe

Band 14

Mentale Infrastrukturen Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam

Von harald Welzer

herausgegeben von der heinrich-Boumlll-stiftung

Uumlber den autor Prof Dr Harald Welzer ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kultur-wissenschaftlichen Institut in Essen Zudem lehrt er Sozialpsychologie an der Universitaumlt Witten Herdecke Seine Arbeitsschwerpunkte liegen bei den Themen Erinnerung Gruppengewalt und Klimakultur Zahlreiche Veroumlffentlichungen zuletzt Das Ende der Welt wie wir sie kannten (mit Claus Leggewie) KlimakriegeWofuumlr im 21 Jahrhundert getoumltet wird

Der Autor dankt Susanne Quehenberger und Vanessa Stahl fuumlr Recherchen und Gedanken

Diese Publikation wird unter den Bedingungen einer Creative-Commons-Lizenz veroumlffentlicht httpcreativecommonsorglicensesby-nc-nd30de Eine elektronische Fassung kann heruntergeladen werden Sie duumlrfen das Werk

vervielfaumlltigen verbreiten und oumlffentlich zugaumlnglich machen Es gelten folgende Bedingungen Namensshynennung Sie muumlssen den Namen des AutorsRechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen (wodurch aber nicht der Eindruck entstehen darf Sie oder die Nutzung des Werkes durch Sie wuumlrden entlohnt) Keine kommerzielle Nutzung Dieses Werk darf nicht fuumlr kommerzielle Zwecke verwendet werden Keine Bearbeitung Dieses Werk darf nicht bearbeitet oder in anderer Weise veraumlndert werden

Mentale Infrastrukturen Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam Von Harald Welzer

Band 14 der Schriftenreihe Oumlkologie Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung 2011

Gestaltung graphic syndicat Michael Pickardt (nach Entwuumlrfen von blotto Design) Titel-Photo Dierk Schaefer flickrcom Druck agit-druck

ISBN 978-3-86928-050-9

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10117 Berlin t +49 30 28534-0 f +49 30 28534-109 e infoboellde W wwwboellde

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Inhalt

Vorwort und Einfuumlhrung 7

Wachstum als mentale Infrastruktur 11

Aus Fremdzwang wird Selbstzwang 15

Unendliches Wachstum 18

Energie und Mobilitaumlt 21

Arbeit und Wachstum 24

Endlichkeit der Ressourcen und Tod 26

Der globalisierte und flexibilisierte Mensch 28

Konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen 30

Der Locked-in-Effekt 34

Was heiszligt laquoUmbau der carbonen Gesellschaftraquo 37

Wie moumlchten wir gelebt haben 40

Literatur 43

Boumlll-Stiftung
Hinweis
Inhalt mit Links zu den Texten1313Mit Adobe Reader koumlnnen Markierungen und Kommentare angebracht werden 1313Suchen mit Strg+Shift+F = Suchergebnis als Liste13

VorWort und eInfUumlhrung

Kritik am alles dominierenden Paradigma des Wirtschaftswachstums ist mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre wieder gesellschaftsfaumlhig geworden Auch der Klimawandel und erst recht die japanische Nuklearkatasshytrophe loumlsen intensives Nachdenken aus Kann unsere Wirtschaft tatsaumlchlich ewig weiterwachsen Ist unsere Konsumwelt eigentlich zukunftsfaumlhig Kann Wirtschaftswachstum in Industrielaumlndern uumlberhaupt ein legitimes Ziel sein wenn die Weltwirtschaft jetzt schon an ihre oumlkologischen Grenzen stoumlszligt und weit mehr als eine Milliarde Menschen hungern Werden wir so weitermachen koumlnnen Diesen Fragen geht der Sozialpsychologe und Publizist Harald Welzer im vorliegenden Essay nach

Der Groszligteil der Wachstumskritik zielt auf die politische und oumlkonomishysche Sphaumlre des Wachstumszwangs Die Apologeten dieser Sphaumlren vertreten die Ansicht die Existenz des Zinses und der internationale Standortwettbeshywerb bedingen den kapitalistischen Wachstumszwang Ein weiteres Argument Die hohen Staatsschulden und die Notwendigkeit die sozialen Sicherungssysshyteme aufrecht zu erhalten und gesellschaftliche Umverteilung zu ermoumlglichen zwingen zum stetigen Wirtschaftswachstum

Wirtschaft und Politik sind sicherlich Wachstumstreiber Aber sie sind deshalb auch zentrale Akteure wenn es ums Umsteuern geht Wie die Menschen ndash als Individuen und in gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen ndash mit dem auf Wachstum ausgerichteten Gesellschafts- und Lebensmodell auf Engste verwoben sind das versucht Welzer in seinem Essay auszuleuchten

Das Wachstum als Wille und Vorstellung herrsche nicht nur in Konzernzenshytralen an Boumlrsen oder in Ministerien argumentiert der Autor sondern auch in unseren Koumlpfen Die materiellen Guumlter dienten laumlngst nicht mehr alleine den elementaren Beduumlrfnissen wie Nahrung Wohnen Gesundheit Bildung und Vitalitaumlt Materielle Guumlter sagten auch etwas aus uumlber den sozialen Status und uumlber Beziehungen uumlber kulturelle Vorlieben

Tatsaumlchlich praumlgen sie Zugehoumlrigkeit und Identitaumlt Wir kennen sie alle die Lust nach etwas Neuem nach steigendem Einkommen nach Besitz nach immer exotischeren Urlaubsreisen Die Vorstellung vom laquounendlichen Wachstumraquo ist seit der industriellen Revolution gleichsam in unseren emotionalen und kognitiven Haushalt eingebettet so Welzer Das aumluszligert sich etwa in Karrierewuumlnschen und Aufstiegsplaumlnen im Job ebenso in der Selbstfindungssuche nach dem laquowahren Ichraquo oder einer laquohoumlheren Erkenntnisstuferaquo Der moderne Mensch ist der Schmied seines eigenen Gluumlckes er will etwas aus seinem Leben machen und zwar nicht nur einmal sondern immer wieder aufs Neue um stetig seine Zufrieden-V

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heit zu steigern laquoDas Neue liefert Vielfalt und Aufregung und laumlsst uns traumlumen und hoffen Mit seiner Hilfe koumlnnen wir Traumlume und Sehnsuumlchte nach einem idealen Leben erforschen und der gelegentlich doch recht harten Lebensrealitaumlt entkommenraquo ndash so auch Tim Jackson in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum

Diese Lust nach Neuem nach Konsum und Wachstum ist wie Harald Welzer in seinem Essay zeigt als laquomentale Infrastrukturraquo in den Wuumlnschen Hoffnungen und Werten jedes Einzelnen in unseren Innenwelten verankert So kommt es dass das System nicht nur die laquoLebensweltraquo (Habermas) kolonialisiert sondern dass wir durch unsere Lebenswelt auch das System konstruieren das wir laquoverdienenraquo

Auch wenn Harald Welzers Erkenntnis zunaumlchst theoretisch und abstrakt erscheint so hat sie doch ganz unmittelbare praktische und politische Konseshyquenzen Die laquogroszlige Transformationraquo die unsere Gesellschaft in eine nachhaltige Zukunft beamen und den Kollaps der Biosphaumlre verhindern soll verlangt eben nicht nur technische und politische Loumlsungen Sie hat auch eine sozial-psychologische und kulturelle Dimension Oumlkonomische Innovationen und veraumlnderte Rahmenbeshydingungen Solarpanels und Oumlkosteuern alleine reichen nicht Nachhaltigkeit erforshydert auch soziale Innovationen und eine gesellschaftliche Transformation

Hier knuumlpft Welzer an vier Jahrzehnte Diskussion uumlber nachhaltige Lebensshystile Suffizienz und ethisches Konsumverhalten an und hebt die Lebensstil-Debatte in eine neue Dimension Es geht naumlmlich nicht bloszlig darum Empfehshylungen fuumlr korrektes Verhalten auszusprechen also gut gemeinte Ratschlaumlge zu erteilen doch bitte mal aufs Auto zu verzichten oder weniger Fleisch zu essen Ebenso wenig reicht es aus sich zu fragen wie viel materieller Besitz fuumlr die persoumlnliche Zufriedenheit genug waumlre Das zeigen nicht zuletzt die postmoshydernen laquoLohasraquo (laquolifestyle of health and sustainabilityraquo) die oft ein sehr hohes Umweltbewusstsein und trotzdem einen immer noch viel zu groszligen oumlkologishyschen Fuszligabdruck haben ndash durch Konsum von iPad Beamer und Seychellen-Reise als Beitrag zur Selbstverwirklichung und individuellen Zufriedenheit Wenn die groszlige Transformation gelingen soll dann muss eine noch tiefere Ebene der Selbstreflexion einbezogen werden Wir muumlssen die Mechanismen und Prinzishypien durchschauen auf denen unsere Ideale und Wuumlnsche unsere Vorstellungen und Empfindungen von Zufriedenheit fuszligen Denn diese werden durch unsere mentalen Infrastrukturen ein gutes Stuumlck vorgegeben

Welzer zeigt wie wir uns als Gestalterinnen und Gestalter unserer eigenen Persoumlnlichkeitsentwuumlrfe und Biographien laufend selbst zum (Konsum-) Wachstum zum Mehr antreiben Dies zu erkennen ist der erste Schritt in die richtige Richtung Und dies wiederum ist die Grundlage um den Wachstums-zwang nicht nur vom System zu loumlsen sondern laquoin uns drinnenraquo in unseren mentalen Infrastrukturen aufzuloumlsen Womoumlglich werden wir dann dem Wunsch nach laquoWeniger ist mehrraquo naumlher kommen oder die Frage laquoWie viel ist genug fuumlr ein gutes Lebenraquo anders beantworten koumlnnen

Um diese mentalen Infrastrukturen zu veraumlndern braucht es zweierlei neue Leitvorstellungen aber auch das aktive konkrete Ausprobieren von neuen Lebensentwuumlrfen Mit dem Dreiklang laquoFortschrittraquoWohlstandraquo und laquoWachstumraquo M

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der seit der Industrialisierung unsere mentalen Infrastrukturen praumlgt kann jedenfalls kaum eine verantwortungsvolle nachhaltige und auf Fairness zielende Gesellschaft begruumlndet werden Wie aber koumlnnen wir das laquorastlose Begehrenraquo umdrehen in ein erfuumllltes Leben das nicht staumlndig nach Neuem schreit Wir brauchen sagt Harald Welzer eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte ich einmal gewesen sein Wie moumlchte ich die Welt in 20 Jahren eingerichtet sehen wie moumlchte ich sie meinen Kindern hinterlassen

Die Frage zu beantworten wie man im Jahr 2030 oder 2050 gelebt haben moumlchte und daruumlber Visionen zu entwickeln die Menschen bewegen und neue Identitaumlten stiften kann nicht nur abstrakt gelingen Sie muss das Ausprobieren von konkreten Lebensentwuumlrfen einbeziehen Denn das laquobusiness-as-usualraquo der uns allgegenwaumlrtig umgebenden materiellen und institutionellen Infrastrukshyturen (Supermaumlrkte Autobahnen Allverfuumlgbarkeit und Leistungsdruck) haben eine ungeheure Macht weil wir uns taumlglich in ihnen bewegen und sie deshalb zwangslaumlufig bejahen oder unterstuumltzen Erst wenn jede(r) fuumlr sich konkret lebt und erlebt wie sie und er sich eigentlich wuumlnschen zu leben erst dann koumlnnen sich die mentalen Infrastrukturen veraumlndern

Deswegen ist es dann doch wichtig einfach vom Auto haumlufiger auf den Zug umzusteigen statt der exotischen Ferne die Region auszukundschaften statt der Karriere mal die Familie oder mehr Zeit im Freundeskreis vorzuziehen Nicht weil solches Handeln gleich die Welt verbessern wuumlrde dazu bleibt es zu singulaumlr und machtlos Aber weil es jedem Einzelnen eine bessere Vorstellung und Gewissheit vermitteln kann wie es sich nachhaltig gut leben laumlsst Es geht also auch darum Angst und Hemmschwellen abzulegen Neues auszuprobieren im sozialen Miteinshyander und im besseren Einklang mit den natuumlrlichen Lebensgrundlagen Erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wendet bringt Welzer es auf den Punkt bietet er eine handfeste Intervention gegen die materishyellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen des Wachstumszeitalters

Auf Basis von wachstumsbefriedeten oumlkonomischen und gesellschaftlichen Leitbildern wird es dann vielleicht auch eher gelingen gegen den Wachstums-zwang anzugehen der unser System bestimmt Bei sich selbst anzufangen sitzt dann nicht nur der Vorstellung auf die Gegenwart gleich verbessern zu koumlnnen Wenn wir im Kleinen Formen des Gemein-Wirtschaftens (laquocommoningraquo) praktishyzieren die jenseits der Marktoumlkonomie auf Reziprozitaumlt und Austausch und nicht auf Profitsteigerung ausgerichtet sind dann koumlnnen hieraus auch die Umrisse einer Postwachstumsoumlkonomie entwickelt und eine Gesellschaft greifbarer gemacht werden die die oumlkologischen Grenzen der Erde anerkennt

Berlin im April 2011

Barbara Unmuumlszligig Tilman Santarius Vorstand der Referent fuumlr Internationale Heinrich-Boumlll-Stiftung Klima- und Energiepolitik V

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1 Wachstum als mentale Infrastruktur

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Der Aufstieg des Wachstumskonzepts zum wirtschaftspolitischen Zentralbeshygriff der Industrienationen vollzog sich in verbluumlffend kurzer Zeit Die ledigshylich einige Jahrzehnte umfassende Zeitspanne in der der Wachstumsbegriff etwa in der Oumlkonomik eine prominente Rolle spielt und der Stellenwert den er wirtschaftstheoretisch hat steht in gar keinem Verhaumlltnis zu der nachgeshyrade magischen Bedeutung die ihm die Politik als Allheilmittel fuumlr allgemeine Prosperitaumlt Abdaumlmpfung sozialer Ungleichheit Bekaumlmpfung der Arbeitslosigkeit etc zuschreibt Keine Politikerin und kein Politiker kann es sich heute leisten wirtschaftspolitische Konzepte zu vertreten die eine dezidierte Abkehr von der Zivilreligion des Wachstums bedeuten ndash entweder setzt man wie die liberalshykonservativen Parteien und die sozialromantische laquoLinkeraquo auf den klassischen Wachstumsbegriff um Politikziele zu definieren oder ndash wie die laquoGruumlnenraquo und auch Teile der Sozialdemokratie ndash auf die Moumlglichkeit einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch und spricht dann vom qualitashytiven Wachstum Unabhaumlngig davon wie realistisch Entkoppelungsvorstellungen sind (zur Kritik siehe etwa Paech 2011 SommerWelzer 2010) zeigt sich in ihrer Propagierung jedenfalls die ungebrochene Prominenz des Wachstumskonzepts als Zentralkategorie des Realpolitischen Die Alleinstellung des Wachstumskonshyzepts erfuumlllt nicht zuletzt auch die Funktion keinen Plan B ndash also etwa den einer wachstumsbefriedeten oder Postwachstums-Gesellschaft ndash entwickeln zu muumlssen So wie die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit auf Wachstum als Befrieshydungsinstrument zur Entschaumlrfung sozialer Ungleichheit setzte so setzen die demokratischen Parteien heute auf Wachstum als Monostrategie zur Aufrechtershyhaltung eines wirtschaftlich wie sozial fragilen Status Quo

Das Fehlen jeder Alternative zum Wachstumskonzept in allen Parteien macht nicht nur einmal mehr seinen sakrosankten Charakter deutlich sondern zeigt zugleich an dass die Entwicklung alternativer Strategien zur Erreichung und Aufrechterhaltung zukunftstauglicher Lebensverhaumlltnisse sofort die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform in Frage zu stellen droht So befindet sich jegliche Erwaumlgung zu einer Wirtschaft ohne Wachstum unmittelbar in eklatantem Widerspruch zum kapitalistischen Wirtschaftsprinzip das ja auf die Produktion von Mehrwert setzt und jeder einzelne Schritt zur Post-Wachstumsgesellschaft ndash wie etwa lokale Tauschwirtschaften und Waumlhrungen etc ndash stellt automatisch auch die gelaumlufigen Verkehrsformen der Geld- und Kreditwirtschaft in Frage

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Insofern verknuumlpft sich mit der Wachstumsfrage automatisch immer die Frage ums Ganze des gegenwaumlrtigen immerhin uumlber zwei Jahrhunderte ungeheuer erfolgreichen Gesellschaftsmodells ndash kein Wunder dass da kaum jemand dran ruumlhren mag Tatsaumlchlich erfuumlllen die gegenwaumlrtigen Debatten uumlber Entkoppelung hier und die Entwicklung anderer Wohlstands- und Gluumlcksinshydizes dort vor allem die Funktion die Illusion aufrechtzuerhalten man koumlnnte im Rahmen des Bestehenden hinreichend viele Stellschrauben nachjustieren um die negativen Umweltfolgen des Wirtschaftswachstums zu mindern das Bestehende selbst aber unbeschadet lassen Dieser weder wissenschaftlich noch wirtschaftspolitisch begruumlndbare Illusionismus belegt selbst wie magisch und zwingend das Wachstumsdenken geworden ist Da dies wie gesagt in eigentuumlmshylichem Kontrast zu der historischen Zeitspanne seiner Prominenz steht liegt der Verdacht nahe dass es neben oumlkonomischen und politischen Begruumlndungen fuumlr den Wachstumszwang noch eine tiefere Dimension geben koumlnnte die im mentalen Bereich angesiedelt ist Mit dieser Dimension des Wachstumskonzepts wird sich der folgende Essay befassen

Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrashystrukturen bestimmt sondern auch durch mentale Vorstellungen uumlber Freiheit Mobilitaumlt Gluumlck etc sind ebenso durch historisch spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsformationen gepraumlgt wie etwa Lebenslaufkonzepte und Biographieshymuster Die Auszligenwelt uumlbersetzt sich bei Menschen deshalb immer auch in ihre Innenwelt weil sie ndash wie die Neurobiologie zeigt ndash uumlber ein plastisches Gehirn verfuumlgen das Umwelterfahrungen im Verlauf der Ontogenese in die neuronale Verschaltungsarchitektur des sich entwickelnden Gehirns einbaut Diese in der Biosphaumlre einzigartige Neuroplastizitaumlt sorgt dafuumlr dass man das menschliche Gehirn als ein biokulturelles Organ (Shore 1996 MarkowitschWelzer 2005 Huumlther 2001 Tomasello 2002) verstehen muss dessen Entwicklungsbedinshygungen nicht allein biologische sondern immer auch kulturelle sind Diese erst neuerdings prominent gewordene neurowissenschaftliche Perspektive hat einen sozialwissenschaftlichen Vorlaumlufer in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias der die Parallelitaumlt von Psycho- und Soziogenese anhand der Untersuchung von Zivilisierungsschritten und Persoumlnlichkeitsformationen aufgewiesen hat (Elias 1969) Und schon Marx hatte in der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und Subjektformation dargelegt ndash wie spaumlter dann Max Weber in der laquoProtestantischen Ethikraquo oder Georg Simmel in der laquoPhilosophie des Geldesraquo

In der gegenwaumlrtigen Wachstumsdebatte fehlen solche Erwaumlgungen und theoretischen Bezugnahmen voumlllig ndash ebenso wie in den Vorstellungen uumlber eine dritte industrielle Revolution (BMU 2008) bzw uumlber eine postcarbone Gesellshyschaft Wege aus dem Wachstum und Strategien hin zur postcarbonen Gesellshyschaft werden vorwiegend auf technologischer und ordnungs- und anreizposhylitischer Ebene gesucht Lebenswelt und Mentalitaumlten tauchen als Variablen in den technoiden Szenarien der laquoDritten Industriellen Revolutionraquo nicht auf in den Politikstilen der Gegenwart schon gar nicht Deshalb scheint ein Blick auf M

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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2 aus fremdzwang wird selbstzwang

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Uumlber den autor Prof Dr Harald Welzer ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kultur-wissenschaftlichen Institut in Essen Zudem lehrt er Sozialpsychologie an der Universitaumlt Witten Herdecke Seine Arbeitsschwerpunkte liegen bei den Themen Erinnerung Gruppengewalt und Klimakultur Zahlreiche Veroumlffentlichungen zuletzt Das Ende der Welt wie wir sie kannten (mit Claus Leggewie) KlimakriegeWofuumlr im 21 Jahrhundert getoumltet wird

Der Autor dankt Susanne Quehenberger und Vanessa Stahl fuumlr Recherchen und Gedanken

Diese Publikation wird unter den Bedingungen einer Creative-Commons-Lizenz veroumlffentlicht httpcreativecommonsorglicensesby-nc-nd30de Eine elektronische Fassung kann heruntergeladen werden Sie duumlrfen das Werk

vervielfaumlltigen verbreiten und oumlffentlich zugaumlnglich machen Es gelten folgende Bedingungen Namensshynennung Sie muumlssen den Namen des AutorsRechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen (wodurch aber nicht der Eindruck entstehen darf Sie oder die Nutzung des Werkes durch Sie wuumlrden entlohnt) Keine kommerzielle Nutzung Dieses Werk darf nicht fuumlr kommerzielle Zwecke verwendet werden Keine Bearbeitung Dieses Werk darf nicht bearbeitet oder in anderer Weise veraumlndert werden

Mentale Infrastrukturen Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam Von Harald Welzer

Band 14 der Schriftenreihe Oumlkologie Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung 2011

Gestaltung graphic syndicat Michael Pickardt (nach Entwuumlrfen von blotto Design) Titel-Photo Dierk Schaefer flickrcom Druck agit-druck

ISBN 978-3-86928-050-9

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10117 Berlin t +49 30 28534-0 f +49 30 28534-109 e infoboellde W wwwboellde

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Inhalt

Vorwort und Einfuumlhrung 7

Wachstum als mentale Infrastruktur 11

Aus Fremdzwang wird Selbstzwang 15

Unendliches Wachstum 18

Energie und Mobilitaumlt 21

Arbeit und Wachstum 24

Endlichkeit der Ressourcen und Tod 26

Der globalisierte und flexibilisierte Mensch 28

Konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen 30

Der Locked-in-Effekt 34

Was heiszligt laquoUmbau der carbonen Gesellschaftraquo 37

Wie moumlchten wir gelebt haben 40

Literatur 43

Boumlll-Stiftung
Hinweis
Inhalt mit Links zu den Texten1313Mit Adobe Reader koumlnnen Markierungen und Kommentare angebracht werden 1313Suchen mit Strg+Shift+F = Suchergebnis als Liste13

VorWort und eInfUumlhrung

Kritik am alles dominierenden Paradigma des Wirtschaftswachstums ist mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre wieder gesellschaftsfaumlhig geworden Auch der Klimawandel und erst recht die japanische Nuklearkatasshytrophe loumlsen intensives Nachdenken aus Kann unsere Wirtschaft tatsaumlchlich ewig weiterwachsen Ist unsere Konsumwelt eigentlich zukunftsfaumlhig Kann Wirtschaftswachstum in Industrielaumlndern uumlberhaupt ein legitimes Ziel sein wenn die Weltwirtschaft jetzt schon an ihre oumlkologischen Grenzen stoumlszligt und weit mehr als eine Milliarde Menschen hungern Werden wir so weitermachen koumlnnen Diesen Fragen geht der Sozialpsychologe und Publizist Harald Welzer im vorliegenden Essay nach

Der Groszligteil der Wachstumskritik zielt auf die politische und oumlkonomishysche Sphaumlre des Wachstumszwangs Die Apologeten dieser Sphaumlren vertreten die Ansicht die Existenz des Zinses und der internationale Standortwettbeshywerb bedingen den kapitalistischen Wachstumszwang Ein weiteres Argument Die hohen Staatsschulden und die Notwendigkeit die sozialen Sicherungssysshyteme aufrecht zu erhalten und gesellschaftliche Umverteilung zu ermoumlglichen zwingen zum stetigen Wirtschaftswachstum

Wirtschaft und Politik sind sicherlich Wachstumstreiber Aber sie sind deshalb auch zentrale Akteure wenn es ums Umsteuern geht Wie die Menschen ndash als Individuen und in gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen ndash mit dem auf Wachstum ausgerichteten Gesellschafts- und Lebensmodell auf Engste verwoben sind das versucht Welzer in seinem Essay auszuleuchten

Das Wachstum als Wille und Vorstellung herrsche nicht nur in Konzernzenshytralen an Boumlrsen oder in Ministerien argumentiert der Autor sondern auch in unseren Koumlpfen Die materiellen Guumlter dienten laumlngst nicht mehr alleine den elementaren Beduumlrfnissen wie Nahrung Wohnen Gesundheit Bildung und Vitalitaumlt Materielle Guumlter sagten auch etwas aus uumlber den sozialen Status und uumlber Beziehungen uumlber kulturelle Vorlieben

Tatsaumlchlich praumlgen sie Zugehoumlrigkeit und Identitaumlt Wir kennen sie alle die Lust nach etwas Neuem nach steigendem Einkommen nach Besitz nach immer exotischeren Urlaubsreisen Die Vorstellung vom laquounendlichen Wachstumraquo ist seit der industriellen Revolution gleichsam in unseren emotionalen und kognitiven Haushalt eingebettet so Welzer Das aumluszligert sich etwa in Karrierewuumlnschen und Aufstiegsplaumlnen im Job ebenso in der Selbstfindungssuche nach dem laquowahren Ichraquo oder einer laquohoumlheren Erkenntnisstuferaquo Der moderne Mensch ist der Schmied seines eigenen Gluumlckes er will etwas aus seinem Leben machen und zwar nicht nur einmal sondern immer wieder aufs Neue um stetig seine Zufrieden-V

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heit zu steigern laquoDas Neue liefert Vielfalt und Aufregung und laumlsst uns traumlumen und hoffen Mit seiner Hilfe koumlnnen wir Traumlume und Sehnsuumlchte nach einem idealen Leben erforschen und der gelegentlich doch recht harten Lebensrealitaumlt entkommenraquo ndash so auch Tim Jackson in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum

Diese Lust nach Neuem nach Konsum und Wachstum ist wie Harald Welzer in seinem Essay zeigt als laquomentale Infrastrukturraquo in den Wuumlnschen Hoffnungen und Werten jedes Einzelnen in unseren Innenwelten verankert So kommt es dass das System nicht nur die laquoLebensweltraquo (Habermas) kolonialisiert sondern dass wir durch unsere Lebenswelt auch das System konstruieren das wir laquoverdienenraquo

Auch wenn Harald Welzers Erkenntnis zunaumlchst theoretisch und abstrakt erscheint so hat sie doch ganz unmittelbare praktische und politische Konseshyquenzen Die laquogroszlige Transformationraquo die unsere Gesellschaft in eine nachhaltige Zukunft beamen und den Kollaps der Biosphaumlre verhindern soll verlangt eben nicht nur technische und politische Loumlsungen Sie hat auch eine sozial-psychologische und kulturelle Dimension Oumlkonomische Innovationen und veraumlnderte Rahmenbeshydingungen Solarpanels und Oumlkosteuern alleine reichen nicht Nachhaltigkeit erforshydert auch soziale Innovationen und eine gesellschaftliche Transformation

Hier knuumlpft Welzer an vier Jahrzehnte Diskussion uumlber nachhaltige Lebensshystile Suffizienz und ethisches Konsumverhalten an und hebt die Lebensstil-Debatte in eine neue Dimension Es geht naumlmlich nicht bloszlig darum Empfehshylungen fuumlr korrektes Verhalten auszusprechen also gut gemeinte Ratschlaumlge zu erteilen doch bitte mal aufs Auto zu verzichten oder weniger Fleisch zu essen Ebenso wenig reicht es aus sich zu fragen wie viel materieller Besitz fuumlr die persoumlnliche Zufriedenheit genug waumlre Das zeigen nicht zuletzt die postmoshydernen laquoLohasraquo (laquolifestyle of health and sustainabilityraquo) die oft ein sehr hohes Umweltbewusstsein und trotzdem einen immer noch viel zu groszligen oumlkologishyschen Fuszligabdruck haben ndash durch Konsum von iPad Beamer und Seychellen-Reise als Beitrag zur Selbstverwirklichung und individuellen Zufriedenheit Wenn die groszlige Transformation gelingen soll dann muss eine noch tiefere Ebene der Selbstreflexion einbezogen werden Wir muumlssen die Mechanismen und Prinzishypien durchschauen auf denen unsere Ideale und Wuumlnsche unsere Vorstellungen und Empfindungen von Zufriedenheit fuszligen Denn diese werden durch unsere mentalen Infrastrukturen ein gutes Stuumlck vorgegeben

Welzer zeigt wie wir uns als Gestalterinnen und Gestalter unserer eigenen Persoumlnlichkeitsentwuumlrfe und Biographien laufend selbst zum (Konsum-) Wachstum zum Mehr antreiben Dies zu erkennen ist der erste Schritt in die richtige Richtung Und dies wiederum ist die Grundlage um den Wachstums-zwang nicht nur vom System zu loumlsen sondern laquoin uns drinnenraquo in unseren mentalen Infrastrukturen aufzuloumlsen Womoumlglich werden wir dann dem Wunsch nach laquoWeniger ist mehrraquo naumlher kommen oder die Frage laquoWie viel ist genug fuumlr ein gutes Lebenraquo anders beantworten koumlnnen

Um diese mentalen Infrastrukturen zu veraumlndern braucht es zweierlei neue Leitvorstellungen aber auch das aktive konkrete Ausprobieren von neuen Lebensentwuumlrfen Mit dem Dreiklang laquoFortschrittraquoWohlstandraquo und laquoWachstumraquo M

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der seit der Industrialisierung unsere mentalen Infrastrukturen praumlgt kann jedenfalls kaum eine verantwortungsvolle nachhaltige und auf Fairness zielende Gesellschaft begruumlndet werden Wie aber koumlnnen wir das laquorastlose Begehrenraquo umdrehen in ein erfuumllltes Leben das nicht staumlndig nach Neuem schreit Wir brauchen sagt Harald Welzer eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte ich einmal gewesen sein Wie moumlchte ich die Welt in 20 Jahren eingerichtet sehen wie moumlchte ich sie meinen Kindern hinterlassen

Die Frage zu beantworten wie man im Jahr 2030 oder 2050 gelebt haben moumlchte und daruumlber Visionen zu entwickeln die Menschen bewegen und neue Identitaumlten stiften kann nicht nur abstrakt gelingen Sie muss das Ausprobieren von konkreten Lebensentwuumlrfen einbeziehen Denn das laquobusiness-as-usualraquo der uns allgegenwaumlrtig umgebenden materiellen und institutionellen Infrastrukshyturen (Supermaumlrkte Autobahnen Allverfuumlgbarkeit und Leistungsdruck) haben eine ungeheure Macht weil wir uns taumlglich in ihnen bewegen und sie deshalb zwangslaumlufig bejahen oder unterstuumltzen Erst wenn jede(r) fuumlr sich konkret lebt und erlebt wie sie und er sich eigentlich wuumlnschen zu leben erst dann koumlnnen sich die mentalen Infrastrukturen veraumlndern

Deswegen ist es dann doch wichtig einfach vom Auto haumlufiger auf den Zug umzusteigen statt der exotischen Ferne die Region auszukundschaften statt der Karriere mal die Familie oder mehr Zeit im Freundeskreis vorzuziehen Nicht weil solches Handeln gleich die Welt verbessern wuumlrde dazu bleibt es zu singulaumlr und machtlos Aber weil es jedem Einzelnen eine bessere Vorstellung und Gewissheit vermitteln kann wie es sich nachhaltig gut leben laumlsst Es geht also auch darum Angst und Hemmschwellen abzulegen Neues auszuprobieren im sozialen Miteinshyander und im besseren Einklang mit den natuumlrlichen Lebensgrundlagen Erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wendet bringt Welzer es auf den Punkt bietet er eine handfeste Intervention gegen die materishyellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen des Wachstumszeitalters

Auf Basis von wachstumsbefriedeten oumlkonomischen und gesellschaftlichen Leitbildern wird es dann vielleicht auch eher gelingen gegen den Wachstums-zwang anzugehen der unser System bestimmt Bei sich selbst anzufangen sitzt dann nicht nur der Vorstellung auf die Gegenwart gleich verbessern zu koumlnnen Wenn wir im Kleinen Formen des Gemein-Wirtschaftens (laquocommoningraquo) praktishyzieren die jenseits der Marktoumlkonomie auf Reziprozitaumlt und Austausch und nicht auf Profitsteigerung ausgerichtet sind dann koumlnnen hieraus auch die Umrisse einer Postwachstumsoumlkonomie entwickelt und eine Gesellschaft greifbarer gemacht werden die die oumlkologischen Grenzen der Erde anerkennt

Berlin im April 2011

Barbara Unmuumlszligig Tilman Santarius Vorstand der Referent fuumlr Internationale Heinrich-Boumlll-Stiftung Klima- und Energiepolitik V

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1 Wachstum als mentale Infrastruktur

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Der Aufstieg des Wachstumskonzepts zum wirtschaftspolitischen Zentralbeshygriff der Industrienationen vollzog sich in verbluumlffend kurzer Zeit Die ledigshylich einige Jahrzehnte umfassende Zeitspanne in der der Wachstumsbegriff etwa in der Oumlkonomik eine prominente Rolle spielt und der Stellenwert den er wirtschaftstheoretisch hat steht in gar keinem Verhaumlltnis zu der nachgeshyrade magischen Bedeutung die ihm die Politik als Allheilmittel fuumlr allgemeine Prosperitaumlt Abdaumlmpfung sozialer Ungleichheit Bekaumlmpfung der Arbeitslosigkeit etc zuschreibt Keine Politikerin und kein Politiker kann es sich heute leisten wirtschaftspolitische Konzepte zu vertreten die eine dezidierte Abkehr von der Zivilreligion des Wachstums bedeuten ndash entweder setzt man wie die liberalshykonservativen Parteien und die sozialromantische laquoLinkeraquo auf den klassischen Wachstumsbegriff um Politikziele zu definieren oder ndash wie die laquoGruumlnenraquo und auch Teile der Sozialdemokratie ndash auf die Moumlglichkeit einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch und spricht dann vom qualitashytiven Wachstum Unabhaumlngig davon wie realistisch Entkoppelungsvorstellungen sind (zur Kritik siehe etwa Paech 2011 SommerWelzer 2010) zeigt sich in ihrer Propagierung jedenfalls die ungebrochene Prominenz des Wachstumskonzepts als Zentralkategorie des Realpolitischen Die Alleinstellung des Wachstumskonshyzepts erfuumlllt nicht zuletzt auch die Funktion keinen Plan B ndash also etwa den einer wachstumsbefriedeten oder Postwachstums-Gesellschaft ndash entwickeln zu muumlssen So wie die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit auf Wachstum als Befrieshydungsinstrument zur Entschaumlrfung sozialer Ungleichheit setzte so setzen die demokratischen Parteien heute auf Wachstum als Monostrategie zur Aufrechtershyhaltung eines wirtschaftlich wie sozial fragilen Status Quo

Das Fehlen jeder Alternative zum Wachstumskonzept in allen Parteien macht nicht nur einmal mehr seinen sakrosankten Charakter deutlich sondern zeigt zugleich an dass die Entwicklung alternativer Strategien zur Erreichung und Aufrechterhaltung zukunftstauglicher Lebensverhaumlltnisse sofort die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform in Frage zu stellen droht So befindet sich jegliche Erwaumlgung zu einer Wirtschaft ohne Wachstum unmittelbar in eklatantem Widerspruch zum kapitalistischen Wirtschaftsprinzip das ja auf die Produktion von Mehrwert setzt und jeder einzelne Schritt zur Post-Wachstumsgesellschaft ndash wie etwa lokale Tauschwirtschaften und Waumlhrungen etc ndash stellt automatisch auch die gelaumlufigen Verkehrsformen der Geld- und Kreditwirtschaft in Frage

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Insofern verknuumlpft sich mit der Wachstumsfrage automatisch immer die Frage ums Ganze des gegenwaumlrtigen immerhin uumlber zwei Jahrhunderte ungeheuer erfolgreichen Gesellschaftsmodells ndash kein Wunder dass da kaum jemand dran ruumlhren mag Tatsaumlchlich erfuumlllen die gegenwaumlrtigen Debatten uumlber Entkoppelung hier und die Entwicklung anderer Wohlstands- und Gluumlcksinshydizes dort vor allem die Funktion die Illusion aufrechtzuerhalten man koumlnnte im Rahmen des Bestehenden hinreichend viele Stellschrauben nachjustieren um die negativen Umweltfolgen des Wirtschaftswachstums zu mindern das Bestehende selbst aber unbeschadet lassen Dieser weder wissenschaftlich noch wirtschaftspolitisch begruumlndbare Illusionismus belegt selbst wie magisch und zwingend das Wachstumsdenken geworden ist Da dies wie gesagt in eigentuumlmshylichem Kontrast zu der historischen Zeitspanne seiner Prominenz steht liegt der Verdacht nahe dass es neben oumlkonomischen und politischen Begruumlndungen fuumlr den Wachstumszwang noch eine tiefere Dimension geben koumlnnte die im mentalen Bereich angesiedelt ist Mit dieser Dimension des Wachstumskonzepts wird sich der folgende Essay befassen

Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrashystrukturen bestimmt sondern auch durch mentale Vorstellungen uumlber Freiheit Mobilitaumlt Gluumlck etc sind ebenso durch historisch spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsformationen gepraumlgt wie etwa Lebenslaufkonzepte und Biographieshymuster Die Auszligenwelt uumlbersetzt sich bei Menschen deshalb immer auch in ihre Innenwelt weil sie ndash wie die Neurobiologie zeigt ndash uumlber ein plastisches Gehirn verfuumlgen das Umwelterfahrungen im Verlauf der Ontogenese in die neuronale Verschaltungsarchitektur des sich entwickelnden Gehirns einbaut Diese in der Biosphaumlre einzigartige Neuroplastizitaumlt sorgt dafuumlr dass man das menschliche Gehirn als ein biokulturelles Organ (Shore 1996 MarkowitschWelzer 2005 Huumlther 2001 Tomasello 2002) verstehen muss dessen Entwicklungsbedinshygungen nicht allein biologische sondern immer auch kulturelle sind Diese erst neuerdings prominent gewordene neurowissenschaftliche Perspektive hat einen sozialwissenschaftlichen Vorlaumlufer in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias der die Parallelitaumlt von Psycho- und Soziogenese anhand der Untersuchung von Zivilisierungsschritten und Persoumlnlichkeitsformationen aufgewiesen hat (Elias 1969) Und schon Marx hatte in der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und Subjektformation dargelegt ndash wie spaumlter dann Max Weber in der laquoProtestantischen Ethikraquo oder Georg Simmel in der laquoPhilosophie des Geldesraquo

In der gegenwaumlrtigen Wachstumsdebatte fehlen solche Erwaumlgungen und theoretischen Bezugnahmen voumlllig ndash ebenso wie in den Vorstellungen uumlber eine dritte industrielle Revolution (BMU 2008) bzw uumlber eine postcarbone Gesellshyschaft Wege aus dem Wachstum und Strategien hin zur postcarbonen Gesellshyschaft werden vorwiegend auf technologischer und ordnungs- und anreizposhylitischer Ebene gesucht Lebenswelt und Mentalitaumlten tauchen als Variablen in den technoiden Szenarien der laquoDritten Industriellen Revolutionraquo nicht auf in den Politikstilen der Gegenwart schon gar nicht Deshalb scheint ein Blick auf M

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Inhalt

Vorwort und Einfuumlhrung 7

Wachstum als mentale Infrastruktur 11

Aus Fremdzwang wird Selbstzwang 15

Unendliches Wachstum 18

Energie und Mobilitaumlt 21

Arbeit und Wachstum 24

Endlichkeit der Ressourcen und Tod 26

Der globalisierte und flexibilisierte Mensch 28

Konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen 30

Der Locked-in-Effekt 34

Was heiszligt laquoUmbau der carbonen Gesellschaftraquo 37

Wie moumlchten wir gelebt haben 40

Literatur 43

Boumlll-Stiftung
Hinweis
Inhalt mit Links zu den Texten1313Mit Adobe Reader koumlnnen Markierungen und Kommentare angebracht werden 1313Suchen mit Strg+Shift+F = Suchergebnis als Liste13

VorWort und eInfUumlhrung

Kritik am alles dominierenden Paradigma des Wirtschaftswachstums ist mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre wieder gesellschaftsfaumlhig geworden Auch der Klimawandel und erst recht die japanische Nuklearkatasshytrophe loumlsen intensives Nachdenken aus Kann unsere Wirtschaft tatsaumlchlich ewig weiterwachsen Ist unsere Konsumwelt eigentlich zukunftsfaumlhig Kann Wirtschaftswachstum in Industrielaumlndern uumlberhaupt ein legitimes Ziel sein wenn die Weltwirtschaft jetzt schon an ihre oumlkologischen Grenzen stoumlszligt und weit mehr als eine Milliarde Menschen hungern Werden wir so weitermachen koumlnnen Diesen Fragen geht der Sozialpsychologe und Publizist Harald Welzer im vorliegenden Essay nach

Der Groszligteil der Wachstumskritik zielt auf die politische und oumlkonomishysche Sphaumlre des Wachstumszwangs Die Apologeten dieser Sphaumlren vertreten die Ansicht die Existenz des Zinses und der internationale Standortwettbeshywerb bedingen den kapitalistischen Wachstumszwang Ein weiteres Argument Die hohen Staatsschulden und die Notwendigkeit die sozialen Sicherungssysshyteme aufrecht zu erhalten und gesellschaftliche Umverteilung zu ermoumlglichen zwingen zum stetigen Wirtschaftswachstum

Wirtschaft und Politik sind sicherlich Wachstumstreiber Aber sie sind deshalb auch zentrale Akteure wenn es ums Umsteuern geht Wie die Menschen ndash als Individuen und in gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen ndash mit dem auf Wachstum ausgerichteten Gesellschafts- und Lebensmodell auf Engste verwoben sind das versucht Welzer in seinem Essay auszuleuchten

Das Wachstum als Wille und Vorstellung herrsche nicht nur in Konzernzenshytralen an Boumlrsen oder in Ministerien argumentiert der Autor sondern auch in unseren Koumlpfen Die materiellen Guumlter dienten laumlngst nicht mehr alleine den elementaren Beduumlrfnissen wie Nahrung Wohnen Gesundheit Bildung und Vitalitaumlt Materielle Guumlter sagten auch etwas aus uumlber den sozialen Status und uumlber Beziehungen uumlber kulturelle Vorlieben

Tatsaumlchlich praumlgen sie Zugehoumlrigkeit und Identitaumlt Wir kennen sie alle die Lust nach etwas Neuem nach steigendem Einkommen nach Besitz nach immer exotischeren Urlaubsreisen Die Vorstellung vom laquounendlichen Wachstumraquo ist seit der industriellen Revolution gleichsam in unseren emotionalen und kognitiven Haushalt eingebettet so Welzer Das aumluszligert sich etwa in Karrierewuumlnschen und Aufstiegsplaumlnen im Job ebenso in der Selbstfindungssuche nach dem laquowahren Ichraquo oder einer laquohoumlheren Erkenntnisstuferaquo Der moderne Mensch ist der Schmied seines eigenen Gluumlckes er will etwas aus seinem Leben machen und zwar nicht nur einmal sondern immer wieder aufs Neue um stetig seine Zufrieden-V

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heit zu steigern laquoDas Neue liefert Vielfalt und Aufregung und laumlsst uns traumlumen und hoffen Mit seiner Hilfe koumlnnen wir Traumlume und Sehnsuumlchte nach einem idealen Leben erforschen und der gelegentlich doch recht harten Lebensrealitaumlt entkommenraquo ndash so auch Tim Jackson in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum

Diese Lust nach Neuem nach Konsum und Wachstum ist wie Harald Welzer in seinem Essay zeigt als laquomentale Infrastrukturraquo in den Wuumlnschen Hoffnungen und Werten jedes Einzelnen in unseren Innenwelten verankert So kommt es dass das System nicht nur die laquoLebensweltraquo (Habermas) kolonialisiert sondern dass wir durch unsere Lebenswelt auch das System konstruieren das wir laquoverdienenraquo

Auch wenn Harald Welzers Erkenntnis zunaumlchst theoretisch und abstrakt erscheint so hat sie doch ganz unmittelbare praktische und politische Konseshyquenzen Die laquogroszlige Transformationraquo die unsere Gesellschaft in eine nachhaltige Zukunft beamen und den Kollaps der Biosphaumlre verhindern soll verlangt eben nicht nur technische und politische Loumlsungen Sie hat auch eine sozial-psychologische und kulturelle Dimension Oumlkonomische Innovationen und veraumlnderte Rahmenbeshydingungen Solarpanels und Oumlkosteuern alleine reichen nicht Nachhaltigkeit erforshydert auch soziale Innovationen und eine gesellschaftliche Transformation

Hier knuumlpft Welzer an vier Jahrzehnte Diskussion uumlber nachhaltige Lebensshystile Suffizienz und ethisches Konsumverhalten an und hebt die Lebensstil-Debatte in eine neue Dimension Es geht naumlmlich nicht bloszlig darum Empfehshylungen fuumlr korrektes Verhalten auszusprechen also gut gemeinte Ratschlaumlge zu erteilen doch bitte mal aufs Auto zu verzichten oder weniger Fleisch zu essen Ebenso wenig reicht es aus sich zu fragen wie viel materieller Besitz fuumlr die persoumlnliche Zufriedenheit genug waumlre Das zeigen nicht zuletzt die postmoshydernen laquoLohasraquo (laquolifestyle of health and sustainabilityraquo) die oft ein sehr hohes Umweltbewusstsein und trotzdem einen immer noch viel zu groszligen oumlkologishyschen Fuszligabdruck haben ndash durch Konsum von iPad Beamer und Seychellen-Reise als Beitrag zur Selbstverwirklichung und individuellen Zufriedenheit Wenn die groszlige Transformation gelingen soll dann muss eine noch tiefere Ebene der Selbstreflexion einbezogen werden Wir muumlssen die Mechanismen und Prinzishypien durchschauen auf denen unsere Ideale und Wuumlnsche unsere Vorstellungen und Empfindungen von Zufriedenheit fuszligen Denn diese werden durch unsere mentalen Infrastrukturen ein gutes Stuumlck vorgegeben

Welzer zeigt wie wir uns als Gestalterinnen und Gestalter unserer eigenen Persoumlnlichkeitsentwuumlrfe und Biographien laufend selbst zum (Konsum-) Wachstum zum Mehr antreiben Dies zu erkennen ist der erste Schritt in die richtige Richtung Und dies wiederum ist die Grundlage um den Wachstums-zwang nicht nur vom System zu loumlsen sondern laquoin uns drinnenraquo in unseren mentalen Infrastrukturen aufzuloumlsen Womoumlglich werden wir dann dem Wunsch nach laquoWeniger ist mehrraquo naumlher kommen oder die Frage laquoWie viel ist genug fuumlr ein gutes Lebenraquo anders beantworten koumlnnen

Um diese mentalen Infrastrukturen zu veraumlndern braucht es zweierlei neue Leitvorstellungen aber auch das aktive konkrete Ausprobieren von neuen Lebensentwuumlrfen Mit dem Dreiklang laquoFortschrittraquoWohlstandraquo und laquoWachstumraquo M

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der seit der Industrialisierung unsere mentalen Infrastrukturen praumlgt kann jedenfalls kaum eine verantwortungsvolle nachhaltige und auf Fairness zielende Gesellschaft begruumlndet werden Wie aber koumlnnen wir das laquorastlose Begehrenraquo umdrehen in ein erfuumllltes Leben das nicht staumlndig nach Neuem schreit Wir brauchen sagt Harald Welzer eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte ich einmal gewesen sein Wie moumlchte ich die Welt in 20 Jahren eingerichtet sehen wie moumlchte ich sie meinen Kindern hinterlassen

Die Frage zu beantworten wie man im Jahr 2030 oder 2050 gelebt haben moumlchte und daruumlber Visionen zu entwickeln die Menschen bewegen und neue Identitaumlten stiften kann nicht nur abstrakt gelingen Sie muss das Ausprobieren von konkreten Lebensentwuumlrfen einbeziehen Denn das laquobusiness-as-usualraquo der uns allgegenwaumlrtig umgebenden materiellen und institutionellen Infrastrukshyturen (Supermaumlrkte Autobahnen Allverfuumlgbarkeit und Leistungsdruck) haben eine ungeheure Macht weil wir uns taumlglich in ihnen bewegen und sie deshalb zwangslaumlufig bejahen oder unterstuumltzen Erst wenn jede(r) fuumlr sich konkret lebt und erlebt wie sie und er sich eigentlich wuumlnschen zu leben erst dann koumlnnen sich die mentalen Infrastrukturen veraumlndern

Deswegen ist es dann doch wichtig einfach vom Auto haumlufiger auf den Zug umzusteigen statt der exotischen Ferne die Region auszukundschaften statt der Karriere mal die Familie oder mehr Zeit im Freundeskreis vorzuziehen Nicht weil solches Handeln gleich die Welt verbessern wuumlrde dazu bleibt es zu singulaumlr und machtlos Aber weil es jedem Einzelnen eine bessere Vorstellung und Gewissheit vermitteln kann wie es sich nachhaltig gut leben laumlsst Es geht also auch darum Angst und Hemmschwellen abzulegen Neues auszuprobieren im sozialen Miteinshyander und im besseren Einklang mit den natuumlrlichen Lebensgrundlagen Erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wendet bringt Welzer es auf den Punkt bietet er eine handfeste Intervention gegen die materishyellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen des Wachstumszeitalters

Auf Basis von wachstumsbefriedeten oumlkonomischen und gesellschaftlichen Leitbildern wird es dann vielleicht auch eher gelingen gegen den Wachstums-zwang anzugehen der unser System bestimmt Bei sich selbst anzufangen sitzt dann nicht nur der Vorstellung auf die Gegenwart gleich verbessern zu koumlnnen Wenn wir im Kleinen Formen des Gemein-Wirtschaftens (laquocommoningraquo) praktishyzieren die jenseits der Marktoumlkonomie auf Reziprozitaumlt und Austausch und nicht auf Profitsteigerung ausgerichtet sind dann koumlnnen hieraus auch die Umrisse einer Postwachstumsoumlkonomie entwickelt und eine Gesellschaft greifbarer gemacht werden die die oumlkologischen Grenzen der Erde anerkennt

Berlin im April 2011

Barbara Unmuumlszligig Tilman Santarius Vorstand der Referent fuumlr Internationale Heinrich-Boumlll-Stiftung Klima- und Energiepolitik V

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1 Wachstum als mentale Infrastruktur

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Der Aufstieg des Wachstumskonzepts zum wirtschaftspolitischen Zentralbeshygriff der Industrienationen vollzog sich in verbluumlffend kurzer Zeit Die ledigshylich einige Jahrzehnte umfassende Zeitspanne in der der Wachstumsbegriff etwa in der Oumlkonomik eine prominente Rolle spielt und der Stellenwert den er wirtschaftstheoretisch hat steht in gar keinem Verhaumlltnis zu der nachgeshyrade magischen Bedeutung die ihm die Politik als Allheilmittel fuumlr allgemeine Prosperitaumlt Abdaumlmpfung sozialer Ungleichheit Bekaumlmpfung der Arbeitslosigkeit etc zuschreibt Keine Politikerin und kein Politiker kann es sich heute leisten wirtschaftspolitische Konzepte zu vertreten die eine dezidierte Abkehr von der Zivilreligion des Wachstums bedeuten ndash entweder setzt man wie die liberalshykonservativen Parteien und die sozialromantische laquoLinkeraquo auf den klassischen Wachstumsbegriff um Politikziele zu definieren oder ndash wie die laquoGruumlnenraquo und auch Teile der Sozialdemokratie ndash auf die Moumlglichkeit einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch und spricht dann vom qualitashytiven Wachstum Unabhaumlngig davon wie realistisch Entkoppelungsvorstellungen sind (zur Kritik siehe etwa Paech 2011 SommerWelzer 2010) zeigt sich in ihrer Propagierung jedenfalls die ungebrochene Prominenz des Wachstumskonzepts als Zentralkategorie des Realpolitischen Die Alleinstellung des Wachstumskonshyzepts erfuumlllt nicht zuletzt auch die Funktion keinen Plan B ndash also etwa den einer wachstumsbefriedeten oder Postwachstums-Gesellschaft ndash entwickeln zu muumlssen So wie die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit auf Wachstum als Befrieshydungsinstrument zur Entschaumlrfung sozialer Ungleichheit setzte so setzen die demokratischen Parteien heute auf Wachstum als Monostrategie zur Aufrechtershyhaltung eines wirtschaftlich wie sozial fragilen Status Quo

Das Fehlen jeder Alternative zum Wachstumskonzept in allen Parteien macht nicht nur einmal mehr seinen sakrosankten Charakter deutlich sondern zeigt zugleich an dass die Entwicklung alternativer Strategien zur Erreichung und Aufrechterhaltung zukunftstauglicher Lebensverhaumlltnisse sofort die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform in Frage zu stellen droht So befindet sich jegliche Erwaumlgung zu einer Wirtschaft ohne Wachstum unmittelbar in eklatantem Widerspruch zum kapitalistischen Wirtschaftsprinzip das ja auf die Produktion von Mehrwert setzt und jeder einzelne Schritt zur Post-Wachstumsgesellschaft ndash wie etwa lokale Tauschwirtschaften und Waumlhrungen etc ndash stellt automatisch auch die gelaumlufigen Verkehrsformen der Geld- und Kreditwirtschaft in Frage

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Insofern verknuumlpft sich mit der Wachstumsfrage automatisch immer die Frage ums Ganze des gegenwaumlrtigen immerhin uumlber zwei Jahrhunderte ungeheuer erfolgreichen Gesellschaftsmodells ndash kein Wunder dass da kaum jemand dran ruumlhren mag Tatsaumlchlich erfuumlllen die gegenwaumlrtigen Debatten uumlber Entkoppelung hier und die Entwicklung anderer Wohlstands- und Gluumlcksinshydizes dort vor allem die Funktion die Illusion aufrechtzuerhalten man koumlnnte im Rahmen des Bestehenden hinreichend viele Stellschrauben nachjustieren um die negativen Umweltfolgen des Wirtschaftswachstums zu mindern das Bestehende selbst aber unbeschadet lassen Dieser weder wissenschaftlich noch wirtschaftspolitisch begruumlndbare Illusionismus belegt selbst wie magisch und zwingend das Wachstumsdenken geworden ist Da dies wie gesagt in eigentuumlmshylichem Kontrast zu der historischen Zeitspanne seiner Prominenz steht liegt der Verdacht nahe dass es neben oumlkonomischen und politischen Begruumlndungen fuumlr den Wachstumszwang noch eine tiefere Dimension geben koumlnnte die im mentalen Bereich angesiedelt ist Mit dieser Dimension des Wachstumskonzepts wird sich der folgende Essay befassen

Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrashystrukturen bestimmt sondern auch durch mentale Vorstellungen uumlber Freiheit Mobilitaumlt Gluumlck etc sind ebenso durch historisch spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsformationen gepraumlgt wie etwa Lebenslaufkonzepte und Biographieshymuster Die Auszligenwelt uumlbersetzt sich bei Menschen deshalb immer auch in ihre Innenwelt weil sie ndash wie die Neurobiologie zeigt ndash uumlber ein plastisches Gehirn verfuumlgen das Umwelterfahrungen im Verlauf der Ontogenese in die neuronale Verschaltungsarchitektur des sich entwickelnden Gehirns einbaut Diese in der Biosphaumlre einzigartige Neuroplastizitaumlt sorgt dafuumlr dass man das menschliche Gehirn als ein biokulturelles Organ (Shore 1996 MarkowitschWelzer 2005 Huumlther 2001 Tomasello 2002) verstehen muss dessen Entwicklungsbedinshygungen nicht allein biologische sondern immer auch kulturelle sind Diese erst neuerdings prominent gewordene neurowissenschaftliche Perspektive hat einen sozialwissenschaftlichen Vorlaumlufer in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias der die Parallelitaumlt von Psycho- und Soziogenese anhand der Untersuchung von Zivilisierungsschritten und Persoumlnlichkeitsformationen aufgewiesen hat (Elias 1969) Und schon Marx hatte in der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und Subjektformation dargelegt ndash wie spaumlter dann Max Weber in der laquoProtestantischen Ethikraquo oder Georg Simmel in der laquoPhilosophie des Geldesraquo

In der gegenwaumlrtigen Wachstumsdebatte fehlen solche Erwaumlgungen und theoretischen Bezugnahmen voumlllig ndash ebenso wie in den Vorstellungen uumlber eine dritte industrielle Revolution (BMU 2008) bzw uumlber eine postcarbone Gesellshyschaft Wege aus dem Wachstum und Strategien hin zur postcarbonen Gesellshyschaft werden vorwiegend auf technologischer und ordnungs- und anreizposhylitischer Ebene gesucht Lebenswelt und Mentalitaumlten tauchen als Variablen in den technoiden Szenarien der laquoDritten Industriellen Revolutionraquo nicht auf in den Politikstilen der Gegenwart schon gar nicht Deshalb scheint ein Blick auf M

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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2 aus fremdzwang wird selbstzwang

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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VorWort und eInfUumlhrung

Kritik am alles dominierenden Paradigma des Wirtschaftswachstums ist mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre wieder gesellschaftsfaumlhig geworden Auch der Klimawandel und erst recht die japanische Nuklearkatasshytrophe loumlsen intensives Nachdenken aus Kann unsere Wirtschaft tatsaumlchlich ewig weiterwachsen Ist unsere Konsumwelt eigentlich zukunftsfaumlhig Kann Wirtschaftswachstum in Industrielaumlndern uumlberhaupt ein legitimes Ziel sein wenn die Weltwirtschaft jetzt schon an ihre oumlkologischen Grenzen stoumlszligt und weit mehr als eine Milliarde Menschen hungern Werden wir so weitermachen koumlnnen Diesen Fragen geht der Sozialpsychologe und Publizist Harald Welzer im vorliegenden Essay nach

Der Groszligteil der Wachstumskritik zielt auf die politische und oumlkonomishysche Sphaumlre des Wachstumszwangs Die Apologeten dieser Sphaumlren vertreten die Ansicht die Existenz des Zinses und der internationale Standortwettbeshywerb bedingen den kapitalistischen Wachstumszwang Ein weiteres Argument Die hohen Staatsschulden und die Notwendigkeit die sozialen Sicherungssysshyteme aufrecht zu erhalten und gesellschaftliche Umverteilung zu ermoumlglichen zwingen zum stetigen Wirtschaftswachstum

Wirtschaft und Politik sind sicherlich Wachstumstreiber Aber sie sind deshalb auch zentrale Akteure wenn es ums Umsteuern geht Wie die Menschen ndash als Individuen und in gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen ndash mit dem auf Wachstum ausgerichteten Gesellschafts- und Lebensmodell auf Engste verwoben sind das versucht Welzer in seinem Essay auszuleuchten

Das Wachstum als Wille und Vorstellung herrsche nicht nur in Konzernzenshytralen an Boumlrsen oder in Ministerien argumentiert der Autor sondern auch in unseren Koumlpfen Die materiellen Guumlter dienten laumlngst nicht mehr alleine den elementaren Beduumlrfnissen wie Nahrung Wohnen Gesundheit Bildung und Vitalitaumlt Materielle Guumlter sagten auch etwas aus uumlber den sozialen Status und uumlber Beziehungen uumlber kulturelle Vorlieben

Tatsaumlchlich praumlgen sie Zugehoumlrigkeit und Identitaumlt Wir kennen sie alle die Lust nach etwas Neuem nach steigendem Einkommen nach Besitz nach immer exotischeren Urlaubsreisen Die Vorstellung vom laquounendlichen Wachstumraquo ist seit der industriellen Revolution gleichsam in unseren emotionalen und kognitiven Haushalt eingebettet so Welzer Das aumluszligert sich etwa in Karrierewuumlnschen und Aufstiegsplaumlnen im Job ebenso in der Selbstfindungssuche nach dem laquowahren Ichraquo oder einer laquohoumlheren Erkenntnisstuferaquo Der moderne Mensch ist der Schmied seines eigenen Gluumlckes er will etwas aus seinem Leben machen und zwar nicht nur einmal sondern immer wieder aufs Neue um stetig seine Zufrieden-V

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heit zu steigern laquoDas Neue liefert Vielfalt und Aufregung und laumlsst uns traumlumen und hoffen Mit seiner Hilfe koumlnnen wir Traumlume und Sehnsuumlchte nach einem idealen Leben erforschen und der gelegentlich doch recht harten Lebensrealitaumlt entkommenraquo ndash so auch Tim Jackson in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum

Diese Lust nach Neuem nach Konsum und Wachstum ist wie Harald Welzer in seinem Essay zeigt als laquomentale Infrastrukturraquo in den Wuumlnschen Hoffnungen und Werten jedes Einzelnen in unseren Innenwelten verankert So kommt es dass das System nicht nur die laquoLebensweltraquo (Habermas) kolonialisiert sondern dass wir durch unsere Lebenswelt auch das System konstruieren das wir laquoverdienenraquo

Auch wenn Harald Welzers Erkenntnis zunaumlchst theoretisch und abstrakt erscheint so hat sie doch ganz unmittelbare praktische und politische Konseshyquenzen Die laquogroszlige Transformationraquo die unsere Gesellschaft in eine nachhaltige Zukunft beamen und den Kollaps der Biosphaumlre verhindern soll verlangt eben nicht nur technische und politische Loumlsungen Sie hat auch eine sozial-psychologische und kulturelle Dimension Oumlkonomische Innovationen und veraumlnderte Rahmenbeshydingungen Solarpanels und Oumlkosteuern alleine reichen nicht Nachhaltigkeit erforshydert auch soziale Innovationen und eine gesellschaftliche Transformation

Hier knuumlpft Welzer an vier Jahrzehnte Diskussion uumlber nachhaltige Lebensshystile Suffizienz und ethisches Konsumverhalten an und hebt die Lebensstil-Debatte in eine neue Dimension Es geht naumlmlich nicht bloszlig darum Empfehshylungen fuumlr korrektes Verhalten auszusprechen also gut gemeinte Ratschlaumlge zu erteilen doch bitte mal aufs Auto zu verzichten oder weniger Fleisch zu essen Ebenso wenig reicht es aus sich zu fragen wie viel materieller Besitz fuumlr die persoumlnliche Zufriedenheit genug waumlre Das zeigen nicht zuletzt die postmoshydernen laquoLohasraquo (laquolifestyle of health and sustainabilityraquo) die oft ein sehr hohes Umweltbewusstsein und trotzdem einen immer noch viel zu groszligen oumlkologishyschen Fuszligabdruck haben ndash durch Konsum von iPad Beamer und Seychellen-Reise als Beitrag zur Selbstverwirklichung und individuellen Zufriedenheit Wenn die groszlige Transformation gelingen soll dann muss eine noch tiefere Ebene der Selbstreflexion einbezogen werden Wir muumlssen die Mechanismen und Prinzishypien durchschauen auf denen unsere Ideale und Wuumlnsche unsere Vorstellungen und Empfindungen von Zufriedenheit fuszligen Denn diese werden durch unsere mentalen Infrastrukturen ein gutes Stuumlck vorgegeben

Welzer zeigt wie wir uns als Gestalterinnen und Gestalter unserer eigenen Persoumlnlichkeitsentwuumlrfe und Biographien laufend selbst zum (Konsum-) Wachstum zum Mehr antreiben Dies zu erkennen ist der erste Schritt in die richtige Richtung Und dies wiederum ist die Grundlage um den Wachstums-zwang nicht nur vom System zu loumlsen sondern laquoin uns drinnenraquo in unseren mentalen Infrastrukturen aufzuloumlsen Womoumlglich werden wir dann dem Wunsch nach laquoWeniger ist mehrraquo naumlher kommen oder die Frage laquoWie viel ist genug fuumlr ein gutes Lebenraquo anders beantworten koumlnnen

Um diese mentalen Infrastrukturen zu veraumlndern braucht es zweierlei neue Leitvorstellungen aber auch das aktive konkrete Ausprobieren von neuen Lebensentwuumlrfen Mit dem Dreiklang laquoFortschrittraquoWohlstandraquo und laquoWachstumraquo M

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der seit der Industrialisierung unsere mentalen Infrastrukturen praumlgt kann jedenfalls kaum eine verantwortungsvolle nachhaltige und auf Fairness zielende Gesellschaft begruumlndet werden Wie aber koumlnnen wir das laquorastlose Begehrenraquo umdrehen in ein erfuumllltes Leben das nicht staumlndig nach Neuem schreit Wir brauchen sagt Harald Welzer eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte ich einmal gewesen sein Wie moumlchte ich die Welt in 20 Jahren eingerichtet sehen wie moumlchte ich sie meinen Kindern hinterlassen

Die Frage zu beantworten wie man im Jahr 2030 oder 2050 gelebt haben moumlchte und daruumlber Visionen zu entwickeln die Menschen bewegen und neue Identitaumlten stiften kann nicht nur abstrakt gelingen Sie muss das Ausprobieren von konkreten Lebensentwuumlrfen einbeziehen Denn das laquobusiness-as-usualraquo der uns allgegenwaumlrtig umgebenden materiellen und institutionellen Infrastrukshyturen (Supermaumlrkte Autobahnen Allverfuumlgbarkeit und Leistungsdruck) haben eine ungeheure Macht weil wir uns taumlglich in ihnen bewegen und sie deshalb zwangslaumlufig bejahen oder unterstuumltzen Erst wenn jede(r) fuumlr sich konkret lebt und erlebt wie sie und er sich eigentlich wuumlnschen zu leben erst dann koumlnnen sich die mentalen Infrastrukturen veraumlndern

Deswegen ist es dann doch wichtig einfach vom Auto haumlufiger auf den Zug umzusteigen statt der exotischen Ferne die Region auszukundschaften statt der Karriere mal die Familie oder mehr Zeit im Freundeskreis vorzuziehen Nicht weil solches Handeln gleich die Welt verbessern wuumlrde dazu bleibt es zu singulaumlr und machtlos Aber weil es jedem Einzelnen eine bessere Vorstellung und Gewissheit vermitteln kann wie es sich nachhaltig gut leben laumlsst Es geht also auch darum Angst und Hemmschwellen abzulegen Neues auszuprobieren im sozialen Miteinshyander und im besseren Einklang mit den natuumlrlichen Lebensgrundlagen Erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wendet bringt Welzer es auf den Punkt bietet er eine handfeste Intervention gegen die materishyellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen des Wachstumszeitalters

Auf Basis von wachstumsbefriedeten oumlkonomischen und gesellschaftlichen Leitbildern wird es dann vielleicht auch eher gelingen gegen den Wachstums-zwang anzugehen der unser System bestimmt Bei sich selbst anzufangen sitzt dann nicht nur der Vorstellung auf die Gegenwart gleich verbessern zu koumlnnen Wenn wir im Kleinen Formen des Gemein-Wirtschaftens (laquocommoningraquo) praktishyzieren die jenseits der Marktoumlkonomie auf Reziprozitaumlt und Austausch und nicht auf Profitsteigerung ausgerichtet sind dann koumlnnen hieraus auch die Umrisse einer Postwachstumsoumlkonomie entwickelt und eine Gesellschaft greifbarer gemacht werden die die oumlkologischen Grenzen der Erde anerkennt

Berlin im April 2011

Barbara Unmuumlszligig Tilman Santarius Vorstand der Referent fuumlr Internationale Heinrich-Boumlll-Stiftung Klima- und Energiepolitik V

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1 Wachstum als mentale Infrastruktur

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Der Aufstieg des Wachstumskonzepts zum wirtschaftspolitischen Zentralbeshygriff der Industrienationen vollzog sich in verbluumlffend kurzer Zeit Die ledigshylich einige Jahrzehnte umfassende Zeitspanne in der der Wachstumsbegriff etwa in der Oumlkonomik eine prominente Rolle spielt und der Stellenwert den er wirtschaftstheoretisch hat steht in gar keinem Verhaumlltnis zu der nachgeshyrade magischen Bedeutung die ihm die Politik als Allheilmittel fuumlr allgemeine Prosperitaumlt Abdaumlmpfung sozialer Ungleichheit Bekaumlmpfung der Arbeitslosigkeit etc zuschreibt Keine Politikerin und kein Politiker kann es sich heute leisten wirtschaftspolitische Konzepte zu vertreten die eine dezidierte Abkehr von der Zivilreligion des Wachstums bedeuten ndash entweder setzt man wie die liberalshykonservativen Parteien und die sozialromantische laquoLinkeraquo auf den klassischen Wachstumsbegriff um Politikziele zu definieren oder ndash wie die laquoGruumlnenraquo und auch Teile der Sozialdemokratie ndash auf die Moumlglichkeit einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch und spricht dann vom qualitashytiven Wachstum Unabhaumlngig davon wie realistisch Entkoppelungsvorstellungen sind (zur Kritik siehe etwa Paech 2011 SommerWelzer 2010) zeigt sich in ihrer Propagierung jedenfalls die ungebrochene Prominenz des Wachstumskonzepts als Zentralkategorie des Realpolitischen Die Alleinstellung des Wachstumskonshyzepts erfuumlllt nicht zuletzt auch die Funktion keinen Plan B ndash also etwa den einer wachstumsbefriedeten oder Postwachstums-Gesellschaft ndash entwickeln zu muumlssen So wie die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit auf Wachstum als Befrieshydungsinstrument zur Entschaumlrfung sozialer Ungleichheit setzte so setzen die demokratischen Parteien heute auf Wachstum als Monostrategie zur Aufrechtershyhaltung eines wirtschaftlich wie sozial fragilen Status Quo

Das Fehlen jeder Alternative zum Wachstumskonzept in allen Parteien macht nicht nur einmal mehr seinen sakrosankten Charakter deutlich sondern zeigt zugleich an dass die Entwicklung alternativer Strategien zur Erreichung und Aufrechterhaltung zukunftstauglicher Lebensverhaumlltnisse sofort die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform in Frage zu stellen droht So befindet sich jegliche Erwaumlgung zu einer Wirtschaft ohne Wachstum unmittelbar in eklatantem Widerspruch zum kapitalistischen Wirtschaftsprinzip das ja auf die Produktion von Mehrwert setzt und jeder einzelne Schritt zur Post-Wachstumsgesellschaft ndash wie etwa lokale Tauschwirtschaften und Waumlhrungen etc ndash stellt automatisch auch die gelaumlufigen Verkehrsformen der Geld- und Kreditwirtschaft in Frage

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Insofern verknuumlpft sich mit der Wachstumsfrage automatisch immer die Frage ums Ganze des gegenwaumlrtigen immerhin uumlber zwei Jahrhunderte ungeheuer erfolgreichen Gesellschaftsmodells ndash kein Wunder dass da kaum jemand dran ruumlhren mag Tatsaumlchlich erfuumlllen die gegenwaumlrtigen Debatten uumlber Entkoppelung hier und die Entwicklung anderer Wohlstands- und Gluumlcksinshydizes dort vor allem die Funktion die Illusion aufrechtzuerhalten man koumlnnte im Rahmen des Bestehenden hinreichend viele Stellschrauben nachjustieren um die negativen Umweltfolgen des Wirtschaftswachstums zu mindern das Bestehende selbst aber unbeschadet lassen Dieser weder wissenschaftlich noch wirtschaftspolitisch begruumlndbare Illusionismus belegt selbst wie magisch und zwingend das Wachstumsdenken geworden ist Da dies wie gesagt in eigentuumlmshylichem Kontrast zu der historischen Zeitspanne seiner Prominenz steht liegt der Verdacht nahe dass es neben oumlkonomischen und politischen Begruumlndungen fuumlr den Wachstumszwang noch eine tiefere Dimension geben koumlnnte die im mentalen Bereich angesiedelt ist Mit dieser Dimension des Wachstumskonzepts wird sich der folgende Essay befassen

Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrashystrukturen bestimmt sondern auch durch mentale Vorstellungen uumlber Freiheit Mobilitaumlt Gluumlck etc sind ebenso durch historisch spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsformationen gepraumlgt wie etwa Lebenslaufkonzepte und Biographieshymuster Die Auszligenwelt uumlbersetzt sich bei Menschen deshalb immer auch in ihre Innenwelt weil sie ndash wie die Neurobiologie zeigt ndash uumlber ein plastisches Gehirn verfuumlgen das Umwelterfahrungen im Verlauf der Ontogenese in die neuronale Verschaltungsarchitektur des sich entwickelnden Gehirns einbaut Diese in der Biosphaumlre einzigartige Neuroplastizitaumlt sorgt dafuumlr dass man das menschliche Gehirn als ein biokulturelles Organ (Shore 1996 MarkowitschWelzer 2005 Huumlther 2001 Tomasello 2002) verstehen muss dessen Entwicklungsbedinshygungen nicht allein biologische sondern immer auch kulturelle sind Diese erst neuerdings prominent gewordene neurowissenschaftliche Perspektive hat einen sozialwissenschaftlichen Vorlaumlufer in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias der die Parallelitaumlt von Psycho- und Soziogenese anhand der Untersuchung von Zivilisierungsschritten und Persoumlnlichkeitsformationen aufgewiesen hat (Elias 1969) Und schon Marx hatte in der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und Subjektformation dargelegt ndash wie spaumlter dann Max Weber in der laquoProtestantischen Ethikraquo oder Georg Simmel in der laquoPhilosophie des Geldesraquo

In der gegenwaumlrtigen Wachstumsdebatte fehlen solche Erwaumlgungen und theoretischen Bezugnahmen voumlllig ndash ebenso wie in den Vorstellungen uumlber eine dritte industrielle Revolution (BMU 2008) bzw uumlber eine postcarbone Gesellshyschaft Wege aus dem Wachstum und Strategien hin zur postcarbonen Gesellshyschaft werden vorwiegend auf technologischer und ordnungs- und anreizposhylitischer Ebene gesucht Lebenswelt und Mentalitaumlten tauchen als Variablen in den technoiden Szenarien der laquoDritten Industriellen Revolutionraquo nicht auf in den Politikstilen der Gegenwart schon gar nicht Deshalb scheint ein Blick auf M

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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heit zu steigern laquoDas Neue liefert Vielfalt und Aufregung und laumlsst uns traumlumen und hoffen Mit seiner Hilfe koumlnnen wir Traumlume und Sehnsuumlchte nach einem idealen Leben erforschen und der gelegentlich doch recht harten Lebensrealitaumlt entkommenraquo ndash so auch Tim Jackson in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum

Diese Lust nach Neuem nach Konsum und Wachstum ist wie Harald Welzer in seinem Essay zeigt als laquomentale Infrastrukturraquo in den Wuumlnschen Hoffnungen und Werten jedes Einzelnen in unseren Innenwelten verankert So kommt es dass das System nicht nur die laquoLebensweltraquo (Habermas) kolonialisiert sondern dass wir durch unsere Lebenswelt auch das System konstruieren das wir laquoverdienenraquo

Auch wenn Harald Welzers Erkenntnis zunaumlchst theoretisch und abstrakt erscheint so hat sie doch ganz unmittelbare praktische und politische Konseshyquenzen Die laquogroszlige Transformationraquo die unsere Gesellschaft in eine nachhaltige Zukunft beamen und den Kollaps der Biosphaumlre verhindern soll verlangt eben nicht nur technische und politische Loumlsungen Sie hat auch eine sozial-psychologische und kulturelle Dimension Oumlkonomische Innovationen und veraumlnderte Rahmenbeshydingungen Solarpanels und Oumlkosteuern alleine reichen nicht Nachhaltigkeit erforshydert auch soziale Innovationen und eine gesellschaftliche Transformation

Hier knuumlpft Welzer an vier Jahrzehnte Diskussion uumlber nachhaltige Lebensshystile Suffizienz und ethisches Konsumverhalten an und hebt die Lebensstil-Debatte in eine neue Dimension Es geht naumlmlich nicht bloszlig darum Empfehshylungen fuumlr korrektes Verhalten auszusprechen also gut gemeinte Ratschlaumlge zu erteilen doch bitte mal aufs Auto zu verzichten oder weniger Fleisch zu essen Ebenso wenig reicht es aus sich zu fragen wie viel materieller Besitz fuumlr die persoumlnliche Zufriedenheit genug waumlre Das zeigen nicht zuletzt die postmoshydernen laquoLohasraquo (laquolifestyle of health and sustainabilityraquo) die oft ein sehr hohes Umweltbewusstsein und trotzdem einen immer noch viel zu groszligen oumlkologishyschen Fuszligabdruck haben ndash durch Konsum von iPad Beamer und Seychellen-Reise als Beitrag zur Selbstverwirklichung und individuellen Zufriedenheit Wenn die groszlige Transformation gelingen soll dann muss eine noch tiefere Ebene der Selbstreflexion einbezogen werden Wir muumlssen die Mechanismen und Prinzishypien durchschauen auf denen unsere Ideale und Wuumlnsche unsere Vorstellungen und Empfindungen von Zufriedenheit fuszligen Denn diese werden durch unsere mentalen Infrastrukturen ein gutes Stuumlck vorgegeben

Welzer zeigt wie wir uns als Gestalterinnen und Gestalter unserer eigenen Persoumlnlichkeitsentwuumlrfe und Biographien laufend selbst zum (Konsum-) Wachstum zum Mehr antreiben Dies zu erkennen ist der erste Schritt in die richtige Richtung Und dies wiederum ist die Grundlage um den Wachstums-zwang nicht nur vom System zu loumlsen sondern laquoin uns drinnenraquo in unseren mentalen Infrastrukturen aufzuloumlsen Womoumlglich werden wir dann dem Wunsch nach laquoWeniger ist mehrraquo naumlher kommen oder die Frage laquoWie viel ist genug fuumlr ein gutes Lebenraquo anders beantworten koumlnnen

Um diese mentalen Infrastrukturen zu veraumlndern braucht es zweierlei neue Leitvorstellungen aber auch das aktive konkrete Ausprobieren von neuen Lebensentwuumlrfen Mit dem Dreiklang laquoFortschrittraquoWohlstandraquo und laquoWachstumraquo M

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der seit der Industrialisierung unsere mentalen Infrastrukturen praumlgt kann jedenfalls kaum eine verantwortungsvolle nachhaltige und auf Fairness zielende Gesellschaft begruumlndet werden Wie aber koumlnnen wir das laquorastlose Begehrenraquo umdrehen in ein erfuumllltes Leben das nicht staumlndig nach Neuem schreit Wir brauchen sagt Harald Welzer eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte ich einmal gewesen sein Wie moumlchte ich die Welt in 20 Jahren eingerichtet sehen wie moumlchte ich sie meinen Kindern hinterlassen

Die Frage zu beantworten wie man im Jahr 2030 oder 2050 gelebt haben moumlchte und daruumlber Visionen zu entwickeln die Menschen bewegen und neue Identitaumlten stiften kann nicht nur abstrakt gelingen Sie muss das Ausprobieren von konkreten Lebensentwuumlrfen einbeziehen Denn das laquobusiness-as-usualraquo der uns allgegenwaumlrtig umgebenden materiellen und institutionellen Infrastrukshyturen (Supermaumlrkte Autobahnen Allverfuumlgbarkeit und Leistungsdruck) haben eine ungeheure Macht weil wir uns taumlglich in ihnen bewegen und sie deshalb zwangslaumlufig bejahen oder unterstuumltzen Erst wenn jede(r) fuumlr sich konkret lebt und erlebt wie sie und er sich eigentlich wuumlnschen zu leben erst dann koumlnnen sich die mentalen Infrastrukturen veraumlndern

Deswegen ist es dann doch wichtig einfach vom Auto haumlufiger auf den Zug umzusteigen statt der exotischen Ferne die Region auszukundschaften statt der Karriere mal die Familie oder mehr Zeit im Freundeskreis vorzuziehen Nicht weil solches Handeln gleich die Welt verbessern wuumlrde dazu bleibt es zu singulaumlr und machtlos Aber weil es jedem Einzelnen eine bessere Vorstellung und Gewissheit vermitteln kann wie es sich nachhaltig gut leben laumlsst Es geht also auch darum Angst und Hemmschwellen abzulegen Neues auszuprobieren im sozialen Miteinshyander und im besseren Einklang mit den natuumlrlichen Lebensgrundlagen Erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wendet bringt Welzer es auf den Punkt bietet er eine handfeste Intervention gegen die materishyellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen des Wachstumszeitalters

Auf Basis von wachstumsbefriedeten oumlkonomischen und gesellschaftlichen Leitbildern wird es dann vielleicht auch eher gelingen gegen den Wachstums-zwang anzugehen der unser System bestimmt Bei sich selbst anzufangen sitzt dann nicht nur der Vorstellung auf die Gegenwart gleich verbessern zu koumlnnen Wenn wir im Kleinen Formen des Gemein-Wirtschaftens (laquocommoningraquo) praktishyzieren die jenseits der Marktoumlkonomie auf Reziprozitaumlt und Austausch und nicht auf Profitsteigerung ausgerichtet sind dann koumlnnen hieraus auch die Umrisse einer Postwachstumsoumlkonomie entwickelt und eine Gesellschaft greifbarer gemacht werden die die oumlkologischen Grenzen der Erde anerkennt

Berlin im April 2011

Barbara Unmuumlszligig Tilman Santarius Vorstand der Referent fuumlr Internationale Heinrich-Boumlll-Stiftung Klima- und Energiepolitik V

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Der Aufstieg des Wachstumskonzepts zum wirtschaftspolitischen Zentralbeshygriff der Industrienationen vollzog sich in verbluumlffend kurzer Zeit Die ledigshylich einige Jahrzehnte umfassende Zeitspanne in der der Wachstumsbegriff etwa in der Oumlkonomik eine prominente Rolle spielt und der Stellenwert den er wirtschaftstheoretisch hat steht in gar keinem Verhaumlltnis zu der nachgeshyrade magischen Bedeutung die ihm die Politik als Allheilmittel fuumlr allgemeine Prosperitaumlt Abdaumlmpfung sozialer Ungleichheit Bekaumlmpfung der Arbeitslosigkeit etc zuschreibt Keine Politikerin und kein Politiker kann es sich heute leisten wirtschaftspolitische Konzepte zu vertreten die eine dezidierte Abkehr von der Zivilreligion des Wachstums bedeuten ndash entweder setzt man wie die liberalshykonservativen Parteien und die sozialromantische laquoLinkeraquo auf den klassischen Wachstumsbegriff um Politikziele zu definieren oder ndash wie die laquoGruumlnenraquo und auch Teile der Sozialdemokratie ndash auf die Moumlglichkeit einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch und spricht dann vom qualitashytiven Wachstum Unabhaumlngig davon wie realistisch Entkoppelungsvorstellungen sind (zur Kritik siehe etwa Paech 2011 SommerWelzer 2010) zeigt sich in ihrer Propagierung jedenfalls die ungebrochene Prominenz des Wachstumskonzepts als Zentralkategorie des Realpolitischen Die Alleinstellung des Wachstumskonshyzepts erfuumlllt nicht zuletzt auch die Funktion keinen Plan B ndash also etwa den einer wachstumsbefriedeten oder Postwachstums-Gesellschaft ndash entwickeln zu muumlssen So wie die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit auf Wachstum als Befrieshydungsinstrument zur Entschaumlrfung sozialer Ungleichheit setzte so setzen die demokratischen Parteien heute auf Wachstum als Monostrategie zur Aufrechtershyhaltung eines wirtschaftlich wie sozial fragilen Status Quo

Das Fehlen jeder Alternative zum Wachstumskonzept in allen Parteien macht nicht nur einmal mehr seinen sakrosankten Charakter deutlich sondern zeigt zugleich an dass die Entwicklung alternativer Strategien zur Erreichung und Aufrechterhaltung zukunftstauglicher Lebensverhaumlltnisse sofort die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform in Frage zu stellen droht So befindet sich jegliche Erwaumlgung zu einer Wirtschaft ohne Wachstum unmittelbar in eklatantem Widerspruch zum kapitalistischen Wirtschaftsprinzip das ja auf die Produktion von Mehrwert setzt und jeder einzelne Schritt zur Post-Wachstumsgesellschaft ndash wie etwa lokale Tauschwirtschaften und Waumlhrungen etc ndash stellt automatisch auch die gelaumlufigen Verkehrsformen der Geld- und Kreditwirtschaft in Frage

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Insofern verknuumlpft sich mit der Wachstumsfrage automatisch immer die Frage ums Ganze des gegenwaumlrtigen immerhin uumlber zwei Jahrhunderte ungeheuer erfolgreichen Gesellschaftsmodells ndash kein Wunder dass da kaum jemand dran ruumlhren mag Tatsaumlchlich erfuumlllen die gegenwaumlrtigen Debatten uumlber Entkoppelung hier und die Entwicklung anderer Wohlstands- und Gluumlcksinshydizes dort vor allem die Funktion die Illusion aufrechtzuerhalten man koumlnnte im Rahmen des Bestehenden hinreichend viele Stellschrauben nachjustieren um die negativen Umweltfolgen des Wirtschaftswachstums zu mindern das Bestehende selbst aber unbeschadet lassen Dieser weder wissenschaftlich noch wirtschaftspolitisch begruumlndbare Illusionismus belegt selbst wie magisch und zwingend das Wachstumsdenken geworden ist Da dies wie gesagt in eigentuumlmshylichem Kontrast zu der historischen Zeitspanne seiner Prominenz steht liegt der Verdacht nahe dass es neben oumlkonomischen und politischen Begruumlndungen fuumlr den Wachstumszwang noch eine tiefere Dimension geben koumlnnte die im mentalen Bereich angesiedelt ist Mit dieser Dimension des Wachstumskonzepts wird sich der folgende Essay befassen

Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrashystrukturen bestimmt sondern auch durch mentale Vorstellungen uumlber Freiheit Mobilitaumlt Gluumlck etc sind ebenso durch historisch spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsformationen gepraumlgt wie etwa Lebenslaufkonzepte und Biographieshymuster Die Auszligenwelt uumlbersetzt sich bei Menschen deshalb immer auch in ihre Innenwelt weil sie ndash wie die Neurobiologie zeigt ndash uumlber ein plastisches Gehirn verfuumlgen das Umwelterfahrungen im Verlauf der Ontogenese in die neuronale Verschaltungsarchitektur des sich entwickelnden Gehirns einbaut Diese in der Biosphaumlre einzigartige Neuroplastizitaumlt sorgt dafuumlr dass man das menschliche Gehirn als ein biokulturelles Organ (Shore 1996 MarkowitschWelzer 2005 Huumlther 2001 Tomasello 2002) verstehen muss dessen Entwicklungsbedinshygungen nicht allein biologische sondern immer auch kulturelle sind Diese erst neuerdings prominent gewordene neurowissenschaftliche Perspektive hat einen sozialwissenschaftlichen Vorlaumlufer in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias der die Parallelitaumlt von Psycho- und Soziogenese anhand der Untersuchung von Zivilisierungsschritten und Persoumlnlichkeitsformationen aufgewiesen hat (Elias 1969) Und schon Marx hatte in der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und Subjektformation dargelegt ndash wie spaumlter dann Max Weber in der laquoProtestantischen Ethikraquo oder Georg Simmel in der laquoPhilosophie des Geldesraquo

In der gegenwaumlrtigen Wachstumsdebatte fehlen solche Erwaumlgungen und theoretischen Bezugnahmen voumlllig ndash ebenso wie in den Vorstellungen uumlber eine dritte industrielle Revolution (BMU 2008) bzw uumlber eine postcarbone Gesellshyschaft Wege aus dem Wachstum und Strategien hin zur postcarbonen Gesellshyschaft werden vorwiegend auf technologischer und ordnungs- und anreizposhylitischer Ebene gesucht Lebenswelt und Mentalitaumlten tauchen als Variablen in den technoiden Szenarien der laquoDritten Industriellen Revolutionraquo nicht auf in den Politikstilen der Gegenwart schon gar nicht Deshalb scheint ein Blick auf M

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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2 aus fremdzwang wird selbstzwang

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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der seit der Industrialisierung unsere mentalen Infrastrukturen praumlgt kann jedenfalls kaum eine verantwortungsvolle nachhaltige und auf Fairness zielende Gesellschaft begruumlndet werden Wie aber koumlnnen wir das laquorastlose Begehrenraquo umdrehen in ein erfuumllltes Leben das nicht staumlndig nach Neuem schreit Wir brauchen sagt Harald Welzer eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte ich einmal gewesen sein Wie moumlchte ich die Welt in 20 Jahren eingerichtet sehen wie moumlchte ich sie meinen Kindern hinterlassen

Die Frage zu beantworten wie man im Jahr 2030 oder 2050 gelebt haben moumlchte und daruumlber Visionen zu entwickeln die Menschen bewegen und neue Identitaumlten stiften kann nicht nur abstrakt gelingen Sie muss das Ausprobieren von konkreten Lebensentwuumlrfen einbeziehen Denn das laquobusiness-as-usualraquo der uns allgegenwaumlrtig umgebenden materiellen und institutionellen Infrastrukshyturen (Supermaumlrkte Autobahnen Allverfuumlgbarkeit und Leistungsdruck) haben eine ungeheure Macht weil wir uns taumlglich in ihnen bewegen und sie deshalb zwangslaumlufig bejahen oder unterstuumltzen Erst wenn jede(r) fuumlr sich konkret lebt und erlebt wie sie und er sich eigentlich wuumlnschen zu leben erst dann koumlnnen sich die mentalen Infrastrukturen veraumlndern

Deswegen ist es dann doch wichtig einfach vom Auto haumlufiger auf den Zug umzusteigen statt der exotischen Ferne die Region auszukundschaften statt der Karriere mal die Familie oder mehr Zeit im Freundeskreis vorzuziehen Nicht weil solches Handeln gleich die Welt verbessern wuumlrde dazu bleibt es zu singulaumlr und machtlos Aber weil es jedem Einzelnen eine bessere Vorstellung und Gewissheit vermitteln kann wie es sich nachhaltig gut leben laumlsst Es geht also auch darum Angst und Hemmschwellen abzulegen Neues auszuprobieren im sozialen Miteinshyander und im besseren Einklang mit den natuumlrlichen Lebensgrundlagen Erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wendet bringt Welzer es auf den Punkt bietet er eine handfeste Intervention gegen die materishyellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen des Wachstumszeitalters

Auf Basis von wachstumsbefriedeten oumlkonomischen und gesellschaftlichen Leitbildern wird es dann vielleicht auch eher gelingen gegen den Wachstums-zwang anzugehen der unser System bestimmt Bei sich selbst anzufangen sitzt dann nicht nur der Vorstellung auf die Gegenwart gleich verbessern zu koumlnnen Wenn wir im Kleinen Formen des Gemein-Wirtschaftens (laquocommoningraquo) praktishyzieren die jenseits der Marktoumlkonomie auf Reziprozitaumlt und Austausch und nicht auf Profitsteigerung ausgerichtet sind dann koumlnnen hieraus auch die Umrisse einer Postwachstumsoumlkonomie entwickelt und eine Gesellschaft greifbarer gemacht werden die die oumlkologischen Grenzen der Erde anerkennt

Berlin im April 2011

Barbara Unmuumlszligig Tilman Santarius Vorstand der Referent fuumlr Internationale Heinrich-Boumlll-Stiftung Klima- und Energiepolitik V

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1 Wachstum als mentale Infrastruktur

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Der Aufstieg des Wachstumskonzepts zum wirtschaftspolitischen Zentralbeshygriff der Industrienationen vollzog sich in verbluumlffend kurzer Zeit Die ledigshylich einige Jahrzehnte umfassende Zeitspanne in der der Wachstumsbegriff etwa in der Oumlkonomik eine prominente Rolle spielt und der Stellenwert den er wirtschaftstheoretisch hat steht in gar keinem Verhaumlltnis zu der nachgeshyrade magischen Bedeutung die ihm die Politik als Allheilmittel fuumlr allgemeine Prosperitaumlt Abdaumlmpfung sozialer Ungleichheit Bekaumlmpfung der Arbeitslosigkeit etc zuschreibt Keine Politikerin und kein Politiker kann es sich heute leisten wirtschaftspolitische Konzepte zu vertreten die eine dezidierte Abkehr von der Zivilreligion des Wachstums bedeuten ndash entweder setzt man wie die liberalshykonservativen Parteien und die sozialromantische laquoLinkeraquo auf den klassischen Wachstumsbegriff um Politikziele zu definieren oder ndash wie die laquoGruumlnenraquo und auch Teile der Sozialdemokratie ndash auf die Moumlglichkeit einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch und spricht dann vom qualitashytiven Wachstum Unabhaumlngig davon wie realistisch Entkoppelungsvorstellungen sind (zur Kritik siehe etwa Paech 2011 SommerWelzer 2010) zeigt sich in ihrer Propagierung jedenfalls die ungebrochene Prominenz des Wachstumskonzepts als Zentralkategorie des Realpolitischen Die Alleinstellung des Wachstumskonshyzepts erfuumlllt nicht zuletzt auch die Funktion keinen Plan B ndash also etwa den einer wachstumsbefriedeten oder Postwachstums-Gesellschaft ndash entwickeln zu muumlssen So wie die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit auf Wachstum als Befrieshydungsinstrument zur Entschaumlrfung sozialer Ungleichheit setzte so setzen die demokratischen Parteien heute auf Wachstum als Monostrategie zur Aufrechtershyhaltung eines wirtschaftlich wie sozial fragilen Status Quo

Das Fehlen jeder Alternative zum Wachstumskonzept in allen Parteien macht nicht nur einmal mehr seinen sakrosankten Charakter deutlich sondern zeigt zugleich an dass die Entwicklung alternativer Strategien zur Erreichung und Aufrechterhaltung zukunftstauglicher Lebensverhaumlltnisse sofort die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform in Frage zu stellen droht So befindet sich jegliche Erwaumlgung zu einer Wirtschaft ohne Wachstum unmittelbar in eklatantem Widerspruch zum kapitalistischen Wirtschaftsprinzip das ja auf die Produktion von Mehrwert setzt und jeder einzelne Schritt zur Post-Wachstumsgesellschaft ndash wie etwa lokale Tauschwirtschaften und Waumlhrungen etc ndash stellt automatisch auch die gelaumlufigen Verkehrsformen der Geld- und Kreditwirtschaft in Frage

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Insofern verknuumlpft sich mit der Wachstumsfrage automatisch immer die Frage ums Ganze des gegenwaumlrtigen immerhin uumlber zwei Jahrhunderte ungeheuer erfolgreichen Gesellschaftsmodells ndash kein Wunder dass da kaum jemand dran ruumlhren mag Tatsaumlchlich erfuumlllen die gegenwaumlrtigen Debatten uumlber Entkoppelung hier und die Entwicklung anderer Wohlstands- und Gluumlcksinshydizes dort vor allem die Funktion die Illusion aufrechtzuerhalten man koumlnnte im Rahmen des Bestehenden hinreichend viele Stellschrauben nachjustieren um die negativen Umweltfolgen des Wirtschaftswachstums zu mindern das Bestehende selbst aber unbeschadet lassen Dieser weder wissenschaftlich noch wirtschaftspolitisch begruumlndbare Illusionismus belegt selbst wie magisch und zwingend das Wachstumsdenken geworden ist Da dies wie gesagt in eigentuumlmshylichem Kontrast zu der historischen Zeitspanne seiner Prominenz steht liegt der Verdacht nahe dass es neben oumlkonomischen und politischen Begruumlndungen fuumlr den Wachstumszwang noch eine tiefere Dimension geben koumlnnte die im mentalen Bereich angesiedelt ist Mit dieser Dimension des Wachstumskonzepts wird sich der folgende Essay befassen

Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrashystrukturen bestimmt sondern auch durch mentale Vorstellungen uumlber Freiheit Mobilitaumlt Gluumlck etc sind ebenso durch historisch spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsformationen gepraumlgt wie etwa Lebenslaufkonzepte und Biographieshymuster Die Auszligenwelt uumlbersetzt sich bei Menschen deshalb immer auch in ihre Innenwelt weil sie ndash wie die Neurobiologie zeigt ndash uumlber ein plastisches Gehirn verfuumlgen das Umwelterfahrungen im Verlauf der Ontogenese in die neuronale Verschaltungsarchitektur des sich entwickelnden Gehirns einbaut Diese in der Biosphaumlre einzigartige Neuroplastizitaumlt sorgt dafuumlr dass man das menschliche Gehirn als ein biokulturelles Organ (Shore 1996 MarkowitschWelzer 2005 Huumlther 2001 Tomasello 2002) verstehen muss dessen Entwicklungsbedinshygungen nicht allein biologische sondern immer auch kulturelle sind Diese erst neuerdings prominent gewordene neurowissenschaftliche Perspektive hat einen sozialwissenschaftlichen Vorlaumlufer in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias der die Parallelitaumlt von Psycho- und Soziogenese anhand der Untersuchung von Zivilisierungsschritten und Persoumlnlichkeitsformationen aufgewiesen hat (Elias 1969) Und schon Marx hatte in der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und Subjektformation dargelegt ndash wie spaumlter dann Max Weber in der laquoProtestantischen Ethikraquo oder Georg Simmel in der laquoPhilosophie des Geldesraquo

In der gegenwaumlrtigen Wachstumsdebatte fehlen solche Erwaumlgungen und theoretischen Bezugnahmen voumlllig ndash ebenso wie in den Vorstellungen uumlber eine dritte industrielle Revolution (BMU 2008) bzw uumlber eine postcarbone Gesellshyschaft Wege aus dem Wachstum und Strategien hin zur postcarbonen Gesellshyschaft werden vorwiegend auf technologischer und ordnungs- und anreizposhylitischer Ebene gesucht Lebenswelt und Mentalitaumlten tauchen als Variablen in den technoiden Szenarien der laquoDritten Industriellen Revolutionraquo nicht auf in den Politikstilen der Gegenwart schon gar nicht Deshalb scheint ein Blick auf M

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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2 aus fremdzwang wird selbstzwang

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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1 Wachstum als mentale Infrastruktur

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Der Aufstieg des Wachstumskonzepts zum wirtschaftspolitischen Zentralbeshygriff der Industrienationen vollzog sich in verbluumlffend kurzer Zeit Die ledigshylich einige Jahrzehnte umfassende Zeitspanne in der der Wachstumsbegriff etwa in der Oumlkonomik eine prominente Rolle spielt und der Stellenwert den er wirtschaftstheoretisch hat steht in gar keinem Verhaumlltnis zu der nachgeshyrade magischen Bedeutung die ihm die Politik als Allheilmittel fuumlr allgemeine Prosperitaumlt Abdaumlmpfung sozialer Ungleichheit Bekaumlmpfung der Arbeitslosigkeit etc zuschreibt Keine Politikerin und kein Politiker kann es sich heute leisten wirtschaftspolitische Konzepte zu vertreten die eine dezidierte Abkehr von der Zivilreligion des Wachstums bedeuten ndash entweder setzt man wie die liberalshykonservativen Parteien und die sozialromantische laquoLinkeraquo auf den klassischen Wachstumsbegriff um Politikziele zu definieren oder ndash wie die laquoGruumlnenraquo und auch Teile der Sozialdemokratie ndash auf die Moumlglichkeit einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch und spricht dann vom qualitashytiven Wachstum Unabhaumlngig davon wie realistisch Entkoppelungsvorstellungen sind (zur Kritik siehe etwa Paech 2011 SommerWelzer 2010) zeigt sich in ihrer Propagierung jedenfalls die ungebrochene Prominenz des Wachstumskonzepts als Zentralkategorie des Realpolitischen Die Alleinstellung des Wachstumskonshyzepts erfuumlllt nicht zuletzt auch die Funktion keinen Plan B ndash also etwa den einer wachstumsbefriedeten oder Postwachstums-Gesellschaft ndash entwickeln zu muumlssen So wie die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit auf Wachstum als Befrieshydungsinstrument zur Entschaumlrfung sozialer Ungleichheit setzte so setzen die demokratischen Parteien heute auf Wachstum als Monostrategie zur Aufrechtershyhaltung eines wirtschaftlich wie sozial fragilen Status Quo

Das Fehlen jeder Alternative zum Wachstumskonzept in allen Parteien macht nicht nur einmal mehr seinen sakrosankten Charakter deutlich sondern zeigt zugleich an dass die Entwicklung alternativer Strategien zur Erreichung und Aufrechterhaltung zukunftstauglicher Lebensverhaumlltnisse sofort die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform in Frage zu stellen droht So befindet sich jegliche Erwaumlgung zu einer Wirtschaft ohne Wachstum unmittelbar in eklatantem Widerspruch zum kapitalistischen Wirtschaftsprinzip das ja auf die Produktion von Mehrwert setzt und jeder einzelne Schritt zur Post-Wachstumsgesellschaft ndash wie etwa lokale Tauschwirtschaften und Waumlhrungen etc ndash stellt automatisch auch die gelaumlufigen Verkehrsformen der Geld- und Kreditwirtschaft in Frage

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Insofern verknuumlpft sich mit der Wachstumsfrage automatisch immer die Frage ums Ganze des gegenwaumlrtigen immerhin uumlber zwei Jahrhunderte ungeheuer erfolgreichen Gesellschaftsmodells ndash kein Wunder dass da kaum jemand dran ruumlhren mag Tatsaumlchlich erfuumlllen die gegenwaumlrtigen Debatten uumlber Entkoppelung hier und die Entwicklung anderer Wohlstands- und Gluumlcksinshydizes dort vor allem die Funktion die Illusion aufrechtzuerhalten man koumlnnte im Rahmen des Bestehenden hinreichend viele Stellschrauben nachjustieren um die negativen Umweltfolgen des Wirtschaftswachstums zu mindern das Bestehende selbst aber unbeschadet lassen Dieser weder wissenschaftlich noch wirtschaftspolitisch begruumlndbare Illusionismus belegt selbst wie magisch und zwingend das Wachstumsdenken geworden ist Da dies wie gesagt in eigentuumlmshylichem Kontrast zu der historischen Zeitspanne seiner Prominenz steht liegt der Verdacht nahe dass es neben oumlkonomischen und politischen Begruumlndungen fuumlr den Wachstumszwang noch eine tiefere Dimension geben koumlnnte die im mentalen Bereich angesiedelt ist Mit dieser Dimension des Wachstumskonzepts wird sich der folgende Essay befassen

Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrashystrukturen bestimmt sondern auch durch mentale Vorstellungen uumlber Freiheit Mobilitaumlt Gluumlck etc sind ebenso durch historisch spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsformationen gepraumlgt wie etwa Lebenslaufkonzepte und Biographieshymuster Die Auszligenwelt uumlbersetzt sich bei Menschen deshalb immer auch in ihre Innenwelt weil sie ndash wie die Neurobiologie zeigt ndash uumlber ein plastisches Gehirn verfuumlgen das Umwelterfahrungen im Verlauf der Ontogenese in die neuronale Verschaltungsarchitektur des sich entwickelnden Gehirns einbaut Diese in der Biosphaumlre einzigartige Neuroplastizitaumlt sorgt dafuumlr dass man das menschliche Gehirn als ein biokulturelles Organ (Shore 1996 MarkowitschWelzer 2005 Huumlther 2001 Tomasello 2002) verstehen muss dessen Entwicklungsbedinshygungen nicht allein biologische sondern immer auch kulturelle sind Diese erst neuerdings prominent gewordene neurowissenschaftliche Perspektive hat einen sozialwissenschaftlichen Vorlaumlufer in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias der die Parallelitaumlt von Psycho- und Soziogenese anhand der Untersuchung von Zivilisierungsschritten und Persoumlnlichkeitsformationen aufgewiesen hat (Elias 1969) Und schon Marx hatte in der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und Subjektformation dargelegt ndash wie spaumlter dann Max Weber in der laquoProtestantischen Ethikraquo oder Georg Simmel in der laquoPhilosophie des Geldesraquo

In der gegenwaumlrtigen Wachstumsdebatte fehlen solche Erwaumlgungen und theoretischen Bezugnahmen voumlllig ndash ebenso wie in den Vorstellungen uumlber eine dritte industrielle Revolution (BMU 2008) bzw uumlber eine postcarbone Gesellshyschaft Wege aus dem Wachstum und Strategien hin zur postcarbonen Gesellshyschaft werden vorwiegend auf technologischer und ordnungs- und anreizposhylitischer Ebene gesucht Lebenswelt und Mentalitaumlten tauchen als Variablen in den technoiden Szenarien der laquoDritten Industriellen Revolutionraquo nicht auf in den Politikstilen der Gegenwart schon gar nicht Deshalb scheint ein Blick auf M

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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2 aus fremdzwang wird selbstzwang

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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1

3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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tion der Kognition FrankfurtMain Ullrich Wolfgang (2006) Habenwollen Wie funktioniert die Konsumkultur FrankfurtMain Veblen Thorstein (2007) Theorie der feinen Leute Eine oumlkonomische Untersuchung der Institushy

tionen FrankfurtM (zuerst 1899) Vogl Joseph (2009) Poetik des oumlkonomischen Menschen Metamorphosen des Subjekts in der

Moderne Literaturkritikde Nr 5 Vogl Joseph (2008) Kalkuumll und Leidenschaft Poetik des oumlkonomischen Menschen Zuumlrich Voser Peter (2010) Mobilitaumlt Ein Koumlnigsweg ist noch nicht gefunden ADAC-Motorwelt

92010 S 22 Weber Max (2006) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus Muumlnchen (zuerst

1904) Weiding Rudi (ua Redaktion) (1986) Soziale Triebkraumlfte oumlkonomischen Wachstums 4 Kongreszlig

der marxistisch-leninistischen Soziologie Berlin

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Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Insofern verknuumlpft sich mit der Wachstumsfrage automatisch immer die Frage ums Ganze des gegenwaumlrtigen immerhin uumlber zwei Jahrhunderte ungeheuer erfolgreichen Gesellschaftsmodells ndash kein Wunder dass da kaum jemand dran ruumlhren mag Tatsaumlchlich erfuumlllen die gegenwaumlrtigen Debatten uumlber Entkoppelung hier und die Entwicklung anderer Wohlstands- und Gluumlcksinshydizes dort vor allem die Funktion die Illusion aufrechtzuerhalten man koumlnnte im Rahmen des Bestehenden hinreichend viele Stellschrauben nachjustieren um die negativen Umweltfolgen des Wirtschaftswachstums zu mindern das Bestehende selbst aber unbeschadet lassen Dieser weder wissenschaftlich noch wirtschaftspolitisch begruumlndbare Illusionismus belegt selbst wie magisch und zwingend das Wachstumsdenken geworden ist Da dies wie gesagt in eigentuumlmshylichem Kontrast zu der historischen Zeitspanne seiner Prominenz steht liegt der Verdacht nahe dass es neben oumlkonomischen und politischen Begruumlndungen fuumlr den Wachstumszwang noch eine tiefere Dimension geben koumlnnte die im mentalen Bereich angesiedelt ist Mit dieser Dimension des Wachstumskonzepts wird sich der folgende Essay befassen

Lebenswelten sind nicht nur durch materielle und institutionelle Infrashystrukturen bestimmt sondern auch durch mentale Vorstellungen uumlber Freiheit Mobilitaumlt Gluumlck etc sind ebenso durch historisch spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsformationen gepraumlgt wie etwa Lebenslaufkonzepte und Biographieshymuster Die Auszligenwelt uumlbersetzt sich bei Menschen deshalb immer auch in ihre Innenwelt weil sie ndash wie die Neurobiologie zeigt ndash uumlber ein plastisches Gehirn verfuumlgen das Umwelterfahrungen im Verlauf der Ontogenese in die neuronale Verschaltungsarchitektur des sich entwickelnden Gehirns einbaut Diese in der Biosphaumlre einzigartige Neuroplastizitaumlt sorgt dafuumlr dass man das menschliche Gehirn als ein biokulturelles Organ (Shore 1996 MarkowitschWelzer 2005 Huumlther 2001 Tomasello 2002) verstehen muss dessen Entwicklungsbedinshygungen nicht allein biologische sondern immer auch kulturelle sind Diese erst neuerdings prominent gewordene neurowissenschaftliche Perspektive hat einen sozialwissenschaftlichen Vorlaumlufer in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias der die Parallelitaumlt von Psycho- und Soziogenese anhand der Untersuchung von Zivilisierungsschritten und Persoumlnlichkeitsformationen aufgewiesen hat (Elias 1969) Und schon Marx hatte in der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und Subjektformation dargelegt ndash wie spaumlter dann Max Weber in der laquoProtestantischen Ethikraquo oder Georg Simmel in der laquoPhilosophie des Geldesraquo

In der gegenwaumlrtigen Wachstumsdebatte fehlen solche Erwaumlgungen und theoretischen Bezugnahmen voumlllig ndash ebenso wie in den Vorstellungen uumlber eine dritte industrielle Revolution (BMU 2008) bzw uumlber eine postcarbone Gesellshyschaft Wege aus dem Wachstum und Strategien hin zur postcarbonen Gesellshyschaft werden vorwiegend auf technologischer und ordnungs- und anreizposhylitischer Ebene gesucht Lebenswelt und Mentalitaumlten tauchen als Variablen in den technoiden Szenarien der laquoDritten Industriellen Revolutionraquo nicht auf in den Politikstilen der Gegenwart schon gar nicht Deshalb scheint ein Blick auf M

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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tion der Kognition FrankfurtMain Ullrich Wolfgang (2006) Habenwollen Wie funktioniert die Konsumkultur FrankfurtMain Veblen Thorstein (2007) Theorie der feinen Leute Eine oumlkonomische Untersuchung der Institushy

tionen FrankfurtM (zuerst 1899) Vogl Joseph (2009) Poetik des oumlkonomischen Menschen Metamorphosen des Subjekts in der

Moderne Literaturkritikde Nr 5 Vogl Joseph (2008) Kalkuumll und Leidenschaft Poetik des oumlkonomischen Menschen Zuumlrich Voser Peter (2010) Mobilitaumlt Ein Koumlnigsweg ist noch nicht gefunden ADAC-Motorwelt

92010 S 22 Weber Max (2006) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus Muumlnchen (zuerst

1904) Weiding Rudi (ua Redaktion) (1986) Soziale Triebkraumlfte oumlkonomischen Wachstums 4 Kongreszlig

der marxistisch-leninistischen Soziologie Berlin

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Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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die Genese der mentalen Infrastrukturen in den fruumlhindustrialisierten Laumlndern uumlberfaumlllig weil er Hinweise auf die soziologischen und psychologischen Huumlrden und Locked-in-Strukturen geben kann die den Umbau von der Wachstums- zur Postwachstumsgesellschaft so auszligerordentlich schwierig machen

Es mag fuumlr den Zweck des vorliegenden Papiers ausreichend sein in Anlehshynung an Sachs (2009) Miegel (2010) SeidlZahrnt (2010) Jackson (2011) und andere darauf hinzuweisen dass die oumlkonomische Wachstumsdynamik direkt an das fossile Zeitalter also an die Industrialisierung gebunden ist Erst die Nutzung fossiler Energien ndash Kohle Erdoumll Erdgas ndash erlaubte jene ungeheueren Produktivishytaumltssteigerungen die ein rasantes Wirtschaftswachstum ermoumlglichten Waumlhrend das vormoderne Wirtschaftswachstum auf etwa 005 Prozent per Annum taxiert und selbst diese geringe Rate vor allem auf das Bevoumllkerungswachstum zuruumlckgeshyfuumlhrt wird verzeichneten die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften jene enormen Wachstumsraten die auch heute noch fuumlr viele Oumlkonomen und Wirtschaftsshypolitiker das Idealbild einer funktionierenden Wirtschaft kennzeichnen Man wuumlrde freilich wie Juumlrgen Osterhammel in seiner monumentalen Studie zum 19 Jahrhundert gezeigt hat die laquoVerwandlung der Weltraquo zu eindimensional deuten wenn man sie allein auf den Einsatz fossiler Energien zuruumlckfuumlhren wuumlrde die Durchschlagskraft dieser Verwandlung speist sich auch aus den interdepenshydenten Entwicklungsprozessen im Handel im Wissen in der Technologie und nicht zuletzt in der Nationenbildung andernfalls waumlre die Beschraumlnkung der Industrialisierung auf zunaumlchst England Deutschland und Nordamerika nicht zu erklaumlren Promotoren von Wachstumsvorstellungen liegen mithin auch im Markt in der Wissenschaft im Kolonialismus und nicht nur in der Energieerzeushygung so dass man von einer soziotechnischen Figuration sprechen kann in der sich die Welt zu verwandeln beginnt Und damit auch die Vorstellungen daruumlber was Entwicklung Fortschritt Wachstum Bildung etc eigentlich sind Die Unendlichkeitsvorstellung in Verkoppelung mit immerwaumlhrendem Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschoumlpfung in die Welt kommen Entwicklung Fortschritt Wachstum finden in diesem Prozess auch subjektive Korrelate etwa in dem sich selbst beobachshytenden und Rechenschaft ablegenden laquooumlkonomischen Menschenraquo

Bei all dem ist durchaus erstaunlich dass das Wachstumskonzept in die oumlkonomische Theorie erst vergleichsweise spaumlt eingewandert ist Als Zeitkern wird hier die Zeit der laquoGreat Depressionraquo genannt vor allem aber die Systemkonshykurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten und der (sowjet-)kommunistishyschen Hemisphaumlre deren Wettbewerb in kommensurablen Wachstumsraten ein probates Maszlig fand Den entscheidenden Schub erfuhr das Wachstumskonzept aber erst in der Nachkriegszeit als man in den westeuropaumlischen Gesellschaften auf stetiges Wirtschaftswachstum setzte um soziale Ungleichheiten relativ zu reduzieren und eine moumlglichst breite Teilhabe am wachsenden Wohlstand zu gewaumlhrleisten Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat Wachstum als Staatsaufgabe Die enge Koppelung der normativen Vorstellung vom sozialen Frieden an das kontinuierliche Wirtschaftswachstum ist wohl am staumlrksten fuumlr

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die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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2 aus fremdzwang wird selbstzwang

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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  1. Webhinweis
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  3. ZumInhalt
  4. Startfokus

die heutige Tiefenimpraumlgnierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch die Leitvorstellung des unendlichen Wachstums verantwortlich Die institushytionellen Infrastrukturen regulieren das Wachstum die materiellen manifesshytieren es die mentalen uumlbersetzen es in die lebensweltliche Praxis Sie statten die Bewohner der Wachstumsgesellschaften mit den dazugehoumlrigen Selbstkonshyzepten und Biographien aus

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2 aus fremdzwang wird selbstzwang

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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2 aus fremdzwang wird selbstzwang

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Zunaumlchst Jede Wachstumsvorstellung setzt grundsaumltzlich voraus dass sich ein kuumlnftiger Zustand durch irgendein laquomehrraquo gegenuumlber der Gegenwart auszeichnet Die Vorstellung vom Wachstum setzt also eine Vorstellung von Zukunft voraus und das ist eine Kategorie die ndash so seltsam das heute erscheinen mag ndash bis in das 17 Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war Wenn von Zukunft die Rede war dann im Sinne von laquoadventumraquo der Wiederkehr Christi am Ende der Zeiten nicht als zu erreichender anderer Zustand in der irdischen Existenz (Houmllscher 2010 S 25) Belegen laumlsst sich diese Zukunftslosigkeit klassischer Kosmoloshygien und auch damit dass die meisten Grammatiken fruumlher gar keine Zeitform laquoFuturraquo vorsahen die heutige Form des Futurs ist eine spaumlte Hilfskonstruktion des ausgehenden Mittelalters (Ebd) Mit anderen Worten Die Vorstellung einer zukuumlnftigen Extension oder Expansion irgendeines Aspektes des Lebens ist histoshyrisch recht jung Dasselbe gilt fuumlr ihr subjektives Korrelat naumlmlich die auf einen individuellen Lebenslauf bezogene Zukunft die Autobiographie

Biographie und Lebenslauf im heutigen Sinn sind selbst ein Produkt der Moderne Unter gesellschaftlichen Verhaumlltnissen die von einem statischen Machtgefuumlge und einer unumstoumlszliglich scheinenden Ordnung gepraumlgt sind ist die Autobiographisierung ebenso wie die Individualitaumlt geringer ausgepraumlgt oder gar nicht vorhanden Das liegt daran dass es weniger an den Ambitionen und Leistungen der einzelnen liegt wo sie ihren gesellschaftlichen Platz einnehmen dieser Platz haumlngt ganz einfach davon ab in welche Situation und gesellschaftshyliche Lage sie hineingeboren werden Von Biographie und Lebenslauf im modernen Sinn kann erst ab jenem Individualisierungsschub die Rede sein der durch den massenhaften Arbeitskraumlftebedarf der neu entstehenden Industrien und die damit verbundene Entbettung der Arbeitskraft aus traditionalen Verhaumlltshynissen moumlglich wird Waumlhrend die Einzelnen unter vormodernen Bedingungen fest in staumlndische lokale und haumlusliche Zusammenhaumlnge eingebunden sind und ihre soziale Position nicht oder nur houmlchst ausnahmsweise durch eigene Anstrengung veraumlndern koumlnnen (Imhof 1984 BroseHildenbrand 1988 Kohli 1988) wird der als Sozialtypus erstmals auftretende laquodoppelt freie Lohnarbeiterraquo (Marx 2008) zum Verantwortlichen fuumlr seine eigene Biographie Diese Verfluumlsshysigung der sozialen Positionen betrifft in noch houmlherem Maszlige Handwerker Kaufleute Fabrikanten und es ist kein Zufall dass die groszligen Entwicklungs- und Bildungsromane von Goethes laquoWilhelm Meisterraquo bis Moritzrsquo laquoAnton Reiserraquo in

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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dieser Formationsperiode entstehen Die sich entwickelnde Paumldagogik entwirft ein Biographiemodell das von der Vorstellung bestimmt ist dass die laquoAnlagenraquo der Individuen unter bestimmten Bedingungen besser oder schlechter laquoentwishyckeltraquo werden koumlnnen Hier tritt nun deutlich der Gedanke ins zeitgenoumlssische Bewusstsein dass Menschen nicht durch eine goumlttlich vorgegebene Positionashylitaumlt fixiert und mit einer unveraumlnderlichen Persoumlnlichkeit ausgestattet sind sondern sich laquobildenraquo laquoentwickelnraquo laquoentfaltenraquo koumlnnen mithin laquoetwas aus sich machenraquo laquowachsenraquo laquoetwas erreichenraquo muumlssen Sprichworte wie das dass jeder seines Gluumlckes Schmied sei geben diesem Biographiemodell griffigen Ausdruck so etwas ist vormodern gar nicht denkbar

Eine Biographie die aumluszligerst starken Selbstgestaltungserwartungen unterliegt und ein hohes Maszlig an Zukunftsorientierung voraussetzt entsteht als mentale Formation also erst im Zuge der Etablierung moderner Gesellschaften obwohl wir sie heute fuumlr laquonatuumlrlichraquo halten Soziologische Theorien besonders die Zivilishysationstheorie von Norbert Elias (1969) koumlnnen zeigen wie sich historische Veraumlnderungsprozesse in Modifikationen auf der individuellen Verhaltensebene niederschlagen ndash wie also Veraumlnderungen im Groszligen in der Herrschaftsorgashynisation der Oumlkonomie der Mobilitaumlt der Kommunikation etc mit Veraumlndeshyrungen im Einzelnen seinem Habitus seiner Subjektivitaumlt zusammenhaumlngen Eliasrsquo Theorie geht in kurzen Worten davon aus dass im Zuge der Gesellschaftsshyentwicklung die Handlungsketten durch Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung von Funktionen immer laumlnger werden was bedeutet dass die Interdependenzen zwischen den Menschen sowohl qualitativ als auch quantitativ immer weiter anwachsen

Natuumlrlich ist ein solcher Vorgang dem Einzelnen der an ihm teilhat nicht bewusst ndash Regulierungen dieser Art finden in der Praxis nicht im Bewusstshysein statt sind aber gerade deshalb desto wirkungsmaumlchtiger Sie aumluszligern sich langfristig in Habitusveraumlnderungen die auch einen Umbau der inneren Verfassung der Psychologie der Menschen im Zuge des Zivilisierungsproshyzesses anzeigen Eliasrsquo Theorie beschreibt eine fortschreitende Veraumlnderung des Verhaumlltnisses in dem Selbst- und Fremdzwaumlnge zueinander stehen Wird etwa unter feudalen Verhaumlltnissen gesellschaftliche Macht durch Androhung und Ausuumlbung direkter Gewalt sichergestellt zeichnen sich moderne Gesellschaften durch ein bestaumlndiges Absinken des direkten Gewaltniveaus aus also durch ein Schwinden von Fremdzwaumlngen Im selben Zug wachsen aber die Selbstzwaumlnge an also die Regulierungen denen jemand folgt ohne dass er einer direkten Macht unterworfen waumlre Das kann man zum Beispiel mit der Durchsetzung des industriellen Arbeitstags illustrieren Waumlhrend wie von Edward P Thompson (1987) klassisch beschrieben die Arbeiter in der Fruumlhphase der Industrialisieshyrung mit Gewalt also mit Knebel und Peitsche dazu angehalten wurden ihre 12 Stunden in der Fabrik zu verbringen insbesondere montags nicht zur Arbeit erschienen und nicht selten regelrecht dahin gepruumlgelt wurden wird spaumlter der industrielle Arbeitstag in seiner langsam erkaumlmpften 8-Stunden-Rhythmisierung zur scheinbar natuumlrlichen und selbstverstaumlndlichen Norm in deren Synchron- M

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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takt die Wach- Schlaf- und Rekreationsrhythmen aller Gesellschaftsmitglieder vom Kleinkind bis zur Rentnerin eingebunden sind Heute ist nicht mehr die Verkuumlrzung der Arbeitszeit sondern der Besitz von Arbeit der selbstverstaumlndliche Zweck aller Anstrengung ndash einem Arbeiter des 19 Jahrhunderts waumlre diese libidishynoumlse Dimension der Arbeit ziemlich pervers vorgekommen Der Blue Monday ist faktisch wie mental eine ferne Vergangenheit Aus Fremdzwang ist Selbstzwang geworden

Insgesamt gab es keine Epoche in der Menschheitsgeschichte die ein vergleichbares Ausmaszlig an zeitlicher Synchronisierung hervorbrachte wie das 19 Jahrhundert Am Ende einer Entwicklung die nicht nur die Zeittakte des indusshytriellen Arbeitstages sondern vor allem auch die Vereinheitlichung der internashytional zunaumlchst voumlllig unterschiedlichen Eisenbahnzeiten und die Ordnung der Welt in unterschiedliche Zeitzonen hervorbrachte stand ein weltweit einheitshyliches Zeitregime (Osterhammel 2009 S 119) gleichfalls ein historisch junges Phaumlnomen das eine so erstaunliche Verinnerlichung durchlaufen hat dass kaum mehr bewusstseinsfaumlhig ist dass die Moderne so etwas wie laquonatuumlrliche Zeitrhythmenraquo gar nicht kennt1

Veraumlnderungen im Gesellschaftsgefuumlge bringen andere Sozialformen und andere Praktiken und damit psychisch andere Menschen mit anderen Beduumlrfshynissen hervor Die gesellschaftliche Bedeutung von Kategorien wie Puumlnktlichkeit Selbstdisziplin Rechenschaft laquogute Arbeitraquo (Luumldtke 2002) etc zeigt die Entwickshylung von Biographien an deren Traumlger sich in hohem Maszlige dessen bewusst sind dass ihr eigenes Wohlergehen und ihr Erfolg nicht von fremden oder goumlttlichen Maumlchten abhaumlngig sind sondern vor allem von ihnen selbst und ihrer gelinshygenden Einpassung in sich bewegende Sozialgefuumlge Phaumlnomene wie dieses zeigen dass Soziogenese und Psychogenese zwei Seiten desselben Vorgangs sind Deshalb ist die Wachstumsidee nicht nur in Wirtschaft und Politik veranshykert sondern auch im psychischen Aufbau der Menschen die in den entspreshychenden Gesellschaften aufwachsen

Man betrachte nur mal niederlaumlndische Malerei aus dem 15 und 16 Jahrhundert um erstaunt festzustellen dass die dargestellten Personen etwa in den Brueghelschen Jahresshyzeitenbildern zeitlich desynchronisiert sind Immer findet man beispielsweise inmitten der handelnden schlittschuhlaufenden oder werkenden Personen auch solche die einfach schlafen

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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3 unendliches Wachstum

Es ist die historische Konstellation aus fruumlher Industrialisierung Aufklaumlrung protestantischer Rechenschaftskultur Berufsfoumlrmigkeit und Kreditwirtschaft in der jene Mentalitaumlten und Identitaumltsformationen sich ausgebildet haben die unsere Selbst- und Weltwahrnehmung unsere Deutungsmuster und Lebens-ziele auch heute in der Tiefe praumlgen Die Verinnerlichung dessen was man sein kann und sollte ist nun freilich nicht nur eine Befreiung aus den aumluszligeren Zwaumlngen der Positionalitaumlt gewesen sondern sie ging einher mit ganz neuen zuvor unbekannten Orientierungsnotwendigkeiten und Lasten Kategorien wie Selbstverantwortung Disziplin Wille werden in dem Augenblick fuumlr heranshywachsende Individuen bedeutsam wo man nicht nur laquoetwas aus sich machenraquo kann sondern eben auch muss Denn wie der Lohnarbeiter frei ist sich jenseits feudaler Zwaumlnge dort zu verdingen wo es fuumlr ihn am guumlnstigsten ist so ist er wie es bei Marx heiszligt zugleich frei laquoseine Haut zu Markte zu tragenraquo ndash also auch den Orientierungs- und Versorgungssicherheiten der unfreien Existenz entbunden laquoDer historische Prozess der Individualisierung bedeutet in dieser Perspektive dass die Person sich nicht mehr uumlber die Zugehoumlrigkeit zu einer sozialen Position bzw die Mitgliedschaft in einem sozialen Aggregat konstituiert sondern uumlber ein eigenstaumlndiges Lebensprogrammraquo (Kohli 1988 S 35)

War vormodern der Lebensweg eine weitgehend variationslose Zeitspanne vor dem Tod nach dem immerhin die erfreuliche Perspektive auf ein jenseitiges Gluumlck wartete ergab sich mit der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebensshywegs eben auch der Zwang laquoein Lebenswerk auf Erdenraquo vorweisen zu muumlssen (BroseHildenbrand 1988 S 13) Und mit diesem Zwang entsteht ein permashynenter Bedarf nach Orientierung und Selbstvergewisserung Die faktische und gefuumlhlte Notwendigkeit laquoin sich selbst soviel Welt als moumlglich zu ergreifenraquo wie es Wilhelm von Humboldt formulierte erzeugt einen wachsenden Druck oumlkonoshymisch auch mit sich selbst und seinem Leben umzugehen Nunmehr kann auch dies mehr oder weniger erfolgreich laquogefuumlhrtraquo werden und solche Lebensfuumlhrung erfordert Kontrolle Maszlig und Beobachtung kurz ein hohes Selbstzwangniveau

laquoSo viel Welt als moumlglichraquo ndash in dieser emphatischen Formulierung scheint der buumlrgerlich-kapitalistische Wertehorizont des unendlichen laquobesser weiter mehrraquo nach innen gewendet auf Auch das Selbst wird zu einer kontinuierlichen Entwicklungsaufgabe mit festgelegten Stufen und Zielen ndash der biographische

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Erfolg wird messbar Der laquooumlkonomische Menschraquo2 (Joseph Vogl) zeichnet sich wie wir alle dadurch aus dass er in einem genau und immer fester gefuumlgten Universum von Pruumlfungen Bilanzierungen und Rechenschaften seine eigenen Entwicklungsfortschritte zu dokumentieren und nach innen wie nach auszligen zu rechtfertigen hat Der oumlkonomische Mensch und seine Selbstbeobachtungsstrashytegie bildet sich zunaumlchst ndash wie schon Max Weber in seiner beruumlhmten Studie laquoDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismusraquo dargelegt hat ndash am Typus des buumlrgerlichen Unternehmers und laquoBerufsmenschenraquo heraus der jede Bewegung in seinen Geschaumlftsgaumlngen akribisch erfasst und bestaumlndig auf der Suche nach Optimierungen seiner Ablaumlufe und Verfahren ist laquoMit den Geschaumlftsshybuumlchern wird ein geschaumlftliches Tagebuch gefuumlhrt das den Geschaumlftsverkehr am Leitfaden aller eintreffenden Begebenheiten kontrolliert und sehr bald als schriftliche Disziplin der kontinuierlichen Selbstuumlberpruumlfung fortgesetzt wird ndash nicht von ungefaumlhr hat man im Rechnungswesen eine der Quellen des modernen Tagebuchfuumlhrens erkennen wollen Jeder Tag ist gewissermaszligen Bilanz- und Gerichtstag und wird gemustert nach seinem Ertragraquo (Vogl 2009)

Joseph Vogl beschreibt die kaufmaumlnnische Praxis des Buchhaltens als Disposhysitiv das eine staumlndige Beobachtung und Kontrolle wechselnder Ereignisse ermoumlglicht Die Buchhaltung verwaltet Ereignisse indem sie diese selektiv in verschiedenen Registern ndash Memorial Journal Hauptbuch ndash aufschreibt und nach Gewinn und Verlust sortiert Aufgezeichnet werden die Ereignisse auf der Achse der Zeit und innerhalb von bestimmten fuumlr alle Ereignisse gleichermaszligen guumlltigen Zeiteinheiten Eine solche Notationstechnik sichert Kontinuitaumlt und ist damit erst die Voraussetzung einer Wachstumserfahrung

Fuumlr den Kaufmann bedeutet die Einfuumlhrung der Buchhaltung dass er gewisshysermaszligen schlaflos wird stets unruhig und wachsam laquoein Subjekt der kontishynuierlichen Selbstkontrolle und der Jahresabrechnungen ein Subjekt das sich damit einen innerweltlichen Lebenslauf verpasstraquo (Vogl 2009) Keine Zeiteinheit darf vergeudet und keine Handlung unergiebig sein und da der geschaumlftliche Erfolg identisch mit dem biographischen ist gelten dieselben protokollierbaren Erfolgsmaszlige fuumlr das Geschaumlft wie fuumlr das Leben

Interessant dabei ist dass sich mit der Herausbildung solcher laquoinnerweltshylicher Askeseraquo zugunsten der Kontrolle und Werthaltigkeit jeder Lebenseinheit zugleich der Stellenwert der Produkte wie auch die Qualitaumlt der fuumlr ihre Herstelshylung erforderlichen Arbeit veraumlndert Dem vorindustriellen Handwerker wie dem Kuumlnstler ging es ebenso wie ihrem Auftrageber um die Erstellung eines spezifi-

Der oumlkonomische Mensch ist nicht mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fiktion des laquohomo oeconomicusraquo zu verwechseln jenem Reaktionsbuumlndel das auf Reize reagiert wenn sie ihm einen Vorteil versprechen Es ist erstaunlich wie lange sich dieses Menschenshybild in der Vorstellungswelt der Oumlkonomen gehalten hat obwohl der Behaviorismus in anderen Disziplinen schon vor vielen Jahrzehnten abgedankt hatte Darin kann man einen weiteren Indikator fuumlr die inhaltliche Sklerose der Wirtschaftswissenschaften sehen und hoffen dass der Vitalisierungsschub der seit einigen Jahren durch die laquobehavioral econoshymicsraquo stattfindet nachhaltig sein wird

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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schen Gegenstands oder Werkes Die Arbeit war mit der Fertigstellung beendet und wurde auch exakt dafuumlr entgolten ndash fand also ihren Zweck im finalen Produkt das vom Auftraggeber konsumiert wurde wie der Lohn vom Auftragshynehmer In der industriellen Produktion geht es dagegen keineswegs mehr um die Herstellung des einzelnen Produkts als eines Zweckes an sich und um die Arbeit als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sondern um ein System in dem unablaumlssig gearbeitet wird um eine prinzipiell unendliche Reihe von Produkten zur Gewinnung von Mehrwert zu generieren ndash also von investivem Kapitel dass sofort wieder in die Verbesserung der Produktion oder Erweiterung der Produktshypalette gesteckt wird um den Unendlichkeitshorizont noch weiter hinauszushyschieben Nichts ist jemals fertig die Arbeit houmlrt niemals auf In diesem Modell liegt nicht nur eine Verkehrung der Mittel und Zwecke ndash Arbeit und Geld werden zum Zweck die Produkte und ihre Herstellung bloszlige Mittel ndash sondern auch die prinzipielle laquoUnabschlieszligbarkeit des Tunsraquo und eine grundsaumltzliche laquoVergeblichshykeit von Produktionraquo (Vogl 2008 S 336) Hier liegt wie man sieht nicht nur die Wurzel der Vorstellung vom grenzenlosen Wachstum das zur Ausstattung des grenzenlosen Universums der konsumierbaren Dinge noumltig ist sondern auch der Urgrund fuumlr die Mentalitaumlt eines niemals fertigen eines immer wachsenden Menschen ndash eben des oumlkonomischen Menschen

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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4 energie und Mobilitaumlt 4

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Parallel zu dieser Entwicklung der Unabschlieszligbarkeit des Tuns und zum niemals abgeschlossenen Wachstum vollziehen sich Veraumlnderungen der Zeitwahrnehshymung nicht nur die bereits erwaumlhnte der industriellen Arbeitszeit sondern auch die ungeheure Beschleunigung der Bewegung im Raum wie sie mit dampf- und spaumlter benzingetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19 Jahrhundert einsetzt ndash die Industrialisierung von Raum und Zeit wie Wolfgang Schivelbusch das in seiner laquoGeschichte der Eisenbahnreiseraquo (1977) genannt hat Diese Industrialishysierung auch der Zeit- und Raumwahrnehmungen hat zu einer sich bestaumlndig steigernden Form von Mobilitaumlt gefuumlhrt in der Minutengewinne auf Strecken von hunderten von Kilometern gigantische Investitionen wert scheinen Die damit gewonnene Vorstellung an laquoZeitgewinnraquo korrespondiert mit dem haumlufig uumlbersehenen Aspekt dass die Moderne auch noch einen anderen eklatanten Gewinn an Zeit verzeichnet naumlmlich die gestiegene Lebenserwartung Lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevoumllkerung um 1800 bei 30 Jahren betrug sie im Jahr 2000 bereits 67 Jahre mit deutlichen Ausschlaumlgen nach oben in den Industriegesellschaften (Osterhammel 2009 S 258) Erst der Anstieg der Lebenserwartung laumlsst so etwas wie eine persoumlnliche Zukunft in den Vorstelshylungshorizont treten und damit ein Leben im Vorausentwurf denkbar werden Zugleich unterstuumltzt der nicht nur wohlfahrtsstaatlich sondern auch medizishynisch immer weiter hinausgeschobene Horizont der Lebenszeit die Vorstellung auch diese bestehe in einem Prozess bestaumlndigen Anwachsens Und noch etwas Der oumlkonomische Mensch der uumlber einen individuellen Lebenslauf verfuumlgt und seiner Lebenszeit das Maximale abgewinnen muss sieht sich nicht mehr in einen uumlbertemporalen Generationszusammenhang eingebunden in dem die eigene Lebenszeit nur eine Episode in aufeinander folgenden und aneinander gebunshydenen Leben ist sondern eben nur auf das eigene Leben und dessen zeitlichen Horizont verwiesen (Ullrich 2006 S 26) Auch darum gilt es moumlglichst viel aus der verfuumlgbaren Lebenszeit zu machen moumlglichst viel Zeit zu sparen zu nutzen zu akkumulieren

Interessanterweise hat nicht nur die Uumlberwindung zeitlicher und raumlumlishycher Begrenztheiten ein mentales Korrelat sondern mehr noch die Kategorie der Energie wie sie im 19 Jahrhundert ndash eben insbesondere mit der Nutzung fossiler Rohstoffe ndash prominent wird Der Wechsel des Energieregimes in den fruumlhindusshytrialisierten Laumlndern von Biomasse auf Kohle und Oumll praumlgte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen uumlbrigen Laumlndern der Erde aus (Osterhammel 2009 S 936) sondern fuumlhrte auch zu einer systematischen

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Aufwertung der Kategorie des laquoEnergetischenraquo wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war laquoDer energiereiche und sich selbst als lsaquoenergischrsaquo entwershyfende Westen trat der uumlbrigen Welt auch so entgegen Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative Muumlszligiggaumlnger religioumlse Asketen oder stille Gelehrte sondern Praktiker einer energiegeladenen Vita activa nimmershymuumlde Eroberer unerschrockene Reisende ruhelose Forscher imperatorische Wirtschaftskapitaumlne Uumlberall wo sie hinkamen beeindruckten erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen mit ihrer persoumlnlichen Dynamik in der sich der Energieuumlberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollteraquo (Osterhammel 2009 S 937) Ein besonders bemerkenswerter Zug dieses Sozialshytypus ist die mit der Energiekultur verknuumlpfte Uumlberlegenheitsvorstellung des westlichen (weiszligen) Menschen denn die zeitlich parallel aufkommende Rassen-lehre ordnete die laquoRassenraquo ja keineswegs nur nach koumlrperlichen Merkmalen sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfaumlhigkeit und Energie

Auch die entstehende Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters Fast vergessen ist heute dass eine historische Leistung der Psychologie des 19 Jahrhunderts darin lag dass Nervenaktivitaumlt gemessen werden konnte weil man entdeckte dass sie auf elektrischer Energie beruhte Helmholtz konnte nachweisen dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte Die fruumlhe experimentelle Psychologie beschaumlftigte sich mit der Messung von Reizintensitaumlten und dafuumlr aufgewendete Energie die aufkommende Psychoshyphysik erwarb sich groszlige Verdienste bei der optimalen Anpassung des Bedienshypersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen Aber es waumlre voumlllig verkehrt die energetischen Vorstellung vom Mentalen allein auf der naturwisshysenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten das komplette Werk Sigmund Freuds etwa ist durchzogen von der Mechanik Hydraulik und Energetik des Industriezeitalters Der Begriff der (freien und gebundenen) laquoEnergieraquo spielt in der Psychoanalyse eine genauso groszlige Rolle wie der laquoTriebraquo und seine laquoDynamikraquo Andere prominente Begriffe sind die laquoVerdraumlngungraquo die laquoStauungraquo die laquoVerdichtungraquo uumlbrigens auch die laquoOumlkonomieraquo des Seelenlebens Noch im beruumlhmten laquoVokabular der Psychoanalyse (Laplanche amp Pontalis 1973) heiszligt es ganz ingenieurhaft laquodass die psychischen Vorgaumlnge im Umlauf und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen die erhoumlht oder verringert werden und anderen Energien aumlquivalent sein kannraquo (S 357)

Die damit verbundenen Subjektvorstellungen praumlgen ein Bildungskonzept das nicht nur davon ausgeht dass menschliche Subjekte sich entwickeln ndash also in physiologischer und psychologischer Hinsicht wachsen ndash sondern in vielfaumllshytiger Weise in dieser Entwicklung gefoumlrdert bzw gestoumlrt werden koumlnnen Auch dabei spielen Vorstellungen uumlber die Beherrschung und Steuerung zum Beispiel sexueller Energien eine wichtige Rolle wie Michael Hagner gerade exemplashyrisch nachgezeichnet hat (Hagner 2010) Die Erfindung der Schule als Erzieshyhungs- und Bildungsinstitution fuumlr alle Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls an die Entwicklung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder gebunden wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem ihre erzieherische und disziplinierende M

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Funktion im Vordergrund stand Im schulischen Regime wurden jene Tugenden eingeuumlbt die ndash wie Puumlnktlichkeit Reinlichkeit Sorgfalt Ordnung etc ndash einen Sozialcharakter praumlgten der innerhalb der Synchronisierungserfordernisse hoch arbeitsteiliger Gesellschaft funktionsfaumlhig ist Ein nicht gering zu veranshyschlagender Effekt der Verschulung der fruumlhindustrialisierten Laumlnder ist auch die Einuumlbung von Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Messung der indivishyduellen Leistungen uumlber Notensysteme Dieser Prozess der Verschulung haumllt noch heute an Nicht nur dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsshyraten als zentrale Kennzeichen von laquoEntwicklungraquo gelten (Osterhammel 2009 S 1131) auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien haumllt ndash seit laquoBolognaraquo und laquoG 8raquo mehr denn je ndash unvermindert an Heute koumlnnen sich Schuumllerinnen Schuumller und Studierende kaum mehr vorstellen dass es zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebenslaumlufe jenseits von Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben koumlnnte Was Lernen ist erscheint als bloszlige Akkumulation als Aneignung und Speicherung von laquomehrraquo Wissen und Information

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5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Angebote an die Freundinnen und Freunde

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  1. Webhinweis
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  4. Startfokus

5 arbeit und Wachstum

Ganz unabhaumlngig davon was die ausschlaggebenden Faktoren bei der Genese der beschriebenen prinzipiellen Grenzenlosigkeit von Selbst Arbeit Produkshytion und Ressourcennutzung war ndash laquodie industrielle Revolution der Einsatz von Dampfmaschinen die Organisierung der Arbeitsteilung eine Industrie-Paumldashygogik physiologische Modelleraquo (Vogl 2008 S 336) die Individualisierung und Biographisierung die Uumlbertragung biologischer und evolutionaumlrer Prinzipien in den Bereich der Oumlkonomie sowie das protestantische Modell der innerweltlichen Askese und Rechenschaft ndash ihr Ergebnis jedenfalls ist die erstaunliche Verwandshylung von Substantiellem in bloszlige Durchlaufzustaumlnde jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorlaumlufer des Naumlchsten jedes Produkt der Vorgaumlnger des folgenden jeder Arbeitsgang nur der vorlaumlufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiedershyholungen Kein Zweck wird je erreicht aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivitaumlt grenzenlos zu steigern Galt Arbeit zuvor als laquomolestiaraquo als Muumlhe und Beschwernis so wird sie nun nobilitiert zum laquoopusraquo zum hervorshybringenden Tun dem wie Joseph Vogl schreibt anthropologischen Leitbegriff des 19 Jahrhunderts (S 337) laquoProduktiv diesem neuen Verstaumlndnis nach ist ein Reichtum der die Beduumlrfnisse aller uumlbersteigt und produktiv ist eine Arbeit die nicht mit der Stillung eines Beduumlrfnisses endetraquo (S 338) Und genau in dieser Gestalt geht Arbeit in die nationaloumlkonomische Theoriebildung ein als eine in sich unbegrenzte endlose Taumltigkeit die kein spezifisches abgegrenztes im Produkt aufgehobenes Ziel hat sondern der unablaumlssigen Schoumlpfung von Wert dient ndash mithin der nie endenden Produktion von laquoWachstumraquo Diesen Vorgang hat Marx mit dem Verschwinden der konkreten Arbeit im Tauschwert bezeichnet So wie die Arbeit damit unaufhoumlrlich wird so wird jeder Augenblick im Leben jede Stufe im Lebenslauf jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes naumlchsten Abschnitts jedes weiteren Euro Und das Selbst ist in jeder Biographie immer nur Vorstufe eines Selbst das noch Weiteres zu erreichen hat

Diese Form der Guumlterproduktion und Mehrwerterzeugung generiert eine permanente Selbsttranszendenz in Wirtschaft und Persoumlnlichkeit Beide sind prinzipiell auf Selbstuumlberschreitung Unabschlieszligbarkeit also Unendlichkeit gestellt und damit systematisch auf pausenloses Wachstum Eine stationaumlre Wirtschaft ist das exakte Gegenteil davon daher gaumlnzlich undenkbar ndash sie wird sofort mit Stillstand in der Wohlstands- wie in der Persoumlnlichkeitsentwicklung assoziiert Der Affekt der immer dann auftritt wenn man in den einschlaumlgigen Debatten vorschlaumlgt man koumlnne einfach aufhoumlren zu wachsen spricht Baumlnde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Angebote an die Freundinnen und Freunde

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uumlber die Rolle die das Wachstum in den emotionalen Haushalten eingenommen hat

Das sich selbst uumlberschreitende Wachstum hat sein Korrelat in jedem einzelnen modernen Lebenslauf Das Prinzip der Unendlichkeit herrscht nicht nur drauszligen sondern eben auch in einem selbst Schon Hegel hatte den skizzierten Typ von Arbeit als bestaumlndig aufgeschobenes Genieszligen und gehemmte Begierde (vgl Vogl S 339) charakterisiert und Max Weber den zugehoumlrigen Sozialchashyrakter als laquoFachmenschen ohne Geist Genussmenschen ohne Herzraquo bezeichnet und bitter resuumlmiert laquoDies Nichts bildet sich ein eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu habenraquo (Weber 2006 S 201)

Der laquoBerufsmenschraquo tritt mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell erstmals auf den Plan und mit ihm die Kategorie des unendlichen Wachstums in der Auszligenwelt wie in der Innenwelt Die Formierung dieses Sozialcharakters startet vor 200 Jahren seitdem erfaumlhrt er eine bestaumlndige Fortentwicklung Die mentale Infrastruktur des sich immer nur als Vorstufe des naumlchsten Entwickshylungsschritts begreifenden Subjekts laumlsst sich in den Figuren des laquolebenslangen Lernensraquo des laquoproduktiven Alternsraquo ebenso wiederfinden wie in den esoterishyschen Selbstfindungssuchen nach dem laquowahren Ichraquo dem laquopositiven Lebenraquo die systematisch genauso wenig jemals an ein Ende kommen koumlnnen wie die Selbstausbeutungsfetischismen der Laptop-Maumlnner die alle Zuumlge Flugzeuge und Warte-Lounges dieser Welt bevoumllkern Alle werden niemals fertig

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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6 endlichkeit der ressourcen und tod

Max Weber war klar dass diese groszlige neue Maschine zur permanenten Steigeshyrung von Produktivitaumlt und Erzeugung von Mehrwert auch unablaumlssig Treibstoff brauchte um in Betrieb zu bleiben eben die fossilen Energien ndash Kohle Oumll und Gas Erst das Ende von deren Verfuumlgbarkeit koumlnne das Ende dieses Modells vom grenzenlosen Wachstum bedeuten ndash bis dahin bildet es ein Universum dass die Existenzform und das Innenleben all jener bestimmt die in einer solchen Wirtschafts- und Gesellschaftsformation leben ndash da gibt es gar keine Wahlmoumlgshylichkeit laquoDie Puritanerraquo schreibt Weber laquowollten Berufsmensch sein wir muumlssen es sein Denn indem die Askese aus den Moumlnchszellen heraus in das Berufsleben uumlbertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann half sie an ihrem Teile mit daran jenen maumlchtigen Kosmos der modernen an die technischen und oumlkonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschishyneller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen der heute den Lebensstil aller einzelnen die in dies Triebwerk hineingeboren werden ndash nicht nur der direkt oumlkonomisch Erwerbstaumltigen ndash mit uumlberwaumlltigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird bis der letzte Zentner fossilen Brennshystoffs vergluumlht istraquo (Weber 2006 S 200ff)

Hier kommen alle Elemente zusammen die die Gestalt der Gegenwart der fruumlhindustrialisierten Gesellschaften bestimmen ein Wirtschafts- Gesellschafts- und Subjektmodell das sich als eine Kultur des permanenten Vorstadiums eines fiktiven naumlchsten Stadiums begreift eine Technologie die den Produktivitaumltsfortshyschritt unablaumlssig weiter befoumlrdert ein Treibstoff der die Maschine am Laufen haumllt und eine Zivilisationsform die alle ihre Mitglieder mit einer Biographie ausstattet die ein unabschlieszligbares Wachsen uumlber sich selbst hinaus bedeutet Was Weber noch nicht sehen konnte war dass die allumfassende Wachstumsshykultur nicht erst mit dem Ende der Ressourcen an jenen furchterregenden Punkt der Endlichkeit kommt an der sie nicht mehr funktioniert sondern schon durch die Schaumlden die sie angerichtet hat und die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen unterminiert Aber die Kategorie der Endlichkeit ist dieser Kultur so unheimlich wie der eigene Tod dem Individuum Beides ist kulturell nicht vorgesehen ndash sonst koumlnnte man wohl kaum noch allen Ernstes laquolebenslanges Lernenraquo propagieren ndash hilft das dabei mit den Wuumlrmern im Grab besser zurechtzukommen

So kurz und verkuumlrzt diese historische Rekonstruktion sein mag so zeigt sie doch dass mit der Errichtung der materiellen und institutionellen Infrastrukturen M

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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der Moderne sich zugleich die mentalen Infrastrukturen ihrer Bewohner veraumlnshydert haben ndash und zwar so dass ihnen die Zwaumlnge zur permanenten Fortentwickshylung und Selbstoptimierung laumlngst und unbemerkt zum Selbstzwang geworden sind so sehr dass kaum noch jemand auf die Idee kommt zu fragen wozu das alles eigentlich gut sein soll Wenn also das Problem aufgeworfen wird dass uns das Wirtschaftswachstum immer naumlher an die Funktionsgrenze des Systems mithin an den Kollaps bringt dann sprechen wir nicht nur uumlber die aumluszligeren Manifestationen des Wachstumsdenkens ndash also uumlber gebaute oder in Regularien und Verfahren gegossene Infrastrukturen ndash sondern uumlber die Verankerung des Wachstumskonzepts in den basalen Vorstellungen uumlber uns selbst

In diesem Zusammenhang mag erwaumlhnenswert sein dass auch die ehemals sozialistischen Laumlnder inklusive der DDR vom Wachstumsfetisch beseelt waren und nicht nur der Westen Sie alle verstanden sich ja dezidiert als Vorstufe zur kommunistischen Heilswelt und Wachstumsindikatoren waren die Wegmarken auf der (immerhin auch ziemlich endlosen) Strecke dorthin (Weiding ua 1986) Paradigmatisch hierfuumlr steht etwa die Parole laquoUumlberholen ohne einzuholenraquo die Walter Ulbricht bereits 1959 ausgegeben hatte um das unendliche Wachstum auch in den realsozialistischen Laumlndern zur Staatsaufgabe zu erklaumlren

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

41

die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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7 der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Mit der Steigerung der oumlkonomischen und technologischen Innovationsgeshyschwindigkeit und der Flexibilisierung und Globalisierung der Kapitalstroumlme und Produktionsstandorte haben sich auch die Lebenslaumlufe und Biographien weiter flexibilisiert und globalisiert Galt die kapitalistische Normalbiographie geglieshydert in eine schulische vorberufliche oder akademische Ausbildungsphase eine Berufsphase und eine relativ kurze Ruhestandsphase fuumlr einige Nachkriegsjahrshyzehnte als erwartbarer Lebenslauf so hat sie sich seit den 1980er-Jahren weitgeshyhend aufgeloumlst und ist zu einem permanenten Projekt der Selbstoptimierung in Anpassung an sich bestaumlndig veraumlndernde Bedingungen und Anforderungen der Arbeitswelt geworden nicht nur was man ist unterliegt einer chronischen Uumlberpruumlfungs- Innovations- und Veraumlnderungsanforderung sondern auch wo man das ist ndash das flexible Selbst das am Ende lediglich eine Relaisstation der diversen Funktionserfordernisse ist die sich mit seiner Lebenszeit kreuzen Als Traumlger einer solchen Biographie ist man nicht nur unablaumlssig sein eigener permashynenter Vorentwurf auf der Zeit- sondern nunmehr auch auf der Raumebene

Man kann hier mit Hartmut Rosa von einem sich beschleunigenden Prozess der Gegenwartsschrumpfung sprechen der laquogenerellen Abnahme der Zeitdauerraquo wo Erwartungssicherheit hinsichtlich der Stabilitaumlt von Handlungsshybedingungen herrscht (Rosa 2005 S 184) Diese Schrumpfung ist keineswegs darauf beschraumlnkt welche Zeithorizonte hinsichtlich der positionalen und oumlrtlishychen Bedingungen einer Biographiesequenz bestehen sondern gilt auch fuumlr die Beziehungsformen die schon seit den 1970er-Jahren zunehmend Patchworkshystrukturen (Keupp 1999) annehmen ndash und das sind immer solche mit groumlszligerer Varianz und geringerer Festigkeit Keupp wie Rosa betonen dass sich diese aumluszligere Veraumlnderung von Temporal- und Raumstrukturen in Innenverhaumlltnisse uumlbersetzt laquoWenn Familie Berufe Wohnorte politische und religioumlse Uumlberzeushygungen und Praktiken im Prinzip jederzeit gewechselt werden bzw sich veraumlnshydern koumlnnen dann ist man nicht Baumlcker Ehemann von Y Muumlnchener Konsershyvativer und Katholik per se sondern nur fuumlr die Perioden von nicht genau vorhershysagbarer Dauer ndash man ist alle diese Dinge lsaquoim Momentrsaquo dh in einer Gegenwart die zu schrumpfen tendiert man war etwas anderes und wird (moumlglicherweise) jemand anderer sein Der soziale Wandel verlagert sich damit gleichsam in die Subjekte hinein Interessant ist dabei die Frage ob jene Beziehungen dann uumlberhaupt noch Identitaumlt definieren koumlnnen oder ob wir in unserer Selbstbe- M

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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schreibung von Identitaumltspraumldikaten absehen weil sie eine nicht einloumlsbare Stabilitaumlt suggerieren Man ist nicht Baumlcker sondern man arbeitet (seit zwei Jahren) als Baumlcker man ist nicht Ehemann von Y sondern lebt mit Y zusammen man ist nicht Muumlnchener und Konservativer sondern wohnt (fuumlr die naumlchsten Jahre) in Muumlnchen und waumlhlt konservativraquo (Rosa 2005 S 238)

Wichtig ist dabei dass diese Verfluumlssigungstendenzen den Gegenwartsmoshyment zugleich immer bedeutsamer und immer fluider machen jede Station in der Gegenwart ist immer schon putative Durchgangsstation fuumlr etwas was danach kommt In der Gegenwart ist man daher nicht da sondern nur auf der Durchreise

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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8 konsumismus Was Produkte uumlber uns erzaumlhlen

Mentale Infrastrukturen sind also nicht nur gebunden an soziokulturelle Groszligformationen wie Lebenslaufregime sondern werden auch ndash und vielleicht vor allem ndash gepraumlgt in Alltagsroutinen Gewohnheiten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern die ihrerseits an den materiellen und institutionellen Infrashystrukturen der Auszligenwelt gebildet sind Diese Infrastrukturen sind in modernen Gesellschaften nicht nur bestimmt von spezifischen Produktions- sondern auch von Konsumtionsverhaumlltnissen

Die sinnstiftende Funktion des Konsums ist schon sehr fruumlh beschrieben worden Das aus den traditionalen vor allem religioumlsen Sinnzusammenhaumlngen entbundene Individuum das sowohl Gestalter seines Lebens als auch Verantshywortlicher fuumlr seinen Lebenssinn zu sein hat bedarf neuer aumluszligerer Stuumltzen um sich als jemand definieren zu koumlnnen der ein laquoerfolgreiches Lebenraquo fuumlhrt In Konsumgesellschaften werden diese Stuumltzen aus dem gebildet was man laquosich leistenraquo kann Thorstein Veblen hat schon 1899 auf die Rolle hingewiesen die demonstrativer Konsum fuumlr die Statussicherung bedeutet (Veblen 2007 S 79) Juumlrgen Osterhammel (2009 S 324) hat am Beispiel der zur selben Zeit entsteshyhenden Klasse von Superreichen die Entwicklung von laquoNormen und Leitbildern des Verbrauchsraquo nachgezeichnet Und Georg Simmel hat schon 1907 den Zusamshymenhang zwischen Konsummoumlglichkeiten und der neuen Persoumlnlichkeitsforshymation gesehen die die kapitalistische Industriegesellschaft hervorgebracht hat laquoMan koumlnnte sagen das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persoumlnlichkeit uumlber das Maszlig des Individuums hinaus ndash wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphaumlre uumlber die Grenze hinaus die sie urspruumlnglich bezeichnete das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Auszliger-Sich das dennoch im weiteren Sinne lsaquoseinrsaquo istraquo (Simmel 2009 S 499)

Tatsaumlchlich hat sich diese Selbstextension durch Konsum in den folgenden hundert Jahren uumlber die Klassen hinweg immer weiter verstetigt und ist zum Charakteristikum des Sozialtypus des 21 Jahrhunderts geworden ndash nunmehr nicht nur des westlichen sondern mit expansiver Tendenz auch in den ehemals realsozialistischen Gesellschaften und in den sogenannten Schwellenlaumlndern Inzwischen hat sich der innere Konsumismus so fest installiert dass sogar Strateshygien zur Transformation der Gesellschaft in Konsumstilen gesucht werden ndash eine M

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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10 Was heiszligt laquoumbau der carbonen gesellschaftraquo

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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folgenreiche Verwechselung von politischem Subjekt und kritischem Verbraushycher

Nicht zufaumlllig gilt es heute als Freizeitvergnuumlgen laquoshoppenraquo zu gehen und nicht zufaumlllig werden viele Produkte die in den reichen Gesellschaften gekauft werden gar nicht mehr konsumiert Schaumltzungen gehen davon aus dass in den USA mehr als 40 Prozent aller gekauften Nahrungsmittel weggeworfen werden in den reichen westeuropaumlischen Gesellschaften werden die Quoten nicht viel niedriger sein Der Soziologie Hartmut Rosa vermutet generell eine Verschieshybung vom Konsumieren hin zum Kaufen ndash die angeschafften Dinge wuumlrden houmlchstens nur noch wenige Male oder gar nicht mehr benutzt (Rosa 2009) Wenn die Dinge nicht mehr konsumiert werden die man kauft wird der Kaufakt selbst zur sinnstiftenden Handlung ndash uumlbrigens auch zunehmend zur gemeinschaftsshystiftenden Warenhaumluser vom Typ Zara oder Olymp amp Hades sind soziale Orte an denen insbesondere Jugendliche gemeinsam Kleidungsstuumlcke und Rollen ausprobieren und sich darin wechselseitig kommentieren auf der anderen Seite des Konsumentenspektrums leisten solche Gemeinschaftsstiftungen die gehobenen Konsumstile vom Typ laquoManufactumraquo ndash auch von den dort angeboshytenen laquoguten Dingenraquo braucht man ja faktisch fast nichts

Wenn der Gebrauchswert also die qualitative Dimension einer Ware verschwindet bleibt nur noch ihr symbolischer Wert also ihre im Preis dargeshystellte quantitative Dimension uumlbrig insofern wird Wachstum paradoxerweise desto wichtiger je weiter die materielle Saumlttigung vorangeschritten ist und die vitalen Beduumlrfnisse abgedeckt sind Das Wachstumssystem perpetuiert sich im Konsumismus selbst und gerade darin manifestiert sich die immanente Grenzenlosigkeit der Wachstumsgesellschaften sie koumlnnen nur dann an eine Grenze kommen wenn es nichts mehr zu konsumieren gibt weil alle Ressourcen verbraucht sind

Genau deshalb aber weil Konsumgesellschaften Sinn uumlber die Gewaumlhrleisshytung von Konsummoumlglichkeiten und Aufstieg realisieren stehen sie vor einem existentiellen Problem wenn ihnen dafuumlr die Mittel ausgehen ndash wie es in der Finanz- und Wirtschaftskrise kurzzeitig der Fall zu sein schien Und das ist insgeheim das was den Leuten Angst macht dass alles sinnlos war was man sich aufgebaut worauf man hingearbeitet wofuumlr man sich vorausentworfen und woran man geglaubt hatte Die Formate von Sinn und Identitaumlt die kapitashylistische Gesellschaften des westlichen Typs liefern stehen und fallen mit dem Funktionieren des Marktes

Hinzu kommt dass unsere Lebenswelt nicht nur in den kognitiven Operatishyonen reflektiert wird die Kulturwissenschaftlerinnen Oumlkonomen oder Literaten verfertigen wenn sie Geschichten uumlber ihr Funktionieren oder eben uumlber ihre Gefaumlhrdung erzaumlhlen Das allermeiste von dem was wir sind und uumlber uns selbst aussagen steckt in den Produkten selbst Jedes Duschgel erzaumlhlt wie Wolfgang Ullrich klargemacht hat (Ullrich 2006) mit seiner praumlzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten laquoPloppraquo mit dem wir es oumlffnen eine Geschichte uumlber uns selbst wenn wir es benutzen Genau wie jedes Autohaus

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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eine Geschichte uumlber unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte uumlber unsere Wuumlnsche und Mobilitaumltsvorstelshylungen erzaumlhlt

Diese Geschichten machen rein quantitativ ein Vielfaches von dem aus was wir als eigens dafuumlr vorgesehene und bezahlte professionelle Erzaumlhlerinnen und Erzaumlhler von Seiten der Wissenschaft oder der Publizistik dagegen erzaumlhlen koumlnnen aber noch etwas anderes macht sie viel staumlrker als unsere Narrationen Sie sind non-reflexiv bestaumltigen unsere Auffassungen von der Wirklichkeit durch ihr pures So- und Da-Sein waumlhrend die Geschichten die intentional erzaumlhlt werden zwar reflexiv sind aber gerade darum durchschaut kritisiert abgelehnt werden koumlnnen

Das taumlglich neu aufgeblaumltterte Journal aller verfuumlgbaren Dinge bildet ein selbstevidentes Universum gegen das schwerlich anerzaumlhlt werden kann vor allem weil der groumlszligte Anteil der mentalen Infrastrukturen eben gar nicht reflexiv keine Frage von Wahl und Entscheidung und gar kein Angebot ist sondern schlicht eine massiv so-seiende Welt in die man hineingeboren wird und deren Geschichte uumlber sich selbst man pausenlos mit seiner eigenen Biographie seinen Werten seinen Konsumentscheidungen seiner Karriere weitererzaumlhlt Uumlber diese Qualitaumlt der mentalen Infrastrukturen muss man sich bewusst sein wenn man sich daran machen moumlchte sie zu veraumlndern In gewisser Hinsicht sind sie zumal wenn der materielle Reichtum so groszlig und die gesellschaftliche Benutzershyoberflaumlche so attraktiv ist wie in den fruumlhindustrialisierten Gesellschaften sogar massiver als die materiellen Infrastrukturen von denen sie gepraumlgt sind

Man kann sich das etwa an der routinierten Weise klarmachen mit der wir mit den neuesten Nachrichten aus dem Umweltbereich umgehen Ein groszligarshytiges Beispiel lieferte die Wochenendausgabe der Suumlddeutschen Zeitung am 31 Juli 2010 mit einem ganzseitigen Artikel uumlber die Erfolge der Umweltbewegung die sich etwa in der Verbreitung phosphatfreier Waschmittel dem Verbot von DDT oder dem Einsatz von Katalysatoren verkoumlrpern Neben den Untergangsshyszenarien heiszligt es in dem Artikel gaumlbe es auch erfreuliche Botschaften ndash und der Untertitel verkuumlndete laquoKlare Luft saubere Fluumlsse bluumlhende Landschaften Der Mensch kann die Umwelt nicht nur zerstoumlren sondern auch schuumltzen ndash die groumlszligten Oumlko-Erfolgeraquo Solches lesend freut sich der Leser uumlber all die erzielten Fortschritte uumlbersieht dabei aber leicht dass jeder einzelne nichts anderes darstellt als eine relative Verringerung der Schaumlden die ohne Unterlass angerichtet werden So wie ein Katalysator der Umwelt nicht gut tut sondern lediglich die Schadstoffe besser filtert die ein Verbrennungsmotor produziert so uumlbersieht die Umweltkommunikation chronisch dass man bei Erfolgen ledigshylich uumlber die Verringerung von Schadensmengen spricht noch keineswegs uumlber Konservierung oder gar Restitution von natuumlrlichen Ressourcen So wie bei der jaumlhrlichen Veroumlffentlichung des Bundeshaushalts uumlbersehbar gemacht wird dass allenfalls Verringerungen im Maszlig des Schuldenanstiegs erreicht werden und keineswegs ein Ruumlckbau des Schuldenbergs so erwecken die meisten Oumlko- und Nachhaltigkeitskommunikationen den Eindruck an der systematischen Steige- M

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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rung des Raubbaus an den natuumlrlichen Ressourcen sei schon etwas veraumlndert wenn man laquonachhaltigerraquo konsumiert

Das ist keine moralische Aussage sondern eine daruumlber wie unsere mentalen Infrastrukturen funktionieren sie sind naumlmlich derart durch das Gegebene formashytiert dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben Wir verbleiben gewissermaszligen immer in der Nahsicht auf uns selbst wenn wir unsere Praktiken betrachten und die zeigt naturgemaumlszlig nie das ganze Bild

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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9 der locked-in-effekt

Nehmen wir eine der zentralen materiellen und institutionellen Infrastrukturen naumlmlich Mobilitaumlt dann laumlsst sich unsere tiefe mentale habituelle und emotishyonale Gebundenheit an die Mobilitaumltsparadigmen der Nachkriegsmoderne immerhin ausschnitthaft impressionistisch verdeutlichen ndash zum Beispiel an den Utopien der Sachwalter des laquobusiness as usualraquo In der ADAC-Motorwelt vom September 2010 schreibt Peter Voser CEO der Royal Dutch Shell uumlber die Zukunft der Mobilitaumlt das Folgende laquoFahren heute noch weniger als eine Millishyarde Kraftfahrzeuge auf den Straszligen weltweit werden es bis 2050 voraussichtshylich wenigstens zwei Milliarden sein ndash bei dann neun Milliarden Menschen [hellip] Mehr Menschen mehr Autos und mehr Wohlstand tragen zu einer steigenden Energienachfrage bei ndash allein bis 2050 koumlnnte sie sich global verdoppelnraquo Diese Perspektive ist fuumlr den Vorstandsvorsitzenden eines Mineraloumllkonzerns keine Dystopie sondern eine erfreuliche Aussicht ndash und sein Vorstellungshorizont bleibt entsprechend auch fuumlr die naumlchsten vier Jahrzehnte trotz laquopeak oilraquo Klimashyerwaumlrmung Ressourcenkonflikten an die Welt der Gegenwart gebunden Seine Utopie formuliert sich naumlmlich in einem moderaten technischen Fortschritt laquoWir werden eine staumlrkere Diversifizierung von Antrieben und Kraftstoffen bzw Energiequellen sehen Dabei werden Automobilkonzepte und die eingeshysetzten Technologien immer staumlrker vom Einsatzzweck bestimmt Stadt- und Kurzstreckenverkehr erfolgen immer staumlrker hybridisiert oder elektrifiziert uumlber Land und auf Langstrecken sind moderne Dieselfahrzeuge weiter erste Wahl Ruumlckgrat des Straszligenverkehrs ist und bleibt der klassische Verbrennungsmotor Das naumlchste und uumlbernaumlchste Neufahrzeug das sich ein Autofahrer kauft wird sich nicht grundsaumltzlich von heutiger Technologie unterscheiden Wenn kurz- bis mittelfristig Klimaerfolge erzielt werden sollen koumlnnen diese nur uumlber den Verbrennungsmotor fuumlhrenraquo (Voser 2010 S 22)

Eine solche Perspektive bedarf kaum des Kommentars ndash der Verbrennungsshymotor rettet das Klima uumlbrigens nur der Verbrennungsmotor Dies ist eine Utopie wie sie den mentalen Infrastrukturen der Industriegesellschaft auf das Genaueste entspricht Die an das Wachstum gebundenen Vorstellungshorizonte lassen sich in der Formel buumlndeln Wie jetzt nur mehr In der Tat ist die industshyrielle Moderne durch exakt jene expansiven Zukunftsstrategien gekennzeichnet wie Voser sie zeichnet Nicht nur ist die Gegenwart eine bloszlige Durchgangsstashytion auf dem Weg zu einer Welt die von allem noch mehr bereithaumllt sie bewaumllshytigt Zukunftsprobleme auch regelmaumlszligig durch expansive Strategien Wenn also das Oumll weniger wird bohrt man tiefer wenn das Wasser knapp wird entsalzt M

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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man das Meer wenn die Fischbestaumlnde schwinden faumlhrt man weiter hinaus Dass derlei Strategien wie Jared Diamond (2005) eindrucksvoll gezeigt hat exakt jenen Intensivierungen von ehemaligen Erfolgsrezepten entsprechen mit denen gescheiterte Gesellschaften ihren Weg in den Untergang beschleunigt haben soll hier nicht weiter verfolgt werden ndash wohl aber soll die mentale Infrastruktur rekonstruiert werden die in Vosers Welt fuumlhrt

Fragen des Verkehrs das zeigt nicht nur das Beispiel Voser sind in modernen Menschen tief verwurzelt Kein Mensch der in Europa aufgewachsen ist kaumlme heute mehr auf die Idee dass Dinge wie Einbahnstraszligen Zebrastreifen Autobahnen Ampeln Parkuhren usw sukzessive mit der Automobilisierung gewachsene und daher historisch aumluszligerst junge Einrichtungen unserer Lebensshywelt sind Die erste deutsche Ampel leuchtete 1924 in Berlin die ersten Zebrashystreifen wurden 1952 in Muumlnchen auf die Straszlige gemalt die ersten Parkuhren fuumlhrte Duisburg 1954 ein Gefuumlhlt sind solche Einrichtungen fuumlr heute lebende Menschen laquoschon immerraquo da schlieszliglich regeln sie unser Alltagsleben und unsere Bewegung durch oumlffentliche Raumlume so tief und mit derselben Selbstvershystaumlndlichkeit ihres Da- und So-seins wie etwa die Infrastrukturen der Abwassershyentsorgung sicherstellen dass unsere Ausscheidungen auf immer im Unsichtshybaren verschwinden oder die Stromversorgung gewaumlhrleistet dass es hell wird wenn man auf den Lichtschalter druumlckt

Nun sind die dem Auto geschuldeten Infrastrukturen gerade mal einhundert Jahre alt aber es hat sicherlich nicht viele technologische Innovationen in der Moderne gegeben die so tief nicht nur ins Bewusstsein sondern auch in Verhalshytensnormen in den Lebensstil kurz in den Habitus eingelassen sind wie alles was mit dem Auto zu tun hat Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des automobilen Verkehrs (Sachs 1991) wie es innerhalb kurzer Zeit dem Rest der oumlffentlichen Bewegung den vergleichsweise langsamen Fuszliggaumlngern Pferde-fuhrwerken Fahrraumldern die Regeln diktiert Kinder koumlnnen nicht mehr auf den Straszligen spielen auf denen Automobilisten heranbrausen Fuhrwerke nicht die Spuren blockieren und dass Fahrrad- und Autofahrer natuumlrliche Feinde sind hat sich erst wieder mit der Renaissance des Fahrrads herausgestellt uumlber Jahrzehnte war das Fahrrad und sein Fahrer rettungslos unterlegen in Ruhrgeshybietsstaumldten auch heute noch auf Gehwege verbannt sofern man sich nicht in suizidalen Anwandlungen damit auf eine jener unendlich vielen vierspurigen Straszligen wagt die diese gestrige Region bis in alle Stadtkerne hinein durchziehen In Indien und China verschwinden gerade die Fahrraumlder und Rikschas von den Straszligen ndash sie behindern den automobilen Verkehr gerade so wie seinerzeit in Europa die Pferdefuhrwerke An solchen Phaumlnomenen kann man sehen dass es oft ein einziges Strukturelement ist das einen infrastrukturellen Totalumbau hervorruft Alle modernen Verkehrs- und Siedlungs- und Konsumstrukturen sind um das Auto herum gebaut Der in der Nachkriegsmoderne sich wie ein Bakteshyrienstamm ausbreitende Automobilismus okkupiert die gesamte Figuration der oumlffentlichen Bewegung

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Die Beispiele lieszligen sich beliebig vermehren Man kann die Wachstumsraten im Flugverkehr oder das kontinuierliche Anwachsen der internationalen Waren-stroumlme nehmen ndash uumlberall zeigt sich derselbe Befund Steigerung des Ressourcenshyaufwands Anwachsen von Mobilitaumlt vermehrter Landschaftsverbrauch erhoumlhte Emissionen Und kein Plan B

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Die Nachricht ist nicht neu Wir befinden uns am Ende eines 200 Jahre lang extrem erfolgreichen Lebens- und Wirtschaftsmodells das unter alten Bedinshygungen ganz praumlchtig funktioniert hat Diese alten Bedingungen existieren nicht mehr

Die alten Bedingungen das war die Verfuumlgbarkeit eines ganzen Planeten fuumlr einen kleinen Teil der Menschheit und seine Wirtschaftsform Mit Hilfe von Ressourcen aus aller Welt konnten die Industriestaaten eine phantastische Zivilishysationsmaschine betreiben eine Maschine die mit fossilen Energien laumluft und Gesundheits- und Versorgungssysteme sozialen Frieden Sicherheit Bildung Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit hervorbringt Dass diese Maschine unser Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen wuumlrde hat kaum jemand geahnt und wollen bis heute die wenigsten houmlren Etwas anderes schon Diese Form des Wirtschaftens das immer ein Auszligen braucht aus dem es Ressourcen bezieht implodiert in dem Augenblick in dem sie sich globalisiert

Denn der globalisierten Welt die dem Prinzip der grenzenlosen Ressourshycennutzung folgt schwindet das Auszligen aus dem sie den noumltigen Treibstoff beziehen koumlnnte Je mehr Gesellschaften der kapitalistischen Wirtschaftskultur und den mit ihr verbundenen Leitbildern des Verbrauchs folgen desto kleiner werden die Raumlume zur problemlosen Ressourcenentnahme ndash deshalb waumlchst die internationale Konkurrenz um die Rohstoffe und ihre Transportwege deshalb wird tiefer und gefaumlhrlicher nach Oumll gebohrt Aber immer noch sind nur Teile der Welt laquoglobalisiertraquo ein erheblicher Rest lebt in vormoderner Armut und dient den laquoglobalisiertenraquo Laumlndern als laquoAuszligenraquo Aber die Gegenwart der Globalisierten konsumiert nicht mehr nur die Gegenwart der Marginalisierten (Sachs und Santarius 2007) ndash die Ausbeutung des Planeten verlagert sich zunehmend vom Raum in die Zeit Es ist die Zukunft derjenigen die heute Kinder oder Jugendliche sind oder noch gar nicht geboren an der Raubbau betrieben wird (Koschorke 2008) Die Gegenwart konsumiert die Zukunft Hier kommt das Prinzip des sich selbst uumlberschreitenden Wachstums final zu sich selbst Das wird an der Staatsshyverschuldung ebenso deutlich wie an der Verwahrlosung mancher Schulen und Universitaumlten und an der unablaumlssigen Kreditaufnahme bei der Umwelt Zu der zaumlhlt die Uumlberfischung der Meere genauso wie die Uumlberladung der Atmosphaumlre mit CO2 oder die Uumlberduumlngung der Boumlden Fuumlr alle diese Kredite haben nicht wir heute geradezustehen sondern die denen morgen die Reste uumlbrig bleiben

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Die Herrschaft der Gegenwart uumlber die Zukunft ist der kapitalistischen Wirtschaftsform wie gezeigt inhaumlrent Der historische Abriss zur Entstehung jener mentalen Infrastrukturen die die Gegenwart praumlgen hat gezeigt dass die erste industrielle Revolution sich nicht im Modus des Technologischen oder des Oumlkonomischen allein vollzogen hat Sie ging einher mit der Entstehung eines ganz neuen Typs von Individuum mit einem zuvor gaumlnzlich unbekannten Sozialshytypus des Gestalters seiner eigenen Biographie Und sie ging deshalb einher mit gaumlnzlich neuen individuellen und politischen Assoziationsformen mit neuen Zeitregimen mit neuen Waren neuen Kommunikationsformen neuen Denkformen

Damit wird deutlich dass der Totalumbau von der carbonen zur postcarshybonen Gesellschaft ein Projekt ist das von seiner Eindringtiefe in die Lebensshywelten und kulturellen Praktiken her gigantisch ist Die an der industriellen Moderne gebildeten Konzepte von Wachstum Mobilitaumlt Fortschritt etc haben sich in die kleinsten Nischen unserer Lebenswelt eingenistet und stellen einen festen Bestandteil unseres mentalen und emotionalen Haushalts dar

Dies ist exakt der Punkt an dem Aufklaumlrung an ihre Grenze stoumlszligt und immer gestoszligen ist Sie erreicht naumlmlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientieshyrungsapparats der weitaus groumlszligere Teil unserer Orientierungen der wie gesagt uumlber Routinen Deutungsmuster und unbewusste Referenzen ndash kurz uumlber den Habitus ndash organisiert ist bleibt davon voumlllig unbeschadet

Deshalb ist die Geschichte die man gegen den Status quo setzen koumlnnte grundsaumltzlich ganz unvollstaumlndig und unrettbar hilflos wenn sie die Geschichten die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzaumlhlen ignorieren zu koumlnnen glaubt Die Geschichte die die Aufklaumlrung erzaumlhlt setzt auf der intentishyonalen und leider auch moralischen Ebene an und hat die wenig uumlberzeugende Botschaft mitzuteilen dass das Leben zwar weniger lustvoll aber fuumlr kuumlnftige Generationen aussichtsreicher waumlre wenn man es veraumlnderte Deshalb kann man noch so viele laquoGrenzen des Wachstumsraquo schreiben und sich wundern dass die Entwicklung moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht wechselt weil wir uns in einer Geschichte befinden die uns in den Begriffen von Fortschritt Unendlichkeit und Wachstum konstruiert Bevor wir etwas gegen diese Geschichte einwenden koumlnnen hat sie uns immer schon erzaumlhlt

Vor diesem Hintergrund moumlge bitte niemand so naiv sein zu glauben so etwas wie eine laquoDritte industrielle Revolutionraquo kaumlme damit hin hier ein bisschen Technologie und dort ein bisschen Steueranreize zu veraumlndern Das Projekt um das es heute geht ist ein wenig groumlszliger und nicht anders als im 18 und 19 Jahrhundert wird es vieles mit sich bringen was heute noch gar nicht antizishypierbar ist Planungsstaumlbe in Ministerien jedenfalls sind mit der Gestaltung solcher Zukunft ebenso uumlberfordert wie die Vorstaumlnde von Konzernen und seien sie auch noch so maumlchtig Sie alle operieren im Modus eines auslaufenden Fortschrittsmodells In diesem Modus macht man keine Revolution nicht mal eine Evolution ndash man bewegt sich nur weiter in die falsche Richtung M

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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literatur

Bundesministerium fuumlr Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (Hg) (2008) Die Dritte Industrielle Revolution ndash Aufbruch in ein oumlkologisches Jahrhundert Dimensionen und Herausforderungen des industriellen und gesellschaftlichen Wandels Berlin

Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (1988) Biographisierung von Erleben und Handeln in dies (Hg) Vom Ende des Individuums zur Individualitaumlt ohne Ende Opladen S 11-30

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litaumlt und Medien um 1900 FrankfurtM Houmllscher Lucian (2010) Ist die Zukunft schon voruumlber Berliner Republik 52010 S 22-26 Huumlther Gerald (2001) Bedienungsanleitung fuumlr ein menschliches Gehirn Goumlttingen Imhof Arthur E (1984) Die Verlorenen Welten Alltagsbewaumlltigung durch unsere Vorfahren ndash

Und weshalb wir uns heute so schwer damit tun Muumlnchen Jackson Tim (2011) Wohlstand ohne Wachstum Muumlnchen Keupp HeinerKraus Wolfgang ua (1999) Identitaumltskonstruktionen Das Patchwork der

Identitaumlt in der Spaumltmoderne Reinbek Kohli Martin (1988) Normalbiographie und Individualitaumlt Zur institutionellen Dynamik des

gegenwaumlrtigen Lebenslaufregimes in Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (Hg) aaO S 33-53

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tern und Unternehmern im Nationalsozialismus in Assmann AleidaHiddemann Frank Schwarzenberger Eckhard (Hg) Firma Topf amp Soumlhne Hersteller der Oumlfen fuumlr Auschwitz ein Fabrikgelaumlnde als Erinnerungsort FrankfurtMain S 123-138

Markowitsch Hans JWelzer Harald (2005) Das autobiographische Gedaumlchtnis Hirnorganishysche Grundlagen und biosoziale Entwicklung Stuttgart

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Muumlnchen Paech Niko (2011) Vom gruumlnen Wachstumsmythos zur Postwachstumsoumlkonomie in Welzer

HaraldWiegandt Klaus (Hg) Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung ndash Wie sieht die Welt im Jahr 2050 aus FrankfurtMain (im Erscheinen)

Rosa Hartmut (2005) Beschleunigung Die Veraumlnderung der Zeitstrukturen in der Moderne FrankfurtMain

Rosa Hartmut (2009) Zeitforscher fuumlrchtet Entrhythmisierung der Woche Hartmut Rosa im Gespraumlch mit Joachim Scholl Interview Deutschlandradio Kultur 2692009 httpwww dradiodedkultursendungenthema986480

Sachs WolfgangSantarius Tilman (2007) Fair Future Resource Conflicts Security and Global Justice London

Sachs Wolfgang (2009) Sozialer Zusammenhalt ohne Wachstum Unv Ms Sachs Wolfgang (1991) Die Liebe zum Automobil Ein Ruumlckblick in die Geschichte unserer

Wuumlnsche Reinbek Schivelbusch Wolfgang (2004) Geschichte der Eisenbahnreise Zur Industrialisierung von Raum

und Zeit im 19 Jahrhundert FrankfurtM (zuerst 1977) Seidl IrmiZahrnt Angelika (Hg) (2010) Postwachstumsgesellschaft Konzepte fuumlr die Zukunft

Marburg

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Umwelt und Entwicklung 22010 S 3-4 Thompson Edward P (1987) Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse FrankfurtMain Tomasello Michael (2002) Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens Zur Evolushy

tion der Kognition FrankfurtMain Ullrich Wolfgang (2006) Habenwollen Wie funktioniert die Konsumkultur FrankfurtMain Veblen Thorstein (2007) Theorie der feinen Leute Eine oumlkonomische Untersuchung der Institushy

tionen FrankfurtM (zuerst 1899) Vogl Joseph (2009) Poetik des oumlkonomischen Menschen Metamorphosen des Subjekts in der

Moderne Literaturkritikde Nr 5 Vogl Joseph (2008) Kalkuumll und Leidenschaft Poetik des oumlkonomischen Menschen Zuumlrich Voser Peter (2010) Mobilitaumlt Ein Koumlnigsweg ist noch nicht gefunden ADAC-Motorwelt

92010 S 22 Weber Max (2006) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus Muumlnchen (zuerst

1904) Weiding Rudi (ua Redaktion) (1986) Soziale Triebkraumlfte oumlkonomischen Wachstums 4 Kongreszlig

der marxistisch-leninistischen Soziologie Berlin

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Der Habitus die Gefuumlhle und die Denkformen des oumlkonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen veraumlndert die Aufklaumlrer entworfen und gefordert haben sondern durch die oumlkonomische industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden buumlrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Wollte man also etwas an den mentalen Infrastrukturen veraumlndern muumlsste man die Praxis selbst veraumlndern die eben das Bewusstsein so nachhaltig und tief praumlgt dass man sogar wie Autoliebhaber stolz sagen laquoBenzin im Blutraquo haben kann Das bedeutet Wir brauchen Produkte die uns in anderen Formaten erzaumlhlen aber wir brauchen auch eine Geschichte die wir uumlber uns selbst erzaumlhlen koumlnnen ndash und zwar aus der Perspektive einer moumlglichen Zukunft Wer moumlchte man einmal gewesen sein Wie moumlchte man die Welt eingerichtet und hintershylassen haben Geschichten daruumlber erzaumlhlt die Gegenwartsgesellschaft nicht sie moumlchte einfach nur wieder so sein wie fruumlher und blickt zugleich furchtsam auf die geopolitischen Machtverschiebungen und die kommenden oumlkologischen Katastrophen die ihr daumlmmern lassen dass die Zukunft nicht mehr wie in den letzten 200 Jahren besser sein wird als die Gegenwart sondern schlechter Daruumlber kann man keine Geschichte erzaumlhlen Deshalb sind die Sachwalter des laquoWeiter soraquo die Fortschrittsapologeten und Zukunftsverhinderer vom Typ Voser Groszligmann Ackermann so stark Sie haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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Bundesministerium fuumlr Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (Hg) (2008) Die Dritte Industrielle Revolution ndash Aufbruch in ein oumlkologisches Jahrhundert Dimensionen und Herausforderungen des industriellen und gesellschaftlichen Wandels Berlin

Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (1988) Biographisierung von Erleben und Handeln in dies (Hg) Vom Ende des Individuums zur Individualitaumlt ohne Ende Opladen S 11-30

Diamond Jared (2005) Kollaps FrankfurtMain Elias Norbert (1969) Uumlber den Prozess der Zivilisation 2 Bde BernMuumlnchen (zuerst 1939) Hagner Michael (2010) Der Hauslehrer Die Geschichte eines Kriminalfalls Erziehung Sexuashy

litaumlt und Medien um 1900 FrankfurtM Houmllscher Lucian (2010) Ist die Zukunft schon voruumlber Berliner Republik 52010 S 22-26 Huumlther Gerald (2001) Bedienungsanleitung fuumlr ein menschliches Gehirn Goumlttingen Imhof Arthur E (1984) Die Verlorenen Welten Alltagsbewaumlltigung durch unsere Vorfahren ndash

Und weshalb wir uns heute so schwer damit tun Muumlnchen Jackson Tim (2011) Wohlstand ohne Wachstum Muumlnchen Keupp HeinerKraus Wolfgang ua (1999) Identitaumltskonstruktionen Das Patchwork der

Identitaumlt in der Spaumltmoderne Reinbek Kohli Martin (1988) Normalbiographie und Individualitaumlt Zur institutionellen Dynamik des

gegenwaumlrtigen Lebenslaufregimes in Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (Hg) aaO S 33-53

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Markowitsch Hans JWelzer Harald (2005) Das autobiographische Gedaumlchtnis Hirnorganishysche Grundlagen und biosoziale Entwicklung Stuttgart

Marx Karl (2008) Das Kapital Bd1 Der Produktionsprozess des Kapitals hg v Rosa-Luxemshyburg-Stiftung Berlin (zuerst 1867)

Miegel Meinhard (2010) Exit Wohlstand ohne Wachstum Berlin Moumlnnich Horst (1951) Die Autostadt Muumlnchen Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts

Muumlnchen Paech Niko (2011) Vom gruumlnen Wachstumsmythos zur Postwachstumsoumlkonomie in Welzer

HaraldWiegandt Klaus (Hg) Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung ndash Wie sieht die Welt im Jahr 2050 aus FrankfurtMain (im Erscheinen)

Rosa Hartmut (2005) Beschleunigung Die Veraumlnderung der Zeitstrukturen in der Moderne FrankfurtMain

Rosa Hartmut (2009) Zeitforscher fuumlrchtet Entrhythmisierung der Woche Hartmut Rosa im Gespraumlch mit Joachim Scholl Interview Deutschlandradio Kultur 2692009 httpwww dradiodedkultursendungenthema986480

Sachs WolfgangSantarius Tilman (2007) Fair Future Resource Conflicts Security and Global Justice London

Sachs Wolfgang (2009) Sozialer Zusammenhalt ohne Wachstum Unv Ms Sachs Wolfgang (1991) Die Liebe zum Automobil Ein Ruumlckblick in die Geschichte unserer

Wuumlnsche Reinbek Schivelbusch Wolfgang (2004) Geschichte der Eisenbahnreise Zur Industrialisierung von Raum

und Zeit im 19 Jahrhundert FrankfurtM (zuerst 1977) Seidl IrmiZahrnt Angelika (Hg) (2010) Postwachstumsgesellschaft Konzepte fuumlr die Zukunft

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Simmel Georg (2009) Philosophie des Geldes Koumlln (zuerst 1907) Shore Bradd (1996) Culture in Mind Cognition Culture and the Problem of Meaning New

York Sommer BerndWelzer Harald (2010) Der Traum vom laquoGruumlnen Wachstumraquo Rundbrief Forum

Umwelt und Entwicklung 22010 S 3-4 Thompson Edward P (1987) Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse FrankfurtMain Tomasello Michael (2002) Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens Zur Evolushy

tion der Kognition FrankfurtMain Ullrich Wolfgang (2006) Habenwollen Wie funktioniert die Konsumkultur FrankfurtMain Veblen Thorstein (2007) Theorie der feinen Leute Eine oumlkonomische Untersuchung der Institushy

tionen FrankfurtM (zuerst 1899) Vogl Joseph (2009) Poetik des oumlkonomischen Menschen Metamorphosen des Subjekts in der

Moderne Literaturkritikde Nr 5 Vogl Joseph (2008) Kalkuumll und Leidenschaft Poetik des oumlkonomischen Menschen Zuumlrich Voser Peter (2010) Mobilitaumlt Ein Koumlnigsweg ist noch nicht gefunden ADAC-Motorwelt

92010 S 22 Weber Max (2006) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus Muumlnchen (zuerst

1904) Weiding Rudi (ua Redaktion) (1986) Soziale Triebkraumlfte oumlkonomischen Wachstums 4 Kongreszlig

der marxistisch-leninistischen Soziologie Berlin

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Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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11 Wie moumlchten wir gelebt haben

Diejenigen die besorgt um die Zukunft sind und sich uumlber eine Postwachsshytumsgesellschaft eine postcarbone Gesellschaft eine nachhaltige Gesellschaft Gedanken machen erzaumlhlen nur eine negative Geschichte Wenn wir nicht sofort so faumlngt die immer an dies oder jenes tun dann geht die Welt unter dann kommt die Katastrophe Immer und seit 40 Jahren schon steht die Uhr auf laquo5 vor 12raquo und niemandem faumlllt auf dass dieser Typ Kommunikation keine identishytaumlre Geschichte erzaumlhlen kann sondern sich nur einspielt in eine Medienkultur der die Katastrophe ohnehin das taumlgliche Geschaumlft ist Das laquobusiness as usualraquo seine materiellen institutionellen und mentalen Infrastrukturen haben eine ungeheure Traumlgheit und gegen die Attraktionen und Verlockungen der Konsumshygesellschaft kann man mit negativen Geschichten ohnehin nicht anerzaumlhlen Und auch nicht mit technoiden Hilfskonstruktionen wie laquocarbon footprintraquo laquovirtuellem Wasserraquo laquooumlkologischem Rucksackraquo ndash all das ist lebensweltlich nicht anschlussfaumlhig sondern bleibt viel zu abstrakt um die mentalen Infrastrukturen auch nur zu tangieren

Woran es fehlt ist eine Vision die emotional und identitaumltstraumlchtig ist eine Formulierung der Frage wie man im Jahr 2025 eigentlich leben moumlchte Wohlgeshymerkt schon allein das Stellen dieser Frage wuumlrde den Horizont gegenuumlber der politischen Kultur der vorgeblichen laquoAlternativlosigkeitraquo und der Wachstumsrelishygion erheblich weiten ndash denn schnell wuumlrde ja klar werden dass Wachstum nicht die Antwort auf diese Frage sein kann

Die Suchbewegung zur Beantwortung dieser Frage muumlsste vielmehr ganz andere scheinbar antiquierte Kategorien als Orientierungsmarken nehmen Kategorien wie Verantwortung Gerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit gutes Leben Solche Kategorien haben naumlmlich Entsprechungen in der Lebenswelt der Menschen Dass man Verantwortung traumlgt fuumlr andere ist eine basale Erfahrung jener die innerhalb von sozialen Beziehungen groszlig geworden sind und leben ndash und das sind alle Menschen Dass es ein fundamentales Gefuumlhl fuumlr Fairness und Gerechtigkeit gibt belegen die laquobehavioral economicsraquo genauso wie die Sozialshypsychologie Menschen die Kinder haben kennen auch ein gelebtes Gefuumlhl von Generationengerechtigkeit Zukunftsfaumlhigkeit ist etwas nach dem wir alle streben Bedingungen herzustellen mit denen es sich auch in einer offenen Zukunft erwartbar gut leben laumlsst Und das gute Leben oumlffnet exakt den Frageho-

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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literatur

Bundesministerium fuumlr Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (Hg) (2008) Die Dritte Industrielle Revolution ndash Aufbruch in ein oumlkologisches Jahrhundert Dimensionen und Herausforderungen des industriellen und gesellschaftlichen Wandels Berlin

Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (1988) Biographisierung von Erleben und Handeln in dies (Hg) Vom Ende des Individuums zur Individualitaumlt ohne Ende Opladen S 11-30

Diamond Jared (2005) Kollaps FrankfurtMain Elias Norbert (1969) Uumlber den Prozess der Zivilisation 2 Bde BernMuumlnchen (zuerst 1939) Hagner Michael (2010) Der Hauslehrer Die Geschichte eines Kriminalfalls Erziehung Sexuashy

litaumlt und Medien um 1900 FrankfurtM Houmllscher Lucian (2010) Ist die Zukunft schon voruumlber Berliner Republik 52010 S 22-26 Huumlther Gerald (2001) Bedienungsanleitung fuumlr ein menschliches Gehirn Goumlttingen Imhof Arthur E (1984) Die Verlorenen Welten Alltagsbewaumlltigung durch unsere Vorfahren ndash

Und weshalb wir uns heute so schwer damit tun Muumlnchen Jackson Tim (2011) Wohlstand ohne Wachstum Muumlnchen Keupp HeinerKraus Wolfgang ua (1999) Identitaumltskonstruktionen Das Patchwork der

Identitaumlt in der Spaumltmoderne Reinbek Kohli Martin (1988) Normalbiographie und Individualitaumlt Zur institutionellen Dynamik des

gegenwaumlrtigen Lebenslaufregimes in Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (Hg) aaO S 33-53

Koschorke Albrecht (2008) Spiel mit der Zukunft Suumlddeutsche Zeitung 30102008 Laplanche JeanPontalis Jean B (1973) Das Vokabular der Psychoanalyse FrankfurtM Luumldtke Alf (2002) laquoDeutsche Qualitaumltsarbeitraquo ndash ihre Bedeutung fuumlr das Mitmachen von Arbeishy

tern und Unternehmern im Nationalsozialismus in Assmann AleidaHiddemann Frank Schwarzenberger Eckhard (Hg) Firma Topf amp Soumlhne Hersteller der Oumlfen fuumlr Auschwitz ein Fabrikgelaumlnde als Erinnerungsort FrankfurtMain S 123-138

Markowitsch Hans JWelzer Harald (2005) Das autobiographische Gedaumlchtnis Hirnorganishysche Grundlagen und biosoziale Entwicklung Stuttgart

Marx Karl (2008) Das Kapital Bd1 Der Produktionsprozess des Kapitals hg v Rosa-Luxemshyburg-Stiftung Berlin (zuerst 1867)

Miegel Meinhard (2010) Exit Wohlstand ohne Wachstum Berlin Moumlnnich Horst (1951) Die Autostadt Muumlnchen Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts

Muumlnchen Paech Niko (2011) Vom gruumlnen Wachstumsmythos zur Postwachstumsoumlkonomie in Welzer

HaraldWiegandt Klaus (Hg) Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung ndash Wie sieht die Welt im Jahr 2050 aus FrankfurtMain (im Erscheinen)

Rosa Hartmut (2005) Beschleunigung Die Veraumlnderung der Zeitstrukturen in der Moderne FrankfurtMain

Rosa Hartmut (2009) Zeitforscher fuumlrchtet Entrhythmisierung der Woche Hartmut Rosa im Gespraumlch mit Joachim Scholl Interview Deutschlandradio Kultur 2692009 httpwww dradiodedkultursendungenthema986480

Sachs WolfgangSantarius Tilman (2007) Fair Future Resource Conflicts Security and Global Justice London

Sachs Wolfgang (2009) Sozialer Zusammenhalt ohne Wachstum Unv Ms Sachs Wolfgang (1991) Die Liebe zum Automobil Ein Ruumlckblick in die Geschichte unserer

Wuumlnsche Reinbek Schivelbusch Wolfgang (2004) Geschichte der Eisenbahnreise Zur Industrialisierung von Raum

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Simmel Georg (2009) Philosophie des Geldes Koumlln (zuerst 1907) Shore Bradd (1996) Culture in Mind Cognition Culture and the Problem of Meaning New

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tion der Kognition FrankfurtMain Ullrich Wolfgang (2006) Habenwollen Wie funktioniert die Konsumkultur FrankfurtMain Veblen Thorstein (2007) Theorie der feinen Leute Eine oumlkonomische Untersuchung der Institushy

tionen FrankfurtM (zuerst 1899) Vogl Joseph (2009) Poetik des oumlkonomischen Menschen Metamorphosen des Subjekts in der

Moderne Literaturkritikde Nr 5 Vogl Joseph (2008) Kalkuumll und Leidenschaft Poetik des oumlkonomischen Menschen Zuumlrich Voser Peter (2010) Mobilitaumlt Ein Koumlnigsweg ist noch nicht gefunden ADAC-Motorwelt

92010 S 22 Weber Max (2006) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus Muumlnchen (zuerst

1904) Weiding Rudi (ua Redaktion) (1986) Soziale Triebkraumlfte oumlkonomischen Wachstums 4 Kongreszlig

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Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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rizont fuumlr die Suchbewegung der naumlchsten ein zwei Jahrzehnte Denn das gute Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht ndash sie zerstoumlrt es

Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt ndash genau deshalb koumlnnen Politiker unwidersprochen behaupten diese oder jene Entscheidung sei laquoaltershynativlosraquo obwohl doch das Suchen und Abwaumlgen von Alternativen das zentrale Wesensmerkmal von Demokratie ist Erst wenn ich weiszlig wohin ein Weg fuumlhren soll kann ich uumlber die Richtung befinden die einzuschlagen ist Darum aber auch um den Zukunftsverhinderern des laquobusiness as usualraquo ein Konzept entgeshygenzustellen muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden Das kann nicht die des 20 Jahrhunderts sein Die Menschheitsbegluumlckungsshyutopien vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit vor Augen gefuumlhrt dass Totalitarismen immer toumldlich enden die Suchbewegung des 21 Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilitaumlt Fehlerfreundlichkeit Kleinraumlumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein

Ihr Utopisches ist kleinteilig nicht groszligraumlumig aber gerade darum kann es wie viele unmittelbar wirklichkeitsveraumlndernde Praxisprojekte zeigen sofort in Wirklichkeit transformiert werden Da gerade die reichen und freien Gesellschaften ihren Mitgliedern auszligerordentlich groszlige Handlungsspielshyraumlume offerieren braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen er erforshydert keinerlei Wartezeit darauf bis irgendwo ein transnationales Abkommen geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehoumlrde eingerichtet ist Das geht einfach so mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt einem der den Ruumlckbau von Groszligkategorien und Groszligstrategien immer schon mitdenkt weil er sich an Kleinteiligkeit orientiert

Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Untershynehmen Initiativen und Projekte die Teile der Wirklichkeit veraumlndern und damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben Eine autofreie Stadt wie Hasselt erzaumlhlt genauso eine Geschichte uumlber die Moumlglichkeit einer anderen Praxis von Mobilitaumlt wie der in eine Fuszliggaumlngerzone verwandelte Broadway in New York Ein Textilunternehmen das laquocradle to cradleraquo produziert dokumentiert das Existieren anderer Moumlglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti die flaumlchendeshyckende Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in Bangladesch ndash ein Projekt das soziale oumlkonomische und oumlkologische Vorteile kombiniert Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt ist eine umschlieszligende politische Programmatik die deutlich macht dass man es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu tun hat Alle Projekte bilden schon Zukunft aber eben nicht als bloszlige Entwuumlrfe sondern als gelebte Beispiele Das politische Problem dieser gelebten Zukunft ist einstweilen ihre Partikularitaumlt ihre Kleinteiligkeit die sie als gesellschaftliche Gegenkraft bislang so unscheinbar macht

Das ist uumlbrigens der Unterschied zum laquoApolloraquo-Projekt der Nachhaltigkeit uumlber das gelegentlich nachgedacht wird ein Projekt der Umsteuerung das mit derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird wie

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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die Landung auf dem Mond in den 1960er-Jahren Das klingt nach gemeinsamer Anstrengung nach Identitaumlt und dem erfolgreichen Umwerfen des Ruders zuruumlck in die richtige Richtung aber es beruht auf einem Denkfehler Das laquoApolloraquoshyProjekt hatte deshalb identifikatorische Kraft weil es dem Fortschrittsimperativ der industriellen Moderne entsprach und der war eben in den 1960er-Jahren noch ganz ungebrochen Diese laquoApolloraquo-Projekte finden in der Gegenwart leider dauernd statt Sie heiszligen laquoAusbau des Frankfurter Flughafensraquo laquoShanghairaquo oder laquoCarbon Capture and Storageraquo wenn es ganz dumm kommt heiszligen sie auch laquoGeo-Engineeringraquo Projekte dieses Typs sind nicht zukunftsfaumlhig sie koumlnnen deshalb auch kein Paradigma des Umsteuerns bilden weil sie dem industriegeshysellschaftlichen Fortschrittsbegriff verhaftet sind

Zum Schluss wird klar Die Transformation zur Post-Wachstumsgesellschaft ist kein Projekt das Oumlkonomie und Technologie bewaumlltigen koumlnnten Beide sind nur so klug oder so dumm wie die politische Figuration in der sie wirksam werden Der notwendigen Transformation fehlt es einstweilen an Leitvorstellungen wie sie die fruumlhindustrialisierten Gesellschaften in den Kategorien Fortschritt Freiheit Wohlstand und eben im Wachstum hatten Die Etablierung neuer mentaler Infrastrukturen kommt nicht ohne neue Leitvorstellungen aus aber wenn diese sich eben nicht quasi-natuumlrlich in die Alltagsvollzuumlge und Lebensshystile in die Selbstkonzepte und Zukunftshorizonte einschreiben bleiben sie nur das Vorstellungen

Man wird sehen ob die erwaumlhnten kleinteiligen Praxisformen genuumlgend Anschaulichkeit und Attraktivitaumlt entfalten koumlnnen um sie zu Treibern der notwendigen gesellschaftlichen Transformation werden zu lassen Immerhin haben sie nicht nur den Charme dass man sofort aumlhnliche Projekte starten kann sie sind auch identitaumltskonkret formulieren ein praktisches laquoWirraquo sind schwer zu vereinnahmen und fuumlhren das Umsteuern nicht in Gestalt von Szenashyrien sondern als gelebte Praxis vor Ihnen freilich fehlt im Augenblick noch die Qualitaumlt der Gegengeschichte und sie sind unpolitisch Sie formulieren in der Regel ein partikulares Anliegen besseres Gemuumlse oder besseren Strom zu erzeugen gegen Groszligprojekte wie neue Flughaumlfen oder gegen die zukunftsvershyhindernden Strategien der Energiekonzerne

Aber erst wenn sich der Protest gegen das Fliegen und nicht gegen die Flughaumlfen wenden wuumlrde wuumlrde er politisch werden und eine handfeste Intershyvention gegen die gegebenen materiellen institutionellen und mentalen Infrashystrukturen Es geht um Exit-Strategien aus dem Wachstum nicht um das Konsershyvieren einer kulturellen Praxis die ihre eigenen Uumlberlebensbedingungen untershyminiert Und solche Strategien werden sich nicht in den unseligen Koalitionen zwischen laquoExpertenraquo und laquoder Politikraquo entwickeln lassen Die Erfindung einer Gesellschaft nach dem Wachstum ist ein zivilgesellschaftliches Projekt dessen Umsetzung man an niemanden delegieren kann

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literatur

Bundesministerium fuumlr Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (Hg) (2008) Die Dritte Industrielle Revolution ndash Aufbruch in ein oumlkologisches Jahrhundert Dimensionen und Herausforderungen des industriellen und gesellschaftlichen Wandels Berlin

Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (1988) Biographisierung von Erleben und Handeln in dies (Hg) Vom Ende des Individuums zur Individualitaumlt ohne Ende Opladen S 11-30

Diamond Jared (2005) Kollaps FrankfurtMain Elias Norbert (1969) Uumlber den Prozess der Zivilisation 2 Bde BernMuumlnchen (zuerst 1939) Hagner Michael (2010) Der Hauslehrer Die Geschichte eines Kriminalfalls Erziehung Sexuashy

litaumlt und Medien um 1900 FrankfurtM Houmllscher Lucian (2010) Ist die Zukunft schon voruumlber Berliner Republik 52010 S 22-26 Huumlther Gerald (2001) Bedienungsanleitung fuumlr ein menschliches Gehirn Goumlttingen Imhof Arthur E (1984) Die Verlorenen Welten Alltagsbewaumlltigung durch unsere Vorfahren ndash

Und weshalb wir uns heute so schwer damit tun Muumlnchen Jackson Tim (2011) Wohlstand ohne Wachstum Muumlnchen Keupp HeinerKraus Wolfgang ua (1999) Identitaumltskonstruktionen Das Patchwork der

Identitaumlt in der Spaumltmoderne Reinbek Kohli Martin (1988) Normalbiographie und Individualitaumlt Zur institutionellen Dynamik des

gegenwaumlrtigen Lebenslaufregimes in Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (Hg) aaO S 33-53

Koschorke Albrecht (2008) Spiel mit der Zukunft Suumlddeutsche Zeitung 30102008 Laplanche JeanPontalis Jean B (1973) Das Vokabular der Psychoanalyse FrankfurtM Luumldtke Alf (2002) laquoDeutsche Qualitaumltsarbeitraquo ndash ihre Bedeutung fuumlr das Mitmachen von Arbeishy

tern und Unternehmern im Nationalsozialismus in Assmann AleidaHiddemann Frank Schwarzenberger Eckhard (Hg) Firma Topf amp Soumlhne Hersteller der Oumlfen fuumlr Auschwitz ein Fabrikgelaumlnde als Erinnerungsort FrankfurtMain S 123-138

Markowitsch Hans JWelzer Harald (2005) Das autobiographische Gedaumlchtnis Hirnorganishysche Grundlagen und biosoziale Entwicklung Stuttgart

Marx Karl (2008) Das Kapital Bd1 Der Produktionsprozess des Kapitals hg v Rosa-Luxemshyburg-Stiftung Berlin (zuerst 1867)

Miegel Meinhard (2010) Exit Wohlstand ohne Wachstum Berlin Moumlnnich Horst (1951) Die Autostadt Muumlnchen Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts

Muumlnchen Paech Niko (2011) Vom gruumlnen Wachstumsmythos zur Postwachstumsoumlkonomie in Welzer

HaraldWiegandt Klaus (Hg) Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung ndash Wie sieht die Welt im Jahr 2050 aus FrankfurtMain (im Erscheinen)

Rosa Hartmut (2005) Beschleunigung Die Veraumlnderung der Zeitstrukturen in der Moderne FrankfurtMain

Rosa Hartmut (2009) Zeitforscher fuumlrchtet Entrhythmisierung der Woche Hartmut Rosa im Gespraumlch mit Joachim Scholl Interview Deutschlandradio Kultur 2692009 httpwww dradiodedkultursendungenthema986480

Sachs WolfgangSantarius Tilman (2007) Fair Future Resource Conflicts Security and Global Justice London

Sachs Wolfgang (2009) Sozialer Zusammenhalt ohne Wachstum Unv Ms Sachs Wolfgang (1991) Die Liebe zum Automobil Ein Ruumlckblick in die Geschichte unserer

Wuumlnsche Reinbek Schivelbusch Wolfgang (2004) Geschichte der Eisenbahnreise Zur Industrialisierung von Raum

und Zeit im 19 Jahrhundert FrankfurtM (zuerst 1977) Seidl IrmiZahrnt Angelika (Hg) (2010) Postwachstumsgesellschaft Konzepte fuumlr die Zukunft

Marburg

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Simmel Georg (2009) Philosophie des Geldes Koumlln (zuerst 1907) Shore Bradd (1996) Culture in Mind Cognition Culture and the Problem of Meaning New

York Sommer BerndWelzer Harald (2010) Der Traum vom laquoGruumlnen Wachstumraquo Rundbrief Forum

Umwelt und Entwicklung 22010 S 3-4 Thompson Edward P (1987) Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse FrankfurtMain Tomasello Michael (2002) Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens Zur Evolushy

tion der Kognition FrankfurtMain Ullrich Wolfgang (2006) Habenwollen Wie funktioniert die Konsumkultur FrankfurtMain Veblen Thorstein (2007) Theorie der feinen Leute Eine oumlkonomische Untersuchung der Institushy

tionen FrankfurtM (zuerst 1899) Vogl Joseph (2009) Poetik des oumlkonomischen Menschen Metamorphosen des Subjekts in der

Moderne Literaturkritikde Nr 5 Vogl Joseph (2008) Kalkuumll und Leidenschaft Poetik des oumlkonomischen Menschen Zuumlrich Voser Peter (2010) Mobilitaumlt Ein Koumlnigsweg ist noch nicht gefunden ADAC-Motorwelt

92010 S 22 Weber Max (2006) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus Muumlnchen (zuerst

1904) Weiding Rudi (ua Redaktion) (1986) Soziale Triebkraumlfte oumlkonomischen Wachstums 4 Kongreszlig

der marxistisch-leninistischen Soziologie Berlin

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Bundesministerium fuumlr Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (Hg) (2008) Die Dritte Industrielle Revolution ndash Aufbruch in ein oumlkologisches Jahrhundert Dimensionen und Herausforderungen des industriellen und gesellschaftlichen Wandels Berlin

Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (1988) Biographisierung von Erleben und Handeln in dies (Hg) Vom Ende des Individuums zur Individualitaumlt ohne Ende Opladen S 11-30

Diamond Jared (2005) Kollaps FrankfurtMain Elias Norbert (1969) Uumlber den Prozess der Zivilisation 2 Bde BernMuumlnchen (zuerst 1939) Hagner Michael (2010) Der Hauslehrer Die Geschichte eines Kriminalfalls Erziehung Sexuashy

litaumlt und Medien um 1900 FrankfurtM Houmllscher Lucian (2010) Ist die Zukunft schon voruumlber Berliner Republik 52010 S 22-26 Huumlther Gerald (2001) Bedienungsanleitung fuumlr ein menschliches Gehirn Goumlttingen Imhof Arthur E (1984) Die Verlorenen Welten Alltagsbewaumlltigung durch unsere Vorfahren ndash

Und weshalb wir uns heute so schwer damit tun Muumlnchen Jackson Tim (2011) Wohlstand ohne Wachstum Muumlnchen Keupp HeinerKraus Wolfgang ua (1999) Identitaumltskonstruktionen Das Patchwork der

Identitaumlt in der Spaumltmoderne Reinbek Kohli Martin (1988) Normalbiographie und Individualitaumlt Zur institutionellen Dynamik des

gegenwaumlrtigen Lebenslaufregimes in Brose Hanns-GeorgHildenbrand Bruno (Hg) aaO S 33-53

Koschorke Albrecht (2008) Spiel mit der Zukunft Suumlddeutsche Zeitung 30102008 Laplanche JeanPontalis Jean B (1973) Das Vokabular der Psychoanalyse FrankfurtM Luumldtke Alf (2002) laquoDeutsche Qualitaumltsarbeitraquo ndash ihre Bedeutung fuumlr das Mitmachen von Arbeishy

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Markowitsch Hans JWelzer Harald (2005) Das autobiographische Gedaumlchtnis Hirnorganishysche Grundlagen und biosoziale Entwicklung Stuttgart

Marx Karl (2008) Das Kapital Bd1 Der Produktionsprozess des Kapitals hg v Rosa-Luxemshyburg-Stiftung Berlin (zuerst 1867)

Miegel Meinhard (2010) Exit Wohlstand ohne Wachstum Berlin Moumlnnich Horst (1951) Die Autostadt Muumlnchen Osterhammel Juumlrgen (2009) Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts

Muumlnchen Paech Niko (2011) Vom gruumlnen Wachstumsmythos zur Postwachstumsoumlkonomie in Welzer

HaraldWiegandt Klaus (Hg) Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung ndash Wie sieht die Welt im Jahr 2050 aus FrankfurtMain (im Erscheinen)

Rosa Hartmut (2005) Beschleunigung Die Veraumlnderung der Zeitstrukturen in der Moderne FrankfurtMain

Rosa Hartmut (2009) Zeitforscher fuumlrchtet Entrhythmisierung der Woche Hartmut Rosa im Gespraumlch mit Joachim Scholl Interview Deutschlandradio Kultur 2692009 httpwww dradiodedkultursendungenthema986480

Sachs WolfgangSantarius Tilman (2007) Fair Future Resource Conflicts Security and Global Justice London

Sachs Wolfgang (2009) Sozialer Zusammenhalt ohne Wachstum Unv Ms Sachs Wolfgang (1991) Die Liebe zum Automobil Ein Ruumlckblick in die Geschichte unserer

Wuumlnsche Reinbek Schivelbusch Wolfgang (2004) Geschichte der Eisenbahnreise Zur Industrialisierung von Raum

und Zeit im 19 Jahrhundert FrankfurtM (zuerst 1977) Seidl IrmiZahrnt Angelika (Hg) (2010) Postwachstumsgesellschaft Konzepte fuumlr die Zukunft

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York Sommer BerndWelzer Harald (2010) Der Traum vom laquoGruumlnen Wachstumraquo Rundbrief Forum

Umwelt und Entwicklung 22010 S 3-4 Thompson Edward P (1987) Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse FrankfurtMain Tomasello Michael (2002) Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens Zur Evolushy

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

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Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Simmel Georg (2009) Philosophie des Geldes Koumlln (zuerst 1907) Shore Bradd (1996) Culture in Mind Cognition Culture and the Problem of Meaning New

York Sommer BerndWelzer Harald (2010) Der Traum vom laquoGruumlnen Wachstumraquo Rundbrief Forum

Umwelt und Entwicklung 22010 S 3-4 Thompson Edward P (1987) Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse FrankfurtMain Tomasello Michael (2002) Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens Zur Evolushy

tion der Kognition FrankfurtMain Ullrich Wolfgang (2006) Habenwollen Wie funktioniert die Konsumkultur FrankfurtMain Veblen Thorstein (2007) Theorie der feinen Leute Eine oumlkonomische Untersuchung der Institushy

tionen FrankfurtM (zuerst 1899) Vogl Joseph (2009) Poetik des oumlkonomischen Menschen Metamorphosen des Subjekts in der

Moderne Literaturkritikde Nr 5 Vogl Joseph (2008) Kalkuumll und Leidenschaft Poetik des oumlkonomischen Menschen Zuumlrich Voser Peter (2010) Mobilitaumlt Ein Koumlnigsweg ist noch nicht gefunden ADAC-Motorwelt

92010 S 22 Weber Max (2006) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus Muumlnchen (zuerst

1904) Weiding Rudi (ua Redaktion) (1986) Soziale Triebkraumlfte oumlkonomischen Wachstums 4 Kongreszlig

der marxistisch-leninistischen Soziologie Berlin

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neuerscheInung

Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

raquoEin Buch welches man einfach lesen muss mutig originell und umfasshysendlaquo Anthony Giddens

Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

neuerscheInung

zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt

Was garantiert Wohlstand und sozialen Frieden Wie ein Mantra kommt die Antwort aus Politik und Wirtschaft Wachstum Wachstum Wachstum Aber duumlrfen wir das noch glauben angesichts der juumlngsten Finanz- und Wirtschaftsshykrisen ndash und angesichts der oumlkologischen Schaumlden die unser Wirtschaften produshyziert Die aumlrmeren Laumlnder brauchen noch Entwicklung aber in den hoch entwishyckelten Laumlndern verdichten sich die Hinweise dass stetig steigender Konsum das menschliche Gluumlck nicht mehr wesentlich steigert vielleicht sogar beeintraumlchshytigt Schlimmer noch die Oumlkosysteme auf denen unser Wirtschaftssystem ruht drohen unter der Einwirkung des steigenden Konsums zusammenzubrechen Auszligerdem verringern sich zusehends die Ressourcen ndash gleich ob Oumll oder seltene Metalle ndash so dass wir gezwungen sind neue Wohlstandskonzepte zu entwerfen die nicht auf stetiges Wachstum und Verbrauch gruumlnden

Der britische Oumlkonom Tim Jackson skizziert in seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum die Vision einer Postwachstumsoumlkonomie in der die Quellen fuumlr Wohlergehen und bleibenden Wohlstand erneuert und gestaumlrkt werden

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Tim Jackson Wohlstand ohne Wachstum Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt Hrsg von der Heinrich-Boumlll-Stiftung Aus dem Englischen von Eva Leipprand oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Abbildungen 240 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-245-2

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zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Worldwatch Institute (Hrsg) In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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zur lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut

Die globale Landwirtschaft steht am Scheideweg Beinahe ein halbes Jahrhunshydert nach dem Beginn der Gruumlnen Revolution leidet ein groszliger Teil der Weltfashymilie immer noch chronisch Hunger obwohl niemals zuvor mehr Nahrungsshymittel produziert wurden Im Juli 2009 startete das Worldwatch Institute (WWI) ein zweijaumlhriges Projekt um agrarwissenschaftliche Innovationen zu erfassen und zu bewerten Ein Ergebnis dieses Projekts ist der vorliegende mittlerweile 28 Bericht der renommierten Reihe bdquoZur Lage der Weltldquo Das Buch stellt praktishysche und nachhaltige Loumlsungen vor die Hunger und Armut auf der Welt verrinshygern koumlnnen ndash von der Tropfbewaumlsserung uumlber die Dachbegruumlnung von der Agroforstwirtschaft bis hin zu neuen Projekten zum Schutz der Boumlden Ein spezishyeller Beitrag zeigt wie sich solche Bemuumlhungen durch eine entsprechende Agrar- und Handelspolitik der EU verstaumlrken lassen Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Boumlll-Stiftung und Germanwatch

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Zur Lage der Welt 2011 Hunger im Uumlberfluss Neue Strategien gegen Unterernaumlhrung und Armut Mit Vorworten von Olivier de Schutter Barbara Unmuumlszligig und Klaus Milke sowie einem Sonderbeitrag von Christine Chemnitz und Tobias Reichert zur EU-Agrarpolitik oekom Verlag 1 Auflage Muumlnchen 2011 zahlreiche Tabellen und Abbildungen 288 Seiten Preis 1995 Euro ISBN 978-3-86581-241-4

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das

Wac

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Wel

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See

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Von

Har

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Wel

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Die

Kri

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lles

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rend

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orst

ellu

ng e

ines

ew

igen

Wac

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ms

ist

anshy

gesi

chts

der

Fin

anzk

rise

und

des

Rau

bbau

s an

uns

eren

nat

uumlrlic

hen

Lebe

nsgr

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n no

twen

dige

r de

nn je

zuv

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das

Wac

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ille

und

Vor

stel

lung

he

rrsc

ht n

icht

nur

in K

onze

rnze

ntra

len

an

Boumlr

sen

oder

in M

inis

teri

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ie

Lust

nac

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euem

nac

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m u

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tum

ist a

ls laquo

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Inf

rast

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Hof

fnun

gen

und

Wer

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eine

s je

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Hei

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S

chum

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traszlig

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101

17 B

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kert

Der

indi

vidu

elle

Leb

enss

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ssel

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kono

mis

che

Inno

vati

onen

alle

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um

Wir

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ells

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kunf

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hig

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ialp

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Idea

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Wuumln

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fuszlige

n u

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acht

den

Weg

frei

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Die

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Angebote an die Freundinnen und Freunde

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