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Page 1: Book Review

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Das ist pragmatisch, aber nicht richtig. Denn: Ist es wirklich dieAufgabe von Ausbildungsinstitutionen, den Gegensatz zwischengesellschaftlich erwünschtem Journalismus als normativem Kon-strukt auf der einen und der Realität auf den Redaktionen auf deranderen Seite aufzuheben? Das wäre doch eigentlich die Aufgabeder Journalistinnen und Journalisten. Aber die sind ja leider, wiedie Studie deutlich zeigt, so vom Alltag absorbiert, dass oft siegar nicht auf die Idee kommen, Strukturen und Mechanismen zuhinterfragen.

Alexandra StarkStudienleiterin für den «Master of Arts in Journalism»

am MAZE-mail address: [email protected]

Received 22 January 2013

Accepted 15 April 2013http://dx.doi.org/10.1016/j.scoms.2013.04.010

Buchrezensionen über Skandalisierungsbücher

Bernhard Pörksen/Hanne Detel. Der entfesselte Skandal. Das Endeder Kontrolle im digitalen Zeitalter. Herbert von Halem Verlag,Köln Verlag, 2012

Hans Mathias Kepplinger. Die Mechanismen der Skandalisierung.Zu Guttenberg, Kachelmann, Sarrazin & Co.: Warum einigeöffentlich untergehen – und andere nicht. Olzog, München, Olzog,2012

Sigurd Allern/Ester Pollack (eds.). Scandalous! The Mediated Con-struction of Political Scandals in Four Nordic Countries. Nordicom,Göteborg, 2012

John Lloyd. Scandal! News International and the Rights ofJournalism, Reuters Institute for the Study of Journalism, Uni-versity of Oxford, 2011. http://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/publications/risj-challenges/scandal-news-international-and-the-rights-of-journalism.html

Wer bei Google das Wort “Skandal“ eingibt, so haben BernhardPörksen und Hanne Detel getestet, erhält gut 46 Millionen Treffer.Würden sie heute – im April 2013 - ihre Recherche wiederholen,so wären es bei deutscher Schreibweise (“Skandal”) bereits über 58Millionen Hits, bei englischer (“scandal”) 209 Millionen.

Der Skandal hat offensichtlich Konjunktur – in den Such-maschinen und auch in den Medien, die Ereignisse immer öfterund wohl auch zusehends hemmungsloser skandalisieren. In derMedienforschung sind mediale Skandalisierungsprozesse eben-falls zu einem “heissen” Thema geworden. Ihre wissenschaftlicheAufarbeitung macht Fortschritte, wie die Zusammenschau folgen-der neuerer Buchpublikationen zeigt: “Der entfesselte Skandal”von Bernhard Pörksen und Hanne Detel, “Die Mechanismen derSkandalisierung” von Hans Mathias Kepplinger, “Scandalous” derHerausgeber Sigurd Allern und Ester Pollack“ sowie “Scandal” vonJohn Lloyd.

Am Anfang eines Skandals steht, so Pörksen und Detel, “unver-meidlich die Verfehlung, die Normverletzung. Es folgt die vonJournalisten betriebene Enthüllung, dann – wenn das Themagreift – der Aufschrei, die kollektive Empörung des Publikums,schliesslich das Ritual der Aufarbeitung und der öffentlichenAnklage mit allen Varianten der Reaktion” (S. 20f). Die TübingerMedienforscher spüren indes nicht nur diesen typischen Verlauf-smustern der Skandalisierung nach, sondern zeigen auch anhandvon Fallstudien, wie sich durch das Internet, insbesondere durchsogenannte Shitstorms, solche Prozesse öffentlicher Empörung undHinrichtung verändert haben. Ihre Geschichte beginnt mit einem“Klassiker”, als Bill Clinton von Matt Drudge, einem dubiosenGerüchtekolporteur in Washington, in “Monicagate” verwickeltwurde, während Newsweek die Story für noch nicht ausrecherchierthielt. An den Beispielen von WikiLeaks und den Plagiatsjägern,

die in Deutschland prominente Politiker wie Karl-Theodor zuGuttenberg per Crowdsourcing zu Fall gebracht haben, erläuternPörksen und Detel, wie sich die Skandalisierung online von ihrer“Fesselung an die lineare, weitgehend interaktionsfreie Logik derMassenmedien entkoppelt und eine neue Evolutions- und Eskala-tionsstufe erreicht” (S. 23). Dadurch ändere sich nicht zuletzt derJournalismus. Besonders geben jene Fällen zu denken, in denen bisdato unbekannte Menschen plötzlich von Dritten vor der Weltöf-fentlichkeit blossgestellt, ja existenziell vernichtet wurden, nurweil sie ihre kleinen Geheimnisse mangels Medienkompetenz demInternet anvertrauten.

Von Pörksen und Detel lässt sich lernen, wie man ein wichtigesThema investigativ recherchiert und unterhaltsam präsentiert– und auch, dass Medien und Journalismus selbst solch einwichtiges Thema sind. Da komme noch einmal ein Journalistund behaupte, Medienforscher seien weltfremde Menschen imElfenbeinturm mit kaum verständlichem Schreibstil. Die Ausrede,ein breites Publikum interessiere derlei Themen nicht, ist undbleibt wohlfeil. Denn die höchste journalistische Kunst bestehtnoch immer darin, wichtige Themen so aufzubereiten, dass sieauch den weniger fachkundigen Leser “fesseln”. Genau diesesKunststück gelingt Pörksen und Detel, wenn sie die Skandale“entfesseln”.

Die eher essayistische Sicht auf mediale Skandal-isierungsprozesse von Pörksen und Detel ergänzt kaumübertreffbar der Mainzer Publizistikwissenschaftler Hans Math-ias Kepplinger. Er zählt zu den wenigen Medienforschern imdeutschsprachigen Raum, die sich seit vielen Jahren als Empirikerintensiv mit diesem Thema befassen.

Ein Missstand, ein oder mehrere Täter, eine Welle vonMedienberichten und eine beinahe einstimmige Empörung sindKepplinger zufolge die wichtigsten Merkmale eines Skandals.Einige Übeltäter büßten infolge eines Skandals ihr Ansehen einund ihre Karriere endete abrupt, sie landeten im Gefängnisoder bezahlten hohe Geldstrafen; andere Skandalisierte hingegenblieben nahezu unbehelligt. Erklärungen für solche Unstim-migkeiten liefert Kepplinger in seinem Buch “Die Mechanismender Skandalisierung”, das nicht nur seine bisherigen Arbeiten zurmedialen Skandalisierung verdichtet, sondern auch jüngste Skan-dalisierungsprozesse thematisiert. So zum Beispiel die entdecktenPlagiate in der Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg oderden vermeintlich politisch unkorrekten Beststeller “Deutschlandschafft sich ab” von Thilo Sarrazin.

Für Kepplinger liegt ein Skandal vor, wenn der Grossteil derBevölkerung empört auf einen Missstand reagiert und Konsequen-zen fordert. Ob dieser Missstand tatsächlich bestehe, sei dabeivollkommen unerheblich. Entscheidend sei vielmehr die Vorstel-lung der Mehrheit. Skandale sieht er als “Folge von Mechanismenöffentlicher Kommunikation” (S. 8) und somit nicht einfach als“vorgegebene Sachverhalte, die man aufdecken und berichtenkann” (S. 77).

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Aber wie wird aus einem Missstand überhaupt ein Skandal?Um diese Frage zu beantworten, macht Kepplinger vielfältigeFaktoren ausfindig: Die Chancen einer Skandalisierung hingenunter anderem von Journalisten ab (S. 37). Ohne sie bliebeeine Skandalisierung erfolglos. Journalisten schlüpften hierbei inunterschiedliche Rollen: manchmal seien sie Wortführer, häufigerMitläufer oder Chronisten, selten Skeptiker.

Wortführer haben im Skandal Hintergrundinformationen, sindvon der Schuld des Skandalisierten überzeugt und “betrachtenZweifel an ihrer [eigenen] Darstellung als Vertuschungsversuch”(S. 58). Wortführer ohne Mitläufer brächten aber keinen Skandalhervor. Andere Kollegen und Medien, so Kepplinger, müssten dieInformationen der Wortführer aufgreifen. Die Chronisten dage-gen berichteten nur über die Vorwürfe, ohne zu werten. Durchihre Berichterstattung verliehen sie der Skandalisierung aberGewicht und Glaubwürdigkeit (S. 59). Einige Journalisten wür-den dabei besonders aktiv: “So stammte bei der Skandalisierungder Störfalle und Betriebsstörungen der Hoechst AG mehr als dieHälfte von 656 namentlich gekennzeichneten Beiträge von nur14 Journalisten. Der aktivste Autor hatte 75 Beiträge geliefert” (S.60).

Die Skeptiker als letzte Gruppe zweifelten dagegen die verbre-itete Darstellung an, sie berichteten distanziert und unabhängigvom Mainstream. Die Anzahl der Skeptiker sei aber verschwindendgering, mehr noch: ihre Berichte würden kaum beachtet (S. 60).

Ein weiterer, skandalbegünstigender Faktor seien Emotionen.Denn Emotionen beeinflussten die Reaktionen des Publikums: “Jebedeutsamer die Leser, Hörer oder Zuschauer einen Missstandeinschätzen, desto heftiger fallen ihre Reaktionen aus” (S. 72).Diese emotionalen Reaktionen seien aber direkt mit der Medi-enberichterstattung verknüpft, da die Rezipienten meist keineInformationen aus erster Hand hätten. Die Art der Reaktionkönne dabei höchst unterschiedlich sein: Wenn das Publikum denSchaden auf eine Person zurückführen könne, die aus Eigennutzgehandelt hat, reagiere es mit Ärger. Dies geschehe vor allem dann,wenn das Publikum der Meinung sei, die handelnden Personenhätten die Folgen ihres Handelns abschätzen können. Wurde derSchaden dagegen durch höhere Gewalt ausgelöst, empfänden sieTrauer (S. 72).

Eine von Kepplinger angeführte Studie über lokale Skandalfällezeigt: “Missstände, die [. . .] durch Fehlentscheidungen verursachtwurden, waren in der Berichterstattung deutlich überrepräsentiert.Missstände, die durch Fehlentwicklungen, Verfahrensmängel undMangelzustände aller Art verursacht wurden, waren dagegen deut-lich unterrepräsentiert” (S. 81).

Zwei Gründe sieht der Autor für diese Abweichung:Fehlentscheidungen von einzelnen Personen seien erstenseinfacher darzustellen als Strukturmängel. Zweitens empfändenJournalisten Sachverhalte dann als Missstände, wenn diesen einegoistisches Verhalten zugrunde liege. In der Konsequenz würdenalso gerade jene Missstände in den Medien aufgegriffen, die dieJournalisten als solche verstehen – und nicht etwa diejenigenMissstände, die beispielsweise Repräsentanten der Gesellschaftals solche kennzeichneten (S. 82).

Und wie wird ein Skandal aufgebauscht? Kepplinger unter-scheidet sechs Typen der Dramatisierung, die in skandalisierendenBerichten auftauchen: Horror-Etiketten (extreme Begriffe),Verbrechens-Assoziationen, Katastrophen-Suggestionen (extremeSchäden werden als wahrscheinlich präsentiert), Katastrophen-Kollagen (Aneinanderreihung von Katastrophen), Schuld-Stapelungen (kleine Normbrüche werden zu einem großen Miss-stand zusammengetragen) und optische Übertreibungen (beson-ders gefährliche Darstellung auf Fotos) (S. 50). Aber auch der Stil derBerichte trägt zur Skandalisierung bei: Mit rhetorischen Mittelnwürden Situationen so dargestellt, dass die Skandalisierten vomPublikum als besonders niederträchtig empfunden würden (S. 85).

Zur Frage, wie die Opfer Einfluss auf den Verlauf eines Skan-dals nehmen können, liefert Kepplinger ebenfalls interessanteErkenntnisse: Reine Dementis von Politikern seien unglaubwürdig.Außerdem bestehe die Gefahr, dass neue Erkenntnisse ein Dementiwiderlegten. Wer sich schuldig zeige, bestätige die Sichtweiseder Skandalisierer, wer sich rechtfertige, fechte sie an. “Je besserdies gelingt, desto besser sind die Chancen der Skandalisierten”(S. 143). Auch mit anderen Mitteln könnten die Betroffenen denVerlauf des Skandals beeinflussen. Dazu zählt Kepplinger dasVerhalten von Parteifreunden, die Reaktion der skandalisiertenOrganisation und vor allem auch deren interne Kommunikation(S. 143f.).

Die Kommunikation via Internet kann im Skandal lautKepplinger sowohl ein Risiko als auch eine Chance für die Skan-dalisierten sein: Nahezu unendlich viele User sind Informantenund seien damit auch potentielle Skandalisierer. Skandalisiertehätten im Internet so gut wie keine Möglichkeiten, rechtlicheSchritte gegen die Skandalisierer einzuleiten, die im Übrigen oft-mals anonym seien und es somit den Betroffenen schwer machten,ihre Gegner zu identifizieren. Das Internet ist ein 24-Stunden-Medium: jederzeit können neue Anschuldigungen auf Webseitenauftauchen – ohne dass der Betroffene diese kontrollieren kann (S.175f.).

Chancen böte das Internet den Skandalisierten aber auf andereWeise: Sie könnten vorbeugend Informationen und Fakten ins Netzstellen, die die Ansichten von Kritikern widerlegten. Und ebensowie sich massenhaft Gegner zusammenscharten, gebe das Internetoftmals auch Unterstützern Platz, sich zu äußern. So bekunde-ten Anhänger von Karl-Theodor zu Guttenberg beispielsweise überFacebook ihre Solidarität (S. 176.). Trotzdem, so Kepplinger, seienSkandale bisher noch nicht direkt vom Internet verursacht (S. 177),sie entwickelten sich nur dann, “wenn die traditionellen Mediendie Internetinformationen aufgreifen und umfangreich darüberberichten” (S. 181).

Kepplinger weist auch darauf hin, dass Journalisten mit derBerichterstattung über Skandale einen Beitrag für die Gesellschaftleisten. Sie entdeckten durchaus Missstände und deren Ursachen.Das Problem sieht Kepplinger in der Anzahl der Journalisten, diegemeinsam einem Skandal nachspürten. Wenn sich eine großeMasse an Journalisten mit einem Geschehen beschäftige, würdensie zum Opfer des Herdentriebs. So entfernten sie sich oft-mals kollektiv von ihrem eigentlichen Ziel, der Wahrheitsfindung(S.196).

Die beiden bereits vorgestellten Monographien ergänzt einSammelband, der sich mit medialer Skandalisierung in den vierskandinavischen Ländern Dänemark, Norwegen, Schweden undFinnland befasst. Diese Länder galten lange als “skandalfreie Zone”,denn im Norden Europas wurden bis Mitte der 1960er-Jahre nurwenige Skandale verzeichnet – vor allem im Vergleich mit anderenTeilen Westeuropas und den USA. Dass die skandinavischen Län-der von Skandalisierungen mittlerweile aber nicht mehr verschontbleiben, zeigt das neue Buch “Scandalous! The Mediated Construc-tion of Political Scandals in Four Nordic Countries”, herausgegebenvon Sigurd Allern (Universität Oslo) und Ester Pollack (UniversitätStockholm).

Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden verbindet viel:Die Herausgeber betonen zusammen mit den Medienforschern AnuKantola (Universität Helsinki) und Mark Blach-Ørsten (UniversitätRoskilde, Dänemark), dass politische Institutionen, Mediensystem,Wirtschaftsstruktur, Bildungssystem und soziale Grundfesten ähn-lich strukturiert sind.

Die Länder im Norden Europas unterscheiden sich aber auchdeutlich voneinander, zum Beispiel in ihrer politischen Geschichteund in der Pflege ihrer internationalen Beziehungen. In Bezug aufpolitische Skandale sieht es ähnlich aus: Es gibt Analogien, aberauch feine Unterschiede.

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Mächtigen Institutionen nachzuspüren, sei ein zentrales Motivund professionelles Ziel vieler Journalisten. Solchen Spürhund-Aktionen folgten hin und wieder Skandale. Und Skandale könntenhelfen, die Medien als vierte Gewalt zu legitimieren. Nichtselten endeten sie damit, dass an die Haupt-Rechercheure Jour-nalistenpreise überreicht würden, so die Herausgeber. Es seidennoch naiv, alle Medienskandale im Hinblick auf eine Fes-tigung demokratischer Prozesse zu interpretieren. PolitischeNachrichten konkurrierten mit Berichten aus anderen Bere-ichen um Aufmerksamkeit, so zum Beispiel mit Unfällen,Naturkatastrophen und Kriminalität. Dieser Wettbewerb führedazu, dass die Medien solchen politischen Geschehnissen Aufmerk-samkeit schenkten, die Potenzial für eine Dramatisierung hät-ten.

Möglichkeiten zu dramatisieren – so betonen die Herausge-ber - hätten die Journalisten tatsächlich: “Die Schilderung derNormverletzung, der journalistische Blickwinkel, die Quellen, diehervorgehoben (oder unterdrückt) werden, die Visualisierung desSkandals und die Proportionen, die der Affäre zugeschrieben wer-den, hängen allesamt von journalistischen Entscheidungen undjournalistischer Auswahl ab.” (S. 17)

Journalisten gäben in ihren Berichten außerdem Deutungsrah-men vor, so zum Beispiel die von Märchen, Sagen oder Mythen; demBettler, der zum König gekrönt wird, oder das Schema von Davidund Goliath, sprich: des Kampfes eines Individuums gegen dieübermächtige Bürokratie. Die Interpretation von Skandalen werdedurch solche vorgegebene Muster stark vereinfacht. Sie würdendamit oftmals zum “Melodrama” (S. 18). Gebe im Finalstadium einSkandalisierter seine Schuld zu, übernehme die Rolle des reumüti-gen Sünders und bitte seine Organisation und die Öffentlichkeit(durch die Medien) um Vergebung, so hätten die modernen Medien“konkret die Rolle übernommen, die früher von der Kirche besetztwar, indem sie sündiges Verhalten beurteilen, Buße nahelegen undVergebung erwägen” (S. 19).

Die Rolle der “Gerechten” beleuchtet in einem weiteren BeitragKantola anhand eines der größten Polit-Skandale Finnlands: ImJahr 2008 wurde bekannt, dass Abgeordnete ihre Sponsorennicht offenlegten, obschon dies acht Jahre zuvor gesetzlich fest-geschrieben worden war. Der Autor zeigt enorme Unterschiede inder Bewertung des Skandals auf, je nach Alter und damit Genera-tionszugehörigkeit der Journalisten: Ältere, in oder vor den frühen1960er- Jahren geboren, empfanden den Skandal als übertriebenund zum Teil sogar aufgeblasen. Jüngere Journalisten sahen denSkandal eher positiv: “[Er] hinterfragte das bestehende, überein-stimmende politische System, [. . .] [er] enthüllte die verfaulte Seiteder Politik und öffnete die Augen.” (S. 78)

Ein politischer Skandal involviert, so Allern und Pollack, politis-che Institutionen, politische Prozesse und Entscheidungen – oderdie Politiker persönlich in ihrer Funktion als öffentlich berufeneoder gewählte Amtspersonen. Der vorliegenden Studie zufolgehaben von 1980 bis 2009 die politischen Skandale in allen skan-dinavischen Ländern zugenommen – besonders in jüngster Zeit:In den beiden Jahrzehnten von1980 bis 1989 und von 1990 bis1999 registrierten die Herausgeber zusammen mit Kantola undBlach-Ørsten nur jeweils 20 Prozent der Skandale, im letzten unter-suchten Jahrzehnt von 2000 bis 2009 waren es fast 60 Prozent.Besonders ausgeprägt zeigt sich dieser Trend in Schweden: Imersten untersuchten Jahrzehnt wurden 14 Prozent der Skandaleregistriert, 1990 bis 1999 waren es 20 Prozent und von 2000 bis2009 67 Prozent.

Die Normüberschreitungen, die zu Skandalen führten, seiendabei nicht bei allen Ländern gleich: Wirtschaftliche Verstösse,darunter Steuerhinterziehung oder Korruption, hätten in Däne-mark (38 Prozent), Norwegen (53 Prozent) und Schweden (39Prozent) dominiert. Die Normüberschreitung “Machtmissbrauch”habe mit 26 Prozent besonders in Schweden zu Skandalen geführt.

Am stärksten zugenommen hätten zwischen 1980 und 2009 Skan-dale, die auf “inakzeptablem persönlichen Verhalten” beruhten.Dazu zählen die Autoren uneheliche sexuelle Affären, sexuelleBelästigung und Alkoholmissbrauch. Besonders in Finnland habedieser Typ von Normüberschreitung an Bedeutung gewonnen (49Prozent der Skandale zwischen 1980 und 2009).

Dass Persönliches auch in Skandinavien immer stärker in denmedialen Fokus geriet und die Grenzen zwischen öffentlichemund privatem Bereich zunehmend schwanden, betonen die vierAutoren: “Die Grenze zwischen dem (. . .), was sich auf der “Bühne”und “dahinter” abspielt wurde verwischt”. (S. 15) In Bezug auf dasgesellschaftliche System sei es paradox, dass (. . .) “die nordischenGesellschaften in Bezug auf viele Streitfragen toleranter und lib-eraler geworden” seien, das politische Spitzenpersonal dagegen“zur Zielscheibe strengerer moralischer Anforderungen gewordenist” (S. 41f.).

Ein weiteres Merkmal von politischen Skandalen sei derenungewisser Ausgang. Wie “groß” eine Geschichte werde, hänge vonvielen Faktoren, unter anderem der Anzahl der Anhänger und Kri-tiker, von der Nachrichtenlage – und damit vom Wettbewerb mitanderen Nachrichten um Aufmerksamkeit – sowie von den Hand-lungen der Skandalisierten ab.

Es gibt in der vorliegenden Studie keine Hinweise darauf, dassFrauen in der Politik häufiger Opfer eines Skandals werden. DieKonsequenzen der Skandale zeigten aber eindeutige Unterschiede:Während bei den untersuchten Fällen 65 Prozent der skandal-isierten weiblichen Regierungsmitglieder zurücktreten mussten,war dies bei ihren männlichen Kollegen nur in 33 Prozent der Fall.Wenn Frauen in Skandale verwickelt würden, scheine ihnen ihreUmwelt diesen Sachverhalt nicht so gern zu verzeihen wie denMännern, schlussfolgern die Autoren.

Inspiriert von Machiavellis “Il Principe” argumentieren diePolitologen Anders Todal Jenssen, und Audun Fladmoe (beide:Universität Trondheim, Norwegen), dass politische Gegner,seien sie nun aus der eigenen Partei oder einer anderen,mit Skandalen eigene Ziele verfolgten: “Die moderne Poli-tik hat zwei Gesichter. Politik ist sowohl ein Kampf, umeinen breiten Konsens und gemeinsame Ziele zu erreichen,als auch ein Kampf um Macht”. Die Machtkämpfe hinter derBühne blieben der Öffentlichkeit aber weitgehend verborgen(S. 67). In den skandinavischen Ländern sei, so versichernJenssen/Fladmoe, der Glaube an die Vertrauenswürdigkeit unddie Fähigkeit von Politikern noch weiter verbreitet als anderswo(S. 53f.).

Ein blinder Fleck allerdings bleibt in der bisherigen Zusam-menschau. In keiner der präsentierten Fallstudien wurde einklassisches Mainstream-Medium selbst zum Opfer der Skandal-isierung. Der Abhör-Skandal, in den Rupert Murdoch und seinMedienkonglomerat nach der Schliessung seines Boulevard-BlattsNews of the World noch immer verwickelt sind, liefert hierfür dasAnschauungsmaterial. Wer hier über die sporadische, meist anlass-bezogene Medienberichterstattung hinaus nach einer packendenHintergrund-Story sucht, bleibt bis auf weiteres ebenfalls auf einenenglischen Text angewiesen: John Lloyd, einer der Direktoren desReuters Institute for the Study of Journalism an der University ofOxford und langjähriger Kolumnist der Financial Times, hat solcheine Analyse vorgelegt. Er ist kein Scharfmacher, ja er würdigt sogar– als Angelsachse um Fairness bemüht – die Verdienste Murdochs,der “in Journalismus stark investiert habe, zum Teil sogar in Qual-itätsjournalismus” (S. 4).

Aber erst in Lloyds Zusammenschau wird der gigantischeFlurschaden so richtig ermessbar, den Murdoch und seine Vasallenhinterlassen. Lloyds markanteste Befunde: Die Tabloids vonNews International verkündeten “Pressefreiheit nur, um unterihrem Schutzschild Menschenleben zu zerstören” (S. 5, 29ff).Die wiederholten Stellungnahmen von Murdochs Top-Managern

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liessen “jedwede Glaubwürdigkeit vermissen, und die Rücksicht-slosigkeit, die sie gegenüber gewählten Politikern gezeigt hätte,radiere anderweitige Verdienste aus” (S. 1). Zuletzt richtet sichLloyds Zeigefinger aber nicht nur auf Murdochs Imperium, son-dern auf alle Redaktionen. Um das Verantwortungsbewusstseinvon Medienunternehmen sei es miserabel bestellt: “Obschon dieMedien unermüdlich Transparenz und Rechenschaft einfordern,lösen sie selbst von allen Institutionen am wenigsten die von ihnengeforderten Standards ein – im Gegenteil, im Namen der Presse-freiheit weisen sie all diese Regeln zurück” (S. 7).

Vielleicht liefert dieses erschreckende Resümee hinreichendAnlass, um in der künftigen Forschung zur medialen Skan-dalisierung solchen Skandalen, in die Medienunternehmen alsSkandalisierte verwickelt sind, mehr Aufmerksamkeit zu wid-men. Die bisherige Forschung zum Medienjournalismus zeigt, wieschwer sich Redaktionen tun, über Wettbewerber und übers eigeneMetier angemessen zu informieren. So steht zu befürchten, dass

Medien solche Medienskandale weiterhin eher herunterspielen alsaufbauschen werden.

Rahel Künkele a

Stephan Russ-Mohl b,∗a Johannes Gutenberg-Universität Mainz

b Università della Svizzera italiana

∗ Corresponding author.E-mail addresses: [email protected]

(R. Künkele), [email protected](S. Russ-Mohl)

Received 15 April 2013

Accepted 15 April 2013http://dx.doi.org/10.1016/j.scoms.2013.04.013

Revolutions between digital utopianism and the “cascadeeffect”

M. Barkai (Ed.). Revolution: Share! The Role of Social Media inPro-democratic Movements. The European Journalism Centre,Maastricht, 2012

In the year 2010 Egypt was closer than ever. Regardless of one’sexact location at the time of the protests in the streets wherethe so-called Arab Spring occurred, Tahrir Square was a familiarname for anyone following the news on a traditional media out-let or through their Twitter news feed. The Arab Spring has beenone of the first occasions for social media to enter political andmedia agendas, as the medium is increasingly being used as atool to strengthen democracies and to fuel pro-democratic move-ments and demonstrations (Lotan et al., 2011; Van Niekerk, Pillay, &Maharaj, 2011). The book Revolution: Share! The Role of Social Mediain Pro-Democratic Movements is the result of the four-year “Euro-pean Neighborhood Journalism Network (ENJN)” project and itsfinal conference, which took place in Brussels in October 2011. TheENJN was created by the European Journalism Centre to “unite jour-nalists and editors from the MENA (Middle East and North Africa)region, Eastern Europe, and the southern Caucasus countries.” Oneof the project’s main points of interest, including the Brussels con-ference, was the “implication of social media in the contestationmovement that took place in the EU’s eastern European partnerstates” and in the recent Arab uprisings, investigating whether andhow Web 2.0 tools have been main drivers of the democratizationprocess. The author, Moran Barkai (Maastricht University), callsinto question a common assumption shared by both the mediaand often by academics, who view “the latest communication tech-nology as inherently democratic.” According to Barkai, “it is notentirely surprising that the political protest took [to] the Net orto social media in particular. Social media ha become ubiquitous,encompassing almost all aspects of modern life and to such anextent that social media can no longer be considered as a merepastime.” Given this, Barkai insists, there are many “societal prob-lem(s) that may seriously constrain social media’s democratizingpotential.” For example, the digital divide, which might transformthe Internet and social media into a democratizing tool – but onlyfor the segment of society able to access the Web – the strong enter-tainment propensity of digital media, relegating politics in politics“to the background” in favor of LOL-cats and other careless content;the tendency of social networks and of Facebook in particular to cre-ate, “isolated issue publics” weakening the role of the Internet as a

public-sphere agent and the evidence that social media outlets areprivate companies with corporate concerns. These are strong limi-tations, often neglected by commentators, to the social media roleas a public-sphere. On the other hand, governments can “pressureInternet corporations into censoring content or users who are notto their liking, thus washing their hands from exercising censorshipmeasures themselves and saving the cost of searching for the cul-prits and shutting them down,” as often happens with Google forinstance (Di Salvo, 2012a). Regardless of these concerns, many com-mentators consider the Internet and social media as liberation toolsand weapons for bringing down dictatorial governments by open-ing societies via Internet freedom. In the case of the Arab Spring itis undeniable that Facebook, Twitter and YouTube had prominentroles in helping to mobilize debate and fuel demonstrations andprotests, but the boundary line with the myth of a techno-utopiais very thin (Morozov, 2010, 2011). At the same time, the role ofmainstream media and their hype in addressing the definition ofthe “Facebook Revolution” (Lifvergren, 2011) to the Arab Spring isalso central.

When it comes to the shape of the public sphere in the digi-tal age, it must be pointed out that digital public squares – andactual public squares and streets – are more linked than ever(Castells, 2012). Barkai’s book presents an analysis of how socialmedia helped to mobilize protests, pointing to social media as anengine for organizing street actions, in what he declares is a globalphenomenon, using Belarus as an example, where anti-governmentprotests are organized via Facebook groups, which at times cangather upwards of 200,000 people.

But the other side of the social media coin must be taken intoaccount at this point: “this criticism views ‘social media activism’as an ‘easy,’ clickable participation that only brings a self-centeredsense of fulfillment and an illusion of engagement. Barkai agreeswith Evgeny Morozov’s The Net Delusion (2011) when it comes tothe risks of digital surveillance of social media as repressive tools inthe hands of authoritarian regimes: “the exact same properties thatmake social media such an important tool for protesters and oppo-sition leaders also excel in facilitating repression, providing statesecurity forces with all the information necessary to identify thosethey consider to be a threat, their future plans, and where they canbe most easily intercepted.” It happens in Belarus, where the gov-ernment can force Internet providers to store data on individualsusing the Internet for up to a full year. In Tunisia, 29 people werearrested because of their digital activism. Egypt and Syria couldeven block access to the Web, effectively cutting their countries off