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BRAHMS Konzert für Violine und Orchester BRUCKNER Symphonie Nr. 4, »Romantische« GERGIEV, Dirigent JANSEN, Violine Dienstag 22_09_2015 20 Uhr Mitwoch 23_09_2015 20 Uhr

BRAHMS BRUCKNER · zu schwierige Griffe vor, da er bezweifelte, dass Duodezimengriffe von Geigern ausge-führt werden können, »die nicht wie ich eine große Hand haben«. An anderer

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Page 1: BRAHMS BRUCKNER · zu schwierige Griffe vor, da er bezweifelte, dass Duodezimengriffe von Geigern ausge-führt werden können, »die nicht wie ich eine große Hand haben«. An anderer

BRAHMSKonzert für Violine und Orchester

BRUCKNERSymphonie Nr. 4, »Romantische«

GERGIEV, DirigentJANSEN, Violine

Dienstag22_09_2015 20 UhrMitwoch23_09_2015 20 Uhr

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WEITER HÖREN

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Das Konzert am 23. September 2015 wird von Mezzo aufgezeichnet und live auf den Kanälen Mezzo und Mezzo Live HD gesendet.

118. Spielzeit seit der Gründung 1893

VALERY GERGIEV, ChefdirigentPAUL MÜLLER, Intendant

JOHANNES BRAHMSKonzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77

1. Allegro non troppo2. Adagio

3. Allegro giocoso, ma non troppo vivace

ANTON BRUCKNERSymphonie Nr. 4 Es-Dur WAB 104

»Romantische«

1. Bewegt, nicht zu schnell2. Andante, quasi Allegretto

3. Scherzo: Bewegt; Trio: Nicht zu schnell, keinesfalls schleppend4. Finale: Bewegt, doch nicht zu schnell

Zweite Fassung von 1878–86 in der Edition von Leopold Nowak (1953)

VALERY GERGIEVDirigent

JANINE JANSENVioline

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Johannes Brahms: Violinkonzert D-Dur

Carl Jagemann: Johannes Brahms (um 1875)

»Es darf wohl das bedeutendste

Violin-Concert heißen«

REGINA BACK

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Johannes Brahms: Violinkonzert D-Dur

»Es darf wohl das bedeutendste

Violin-Concert heißen«

REGINA BACK

JOHANNES BRAHMS(1833–1897)

Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77

1. Allegro non troppo2. Adagio3. Allegro giocoso, ma non troppo vivace

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN

Geboren am 7. Mai 1833 in Hamburg; gestorben am 3. April 1897 in Wien.

ENTSTEHUNG

1877 für seinen Freund Joseph Joachim noch als 4-sätziges, eher symphonisch orientiertes Werk entworfen, vollendete Brahms sein einziges Violinkonzert in einer entschlackten 3-sätzigen Fassung 1878 während seines zweiten Sommeraufenthalts in Pörtschach am Wörther See (Kärnten). Die Komposition einer Solo-Kadenz überließ Brahms Joseph Joachim, dessen Version er ausdrücklich autorisierte.

WIDMUNG

Brahms widmete sein Opus 77 dem Geigen-virtuosen Joseph Joachim (1831–1907), Initiator des Violinkonzerts und langjähri-ger Freund des Komponisten.

URAUFFÜHRUNG

Am 1. Januar 1879 in Leipzig im Konzertsaal des Leipziger Gewandhauses (Gewand-hausorchester Leipzig unter Leitung von Johannes Brahms; Solist: Joseph Joachim).

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KOMPONIST UND INTERPRET

Die Violinkonzerte von Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn Bartholdy und Johannes Brahms haben eines gemeinsam: Alle ent-standen sie für einen Freund oder Kollegen des Komponisten, dessen prägendem Ein-fluss sie ihre endgültige Gestalt verdanken. Beethovens Violinkonzert spiegelt das virtuose Können von Franz Clement (1780–1842), Mendelssohn stand in stetem Aus-tausch mit Ferdinand David (1810–1873), und Brahms schrieb seinen Gattungsbei-trag in enger Zusammenarbeit mit Joseph Joachim (1831–1907). In Brahms’ Fall lässt sich die Mitwirkung des Interpreten beson-ders differenziert ermitteln, denn sie ist durch rege Korrespondenz und zahlreich überlieferte Quellen bestens dokumentiert. Während der zwölf Monate zwischen der ersten Erwähnung der Komposition und dem Erscheinen der gedruckten Ausgabe im Verlag Simrock standen die beiden Musiker in ständigem brieflichen oder persönlichen Kontakt.

EINE IDEE NIMMT GESTALT AN

Eigentlich war es längst überfällig, dass Brahms für Joachim ein Violinkonzert kom-ponierte. Ihre Freundschaft währte schon 25 Jahre, doch erst im Sommer 1878 sollten sich Brahms’ Pläne konkretisieren, ein Stück speziell für Joachim zu schreiben – als sei er bis dahin im Zweifel gewesen, ob er mit seiner Kompositionskunst dem virtuosen Können des Freundes Genüge tun könnte. Von Anfang an bezog er nun den Geiger in die Konzeption des geplanten Werks mit ein und hatte ihn als Urauffüh-rungssolisten im Sinn: Auf einer Postkarte vom 21. August 1878 kündigte er an, er schicke demnächst »eine Anzahl Violin-passagen«; sie enthielten die Violinstimme

des ersten Satzes und den Beginn des letz-ten im Entwurf. Brahms bat Joachim um Korrekturen, für die er keine »Entschuldi-gungen« gelten lassen wollte: »Weder Respekt vor der zu guten Musik, noch die Ausrede, die Partitur lohne der Mühe nicht. Nun bin ich zufrieden, wenn Du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.« Joachim, der die Sommerwochen in Aigen bei Salzburg verbrachte, schien sehr über-rascht gewesen zu sein, reagierte aber so-fort voller Begeisterung: »Es ist eine große echte Freude für mich, daß Du ein Violin- Konzert […] aufschreibst. Ich habe sofort durchgesehen, was Du schicktest, und Du findest hie und da eine Note und Bemerkung zur Änderung.«

Joachim schlug in diesem frühen Stadium vor allem Alternativen für unbequeme und zu schwierige Griffe vor, da er bezweifelte, dass Duodezimengriffe von Geigern ausge-führt werden können, »die nicht wie ich eine große Hand haben«. An anderer Stelle wiederum ergänzte er Doppelgriffe, um den solistischen Part klanglich interessanter zu gestalten. Weitere Änderungen ergaben sich bei einem persönlichen Treffen in Pört-schach Anfang September 1878 sowie in Hamburg Ende des Monats, wo sie Clara Schumann den vorläufigen ersten Satz vor-spielten und bereits ein Uraufführungs-datum Anfang Januar 1879 im Leipziger Gewandhaus ins Auge fassten. Brahms in-des wurde bald von Zweifeln geplagt, ob er das Konzert rechtzeitig bis dahin würde fertigstellen können, und so gab er Joachim am 23. Oktober 1878 zu bedenken, er sei »nicht gern eilig beim Schreiben und beim Aufführen – habe auch alle Ursache dazu ! Wenn es Dir also irgend wünschenswert ist, so verfüge über den Januar, denn Bestimm-tes kann ich den Augenblick nicht sagen,

Johannes Brahms: Violinkonzert D-Dur

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Johannes Brahms (um 1875)

Johannes Brahms: Violinkonzert D-Dur

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zumal ich doch über Adagio und Scherzo gestolpert bin.« Tatsächlich entschloss sich Brahms nur wenig später, das ur-sprünglich viersätzig angelegte Konzert zu einem dreisätzigen umzugestalten, und verkündete im November 1878: »Die Mittel-sätze sind gefallen – natürlich waren es die besten ! Ein armes Adagio aber lasse ich dazu schreiben.«

ERSTE AUFFÜHRUNGEN

Es war nun vor allem Joachims Entschlos-senheit und der Beharrlichkeit der Leipziger Konzertveranstalter zu verdanken, dass es beim geplanten Uraufführungstermin am 1. Januar 1879 in Leipzig blieb. Eile war geboten, und so machte sich Brahms im November an die Reinschrift der Partitur. Offensichtlich waren beide Musiker über-eingekommen, dass Joachim die Ausarbei-tung der Solokadenz obliegen sollte. Und so benachrichtigte Joachim Brahms am 15. De-zember 1878, er wolle »nun gleich ernstlich an eine Kadenz gehen«. Da es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schon längst unüblich geworden war, die Kadenz dem Solisten zu überlassen, muss man dieses Zugeständnis als Ausdruck tiefster Bewun-derung und als Hommage des Komponisten an Joachims Virtuosität verstehen. Joachim sollte der ihm überlassenen Aufgabe indes so beispielhaft nachkommen, dass seine Kadenz (neben den später von Leopold Auer, Carl Halir oder Fritz Kreisler vorge-legten Kadenzen) bis heute Standard ge-blieben ist. Während das Leipziger Publikum die Komposition eher kühl aufnahm, reagier-te die Fachpresse sehr anerkennend auf das neue Werk: »Brahms’ Violin-Concert« – so Eduard Hanslick in seiner Rezension vom 14. Januar 1879 – »darf wohl von heute ab das bedeutendste heißen, was seit dem Beethoven’schen und Mendelssohn’schen

erschien; ob es auch in der allgemeinen Gunst mit jenen beiden jemals rivalisieren werde, möchte ich bezweifeln. […] Im ganzen: ein Musikstück von meisterhaft formender und verarbeitender Kunst.«

Noch im gleichen Monat schlossen sich wei-tere Aufführungen an, am 8. Januar in Pest, am 14. Januar in Wien. Im Februar nahm Joachim das Konzert mit auf eine Eng-land-Tournee und spielte es vier Mal mit großem Erfolg in London. Am 25. Mai führte er es in Amsterdam auf und berichtete Brahms darüber am folgenden Tag: »Ich glaube, Dein Konzert noch nicht so gut ge-spielt zu haben wie gestern; es war mir ein großer Genuß, mich hinein zu vertiefen. Verhulst und alle Musiker sind sehr ent-zückt, namentlich von der >Innerlichkeit< im ersten und zweiten Satz. Verhulst meint, Du habest kaum je etwas zarter Empfunde-nes geschrieben, und ich möge Dir doch sagen, wie sehr es ihm zu Herzen gegangen sei.« Trotz der zahlreichen öffentlichen Er-folge war Brahms mit seinem Konzert nicht zufrieden und fragte Joachim im März 1879: »Ist das Stück denn, kurz gesagt, überhaupt gut und praktisch genug, daß man es drucken lassen kann ?« Der akribische Revisionsprozess, an dem Joachim erneut beteiligt war, zog sich bis in den Juni 1879 hin, als dem Berliner Verleger Fritz Simrock die endgültige Fassung des Werks zum Druck übergeben wurde.

LIEDHAFTE INNIGKEIT UND ZÜNDENDES BRIO

Der 1. Satz (Allegro non troppo) wird von den tiefen Streichern sowie Fagott, Horn und Oboe eröffnet, die das von pastoralen Dreiklängen geprägte Hauptthema vortra-gen. Es wird sequenzierend fortgeführt, bevor das dramatischer angelegte Seiten-

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thema vorgestellt wird. Nach der Orchester-exposition gesellt sich die Solovioline über einem Orgelpunkt mit Paukenwirbel quasi improvisierend mit Figurationen hinzu, die in ihrer spielerischen Virtuosität wie eine Art Kadenz wirken. Dann erst folgt die hochkantable Wiederholung der Exposition durch die Solovioline, die mit zahlreichen Doppel- und Dreifachgriffen und kniffligem Passagenwerk aufwartet. Die Durchfüh-rung, die zunächst mit der Verarbeitung einzelner Motive im Orchester beginnt, wird im weiteren Verlauf immer stärker von der Solovioline und ihren weit ausgreifenden Figuren bestimmt. Der Reprise der Haupt-themen folgt die Kadenz, bevor die Coda mit Sechzehntel-Doppelgriffen eine effektvolle Schlusssteigerung bietet.

Die Oboe eröffnet den 2. Satz (Adagio) mit einer lyrischen F-Dur-Weise aus absteigen-der Dreiklangsmelodik, deren pastoraler Charakter durch den reinen Bläsersatz noch verstärkt wird. Die Violine und die übrigen Streicher gesellen sich erst mit der variier-ten Wiederholung des Themas hinzu – ein Faktum, das der berühmte Violinvirtuose Pablo de Sarasate mit den Worten kommen-tiert haben soll: »Ich will ja gar nicht leug-nen, dass das an sich ganz gute Musik ist; aber halten Sie mich für so geschmacklos, dass ich mich auf das Podium stelle, um mit der Geige in der Hand zuzuhören, wie im Adagio die Oboe dem Publikum die einzige Melodie des ganzen Stückes vorspielt ?« Der dreiteilig angelegte Satz wird jedoch mit Beginn des chromatisch nach fis-Moll gerückten Mittelteils mehr und mehr von der Solovioline und ihrem Passagenwerk dominiert. Trotz der intensivierenden Trio-len – und Sextolenfiguren der Violinstimme bleibt der geschlossene lyrische Tonfall auch in der Reprise des A-Teils erhalten.

Umso effektvoller wirkt der Beginn des Final rondos (Allegro giocoso, ma non troppo vivace) mit seinem mitreißenden Haupt-thema, das in rhythmische Doppelgriff-passagen des Soloinstruments eingekleidet ist und von Paukenschlägen begleitet wird. Oft wurde die zündende Wirkung dieses Satzes auf seinen angeblich »ungarischen Charakter« zurückgeführt, obgleich direkte musikalische Bezüge zur ungarischen Volks-musik oder zu Brahms’ »Ungarischen Tänzen« nicht nachzuweisen sind. Der an sich lyrisch gehaltene B-Teil ist mit seinem punktierten Thema eher rhythmisch akzentuiert, der C-Teil mit seinem Wechsel in den 3/4-Takt und den abwärts gerichteten Dreiklangs-brechungen ausgesprochen liedhaft. In der Coda wartet Brahms mit einer triolisch ge-weiteten Variante des Hauptthemas auf, die dem Solisten noch einmal Gelegenheit zur effektvollen Darbietung seines virtuo-sen Könnens bietet.

»SYMPHONISCHES« KONZERT

Des Komponisten Sorge um den »prakti-schen« Nutzen seines Konzerts war be-gründet, handelt es sich bei dieser Kompo-sition doch keineswegs um ein eingängiges Virtuosenstück, wie man es damals von Solokonzerten gewohnt war, sondern um ein im Hinblick auf thematische Arbeit und formale Anlage höchst anspruchsvoll ge-staltetes Werk. Es unterschied sich von allen anderen Violinkonzerten seit Beetho-ven darin, dass das Soloinstrument nicht »führt«, sondern dem Orchester lediglich als gleichberechtigter Partner zur Seite steht, oder dass sich, wie Clara Schumann am 20. September 1878 an Hermann Levi schrieb, »das Orchester mit dem Spieler ganz und gar verschmilzt«.

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ANTIPODEN DER MUSIKGESCHICHTE

Die Geschichte des Brahms’schen Violin-konzerts beginnt eigentlich schon 1853, als der 20-jährige Hamburger Komponist dem nur um zwei Jahre älteren, aber längst be-rühmten und bewunderten Geiger Joseph Joachim begegnete. Dieser begnadete Musiker, Instrumentalist, Dirigent und Komponist in einer Person, von Mendels-sohn gefördert, von Schumann mit seinem späten Violinkonzert und der C-Dur-Phantasie beschenkt, wirkte seinerzeit als Konzert-meister der königlichen Kapelle in Hannover. Die tiefe, menschlich und künstlerisch dop-pelt begründete Freundschaft mit Brahms sollte nach dem flüchtigen Kennenlernen schon bald ihre erste Bewährungsprobe be-stehen. Johannes Brahms reiste nach Wei-mar und sprach bei Franz Liszt vor, der ihn sogleich herzlich willkommen hieß und für die nächsten Wochen in seinem herrschaft-lichen Domizil, der Altenburg, einquartierte. Soviel steht fest: Brahms hegte, offenbar von Beginn an, eine unüberwindliche Aver-sion gegen das Schaffen seines Weimarer

Gastgebers. »Zuerst war ich bei Liszt, fand jedoch bald, dass ich nicht dorthin tauge. Da war gerade die schönste Zeit, da all’ das Zeug entstand, die >symphonischen Dich-tungen< und dergleichen, und das wurde mir bald entsetzlich«, erzählte Brahms im Rückblick auf jene prägenden Erlebnisse.

In dieser schweren Stunde erwies sich Joseph Joachim als wahrer Freund. Er lud Brahms zu sich nach Göttingen in sein Sommer-quartier, nahm den einstweilen mittel – und hoffnungslosen Nachwuchskomponisten bei sich auf, half ihm über die peinliche Zeit der finanziellen Nöte hinweg, ermutigte ihn, begeisterte sich für seine Musik und stand ihm wie selbstverständlich mit Rat und Tat zur Seite. »Er war nicht nur der Erste über-haupt, der Brahms’ Genius in seiner ganzen Bedeutung erkannte«, sollte Joachims Schüler und Biograph Andreas Moser viele Jahre später schreiben, »sondern, was un-gleich schwerer wiegt, er hat trotz aller Misserfolge, von denen die meisten seiner Werke bei ihrem Erscheinen begleitet waren, ungeachtet aller persönlichen An-fechtungen, in unerschütterlicher Treue an

»Schließt, die Ihr zusammengehört, den Kreis fester«

WOLFGANG STÄHR

Johannes Brahms und Joseph Joachim

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Johannes Brahms und Joseph Joachim

Johannes Brahms und der Geigenvirtuose Joseph Joachim (um 1855)

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ihm festgehalten und keinen Tag seines Lebens das volle Vertrauen auf den end-lichen Sieg seines Freundes verloren.«

ZU GAST BEI ROBERT SCHUMANN

Nach einem gemeinsamen Konzert mit Joachim, dessen Erlös er ungeteilt behalten durfte, begab sich Brahms im August 1853 wieder auf Wanderschaft. In Weimar hatte er erkennen müssen, wohin er nicht »tauge«, und Joachim, der als Konzertmeister einmal an der Spitze der Weimarer Hofkapelle ge-standen hatte, jetzt aber zu Franz Liszt auf unüberbrückbare Distanz ging, be-stärkte ihn in dieser Abneigung. Wie anders verlief der Besuch in Düsseldorf, als Brahms am 30. September das Haus des Ehepaars Robert und Clara Schumann betrat, um hier – über alle Erwartungen hinaus – einen ganzen glücklichen und erfüllten Monat zu verbringen.

Robert Schumann, als städtischer Musik-direktor angefeindet, von schwersten ge-sundheitlichen Sorgen und Depressionen belastet, fühlte sich durch die seligen Stunden des gemeinsamen Musizierens, den unerschöpflichen Gedankenaustausch mit Brahms und das tröstliche Bewusst-sein, in der jungen Generation einen gleich-gesinnten Mitstreiter gefunden zu haben, noch einmal zum schwärmerischen Enthu-siasmus seiner frühen Jahre hingerissen. Ja, er komponierte sogar zusammen mit Brahms und seinem Schüler Albert Dietrich ein Gemeinschaftswerk, eine für Joseph Joachim bestimmte Violinsonate über Joa-chims (in Töne übersetztes) Motto »F [rei], A [ber] E [insam]«. Zum ersten Mal seit langem – und zum letzten Mal überhaupt – veröffentlichte Schumann in der einst von ihm redigierten »Neuen Zeitschrift für Musik« einen Artikel, der unter dem Titel

»Neue Bahnen« den jungen Brahms wie einen Messias des deutschen Musiklebens pries, als einen Künstler, »der den höchs-ten Ausdruck der Zeit in idealer Weise aus-zusprechen berufen« sei. Schumann endete seinen Aufsatz mit den feierlichen Worten: »Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bünd-niß verwandter Geister. Schließt, die Ihr zusammengehört, den Kreis fester, dass die Wahrheit der Kunst immer klarer leuch-te, überall Freude und Segen verbreitend.«

EIN KONZERT FÜR JOSEPH JOACHIM

Ein Vierteljahrhundert war seit dem Beginn seiner Freundschaft mit Brahms vergan-gen, als Joseph Joachim, der den Sommer 1878 in Aigen bei Salzburg verbrachte, »eine Anzahl Violinpassagen« in der Post vorfand, gefolgt von einem Brief, in dem Brahms diese Arbeitsproben eines offenbar geplanten »Violinkonzerts« für Joachim erläuterte; es war Unsicherheit in techni-schen Fragen des Violinspiels, die Brahms so auffallend lange hatte zögern lassen, bis er endlich ein Konzert für das Instrument seines Freundes in Angriff zu nehmen wag-te. Bei den »Violinpassagen« handelte es sich um einen Auszug aus der Solostimme, deren Notensysteme durch Zwischenräume getrennt waren, um Joachim genügend Platz für seine Korrekturen und Kommen-tare zu lassen.

Bei persönlichen Begegnungen in Pört-schach am Wörther See, Brahms’ Sommer-frische, und bald darauf in Hamburg, am Rande der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Philharmoni-schen Konzerte, wurde die schriftlich begonnene Diskussion in unmittelbarem Gespräch und praktischer Erprobung fort-gesetzt, und selbst nach der Uraufführung,

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die Brahms und Joachim am Neujahrstag 1879 mit dem Leipziger Gewandhausorches-ter bestritten, wurde noch debattiert, geändert, gefeilt und verbessert. Und so geriet das einzige Violinkonzert von Johan-nes Brahms zum Dokument einer ebenso einzigartigen Freundschaft, in der Brahms

und Joachim immer mehr zu gleichgesinn-ten und gleichgestimmten Seelen heran-reiften, zu Wahlverwandten und Verbünde-ten. Wie hatte sich Robert Schumann aus - drückt ? »Es waltet in jeder Zeit ein gehei-mes Bündniß verwandter Geister…«

Autographe Violinstimme vom Beginn des 3. Satzes, in die Joseph Joachim mit BleistiftVerbesserungsvorschläge eingetragen hat

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ANTON BRUCKNER(1824–1896)

Symphonie Nr. 4 Es-Dur WAB 104»Romantische«

1. Bewegt, nicht zu schnell2. Andante, quasi Allegretto3. Scherzo: Bewegt; Trio: Nicht zu schnell,

keinesfalls schleppend4. Finale: Bewegt, doch nicht zu schnell

Zweite Fassung von 1878–86 in der Edition von Leopold Nowak (1953)

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN

Geboren am 4. September 1824 in Ansfelden (Oberösterreich); gestorben am 11. Oktober 1896 in Wien.

ENTSTEHUNG

Eine erste Fassung der 4. Symphonie Bruck-ners entstand im Verlauf des Jahres 1874 in Wien. Ratschläge befreundeter Dirigenten

und eigene Zweifel bewogen Bruckner in den Jahren 1878 ff. zu einer tiefgreifenden Re-vision, bei der er das Scherzo völlig neu komponierte sowie das Finale mehrmals um-arbeitete und stark veränderte; in dieser revidierten Fassung wurde das Werk 1881 uraufgeführt. Danach nahm der Komponist erneut Veränderungen und Retuschen vor, die in den Erstdruck von 1889, den der Wie-ner Musikverleger Gutmann herausbrachte, jedoch nicht übernommen wurden; statt dessen druckte man eine 1887/88 durch-geführte Revision, die größtenteils von Bruckners Schüler Ferdinand Löwe stammte. Bruckners eigene Änderungen hingegen sind in einer vollständigen Partiturabschrift enthalten, die er im Sommer 1886 dem Diri-genten Anton Seidl nach New York mitgab. Nach diesem Manuskript, das Leopold No-wak 1953 im Rahmen der (2.) Bruckner- Gesamtausgabe edierte, fand am 4. April 1888 die amerikanische Erstaufführung statt.

WIDMUNG

»Seiner Durchlaucht, dem Prinzen Constantin Fürsten zu Hohenlohe-Schillingsfürst in tiefster Ehrerbietung gewidmet«: Kon-

»Frei von allem Unreinen«

THOMAS LEIBNITZ

Anton Bruckner: 4. Symphonie Es-Dur

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stantin Viktor Ernst Emil Karl Alexander Friedrich Prinz zu Hohenlohe-Schillings-fürst (1828-1896) hatte seit 1866/67 das Amt des K. und K. Obersthofmeisters inne und war somit oberster Dienstherr Bruckners als Mitglied der Wiener Hofmusikkapelle.

URAUFFÜHRUNG

Urfassung von 1874: Am 20. Dezember 1975 in Linz im Brucknerhaus im Rahmen des jährlich stattfindenden Linzer Bruckner- Festes (Münchner Philharmoniker unter Leitung von Kurt Wöss). Revidierte Fassung von 1878/81: Am 20. Februar 1881 in Wien im Großen Musikvereins-Saal im Rahmen eines Benefizkonzerts für den Deutschen Schulverein (Wiener Philharmoniker unter Leitung von Hans Richter). Der 1880 ge-gründete Deutsche Schulverein unter-stützte aktiv die Stärkung des österreichi-schen Grenz – und Auslandsdeutschtums; er war vor allem in Böhmen, Mähren, Öster-reichisch-Schlesien, in Galizien und der Bukowina, in der Untersteiermark, in Krain und im Küstenland um Triest tätig.

Von dem ironisch funkelnden, stets geist-reich und treffsicher formulierenden Hans Pfitzner soll das nur scheinbar witzige, im Kern aber intuitiv richtige Bonmot stam-men, Bruckner habe nur eine einzige Sym-phonie komponiert, diese jedoch neunmal. Dass sich Bruckner im Gestus seiner Musik-sprache treu blieb, ist tatsächlich nicht zu leugnen, und ebenso unbestreitbar dürfte Pfitzners Beobachtung sein, dass unter den Bruckner’schen Symphonien eine große, quasi genetisch bedingte »Familienähnlich-keit« herrscht. Bei näherem Kennenlernen

zeigt sich jedoch die ausgeprägte Individua-lität dieser Familienmitglieder, und auch das Konzertpublikum scheint dies zu emp-finden, indem es innerhalb der Neunzahl einige Favoriten deutlich bevorzugt. Als eine der populärsten und beliebtesten der Bruckner’schen Symphonien galt und gilt die »Vierte«, der der Komponist selbst den Beinamen »Romantische« voransetzte.

ROMANTISCH – ABER WIE ?

Mit einer kurzen Definitionsformel ist der komplexe Wesensbegriff der Romantik nicht zu fassen. In der sprachlichen Umwelt der Gegenwart freilich, die das vielschichtige Wort zum simplen Werbeträger trivialisiert hat (»romantisch« ist heute etwa ein Abendessen zu zweit bei Kerzenlicht), lohnt es sich, die Bedeutungsdimensionen in Er-innerung zu bringen, die dieser Begriff in Lebensgefühl und Kunst des 19. Jahrhun-derts besaß. Romantik in dem Sinne, wie sie von den Dichtern und Philosophen der ers-ten Jahrhunderthälfte propagiert wurde, bedeutete eine bewusste Überschreitung des Rationalen in Richtung der »Unend-lichkeit«; höchstes Ziel romantischer Kunst war es – so Schlegel, Schleiermacher und Novalis in ihren Schriften – , die gesamte endliche Welt allegorisch als Chiffre des Unendlichen aufzufassen, das Gemüt inmit-ten des Endlichen mit dem Unendlichen eins werden zu lassen. Dass sich Bruckner mit seinem Epitheton der 4. Symphonie be-wusst auf diese literarisch-philosophische Tradition bezog, dürfen wir als höchst unwahrscheinlich ansehen: Längst hatte sich der Begriff des »Romantischen« zu einem Bündel von Bedeutungen verfestigt, die das Brockhaus-Lexikon als »eine zum Gefühlvollen, Wunderbaren, Märchenhaften und Fantastischen neigende Weltauffas-sung und –darstellung« beschreibt.

Anton Bruckner: 4. Symphonie Es-Dur

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Mit bildhaften Vorstellungen und program-matischen Hinweisen ging Bruckner im Falle der »Vierten« freigebiger um als bei seinen anderen Werken; ein »Programm« im Sinne eines Handlungsablaufs, der von der Musik illustriert wird, findet sich dennoch nicht. Bruckner gab kurze, assoziationsbetonte, aber weitgehend inkonsistente Bedeu-tungshinweise. Dem oberösterreichischen Kleriker Bernhard Deubler erklärte er den 1. Satz mit folgenden Bildern: »Mittelalter-liche Stadt – Morgendämmerung – von den Stadttürmen ertönen Morgenweckrufe – die Tore öffnen sich – auf stolzen Rossen sprengen die Ritter hinaus ins Freie – der Zauber des Waldes umfängt sie – Waldes-rauschen, Vogelgesang – und so entwickelt sich das romantische Bild weiter.« Diese Bilder sagen einiges über Kolorit und Sphäre des Werks, nichts aber über dessen Struk-tur. Keineswegs bestimmt hier – wie etwa in Franz Liszts symphonischen Dichtungen – die poetische Idee das formale Konzept; dass Bruckner das Wort »romantisch« ledig-lich in einem allgemein charakterisierenden Sinne verstand, wird durch eine Bemerkung aus späteren Jahren verdeutlicht, als er seine Wünsche für ein vage ins Auge ge-fasstes Opernprojekt formulierte: »À la Lohengrin, romantisch, religiös-mysteriös und besonders frei von allem Unreinen.«

NATURBILDER IN STRENGEN FORMEN

Die »couleur locale«, die die 4. Symphonie durchzieht, wurde von Anfang an als musika-lisches Bild des Wald – und Naturerlebnisses interpretiert. Trotz dieser atmosphärischen Färbung bleibt Bruckner – und dies ist zum Verständnis seiner Eigenart von entschei-dender Bedeutung – der symphonischen Tradition im Gefolge Beethovens treu und gestaltet die Sätze gemäß den traditionellen

Formschemen, die allerdings im Vergleich mit den klassischen Vorbildern großräumig ausgeweitet werden. Ein Charak teristikum liegt in dem Verfahren, statt »Themen« im überlieferten Sinne eher »Themengruppen« einzuführen, die durch feingliedrige moti-vische Verwandtschaften aufeinander be-zogen sind.

Der 1. Satz beginnt nicht unmittelbar mit dem Hauptthema, sondern mit einem zwei Takte währenden Tremolo der tiefen Streicher auf dem Es-Dur-Akkord: ein »Klangraum« öffnet sich, in den das weitere Geschehen eingebettet ist. Im Horn – dem »romanti-schen« Instrument par excellence – erklingt nun der abwärtssteigende, sogleich in den Ausgangston zurückkehrende Quintschritt, der das gesamte Werk gleich einem Ele-mentarmotiv durchzieht. Die Motivik des Hornthemas entfaltet sich in feierlicher Breite und geht in eine Steigerungsentwick-lung über, die vom »Bruckner-Rhythmus« dominiert wird, der unmittelbaren Folge von Zweier – und Dreier-Metrum. »Morgengrau-en und Sonnenaufgang« – mit diesen und ähnlichen Worten charakterisierten die frü-hen Bruckner-Exegeten den Satzbeginn, und es sei ihnen nicht widersprochen, zumal Bruckner selbst diese Bilder aufgegriffen hat. Klar abgesetzt folgt die »Gesangs-gruppe«, wieder ein Themenkomplex, in dem sich das »Gesangsthema« in den Bratschen und ein darüber gestelltes Motiv in den Geigen verbinden. Zum lautmalerischen Geigen motiv bemerkte Bruckner, hier sei die »Be-Moasn« (Waldmeise) zu hören, deren Gezwitscher (»zi-zi-be«) sich in der Rhythmisierung abbilde. Thematisch dem Hauptthema verwandt ist die Schluss-gruppe, die die breit angelegte Exposition abschließt. Die Durchführung bringt Um-bildungen und kunstvolle Verschränkungen der exponierten Thematik, deren Bezug-

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Franz Antoine: Anton Bruckner im Jahr der Wiener Uraufführung seiner 4. Symphonie (1881)

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nahme auf das Ausgangsmaterial sich dem ersten Hören wohl kaum erschließt, bevor Reprise und Coda die Themenfolge der Ex-position in großangelegter Steigerung wie-der aufgreifen.

Liegt dem Kopfsatz somit das Modell der Sonatenform zugrunde, so folgt der 2. Satz dem Prinzip des symmetrischen Bogens mit variativen Elementen. Ein an Schubert er-innernder Marschrhythmus leitet das Ge-schehen ein und bereitet den Eintritt des Hauptthemas in den Celli vor, eines elegi-schen Gesanges, das seine Verwandtschaft mit dem Kopfsatz durch den ab – und auf-steigenden Quintschritt bekundet. Auch hier besitzen wir eine authentische Deutung aus dem Munde Bruckners: »Im zweiten Satz will ein verliebter Bursch fensterln geh’n, wird aber nicht eingelassen.« Diese Assoziation hat hier freilich, wie wir der Sprache der Musik entnehmen, keinerlei scherzhaft-neckische Komponente: In tie-fem Ernst und leidvoller Resignation, die sich in choralartigen Abschnitten manifes-tiert, wird die Seelenlage eines Einsamen und vergeblich Hoffenden geschildert, und zweifellos dürfen wir darin eine zutiefst persönliche Aussage Bruckners erkennen, für den die Beziehung zu Frauen zeitlebens lediglich Inhalt von Sehnsüchten und Ent-täuschungen blieb.

Fröhliche, ja derbe Kontraste zum Adagio setzt das nun folgende Scherzo, das »die Jagd darstellt« und diese bildliche Vorlage unmittelbar anschaulich umsetzt. Zu-nächst vereinzelte, dann stetig dichter aufeinanderfolgende Hornrufe malen das Bild eines sich nähernden Jagdtrosses, wobei die motivische Keimzelle wieder durch den »Bruckner-Rhythmus« (2 + 3) bestimmt ist. Die Steigerungen gipfeln in hämmernden Wiederholungsfiguren, in denen

sich die Rhythmik beinahe in bloße Motorik auflöst; Stellen dieser Art waren es, die bei der zeitgenössischen, akademisch-klassi-zistischen Musikkritik auf scharfe Ableh-nung stießen. Ebenfalls ländlich geht es im Trio zu, das von den Scherzo-Rahmenteilen symmetrisch umschlossen wird: Ein Ländler schildert die »Mahlzeit zur Jagd«.

Eine Bitte um Interpretation auch des 4. Satzes blockte Bruckner ziemlich schroff ab: »Und im letzten Satz – ja, da woaß i’ selber nimmer, was i’ mir dabei denkt hab’ !« Trug die Urfassung des Satzes noch die Bezeichnung »Volksfest«, so ist eine Assoziation wie diese seiner Endversion kaum noch adäquat; eher kommen hier die Nacht – und Schreckensseiten der Natur zu dramatischem Ausdruck. Über ostinaten Figuren der Streicher ertönen Horn und Klarinette in weit ausgreifenden, ab-steigenden Intervallschritten: »Gewitter-stimmung« breitet sich aus. Vor uns ent-steht das Thema aus seinen Elementen; erst als Abschluss der Steigerungsentwick-lung erreicht es seine volle Ausprägung und wird im Fortissimo des Orchesters expo-niert. Der dramatisch-bedrohlichen Welt der Hauptthemengruppe ist die idyllische Sphäre der Gesangsgruppe entgegenge-setzt; und auch dieses thematische Ge-schehen wird in seiner Grundkonzeption von der Sonatenform bestimmt. Die Coda, der Schlussteil des Satzes, mündet in eine triumphale, choralartige Steigerung und zuletzt in den mehrfach wiederholten Quintschritt des Hauptthemas aus dem 1. Satz, solcherart Beginn und Ende des Gesamtwerks verklammernd.

ENTSTEHUNG AUF UMWEGEN

In ihrer sog. »Urfassung« entstammt die 4. Symphonie dem Jahr 1874. Bruckner

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arbeitete an der Partitur knappe elf Mona-te, von Januar bis November des Jahres; Zeit zum Komponieren boten nur die Pausen zwischen seinen Verpflichtungen am Kon-servatorium der Gesellschaft der Musik-freunde, an dem er seit 1868 eine Professur innehatte, und zahlreichen Unterrichts-stunden für Privatschüler. Bemühungen um eine Wiener Aufführung blieben ohne Erfolg, und entgegen der ihm häufig nachgesagten Naivität verfolgte der Komponist daraufhin zielstrebig eine Aufführung im Ausland, von der er sich größere Breitenwirkung ver-sprach. In diesem Punkt baute er auf die Unterstützung des Berliner Musikgelehrten Wilhelm von Tappert, den er 1876 während der ersten Bayreuther Festspiele bei einer Soirée in Wagners Villa »Wahnfried« kennen gelernt hatte. Eine Aufführung in Berlin sei »tausendmal besser als in Wien«, schrieb er am 1. Oktober 1876 an Tappert, und die-ser dürfte sich in Berlin tatsächlich für den noch völlig Unbekannten eingesetzt haben, doch kam auch hier die ersehnte Auffüh-rung nicht zustande.

Tappert blieb für Bruckner dennoch ein Hoffnungsträger; der Briefwechsel der fol-genden Jahre beleuchtet die weitere Befas-sung des Komponisten mit der Symphonie, deren Nicht-Annahme in Wien und Berlin er sich nur mit Mängeln des Werks selbst erklären konnte. Bereits ein Jahr später, am 12. Oktober 1877, erfuhr Tappert von tiefgreifenden Revisionsplänen: »Ich bin zur vollen Überzeugung gelangt, daß meine 4. romant. Symphonie einer gründlichen Umarbeitung dringend bedarf. Es sind z. B. im Adagio zu schwierige, unspielbare Violin-figuren, die Instrumentation hie u. da zu überladen u. zu unruhig.«

Allerdings führte gegen Ende 1877 noch ein anderes Ereignis dazu, dass Bruckners

Selbstvertrauen als Komponist einen Tief-punkt erreichte. Die 3. Symphonie, die er Richard Wagner »in tiefster Ehrfurcht« gewidmet hatte, erlebte bei ihrer Wiener Uraufführung am 16. Dezember 1877 ein veritables Fiasko: Das Publikum verließ in Scharen den Saal, Bruckner fühlte sich zu-tiefst gedemütigt. All seine Energie galt nun der Bearbeitung der »Vierten«, von der er Tappert am 9. Oktober 1878 aber-mals berichtete. »Ganz neu und kurz« habe er das Werk nun gestaltet. Offen-sichtlich hatten die Klagen über die außer-gewöhnlichen Satzdimensionen der »Drit-ten« Wirkung gezeigt. In diesem Brief kündigt Bruckner außerdem an, den vor-handenen 3. Satz durch eine Neukomposi-tion zu ersetzen: »Nur das neue Scherzo bleibt mir noch übrig, welches die Jagd vorstellt, während das Trio eine Tanzweise bildet, welche den Jägern während der Mahlzeit aufgespielt wird.« Es ist nicht zu leugnen: Einer der unmittelbar wirkungs-vollsten Symphoniesätze Bruckners ver-dankt seine Entstehung den ständig prä-senten Zweifeln an der Qualität eines vor mindestens vier Jahren abgeschlossenen Werks. Auch das schon einmal umgearbei-tete Finale revidierte Bruckner erneut; seine nunmehr dritte Fassung wurde am 5. Juni 1880 beendet. Die Symphonie hat-te die Gestalt erhalten, in der sie am 20. Februar 1881 ihre Wiener Urauffüh-rung erleben sollte.

ZUSTIMMUNG UND KRITIK

Die Uraufführung der 4. Symphonie, die in einem Konzert zugunsten des neugegründe-ten »Deutschen Schulvereins« stattfand, wurde zu einem großen Erfolg für den Kom-ponisten; erst nachträglich sollte sich zei-gen, dass auch diesmal der entscheidende Durchbruch nicht gelungen war, dass auch

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diese umjubelte Aufführung eine »Eintags-fliege« bleiben sollte, der Jahre des Des-interesses folgten.

Mit der Widmung seiner 3. Symphonie an Wagner hatte sich Bruckner im Streit der musikalischen Parteien seiner Zeit dekla-riert; während ihm nun das Wagner-Lager volle Unterstützung zukommen ließ, wurde er für die Gruppe der militanten Brahms- Anhänger zur Zielscheibe journalistischer Angriffe. Wenige Kritiker gelangten zu einem so ausgewogenen Urteil wie Eduard Kremser, der Chormeister des Wiener Männergesang-vereins, der im »Vaterland« vom 3. März 1881 über das neue Werk schrieb: »Bruckner ist ein Wagnerianer, allerdings genau so, wie Wagner ein Beethovenianer, wie Beet-hoven ein Mozartianer ist, in einem anderen Sinne gewiss nicht. […] Ist man aber darum gleich ein bloßer Nachahmer, weil man das von Früheren Überkommene und Ererbte verwendet ? Es fragt sich ja doch nur, in welcher Weise dies geschieht, ob man das Überkommene in eigentümlicher Weise be-nützt ! Und wahrlich, Bruckner tut letzte-res mehr, als irgend einer der Neueren; er singt seinen eigenen Gesang, er singt aus der eigenen Saite heraus; er hat der Welt etwas mitzuteilen, was sein eigenstes Eigen-tum bildet, und es wäre nur zu wünschen, dass ihm hiezu öfter Gelegenheit geboten würde, als es bisher der Fall gewesen.«

Journalistisch pointiert, den scharfen Ton späterer Jahre vorwegnehmend, fiel die Rezension Max Kalbecks in der »Wiener Allgemeinen Zeitung« aus: »Die vier Sätze seines Werkes sind eine wahre Sympho nien-Tetralogie, und jeder einzelne genügt, ein unvorbereitetes Orchester tot zu machen. In den Gedanken des Werkes herrscht die Unordnung eines Gelehrtenzimmers, wo

alles über – und durcheinander liegt und nur der Herr des Hauses sich zur Not zu-recht tastet.«

»SIE HABEN MÜNCHEN NEU EROBERT«

Noch zu Lebzeiten Bruckners wurde die »Vierte« in Österreich und Deutschland relativ häufig aufgeführt und galt als eines der beliebtesten Bruckner-Werke – ein Ruf, der sich bis in die Gegenwart erhielt. 1888 war sie selbst in New York zu hören. Wenige Aufführungen jedoch dürften Bruckner so viel Freude bereitet haben wie die erst-malige Vorstellung des Werks in München am 10. Dezember 1890, und hier war es vor al-lem eine Reaktion aus prominenter Feder, die ihm tiefe Genugtuung verschaffte: ein Brief, den ihm der Dichter Paul Heyse kurz nach der Münchner Erstaufführung schrieb: »Verehrter Herr Bruckner ! Als ich gestern unserem Freunde Levi mein Entzücken über Ihre vierte Symphonie aussprach, die mich und ein überaus zahlreiches Publikum am letzten Mittwoch im hiesigen Odeon zu ent-husiastischer Bewunderung fortgerissen hatte, drang er in mich, meinen Dank für dieses herrliche Werk Ihnen direkt abzustat-ten. […] Eine solche Andacht weckte nun aber Ihr wunderbares Werk ringsum in dem weiten Saale, wie das nur bei den höchsten Offenbarungen des Genius der Fall zu sein pflegt, und dass ich Ihnen dies mitteilen darf, berechtigt mich einiger maßen dazu, Ihnen zu schreiben. Auch die Widerwilligen und früher Kühlgesinnten haben der impo-santen Macht Ihrer Musik nicht widerstehen können. – Sie haben München neu erobert. Ihre Freunde werden dafür sorgen, dass die-sem großen Siege noch viele nachfolgen.«

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Otto Böhler: Anton Bruckner gefolgt von den Wiener Kritikern Eduard Hanslick, Max Kalbeck und Richard Heuberger (um 1890)

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In diesem Streifzug geht es nicht um Inter-pretationsgeschichte, angesiedelt zwi-schen Klangopulenz und historisierender Durchsichtigkeit, zwischen unreflektierter bis unangemessener Vereinnahmung und objektivierender Strukturanalytik, so her-ausragend einzelne Darstellungen auch gewesen sein mögen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die wichtigsten Stationen der Symphonie selbst – im Kontext zur Biogra-phie der Münchner Philharmoniker: Erste Aufführung am 13. Januar 1897 in der Bearbeitung durch den Bruckner-Schüler Ferdinand Löwe; weitere Wiedergaben in den beiden »Beethoven-Brahms-Bruckner- Zyklen« der Jahre 1909 und 1910; Münch-ner Erstaufführung der Originalfassung am 14. Dezember 1936; erste Schallplatten-aufnahme unter Oswald Kabasta am 30. Juni 1943; schließlich Welturaufführung der Erstfassung von 1874 unter Kurt Wöss am 20. September 1975 in Linz.

1897: ERSTAUFFÜHRUNG IN EINER BEARBEITUNG DURCH FERDINAND LÖWE (ERSTDRUCK VON 1889/90)

Bei der ersten Aufführung der 4. Symphonie von Anton Bruckner am 13. Januar 1897

unter der Leitung von Hermann Zumpe (Chefdirigent des Orchesters von 1895–1897) handelte es sich nicht um die Münch-ner Erstaufführung – sie hatte schon am 10. Dezember 1890 in einem Konzert der »Musikalischen Akademie« des Königlichen Hofopernorchesters stattgefunden, eben-falls unter Zumpe – , dennoch war es die erste Symphonie des österreichischen Kom-ponisten Anton Bruckner, die das nach seinem Gründer Franz Kaim benannte »Kaim-Orchester« (die nachmaligen Münch-ner Philharmoniker) gespielt hatte. Erst vierzehn Tage zuvor, am 30. Dezember 1896, hatte Zumpe das »Te Deum« vorge-stellt, die erste Bruckner-Aufführung des Orchesters überhaupt: damals durchaus ein Wagnis, weil das Bruckner’sche Werk noch längst nicht zum Standardrepertoire ge-hörte. Die Symphonik vor allem galt als modern, für Musiker und Zuhörer gleicher-maßen »nicht leicht zu erfassen«, kurz: als Herausforderung ersten Ranges, obwohl sie zunächst nur in den »praktikablen« Bear-beitungen seiner Schüler Ferdinand Löwe und Franz Schalk vorgestellt wurde.

»Dieser kürzlich verstorbene Komponist gehört«, wie der Rezensent der » Münchener

Die »Romantische« bei den Münchner Philharmonikern

GABRIELE E. MEYER

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Neuesten Nachrichten« zwei Tage später befand, »zu den umstrittensten Kunstper-sönlichkeiten unserer Zeit. Während ihm die Einen nur eine außerordentliche Natur-begabung zugestehen wollen, gibt es Solche, die seine Werke fast denen Beethovens gleichstellen. Beide Urtheile treffen nicht das Richtige. Allerdings besitzt Bruckner nicht jenen höchsten Kunstverstand, jene gegen sich selbst unerbittliche Kritik, durch die Beethoven seinen Schöpfungen den Stempel der Vollendung aufgedrückt hat, aber ebenso wenig sind Bruckners Werke so formlos, wie es namentlich die Vertreter des akademischen Formalismus«, hier ist der Wiener Kritiker und dezidierte Bruckner-Antipode Eduard Hanslick ge-meint, »behaupten, und berichten heute nur, daß die gestrige Aufführung der ro-mantischen Symphonie geradezu als eine künstlerische >That< bezeichnet werden muß. Dirigent und Orchester standen auf der Höhe ihrer Aufgabe. Hofkapellmeister Zumpe hatte den Geist der Tonschöpfung in seinem innersten Kern erfaßt, bis in die kleinste Einzelheit hinein war die Phrasie-rung belebt und beseelt.« Und die Musiker »entfalteten einen Reichthum von Tonab-stufungen, eine Energie und wiederum eine ideale Zartheit des Ausdrucks, die des höchsten Lobes würdig ist.« Bemerkens-wert ist der Wunsch, die Symphonie bald wieder einmal zu hören, weil sie in »solcher Vorzüglichkeit die beste Propaganda für einen Tondichter ist«. – Auf dem Programm jenes denkwürdigen Konzertes standen noch das Konzert für Violine in d-Moll von Richard Strauss, die »Akademische Fest- Ouvertüre« von Johannes Brahms und zwei Violinsoli, in denen der inzwischen ausge-schiedene Konzertmeister des Orchesters Alfred Krasselt als Solist glänzte.

WEITERE AUFFÜHRUNGEN

Acht Jahre später, am 20. und 21. Februar 1905, riskierte Ferdinand Löwe in München ein »Bruckner-Fest«, bei dem er neben dem 150. Psalm und der 6. Symphonie (Münch-ner Erstaufführung) die beiden »Wunder-werke der vierten und neunten Symphonie« (Rudolf Louis) zur Aufführung brachte. Ein gutes Jahr später heißt es in einem Bericht der »MNN« vom April 1906 über ein Konzert in Essen: »Das Kaim-Orchester gab in der >Musikalischen Gesellschaft< zu Essen ein Konzert, das von einem für dort ganz unge-wöhnlichen Erfolge begleitet war. Bruckners romantische Symphonie, die in Essen vor einigen Jahren vom Publikum glatt abge-lehnt worden war, hatte die Leitung der Gesellschaft mutig zum Hauptwerk des Abends erkoren, und Dank der glänzenden Wiedergabe unter [Lennart] Schnéevoigt erfuhr das Werk eine Rechtfertigung und erfolgreiche Auferstehung, für die die Hörer durch begeisterten Beifall dankten.« – Mit der nochmaligen Berufung Ferdinand Löwes zum Chefdirigenten nahm die Bruckner- Tradition der Philharmoniker ihren eigent-lichen Anfang. Den Grundstein hatte er bereits in der Spielzeit 1897/98 mit der legendären deutschen Erstaufführung der 5. Symphonie in München gelegt und mit ihrer triumphalen Wiederholung in Wien.

Ferdinand Löwe war es auch, der 1909 und 1910 als erster Dirigent begann, Bruckners anspruchsvolle Symphonik in »Beethoven- Brahms-Bruckner-Zyklen« quasi gleich-berechtigt neben die der beiden anderen großen Symphoniker zu stellen. Ging es anfänglich darum, »die Symphonien nicht nur zu rühmen oder zu bewundern, sondern sie auch so oft wie möglich aufzuführen, und zwar im Geiste jener Tradition, die sich auf den Umgang mit dem Komponisten be-

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rufen konnte« (Dietmar Holland), sollte nun mit ihrer Aufnahme in die Zyklen unbestrit-tener Meisterwerke auch deren Rang für alle Zeiten festgeschrieben werden. Die zweiten »zwölf Festkonzerte des > Münchner Konzertvereins< (unter dem Protektorat S. K. H. Prinz Ludwig Ferdinand)« fanden übrigens »in der Zeit vom 5. August bis 4. September in der Neuen Musikfesthalle« im Rahmen der »Ausstellung München 1910« statt. Nur eine Woche später, am 12. September, brachte Gustav Mahler in demselben Saal seine 8. Symphonie zur Ur-aufführung, ebenfalls mit den Münchner Philharmonikern (dem damaligen Konzert-vereins-Orchester).

Doch damit nicht genug. Eine Pressemittei-lung Ende September für die Spielzeit 1910/11 würdigte Löwes unbeirrten Ein-satz für das Werk seines Lehrers auch vor heimischem Publikum: Er »wird in den aus-schließlich unter seiner Leitung stehenden zwölf Abonnements-Konzerten neben ande-ren klassischen und modernen Werken die neun Symphonien Anton Bruckners zur Auf-führung bringen. Außerdem sind vorgese-hen des gleichen Meisters 150. Psalm und das Te Deum. Mit diesem Unternehmen, das unseres Wissens bis jetzt noch kein Konzert-institut gewagt hat, soll in möglichst ge-drängter Form ein Bild von der Entwicklung des gesamten Schaffens dieses bedeu-tenden Symphonikers gegeben werden« (»Theater- und Vergnügungs-Anzeiger«). Jahre später bedurften Bruckners Werke keinerlei »Mithilfe« durch die klassischen Symphoniker. So stand, um nur ein erstes Beispiel zu erwähnen, das ganze Jahr 1924 im Zeichen des 100. Geburtstags von Bruckner. »Ein besonderes musikalisches Fest« zu feiern, war, wie die »MNN« erklär-ten, »schon fast eine Selbstverständlich-keit in einer Stadt, die – außer Wien –

»Bruckners Werk am eifrigsten gepflegt und es auch am lebendigsten in sich aufge-nommen hat.«

1936: ERSTAUFFÜHRUNG DER SOG. »ORIGINALFASSUNG« VON 1878/80 UNTER SIEGMUND VON

HAUSEGGER

Die 1936 erfolgte Veröffentlichung der Ori-ginalfassung der 4. Symphonie im Rahmen der Kritischen Gesamtausgabe durch die Internationale Bruckner-Gesellschaft Wien hatte noch im selben Jahr die Münchner Erstaufführung zur Folge. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es nur die gewissermaßen unter den Augen des Komponisten vorge-nommene Bearbeitung durch Ferdinand Löwe (Erstdruck 1889/90). Wie bei allen Symphonien Bruckners ging es anfangs ein-zig darum, der schwierigen Musik über-haupt zum Durchbruch im Konzertsaal zu verhelfen. Dietmar Holland spricht hier ganz generell von Bruckners »versteckter Doppelstrategie, seine Eingriffe als bloß temporäre und damit vergängliche einzu-stufen, während er – seinerseits hinter dem Rücken der Bearbeiter – die autographen Partituren testamentarisch und damit als für die Ewigkeit gültige der Wiener Hof- (heute National-)Bibliothek vermachte, wohl wissend, daß die Unterschiede zwi-schen Erstdruck, Stichvorlage und auto-grapher Partitur eines Tages ans Licht ge-bracht würden«.

Siegmund von Hausegger, der künstlerische Berater der (ersten) Bruckner-Gesamtaus-gabe und Dirigent der in der Bruckner- Rezeption der Münchner Philharmoniker als Meilenstein betrachteten Uraufführung der Originalfassung der 9. Symphonie am 2. April 1932, blieb auch weiterhin ein engagierter Anwalt des, wenn man so will, letzten Willens

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Siegmund von Hausegger, Chefdirigent von 1920 bis 1938, der die »Originalfassung« der 4. Symphonie zur Münchner Erstaufführung brachte

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des Komponisten. Dass Hausegger in der 1938 erstellten Aufnahme der 9. Symphonie mit den Münchner Philharmonikern dennoch einige der Veränderungen Löwes beibehalten hat, hängt noch mit der damals ästhetisch anders motivierten Aufführungs praxis zu-sammen.

Nach der ebenso bereitwillig aufgenomme-nen Uraufführung der 5. Symphonie in ihrer Originalfassung am 23. Oktober 1935, wie-derum unter Hauseggers Leitung, stellte er am 14. Oktober 1936 auch die Original-fassung der 4. Symphonie vor. Diese von Bruckner der Österreichischen Nationalbi-bliothek überlassene Fassung besteht aus den drei ersten Sätzen der zweiten Fassung von 1878 und dem Finale in der dritten Fassung von 1880. Ihr Titel: »IV. Sinfonie in Es romant.« Unter der Überschrift »Reger und Bruckner im 4. Philharmoni-schen Konzert« schrieb Oscar von Pander, Komponist und Kritiker der »MNN« zwei Tage später: »Bruckners romantische Sym-phonie, das bekannteste seiner Werke, hörte man an diesem Abend als >Erstauf-führung< in der Originalfassung. Die Aende-rungen, die von den Herausgebern vorge-nommen wurden, sind in dieser Symphonie weniger einschneidend als beispielsweise in der Fünften oder Neunten. Neben einigen Ueberarbeitungen der Instrumentierung beschränken sie sich vor allem auf Auslas-sungen eines Wiederholungsteils im Scherzo und – viel beträchtlicher ! – den Fortfall eines Stückes im Finale vor der Wiederkehr des zweiten Themas, das noch einmal das erste Oktaventhema im fortissimo gedrängt vorführt. Auch die Stelle, die das zweite Thema in der Wiederholung bringt, ist ziem-lich stark geändert. Die Instrumentierung ist überhaupt einfacher geworden. Siegmund v. Hauseggers großartige und verantwor-tungsbewußte Haltung dieser herrlichen

Musik gegenüber brachte die Romantische auch in der Originalfassung wie bisher stets in der vorher gespielten, zu allerstärkster Wirkung. Die ganz vortrefflich spielenden Münchner Philharmoniker […] und der Diri-gent wurden von den ergriffenen Zuhörern dieses schönen Konzerts lebhaft gefeiert.«

1943: ERSTE SCHALLPLATTENAUFNAHME

UNTER OSWALD KABASTA

Obwohl ein weithin bekannter Verfechter der Originalfassungen war Oswald Kabasta wie viele seiner damaligen Kollegen hin-sichtlich der ihm vertrauten frühen Bruck-ner-Rezeption auch ein Kind seiner Zeit. Mit anderen Worten: Kabasta scheint, wie die von ihm selbst redigierten Studienparti-turen und Aufnahmen der 4., 7. und 9. Sym-phonie zeigen, bei seinen Interpretationen einige Eigenheiten der Erstdruck-Fassungen aus orchestertechnischen Gründen beibe-halten zu haben. In seinem Aufsatz »Mein Weg zu Bruckner und zu den Original-fassungen« begründete Kabasta seine in manchen Details tolerante Einstellung. So ließ er z. B. im 2. Satz der 4. Symphonie bei Ziffer C und I die Bratschen in Anlehnung an den Erstdruck von 1889/90 ohne die von Bruckner geforderten Dämpfer spielen. In-teressant bleibt, dass Kabastas Tempi bei Bruckner im Vergleich zu modernen Aufnah-men generell zügiger sind. Allein das Scherzo der »Vierten« demonstriert trotz der nicht zu überhörenden technischen Mängel eine Spielweise, die einem schier den Atem ver-schlägt. Man spürt die Imagination, die der Realisierung weit voraus ist – eine charak-teristische Eigenheit dieses Dirigenten. Das heißt aber nicht, dass sich Kabasta keine Zeit zur Gestaltung von Übergängen nahm oder mit Crescendo-Stauungen nichts an-zufangen wusste. In der Verbindung mit der

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für diesen Dirigenten typischen Flexibilität entsteht eine physische Spannung, die heu-tigen Bruckner-Interpreten häufig fehlt. Eine fast schon exzessive Probenarbeit, fußend auf umfassenden Instrumenten-kenntnissen befähigten Kabasta zudem, seine Vorstellungen jedem Orchestermusiker über die direkte Arbeit zu vermitteln, also ohne intellektuelle Umwege. »Der im besten Sinne diesseitige, österreichisch-schwelge-rische Bruckner-Stil, der heute als wohlige Alternative zum hochgesteigerten Pathos proklamiert wird, war«, so erinnerte sich Karl Schumann später, »bei Kabasta längst und in runder Fülle ausgeprägt gewesen.«

1975: URAUFFÜHRUNG DER URFASSUNG VON 1874

UNTER KURT WÖSS

Die zum Teil extrem kontrovers geführten Diskussionen, welche Version der Sympho-nien nun als verbindlich »für alle Zeiten« angesehen werden soll, sind beileibe nicht verstummt. Zu kompliziert scheint die Dar-stellung der verschiedenen Phasen der Ent-stehungsgeschichte, reziprok ausgehend von den pragmatischen Bearbeitungen durch Ferdinand Löwe und Franz Schalk (Erstdruckfassungen), der Erschließung der Originalfassungen bis hin zur Wiede-rentdeckung der Frühfassungen, »mit denen Bruckners >provisorisches< Komponieren der Nachwelt eine Hypothek hinterlassen hat, die der adäquaten Interpretation eben-so harrt wie einer Aufführungspraxis, die über die Relevanz der verschiedenen Werk-fassungen entscheidet« (Dietmar Holland).

Erst in den 70er Jahren kam es überhaupt zu Uraufführungen dieser Frühfassungen, abgesehen von einem Versuch Joseph Keil-berths in Dresden (Symphonie Nr. 3). Am 20. September 1975 waren auch die Münch-

ner Philharmoniker beteiligt. Im Rahmen eines Bruckner-Festes in Linz spielten sie unter der Leitung von Kurt Wöss die Urfas-sung der »Romantischen« von 1874. In der Einleitung zu der Konzertbesprechung meinte »Die Presse« in Wien: »Selbst unse-re Zeit hat noch Überraschungen für einen Musikfreund parat. Hundertundein Jahre nach der Niederschrift erklang im Linzer Brucknerhaus am Wochenende zum ersten-mal Anton Bruckners IV. Symphonie. Was die Musikwelt bisher als die >Romantische< gekannt und zumeist bewundert hat, ist keineswegs nur eine abgeschliffene oder gestraffte Version, sondern ein anderes Werk. Seit dem Wochenende weiß man das.« Nach der Auseinandersetzung mit der ge-rade gehörten Urfassung verneint Franz Endler die naheliegende Frage, ob die Ge-schichte hier ein Urteil zugunsten der frü-hen Fassung gesprochen habe, weil die Entscheidung gegen sie eindeutig vom Komponisten selbst getroffen worden sei. Dennoch plädierte der Kritiker für eine Wiederholung, um noch mehr »Musikern und Musikfreunden« die Gelegenheit zu einer eigenen Meinungsbildung zu geben. Ob sich allerdings die Früh-Fassungen, de-ren Informationsdichte oftmals weit höher liegt als bei den späteren »Original«- Fassungen, im Konzertsaal durchsetzen können, ist nach wie vor ungewiss.

Für die Münchner Philharmoniker, deren Bruckner-Tradition am 30. Dezember 1896 begann und die sich seit der zweimaligen Amtszeit ihres Chefdirigenten Ferdinand Löwe dem Bruckner’schen Werk besonders verbunden fühlen, könnte eine weitere reiz-volle Aufgabe darin bestehen, die 4. Sym-phonie in der zweiten Fassung von 1878 mit ihrem bis heute unaufgeführten ursprüng-lichen Finale »uraufzuführen«.

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In München feierte Anton Bruckner die we-nigen wirklichen Erfolgserlebnisse, die er zu Lebzeiten erfahren durfte – ganz im Gegen satz zu Wien, wo seine Symphonien in der Regel zwar uraufgeführt, aber von der Presse meist gnadenlos verrissen wurden und zu Publikumstumulten führten. Die Münchner Erstaufführung von Bruckners 7. Symphonie unter der Leitung des Königlich-Bayerischen Hofkapellmeisters Hermann Levi hingegen geriet zu einem Triumph für den Komponisten, der bahn-brechend auf die weitere Rezeption seiner Werke in Deutschland und Europa wirkte. Fortan hatte das »Isar-Athen« der Wittels-bacher für Bruckner den Nimbus eines pa-radiesischen »Eldorado«, wie es für Mozart in ganz analoger Weise die »goldene Stadt« Prag gewesen war: eine Art zweite Heimat, von der sich Bruckner ein besonders posi-tives Klima für die Beurteilung seiner Werke erwarten durfte.

Die Münchner Philharmoniker waren und sind das Orchester, das die Pflege dieser spezifisch Münchner Bruckner-Tradition seit seiner Gründung als »Kaim-Orchester« kontinuierlich verfolgt. Nicht umsonst war einer seiner ersten Dirigenten der Bruckner-

Schüler Ferdinand Löwe. In Anknüpfung an das triumphale Gastspiel des Kaim-Orches-ters mit Bruckners 5. Symphonie, das am 1. März 1898 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins über die Bühne ging, leitete Löwe die ersten großen Bruckner-Konzerte in München und begründete so die bis heute andauernde Bruckner-Tradition der nach-maligen »Münchner Philharmoniker«. In die Amtszeit von Siegmund von Hausegger, der dem Orchester von 1920 bis 1938 als Ge-neralmusikdirektor vorstand, fielen diverse Ur – und Erstaufführungen der damals neu herausgegebenen, von allen fremden Zuta-ten befreiten »Originalfassungen« von Bruckners Symphonien. Nach Hausegger war es dann vor allem der österreichische Dirigent Oswald Kabasta, der von 1938 bis 1944 die Bruckner-Tradition der Münchner Philharmoniker erfolgreich fortführte und sie bei zahlreichen Gastspielreisen im In- und Ausland der europäischen Musikwelt bekannt machte.

Schließlich führte von 1979 an Sergiu Celibidache mit dem Orchester der Stadt Bruckners Werke in vielen Ländern außer-halb Europas, vor allem in Südamerika und Asien, überhaupt zum ersten Mal auf. Die

Das Bruckner-Orchester der Stadt

Anton Bruckners zweite Heimat

STEPHAN KOHLER

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gemeinsamen, heute bereits legendären Bruckner-Konzerte »Celis« mit »seinen« Philharmonikern trugen ganz wesentlich zum internationalen Ruf des Orchesters bei. Diesen Ruf als eines der besten Ensem-bles für den von Bruckner intendierten »dunklen« Klang hat später Christian Thielemann als weltweit gefeierter Sach-walter der spezifisch deutschen Musik-tradition in seiner Münchner Amtsperiode erneut unter Beweis gestellt. Unter den Bruckner-Dirigenten seiner Generation war er sicher der für die Fortführung der »Celi«-Tradition berufenste, wohl wis-send, dass er mühelos auf dem immer noch lebendigen Erbe des rumänischen Mystagogen und seines auf ihn einge-schworenen Orchesters aufbauen konnte.

Nicht umsonst wählte Thielemann, kurz zu-vor zum »Artist of the Year« gekürt, für sein enthusiastisch gefeiertes Antritts-konzert am 29. Oktober 2004 dieselbe 5. Symphonie von Anton Bruckner, mit der schon Sergiu Celibidache die neu erbaute Philharmonie am Gasteig programmatisch eröffnet hatte. Nach Aufführungen der 7., 8., 4. und 3. Symphonie ließ Thielemann im Oktober 2009 seine Deutung der Frag-ment gebliebenen »Neunten« folgen – ein letzter Höhepunkt, mit dem der damalige Generalmusikdirektor der Münchner Phil-harmoniker die Bruckner-Tradition dieser Stadt und ihres Orchesters glanzvoll erneu-erte und gleichzeitig hohe Maßstäbe für alle zukünftigen Bruckner-Aufführungen in München setzte.

Das Bruckner-Orchester der Stadt

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Die Künstler

Valery Gergiev leitet seit mehr als zwei Jahr-zehnten das legendäre Mariinskij-Theater in St. Petersburg, das in dieser Zeit zu einer der wichtigsten Pflegestätten der russi-schen Opernkultur aufgestiegen ist. Darü-ber hinaus ist er Leiter des 1995 von Sir Georg Solti ins Leben gerufenen »World Or-chestra for Peace«, mit dem er ebenso wie mit dem Orchester des Mariinskij-Theaters regelmäßig Welttourneen unternimmt. Von 2007 an war Gergiev außerdem Chefdiri-gent des London Symphony Orchestra, mit dem er zahlreiche Aufnahmen für das haus-eigene Label des Orchesters einspielte.

DIRIGENT

In Moskau geboren, studierte Valery Ger-giev zunächst Dirigieren bei Ilya Musin am Leningrader Konservatorium. Bereits als Student war er Preisträger des Herbert- von-Karajan-Dirigierwettbewerbs in Berlin. 1978 wurde Valery Gergiev 24-jährig Assis-tent von Yuri Temirkanov am Mariinskij- Theater, wo er mit Prokofjews Tolstoi- Vertonung »Krieg und Frieden« debütierte. 2003 dirigierte Gergiev als erster russi-scher Dirigent seit Tschaikowskij das Sai-soneröffnungskonzert der New Yorker Car-negie Hall.

Valery Gergiev präsentierte mit seinem Mariinskij-Ensemble weltweit Höhepunkte des russischen Ballett-und Opernrepertoi-res, Wagners »Ring« sowie sämtliche Sym-phonien von Schostakowitsch und Prokof-jew. Mit dem London Symphony Orchestra trat er regelmäßig im Barbican Center Lon-don, bei den Londoner Proms und beim Edin-burgh Festival auf. Zahlreiche Auszeich-nungen begleiteten seine Dirigenten karriere, so z. B. der Polar Music Prize und der Preis der All-Union Conductor’s Competition in Moskau. Ab der Spielzeit 2015/16 ist Valery Gergiev neuer Chefdirigent der Münchner Philharmoniker.

Valery Gergiev

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Die Künstler

Ihr Debüt im Concertgebouw Amsterdam machte Janine Jansen 1997 schlagartig einem breiten Publikum bekannt; inzwischen gilt sie international als eine der führenden Gei-gerinnen ihrer Generation. Nach ihrem Lon-doner Debüt im November 2002 mit dem Philharmonia Orchestra unter Leitung von Vladimir Ashkenazy folgten rasch Einladun-gen von berühmten Orchestern aus aller Welt: Berliner Philharmoniker, London Sym-phony Orchestra, New York Philharmonic Orchestra, Philadelphia Orchestra, Chicago Symphony Orchestra und NHK Symphony Orchestra Tokyo. Dabei konzertierte die

VIOLINE

Künstlerin mit Dirigenten wie Lorin Maazel, Riccardo Chailly, Neeme Järvi, Paavo Järvi, Sakari Oramo, Mark Elder, Edo de Waart und Roger Norrington.

Janine Jansen studierte bei Coosje Wijzen-beek, Philipp Hirshhorn und Boris Belkin. Von der BBC wurde sie als Nachwuchs-künstlerin im Rahmen des »Radio 3 New Generation Artists scheme« gefördert, und im September 2003 erhielt sie den Musik-preis des niederländischen Kulturministe-riums, die höchste staatliche Ehrung eines Künstlers in den Niederlanden.

Die Geigerin wurde bereits mehrfach mit wichtigen Preisen ausgezeichnet; so erhielt sie inzwischen dreimal den Edison Classic Public Award, mehrfach den Echo-Klassik sowie den NDR-Musikpreis 2007. Janine Jansen spielt die sog. »Barrère«, eine Violine von Antonio Stradivari aus dem Jahr 1727, die ihr von der Stichting Elise Mathilde Fonds durch die Vermittlung der Stradivari Society of Chicago zur Verfü-gung gestellt wurde.

Janine Jansen

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Selbstverständnis

HEUTE SCHON HUNGRIG

AUF MORGEN

Wir sind offen für Neu-es. Die Lebendigkeit und Frische in der Pflege des symphonischen Repertoi-res ist unser ständiger Anspruch. Denn wer als Orchester wachsen will, muss aufgeschlossen sein gegenüber neuen Formen musikalischer Praxis und Veranstaltungsformaten abseits gelernter Wege. Neues entdecken und die Begeisterung fürs Alte immer wieder zu entfa-chen – das ist unser Auf-trag. Überall in der Stadt. Und das sieht man.

AUS ZUHÖRENWIRD ERLEBEN

Wir wollen, dass jedes Konzert zu einem einzig-artigen Erlebnis wird – für Sie und für uns. Einzigar-tigkeit beinhaltet immer auch Ecken und Kanten. Und die sind menschlich. Erst dadurch, dass jeder Musiker seine eigene Per-sönlichkeit in das Orches-ter einbringt, entstehen Emotionen und letztlich ein Klang, der unverwech-selbar ist. Wir sind stolz auf diesen eigenen Cha-rakter. Und das fühlt man.

BEWAHRUNG DES FEUERS STATT ANBETUNG DER

ASCHE

Wir stehen zu dem, was wir sind; zu unserem Repertoire und zu unse-rem Klang. Manche sagen, er ist einzigartig. Fest steht: er ist in über hun-dert Jahren gereift. Die legendären Uraufführun-gen Gustav Mahlers, eine lange Bruckner-Tradition, große Dirigentenpersön-lichkeiten wie Sergiu Ce libidache – die Begeis-terung für dieses histori-sche Erbe steckt in jedem einzelnen unserer Konzer-te. Und das hört man.

Verwechslungausgeschlossen

DIE DNS DER MÜNCHNER PHILHARMONIKER

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NEU

GIER

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N

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Sicher haben Sie sich auch schon gefragt, was die Form auf dem Cover unseres Pro-grammheftes bedeutet. Die Antwort: Al-les. Was sich zunächst etwas merkwürdig anhört, lässt sich ganz einfach erklären. Auf der Suche nach einem moderneren Er-scheinungsbild stößt man irgendwann im-mer auf einen entscheidenden Punkt: Was unterscheidet uns eindeutig von anderen Orchestern? Was ist das Besondere an den

Münchner Philharmonikern? Die Antwort ist eigentlich ganz simpel: unser Klang. Was also wäre naheliegender als unser Logo einfach selbst zu spielen?

Doch wie wird aus Klang ein Bild? Um das zu erklären, braucht es etwas Physik, einen Computer und eine einfache aber effektive Idee.

Jeder einzelne Ton in einem Stück erzeugt Schallwellen

Alle Töne zusammen ergeben ein komplettes Stück (in unserem Beispiel Gustav Mahlers 8. Symphonie)

Alles bleibt neuDIE MÜNCHNER PHILHARMONIKER IM NEUEN GEWAND

Klangbilder

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Analog zu unseren Grundwerten »Tradition, Emotion & Neugier« teilen wir das Stück in drei Teile

Die stark vereinfachte Form des Stückes ergibt die neue Logo-Form der Münchner Philharmoniker

Töne sind Schallwellen. Spielt man mit einem Instrument einen Ton, so wird die Luft um das Instrument in Schwingung ver-setzt. Diese wellenförmige Druckänderung gelangt bis an unser Trommelfell, was dann auch wieder in Schwingungen versetzt wird. So können wir den Ton »hören«.

hohem Wiedererkennungswert. Vereinfa-chen wir das ganze ein wenig – allerdings ohne den ursprünglichen Kern zu verlieren.

Teilen wir also unser Gebilde – analog zu Tradition, Emotion, Neugier – in drei Teile. (Abb. 3)

»TRADITION, EMOTION & NEUGIER – AUCH IM LOGO«

Anschließend »füllt« man diese 3 Teile komplett aus und erhält so eine extrem reduzierte Version der ursprünglichen Wellenform – die neue Logo-Form der Münchner Philharmoniker. (Abb. 4)

Will man diese Schwingungen sichtbar ma-chen, geht es nicht ohne Technik: ein Oszil-loskop übersetzt die Schwingungen in ein Bild mit Wellenlinien. Wir nehmen dazu ein-fach einen Computer. Programme ermög-lichen dann eine bildliche Darstellung eines ganzen Musikstücks. (Abb. 1 & 2)

Leider eignet sich diese komplexe und zackige Form nicht wirklich als Logo mit

Klangbilder

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Gustav MahlerSymphonie Nr. 8

Sergei Prokofiew»Romeo & Julia«

Ludwig van BeethovenSymphonie Nr. 9

Maurice Ravel»La Valse«

Anton BrucknerSymphonie Nr. 4

Gustav MahlerSymphonie Nr. 2

Bleibt eigentlich nur noch eine Frage zu klären: Welches Stück der Münchner Phil-harmoniker eignet sich am besten für das Logo? Was wird gespielt? Auch hier war die Antwort schnell gefunden: ebenfalls alles.

Die Vielfältigkeit im Repertoire des Orches-ters ermöglicht ein variables Logo. Und obwohl sich die Form je nach gespieltem Stück immer neu gestaltet, bleibt das Logo dennoch vor allem eins: einzigartig!

Klangbilder

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IMPRESSUM

Herausgeber:Direktion der MünchnerPhilharmonikerPaul Müller, IntendantKellerstraße 481667 München

Lektorat: Stephan Kohler

Corporate Design:HEYE GmbHMünchen

Graphik: dm druckmedien gmbhMünchen

Druck: Color Offset GmbHGeretsrieder Str. 1081379 München

TEXTNACHWEISE

Regina Back, Wolfgang Stähr, Thomas Leibnitz und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeiträge für die Pro-grammhefte der Münch-ner Philharmoniker. Ste-phan Kohler stellte dem Orchester seinen Text zum Abdruck in diesem Programmheft zur Verfü-gung; er verfasste auch die lexikalischen Werk-angaben und Kurzkom-mentare zu den aufge-führten Werken. Künstler-

biographien (Gergiev, Jansen): Nach Agentur-vorlagen. Alle Rechte bei den Autorinnen und Au-toren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kos-tenpflichtig.

BILDNACHWEISE

Abbildungen zu Johannes Brahms: Christian Martin Schmidt, Johannes Brahms und seine Zeit, Laaber 1998; Christiane Jacob-sen (Hrsg.), Johannes Brahms – Leben und Werk, Wiesbaden / Ham- burg 1983. Abbildungen zu Anton Bruckner: Uwe Harten (Hrsg.), Anton Bruckner – Ein Handbuch, Salzburg / Wien 1996; Regina Schmoll gen. Eisenwerth (Hrsg.), Die Münchner Philharmoniker von der Gründung bis heute, München 1985; Sammlung Stephan Koh-ler, München. Künstler-photographien: Marco Borggreve (Gergiev); Ha- rald Hoffmann (Jansen).

TITELGESTALTUNG

»Die bildliche Darstellung von Bruckners 4. Sym-phonie stammt quasi vom Komponisten selbst. Denn er war es, der einst dem

oberösterreichischen Kle-riker Bernhard Deubler den 1. Satz seines Werkes wie folgt erklärte: ›Mittel-alterliche Stadt – Morgen-dämmerung – von den Stadttürmen ertönen Mor-genweckrufe. Die Tore öff-nen sich. Auf stolzen Ros-sen sprengen die Ritter hinaus ins Freie. Der Zau-ber des Waldes umfängt sie. Waldesrauschen, Vogel-gesang...‹ « (Johannes Rodach, 2015)

DER KÜNSTLER

Johannes Rodach ist seit 15 Jahren als Fotograf in der internationalen Mode-, Beauty- und Wer-bebranche unterwegs. Seine Arbeit umfasst da-bei jeden kreativen As-pekt – von der Konzept-entwicklung über das Casting, die Produktion und die Bildbearbeitung bis hin zur finalen Rein-zeichnung. Seine Arbei-ten wurden im Münchner Haus der Kunst oder der Galerie Viaux in Hamburg ausgestellt. Unterstützt wurde er von Grafiker Z.

Impressum

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Donnerstag 24_09_2015 20 Uhr b

SERGEJ PROKOFJEWAuszüge aus »Romeo und Julia« op. 64RICHARD STRAUSS»Don Juan« op. 20PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKIJSymphonie Nr. 6 h-Moll op. 74 »Pathétique«

VALERY GERGIEVDirigent

Sonntag27_09_2015 11 Uhr1. KAMMERKONZERT

»Vier im Wechsel«

JOSEPH HAYDNStreichquartett d-Moll op. 76 Nr. 2 Hob. III:76 »Quintenquartett«GABRIEL FAURÉKlavierquartett Nr. 1 c-Moll op. 15ROBERT SCHUMANNKlavierquintett Es-Dur op. 44

PHILIP MIDDLEMANViolineFLORENTINE LENZViolineKONSTANTIN SELLHEIMViolaHERBERT HEIMVioloncelloYURIKO NAKANOKlavier

Mittwoch 30_09_2015 20 Uhr a Donnerstag 01_10_2015 20 Uhr k4 Freitag 02_10_2015 20 Uhr d

GUSTAV MAHLERSymphonie Nr. 6 a-Moll »Tragische«

SEMYON BYCHKOVDirigent

Vorschau

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WEITER HÖREN

3 TAGEMUSIK

FÜR ALLE

DAS ORCHESTER DER STADT

DAS FESTIVAL DER MÜNCHNER PHILHARMONIKER—GASTEIG

Freitag13_11_2015

ERÖFFNUNGSKONZERT VALERY GERGIEV

Samstag14_11_2015

12 STUNDEN MUSIK EINTRITT FREI

Sonntag15_11_2015

PROKOFJEW–MARATHON VALERY GERGIEV

MPHIL.DE

In freundschaftlicherZusammenarbeit mit

Freunde und Förderer

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DAS ORCHESTER DER STADT

’15’16