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Brennglas des Wissens Hundert Jahre Partnerschaft Naturforschende Gesellschaft und Zentralbibliothek Zürich Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich NGZH 219. Stück | 2017 Heinzpeter Stucki und Martin Schwyzer

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Brennglas des WissensHundert Jahre Partnerschaft Naturforschende Gesellschaft und Zentralbibliothek Zürich

Neujahrsblattder Naturforschenden Gesellschaft in Zürich NGZH 219. Stück | 2017

Heinzpeter Stucki und Martin Schwyzer

Umschlagbild:

Ceylon-Hutaffe aus Jean Baptiste Audebert 1799: Histoire naturelle des singes et des makis —› Seite 64

Frontispiz (rechts)

Das «Brennglas des Wissens» steht im Zentrum des NGZH-Prägestempels —› Seite 21

Brennglas des Wissens

Hundert Jahre Partnerschaft Naturforschende Gesellschaft und Zentralbibliothek Zürich

Herausgegeben von Heinzpeter Stucki und Martin Schwyzer

Neujahrsblattder Naturforschenden Gesellschaft in Zürich NGZH 219. Stück | 2017

NaturforschendeGesellschaft in Zürichwww.ngzh.ch

Impressum

Das Neujahrsblatt der NGZH erscheint einmal jährlich auf den 2. Januar (Berchtoldstag) als Ergänzung zur Vierteljahrsschrift.

Herausgeber

Naturforschende Gesellschaft in Zürich NGZH

Redaktion

Heinzpeter Stucki und Martin Schwyzer

Adresse der Herausgeber

Heinzpeter Stucki Grundrebenstrasse 76 CH—8932 Mettmenstetten [email protected]

Martin Schwyzer Sunnhaldenstrasse 24A CH—8600 Dübendorf [email protected]

Gestaltung und Satz

Barbara Hoffmann www.barbara-hoffmann.com Druck

Koprint AG, Alpnach Dorf Auflage

1 800

Bezug

Sekretariat der NGZH Kurt Tobler Veterinärvirologie, Universität Zürich Winterthurerstrasse 266a 8057 Zürich

[email protected]

ISSN

0379-1327

©2017 Naturforschende Gesellschaft in Zürich

Bildrechte

Abbildungen dürfen ohne exakte Quellenangabe für keinen Zweck reproduziert (fotokopiert) werden und ohne schriftliche Einwilligung des betreffenden Fotografen (Bildautors) in keiner Form verändert, verarbeitet oder verbreitet werden.

Mit Unterstützung von:

Georg und Bertha Schwyzer-Winiker Stiftung

Brennglas des WissensHundert Jahre Partnerschaft Naturforschende Gesellschaft und Zentralbibliothek Zürich

Herausgegeben von Heinzpeter Stucki und Martin Schwyzer

Summary

The «Naturforschende Gesellschaft in Zürich» (NGZH; Zurich Society for Natural Sciences) was founded in 1746 by Johannes Gessner. As Zurich did not have a University until 1833, the Society developed into a focal point for Enlightenment thinking. Most importantly, it established the NGZH library whose history is recounted here. The library began with periodicals and scientific books printed in the 16th to 18th century, many beautifully illustrat-ed, and grew to a collection of 30 000 volumes over the next 100 years. Later, it proved increasingly difficult to maintain for the Society. As a consequence, it was donated in its entirety in 1916 to the newly founded «Zentralbibliothek» (ZB), the Zurich Central Library, whose purpose was to amalgamate various existing library collections, including that of the University of Zurich, as well as those of certain civic and clerical institutions. Even today, books from the original NGZH library can be recognized by a shelf num-ber beginning with «N» and often by the gold embossment de-picting a burning glass on the cover. Many of these books have been recently scanned by the ZB and are available in digital form (www.e-rara.ch). Here, over 30 illustrations from rare books in the NGZH collection reflect historical thinking in the field of Natural Sciences. Finally, we show that the ZB, despite its present focus on the humanities, continues to support information provision within the Natural Sciences and Medicine. NGZH contributes to this effort by retaining the old tradition of exchanging its publica-tions — such as the present one — with a worldwide network of scientific partners.

KeywordsNaturforschende Gesellschaft in Zürich NGZH, Zentralbibliothek Zürich ZB, University of Zurich UZH, science books of 16th to 19th century, science illustrations of 18th and 19th century, NGZH library 1746—1916, Conrad Gessner 1516—1565, St. Gallen Globe 1595, Johann Jakob Scheuchzer 1672—1733, Johannes Gessner 1709—1790, Hans Caspar Hirzel 1725—1803, Hans Heinrich Koch 1846—1924, Adolf Tobler 1850—1923, Hans Schinz-Frei 1858—1941, DigiTUR project, e-rara digital library, agriculture, botany, ornithology, zoology

Einleitung 7Heinzpeter Stucki und Martin Schwyzer

Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1916 11Martin Schwyzer

Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek 27Heinzpeter Stucki

Willkommene Gäste 39Rolf Rutishauser und Martin Spinnler

Hans Heinrich Koch und die NGZH am Anfang des 20. Jahrhunderts 53Heinzpeter Stucki

Adolf Tobler, Professor für Schwachstromtechnik und Förderer der Zentralbibliothek (1850—1923) 65Heinzpeter Stucki

Die NGZH-Vertretung in der Bibliothekskommission und der St. Galler Globus 75Conradin A. Burga

Naturwissenschaften in der Zentralbibliothek Zürich 85Beat A. Wartmann

Die Digitalisierung der Bibliothek der NGZH 99Urs B. Leu

Autoren 107

Inhalt

I

«Entstehung des Regenbogens», rechts als Kopie aus Newtons Optik, aus: Johann Jakob Scheuchzer: Physica sacra, Bd. 1, Augsburg und Ulm 1731, Tafel 66 (Signatur: NNN 32).

7 EinleitungHeinzpeter Stucki und Martin Schwyzer

Wenn das Titelbild und die in den Text eingestreuten Farbtafeln zum Blättern und Lesen anregen, so entspricht das unserer Absicht. Die prächtigen teilweise handkolorierten Tafeln stammen aus dem 18. und 19. Jh. und illustrieren exemplarisch die Ge schichte der Naturwissenschaften. Zugleich zeigen sie die Geschichte des wertvollen Buchbestandes —› Seite 11, der seit der Gründung der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich im Jahr 1746 aufgebaut wurde. Darunter befanden sich z.B. Werke aus dem 16. Jh. von Conrad Gessner und Andreas Vesal. Anfangs des 20. Jh. umfasste die Bib liothek rund 30 000 Bände. Die Gesellschaft konnte diese Last nicht länger tragen und entschloss sich zur Schenkung —› Seite 27 an die neu gegründete Zentralbibliothek Zürich (ZB). Sind die Bücher dort in einen 100-jährigen Dornröschen-schlaf gesunken? Nein, sie tragen bis heute eine Signatur mit «N» und können im Lesesaal Alte Drucke der ZB im Original einge-sehen werden. Vollends zum Leben erweckt wurden sie jedoch in den letzten Jahren durch die von Urs B. Leu beschriebene Digi-talisierung —› Seite 99, welche die Werke über die Plattform www.e-rara.ch zugänglich macht. Die ehemalige Bibliothek der NGZH —› Anmerkung 1 erscheint dort in einer eigenen Abteilung. Wer das PDF eines Buches herunterlädt, findet nach dem Deckblatt mit den bibliographischen Angaben und den Nutzungs-bedingungen oft einen Einband mit besonderer Goldprägung. Der Stempel von 1767 zeigt im Zentrum ein Brennglas —› Seite 21 und hat uns zum Titel der vorliegenden Schrift inspiriert. Im Schenkungsvertrag wurde ausgehandelt, dass die NGZH eine Vertretung mit beratender Stimme in die Bibliotheks-kommission der ZB entsenden durfte. Conradin A. Burga berich-tet am Beispiel des grossen St. Galler Globus aus dem 16. Jh. —› Seite 75, was er in der Kommission bewirken konnte. Warum die Schenkung nicht vollständig vollzogen wurde und warum zahlreiche wissenschaftlich bedeutende Werke in einigen Instituten verblieben sind, darüber berichten Rolf Rutishauser und Martin Spinnler —› Seite 39. Der letzte solche Be-stand soll demnächst vom Institut für Systematische Botanik in die ZB überführt werden. Heute denkt man beim Stichwort «Naturwissenschaften» eher an die Hauptbibliotheken der ETH und der Universität. Wie aber Beat A. Wartmann schreibt —› Seite 85, legte die Schenkung

Anmerkung 1

Bis zum Jahr 2000 nannte sich die Gesellschaft kurz N.G.Z. Die Umstellung auf die heutige NGZH war nötig in Anlehnung an unsere Webdomain www.ngzh.ch, weil ngz schon besetzt war.

8 Einleitung

der NGZH einen wichtigen Grundstock in Naturwissenschaften und Medizin, der seither um ein Vielfaches ausgebaut wurde. So waren in letzter Zeit jährlich über 5 000 Bände Neuzugänge zu verzeichnen, darunter auch solche, die in keiner anderen Schwei-zer Bibliothek verfügbar sind. Ferner erhält die ZB jährlich meh-rere Hundert naturwissenschaftliche Zeitschriften aus der ganzen Welt im Austausch gegen die Publikationen der NGZH (Neu-jahrsblatt und Vierteljahrsschrift). Die Herausgeber danken den Autoren für ihre Beiträge zur Zürcher Buchgeschichte und die sorgfältige Auswahl der Bilder, sowie der Direktorin der ZB, Susanna Bliggenstorfer, für ihr wohlwollendes Interesse und für die Gastfreundschaft, welche die historischen Gesellschaften in Zürich jeweils am 2. Januar —› Seite 21 in der ZB erfahren dürfen.

II

Frühlings-Schlüsselblume (Primula veris), in der Volksmedizin Herba paralysis als Mittel gegen Lähmungen, aus: Elisabeth Blackwell: Sammlung der Gewächse die zum Arzney-Gebrauch in den Apotheken aufbehalten werden, Drittes Hundert, Nürnberg 1757, Tafel 226 (Signatur: NB 137).

III

‹Aztekenlilie› Sprekelia (Amaryllis) formosissima, aus Mesoamerika, aus: Pierre Joseph Redouté: Les Liliacées, Bd. 1, Paris 1802, Tafel nach S. 3 (Signatur: NF 22).

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Johannes Gessner (1709—1790), Gründer der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich NGZH

«Es wurde Ihme von Herrn Dr. Scheuchzer aufgetragen einen Catalogum seiner zahlreichen Bibliothek zu verfertigen, wodurch er zu einem guten Kentnis nuzlichen Bücheren gelanget». Dies schreibt Johannes Gessner voll Stolz in seiner 1751 verfassten Auto-biographie (Boschung, 1996, S. 29). Der Stolz ist berechtigt. Im Alter von 12 Jahren wird Johannes Gessner Schüler des berühmten Zürcher Gelehrten Johann Jakob Scheuchzer (1672—1733). Unter dessen Anleitung lernt er Mathematik, Physik, Anatomie, Botanik und Arzneikunst. Der wissbegierige Knabe darf sich in Scheuchzers Privatbibliothek vertiefen. Er erhält 1724 sogar den Auftrag, sie zu katalogisieren. Ob die ganze Bibliothek gemeint ist oder nur ein Teil davon, bleibt unbekannt, da dieser Katalog nicht erhalten ist. Wir wissen aber, dass die Bibliothek bis zu Scheuchzers Tod auf mindestens 5 000 Bände wächst; im Vergleich dazu umfasst die Stiftsbibliothek am Grossmünster nur etwa 3 500 Bände, und selbst die 1629 gegrün-dete Stadtbibliothek in der Wasserkirche vereinigt etwa um 1700 nur 6 612 Bände (Leu, 2012, S. 220). Im jungen Gessner weckt Scheuchzer zweifellos eine lebenslängliche Liebe zum Buch. Später wird Gessner eine eigene Bibliothek anlegen, die gemäss einem Zeugnis von 1763 nicht we-niger als 11 000 Bände umfasst (Boschung, 1996, S. 16). Die Bücher sammelt er aber nicht zum Selbstzweck. Vielmehr stützen sie Gessners eigentliche Leidenschaft, die Erforschung der Natur aus eigener Anschauung und Sammeltätigkeit. Auch hierzu legt Scheuchzer in den Jahren 1723—1725 den Grundstock: «Im Sommer wurde ein großer theil der Zeit der Botanic gewidmet; alle Wochen geschahen Herborisationen auf benachbarte öhrter, den Uetliberg, Zürichberg, Kazensee» (Boschung, 1996, S. 27) — «samlete sich einen guten vorrath Schweizerischer versteinerungen, die auf de-nen St. Gallischen felsen, auß dem Randenberg, in den felsen zu Berlingen und Oeningischen Schieferbruch angetroffen worden» (Boschung, S. 29). Im letztgenannten Schieferbruch findet Scheuch-zer 1726 das Skelett eines Riesen salamanders und schreibt es einem vorsintflutlichen Menschen zu (Fischer, 1973, S. 64; Leu, 2012, S. 242).

Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1916Martin Schwyzer

12 Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1916

Gessner beginnt das Studium der Medizin 1726 in Basel und setzt es 1726—1728 in Leiden und Paris fort. In Leiden schliesst er Freundschaft mit seinem Kommilitonen Albrecht von Haller (1708—1777). Sie studieren gemeinsam Medizin in Leiden und Paris und 1728—1729 Mathematik in Basel. Die Freundschaft währt lebenslang und zeigt sich in einem lateinisch geführten Briefwech-sel (je rund 600 Briefe sind erhalten; auszugsweise übersetzt von Boschung, S. 46—121) und in gemeinsamen Schweizerreisen. Gessner promoviert im Januar 1730 in Basel zum Dr. med. und eröffnet eine Praxis in Zürich. Im Juni 1733 tritt Gessner die Nach-folge von Johann Jakob Scheuchzer als Professor für Mathematik an; das Amt des Stadtarztes und die Physik-Professur erhält Scheuchzers Bruder Johannes. Fünf Jahre später stirbt Johannes Scheuchzer, und Gessner wird im Alter von 29 Jahren ordentlicher Professor für Physik und Mathematik, verbunden mit der gut be-soldeten Stelle eines Chorherren. —› Abbildung 2 Gessner ist mehr

Abbildung 1a, b

Johann Jakob Scheuchzer publizierte 1708 im Eigenverlag eine reich bebilderte Schrift über ver-steinerte Fische. Die Titelseite trägt einen Stempel von Stadtarzt Hans Caspar Hirzel (1725—1803). Das Buch wurde der Bibliothek der NGZH geschenkt (Signatur NG 429 | G), kam 1917 zur Zentralbibli-othek und wurde 2012 digitalisiert (http://dx.doi.org/10.3931/e-rara- 12121).

Abbildung 1c

Versteinerter Hecht auf einer der fünf Tafeln von Scheuchzers Buch. Anders als seine Zeitgenossen erkennt Scheuchzer, dass der Fisch natürlichen Ursprungs ist, und nicht aus einer Laune Gottes entstanden. Doch sieht er Gottes Wirken in der Sündflut.

Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 191613

Abbildung 2

Johannes Gessner (1709—1790), Gründer der Natur-forschenden Gesellschaft in Zürich NGZH, gemalt von R. Dälliker um 1750

Quelle: Eigentum ZBZ

Vermittler als Forscher: von 1734 bis 1775 publiziert er vorwiegend Dissertationen für die Examina in seiner Funktion als Professor (Boschung S. 43; Leu, 2016). Sein botanisches Hauptwerk «Tabulae Phytographicae» —› Abbildung 3 erscheint erst 1795—1804 posthum, herausgegeben von seinem Grossneffen Christof Salomon Schinz. Am 1. Oktober 1745 schreibt Gessner an Haller: «ich bin nämlich damit beschäftigt, das, was zur Veranschaulichung der Physik durch Versuche gehört, zusammenzutragen, nachdem wir, d. h. einige Freunde, übereingekommen sind, mit einer Art pri vater Gesellschaft für diese Studien zu beginnen». Vom November 1745 bis Juli 1746 hält Gessner in seiner Wohnung zweimal pro Woche einen Kurs in Experimentalphysik und Naturhistorie für

14 Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1916

18 Freunde (mehr finden keinen Platz). Damit bahnt er den Weg zur «Physicalischen Societät», der späteren Naturforschenden Gesellschaft. Hier ist anzumerken, dass «Physic» zu jener Zeit die gesamten Naturwissenschaften betrifft, und dass bis gegen das Ende des 18. Jh. die Namen «Physicalische» oder «Naturforschen-de» Gesellschaft austauschbar verwendet werden (Gessner, 1766). Am 10. August 1746 genehmigen die Gründungsmitglieder die Statuten; am 21. September wählen sie den Vorstand mit Gessner als Präsidenten sowie eine Kommission zur Anlegung eines bota-nischen Gartens und zur Anschaffung von Büchern und Instru-menten; am 18. Oktober halten sie die Gründungsversammlung im Haus zum Schwarzen Garten mit Gessners Vortrag zu den weit gespannten Zielen der Gesellschaft (Gessner, 1766). Die erste re-guläre Zusammenkunft wird auf Montag, 9. Januar 1747 ange-setzt mit Gessners Vortrag zur Lage und Grösse der Stadt Zürich (Gessner, 1761). Der Montag bleibt bis heute — 270 Jahre später — bevorzugter Wochentag für die Vorträge der NGZH.

Abbildung 3 (Ausschnitt)

Eine Tafel aus den «Tabulae Phyto-graphicae», Johannes Gessners 1795 posthum herausgege-benem Hauptwerk mit 64 Tafeln. Tafel 14 wurde wegen der besonders geglückten Gestaltung gewählt, aber auch weil darauf wirtschaftlich bedeutende (oder giftige) Pflanzen vorkommen wie Bilsenkraut, Tabak, Alraun, Tollkirsche, Tomate, Paprika und Brechnuss (Strychnos). Das Buch gehörte zur Bibliothek der NGZH (Signatur NF 170) und wurde unter e-rara digitalisiert (http://dx.doi.org/ 10.3931/e-rara- 20571).

Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 191615

Abbildung 4

Porträt von Stadtarzt Johann Caspar Hirzel (1725—1803), gemalt von Friedrich Oelenhainz für das Versammlungszimmer der NGZH im Zunft-haus zur Meisen. Hirzels eben verstor-bener Lehrer Johannes Gessner blickt als Büste auf den Stadt-arzt. Unter dem Buch des antiken Autors Cato «de re rustica» ragt ein Porträt Kleinjoggs hervor.

Quelle: Eigentum ZBZ

Die Gesellschaft wächst und blüht (v. Escher und Siegfried, 1846;

Rudio, 1896; Rübel, 1947; Walter, 1969). Gessner bleibt bis zu seinem Tod 1790 deren umsichtiger Präsident (Hirzel, 1790). Aus der viel-seitigen Tätigkeit der Gesellschaft soll hier deren Bibliothek be-sonders beleuchtet werden.

Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1757Der Aufbau einer eigenen Bibliothek ist für die neugegründete Gesellschaft zentral. Bereits im Gründungsjahr schafft sie eine Reihe von Büchern und Zeitschriften an, unterstützt durch wert-volle Geschenke von Gessner, Johann Heinrich Rahn und anderen Mitgliedern. Eine 1748—1752 mit Staatserlaubnis durchgeführte

16 Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1916

Lotterie verschafft der Gesellschaft ein Grundkapital von 8 000 Gulden (etwa 19 000 Schweizer Franken), aus dessen Zinsen wei-tere Bücher und Instrumente gekauft werden. Die Bibliothek wird zuerst vom Sekretär Johann Conrad Heidegger (1710—1778) verwaltet. Infolge Wahl zum Ratsherrn tritt Heidegger 1752 zurück. Sein Nachfolger wird Hans Caspar Hirzel (1725—1803), auf dessen Lebensgeschichte (Hirzel, 2007) kurz einzugehen ist —› Abbildung 4. Hirzel ist um 1740 ein Lieblings-schüler von Gessner, studiert 1745—46 Medizin in Leiden und kehrt nach Weiterbildung in Potsdam Ende 1747 nach Zürich zu-rück. Bereits als Student in Leiden tritt er der neugegründeten NGZH in Abwesenheit bei und betätigt sich nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt als sehr aktives Mitglied — er wirkt 1752—59 als Sekretär, 1759—90 als Quästor und 1790—1803 als Präsident. Er wird 1751 Unterstadtarzt (Poliater), 1761 Oberstadtarzt (Archi-ater) und 1778 Ratsherr im Kleinen Rat. Hirzel betreut die stark wachsende Bibliothek nur wäh-rend zwei Jahren. Dann wird ihm das Sekretariat — vorher auf zwei Personen aufgeteilt — ganz übertragen, und im Gegenzug wird das Amt eines Bibliothekars geschaffen. Zum ersten Biblio-thekar wird Pfarrer Johann Jakob Köchlin gewählt —› Tabelle 1. Für die Übergabe erstellt Hirzel ein 27 Seiten umfassendes Ver-zeichnis aller Bücher mit 206 Nummern, wo jedem Werk (auch mehrbändigen) nur eine Nummer zugeordnet ist —› Abbildung 5 und

Transkription. Wohl gemäss der Bücheraufstellung in den Regalen beginnt das Verzeichnis mit grossen Folianten und wird mit Quarto- und Octav-Bänden fortgesetzt. Die in der Transkription herausgegriffenen Beispiele illustrieren die weit gespannten Interessen der Gesellschaft und geben Anlass zu folgenden Bemerkungen. [S. 1] 1. Conradi Gessneri pars I 1753 — Das von Casimir Christoph Schmidel herausgegebene botanische Werk des grossen Conrad Gessner (1516—1565) ist bei der Einreihung in die Bibliothek noch druckfrisch. Es steht wohl nicht zufällig an erster Stelle; denn Johannes Gessner ist stolz auf seine Abstammung vom Onkel Conrads. Das Werk in zwei Bänden wird in den folgenden Verzeichnissen (Leu, 2011, S. 430—431) der NGZH bis 1885 immer aufgeführt. Jedoch ist 2016 in der NGZH-Bibliothek nur noch Band 2 mit der Signatur NB 10 zu finden. Die ZB besitzt Band 1 aus anderer Herkunft (Signatur BZ 236).

Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 191617

Sekretär 1746—1752

Johann Conrad Heidegger

1710—1778 Stadtbibliothekar, Säckelmeister, Bürgermeister

Sekretär 1752—1754

Hans Caspar Hirzel 1725—1803 Stadtarzt

Bibliothekar 1754—1757

Johann Jakob Köchlin-Nüscheler

1721—1787 Pfarrer

1757—1764 Hans Heinrich Schinz-Esslinger

1727—1792 Handelsherr

1764—1771 Leonhard Usteri-v. Muralt

1741—1789 Prof. der Logik, Rhetorik und Mathematik, Chorherr

1774—1778 Hans Conrad Heidegger-Werdmül-ler

1748—1808 kurfürstlicher Geheimrat

1778—1780 Johann Heinrich Waser

1742—1780 Pfarrer, wegen Staatsverrat hingerichtet

1780—1792 Heinrich Lavater-Escher

1731—1818 Landvogt

1792—1837 Christof Salomon Schinz-Lavater

1764—1847 Prof. der Botanik und Arzneimittellehre, Chorherr

1837—1881 Johann Jakob Horner 1804—1886 Prof. für Mathematik und Stadtbibliothekar

Co-bibliothekar 1881—1892

Carl Ott-Werner 1849—1907 Physiker

Co-bibliothekar 1881—1892

Johann Friedrich Graberg-Tobler

1836—1910 Zeichenlehrer

Bibliothekar 1892—1915

Hans Schinz-Frei 1858—1941 Prof. der Botanik

Tabelle 1

Die Pflege der Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1915

2. Gualtierii 1742 — Das schön illustrierte Buch von Niccolò Gualtieri (1688—1744) beschreibt dessen berühmte Con-chylien-Sammlung. Mit Signatur NNN 22 steht es heute noch in der NGZH-Sammlung der Zentralbibliothek. 3. Vesalii Libri VII 1543 — Die Erstausgabe der bahnbre-chenden Anatomie in sieben Bänden von Andreas Vesal (1514—1564) ist eines der Hauptwerke der noch jungen Bibliothek. Im Verzeich-nis von 1885 ist sie leider nicht mehr aufzufinden. Die Zentral-bibliothek führt ein anderes Exemplar aus dem Besitz Heinrich Bullingers.

18 Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1916

4. Rumphii pars I 1741 — Georg Eberhard Rumpf (*1627 in Hessen, † 1702 auf der Molukkeninsel Ambon) war Offizier und Verwaltungsbeamter der Niederländischen Ostindien-Kompanie, zudem ein hervorragender Botaniker und Naturforscher. Er hatte ein bewegtes und von Schicksalsschlägen geprägtes Leben. Erst posthum 1741 gab der Amsterdamer Professor Johannes Burman die sechs Bände des «Herbarium Amboinense» auf niederländisch

Transkription im Auszug (B IX 150a):

Verzeichnus aller Bücher einer Bibliothec Lobl. Physical. Societät in Zürich, wie solches befunden worden den 23. März 1754, da solches dem neuerwählten Herrn Bibliothecario, Herrn ... Köchli VDM, nach der neuen Verordnung von dem Secretario D. Hirzel in Beisein Herrn Stadtarzt Meyer, Herrn Major Schulthess auf ein Jahr zu verwalten übergeben worden.

[S. 1] Repositorium. I. Libri in Folio

1. Conradi Gessneri operum Botanicorum, Pars I, Norimb. 1753.

2. Gualtierii Nic. Index Testarum Conchyliorum … Tab. C. X. Florent. 1742.

3. Vesalii Andreae Libri VII de Humani Corporis Fabrica, Basil. 1543.

4. Rumphii Georg Everh. Herbari-um Amboinense ... autographo Joh. Burmanus ... Pars I, Amstelod. 1741.

[S. 2] Libri in Quarto

2. Memoires de Mathematique et Physique presentés a l’acad. Royal par divers scavans, Tome I, Paris 1750.

[S. 9] Repositorium. II. Libri in Folio

1. Encyclopedie ou Dictionaire Raisonnee des sciences des arts et de metiers par une soc. de gens de Lettres, publié par msr. Diderot et msr. d’Alembert, Tome I. a Paris 1751.

Abbildung 5 (Ausschnitt)

Verzeichnis aller Bücher, Hans Caspar Hirzel, 1754, Staatsarchiv Zürich B IX 150a

Quelle: Staatsarchiv

Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 191619

und lateinisch heraus. Mit Signatur NB 61 stehen die Bände jetzt noch in der NGZH-Sammlung der Zentralbibliothek und wurden 2016 digitalisiert. [S. 2] 2. Mémoires 1750 — Die Veröffentlichungen der grossen königlichen Akademien in London (Transactions of the Royal Society) und Paris (Journal des scavans) sind für die Mit-glieder dieser Gesellschaft Pflichtlektüre. Von den zahlreichen Bänden in verschiedenen Disziplinen werden zunächst nur neu-ere erworben, später aber vervollständigt bis zum Gründungsjahr 1665 dieser weltweit ältesten wissenschaftlichen Zeitschriften. Viele weitere Zeitschriften aus ganz Europa werden abonniert und bilden stets fast die Hälfte des Bestandes der Bibliothek. Bei der Zählung 1911 umfasst die Bibliothek 800 Zeitschriften in 13 600 Bänden sowie 16 000 Einzelwerke (Schröter und Schinz, 1911). Man-che dieser Zeitschriften werden heute von der Zentralbibliothek weitergeführt unter den Signaturen TSN, USN und XSN statt ur-sprünglich NA (Leu, 2011, S. 379). [S. 9] 1. Encyclopédie 1751 — Die Erstausgabe der Ency-clopédie von Diderot und d’Alembert beginnt 1751 und darf in dieser der Aufklärung verpflichteten Gesellschaft nicht fehlen. Bis 1777 erscheinen 33 Bände. Sie stehen bis heute unter der Signatur NA in der NGZH-Sammlung der Zentralbibliothek (Leu

2011, S. 411). Im Jahr 1757 zieht die NGZH als Hauptmieterin in die oberen Stockwerke des neuerrichteten Zunfthauses zur Meisen. Die Bibliothek wird dort in vier abschliessbaren Bücherschränken eingerichtet. Bibliothekar Köchlin organisiert den Umzug und gibt dann die Bibliothek weiter an Hans Heinrich Schinz. Für die Über-gabe wird wiederum ein Verzeichnis erstellt (Staatsarchiv Zürich, B IX 150b).

«Der philosophische Bauer»Hans Caspar Hirzel vertritt als Sekretär den erkrankten Gessner und eröffnet am 10. Januar 1757 die erste im Zunfthaus zur Meisen abgehaltene Gesellschaftssitzung. Er hält eine weit ausholende und flammende Rede über den Nutzen der Naturforschung für die Menschheit im Allgemeinen und für Zürich im Speziellen (Hirzel, 1761a). Im Kern ist darin eine der künftigen Hauptbeschäf-tigungen der Gesellschaft angelegt (S. 50): «Daher kommt es, dass wir die Arzneywissenschaft und Haushaltungskunst, sich in allen

20 Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1916

ihren Zweigen zu dem herrlichsten Schauspiel verbreiten, und mit den besten Früchten zieren sehen, nachdem jeder Theil derselbi-gen, zu einem würdigen Gegenstand der Betrachtung der tiefsin-nigsten Weltweisen erhoben worden. Daher kommt es, dass man in Europa einen edlen Wetteifer entflammet siehet, den Feldbau zu befördern und ihn mit neuen Entdeckungen zu bereichern». Die Gesellschaft gründet 1759 die «Ökonomische Kommission». Im selben Jahr, am 12. November, berichtet Hirzel, «dass unter unseren Landsleuthen einer der erfahrensten, vernünftigsten und fleissigsten ein gewisser klein Jacob Guyer von Wermetschwil seye» (Sigg, 1985, S. 40). Erst im fünfzehnten Jahr ihres Bestehens entschliesst sich die Gesellschaft, mit ihren Erkenntnissen an die Öffentlich-keit zu treten. Sie publiziert 1761 bei Heidegger und Compagnie in Zürich den ersten Band der «Abhandlungen» und nimmt dar-in auch die oben erwähnten Vorträge auf. Doch allein Hirzels Beitrag «Die Wirthschaft eines Philosophischen Bauers» (Hirzel,

1761b) macht diesen Band zu einem Bestseller. Hirzels Artikel erscheint bereits 1762 auf Französisch unter dem Titel «Le Socra-te rustique» und bald in weiteren Sprachen und weiteren, ver-mehrten Auflagen; er erregt die Aufmerksamkeit von Rousseau, Goethe wie auch von gekrönten Häuptern in Europa. Ab 1763 werden regelmässig mit Vertretern ländlicher Gemeinden «Bau-erngespräche» durchgeführt, die sich in Broschüren mit Ratschlä-gen zur Verbesserung der Landwirtschaft niederschlagen. All dies ist bestens beschrieben (Sigg, 1985) und wird im 300. Geburtsjahr Kleinjoggs (1716—1785) erneut gewürdigt (Schmid, 2016).

Die Bibliothek wächstDer ungeahnte Erfolg ihrer Erstpublikation verschafft der NGZH internationale Beachtung. Andere Gesellschaften beginnen, ihre eigenen Schriften gegen jene der NGZH zu tauschen und tragen kostenlos zum Wachstum der Bibliothek bei. So fühlt sich die NGZH verpflichtet, ihrerseits neue Werke zu drucken. In den Jahren 1764 und 1766 erscheinen zwei weitere Bände der «Abhandlungen». Für einen vierten Band werden Themen be-zeichnet; aus un bekannten Gründen kommt es aber nicht zur Publikation. 1767 beschliesst die Gesellschaft, ihre Bücher mit einem Prägestempel zu kennzeichnen —› Abbildung 6a und b. Der Entwurf dazu stammt wohl von Johannes Gessner und wird

Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 191621

folgendermassen beschrieben (Hirzel, 1790): «Ein Brennspiegel sammlet zerstreute Strahlen in einen Brennpunct, ein Opfer auf dem Altar des Vaterlandes anzuzünden, unter den Verzierungen von Kennzeichen der Naturkunde, Arzneykunst und Land-wissensschaft». Bis zum Ende des 18. Jh. publiziert die NGZH zahlreiche Einzelschriften aus verschiedenen Interessengebieten, besonders die erwähnten Broschüren über Landwirtschaft. Auf dem Gebiet der Ökonomie und Statistik verfasst der Bibliothekar Johann Heinrich Waser eine Schrift über die Zürcher Wohnhäuser (Waser,

1778). Wasers Wahrheitsliebe und dessen akkurate Beschreibung der Zürcher Verhältnisse wird von den Behörden nicht gern ge-sehen. Er bekommt Publikationsverbot, und als er sich darüber hinwegsetzt, wird er 1780 wegen Staatsverrat hingerichtet. Um die Jahrhundertwende beginnt die NGZH regelmässig zu publizieren. Im Oktober 1798 beschliesst sie, nach dem Vorbild anderer Zürcher Gesellschaften ein Neujahrsblatt herauszugeben. Neujahrsblätter waren ursprünglich Kupferstiche als Gegenge-schenk für die «Stubenhitzen», das am 2. Januar von Kindern überbrachte Brennmaterial. Von der Stadtbibliothek ist bereits 1645 ein solches Blatt überliefert. Das erste Neujahrsblatt der NGZH erscheint auf das Jahr 1799 mit dem Titel «An die Zürcherische Jugend». —› Abbildung 7 Es umfasst ein ganzseitiges Bild und acht Seiten Text, verfasst vom Sohn des Präsidenten, dem gleichnami-gen späteren Stadtarzt Hans Caspar Hirzel (1751—1817). Damit wird eine Reihe begründet, die bis heute besteht. Im Lauf der Jahre werden die Neujahrsblätter jedoch umfangreicher und rich-ten sich zunehmend an ein erwachsenes Publikum. Als «219. Stück» gehört auch das vorliegende Heft zu dieser Reihe.

Abbildung 6a

Der von der NGZH seit 1767 verwendete Prägestempel. Im Zentrum steht ein Brennglas, das Lichtstrahlen auf den Altar des Vaterlandes lenkt, um dort ein Opfer anzuzünden. Rundum finden sich Symbole der Arznei-kunst (Äskulapstab mit Schlange), Naturkunde (Blumen-schmuck) und Landwirtschaft (Ährengarbe und Werkzeug).

Quelle: aus Rudio, 1896, S. 213

Abbildung 6b

Die goldene Prägung mit dem Brennglas ziert auch den Einband der Abhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (1761, 1764 und 1766). Im 1. Band erschien die berühmte Schrift «Die Wirth-schaft eines Philoso-phischen Bauers».

Quelle: Eigentum ZBZ

22 Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1916

Zu den Neujahrsblättern gesellen sich später weitere, von Anfang wissenschaftlich konzipierte Schriften: die «Verhandlungen» (1825—1838), die «Mittheilungen» (1846—1856) und die «Viertel-jahrsschrift» (von 1856 bis heute). Etwa im gleichen Takt vermeh-ren sich die eingetauschten Periodika in der Bibliothek. Der Bücherbestand vermehrt sich durch Schenkungen und Ankäufe (Leu, 2011, S. 378—379). Aus dem Nachlass von Jo-hannes Gessner kann die Gesellschaft 1797 zahlreiche Werke er-werben, die heute noch die Bibliothek zieren. Andere grosse Nach-lässe oder Erwerbungen gehen zurück auf Ingenieurhauptmann Hans Konrad Römer (1724—1779; Mathematik), Frédéric Dubois de Montperreux (1798—1850; Geographie), Heinrich Rudolf Schinz (1777—1861; Zoologie), Arnold Escher von der Linth (1807—1872; Geologie) und Albert Mousson (1805—1890; Physik). Drei Bibliothekare prägen die Bibliothek durch ausser-ordentlich lange Amtszeiten.—› Tabelle 1 Christof Salomon Schinz, Gessners Grossneffe und Herausgeber seines Hauptwerks, betreut die Bibliothek während 45 Jahren; er gibt 1815 den ersten gedruck-ten Katalog heraus, gefolgt von drei Supplementen. Fast ebenso lang wirkt Johann Jakob Horner, der als Stadtbibliothekar und

Abbildung 7

Titelbild des ersten Neujahrsblattes der NGZH (1799). Radierung von Johann Martin Usteri und Johann Rudolf Schellenberg. «...ein Vater der seinen Kindern die ihm aufmerksam zuhören Unterricht giebt, ist eins der schönsten Bilder häuslicher Glückseligkeit...». Das Bild sucht zu erklären, womit sich die NGZH beschäftigt. Es zeigt Landkarten auf dem Tisch, Naturalien im Schrank sowie ein Bild des Staubbachs und eine Büste Conrad Gessners.

Quelle: http://www.ngzh.ch/media/njb/Neu-jahrsblatt_NGZH_1799.pdf

Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 191623

Mitgründer der Museumsgesellschaft für dieses Amt prädestiniert ist. In den Beginn seiner Amtszeit fällt 1840 der Umzug der Bib-liothek infolge Kündigung der Meisenzunft in den Dachstock des an die Wasserkirche angebauten Helmhauses. —› Abbildung 8 Er publiziert 1855 einen Gesamtkatalog. Auch 1885 erscheint unter seinen beiden Nachfolgern wieder ein Gesamtkatalog, wozu Hor-ner aber zweifellos Vorarbeit geleistet hat. Hans Schinz bleibt nur 23 Jahre Bibliothekar, weil die NGZH-Bibliothek 1915 an die Zent-ralbibliothek übergeht; dafür wird er schon 1912 Redaktor der «Vierteljahrsschrift» und betreut diese während 26 Jahren in einer Blütezeit der Gesellschaft (z. B. 1913 Artikel von Albert Einstein).

Literatur

Boschung, U. 1996. Johannes Gessner (1709—1790). Der Gründer der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. 198. Neujahrsblatt der NGZH (auf S. 24—45 ist Gessners Auto biographie erstmals vollständig wiedergegeben).

v. Escher, G. und Siegfried, J. J. 1846. Denkschrift zur Feier des hundert-jährigen Stiftungsfestes der Natur-forschenden Gesellschaft in Zürich.

Fischer, H. 1973. Johann Jakob Scheuchzer. Naturforscher und Arzt. 175. Neujahrsblatt der NGZH.

Gessner, J. 1766. Entwurf von den Beschäftigungen der Physicali-schen Gesellschaft, oder von den Wissenschaften, welche sich

dieselbe zu behandeln vornimmt. Den ersten Mitgliedern der Gesellschaft vorgelesen den 18. Weinmonath 1746. In: Abhandlungen der Naturforschen-den Gesellschaft in Zürich, Dritter Band S. 1—22. (Das Haus zum Schwarzen Garten an der Stüssi-hofstatt war das Versammlungs- und Fortbildungslokal der Wund-ärzte, die der Zunft zur Schmiden angeschlossen waren)

Gessner, J. 1761. Abhandlung von der Lage und Grösse der Stadt Zürich, auch denen daher rühren-den natürlichen Folgen. Vorgelesen den 9. Jenner 1747. In: Abhandlun-gen der Naturforschenden Gesell-schaft in Zürich, Erster Band S. 77—114.

Abbildung 8

Die Wasserkirche stand früher auf einer Insel in der Limmat. Links daran angebaut war das hölzerne Helmhaus, welches 1791 durch den noch heute bestehenden steinernen Bau ersetzt wurde. Die Bibliothek der NGZH war von 1840 bis 1916 im Helmhaus unterge-bracht, während die Wasserkirche die Stadtbibliothek beherbergte. Die Münsterbrücke führte am Schöpfrad vorbei und durch das Helmhaus hindurch zum Grossmünster. «Helmhaus» hiess früher «Helnhaus» und hat nichts mit Schutzhelm zu tun, sondern bezeichnet die Vorhalle einer Kirche. Radierung (1770) von Johann Balthasar Bullinger (1713—1793).

Quelle: ZBZ PAS 2062

24 Die Bibliothek der NGZH von 1746 bis 1916

Hirzel, H. C. 1761a. Rede von dem Einfluss der gesellschaftlichen Verbindungen, auf die Beförderung der Vortheile, welche die Naturlehre dem menschlichen Geschlecht anbietet, und dem Nutzen, den unser Vaterland von der Natur-forschenden Gesellschaft erwarten kann. In: Abhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, Erster Band S. 1—76.

Hirzel, H. C. 1761b. Die Wirth-schaft eines Philosophischen Bauers. In: Abhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, Erster Band S. 371—496.

Hirzel, H. C. 1790. Denkrede auf Johannes Gessner. Abgelesen den 5. Heumonat 1790. Orell, Gessner, Füssli & Co., Zürich.

Hirzel, H. O. 2007. Stadtarzt Johann Caspar Hirzel, der Ältere 1725—1803. Neujahrsblatt der Gelehrten Gesellschaft in Zürich.

Leu, U. B., Marti, H. und Rouiller, J-L. (bearb.) 2011. Handbuch der historischen Buchbestände in der Schweiz. Band 3, Kantone Uri bis Zürich, herausgegeben von der Zentralbibliothek Zürich.

Leu, U. B. Scheuchzers Privatbib-liothek. In: Leu, U. B. (Hrsg.) 2012. Natura Sacra. Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer (1672—1733) Achius Verlag Zug. S. 211—240

Leu, U. B. Das «Museum Diluvia-num». In: Leu, U. B. (Hrsg.) 2012. Natura Sacra. Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer (1672—1733) Achius Verlag Zug. S. 241—313

Leu, U. B. «Praeterit enim Species hujus Mundi». Die paläontologi-schen Zürcher Dissertationen von Johannes Gessner (1709—1790). In: Gindhart, M., Marti, H. und Seidel, R. (Hrsg.) 2016. Frühneu-zeitliche Disputationen. Polyvalente Produktionsapparate gelehrten

Wissens. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien. S. 229—253

Rudio, F. 1896. Die Naturforschen-de Gesellschaft in Zürich 1746—1896. Festschrift. Vierteljahrs-schrift der NGZH 41:1—274.

Rübel, E. 1947. Geschichte der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. 149. Neujahrsblatt der NGZH.

Schröter, C. und Schinz, H. 1911. Gutachten und Antrag des Vorstandes der Naturforschenden Gesellschaft Zürich betreffend die Abtretung ihrer Bibliothek an die Zentralbibliothek Zürich. Viertel-jahrsschrift der NGZH 56:CXXIX—CXXXIX.

Schmid, O. 2016. Der philosophi-sche Bauer Kleinjogg — Feier zum 300. Geburtstag. Vierteljahrsschrift der NGZH 161(2):20—21.

Sigg, O., Pfister, H. U. und Schärli, T. 1985. Lob der Tüchtigkeit. Kleinjogg und die Zürcher Landwirt-schaft am Vorabend des Industrie-zeitalters. Staatsarchiv Zürich.

Walter, E. J. 1969. Abriss der Geschichte der NGZH. Vierteljahrs-schrift der NGZH 114:485—500.

Waser, J. H. 1778. Joh. Heinrich Wasers, gewesenen Pfarrers zum Creutz, und der physic. Gesell-schaft in Zürich ordentlichen Mitglieds, Betrachtungen über die Zürcherischen Wohnhäuser, vornemlich in Absicht auf die Brandcassen und Bürger-Protocoll, samt einigen anderen dahin einschlagenden öconomisch-politi-schen Bemerkungen. Zürich, bey Orell, Gessner, Füesslin und Comp. (NGZH Bibliothek Signatur NM 347)

IV

Bananenblüte mit Raupe, Puppe und Schmetterling, aus: Maria Sibylla Merian: Metamorphosis insectorum Surinamensium, Amsterdam 1705, Tafel 12 (Signatur: NNN 7).

V

Calycobolus sericeus, (syn. Dufourea sericea), ein Windengewächs aus dem tropischen Südamerika, aus: Aimé Bonpland und Alexander von Humboldt: Nova genera et species plantarum, quas in peregrinatione orbis novi collegerunt, Bd. 3, Paris 1818, Tafel 214 (Signatur: NF 35: bc).

27 Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die ZentralbibliothekHeinzpeter Stucki

Anfangs des 20. Jahrhunderts reiften im Schosse der NGZH Ideen heran, wie der Umgang mit den Naturwissenschaften verbessert werden könnte. Nach einem zaghaften Versuch 1903, irgendeine «Centralisirung der vielen kleineren naturwissenschaftlichen Gesellschaften in hiesiger Stadt» herbeizuführen, beriet der Vor-stand am 21. Mai 1906 eingehend, ob die Gesellschaftsbibliothek der Stadtbibliothek abgetreten werden soll. Hans Schinz bean-tragte, eine Kommission zu bilden, «welche die Vorbereitungen für den Uebergang der Gesellschaftsbibliothek an die Stadtbib-liothek treffe». Der Antrag rief eine längere und etwas kontrover-se Diskussion hervor: Einige stellten sich vorbehaltlos hinter die-sen Antrag, andere meinten, dass die Gesellschaft genaue Vorstellungen ausgearbeitet haben müsse, bevor der definitive Entscheid über die Zentralbibliothek [!] falle; insbesondere Prof. Werner «hält dreierlei für wegleitend: einmal die Interessen der Institute, welche auf die Bibliothek angewiesen sind, zweitens das Interesse aller Mitglieder, welche Bücher beziehen, und drit-tens das allgemeine Gesellschaftsinteresse, das in der Bücher-sammlung überhaupt liegt». Schliesslich wird der kommenden Hauptversammlung beantragt, eine Kommission zu bilden, die eine Abtretung der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbib liothek beraten soll. Die Hauptversammlung vom 28. Mai 1906 stimmte diesem Antrag zu. Die Protokolle schweigen sich in der Folgezeit zu diesem Geschäft allerdings aus. Erst am 19. Oktober 1910 wird das Thema Zentralbibliothek wieder aufgegriffen, aber gleich wieder vertagt: Es ging um die Frage, den richtigen Wert der Bibliothek zu bestim-men, aber der Bibliothekar, Prof. Schinz, sah sich ausserstande, diese immense Arbeit übernehmen zu können, worauf beschlos-sen wurde, mit dieser Angelegenheit noch zuzuwarten. Es hat also offenbar Diskussionen gegeben, wie gross der Wert der Gesell-schaftsbibliothek war und wie die Gesellschaft dementsprechend entschädigt werden sollte. Angesichts der finanziell angespannten Situation der Naturforschenden Gesellschaft eine verständliche Haltung, die aber doch an dem eigentlich unermesslichen, vor

28 Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek

allem ideellen Wert dieser Bibliothek vorbeizielte. Das Geschäft ruhte aber nicht mehr lange.

Sorgfältiges GutachtenAm 23. Januar 1911 beauftragte der Vorstand die Herren Carl Schröter und Hans Schinz, diese Frage zu studieren und Antrag zu stellen. Das Gutachten, das in gedruckter Form elf Seiten um-fasste und der Hauptversammlung vom 3. Juli 1911 vorgelegt wurde, legte alle Fragen gut strukturiert und umfassend vor. (Schröter und Schinz, 1911)

Nach einer Einleitung folgten acht Kapitel: I. Die zürcherische ZentralbibliothekII. Der gegenwärtige Stand unserer BibliothekIII. Die Frage der DepositaIV. Zusammenstellung der Ausgaben für die Bibliothek der Natur-forschenden Gesellschaft in den letzten zehn JahrenV. Die von der Naturforschenden Gesellschaft vorzuschlagenden Bedingungen, unter denen eine Abtretung erfolgen kannVI. Die Stellung der Statuten in der vorwürfigen FrageVII. Bedeutung der Abtretung der Bibliothek für die GesellschaftVIII. Schlussantrag Die Einleitung legt eindrücklich dar, dass viele

Abbildung 1

Vorstandssitzung vom 21. Mai 1915: Turbulenzen wegen der kurzfristig anberaumten Sitzung der ZB-Kommission (ZBZ, Ms NGZH 21.4.2, S. 216)

Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek29

wissenschaftliche Gesellschaften ihre Bibliotheken nicht mehr selber tragen können, dass auch die zürcherische Gesellschaft an Grenzen stösst und ihre Finanzen nur durch Abtretung der Bibliothek sanieren kann, und dass jetzt auch von dritter Seite der Wunsch besteht, dass die naturwissenschaftliche Bibliothek in die neu zu gründen-de Zentralbibliothek integriert werden soll. Anschliessend wird auf die Vorgeschichte und den aktuellen Stand des Projekts Zentralbibliothek eingegangen. Die Gesellschaftsbibliothek umfasst zu diesem Zeitpunkt rund 29 600 Bände und «1650 laufende Brett-Meter», jährlich kommen etwa 15 Laufmeter dazu, und wenn nicht etwa 3 000 Bände als Deposita in den Hoch-schulinstituten aufbewahrt würden, wäre die Raumnot noch grösser. Den Geldwert dieser Bibliothek zu schätzen wird abgelehnt. Kapitel III behandelt eine die Gesellschaft sehr bewegende Frage. Die Deposita in den Hochschulinstituten werden als unabdingbar für die wissenschaftliche Forschung der betreffenden Disziplinen betrachtet. Die Institutsleiter der drei wichtigsten Institute kommen ausführlich zu Wort. Zwar sei es ein abnormer Zustand, dass staatliche Institute auf die dauernde Benutzung von Privatbibliotheken angewiesen seien, aber dafür erhalte man als Gegenleistung gewisse Subventionen. Der Nachteil der dezentralen Aufbewahrung werde durch zweckentsprechende Abmachungen gemildert. Fazit ist, dass die Gesellschaft auf die Beibehaltung des Status quo dringt —› Anmerkung 1. Die Gesellschaft hat von 1901 bis 1910 durch-schnittlich fast Fr. 8 500 pro Jahr für die Bibliothek auf-gewendet, inbegriffen Kosten für Buchbinderarbeiten und Verwaltung. Im Kapitel V wird als erstes vorgeschlagen, die Gesellschaftsbibliothek unentgeltlich abzutreten. Ferner soll der Schriftentausch mit den auswärtigen wissen-schaftlichen Gesellschaften fortgesetzt werden, weshalb die Gesellschaft weiterhin ihre Schriften zur Verfügung stellt, während die Zentralbibliothek die Abwicklung und

Anmerkung 1

Die in den Instituten deponierten Bestände wurden später bis auf wenige Ausnahmen in die ZB überführt. Zu den Ausnahmen zählen die Deposita in der Botanik, siehe Artikel Rutishauser und Spinnler, Seite 39—50

30 Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek

die Kosten zu übernehmen hätte. Die Zentralbibliothek übernimmt das Einbinden des Zuwachses, die bestehenden Abonnemente und das sachgemässe Aufstellen und Katalogisieren. Ganz wichtig war, dass die übergebenen Bestände und die künftig aus dem Tauschverkehr stammenden Werke weiterhin erkannt werden können. Ferner sollen die Deposita bestehen bleiben. Selbstver-ständlich soll die Benutzung erleichtert werden, besonders eine ausschliessliche Vorausbestellung ist unerwünscht. Die neu er-schienenen Zeitschriften sollen im Lesesaal aufliegen. Falls die Zentralbibliothek aufgelöst wird, sollen die Gesellschafts-Bestände wieder ins Eigentum der Gesellschaft zurückkehren.

Beginn der Verhandlungen Am 13. Juni 1911 fand die vorentscheidende Vorstandssitzung statt. Anwesend waren alle Mitglieder, der Redaktor der Vierteljahrs-schriften sowie der Stadtbibliothekar und künftige ZB-Direktor Hermann Escher. Das Protokoll hält u. a. fest: «Die erste, hauptsächlichste Grundlage zu den Verhand-lungen zwischen unserer Gesellschaft und der Stadtbibliothek muss ein Verzeichnis unserer Bibliothek bilden. Das Zeitschriften-verzeichnis ist laut Mitteilung unseres Bibliothekars im Manuskript fertig gestellt und harrt der Drucklegung.» Zweiter Punkt war dann die Grösse der Bibliothek: «Die Schätzung der Büchersammlung ist nur in laufenden Metern möglich, und es scheint hier noch einige Unsicherheit zu walten über die Berechnung in Gestell- oder Brettmetern, kompli-ziert wird die Feststellung noch dadurch, dass in folge Raumman-gels in vielen Gestellen zwei Reihen Bücher hintereinander auf-gestellt werden mussten.» «Es wird ferner die Frage einer Entschädigung für die Abtretung unserer Bibliothek an die öffentliche Stiftung aufgewor-fen, immerhin in der Meinung, dass eine eventuelle Forderung mehr als Kampfmittel zur Erlangung vorteilhafter Bedingungen von der künftigen Verwaltung denn als Mittel zur Bereicherung der Gesellschaft dienen soll. Von Seite der Zentralbibliothek wird be-tont, dass es eine grosse Erleichterung der Transaktion bedeute, wenn keine Geldansprüche gemacht würden, es werde die Zent-ralbibliothek dafür gerne unsere Gesellschaft in jeder anderen Weise entgegenkommen.»

Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek31

Mit der Abtretung der Bibliothek werden beträchtliche Mittel frei, die vermehrt für die eigenen Publikationen und zur Unterstützung wissenschaftlicher Arbeiten eingesetzt werden könnten. Die Zahl der Mitglieder wird nicht abnehmen, weil die anderen Aktivitäten wie Vorträge, Publikationen und Lesezirkel, die von den Mitglie-dern weit stärker gebraucht werden, ja bleiben. Die Subventionen sind weiterhin gerechtfertigt, weil die Gesellschaft nach wie vor der Öffentlichkeit nützliche Dienste leistet, einmal durch die un-entgeltliche Überlassung der Bibliothek und durch die Alimentie-rung des Tauschverkehrs mit eigenen Publikationen. Im Schluss-antrag werden die Argumente zusammengefasst:

«Der Vorstand der naturforschenden Gesellschaft Zürich, in Erwägung, 1. dass die Bibliothek zu einer für die Gesellschaft uner-schwinglichen finanziellen Belastung geworden ist; 2. dass die Gesellschaft in der Erreichung ihrer idealen Ziele ‹Förderung der Naturwissenschaften und Verbreitung der Naturerkenntnis› durch Abtretung der Bibliothek an die zürcherische Zentralbibliothek bedeutend gefördert wird, indem die Bibliothek dann den weiteren Kreisen der Allge-meinheit dienen wird, ohne ihre intensive Benutzbarkeit für die wissenschaftlichen Institute zu verlieren; 3. dass die Unterstützung einer so schönen gemeinnüt-zigen und zeitgemässen Institution, wie es die geplante Zen-tralbibliothek ist, als eine hohe Aufgabe für unsere Gesellschaft erscheint, würdig ihrer grossen Vergangenheit, und im Sinne ihrer ganzen Entwicklung liegend; 4. dass den Mitgliedern nach wie vor die freie Benützung der Bibliothek garantiert ist; 5. dass die freiwerdenden erheblichen Mittel im Interes-se der Mitglieder und der Wissenschaft zur Ausgestaltung unserer Publikationen und zur Unterstützung wissenschaft-licher Arbeiten verwendet werden können; beantragt der Gesellschaft, ihn zu beauftragen, auf Grund der im obigen Absatz V aufgestellten Bedingungen mit den Organen der Zentralbibliothek über die Abtretung unserer Bibliothek an dieselbe zu unterhandeln und ihr das Resultat der Unterhand-lungen zum Entscheid vorzulegen.»

Die gründliche Vorarbeit lohnte sich, an der Hauptver-sammlung vom 3. Juli wurde über das grosse Vorhaben nicht mehr

32 Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek

diskutiert. Carl Schröter als Vorsitzender orientiert über das Zu-standekommen des gedruckten Gutachtens und dankte besonders Hermann Escher für die freundliche Mitwirkung; der Schlussantrag wurde einstimmig angenommen.

Vertrag endlich unterzeichnetDamit war der wichtigste Schritt getan. Die Zentralbibliothek und die Abgabe der Bibliothek war für längere Zeit kein Thema mehr. Erst an der Vorstandssitzung vom 21. Dezember 1914 wurde in Traktandum 10 über zwei Sitzungen der ZB-Kommission gespro-chen; es ging vor allem um die Deposita in den Universitätsinsti-tuten und um Finanzen. Es wird vorgerechnet, dass die Subventi-on der Museumsgesellschaft von 500 Fr nur einen Teil der dort von der NGZH aufgelegten Zeitschriften im Wert von 3 900 Fr ausmacht, und dass die NGZH mit den Tauschzeitschriften an die ZB eine bedeutende Subvention gewährt. Im April und Mai 1915 wurde es dann zeitweise sogar etwas hektisch. Innert kurzer Frist wurde über mehrere Vertragsentwür-fe diskutiert. Am 26. April beschloss der Vorstand einige redaktio-nelle Änderungen. Am 21. Mai war der Schenkungsvertrag erneut traktandiert, allerdings fand am Morgen dieses Tages auch eine Sitzung der ZB-Kommission statt, die kurzfristig weitere Änderungen beschloss. Davon erfuhr der Präsident erst nachmittags 4 Uhr, daher konnte er «nur noch kurz mit den zwei anderen Dele-gierten Prof. Dr. Schinz und Dr. Bircher darüber verhandeln. Dr. Bir-cher ist mit der Aenderung einverstanden, wenn Herr Prof. Dr. Schinz nicht opponiert. Prof. Dr. Schinz ist gegen die neue Fassung. Prof. Egli und Dr. Baumann haben keine grossen Bedenken.» Die Gemüter haben sich offenbar vor allem an den Be-nutzungsbestimmungen erhitzt, weil die Möglichkeit geschaffen wurde, eine vorübergehende Vorausbestellung anzuordnen, womit eine spontane Ausleihe unmöglich geworden wäre. Auch wenn der eine oder andere solche Einzelbestimmungen ungern sah, stand ein Rückzug des grundsätzlichen Beschlusses angesichts des für alle Beteiligten unbestritten grossen Nutzens der Neure-gelung nie zur Diskussion. Am 31. Mai 1915 verabschiedete denn auch die Hauptversammlung der Naturforschenden Gesellschaft den Schenkungsvertrag (Billeter et al., 1915) oppositionslos: «Prof. Dr. Heim macht darauf aufmerksam, dass die Ab-tretung unserer Bibliothek, die seit 166 Jahren besteht, einen

Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek33

feierlichen Akt darstelle, und schlägt vor, die Zustimmung zum Vertrag durch Erhebung von den Sitzen auszudrücken. Der Vertrag wird hierauf einstimmig angenommen. Die Bibliothek der N.G. geht somit auf 1. Jan. 1916 an die Zentralbib-liothek Zürich über.» (Egli und Rübel, 1915)

Mögen sich die einen vielleicht vorgestellt haben, dass die Übergabe der Bibliothek mit einer besonderen Feier gewürdigt werden könnte, so wurden sie enttäuscht; an der Vorstandssitzung vom 1. November 1915 wurde lakonisch protokolliert: «Herr Prof. Schinz berichtet, dass Herr Dr. Hermann Escher ein Protokoll über die Übergaben der verschiedenen Bib-liotheken verfassen wird, zu dessen Verlesung und Unterzeichnung unser Präsident und Bibliothekar anwesend sein werden. Eine eigentliche feierliche Übergabe fällt weg.»

UmzugDie Gesellschaftsbibliothek blieb noch einige Zeit in den städti-schen Räumlichkeiten, da der Neubau der Zentralbibliothek sich verzögerte. Aber 1917 war es dann soweit, am 5. März beschloss der Vorstand: «Im April wird die ZB umziehen und wahrscheinlich eine Eröffnungsfeierlichkeit stattfinden. Massnahmen dafür (Rede) wird der Präsident mit dem Vertreter in der ZB-Kommission

Abbildung 2

Einladungskarte für Martin Rikli zur Einweihungsfeier der ZB (ZBZ, Ms NGZH 03.21)

34 Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek

Literatur

ZBZ, Ms NGZH 21.4.2 (Protokolle von Vorstand und Hauptversammlung)

ZBZ, Ms NGZH 03.21 Einwei-hungsfeier ZB 25. Aug. 1917

Billeter, R., Escher, H., Rikli, M. und Egli, K. 1915. Schenkungs-Vertrag zwischen Zentralbibliothek Zürich (Öffentliche Stiftung) und der Naturforschenden Gesellschaft Zürich. Vierteljahrsschrift der NGZH 60:XXII—XIV.

Egli, K. und Rübel, E. 1915. Protokoll der Hauptversammlung Montag 31. Mai 1915. Vierteljahrs-schrift der NGZH 60:XVI—XXII.

treffen.» Mit der Eröffnungsfeier wurde die Übergabe der Gesell-schaftsbibliothek abgeschlossen. Der Präsident, Prof. Martin Rikli, hielt eine würdige Rede; er hatte sich gewissenhaft vorbereitet und seine Gedanken auf Kärtchen notiert —› Rede, Seite 35 und

—› Abbildung 3. Er schlug den Bogen von der Gründung der Gesell-schaft bis zur Abgabe der Bibliothek, betonte den Stolz der Gesell-schaft auf das bisher Geleistete und versprach, dass sich die Ge-sellschaft auch künftig tatkräftig für den weiteren Ausbau der Naturwissenschaften einsetzen werde, besonders durch den Tauschverkehr mit den auswärtigen wissenschaftlichen Gesell-schaften und Akademien.

Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek35

Rede zur Eröffnung der Zentralbibliothek, gehalten von Martin Rikli am 25. August 1917

Gestatten Sie mir im Namen der N.G.Z. u. in speziellem Auftrag von dem Präsidenten Prof. Dr. Bosshard, Rektor der eidg. Tech. H. einige kurze Worte. Als vor mehr als 170 Jahren unsere Gesellschaft durch eine Reihe verdienter Männer unserer Stadt gegründet wurde, da handelte es sich nicht nur darum zur gegenseitigen Belehrung und Nutzen derjenigen Kreise in Stadt u. Land zu sammeln, die für naturwissenschaftliche Bestrebungen Verständnis hatten, die junge Vereinigung wollte nicht eine ausschliessliche Gelehrten-gesellschaft sein, sie stellte sich von Anfang an höhere Ziele. Schon im Gründungsinstitut wurde der gemeinnützige Charakter der Vereinigung stark betont. Sie wollte unserem Gemeinwesen, dem engeren und weiteren Vaterland nützlich sein. Dies sollte erreicht werden durch 1) Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse 2) durch Anlage von Sammlungen, und 3) durch Gründung einer landwirtschaftlichen, der sog. ökonomischen Gesellschaft. So wurden eine Instrumentensamm-lung und einige weitere Sammlungen: Skelette, Insekten, Vögel, Herbarien, Mineralien, sog. Kabinette angelegt. Auch der bot. Garten ist in seinen ersten Anfängen auf die Gründer unserer Gesellschaft, besonders auf Joh. Gessner (1748) zurückzuführen. Später wagte man sich sogar an den Bau einer kl. Sternwarte (1811). Endlich ist auch der Bibliothek zu gedenken, deren erste Anfänge ebenfalls auf die Gründungsjahre zurückgehen. Den ersten Bib-liothekaren sind wir auch heute noch zu grossem Dank verpflich-tet, verstanden sie es doch, sich die Publikationen einer Reihe grosser Akademien zu sichern. All diese Unternehmungen bildeten während vielen Jahr-zehnten einen wichtigen Bestandteil der Tätigkeit der Gesellschaft. Unsere tüchtigsten Kräfte widmeten sich denselben mit unge-wöhnlicher Energie, mit nie versagender Opferwilligkeit, ohne irgendwelches Entgelt. So sind sie uns mehr und mehr ans Herz gewachsen. Mit der Gründung der Universität kam die Zeit, wo es wünschenswert schien, dass einzelne dieser Aufgaben, im Inter-esse der neuen Hochschule, vom Staat übernommen wurden.

36 Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek

Das letzte, was uns geblieben ist, war die Bibliothek. […] Viele Professoren, deren Ordnungssinn bekanntlich nicht immer, um die Sache mild auszudrücken, «hors concours» steht. Ca. 30 000 Bände. Besser wurde es, seit es uns im Jahre 1882 mög-lich war, einen eigenen Abwart anzustellen. Wenn wir vorher ei-niger Bibliothekare gedacht haben, so möchten wir an dieser Stelle es nicht versäumen, auch Herr Heinrich Koch zu erwähnen, der in seltener Pflichttreue, in nie versagenderArbeitsfreudigkeit, während 34 Jahren in geradezu vorbildlicher Weise seiner Aufga-be nachgekommen. Wir werden ihn in seiner Eigenschaft als Bi-bliothekswart in allerbestem Andenken behalten und freuen uns, dass durch seinen Übertritt an die Zentralbibliothek die alten Bande doch nicht völlig gelöst worden sind.

Abbildung 3

Anfang von Martin Riklis Rede am 25. August 1917 (ZBZ, Ms NGZH 03.21)

Übergabe der Gesellschaftsbibliothek an die Zentralbibliothek37

Aus dem Gesagten werden sie entnehmen, dass uns die Abgabe der Bibliothek nicht ganz leicht geworden ist. Heute freuen wir uns aber über das gebrachte Opfer. Es war eine Notwendigkeit. Wir haben eine Büchersammlung angelegt, nicht um einem krank-haften Sammelgriff zu fronen, sondern damit sie gelesen, studiert werden. Das wird unter den neuen Verhältnissen in viel weiterem Masse der Fall sein als früher. Einst das dunkle, muffige Lesezim-mer, wo selbst in der Lichtfülle des Tages geheimnisvolles Halb-dunkel herrschte, drei Treppen hoch — jetzt der herrliche Lesesaal mit all seinen Ressourcen und eine Bibliotheksverwaltung, die in jeder Hinsicht auf der Höhe der Zeit steht. Mit Freuden haben wir unsere Bibliothek ihrer Obhut anvertraut. Unser verbindlicher Dank den Stiftern, den Bibliotheksbehörden und besonders auch Herrn Direktor Escher für das uns während den Verhandlungen über die Übergabe unserer Bibliothek an die Zentralbibliothek gezeigte Entgegenkommen und Verständnis. An dieser Stelle möchte ich nur den Wunsch aussprechen, dass dieses Verhältnis niemals eine Trübung erfahren möge. Ein Sprichwort sagt: Alte Liebe rostet nicht. Das soll auch für unsere einstige Bibliothek gelten. Die Naturforschende Ge-sellschaft Zürich wird in Verbindung mit ihrer Bibliotheksleitung sich angelegen sein lassen, den weiteren systematischen Ausbau des literarischen Tauschverkehrs zu fördern, sie ist auch bereit, bei gelegentlicher Anschaffung besonders wertvoller Werke aus dem Gebiet der Naturwissenschaft Beiträge zu gewähren, soweit dies ihre disponiblen Mittel jeweilen erlauben. Noch einer Dankespflicht habe ich noch zu genügen: Conrad Gessner (1516—1565) einer der ersten Pioniere der Natur-forschung in Zürich. In seiner Wirksamkeit kann er gewissermassen als ein Vorläufer der Naturforschenden Gesellschaft bezeichnet werden. Die Ehrung dieses Mannes betrachten wir daher als eine Anerkennung unserer Bestrebungen, als eine unserer Gesellschaft zu Teil gewordene Ehrung, die wir sehr zu schätzen wissen. So erhebe ich denn mein Glas auf eine glückliche Ent-wicklung der Zentralbibliothek als einem mächtigen Hort, einer herrlichen Heimstätte der in den letzten hundert Jahren so unge-ahnt angewachsenen naturwissenschaftlichen Literatur, und auf die freundschaftlichen Beziehungen der Bibliotheksleitung und der Naturforschenden Gesellschaft Zürich.

VI

Der Pampasfuchs (Lycalopex gymnocercus) wurde von Darwin als Canis azarae beschrieben, aus: Charles Darwin and George R. Waterhouse: The Zoology of the Voyage of H. M. S. Beagle, Part II. Mammalia, London 1839, Tafel 7 (Signatur: NNN 133).

39 Willkommene GästeRolf Rutishauser und Martin Spinnler

Der Depotbestand der Zentralbibliothek Zürich im Botanischen Garten Zürich

«L’ospite è come il pesce, dopo tre giorni puzza» (Der Gast ist wie der Fisch, nach drei Tagen stinkt er). Mögen die drei Tage dieses italienischen Sprichworts dem einen oder der anderen etwas gar kurz erscheinen — oder zu lang, je nachdem — so hat wohl jede und jeder die Erfahrung gemacht, dass nach anfänglicher Wie-dersehensfreude eine gewisse Erleichterung eintritt, wenn der Gast sich nach etlichen Tagen verabschiedet, um die nächste Etappe anzutreten. Alte Bücher riechen schon, wenn sie zur Tür hereinkommen. Und doch würde man, insbesondere wenn man zur Kategorie bibliophiler Botaniker gehört, den Geruch nach drei Tagen nicht als unangenehm empfinden, sondern ihn und alle schönen Empfindungen und Assoziationen, die er weckt, schmerzlich vermissen, wenn einem der «Gast» weggetragen würde. Genauso verhält es sich mit den Büchern, die schon lange vor 1911 aus der Bibliothek der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich den Weg in den Alten Botanischen Garten am Bollwerk «zur Katz» fanden, um als willkommene Gäste in die Sammlun-gen des Botanischen Museums integriert zu werden. Welche zentrale Bedeutung diese mengenmässig bescheidene Bücher-sammlung — 1142 Bände — damals hatte, geht aus einer Stellung-nahme im Gutachten hervor, welches die Naturforschende Ge-sellschaft im Vorfeld der Übergabe der NGZH-Bibliothek verfasste (Schröter und Schinz 1911). Herr Prof. Dr. Hans Schinz schreibt (unterm 21. V. 1911):

«Wir besitzen im botanischen Museum eine ansehnliche Zahl Deposita [der NGZH]-Bibliothek, deren Anschaffung aus dem ordentlichen Museumskredit einfach unmöglich wäre. Wir sind auf diese Deposita in unserer Arbeit angewiesen. Wenn wir dieselben samt und sonders an die Zentralbibliothek abzuliefern haben, so erfahren wir ... schwere Schädigung. Wenn unser bot. Museum bis zur Stunde wenigstens in be-scheidenem Masse mit den grössern Schwesterinstituten der Nachbarstaaten Schritt halten durfte, so konnten wir dies tun, dank dieser Bibliothek ... Für uns ist diese Angelegenheit daher eine Lebensfrage im wahren Sinne des Wortes.»

Diese dezidierte Stellungnahme fruchtete: Der Gesamtbestand der NGZH-Bibliothek ging zwar am 1. Jan. 1916 in den Besitz der

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Zentralbibliothek über, diese musste sich aber mit dem Weiter-bestehen der verschiedenen Depotbestände einverstanden erklären. 1976 zog das Institut für Systematische Botanik der Uni-versität Zürich in den neu geschaffenen Botanischen Garten an der Zollikerstrasse, die Bücher der NGZH zogen mit. Heute stehen sie in einem separaten Magazin, zusammen mit weiteren botani-schen Büchern und Zeitschriften der Zentralbibliothek. Dass Platzmangel oft darüber mitentscheidet, wo Bibliotheksbestände stehen, zeigte sich 1993, als die Eröffnung des Erweiterungsbaus der ZB bevorstand: Der neu geschaffene Raum bot Anlass, die Rückführung der zahlreichen Depotbestände in Angriff zu nehmen. Offenbar widersetzte sich das Institut für Systematische Botanik (heute: Institut für Systematische und Evolutionäre Botanik) die-sem Ansinnen von allen Instituten am erfolgreichsten, denn nach wie vor existiert das botanische Depot, während alle anderen Depots längst aufgelöst sind. Und doch, irgendeinmal kommt der Zeitpunkt, an dem man sich auch vom allerliebsten Gast verab-schieden muss: Institut und Zentralbibliothek haben kürzlich gemeinsam beschlossen, möglichst bald alle Bücher des Depot-bestands an die ZB zurückzuführen. Mögen auch einige Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler den geliebten Gästen eine Träne nachweinen, so sind doch alle froh, dass die Bücher — da-runter wertvolle Rara-Bände — in der Zentralbibliothek eine gute Heimat finden werden, wo die langfristige Konservierung dieses wichtigen Kulturguts garantiert ist. Ausserdem ist die Digitalisie-rung der noch nicht erfassten Titel geplant —› Die Digitalisierung der

Bibliothek der NGZH, S. 99ff, wodurch die Inhalte allgemein und leicht zugänglich gemacht werden. Dass sich Haptik und Geruch alter Bücher virtuell nicht reproduzieren lassen, ist dabei in Kauf zu nehmen. Und wer die Sehnsucht nach den alten Büchern elek-tronisch nicht zu stillen vermag, wird in Zukunft in die Zentralbi-bliothek gehen können, um sie dort zu behändigen. Das Institut verabschiedet sich auch von zahlreichen alten Zeitschriften und anderen Periodika mit botanischem Schwer-punkt, die der NGZH-Bibliothek im Rahmen ihres Schriftentausches zugekommen waren. Dieser Zeitschriften- und Periodikabestand ging 1916 in das Eigentum der ZB über, blieb aber weiterhin als Depositum beim Institut. Interessant ist, dass die NGZH schon früh versucht hatte, eigene botanische Zeitschriften

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herauszugeben. So finden sich im ZB-Depot aus den Jahren 1787—1788 vier Bände des «Magazins für Botanik» (ZB-Signatur NB 1368&1369) und aus den Jahren 1791—1800 24 Hefte der «Annalen der Botanik» (ZB-Signatur NB 1372—1379). Paul Usteri-Schulthess (1768—1831) war als Zürcher Politiker und Journalist, als Arzt und Botaniker eine markante Persönlichkeit des schweizerischen Früh-liberalismus. Er war Patenkind des NGZH-Gründers Johannes Gessner und während 19 Jahren auch Präsident der NGZH. Als Neunzehnjähriger gründete er mit dem befreundeten Botaniker Johann Jakob Römer das erste deutschsprachige «Magazin für Botanik», das aber bald unter dem Namen «Annalen der Botanik» allein von Usteri weitergeführt wurde. Im Unterschied zu den Büchern wird das mehrbändige Herbar von Johannes Gessner (1709—1790), dem Gründer der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, weiterhin in den verei-nigten Herbarien der Universität und ETH Zürich verbleiben. In einem Brief an seinen in Göttingen weilenden Freund Albrecht von Haller (1708—1777) erwähnte Gessner sein Herbarium: «... Sehr gern hätte ich Dir ein Paket mit Pflanzen geschickt, und es schmerzt mich, offen gestanden, dass ich Dir so gar nichts senden kann. Durch recht viele Jahre war ich verhindert, unsere Alpen zu berei-sen, so dass ich kaum eine Pflanze vorrätig habe; jene, die ich besitze, sind in grossen Bänden auf Papier geklebt ...» (Burger-

bibliothek Bern, zitiert in: Boschung, 1996). Von Anfang an begeisterte sich Johannes Gessner für die Klarheit und Einfachheit in Linnés Systematik, obwohl Freund Haller diese entschieden ablehnte. Eine Auswahl botanischer Werke aus dem ursprünglichen Besitz der NGZH soll hier mit informativen Bildtafeln vorgestellt werden, ergänzt durch ausführliche Bildlegenden. Zusammen mit 1200 weiteren Bänden werden sie fortan nicht mehr im botani-schen Garten sondern in der ZB zu bestaunen sein. Gekennzeich-net sind diese Werke in der ZB-Signatur mit einem «N», das für den ehemaligen Bücherschatz der NGZH steht. Viele tragen auch noch den entsprechenden Stempel der «Naturforschende Gesell-schaft in Zürich».

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ZB-Signatur NB 90L’Ecluse C. de (= Clusius Carolus) 1601. Caroli Clusii Atrebatis rariorum plantarum historia, quae accesserint proxima pagina docebit. (gebräuchliche Titelvariante: Rariorum plantarum historia)

Der aus Flandern stammende Naturforscher Charles de l’Ecluse (lat.: Carolus Clusius, 1526—1609) war ein Zeitgenosse von Conrad Gessner (1516—1565). Beide publizierten in lateinischer Sprache Werke zu einheimischen und exotischen Tieren und Pflanzen. Im Gegensatz zu Gessner war es Clusius vergönnt viel länger zu leben. Aus seiner Zeit als Botanikprofessor in Leiden (NL) stammt das oben zitierte Werk über seltene Pflanzen, das mit zahlreichen Holzschnitten versehen ist. Links im Bild findet sich die Weisse Seerose (Nymphaea alba), rechts davon die Gelbe Teichrose (Nu-phar lutea), die damals noch Nymphaea lutea major hiess.

Abbildung 1

Holzschnitte der Weissen Seerose (Nymphaea alba; in der Abb. als Nymphaea alba, Lotus Aegyptia Alpini bezeichnet) und der Gelben Teichrose (Nuphar lutea; in der Abb. Nymphaea lutea major). Rariorum plantarum historia, Lib. 4, S. LXXVII

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ZB-Signaturen NB 124, NB 125, NB 126Bauhin J., Cherler J.H. 1650—1651. Historia Plantarum Universalis. Dreibändiges Werk. Jeder Band mit Kapiteln, z.B. Vol.1 mit zwölf Kapiteln, gezählt als «Liber primus» bis «Liber XII». Erst posthum veröffentlicht.

Der Basler Johannes Bauhin (1541—1613) war ein weiterer Zeitge-nosse von Conrad Gessner. Zusammen unternahmen sie 1561 eine botanische Sammelreise in die Alpen. Johannes Bauhin hat als Botaniker — zusammen mit seinem Schwiegersohn Johann Hein-rich Cherler — das grosse Werk Historia Plantarum Universalis mit über 5000 Pflanzenbeschreibungen geschaffen. Bauhin interes-sierte sich auch für die landwirtschaftlichen Genressourcen der damaligen Zeit, so z.B. für die in Europa kultivierten Obstbäume. So bildete er als Holzschnitte bereits 33 Birnensorten ab, die er auf Lateinisch auch ausführlich beschrieb, z.B. auch die schon damals in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz häufig angebaute Langstielerbirne —› Abbildung 2 links, welche sich für Birnenbrot und Birnendicksaft eignet. Weiter erwähnte Bauhin den Speierling (Sorbus domestica), der zu seiner Zeit auch schon ein beliebter Obstlieferant war —› Abbildung 2 rechts.

Abbildung 2 links

Holzschnitt einer Kulturbirne (Pyrus communis). der damaligen Zeit: Gelblangstilerbirn = Schlesischbirn. Historia Plantarum Universalis, Vol.1, Cap. 4, S. 52

Abbildung 2 rechts:

Holzschnitt eines Speierling «Sorbus procera» (Sorbus domestica) mit Darstellung eines ganzen Baums. Historia Plantarum Universalis, Vol.1, Cap. 5, S. 59

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ZB-Signatur NB103 Haller A. 1742. Enumeratio methodica stirpium helvetiae indigenarum.Der Berner Universalgelehrte Albrecht von Haller (1708—1777) war Arzt, Botaniker, Alpenforscher, Dichter und Politiker. Haller schloss die Arbeit an der ersten Auflage seiner Schweizer Flora Enumeratio methodica stirpium helvetiae indigenarum während seiner Zeit als Professor in Göttingen ab und liess das Buch 1742 auch dort drucken. Er schuf damit die erste umfassende, wissen-schaftliche Flora der Schweiz, wobei er auf zahlreiche Helfer an-gewiesen war. Eine noch umfangreichere zweite Auflage seiner Schweizer Flora erschien 1768. Exemplare beider Auflagen finden sich in der Büchersammlung der NGZH, welche 1917 in das Eigen-tum der ZB überging. Das Titelblatt beider Auflagen zeigt den unteren Grindelwaldgletscher und macht deutlich, dass Hallers Hauptinteresse den Alpenpflanzen galt.

Abbildung 3

Titelseite mit Details einer Gletscherland-schaft (GD Heumann, sculptor)

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Albrecht von Haller war Zeitgenosse von Carl von Linné (1707—1778) und Johannes Gessner (1709—1790). Im Gegensatz zu Gessner konnte sich Haller nie für Linnés Benennung von Lebewesen nach der binären Nomenklatur anfreunden, weil mit nur zwei Wörtern das Wesentliche einer Art nicht ausgedrückt werden kann. Im Ge-gensatz zu Linné benutzte Haller zur Bezeichnung einer Pflanzen-art einen kurzen, das Aussehen charakterisierenden Satz. Hier zwei Beispiele aus der Erstauflage (1742) seiner Schweizer Flora: Tafel 17 (S. 623) zeigt zwei in der Schweiz heimische Läusekräuter als Kupferstich (gestochen von Christian Friedrich Fritzsch, Göttingen) unten links das Quirlblättrige Läusekraut (Pedicularis verticillata) mit folgender Beschreibung: «Pedicularis Alpina flori-bus purpureis spicatis foliis pinnatis conjugalis» [Alpines Läusekraut mit purpurroten Blüten, Fiederblätter im Quirl]; und rechts gross dargestellt das Blattreiche Läusekraut (Pedicularis foliosa) mit der Beschreibung: «Pedicularis Alpina foliis bis pinnatis floribus ochro-luuis in spicam congestis» [Alpines Läusekraut mit doppelt gefie-derten Blättern und beigen Blüten in gedrängter Ähre]

Abbildung 4:

Kupferstich von zwei Läusekräutern (CF Fritsch Sculp. Götting.)

Enumeratio methodica stirpium helvetiae indigenarum, Taf. 17 S. 623

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ZB-Signatur NB 263Dunal M.-F. 1817. Monographie de la famille des Ano-nacées [35 planches gravées]

Zahlreiche Werke der ehemaligen NGZH-Bibliothek stammen von Autoren, deren Namen längst vergessen sind, so z.B. die umfang-reiche Monographie der Blütenpflanzenfamilie Annonaceae von Michel-Félix Dunal (1817), die 35 grossformatige Kupferstiche enthält. Die hier ausgewählte Übersichtstafel zeigt schematisch die Fruchtformen der verschiedenen Gattungen, z.B. der essbaren Tropenfrucht Chirimoya (Annona) und dem auch in der Schweiz gelegentlich angebauten Papau (Asimina). Bei Dunals Darstellung wird die «natürliche Verwandtschaft» zwischen den Gattungen durch ein liebevoll geknüpftes Maschennetz veranschaulicht, dazu als zwei Nachbarfamilien die Magnoliengewächse und — was heute nicht mehr gilt — die Mondsamengewächse (Menisperma-ceae). Verwandtschaftsforschung wurde also schon vor Charles Darwin und seiner Evolutionstheorie betrieben. Im Sinne von Darwin sucht man aber heute nach dem Tree of Life, dem phylo-genetischen Stammbaum der Organismengruppen.

Abbildung 5

Monographie de la famille des Anonacées, Falttafel Nr. 1

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—› Abbildung 6, S. 48

Amherstia nobilis Wall. Plantae Asiaticae Rariores, Vol.I (1830), Tafel 1

ZB-Signaturen NF 76, NF 77 und NF 78Wallich N. 1830—1832. Plantae Asiaticae Rariores, or, Descriptions and Figures of a selected number of un published East Indian Plants.

Das dreibändige Werk enthält 300 grossformatige handkolo-rierte Pflanzenlithographien, dazu lateinische Diagnosen.

—› Abbildung 6 (Tafel 1) Im frühen 19. Jahrhundert begann das Gol-dene Zeitalter der britischen Kronkolonien. Da durften die Bota-niker auch nicht daheim bleiben. Gefördert durch ihre Kolonial-herren erforschten sie die Pflanzenwelt fremder Länder. So suchte Nathaniel Wallich («Nathan Wulff», 1786—1854) in den Jahren 1807—1828 nach unbekannten Pflanzenarten in Indien und den angrenzenden Ländern wie Nepal und Burma. Von Tropen-krankheiten geschwächt kehrte er im Jahre 1828 zurück nach Eu-ropa. In den Jahren 1830—1832 publizierte er in drei Bänden das grossformatige Werk Plantae Asiaticae Rariores. Er stellte darin 300 neue Arten aus dem britischen «Ostindien» vor. Eine der wohl dekorativsten Pflanzen, die Wallich für die Wissenschaft neu be-schrieb, ist Amherstia nobilis, ein Baum mit rot-gelben Blüten in reichblütigen Trauben. Wallich entdeckte diesen Hülsenfrüchtler (Fabaceae) in einem Klostergarten in Burma. Die Einheimischen nannten ihn Thoka, wussten aber nicht, wo er wild gedeiht. Es ist ungewiss, ob er in Burma heute noch natürlich vorkommt (zweimal soll er vor Jahren dort wild gefunden worden sein). Amherstia no-bilis hat es aber als dekoratives Gewächs unter dem Namen Pride of Burma in die Parkanlagen vieler Tropenländer geschafft. Die von Wallich stammende Übersichtstafel zeigt einen Zweig mit entfaltetem Fiederblatt und Blütenstand. Abgebildet sind links auch zwei schlaff herabhängende junge Fiederblätter, die erst nach dieser «Laubausschüttung» steif und grün werden. Junge Blätter und Blüten sind essbar.

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—› Abbildung 7 (Tafel 2) Wallich (1830) widmete in seinem Werk Plan-tae Asiaticae Rariores der von ihm neu beschriebenen Amherstia nobilis gleich noch eine zweite Farbtafel. Wie die erste stammt auch sie vom indischen Zeichner Vishnupersaud, einem anerkann-ten Illustrator, der auch für andere Botaniker arbeitete. Für den Druck wurden beide Tafeln vom Lithographen Maxim Gauci be-arbeitet und anschliessend handkoloriert. Die für Leguminosen typische Hülse ist unten rechts dargestellt. Mitte links und oben rechts finden sich zwei offene Blüten, z.T. bereits etwas zerlegt, um die einzelnen Blütenteile besser zeigen zu können. Weitere Blütendetails finden sich im unteren Bildbereich.

Abbildung 7

Amherstia nobilis Wall. Plantae Asiaticae Rariores, Vol.I (1830), Tafel 2

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Quellen und Literatur

Bauhin J., Cherler J.H. 1650—1651. Historia plantarum univer-salis. Ebroduni (Yverdon). 3 Bände. Und Online in Internet: URL: https://archive.org/download/bub_gb_Hc8_AAAAcAAJ/bub_gb_Hc8_AAAAcAAJ.pdf

Burgerbibliothek Bern. Nachlass Albrecht von Haller, Briefsammlung.

Boschung, U. 1996. Johannes Gessner (1709—1790). Der Gründer der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. 198. Neujahrsblatt der NGZH.

Dunal M.-F. 1817. Monographie de la famille des Anonacées. Treuttel & Würtz, Paris. 143 Seiten. Und Online in Internet: URL: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k97878n/f2.image

Haller A. 1742. D.Alberti Haller ... Enumeratio methodica stirpium Helvetiae indigenarum. Vanden-hoek, Goettingae (Göttingen). 2 vol. ([4], 36, 424 p., IX f. de pl.) ([1], p. 425—794, pl. X—XXIV). Und Online in Internet: URL: https://download.digitale- sammlungen.de/BOOKS/pdf_download.pl?id=bsb10870927

L’Ecluse C. de (= Clusius Carolus) 1601. Caroli Clusii Atrebatis rariorum plantarum historia, quae accesserint proxima pagina docebit. Ex officina Plantiniana apud Ioannem Moretum, Antverpiae. [7] Bl., 364, CCCXLVIII S., [6] Bl. Und Online in Internet: URL: http://dx.doi.org/10.3931/ e-rara-9784

Schröter, C. und Schinz, H. 1911. Gutachten und Antrag des Vorstandes der Naturforschenden Gesellschaft Zürich betreffend die Abtretung ihrer Bibliothek an die Zentralbibliothek Zürich. Viertel-jahrsschrift der NGZH 56:CXXIX—CXXXIX.

Wallich N. 1830—1832. Plantae Asiaticae Rariores, or, Descriptions and Figures of a selected number of unpublished East Indian Plants. Treuttel and Würtz, London. 3 Bände. Und Online in Internet: URL: http://www.biodiversi-tylibrary.org/bibliography/468#/summary

VII

Ammoniten, aus: Johann Ernst Immanuel Walch: Die Naturgeschichte der Versteinerungen, 2. Teil, Nürnberg 1768, Tafel 1a (Signatur: NG 12).

VIII

Conchylien, aus: Michael Regenfuss: Auserlesene Schnecken, Muscheln und andere Schaalthiere, Kopenhagen 1758, Tafel 4 (Signatur: NF 87).

53 Hans Heinrich Koch und die NGZH am Anfang des 20. JahrhundertsHeinzpeter Stucki

Angestellt 1881 als Abwart der Bibliothek, erhielt Koch am 1. Juli 1892, gewissermassen mit dem Antritt von Hans Schinz als Biblio-thekar, einen neuen Dienstvertrag. Mit Schinz kam, nicht nur in der Bibliothek, frischer Wind in die Naturforschende Gesellschaft:

«H. Koch hat täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage von 9—12 Uhr und von ½ 2—5 Uhr, vom 15. November—1. März bis 4 Uhr die Bibliothek und das Lesezimmer der naturfor-schenden Gesellschaft offen zu halten und während dieser Stunden nachstehenden Verrichtungen obzuliegen: Eintragung der täglichen Eingänge in die Listen des Bib-liothekars und Weiterführung der Sachkataloge; Ausgabe der Bücher gegen Bescheinigung und Entgegennahme von Rück-sendungen, Versendung der Lesemappen nach Anordnung der betreffenden Commission, sowie der Gesellschaftspub-likationen und Ausführung der ihm von Commissionsmit-gliedern übertragenen, die Gesellschaft betreffende schrift-liche Arbeiten. Die Reinigung des Lesezimmers und der Bibliotheksräu-me sowie die dem Abwart übertragene Besorgung des Aus-tauschverkehrs mit dem Museum und der Bezug der Mitglie-derbeiträge fällt ausserhalb diese Zeit. An Sitzungstagen stellt sich der Abwart speziell dem Vortragenden nachmittags bis zum Schluss der Sitzung und am darauffolgenden Vormittag von 8—12 Uhr zur Verfügung. Ebenso hat sich der Abwart bei Commissionssitzungen zur Disposition zu halten. Der Abwart hat für tadellose Ordnung in der Bibliothek und im Lesezimmer sowie für Lüftung und Heizung besorgt zu sein. Übelstände irgendwelcher Art sind vom Abwart sofort dem Bibliothekar mitzuteilen. H. Koch-Schinz erhält eine Jahresbesoldung von Frk. 1 600.—, auszahlbar in vierteljährlichen Raten. Die gegenseitige Kündigungsfrist beträgt drei Monate.»

Diese vielfältigen Aufgaben Kochs führen über das Bild hinaus, das wir heute von einem Abwart haben. Er war Magaziner, der

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Bücher aus den Gestellen holte und dort wieder versorgte; er war Verwalter, der entliehene Bücher und deren Rückgabe notierte; er stellte die Lesemappen zusammen und verschickte sie an die Mitglieder; er sorgte für den Austausch mit der Museumsgesell-schaft; er zog die Mitgliederbeiträge ein; und fast nebenbei über-nahm er auch die Aufgaben, die eher von einem Abwart erwartet werden: er half bei Vorträgen und Sitzungen, er war zuständig für Reinigung, Lüftung und Heizung sowie für Ordnung in den Räum-lichkeiten. Verglichen mit späteren Aufgaben der Bibliotheken und Vereine waren das noch einfache Zustände! Mit ihrem Abwart war die Gesellschaft sehr zufrieden. Nicht dass die Herren Professoren das sehr oft ausgedrückt hätten, aber in den Vorstandsprotokollen erfährt man doch manchmal gewissermassen nebenbei, dass Koch und seine Arbeit geschätzt wurden. Als man am 15. Mai 1905 an die Einführung einer elekt-rischen Beleuchtung dachte, wurde ausdrücklich gewürdigt, dass Koch sehr viel leistet:

«Posten Beleuchtung. Herr Prof. Schinz weist darauf hin, dass die Anforderungen an den Abwart der Gesellschaft, Herrn Koch, sehr grosse sind; er ist gezwungen, nach Ablauf seiner

Abbildung 1

Hans Heinrich Koch-Hindermann (Foto aus VJS 69, 1924, S. 356)

Hans Heinrich Koch und die NGZH am Anfang des 20. Jh.55

vorgeschriebenen Arbeitszeit in der Bibliothek zu arbeiten. Eine feuersichere Beleuchtung ist nicht vorhanden, wiederholt sind deshalb von Nachbarn Reklamationen eingelaufen. Abhülfe wäre möglich durch Anschluss an die elektrische Beleuchtung der Stadtbibliothek. Es wird beschlossen, Herr Prof. Schinz soll mit dem Vor-stande der Stadtbibliothek verhandeln, einen Kostenvoran-schlag aufstellen und alsdann dem Vorstande von dem Ergeb-nis Kenntnis geben. Beim Posten Verschiedenes soll eine entsprechende Summe eingesetzt werden.»

An der gleichen Sitzung wurde übrigens auch beschlossen, Kochs Lohn zu erhöhen. Am 21. Mai 1906 wurde dann vermeldet, dass die elekt-rische Beleuchtung für den Lesesaal eingerichtet worden ist, nicht aber fürs Bibliothekszimmer, für das «die Einrichtung einer Be-leuchtung zu gefährlich» gewesen sein soll . Am gleichen 21. Mai wurde auch die Einführung einer Taxe für das Holen und Bringen von Büchern durch Koch bespro-chen. Eine solche Taxe wurde abgelehnt, mit der Begründung: «Die Zeit, während Herr Koch solche Besorgungen zu verrichten hat, liegt ausserhalb seiner Geschäftszeit; es ist seine eigene Sache, diese Angelegenheit zu regeln». Diese Botengänge waren, neben anderen Zusatzarbeiten, offenbar die bei seiner Pensionierung genannten Nebeneinnah-men, die durchaus eine gewisse Bedeutung gehabt hatten. Einen Blick in die Gedankenwelt der damaligen Vorstandsmitglie-der kann auch ein einfacher Satz gewähren, wie am 17. Mai 1909: «Auf Antrag des Bibliothekars Herrn Prof. Schinz werden dem Abwart Herrn Koch die üblichen Ferien gewährt.» 1911 durfte Koch feiern, seit 30 Jahren arbeitete er für die NGZH. Am 25. Oktober beschloss der Vorstand:

«Am 1. November feiert unser Abwart Koch sein 30jähriges Jubiläum im Dienste unserer Gesellschaft. Der Vorsitzende Herr Prof. Schröter wird Herrn Koch von der ihm in Anerken-nung seiner vieljährigen treuen Dienste zugesprochenen Ge-haltserhöhung Mitteilung machen und ihm namens der Ge-sellschaft ein bezügliches Dankschreiben übergeben.»

56 Hans Heinrich Koch und die NGZH am Anfang des 20. Jh.

Übergang an die ZentralbibliothekDass die Zentralbibliothek den bewährten Hans Heinrich Koch in ihre Dienste übernahm, stand nie in Frage, trotz seines fortge-schrittenen Alters. Er erhielt am neuen Arbeitsort ein Jahresgehalt von Fr. 2 800.—, Fr. 300.— mehr als von der Naturforschenden Gesellschaft, bei allerdings längerer Arbeitszeit. Der Vorstand machte sich aber weitere Gedanken, denn er wollte nicht ohne weiteres auf Kochs willkommene Dienste verzichten; also beschloss er am 1. November 1915, dass man, auch weil Koch mit dem Über-gang an die Zentralbibliothek einiger Nebeneinnahmen verlustig gehen werde, ihn weiter anstelle. Darüberhinaus entschied man, «in Anbetracht der langjährigen treuen Dienste …, Koch ein Ge-schenk zu überreichen, ob einen Gegenstand oder in Geld, darü-ber wird Herr Prof. Schinz mit Frau Koch Rücksprache nehmen». Es mag das übliche Vorgehen gewesen sein, aber es sei ausdrücklich hervorgehoben, dass hier erstmals Kochs zweite Frau in den Akten erwähnt ist. Wie aus späteren Einträgen hervorgeht, war sie ebenfalls mit Hilfsarbeiten für die Gesellschaft beschäftigt. Am 29. November 1915 hielt der Vorstand fest:

«Nach einem eingehenden Referat von Dr. Hermann Escher über die Anstellungsverhältnisse an der Z.B. und nach Dis-kussion, besonders der Frage ob Fixum oder Berechnung pro Arbeitsstunde (zu Fr. 1.20) wird beschlossen: 1) Herrn Koch am Neujahr ein Geschenk von 350 Fr. (10 Fr. per Dienstjahr) in feierlichem Besuch des Präsidenten und des Quästors zu überreichen; 2) für die zukünftige Inanspruchnahme durch die Sitzun-gen und den Versand der Vierteljahrsschrift ein Fixum von 200 Fr. auszusetzen. Das Adressenschreiben für die Sitzungs-einladungen durch Frau Koch wird wie bisher separat ho-noriert; … 3) grundsätzlich die Einwilligung zu erklären, die Versi-cherungsfrage zu unterstützen.»

Mit der «Versicherungsfrage» wird auf Kochs Rente angespielt. Am 3. April 1916 stimmte der Vorstand einem Vorschlag von Her-mann Escher zu, dereinst von Kochs Rente Fr. 500.— zu überneh-men, und schloss im Juni 1916 eine entsprechende Versicherung mit der Rentenanstalt ab. Angesichts seines Alters konnte es nicht mehr lange dau-ern, bis Koch an seinen Rücktritt dachte. Tatsächlich, nach

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anderthalb Jahren an der Zentralbibliothek, war es so weit. Am 27. Juni 1918 schrieb Koch dem Vorstand:

«Der Unterzeichnete gedenkt altershalber nach 37jähriger Tätigkeit von seinem Amt auf 1. Okt. zurückzutreten. Das langjährige Zutrauen höflichst verdankend und Ihrem alten Diener ein freundliches Andenken zu bewahren bittet AchtungsvollstH. Koch»

Schon am 1. Juli beriet der Vorstand über Kochs Wunsch: «Prof. Schinz schlägt vor, auf dieses Datum an Koch ein Dank-schreiben zu richten, mit Frau Koch in Verbindung zu treten,

Abbildung 2

H. H. Koch dankt der NGZH für das Abschiedsgeschenk, Nov. 1918 (ZBZ, Ms NGZH 26.4.1)

58 Hans Heinrich Koch und die NGZH am Anfang des 20. Jh.

für Wahl eines passenden Geschenks und endlich durch Ver-mittlung von Koch selbst nach einem geeigneten Mann für Neubesetzung Umschau zu halten.»

Schinz erhielt den Auftrag, in diesem Sinne weiter zu fahren. Prompt berichtete Schinz an der folgenden Vorstandssitzung vom 27. Juli, dass Koch den Maler Adolf Zeller als Nachfolger vorschlug, «dieser hätte sämtliche Arbeiten zu übernehmen, die jetzt Koch und Frau besorgen und Koch würde ihn diesen Winter in die Aus-führung der Arbeiten einführen.» Und an der Sitzung vom 23. Sep-tember teilte der Präsident mit,

«dass der in der letzten Sitzung vorgeschlagene Adolf Zeller als Abwart angestellt worden ist, auf Zusehen hin, zu Fr. 150 für das Winterhalbjahr und Fr. 50 für das Sommerhalbjahr; Antritt 1. Okt. 1918. Es wird beschlossen, auf Ende der Dienstzeit von H. Koch, 30. Sept., ihm ein Geschenk von Fr. 50 zu überreichen, was der Präsident überreichen wird.»

Koch bedankte sich bei seinen früheren Arbeitgebern im Novem-ber, einen guten Monat nach seiner Pensionierung —› Abbildung 2:

«Bei Anlass des Überganges unserer Bibliothek an die Zent-ralbibliothek im Januare 1916 und später bei meinem defini-tiven Rücktritt am 1. Oktober 1918, also genau nach 37 Dienst-jahren als Abwart, haben Sie mir jeweilen in sehr freundlicher Weise eine willkommene Gabe zufliessen lassen, begleitet mit den besten Wünschen für die Zukunft. Darf ich Sie, Herr Präsident, höflichst ersuchen, meinen besten Dank der Tit. Gesellschaft zu übermitteln, mit der Versicherung, dass Ihr alter Diener Sie Alle im treuen Andenken behalten wird. Wo ich etwa in den vielen Jahren aus Unkenntnis gefehlt, habe ich mir der Kürze halber selbst verziehen, da doch Niemand vollkommen ist. Also behüt Euch GottIhr alter Diener Hs. Hch. Koch»

Heinrich Koch arbeitete aber auf der Zentralbibliothek noch bis 1920 weiter und trat erst dann definitiv in den Ruhestand. Er soll-te jedoch nicht mehr lange leben. Am 5. Oktober 1924 schloss er seine Augen, am 8. Oktober erfolgte die Abdankung im Kremat-orium, an der auch die Naturforschende Gesellschaft vertreten

Hans Heinrich Koch und die NGZH am Anfang des 20. Jh.59

war (Schinz, 1924). Am 13. Oktober dankte die Witwe Herrn Prof. Hescheler für die ehrenden Worte und den Blumenstrauss. Wie stark Koch und seine Gattin mit der Naturforschen-den Gesellschaft — und diese mit dem Ehepaar Koch — verbunden war, zeigte sich auch zu diesem Zeitpunkt. Die städtische Versi-cherungskasse, der die Angestellten der Zentralbibliothek ange-schlossen war, zahlte der Witwe, wie üblich, noch für ein Jahr die Rente. Als Julie Koch am 16. Oktober bei der Versicherungskasse vorsprach, fragte sie auch, wie es um den Anteil der Naturforschen-den Gesellschaft stehe, worauf die Kanzlei die Naturforschende Gesellschaft anfragte. Am 30. Oktober doppelte die Zentralbibli-othek nach:

«Die Zentralbibliothek führte für alle übernommenen Mit-arbeiter eine Alters- und Invalidenversicherung ein, ‹die den Betreffenden vom 70. Jahre an an eine Altersrente von 60% des Gehaltes verhiess und in die auch der damals nahezu 70jährige, aber noch rüstige Abwart Ihrer Gesellschaft, Hein-rich Koch, trotz seines grossen Eintrittsdefizites eingeschlos-sen wurde. Durch Abrede vom 14. Juli 1916 mit uns verpflich-teten Sie sich, an die Rente, die ihm beim dereinstigen Rücktritt auszuzahlen sei, einen Beitrag von Fr. 500.— zu entrichten.› Damaliges Gehalt Fr. 2 800.—, Rente = 1 680.—, für die ZB also 1 180.— …. Da ihre finanziellen Verhältnisse recht bescheiden sind, wäre ihr sehr zu gönnen, wenn ihr auch der Nachgenuss der von Ihrer Seite kommenden Fr. 500.— um ein Jahr verlängert werden könnte. Wir gestatten uns deshalb Ihnen die Anregung zu unterbreiten, Sie möchten Ihre Leis-tung, die sich ja im Gegensatz zur unsrigen nicht vermehrt hat, ebenfalls bis zum 5. Oktober 1925 erstrecken. Wir glauben dabei auf die langjährigen, treuen Dienste hinweisen zu dür-fen, die der unermüdliche und stets bereitwillige Mann Ihrer Gesellschaft geleistet hat, und geben uns gerne der Hoffnung hin, dass Sie in der Lage seien, in diesem Sinne Beschluss zu fassen und auch so das Gedächtnis des Mannes zu ehren.»

Der Vorstand reagierte verhalten. An seiner Sitzung vom 17. No-vember beschloss er:

«Aus der Diskussion, an der sich die Herren Dr. Baumann, Dr. Kienast, Prof. Rikli, Prof. Bosshard und Prof. Hescheler beteiligen, geht hervor, dass für die N.G.Z. keine rechtliche Verpflichtung besteht, die Rente weiter zu bezahlen.

60 Hans Heinrich Koch und die NGZH am Anfang des 20. Jh.

Dagegen erachtet der Vorstand es als eine moralische Pflicht der N.G.Z., dafür zu sorgen, dass Frau Koch ein einmaliger Betrag von Frs. 500.— ausgerichtet werden kann. Da die ge-genwärtigen finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft es nicht erlauben, diesen Betrag aus den Mitteln der N.G.Z. zu bestreiten, wird einer Anregung des Herrn Prof. Hescheler Folge gegeben, gemäss welcher versucht werden soll, die Summe auf privatem Wege von einigen Mitgliedern der Ge-sellschaft zu erhalten. Der Betrag soll vom Vorstand der N.G.Z. Frau Koch direkt eingehändigt werden. Der Vorstand be-schliesst, dass in dieser Weise vorgegangen und der Beschluss der Bibliothekskommission der Zentralbibliothek mitgeteilt werden solle.»

Die privat organisierte Sammlung erbrachte dann in kürzester Zeit ein schönes Resultat. Der Quästor H. Baumann-Naef konnte Prä-sident Hescheler am 10. Dezember den Abschluss der Sammlung mitteilen:

«Ich bin im Besitze Ihres Geehrten von heute und übermache Ihnen beiliegend die Quittungen über die beiden von Ihnen erhaltenen Beiträge von je Fr. 50.— zu Gunsten der Witwe Koch. Herrn Prof. Dr. Zangger habe ich wunschgemäss den Empfang direkt bestätigt. Die Sammlung, die damit abgeschlossen ist, ergab das folgende Resultat —› Abbildung 3: Fr. 400.— Herr Dr. J. Escher-KündigFr. 20.— Herr Prof. Dr. G. Stoppany Fr. 50.— Herr Prof. Dr. E. Rübel Fr. 50.— Herr Prof. Dr. K. HeschelerFr. 50.— Herr Prof. Dr. H. ZanggerFr. 50.— Herr Dr. M. Baumann-Naef, zusammenFr. 620.— , welchen Betrag ich behufs Uebergabe an Witwe Koch zu Ihrer Verfügung halte, eventuell Ihre Instruktion gewärtige.»

Es passt zum Bild der finanziell klammen Gesellschaft, und es passt zum Bild der patriarchalisch gesinnten Vorstandsmitglieder, dass das Geld nicht von der Gesellschaft aufgebracht wurde, son-dern von einigen wenigen Mitgliedern aus ihrem eigenen Porte-monnaie (nach heutigem Geldwert immerhin etwa das Zehnfache).

Hans Heinrich Koch und die NGZH am Anfang des 20. Jh.61

Abbildung 3

Quittung der Spende von K. Hescheler (ZBZ, Ms NGZH 25.3.1)

Abbildung 4

J. Koch-Hindermann dankt der NGZH für den Zustupf zu ihrer Rente, 15. Dez. 1924 (ZBZ, Ms NGZH 25.3.1)

62 Hans Heinrich Koch und die NGZH am Anfang des 20. Jh.

Zwei Tage später brachte der Quästor diese Summe der Witwe an die Zürichbergstrasse 15, und am darauf folgenden Montag be-dankte sich die Witwe beim Präsidenten —› Abbildung 4:

«Zürich, 15. Dezember 1924Herr Prof. Dr. K. Hescheler!Hochgeehrter HerrAm Freitag Abend [12. Dezember] erhielt ich den Besuch von Herrn Baumann-Näf, der mir in Ihrem Namen frcs 620.— übergab. Ich erhalte von der Stadt Zürich die Pension meines l. Mannes noch 1 Jahr ausbezahlt mit frcs 3 220.— und von der Tit. Naturforschenden Gesellschaft hatte m. l. Mann frcs 500.— als Ergänzung erhalten. Dass Sie, hochgeehrter Herr Professor und noch mehrere ältere Herren der Tit. Na-turf. Gesellschaft das Andenken meines l. Mannes auch auf mich übertragen, hat mich tief bewegt, u. ich möchte Ihnen Allen von ganzem Herzen danken für Ihre Güte und ein auf-richtiges ‹Gott vergelte es Ihnen› sagen. Es ist mir eine sehr liebe Erinnerung, wenn ich denken kann, dass ich meinem l. Manne an seiner Arbeit für die Naturf. Gesellschaft helfen durfte, es war uns Beiden eine Herzensfreude. Gerne zu jedem Dienste bereit, Hochachtungsvoll ergebenstFrau J. Koch-Hindermann»

Literatur

ZBZ, MS NGZH 21.4.2, Vorstandsprotokolle

ZBZ, MS NGZH 25.2—3, Akten des Präsidenten

ZBZ, MS NGZH 26.1 und 26.4, Akten des Sekretariats

Schinz, H. 1924. Hans Heinrich Koch-Hindermann (1846—1924). Vierteljahrsschrift der NGZH 69:355—359.

IX

Junger Orang-Utan, aus: Georges Cuvier: Le règne animal, Paris, o. J., Tafel 10 (Signatur: NNN 273).

X

Ein Ceylon-Hutaffe (Macaca sinica) ehedem Simia aygula, aus: Jean Baptiste Audebert: Histoire naturelle des singes et des makis, Paris 1799, Tafel 3 (Signatur: NF 182).

65 Adolf Tobler, Professor für Schwachstromtechnik und Förderer der Zentralbibliothek (1850—1923)Heinzpeter Stucki

Als am Ende des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts die Frage, wie die Bibliotheken in Zürich zu organisieren seien, zunehmend an Gewicht gewann, war Adolf Tobler der wohl bedeutendste Förderer der Idee, eine Zentralbibliothek zu schaffen. Ein Komitee von Politikern und Wissenschaftern verfasste 1903 einen Aufruf, für die künftige Zentralbibliothek zu spenden: Es gehe in der ge-genwärtigen Zeit nicht an, von der Öffentlichkeit einen Betrag von bis zu 1 Million Franken für eine Zentralbibliothek zu fordern, daher sei es das Ziel, mit diesem Spendenaufruf die schon beste-henden Spenden von mehr als 200 000 Franken auf eine halbe Mio Franken zu erhöhen. Was der Aufruf verschwieg, war die Tatsache, dass 200 000 Franken allein von Adolf Tobler stammten! Und Tobler begnügte sich nicht damit, nur den Start der Zentral-bibliothek zu erleichtern, sondern vermachte in seinem Testament eine Viertelmillion nochmals der Zentralbibliothek. Wer war dieser «hochherzige Förderer der Wissenschaft», dessen Name der genannte Spendenaufruf verschwieg, im Gegen-satz zu Ulrico Hoepli in Mailand (25 000 Fr.) und zum Hochschul-verein (10 000 Fr.)?

LaufbahnAdolf Tobler wurde 1850 in eine Familie von Privatbankiers gebo-ren. Sein Grossvater Leonhard reiste als Geldwechsler mit seinem Fourgon voll Geld an Messen und andere Veranstaltungen, sein Vater Emil übernahm dessen Geschäfte, und Adolf hätte eigentlich in dritter Generation in seine Fussstapfen treten sollen. Aber schon in den Jahren, als er die damalige Industrieschule besuchte, begann er sich leidenschaftlich für Naturwissenschaften zu interessieren, wie sein heute verschollenes, in den Nachrufen aber häufig zitier-tes Tagebuch verriet: Er verkaufte sein griechisches Wörterbuch und erstand dafür eine Berzeliuslampe (Vorläufer des heute ge-bräuchlichen Bunsenbrenners), wofür sein Vater kein Verständnis aufbrachte. Immerhin war es nicht so, dass Adolf sich einseitig nur

66 Adolf Tobler, Professor für Schwachstromtechnik und Förderer der ZB

für Naturwissenschaft und Technik interessierte, denn in seinem Tagebuch notierte er auch den Todestag von Julius Caesar oder Aufführungen von Werken Shakespeares, die Choleraepidemie von 1867, ja sogar, dass er gelegentlich die Schule schwänzte. Aber deutlich wird, wofür er sich interessierte: es war die Schwach-strom-Elektrotechnik. Als er 1867 mit seinem Vater ans Meer in Oostende reiste, setzte er es durch, dass er auf der Heimreise in Köln eine grosse Läuteeinrichtung besuchen konnte, worauf er sogleich die schon bestehende Läuteeinrichtung zu Hause an der Winkelwiese verbesserte. Dieses hartnäckige Interesse liess den strengen Vater schliesslich widerwillig ins Studium der Physik, speziell der Elektrizität, einwilligen. Adolf schrieb sich 1869 am Polytechnikum ein (als Auditor, regulärer Student konnte er als Absolvent der Industrieschule nicht sein). 1871 zog er für drei Se-mester an die Universität Leipzig, als immatrikulierter Student; 1872—1875 studierte er an der Universität Zürich. Die Ausrüstung der Zürcher Hochschule genügte seinem unbändigen Wissensdurst keineswegs, weshalb er sich im Obergeschoss des väterlichen Hauses ein eigenes Laboratorium einrichtete. Er installierte einen Schmid’schen Wassermotor, der ähnlich wie eine Dampfmaschi-ne funktionierte, aber mit Wasser anstelle von Dampf. Ferner untersuchte er für seine Doktorarbeit den Wirkungsgrad der

Abbildung 1

Adolf Tobler, Bronze-relief (Durchmesser 60,8 cm), 1924 geschaffen von Bildhauer Hans Gisler (1889-1969) (ZBZ, Graphische Sammlung, Inv. 420)

Adolf Tobler, Professor für Schwachstromtechnik und Förderer der ZB67

Ladd’schen Dynamomaschine (Weiterentwicklung des Gleich-strommotors). 1875 promovierte ihn die Universität Zürich zum Dr. phil., und schon ein Jahr später habilitierte er sich an Universität und Polytechnikum als Privatdozent für angewandte Elektrizität. 1889 ernannte ihn die ETH zum Honorarprofessor und 1905 beförderte sie ihn zum ordentlichen Professor. Als akademischer Lehrer war er zunächst frei, seine For-schungen weiter zu treiben, zumal er nur wenige Vorlesungen hielt. Als ordentlicher Professor war er dann aber zusätzlich mit Prüfungen seiner Studenten beschäftigt. Offenbar hat er die da-mals neuen Vervielfältigungstechniken genutzt, um seinen Stu-denten die technischen Einzelheiten und Zusammenhänge ver-schiedenster Einrichtungen klar zu machen. 1920 ehrte ihn die Universität Zürich mit dem Ehrendoktor.

Familie Seine erste grosse Liebe war eine amerikanische Medizin-Studen-tin, weswegen er schon im Sommersemester 1870 gelegentlich medizinische Vorlesungen besuchte; sie entschwand aber seinem Gesichtskreis, als sie nach Abschluss ihrer Studien nach Amerika abreiste; nochmals schöpfte er Hoffnung, als er 1875 erfuhr, dass

Abbildung 2

Mina Tobler-Blumer (ZBZ, Graphische Sammlung, I.4)

68 Adolf Tobler, Professor für Schwachstromtechnik und Förderer der ZB

sie wieder nach Europa komme, aber das Schicksal schlug zu: Das von ihr gewählte Dampfschiff Schiller sank vor den Scilly-Inseln. Fünf Jahre später, 1880, heiratete er Mina Blumer, die aus einer Familie von Seidenindustriellen stammte —› Abbildung 2. Das Ehe-paar hatte drei Kinder: 1882 Helene, 1884 Alfred († 1890), 1891 Hans. Das persönliche Leben gestaltete sich offenbar manchmal schwierig. Der schon betagte Grossvater Emil ertrug die Kinder nicht, weshalb sie jeweils zusammen mit den Dienstboten zu Ti-sche sitzen mussten. Der Speisezettel wiederholte sich allwöchent-lich. Die Geldbezüge, die für die Führung des Haushaltes nötig waren, musste die Ehefrau am Bankschalter im Parterre des Wohn-hauses abholen, beim notorischen Geiz des Grossvaters wohl eine unangenehme Sache. Bis zum Tod der Schwiegereltern Blumer verfügte das Ehepaar über kein eigenes Vermögen. Als Emil im Mai 1890 starb, wurde Adolf zu einem der reichsten Männer in Zürich. Nun liess er das Haus an der Winkelwiese zu jener Villa umbauen, die heute als eines der schönsten Jugendstilbauwerke unter Denkmalschutz steht —› Abbildung 3, 4. In gut zürcherischer Tradition blieb das Haus aussen eher unscheinbar, aber im Innern wurde grösste Sorgfalt auf Qualität und Gediegenheit gelegt. Auch wenn er jetzt selber über seinen Reichtum verfügen konnte, führ-te er sein streng geregeltes Alltagsleben weiter. Täglich pflegte er einen zweistündigen Spaziergang zu absolvieren, manchmal mach-te er einen Veloausflug, auf Reisen war der Vormittag strikt seinen Studien gewidmet. Gelegentlich nahm er am gesellschaftlichen Leben teil, etwa bei den Schildnern zum Schneggen, in deren Ge-sellschaft er 1900 aufgenommen wurde. Es muss ihn schwer getroffen haben, als 1916 seine Gattin starb, denn die beiden pflegten die wichtigen Fragen gemeinsam zu entscheiden. Ihn selber ereilte wenige Jahre später das gleiche Schicksal. Er, der offenbar zeitlebens nie ernsthaft krank war, wurde Ende 1922 plötzlich von einem Leiden erfasst, das ihn zur Aufgabe seiner Lehrtätigkeit zwang. In seinem vielleicht letzten Brief schrieb er im Februar 1923: «In meinem Leiden konstatiert der Arzt eine langsame Besserung, so daß mir vielleicht ein ganz erträglicher Lebensabend beschieden ist. Ich fange an, wieder Intresse an nicht zu schwierigen, fachlichen Problemen u. auch an geschichtlicher Lectüre zu nehmen.» Am 3. Juli 1923 verstarb er.

Adolf Tobler, Professor für Schwachstromtechnik und Förderer der ZB69

VereineTobler wurde bereits 1869 Mitglied der 1825 gegründeten Technischen Gesellschaft. In diesem Kreis von Gleichgesinnten fühlte er sich offenbar wohl, fast jedes Jahr hielt er hier einen

Abbildung 3

Villa Tobler (Winkelwiese 4), Aussenansicht 1960 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)

Abbildung 4

Villa Tobler, Treppenhaus 2001 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)

70 Adolf Tobler, Professor für Schwachstromtechnik und Förderer der ZB

Vortrag, den ersten bereits 1870 über «die Telegraphie in ihrer Anwendung zu Eisenbahnsignalen». Von 1899 bis 1910 leitete er die Gesellschaft als Präsident. 1872 wurde er Mitglied der NGZH. Er verfasste einige Beiträge in der Rubrik «kulturhistorische Notizen» in den Vier-teljahrsschriften, und hielt gelegentlich Vorträge: 1885 über die Bestimmung von Kabelfehlern, 1887 über das elektrische Signal-system der Gotthardbahn (mit Demonstrationen), 1889 über den Betrieb langer submariner Kabel. 1886 ist in einem Sitzungspro-tokoll notiert, dass er einige Mitteilungen «aus dem Gebiet der Elektrotechnik» machte, und 1913 stellte er seine Arbeit «Über Funkentelegraphie» vor. Angesichts seiner übrigen Tätigkeit, beispielsweise bei der Technischen Gesellschaft, scheint er mit der Naturforschenden Gesellschaft nicht allzu stark verbunden gewesen zu sein, wie es Hermann Escher 1924 formulierte: Tobler widmete der NGZH «während der Jahre 1886 bis 1892 als Aktuar viel Zeit; aber die grössere Mitgliederzahl und die verschiedenar-tige Zusammensetzung vermochten ihn dort auf die Länge weni-ger zu fesseln» (Escher, 1924, S. 7).

Wohltätigkeit Das Ehepaar zeichnete sich durch eine fast unglaubliche Wohltä-tigkeit aus. Mina Tobler engagierte sich besonders für das Schwes-ternhaus zum Roten Kreuz, dem schon ihr Schwiegervater ein grosses Darlehen in Form einer Hypothek gewährt hatte. Als überzeugte Reformierte unterstützte sie, auch als Mitglied des Vorstands, den Frauenverein für zerstreute Protestanten, vermut-lich auch in Erinnerung an die Zeit, wo ihr Vater in Lyon in der Diaspora gelebt hatte. Der Anstalt Balgrist des «Schweizerischen Vereins für krüppelhafte Kinder» diente sie in vielfältiger Weise, nicht zuletzt als Präsidentin des Damenkomitees. Auch viele an-dere gemeinnützige Organisationen und Anstalten wurden unter-stützt, und zwar nicht nur im Gesundheitsbereich, sondern auch kulturell-gesellschaftlich: Kunsthaus, Theater, Tonhalle, und das Volkshaus. Auch das Schulwesen (Freie Schule, Freies Gymnasium, Evangelisches Lehrerseminar Unterstrass, ja sogar die Fachschu-le für Damenschneiderei) durfte immer wieder auf die Grosszü-gigkeit der Toblers zählen; der Witwen- und der Waisenkasse der ETH-Dozenten vermachte Tobler in seinem Testament den stolzen Betrag von 150 000 Franken. Er gehörte ferner während fast

Adolf Tobler, Professor für Schwachstromtechnik und Förderer der ZB71

dreissig Jahren der Kirchenpflege Grossmünster an; so finanzier-te er 1913 die Bestuhlung und Beheizung des Grossmünsters, und er sorgte mit ständigen Aufrundungen bei den Kollekten dafür, dass das Grossmünster in der Reihenfolge der Stadtgemeinden immer an der Spitze stand.

Elektrotechnik Es zeichneten sich zwei Schwerpunkte ab, die in seinem Schaffen immer wieder hervortraten. Zu nennen sind hier lange Kabelver-bindungen, beispielsweise Unterseekabel. Sie boten spezielle elektrische Probleme und erforderten eine ausgeklügelte Prüf-technik. Auf seinen ausgedehnten Reisen besuchte er dement-sprechend Abgangsstationen solcher Unterseekabel, etwa in Marseille. Noch intensiver beschäftigte er sich jedoch mit Telefon und Telegrafie, und damit verbunden mit Signal- und Sicher-heitstechnik, besonders bei Bahnunternehmen und beim Militär. Um die Techniken an Ort und Stelle studieren zu können, reiste er in ganz Europa herum, besuchte Bahnanlagen gewöhnlicher Bahngesellschaften wie auch speziell von Untergrundbahnen, Hafenfestungen und Hochseeschiffe ziviler und militärischer Art; seine Beziehungen und auch die diplomatischen Empfehlungen öffneten ihm alle Türen. Sein Wissen wandte er nicht nur an den Hochschulen an, sondern stellte es besonders auch der Schweizer Armee zur Verfügung, speziell beim Ausbau der Gotthardfestung, was aber wegen seines Alters und seines Dienstgrades zunächst einige Schwierigkeiten bereitete (er war in der Mitte der 1880er Jahre in die Landwehr versetzt worden, musste in den 1890er Jahren also wieder in den Auszug zurückversetzt werden, und zudem zum Hauptmann und später zum Major befördert werden, um ihm die nötige Stellung zu verschaffen). Er sorgte auch mit seinen Publikationen für weitere Verbreitung, er verfasste 115 grössere und kleinere Beiträge in renommierten Fachzeitschriften oder Handbüchern. Er war kein Pionier in dem Sinn, dass er Neues erfand, sondern er verfolgte eifrig die neuesten Entwicklungen und führ-te sie umgehend in die Praxis ein.

Zentralbibliothek Die Idee einer Zentralbibliothek kam um die Jahrhundertwende

72 Adolf Tobler, Professor für Schwachstromtechnik und Förderer der ZB

Literatur

Escher, H. 1924. Adolf Tobler, 1850—1923. Neujahrsblatt hrsg. von der Zentralbibliothek Zürich, Nr. 6.

Meyer, E. 1924. Adolf Tobler, 1850—1923. Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft 105:42—52.

Meyer, E. 1923. Adolf Tobler, 1850—1923. Vierteljahrsschrift der NGZH 68:581—590 (mit Bibliografie).

Hochschularchiv ETH, HS 560:30 (Brief Toblers an Rektor Walter Wyssling, 30. Nov. 1923)

Dank

Der Autor dankt den Nachkommen von Hans Gisler für die unent-geltliche Publikationsbewilligung des Bronzeporträts Adolf Tobler

nicht so recht vorwärts. Die Verhandlungen zwischen Stadt und Kanton Zürich waren schwierig und die Finanzen knapp. Da war Toblers Schenkung im Jahre 1902 geradezu hochwillkommen. Auch bei später auftretenden Schwierigkeiten war es immer wie-der Tobler, der zusammen mit seiner Gattin tatkräftig an Planung und Organisation mitwirkte. «Wenn am 28. Juni 1914, am Schick-salstage von Serajewo, die Zentralbibliothek mit der Annahme der kantonalen Abstimmungsvorlage noch glücklich unter Dach ge-langte, so ist das vornehmlich Tobler zu verdanken, der auch wei-terhin dem Institut werktätige Teilnahme schenkte und u. a. die beiden Statuen Konrad Geßners und Joh. Jak. Bodmers auf dem Vorbau stiftete» (Escher, S. 25). Die 250 000 Franken, die er testa-mentarisch der Zentralbibliothek vermachte, mussten als eigener Fonds verwaltet werden, dessen Zinsertrag für ausserordentliche betriebliche Ausgaben verwendet werden sollte.

XI

Froschsektion, oben auf dem Sezierbrett, unten als Skelett, aus: Albrecht von Haller und August Johannes Rösel von Rosenhof: Die natürliche Historie der Frösche hiesigen Landes, Nürnberg 1758, Tafel 7 (Signatur: NNN 27).

XII

Imperator-Kaiserfisch (Pomacanthus imperator), aus: Marcus Elieser Block: Naturgeschichte der ausländischen Fische, Berlin 1785, Teil 2, Tafel 194 (Signatur: NNN 84).

75 Die NGZH-Vertretung in der Bibliothekskommission und der St. Galler Globus Conradin A. Burga

Die NGZH-VertretungSeit der Übergabe der Bibliothek der Naturforschenden Gesell-schaft in Zürich (NGZH) an die 1917 eröffnete Zentralbibliothek Zürich (ZB) hatte stets ein Mitglied der NGZH mit beratender Stim-me Einsitz in die Bibliothekskommission der ZB. Diese Vertretung hatte Gültigkeit bis zum 21. November 2013. Damals wurde durch Mehrheitsbeschluss der ZB-Bibliothekskommission die Vertretung der NGZH mit dem Argument aufgehoben, wonach andere, we-sentlich wichtigere Donatoren der ZB in der Bibliothekskommis-sion nicht vertreten sind. Der seit 2004 aktive und somit letzte NGZH-Vertreter, Conradin A. Burga, darf aber weiterhin bis 2018 die NGZH ad personam in der Bibliothekskommission vertreten. Seit 1917 wirkten die nachfolgenden Mitglieder als NGZH-Vertre-ter in der Bibliothekskommission der Zentralbibliothek Zürich:

— 1917 bis 1940: Prof. Dr. Martin Rikli (Botanik). Er war 1916 für die Übergabe der Bibliothek der NGZH an die ZB verantwortlich.

— 1940 bis 1946: PD Dr. Hansjakob Schaeppi (Botanik)

— 1946 bis 1976: Prof. Dr. Johann Jakob Burckhardt (Mathematik)

— 1976 bis 1992 : Prof. Dr. Horst Dargel (Mathematik) — 1993 bis 2003: Prof. Dr. Dieter Späni (Mathematik) — 2004 bis 2013 (2018): Prof. Dr. Conradin A. Burga

(Geographie) Die Mathematiker haben während insgesamt 56 (!) Jahren die NGZH in der Bibliothekskommission vertreten; am längsten von allen wirkte während 30 Jahren Prof. J. J. Burckhardt. Am zweit-längsten vertraten die Botaniker während 29 Jahren die NGZH. Prof. M. Rikli war seit der Eröffnung der ZB als erster NGZH-Ver-treter während 23 Jahren in der Bibliothekskommission. Dank einigen sehr langen Amtszeiten gab es insgesamt nur sechs Ver-treter während nahezu einem Jahrhundert. Seit dem Gründungsjahr wurden bis Ende 2016 insgesamt 264 Sitzungen der Bibliothekskommission abgehalten. An den

76 Die NGZH-Vertretung in der Bibliothekskommission und der St. Galler Globus

Sitzungen, an welchen der letzte NGZH-Vertreter teilgenommen hatte, wurden organisatorische, strategische und vor allem bauli-che Fragen behandelt. Im Rahmen von Aus- und Umbauten und den erweiterten Dienstleistungen der ZB wurden u. a. für die Stu-dierenden mehr Arbeitsplätze geschaffen und die Öffnungszeit der Bibliothek ausgeweitet. Rund eine halbe Million Personen pro Jahr besucht die ZB. Ferner wurde der Ausstellungsraum im Trakt der Predigerkirche umgebaut sowie der Hermann-Escher-Saal, benannt nach dem ersten Direktor der ZB, im Eingangsbereich eingerichtet. Ernste bauliche Mängel früherer Erweiterungs- und Umbauten mussten auch bewältigt werden, wie z. B. das Eindrin-gen von Hang- bzw. Grundwasser in die unteren Etagen des Bücher-magazins. Die ZB ist wie alle anderen Bibliotheken und Museen der Welt mit dem «ewigen» Raumproblem konfrontiert. Mit rund 6 Millionen Objekten (Büchern, Zeitschriften, Handschriften, Mikroformen, Tonträgern etc.) ist die ZB eine der grössten Biblio-theken der Schweiz. Zudem steht ein breites Angebot an Daten-banken und elektronischen Volltexten zur Verfügung. Um das Raumproblem zu lösen, wurde entschieden, wenig verlangte Bücher und vor allem Zeitschriften in die neu gebaute Kooperati-ve Speicherbibliothek Schweiz in Büron bei Sursee (LU) auszulagern. Die ZB war die erste Bibliothek, welche seit Ende Januar 2016 Teil-bestände nach Büron auslagerte. Am 24. Juni 2016 fand die feier-liche offizielle Eröffnung des gigantischen Büchermagazins in Form eines voll automatisierten inertisierten Behälter-Hochregallagers statt. Mittlerweile lagern bereits über 2.5 Mio. Bände in diesem kooperativ von den Kantonen Basel, Luzern, Solothurn und Zürich erbauten und betriebenen Bücher-Aussenlager mit einer Kapazi-tät von 3.1 Mio. Bänden (modular ausbaubar bis auf 14 Mio.).

Der St. Galler GlobusIm Rahmen des Kulturgüterstreites zwischen St. Gallen und Zürich von 1996—2006 wurden von St. Galler Seite (Stiftsbibliothek) nach der 1720 teilweise erfolgten Rückerstattung der Kriegsbeute des Zweiten Villmerger Krieges von 1712 erneut Eigentumsansprüche auf Teile der noch in Zürich verbliebenen Objekte erhoben. Dies betraf auch den sog. St. Galler Erd- und Himmelsglobus, welcher als Kriegsbeute seit fast 300 Jahren als Eigentum der Stadtbiblio-thek (bzw. ZB) in Zürich aufbewahrt wird —› Abbildung 1. 1718 wurde dieser Globus in der sog. Kunstkammer der Stadtbibliothek in der

Die NGZH-Vertretung in der Bibliothekskommission und der St. Galler Globus 77

Wasserkirche aufgestellt, 1783 wurde das Beutestück in deren Erdgeschoss verschoben (Schmid, 2009). Die Umstellung geschah aus Anlass der Übernahme der Verantwortung durch die NGZH für alle in der Wasserkirche aufbewahrten Naturalien und Instru-mente (v. Escher und Siegfried, 1846, S.16, zit. in Kapitel 1). Seit 1897 steht der Globus als Depositum der Zürcher Stadtbibliothek im Schweizerischen Landesmuseum (Inv. Nr. DEP-846); neuerdings kann dieser an prominenter Stelle in der neu konzipierten Dauer-ausstellung bewundert werden. Der zwischen 1571 und 1595 mög-licherweise in Norddeutschland erstellte bzw. bemalte grosse Globus (Durchmesser ca. 121 cm, ca. 70 kg) wurde 1595 durch den St. Galler Fürstabt Bernhard Müller von Lucas Stöckli aus Konstanz erworben (Schmid, 2009, 2016). Vor ca. 10 Jahren wurde in einem Solothurner Brockenladen ein Pergamentbild, welches die

Abbildung 1

Original des St. Galler Globus im Schweizerischen Nationalmuseum Zürich.

Quelle: Foto Schweizer isches Nationalmuseum DIG-4866 (Inv. Nr. DEP-846).

78 Die NGZH-Vertretung in der Bibliothekskommission und der St. Galler Globus

Bemalung des St. Galler Globus zwischen 1571 und 1595 darstellt, entdeckt —› Abbildung 2. Diese Darstellung der wohl ursprünglichen Globus-Bemalung, durch die ZB 2015 erworben und 2016 in der Schatzkammer der Zentralbibliothek Zürich erstmals ausgestellt, gibt mögliche Hinweise zum Globus-Autor und zum Globus-Er-stellungsort (weitere Details vgl. Schmid 2016). Im Rahmen der Eini-gung im Kulturgüterstreit St. Gallen-Zürich wurde vereinbart, dass Zürich bis Ende 2007 auf eigene Kosten eine originalgetreue Replik des St. Galler Globus erstellt und diese der Stiftsbibliothek St. Gal-len schenkt (vgl. Projekt-Bericht von Rohrbach & Gnädinger 2009) —› Ab-

bildung 3. Um eine solche Replik zu erstellen musste der alte Globus

Abbildung 2

Abbildung des St. Galler Globus auf Pergament, Aquarell und Gouache (anonym) zwischen 1571 und 1595.

Quelle: Zentral-bibliothek Zürich, Kartensammlung, Signatur Wak R 25.

Die NGZH-Vertretung in der Bibliothekskommission und der St. Galler Globus 79

bewegt und demontiert werden, worauf der Schreibende als NG-ZH-Vertreter ein Gutachten zum Zustand dieses Globus’ durch einen Sachverständigen des weltweit einzigen Globenmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien beantragte. Die-ses Museum umfasst über 590 Objekte, so als Prunkstücke den ältesten in Österreich aufbewahrten Erdglobus von Gemma Fri-sius (um 1536) sowie je einen Erd- und Himmelsglobus von Gerard Mercator (1541 und 1551) und vom Venezianer Vincenzo Coronel-li (um 1693) (Mokre, 2005) —› Abbildungen 4—7. Die Bibliothekskommission erteilte also Herrn Mag. phil. Jan Mokre, Direktor der Kartensammlung und des Globen museums

Abbildung 3

Replik des St. Galler Globus in der Stiftsbibliothek St. Gallen.

Quelle: Stiftsbibliothek St. Gallen.

80 Die NGZH-Vertretung in der Bibliothekskommission und der St. Galler Globus

Abbildung 4

Das Globenmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek Wien im Palais Mollard.

Quelle: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.

Abbildung 5

Inneres des Globenmuseums.

Quelle: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.

Die NGZH-Vertretung in der Bibliothekskommission und der St. Galler Globus 81

Abbildung 6

Himmelsglobus von Gerard Mercator (Durchmesser 41 cm, Leuven/ Louvain, 1551).

Quelle: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.

Abbildung 7

Erdglobus von Vincenzo Coronelli (Durchmesser 15 cm, Venedig, um 1693).

Quelle: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien.

der Österreichischen Nationalbibliothek, den Auftrag zu einem Gutachten. Entsprechend dem Alter wurde der Zustand des Glo-bus generell als gut beurteilt; die Globuskugel ist mit einem Ge-wicht von ca. 70 kg ungewöhnlich schwer. Einzigartig ist die Kom-bination von Erd- und Himmelsglobus. Die Erddarstellung beruht auf der Weltkarte von Gerard Mercator von 1569, die Himmels-darstellung ist ähnlich den Himmelskarten Albrecht Dürers von 1515 (Mokre, 2006). 1961 wurde der Globus durch das Schweizerische Landesmuseum gründlich restauriert; bei der Faksimilierung wa-ren somit lediglich einige stabilisierende und konservierende Massnahmen angezeigt. Der Globus ist als Unikat kulturgeschicht-lich und wissenschaftlich von höchster Bedeutung und von un-schätzbarem Wert (Versicherungswert 15 Millionen Franken). Auf Grund der Vereinbarungen bei der Einigung im Kulturgüterstreit vom 27. April 2006 erstellte Zürich auf eigene Kosten für 861 000 Franken eine Replik des Globus und schenkte diese St. Gallen. Am 21. August 2009 fand die feierliche Übergabe dieser Replik an den Kanton St. Gallen und den Katholischen Konfessionsteil des Kan-tons St. Gallen statt. Vom 22. August bis 13. September 2009 wur-de die Replik im Musiksaal des Stiftsbezirks ausgestellt (Stifts-

bibliothek St. Gallen, 2009). Trotz schwerwiegender Bedenken seitens des Globus-Gutachters Jan Mokre und einiger Mitglieder der Bibliothekskommission wurde vorher der Original-Globus vom 2. Dezember 2006 bis 25. Februar 2007 in der St. Galler

82 Die NGZH-Vertretung in der Bibliothekskommission und der St. Galler Globus

Stifts bibliothek ausgestellt. Das Globus-Original kehrte dann un-beschädigt nach Zürich ins Landesmuseum zurück, wo es seitdem in der Dauerausstellung einen prominenten Platz einnimmt. An-lässlich der Einweihung des neuen Erweiterungsbaus des Schwei-zerischen Landesmuseums vom 1. August 2016 wurde die Sonder-ausstellung «Europa in der Renaissance» eröffnet, in welcher der St. Galler Globus einen integralen Bestandteil bildet.

Literatur

Mokre, J. ca. 2005: Das Globen-museum der Österreichischen Nationalbibliothek. Museumsführer, bibliophile Edition, 72 Seiten.

Mokre, J. 2006: Unveröffentlichtes Gutachten zum St. Galler Globus. 9 Seiten. Archiv der Zentralbiblio-thek Zürich.

Rohrbach M. & Gnädinger B. (Hrsg.) 2009: Der Zürcher Globus. Projekt Globus-Replik 2007—2009, Dokumentation. Staatsarchiv des Kantons Zürich, 243 Seiten.

Schmid J. 2009: Geschichte zum Zürcher Globus. 20—23. In: Rohrbach M. & Gnädinger B. (Hrsg.) 2009: Der Zürcher Globus. Projekt Globus-Replik 2007—2009, Dokumentation. Staats archiv des Kantons Zürich, 243 Seiten.

Schmid J. 2016: A previously unknown likeness of the St Gallen Globe. New speculations about its origin. Journal of the International Map Collectors’ Society. 144, 12—21.

Stiftsbibliothek St. Gallen 2009: Dokumentation zur Ausstellung der Globus-Replik vom 22. August bis 13. September 2009, 9 Seiten.

Vierteljahrsschrift der Naturfor-schenden Gesellschaft in Zürich, Drei- und Zehnjahresberichte der Zentralbibliothek Zürich 1917—2016.

Dank

Herrn dipl. Geogr. Jost Schmid, Leiter der Abteilung Karten und Panoramen der Zentralbibliothek Zürich, danke ich bestens für seine Hilfe bei der Beschaffung der Abbildungen zum St. Galler Globus sowie für die entsprechende Literatur.

Der Stiftsbibliothek St. Gallen danke ich für die Abbildung der Replik des St. Galler Globus.

Herr Mag. phil. Jan Mokre, Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums der Österreichi-schen Nationalbibliothek Wien, versorgte mich vor Ort mit nützlichen Informationen zum Globenmuseum und zum St. Galler Globus. Die Österreichische Nationalbibliothek Wien stellte in dankenswerter Weise die Abbildun-gen zum Globenmuseum kostenlos zur Verfügung.

XIII

Rotkardinal (Cardinalis cardinalis) oben und Scharlachtangare (Piranga olivacea), unten, je Männchen und Weibchen, aus: Alexander Wilson: American Ornithology, Vol. 1, Edinburgh 1832, Tafel nach S. 188 (Signatur: NNN 1012).

XIV

John Gould beschrieb die stark sexualdimorphe Huia (1907 ausgestorben) als zwei Arten: Neomorpha acutirostris für das Weibchen und N. crassirostris für das Männchen, aus: John Gould: A Synopsis of the Birds of Australia and the Adjacent Islands, Part I, London 1837 (Signatur: NNN 294).

85 Naturwissenschaften in der Zentralbibliothek ZürichBeat A. Wartmann

Gleich bei der Gründung 1916/1917 erhielt die Zentralbibliothek ein sehr wertvolles Geburtsgeschenk: die Bibliothek der Natur-forschenden Gesellschaft in Zürich (NGZH). Die insgesamt 26 000 Bände und 4 500 Broschüren zählende Bibliothek enthält einen repräsentativen Querschnitt an vorwiegend naturwissenschaftli-cher Literatur seit dem 16. Jahrhundert bis ins beginnende 20. Jahr-hundert. Nebst den zahlreichen Klassikern der Wissenschaftsge-schichte verdienen die verschiedenen prächtigen botanischen, erdwissenschaftlichen und zoologischen Tafelwerke besonders hervorgehoben zu werden. Die Zentralbibliothek (ZB) war in Zürich die Bibliothek der Wahl, weil die Bibliothek des gerade erst in ETH umbenannten Polytechnikums als eidgenössische Institution nie im Fokus der NGZH stand. Dieses wertvolle «Startkapital» wurde sehr geschätzt und auch nach allen Regeln der bibliothekarischen Zunft erschlossen und archiviert. Allerdings wurden viele Einträ-ge von NGZH-Büchern im Alphabetischen Zentralkatalog (AZK) nur handschriftlich auf alte Katalogzettel der Stadt- oder Kantons-bibliothek übertragen, wie etwa das Beispiel der Physica sacra —› Abbildung 1 zeigt.

Prekäre Stellung der Naturwissenschaften Ausgerüstet mit einem so wertvollen Geschenk hätte man eigent-lich davon ausgehen müssen, dass die Naturwissenschaften einen wichtigen Platz im Fächerkanon der ZB einnehmen sollten. Doch weit gefehlt: von den rund 20 Personen auf der Lohnliste war kein einziger in den Naturwissenschaften kundig. Immerhin kamen dank der Tauschbeziehungen der NGZH über Jahrzehnte mehrere Hundert naturwissenschaftliche Zeitschriften, welche in den Si-gnaturengruppen USN und XSN aufgestellt wurden, sowie auch etliche Monographien in die ZB. Die Zahl der Tauschpartner ging jedoch nach der «Wende» zurück, so hatte die NGZH 1980 548 Tauschpartner, 1990 noch 538, 2000 noch 516 und 2010 noch 498. In ihrer hundertjährigen Geschichte hat die ZB auch schwierige Phasen durchlaufen: In den Fünfzigerjahren betrug der Anschaffungskredit kaufkraftbereinigt noch 65 Prozent des Wertes von 1930 (!). 1947 arbeiteten zehn Akademiker im Betrieb, 1963 waren es nur noch fünf. Bei dieser finanziellen und

86 Naturwissenschaften in der ZB

personellen Unterdotierung der ZB erstaunt es nicht, dass in Zürich im Bereich der Naturwissenschaften neue Bibliotheken gegründet wurden, nämlich 1951 am Medizinhistorischen Institut und 1956 am Universitätsspital. So kam es, dass 1963 der ehemalige Direk-tor der Bibliothek der ETH die sanierungsbedürftige ZB übernahm und eine neue Ära einläutete. Endlich wurden Finanzen und Per-sonal massiv aufgestockt, Direktor Paul Scherrer, von Hause aus Germanist, führte das Fachreferentensystem ein und beschäftig-te am Ende seiner Amtszeit 1972 nicht weniger als 27 Akademiker. Zu Beginn der Amtszeit Scherrer wurden die Naturwissenschaften in «guter alter Tradition» noch von einem Theologen, Oberbib-liothekar VDM Georg Bührer, betreut. Dies änderte sich jedoch Mitte der Sechzigerjahre, als die ersten drei Naturwissenschaftler in der ZB angestellt wurden: 1965 Gertrud Deuel, Chemikerin, 1967 Marco Schnitter, promovierter Zoologe und Autor des Stein-bockartikels in «Grzimeks Tierleben», der auch als Archivar der NGZH amtete, und 1968 Paul Höfliger, promovierter Mathematiker und erster Leiter der Planungsabteilung. Nach dem unerwarteten Ableben von Gertrud Deuel übernahm Beat Wartmann 1980 ihre Fächer. Von den späten Sechzigerjahren bis heute wurden die naturwissenschaftlichen Fächer von insgesamt neun Personen betreut, von denen die meisten lange Jahre, ja teilweise Jahrzehn-te wirkten —› Tabelle 1.

Abbildung 1

Naturwissenschaften in der ZB87

Fachreferentensystem trägt FrüchteDiesen Fachreferenten standen für Anschaffungen nicht unerheb-liche Mittel zur Verfügung. In den letzten zwanzig Jahren gab die ZB für Monographienkäufe in den Naturwissenschaften 3,6 Mio. und in der Medizin 3,4 Mio. Sfr. aus. —› Tabelle 2 zeigt die Mittel-werte der Anschaffungskredite für vier Fünfjahresperioden sowie die prozentualen Anteile am Gesamtbudget.

Insgesamt wurden in den letzten fünf Jahren in den Naturwissen-schaften und der Medizin jährlich zwischen 5 000 und 5 800 Titel für die ZB angeschafft. Die einzelnen Disziplinen der Naturwis-senschaften und der Medizin tragen zu diesen Totalzahlen jedoch

Fachgebiete Fachreferenten

Mathematik Paul Höfliger 1968—1999, Peter Tschuck 2000—

Astronomie Paul Höfliger 1968—1989, Hans Lehmann 1990—1999, Peter Tschuck 2000—

Physik Paul Höfliger 1968—1989, Hans Lehmann 1990—1999, Peter Tschuck 2000—

Chemie Gertrud Deuel 1965—1979, Beat Wartmann 1980—1985, Hans Lehmann 1986—2013, Peter Tschuck 2014—

Geowissenschaften Marco Schnitter 1967—1984, Hans Peter Höhener 1985, Hans Lehmann 1986—1998, Felix Hangartner 1999—2016

Paläontologie Marco Schnitter 1967—1984, Beat Wartmann 1985—

Biologie Marco Schnitter 1967—1984, Beat Wartmann 1985—

Botanik Marco Schnitter 1967—1984, Beat Wartmann 1985—

Zoologie Marco Schnitter 1967—1984 (teilweise), Beat Wartmann 1980—

Medizin Gertrud Deuel 1965—1979, Marco Schnitter 1979—1984 (teilweise), Beat Wartmann 1980—1995, Hans Lehmann 1996—2013, Esther Baier 2014—

Landwirtschaft, Veterinärmedizin

Gertrud Deuel 1965—1979, Beat Wartmann 1980 —1991, Hans Lehmann 1992—1996, Beat Wartmann 1997—

Tabelle 1

Tabelle 2Periode Natur-wissenschaften

in Prozenten Medizin in Prozenten

1996—2000 211 901 7,8 152 750 5,7

2001—2005 220 227 6,6 189 525 5,7

2006—2010 159 274 4,8 195 136 5,9

2011—2015 130 261 4,6 138 537 4,9

88 Naturwissenschaften in der ZB

recht unterschiedlich bei. —› Tabelle 3 weist die Anzahl Neuanschaf-fungen je Disziplin gemäss Neuerwerbungslisten auf der Homepage der ZB (unter «Aktuell», jedoch jetzt nur ab 2016 sichtbar) aus und ist absteigend geordnet nach der Fünfjahres-Titelmenge.

Fachgebiet 2011 2012 2013 2014 2015 2011 —15

Klinische Medizin, Krankheiten 1866 1310 2069 1743 1601 8589

Medizin, Gesundheit 544 513 607 600 628 2892

Biologie 576 521 461 478 439 2475

Zoologie 458 477 428 427 338 2128

Pharmakologie, Therapie 378 346 362 420 449 1955

Mathematik 355 339 323 336 348 1701

Chemie 234 228 246 280 260 1248

Physik 267 266 225 244 223 1225

Astronomie 290 244 202 247 213 1196

Landwirtschaft, Veterinärmedizin 239 237 206 250 187 1119

Erdwissenschaften 258 180 169 186 159 952

Botanik 177 220 146 179 138 860

Naturwissenschaften allgemein 131 122 85 134 150 622

Paläontologie 58 43 49 47 39 236

Tabelle 3

Im Dezember 2013 hat die ZB ihr aktuell gültiges Buch-Erwer-bungsprofil veröffentlicht, welches auf der Homepage der ZB unter http://www.zb.uzh.ch/Medien/erwerbungsprofil_zb.pdf abgerufen werden kann. In diesem Dokument wurden die Erwer-bungsgrundsätze für die Naturwissenschaften und die Medizin wie folgt definiert (hier in leicht gekürzter Form): Die Zentralbib-liothek bietet eine möglichst ausgewogene Grundversorgung zu allen Teilgebieten der Naturwissenschaften. Werke zu Grundlagen und Geschichte werden bevorzugt gesammelt. Generell wird Li-teratur zu allen universitären Ausbildungsstufen erworben. In Auswahl wird auch Literatur zur Vorbereitung auf das Hochschul-studium und zur Didaktik erworben. Unterhaltungsliteratur und Biographisches wird ebenfalls in Auswahl gesammelt. Daneben

Naturwissenschaften in der ZB89

hat die organismische Biologie (Faunistik, Floristik) in der Zentral-bibliothek eine traditionell starke Stellung. Einzelne Spezialdiszi-plinen der Biologie haben in der Zentralbibliothek aufgrund his-torisch gewachsener Bestände gesamtschweizerische Bedeutung: Die historische Humangenetik ist in den Beständen der Julius Klaus-Stiftung umfassend dokumentiert. Die Ornithologie ist mit der Bibliothek der Ornithologischen Gesellschaft Zürich (OGZ) gut vertreten (Wartmann, 1989). Schwerpunkte dieser Spezialbib-liothek bilden Bestimmungsbücher, Verbreitungsatlanten, orni-thologische Reiseführer und Bildbände aus der ganzen Welt. Eine Auswahl von Umschlag-Abbildungen (Anhang) zeigt anschaulich die Breite des Angebots —› Abbildung 2—13. Die Zentralbibliothek Zürich hat im Fachgebiet Medizin einerseits die Verpflichtung, ergänzend zur Bibliothek Careum und der ETH-Bibliothek relevante Fachliteratur zur Verfügung zu stellen, andererseits aber auch als öffentliche Bibliothek jene Be-reiche der Medizin abzudecken, die von der HBZ und der ETH-Bi-bliothek weniger berücksichtigt werden. Dies betrifft vorwiegend die Bereiche der Naturheilkunde und Volksmedizin, der Alterna-tiven Medizin, der Pflanzenheilkunde, der Homöopathie und der Chinesischen Medizin sowie allgemeine Darstellungen zu allen Gebieten der Medizin auf Informationsstufe. Dabei ist jedoch eine strenge Auswahl erforderlich. Nicht aktiv angeschafft wird Rat-geberliteratur. Im Fachgebiet Medizin stellt die Zentralbibliothek ein repräsentatives Angebot an Lehrbüchern in den Sprachen Deutsch und Englisch zur Verfügung. Auch Bildatlanten, Hand-bücher, Nachschlagewerke und Übersetzungswörterbücher wer-den zu allen Gebieten der Medizin angeboten. Der Fachbereich Landwirtschaft, Veterinärmedizin ist in den Beständen der Zen-tralbibliothek Zürich unbedeutend. Nur im Bereich Naturschutz geht der Bestand tiefer und umfasst auch aktuelle Monographien zu Theorie und Praxis des Biotop- und Artenschutzes. Wie steht es denn um die Bedeutung der naturwissen-schaftlichen Bestände der ZB im Kontext anderer Zürcher Biblio-theken? Eine Auswertung der Neuanschaffungen (Bücher ohne Dissertationen) der ZB des Jahres 2015 in NEBIS, dem gemeinsamen Katalog aller Zürcher Hochschulbibliotheken, zeigt folgendes Bild: In der Biologie sind von 213 Titeln der ZB deren 52 auch in der ETH-Hauptbibliothek, 50 in der Grünen Bibliothek der ETH, 43 im Infozentrum Chemie, Biologie, Pharmazie und 42 in der

90 Naturwissenschaften in der ZB

Hauptbibliothek der Universität gedruckt oder online vorhanden. In der Botanik sind von 117 Neuzugängen 38 im Institut für Syste-matische Botanik, 25 in der Grünen Bibliothek und 11 in der Haupt-bibliothek vorhanden. In der Zoologie schliesslich sind von 332 Neuanschaffungen 34 in der Grünen Bibliothek, 25 in der Haupt-bibliothek sowie 16 im Infozentrum vorhanden. Eine Auswahl von Titeln, welche nur in der ZB verfügbar sind, zeigt auch für Laien verständliche Werke aus der ganzen Welt, also Titel für die Kun-dengruppe «Interessierte Bürger». Diese bedient die ZB in ihrem Auftrag als grösste Kantonsbibliothek der Schweiz. Die folgende —› Tabelle 4 zeigt einige solche Titel mit teilweise exotischen Er-scheinungsorten:

Titel Erscheinungsort

The curious Mister Catesby : a «truly ingenious» naturalist explores new worlds

Athens, Georgia

Naturführer Steirisches Vulkanland Auersbach, Österreich

Alberi secolari del Ticino Bellinzona

The butterflies (Lepidoptera, Papilionoidea) of Dzhungar, Tien Shan, Alai and Eastern Pamirs

Bishkek, Kirgisistan

Tuatara : biology and conservation of a venerable survivor

Christchurch, New Zealand

The American sea : a natural history of the Gulf of Mexico

College Station, Texas

The southwest : Australia’s biodiversity hotspot Crawley, Western Australia

Primates of Vietnam Cuc Phuong National Park, Vietnam

Himalayan edible medicinal plants : science and traditional wisdom

Dehra Dun, India

Life and times of a big river : an uncommon natural history of Alaska’s Upper Yukon

Fairbanks, Alaska

Esteros del Iberá : the great wetlands of Argentina Formosa, Argentinien

The vanishing herds : the wild water buffalo Guwahati, Assam, India

Antarktische Wildnis : Südgeorgien Hamburg

The self-sown orchids of Greece Iraklion, Greece

Orchids of tropical America : an introduction and guide Ithaca, New York

African wild dogs : on the front line Johannesburg, South Africa

The ultramafic flora of Sabah : an introduction to the plant diversity on ultramafic soils

Kota Kinabalu, Sabah, Malaysia

Tabelle 4

Naturwissenschaften in der ZB91

ZukunftMit der neuen Strategie 2020 hat die ZB beschlossen, im Bereich der Naturwissenschaften und der Medizin keine Anschaffungen mehr auf der Forschungsstufe zu tätigen. Dies wird v. a. Auswir-kungen auf die in den grossen Verlagshäusern erscheinenden

Titel Erscheinungsort

Flora of the Silk Road : an illustrated guide London

Mamíferos do Brasil Londrina, Paraná, Brasil

Arctic icons : how the town of Churchill learned to love its polar bears

Markham, Ontario, Kanada

Where song began : Australia’s birds and how they changed the world

Melbourne, Victoria, Australia

Livre rouge des plantes menacées aux Antilles françaises Mèze, Frankreich

Coastal fishes of New Zealand Nelson, New Zealand

Wild fire : the splendours of India’s animal kingdom New Delhi, India

Darwin’s pictures : views of evolutionary theory, 1837—1874

New Haven, Connecticut

Macrofungi of Kerala Peechi, Kerala, India

Memórias dos tempos da baleação em São Miguel, Açores

Ponte Delgada, Açores

Indian snakes : a field guide Pune, Maharashtra, India

À la découverte du Nord : … flore nordique du Québec et du Labrador

Québec, Canada

Flora of the caatingas of the São Francisco River : natural history and conservation

Rio de Janeiro, Brasilien

The Jane effect : celebrating Jane Goodall San Antonio, Texas

Les papillons diurnes des îles Comores Sofia, Bulgaria

La flore du parc naturel régional du Haut-Languedoc Turriers, Frankreich

Thüringens Orchideen Uhlstädt-Kirchhasel, Thüringen

Ghost stories for Darwin : the science of variation and the politics of diversity

Urbana, Illinois

Farfalle del Veneto : atlante distributivo Venedig, Italien

Fishes of the Pitcairn Islands : including local names and fishing methods

Visby, Schweden

Return of the phasmid : Australia’s rarest insect fights back from the brink of extinction

Windsor, Queensland, Australia

Yellowstone bison : conserving an American icon in modern society

Yellowstone National Park

92 Naturwissenschaften in der ZB

Monographien haben, hingegen wird die ZB weiterhin darauf bedacht sein, in der Faunistik und Floristik ihre bisherige Bestands-tiefe auf der Orientierungs- und Studienstufe weiterführen zu können. Bis jetzt war nur die Rede von gedruckten Büchern und Zeitschriften, neudeutsch «Print»-Titeln. Seit der Jahrtausend-wende haben sich die «Neuen Medien» ausgebreitet, die inzwi-schen auch nicht mehr so neu sind und jetzt eher «elektronische Medien» genannt werden. Darunter fallen sowohl körperliche Medien (neudeutsch «Offline»-Medien) wie Disketten (war ein-mal), CD-ROM (am Aussterben), DVD (derzeit gebräuchlich) und Blu-Ray Disc, aber auch die für wissenschaftliche Nutzung viel wichtigeren Online-Medien. Diese umfassen Datenbanken seit den späten Achtzigerjahren, elektronische Zeitschriften (neu-deutsch «e-journals») seit den frühen Nuller-Jahren und elektro-nische Bücher (neudeutsch «e-books») seit den späten Nuller- Jahren. Diese Online-Medien sind gerade für die Naturwissen-schaften und Medizin zu unverzichtbaren Quellen geworden, ja es gibt Ignoranten, welche behaupten, es brauche gar keine Bib-liotheken mehr, weil ja «sowieso alles gratis im Netz zu haben sei». Diesen ahnungslosen Zeitgenossen muss man entgegnen: leider reines Wunschdenken und weit von der Realität entfernt. Schon seit Jahren teilt die ZB die Kosten für die elektronische Ver-sorgung der Universität Zürich mit deren Hauptbibliothek. Zu-sammen geben wir jedes Jahr mehrere Millionen Sfr. aus mit steigender Tendenz. Die Zahl verfügbarer elektronischer Zeit-schriften-Titel hat innerhalb eines Jahrzehnts dramatisch zuge-nommen von wenigen Hundert im Jahr 2000 über 40 000 im Jahr 2008 auf mehr als 87 000 Anfang 2015. Obschon viele dieser Titel frei zugänglich sind (sogenannt «open access») sind gerade die für die Naturwissenschaften wichtigsten Titel extrem teuer ge-worden und müssen für jede Universität separat lizenziert werden. Auch die Zahl der elektronischen Bücher steigt exponentiell, An-fang 2015 waren an der Universität Zürich und der ZB im gleichen IP-Range gut 70 000 Titel zugänglich mit jährlichem Zuwachs von über 10 000 Titeln. Weil das hybride zur Verfügung stellen sowohl von gedruckter wie elektronischer Version des gleichen Titels immer weniger zu finanzieren ist, sind die Fachreferenten in ge-wissen Fachbereichen angehalten, sich entweder für Print oder für Online zu entscheiden.

Naturwissenschaften in der ZB93

Weil immer mehr auch die Meinung vorherrscht, dass alles, was nicht im Internet verfügbar ist, auch nicht mehr gefunden (und gebraucht) wird, hat die ZB seit einigen Jahren damit begonnen, ihre Altbestände zu digitalisieren, also online verfügbar zu machen. Auf der Plattform e-rara.ch, einem Projekt der Elektronischen Bibliothek Schweiz e-lib.ch, werden diverse thematische Kollek-tionen angeboten, darunter auch Bestände der NGZH. Unter dem Link http://www.e-rara.ch/nav/classification/5878739 sind derzeit über 1 900 alte und bedeutende Drucke aus der Bibliothek der NGZH aufgeschaltet. Darunter befinden sich 20 Titel von Robert Boyle, 19 von Carl von Linné, 11 von Conrad Gessner, je 9 von Aimé Bonpland, Alexander von Humboldt und Albert Mousson sowie je 7 von Johann Friedrich Gmelin, Oswald Heer und Heinrich Ru-dolf Schinz. So schliesst sich der Kreis: Das eingangs erwähnte wertvolle Geburtsgeschenk der NGZH wird noch wertvoller ge-macht, indem es digitalisiert im Netz der ganzen Welt gratis zur Verfügung gestellt wird.

Literatur

Wartmann, B. A. 1989. Katalog Ornithologie. Zentralbibliothek Zürich. 491 S.

http://www.zb.uzh.ch/Medien/erwerbungsprofil_zb.pdf

http://www.e-rara.ch/nav/classification/5878739

94 Naturwissenschaften in der ZB

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Naturwissenschaften in der ZB95

Abbildung 2—9

Das Sammelspektrum der Bibliothek der Ornithologischen Gesellschaft Zürich (OGZ) umfasst Monografien, Bestimmungsbücher, Birdwatching und Vogelfotografie

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96 Naturwissenschaften in der ZB

Abbildung 10—13

in weltweiter Abdeckung und in diversen Sprachen

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XV

Adulter Kaiseradler (Aquila heliaca), aus: Conrad Jacob Temminck: Nouveau recueil de planches coloriées d’oiseaux, Bd. 1, Paris 1838, Tafel 151 (Signatur: NNN 127).

XVI

Wendehals (eine Spechtart), Kleiber, Baumläufer und Mauerläufer (im UZS), aus: Hans Rudolf Schinz: Naturgeschichte der Vögel, Zürich 1853, 2. umgearbeitete und sehr vermehrte Aufl., Tafel 61 (Signatur: NNN 93).

99

Im Sommer 2007 kam der damalige Leiter der Spezialsammlungen der ETH-Bibliothek Zürich auf die Zentralbibliothek Zürich zu, ob man nicht ein gemeinsames Digitalisierungsprojekt für bibliothe-karische Sondersammlungen auf die Beine stellen und einem entsprechenden Aufruf des Bundes folgen wolle, der im Rahmen von e-lib.ch Anschubfinanzierungen für derartige Vorhaben in Aussicht stellte. Man einigte sich darauf, eine Eingabe zu formu-lieren. Als Inhalt wurden Schweizer Drucke bis zum Jahr 1600 vorgeschlagen. Als dem Ansinnen stattgegeben wurde, wurden zusammen mit den dazu gekommenen Partnerbibliotheken, der Universitätsbibliothek Basel, der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern und der Bibliothèque de Genève, verschiedene Arbeitsgrup-pen gegründet, die sich um die schweizweite Koordination, die technischen Standards und Metadaten-Fragen kümmerten. Im Laufe der Jahre mauserte sich die neu gegründete Plattform e-ra-ra zum berühmtesten bibliothekarischen Internet-Angebot der Schweiz, das auch im Ausland viel Zuspruch fand und rege genutzt wird. Mit der Zeit wurde der anfänglich eng gesetzte Rahmen (Schweizer Drucke bis 1600) ausgeweitet, so dass mittlerweile auch ausländische Bücher, die vor 1900 gedruckt worden sind und die sich in Schweizer Bibliotheken befinden, ebenfalls auf e-rara erscheinen. Der zeitliche Schnitt 1900 wurde aufgrund urheber-rechtlicher Fragen gewählt, weil die digitale Veröffentlichung von Werken, die vorher gedruckt worden sind, sicher keine entspre-chenden Ansprüche mehr verletzen können. In den vergangenen Jahren wurde das inhaltliche Angebot von e-rara zusätzlich dahingehend erweitert, dass nun auch gra-phische, kartographische und musikalische Materialien darauf eingesehen werden können. Für mittelalterliche Handschriften etablierte sich die Plattform e-codices, und für neuzeitliche Manu-skripte wurde vor wenigen Jahren auf Initiative der Zentralbibli-othek Zürich die Plattform e-manuscripta gegründet. Der Inhalt von e-rara mit 45 992 Titeln setzte sich Ende Juli 2016 so zusammen:

Die Digitalisierung der Bibliothek der NGZHUrs B. Leu

100 Die Digitalisierung der Bibliothek der NGZH

Mehr als 100 Titel entfielen auf folgende Sprachen:

Besondere Beachtung verdient, im Unterschied zur heutigen Sprachsituation im Wissenschaftsbetrieb, die überragende Bedeu-tung des Lateins und die relativ wenigen englischen Publikationen. Wer in der frühen Neuzeit Forschungsarbeit leisten will, der kommt um Lateinkenntnisse nicht herum. Umso unverständlicher ist es, wenn ausgerechnet an geisteswissenschaftlichen Fakultäten über die Abschaffung des Lateins diskutiert wird. Abgesehen von den etwas mehr als 500 Inkunabeln sind für jedes weitere Jahrhundert zwischen 8 500 und 13 500 Drucken aufgeschaltet worden:

Abbildung 1

Abbildung 2

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Illustriertes Material

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Musikdrucke

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17 260 der 45 992 Titel sind Helvetica und verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Jahrhunderte:

Die am besten vertretenen Druckorte sind Zürich (10 700 Titel), Basel (6 824), Genf (2 359), Paris (2 303), Bern (1 719) und Leipzig (1 292).

DigiTURDer zeit- und ortsunabhängige Zugriff auf zehntausende von Do-kumenten aus den Spezialsammlungen verschiedener Schweizer Bibliotheken erfreute sich schnell grossen Zuspruchs. Nun war es möglich, irgendwo auf der Erde zu irgendeiner Tageszeit den Laptop zu öffnen und gratis Zwingli zu lesen und in einem quali-tativ hohen Standard farbig auszudrucken. Es war klar, dass auch hier der Appetit mit dem Essen kommen und Begehrlichkeiten nach einer quantitativen Ausweitung laut würden. Da die Subven-tionierung von e-rara durch e-lib.ch auslief und gross angelegte

Abbildung 3

Abbildung 4

102 Die Digitalisierung der Bibliothek der NGZH

Digitalisierungs-Projekte nicht zum eigentlichen Aufgabenbereich der Zentralbibliothek Zürich gehören, suchte die Geschäftsleitung nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten, um die gestiegene Nach-frage seitens der Benutzer zu befriedigen. Schliesslich wurde ein Gesuch an den Lotteriefonds des Kantons Zürich gestellt, das die Digitalisierung von Beständen vorsah, die für die Geschichte von Stadt und Kanton Zürich wichtig sind, visuell ansprechen, urhe-berrechtlich unproblematisch sind und verschiedene Epochen abdecken. Folgende Einheiten wurden vorgeschlagen:

Alte Drucke und RaraZürcher Drucke des 17. Jhs. Flugschriftensammlung Waser (17. Jh.) Privatbibliothek Johann Jakob Bodmer Klosterbibliothek Rheinau Bibliothek der Naturforschenden Gesellschaftwichtige Zürcher Zeitungen und Zeitschriften

Graphik und FotografieAnsichten aus dem Kanton Zürich (17.—20. Jh.) Porträts von Zürcher Persönlichkeiten Zürcher Kunstschaffen des 17.—20. Jhs. Exlibris, Geschichtsblätter, Karikaturen, Trachten

HandschriftenPracht- und Gebrauchshandschriften aus Zürcher Beständen des Mittelalters und der frühen NeuzeitAutographen aus den Nachlässen herausragender Zürcher Persön-lichkeiten: Johann Jakob Scheuchzer, Salomon Gessner, Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger

Karten und PanoramenZürcher Karten des 16.—19. Jhs. Zürcher Panoramen des 18./19. Jhs.

MusikalienZürcher Musikdrucke des 16.—18. Jhs.

Das gesamte Digitalisierungsvorhaben umfasst rund 77 000 Seiten Handschriften, 7 900 000 Seiten Druckschriften, 115 000

Die Digitalisierung der Bibliothek der NGZH103

Seiten Musikalien, 106 000 graphische Blätter und Fotografien, 5 000 Karten und Panoramen und 1 000 000 Zeitungsseiten. Die Projektdauer sollte fünf Jahre nicht überschreiten, woraus sich ein zusätzlicher Personalbedarf von 12,5 Stellen ergab. Im November 2012 bewilligte der Kantonsrat auf Antrag des Regierungsrates 9 670 000 Franken für die Digitalisierung der genannten Dokumente (Projekt: DigiTUR = digitale Turicensia). Die Zentralbibliothek leistete dazu einen Beitrag von 1 411 963 Franken zuhanden der Präsentationsplattform und der Bereitstel-lung der Infrastruktur (Arbeitsplätze, Mobiliar, IT-Einrichtungen usw.), wozu beispielsweise auch der Bau eines neuen Büroraumes im Altbau der Zentralbibliothek gehörte. Innerhalb des Gesamtprojektes DigiTUR stellt die Digi-talisierung der Bibliothek der NGZH somit nur einen Teil des Vor-habens dar. Unter den alten Drucken ist es nach der Klosterbiblio-thek Rheinau aber immerhin der zweitgrösste Bestand. Bei der Bibliothek der NGZH handelt es sich nicht nur um eine der ältesten wissenschaftlichen Gesellschaftsbibliotheken Zürichs, was sie eindeutig zu einem wichtigen Turicense macht, sondern es geht hier auch um eine in bibliophiler wie wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht hochkarätige Sammlung, die der Allgemeinheit und der internationalen Forschergemeinschaft auf diese Weise zur Verfü-gung gestellt werden soll. Neben gesuchten und geradezu auser-lesenen Tafelwerken verfügt sie über viele wichtige Arbeiten zu allen Zweigen der Geschichte der Naturwissenschaften. Dabei enthält sie nicht nur interessante Hinweise zur Zürcher Rezepti-onsgeschichte, sondern verfügt auch über die einschlägigen Zürcher Arbeiten von Conrad Gessner, Johann Jakob Scheuchzer und Jo-hannes Gessner bis hin zu Oswald Heer und Albert Mousson. Der Arbeitsablauf (Workflow), bis ein Buch aus dem Ma-gazin auf e-rara einsehbar ist, gestaltet sich wie folgt:

1. Buch wird im Kulturgüterschutzmagazin geholt. Das Katalogisat (Metadaten) wird geprüft und

gegebenenfalls korrigiert.

2. Schäden werden mit verantwortbarem Auf-wand von der Bestandserhaltung repariert und das Buch für die Digitalisierung stabilisiert.

104 Die Digitalisierung der Bibliothek der NGZH

3. Das Buch wird im Digitalisierungszentrum eingescannt. Nach dem Scannen wird das Digitalisat auf seine Vollständigkeit geprüft.

4. Die TIFF-Dateien werden täglich auf einen Server der ETH hochgeladen. Am folgenden Tag werden die Daten auf die Plattform e-rara importiert und liegen dort für die Strukturie-rung bereit (nicht sichtbar für Publikum).

5. In der Abteilung Alte Drucke wird bei Titeln mit einem Umfang von mehr als 100 S. ein Struktur-baum hinterlegt, der das Blättern und kapitel-weise Springen erleichtert.

6. Es werden ein frei herunterladbares PDF und eine ZIP-Kapsel hergestellt. Letztere enthält die TIF- und die Strukturdaten in Form einer XML-Datei. Die ZIP-Kapsel wird auf einem Server der Zentralbibliothek Zürich archiviert.

7. Die für die Plattform notwendigen Derivate (PDF und JPG) werden an der ETH gesichert.

8. Das Werk wird auf der Plattform e-rara freige-schaltet und ist für die Öffentlichkeit einsehbar.

Bibliotheken und Digitalisierung: Versuch eines Ausblicks

Es ist im Moment sicher noch zu früh, um definitiv sagen zu kön-nen, wie sich die Medienlandschaft und die Beschaffung von Wissen für unsere Enkel und Urenkel gestalten werden. Jedoch zeichnet sich ab, dass nach einer internationalen Digitalisierungs-euphorie, die ganze Bibliotheken auf dem Internet sah und die physische Erhaltung von Büchern fast für überflüssig hielt, wieder Nüchternheit eingekehrt ist und man davon ausgeht, dass in Zu-kunft zwei Medien, nämlich gedruckte und digitale Information, den Wissenschaftsbetrieb prägen werden. Drei Gründe sprechen für ein Nebeneinander der beiden Medien:

Die Digitalisierung der Bibliothek der NGZH105

1. Die Langzeitarchivierung digitaler Daten über Jahr-zehnte oder gar Jahrhunderte ist zwar angedacht worden und verschiedene IT-Lösungen (z. B. Rosetta) sind bereits auf dem Markt, aber erlebt und entsprechende Erfahrungen gesammelt hat selbstverständlich noch niemand. Solange aber verbindliche Systeme zur digitalen Langzeitarchivierung fehlen, müssen die Originale (Bücher und Zeitschriften) erhalten bleiben, auch wenn sie neueren Datums sind. Die Aufbewahrung von Handschriften, alten Drucken usw. gilt im Rahmen des Kulturgüterschutzes und der Pflege des kulturellen Gedächtnisses als Selbstverständlichkeit. Auf das Original muss stets zurückgegriffen werden können, sei es aus Forschungsgründen oder sei es für den Ersatz defekter Di-gitalisate oder gar für die Bespielung neuer Medien, von denen wir im Moment noch keine Ahnung haben. 2. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die komplette Digitalisierung aller Druckerzeugnisse sowie die damit verbun-dene Pflege und Aufbewahrung der Digitalisate niemand bezahlen kann. Energie-, IT- und Personalkosten liegen weit höher als er-wartet. 3. Das tägliche Verhalten der Forschenden zeigt, dass selbst eingefleischte Naturwissenschaftler elektronische Publika-tionen ausdrucken, um sie dann auf Papier durchzuarbeiten und zu archivieren. Das gedruckte Medium erlaubt zudem eine viel schnellere Orientierung im Text als das am Bildschirm möglich ist. Zudem haben Studien gezeigt, dass die Aufnahme von Infor-mationen ab Papier zuverlässiger funktioniert als ab elektronischen Medien. So erkennt das menschliche Auge beispielsweise Tipp-fehler am Bildschirm weniger gut als auf einem Papierausdruck. Aus diesen und weiteren Gründen ist sich der Schreiben-de sicher, dass das Buch nicht sterben wird.

XVII

Blauracke (Coracias garrulus), aus: Johann Andreas Naumann: Naturgeschichte der Vögel Deutschlands, Zweiter Theil, Leipzig 1822, Tafel 60 (Signatur: NNN 752).

107 Autoren

Conradin A. Burga, Prof. em. Dr. Studium der Geographie (Universität Zürich) und der Botanik (Universität Basel), ehemals tätig am Geographischen Institut der Universität Zürich.1999—2013 Redaktor der Vierteljahrsschrift der NGZH. [email protected]

Urs B. Leu, Dr. phil. I Leiter Abteilung Alte Drucke und Rara der Zentralbibliothek Zürich, Dozent für Buchgeschichte und Verfasser zahlreicher Publikationen zur früh-neuzeitlichen Buch-, Kirchen- und Wissenschaftsgeschichte. [email protected]

Rolf Rutishauser, Prof. em. Dr. Ehemals Dozent am Institut für Systematische und Evolutionäre Botanik, Universität Zürich. [email protected]

Martin Spinnler Studium der Forstwirtschaft an der ETH Zürich. Seit 2011 Leiter der Bibliothek der Botanischen Institute der Universität Zürich (im Botanischen Garten Zürich). [email protected]

Heinzpeter Stucki, Dr. phil. I studierte Geschichte an der Universität Zürich, war wissenschaftlicher Mitarbei-ter am Staatsarchiv des Kantons Zürich und am Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte der Universität Zürich sowie Universitätsarchivar. Seit 2007 Archivar der NGZH. [email protected]

Martin Schwyzer, Prof. em. Dr. Ehemals Biochemiker am Virologischen Institut, Vetsuisse Fakultät, Universität Zürich, Präsident NGZH 2006—2008 und 2010—2016 [email protected]

Beat A. Wartmann, Dr. phil. II Chefbibliothekar Medienbearbeitung und Mitglied der Geschäftsleitung der Zentralbibliothek Zürich, Bibliothekar der Ornithologischen Gesellschaft Zürich und Vizepräsident von BirdLife Schweiz. [email protected].

XVIII

Grosser Eisvogel (Lymenitis populi), oben und Trauermantel (Nymphalis antiopa), unten, je Raupe, Puppe und Imago, aus: Eugenius Johann Christoph Esper: Die Schmetterlinge, Erlangen 1777, Tafel 12 (Signatur: NNN 361).

NaturforschendeGesellschaft in Zürichwww.ngzh.ch