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Briefe adeliger Frauen: Beziehungen und Bezugssysteme Ein Projektbericht 1 Von Doris Aichholzer 1. Anstoß und Vorarbeiten Das Interesse der Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter an Briefen adeliger Frauen reicht längere Zeit zurück. Es ergab sich aus der Arbeit am Vorgängerprojekt „Domina ac Mu- lier. Quellenstudien zur Geschichte der adeligen Frau in den Ländern der ehemaligen Habsbur- germonarchie (15. bis 18. Jahrhundert)"'. Im Rahmen dieses bereits abgeschlossenen Projektes wurden bisher noch unerschlossene und wenig bearbeitete Materialien zur Geschichte der ade- ligen Frau aus fünfundzwanzig Familien- und Herrschaftsarchiven erhoben. Es konnte ein überreiches Angebot an Archivmaterialien wie Briefen, Hochzeitsverträgen, Testamenten, Autobiographien und anderen Ego-Dokumenten verschiedenster Art wie Tagebüchern, Beicht- zetteln, Familienchroniken, Geburtenbüchern usw. erhoben werden. Weiters konnte ein um- fangreiches unpubliziertes Bildmaterial an Familien-, Frauen- und Kinderporträts gefunden und aufgenommen werden. Die Briefe wurden mittels Kopfregesten erschlossen und so fur eine weitere Bearbeitung vorbereitet. Der serielle Charakter der Quellengattungen Ehevertrag und Geburtenbücher machte diese besonders geeignet zur computergestützten Erarbeitung in Datenbankform. Diese Bearbeitung ist bereits abgeschlossen. 2. Ausgangspunkt Ausgangspunkt des Projektes sind Briefe aus 19 Archiven adeliger Familien 2 . Die Gattung der Briefe 3 erfordert ein anderes Vorgehen als jene der Eheverträge und Geburtenbücher. In ' Das Projekt Ρ 11343-HIS wird vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziert und von Beatrix Basti und Gernot H e i ß geleitet. Als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fungieren Sigrid Freisleben, Alexander Sρer 1 sowie die Verfasserin. Das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierte Projekt Ρ 8598-HIS lief von 1992 bis 1996. Bis 1994 leitete Gernot Heiß das Projekt, ab Mai d. J. war die Projekdeitung zwi- schen Beatrix Basti und Gernot Heiß geteilt. Die Verfasserin fungierte als Mitarbeiterin. 2 Es handelt sich um folgende Archive. AVA Familienarchiv Trauttmansdorff, FA Harrach; Stmk. LA· FA Herberstein, FA Saurau, FA Lamberg, FA Stubenberg; NÖLA: HA Ottenstein, HA Stetteldorf, OÖLA FA Starhemberg (Bestand Riedegg), FA Weinberg, Schlfisselberger Archiv (Sammlung Hohen- eck); HHSTA HA Rosenau, HA Erdödy, FA Palfly, FA Khevenhüller, FA Grafenegg, FA Oaky, HA Sachsengang; Archiv Hoyos (Schloß Horn); HA Steyerberg: FA Wurmbrand. 3 Siehe auch: Irmtraut Schmid, Was ist ein Brief? Zur Begriffsbestimmung des Terminus „Brief" als Bezeichnung einer quellenkundlichen Gattung, in: Editio. Internationales Jahrbuch für Editionswis- senschaft 2 (1988) 1-17. Dies., Briefe, in: Die archivalischen Quellen. Eine Einfuhrung in ihre Benut- MIÖG 105 (1997) Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/22/14 4:06 AM

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Briefe adeliger Frauen: Beziehungen und Bezugssysteme

Ein Projektbericht1

Von Doris Aichholzer

1. Anstoß und Vorarbeiten

Das Interesse der Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter an Briefen adeliger Frauen reicht längere Zeit zurück. Es ergab sich aus der Arbeit am Vorgängerprojekt „Domina ac Mu-lier. Quellenstudien zur Geschichte der adeligen Frau in den Ländern der ehemaligen Habsbur-germonarchie (15. bis 18. Jahrhundert)"'. Im Rahmen dieses bereits abgeschlossenen Projektes wurden bisher noch unerschlossene und wenig bearbeitete Materialien zur Geschichte der ade-ligen Frau aus fünfundzwanzig Familien- und Herrschaftsarchiven erhoben. Es konnte ein überreiches Angebot an Archivmaterialien wie Briefen, Hochzeitsverträgen, Testamenten, Autobiographien und anderen Ego-Dokumenten verschiedenster Art wie Tagebüchern, Beicht-zetteln, Familienchroniken, Geburtenbüchern usw. erhoben werden. Weiters konnte ein um-fangreiches unpubliziertes Bildmaterial an Familien-, Frauen- und Kinderporträts gefunden und aufgenommen werden. Die Briefe wurden mittels Kopfregesten erschlossen und so fur eine weitere Bearbeitung vorbereitet. Der serielle Charakter der Quellengattungen Ehevertrag und Geburtenbücher machte diese besonders geeignet zur computergestützten Erarbeitung in Datenbankform. Diese Bearbeitung ist bereits abgeschlossen.

2. Ausgangspunkt

Ausgangspunkt des Projektes sind Briefe aus 19 Archiven adeliger Familien2. Die Gattung der Briefe3 erfordert ein anderes Vorgehen als jene der Eheverträge und Geburtenbücher. In

' Das Projekt Ρ 11343-HIS wird vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziert und von Beatrix B a s t i und Gernot H e i ß geleitet. Als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fungieren Sigrid F r e i s l e b e n , Alexander S ρ e r 1 sowie die Verfasserin.

Das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierte Projekt Ρ 8598-HIS lief von 1992 bis 1996. Bis 1994 leitete Gernot Heiß das Projekt, ab Mai d. J. war die Projekdeitung zwi-schen Beatrix Basti und Gernot Heiß geteilt. Die Verfasserin fungierte als Mitarbeiterin.

2 Es handelt sich um folgende Archive. AVA Familienarchiv Trauttmansdorff, FA Harrach; Stmk. LA· FA Herberstein, FA Saurau, FA Lamberg, FA Stubenberg; NÖLA: HA Ottenstein, HA Stetteldorf, OÖLA FA Starhemberg (Bestand Riedegg), FA Weinberg, Schlfisselberger Archiv (Sammlung Hohen-eck); HHSTA HA Rosenau, HA Erdödy, FA Palfly, FA Khevenhüller, FA Grafenegg, FA Oaky, HA Sachsengang; Archiv Hoyos (Schloß Horn); HA Steyerberg: FA Wurmbrand.

3 Siehe auch: Irmtraut S c h m i d , Was ist ein Brief? Zur Begriffsbestimmung des Terminus „Brief" als Bezeichnung einer quellenkundlichen Gattung, in: Editio. Internationales Jahrbuch für Editionswis-senschaft 2 (1988) 1-17. D i e s . , Briefe, in: Die archivalischen Quellen. Eine Einfuhrung in ihre Benut-

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Briefen ist gerade das subjektive Element vorherrschend, welches das Eingehen auf jeden ein-zelnen Brief erfordert. Daneben haben Briefe rhetorische, stilistische und formale Gemeinsam-keiten und enthalten eine Fülle von Hinweisen auf gruppenspezifische Werthaltungen und Vorstellungen, die sie zu einer idealen Quelle für mentalitätengeschichtliche Fragestellungen machen. Der Widerspruch zwischen Individualität und Gruppenverhalten ist nur ein schein-barer - denn Individualität schließt soziale Prägung nicht aus.

Die Ausweitung kann daher weder rein seriell sein noch jedes Briefdetail akribisch festhal-ten. Es mußte eine Vorgangsweise gewählt werden, die dieser „Janusköpfigkeit" der Briefe Rechnung trägt. Vor der Präsentation der dafür gewählten Methode sei jedoch auf die Fragen eingegangen, die an das Briefmaterial gestellt werden.

3. Aufgabenstellung

Die Briefe sollen formal und inhaldich analysiert werden. Zuerst stellt sich die Frage, in welcher Sprache Frauen bzw. Männer des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts (dem Zeit-raum, aus dem die im Projekt gesammelten Briefe stammen) ihre Briefe verfassen. Schreibt man Deutsch, Französisch, Lateinisch, Spanisch oder Italienisch? Oder verwendet man einen Mischstil? Läßt die Verwendung einer bestimmten Sprache Rückschlüsse auf Bildung, Mode-strömungen, Streben nach Selbstrepräsentation und Identitätsfindung zu4?

Neben der Sprache ist auch die Art des Briefes von Interesse. Nach Nickisch5 kann man drei Arten von Briefen unterscheiden: sachorientierte (darstellende, informierende), selbstorien-tierte (manifestierende, ausdrückende, bekennende) und partner-orientierte (appellierende, mahnende, bittende). Nun ist zu (ragen, ob Frauen eine andere Briefart bevorzugen als Männer oder ob das Vorherrschen einer Briefen im Briefwesen einer Zeit ausschließlich signifikant für einzelne Phasen oder Epochen der Briefgeschichte ist. Weiters ist interessant, welche Briefthe-men vorherrschen.

Formeln sind sowohl zur synchronen als auch zur diachronen Analyse von Briefen sehr ge-eignet, da sie einerseits fast in jedem Brief vorhanden sind, sich andererseits aber im Laufe der Zeit stark verändern. Im allgemeinen ist jeder Brief nach dem aus der klassischen Rhetorik stammenden Dispositionsschema aufgebaut, das salutatio, exordium, narratio, petitio und con-clusio umfaßt. Diese konventionalisierten Formen der Textbegrenzung sind metakommunika-tive Elemente, aus denen man die Beziehung der Kommunizierenden zueinander ablesen kann. Man kann beispielsweise aus dem Gruß und der Anrede die soziale Stellung von Briefschreiber und -empfanger ablesen. Die Bandbreite reicht dabei von Ihro gnaden hoch und wohlgebohmer graff aller gnadigster herr Vatter (Anrede, die Sophia Maximiiiana Hodik für ihren Vater Adam

zung. Herausg. v. Friedrich Beck und Eckart Henn ing (Weimar 1994) 99-107. Peter Bürgel, Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells, in: DVjS 50 (1976) 281-297.

4 Vgl. dazu Peter Burke, Reden und Schweigen, Zur Geschichte sprachlicher Identität (Berlin 1994). Aleida und Jan Assman n, Schrift und Gedächtnis, in: Dies, und ChristofHardmeier (Her-ausg.), Schrift und Gedächtnis, Archäologie der literatischen Kommunikation I (München 1993) 265-284. Utz Maas, La politica linguistics dell'istruzione elementare. Riforma e Controriforma nella Ger-mania del Nord, in: Lingua tradizione rivelazione. Le chiese e la communicazione sociale (Casale Mon-ferrato 1989) 61—89. Ders., Judith Mc Alls ter und Monika Scha idhammer- Placke, Überle-gungen zur graphischen Analyse am Beispiel frühneuzeidicher Texte, in: Driemaandelijkse Bladen 41 / 103 (1989) 146-186. Ders., Die sprachlichen Verhältnisse in Osnabrück zu Beginn des 17. Jahrhun-derts. Zu den methodischen Problemen der historischen Sprachsoziologie, in: Chloe. Beihefte zum Daphnis 8 (1990) 93-123.

5 Reinhard M. G. Nickisch, Brief (Sammlung Metzler 260) (Stuttgart 1991).

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Matthias von Trauttmansdorff gebraucht) bis zu Aller liebster schaz (Anrede, die Johanna The-resia von Harrach für ihren Mann Ferdinand Bonaventura von Harrach gebraucht). Ein weite-rer Indikator fur die soziale Stellung der Briefpartner ist der Schriftspiegel. Je rangniedriger der Absender ist, umso tiefer wird der Schriftspiegel angesetzt. Folgende Fragen sind zu stellen: Wie genau wird das Briefschema eingehalten? Welche der vielen vorhandenen Formeln werden ver-wendet? Wie verändern sich die formelhaften Briefteile im Laufe der Zeit? Gibt es einheitliche Tendenzen? Wie konservativ bzw. modeanfällig sind die adeligen Briefschreiberinnen und Briefschreiber? Schreiben Frauen weniger formelhaft als Männer oder halten sie die Anweisun-gen der jeweiligen Briefsteller genauer ein? Wer grüßt wen wie und warum?

Weiters sollen der Personal- und der Zeitstil hinterfragt werden. Zunächst wird die Stillage bestimmt. Ist sie schlicht, mittel, großartig, pathetisch-erhaben, pretiös, zierlich, servil, unmit-telbar, spontan, ironisch, galant oder originell? Ändert sich der Stil, je nachdem, wem geschrie-ben wird? Welcher Stil ist prägend? Der des Hofes? Der der Kanzleien? Der berühmter zeitge-nössischer Briefschreiber? Welche Stilveränderungen treten im Laufe der Zeit auf? Gibt es Un-terschiede im Stil von Frauen und Männern, so daß man von einem spezifisch „weiblichen" bzw. „männlichen" Briefstil sprechen kann?

Neben diesen Fragen an den Brief soll auch die Rolle der Briefschreiberinnen und ihr Klientelsystem hinterfragt werden. Frauen aus adeligen und sogar hochadeligen Häusern wur-den in der Regel nur als Ehefrauen und Mütter erwähnt, weshalb ihre politischen Handlungs-räume nur begrenzt erkennbar sind. Denn neben den genannten Rollen konnten Frauen auch als Ledige einem Stift oder Kloster vorstehen oder als Witwe ihr Wittum selbständig verwalten. Wenn sie die Vormundschaft über unmündige Söhne besaßen, übten sie oft jahrelang die Re-gentschaft aus, was häufig nicht erkennbar ist, weil die Zeit ihrer Regentschaft manchmal in der Regierungszeit des Sohnes subsumiert wird. Für das politische Handeln von Frauen ist offen-sichtlich ihre Position in der Ehe oder die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht (im Sinne von Generationenverband) oder zu einer Dynasrie ausschlaggebend6. Ausgehend von dieser These wird politisches Handeln adeliger Frauen in den Ländern der ehemaligen Habsburgermonar-chie in Erweiterung von Paul Münchs „Die Obrigkeit im Vaterstand" als die „Obrigkeit im Mutterstand" untersucht7. Die Forschungen von Gernot Heiß8 und Beatrix Basd9 haben ge-zeigt, daß nicht allein nach der Individualisierung der institutionalisierten Geschlechterbezie-hungen zu fragen ist, sondern ebenso nach bislang kaum beachteten Formen von „Vertrautheit" im Kontext von Familie — Verwandtschaft - Kollegialität und Freundeskreisen10. Dieses Kon-zept soll hier fur die Analyse politischen Handelns weiter entwickelt werden, indem die durch die Konfessionszugehörigkeit, Religiosität, Verheiratung und Patenschaftsrahmen geknüpften personalen Netze einbezogen und die Handlungsräume innerhalb und außerhalb des „Hauses" aufgezeigt werden. Heide Wunder glaubt, daß die „moderne", ab dem 19. Jahrhundert mögli-

6 Karl-Heinz S p i e ß geht in seinem Werk: Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters, 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts (Vierteljahrschrift fur Sozial- und Wirtschafts-geschichte, Beihefte 111) (Stuttgart 1993) ebenfalls davon aus, daß „im Herrschaftssystem des Spätmit-telalters fast jeder Maßnahme im familialen Bereich gleichzeitig ein politischer Charakter zukommt".

7 Paul M ü n c h , Die „Obrigkeit im Vaterstand" - Zu Definition und Kritik des „Landesvaters" während der Frühen Neuzeit, in: Daphnis 11 (1982) H. 1-2, 15-40.

8 Gernot He iß , Standeserziehung und Schulunterricht. Zur Bildung des niederösterreichischen Adeligen in der Frühen Neuzeit, in: Adel im Wandel. Politik, Kultur, Konfession 1500-1700 (Rosenburg 1990) 391-427.

9 Beatrix B a s t i , „Adeliger Lebenslauf. Die Riten um Leben und Sterben in der Frühen Neuzeit, in: ebd. 377-390.

10 Christiane K l a p i s c h - Z u b e r , L'invention du passl familial, in: La maison et le nom. Strategie et rituels dans l'Italie de la Renaissance (Paris 1990) 19-35.

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che Unterscheidung zwischen „privat" und „öffendich" in der Frühen Neuzeit zu Fehlinterpre-tationen fuhrt". Bei der Analyse der politischen Entscheidungsprozesse in der Frühen Neuzeit muß vielmehr ein Verständnis von Politik zugrunde gelegt werden, das um die Berechtigung zu öffendichem, verbindlichem Handeln von Frauen als Ehe- und Hausfrauen, die für die „gute Ordnung" zuständig waren, erweiten ist12. Diese Zuständigkeit war rechtlich in den Kompe-tenzen des Hauselternpaares festgeschrieben und beruhte auf der Rolle von Ehemann und Ehe-frau in den selbständigen bäuerlichen, handwerklichen und kaufmännischen Haushalten13. Heinz Reif4 stellte fest, daß „die organisatorische Solidarität der Eheleute sich daraus ergab, daß sie innerhalb der Grundherrschaft, des Hauses und der Familie vor Aufgaben standen, die sie nur gemeinsam lösen konnten". Dieser Problematik ist aufgrund der für das Projekt ge-machten Erhebungen nachzugehen.

4. Vorgangsweise

Die oben gestellten Fragen sollen mit Hilfe eines Rasters beantwortbar gemacht werden, das sowohl allen Briefen gemeinsame Merkmale verzeichnet als auch eine Themenliste enthält, die den jeweiligen Briefinhalt erfaßt. Im Detail sieht das nun so aus, daß es Einträge im Raster gibt, die jedes Briefkonvolut (darunter sind Briefe einer Person an eine oder mehrere andere Personen zu verstehen) erfassen, und solche, die speziell auf den Einzelbrief zugeschnitten sind. Fragen an das Briefkonvolut sind: Wer schreibt an wen? In welchem (Verwandtschafts-)Verhält-nis stehen die Briefpartner? Aus welcher Quelle stammen die Briefe? An den Einzelbrief werden viele verschiedenartige Fragen gestellt. Zunächst geht es um das Datum, den Ort, die Frage, ob es sich um einen Gegenbrief oder Erstbrief handelt und darum, ob der Brief selbst geschrieben wurde oder ob ihn ein Schreiber verfaßt hat. Der nächste Punkt betrifft die Sprache. In welcher Sprache wurde der Brief verfaßt? Gibt es einen Mischstil aus verschiedenen Sprachen? Sind fremdsprachige oder mundartliche Einsprengsel vorhanden? In weiterer Folge geht es um die Formeln. Welche Formeln werden verwendet? Wie wird gegrüßt? Wie wird der Brief abge-schlossen? Weiters geht es um den Stil und um die Art des Briefes wie bereits oben ausgeführt. Es werden auch Einsprengsel in Briefen wie ζ. B. Gedichte, Lieder und Zitate sowie Beilagen vermerkt. Wichtig für die Feststellung von personalen Netzen ist die Frage, welche Personen bzw. Namen in Briefen erwähnt werden. Um die sehr verschiedenartigen Briefe überhaupt ver-gleichen zu können, wurden Themen ausgearbeitet, die die Briefinhalte weitgehend abdecken sollen15. Natürlich sind nicht in jedem Brief alle genannten Aspekte vorhanden. Dieses Raster soll nur helfen, nach Themen in Briefen zu suchen. Will man beispielsweise das Verhältnis zwi-

'' Siehe dazu Heide Wu η d e r, Einleitung, in: Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. Herausg. v. Heide W u n d e r und Christina Va η j a (Frankfurt/Main 1991) 7-11.

12 Vgl. die Kritik am Konzept Otto Brunners bei Claudia Opitz , Neue Wege der Sozialgeschichte? Ein kritischer Blick auf Otto Brunners Konzept des „ganzen Hauses", in: Geschichte und Gesellschaft 20 (1994) 88-98; Valentin Groebner , Außer Haus. Otto Brunner und die „alteuropäische Ökonomik", in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 46 (1995) H. 2, 69-80.

13 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland 1 (München 1988) 338-342. 14 Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite (Kriti-

sche Studien zur Geschichtswissenschaft) (Göttingen 1979) 105. " Es handelt sich um folgende Aspekte: Verhältnis Ehemann/Ehefrau, Verhältnis Eltern/Kind, Ver-

hältnis Großeltern/Kind, Verhältnis der Geschwister, Familie/Verwandtschaft, Freunde, Erziehung, Bildung, Stand, Hof, Politisches, Wirtschaftliches, Haushaltsführung, Liebe, Feste, Glückwünsche, Not-zeiten, Einladungen, Besuche, Eheschließungen, Sexualität/Keuschheit, Schwangerschaft, Gebun(en), Kinder, Neuigkeiten/Tratsch, Reisen, Religion/Religiosität, Krankheit, Kuren/Badereisen, Erbschaft, Testament, Sterben, Tod, Totengedenken, Gesuche/Bitten, Humor, Geschenke/Aufmerksamkeiten und Wetter. Diese Themenliste ist beim Auftauchen neuer Aspekte jederzeit ausweitbar.

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sehen Eltern und Kindern näher beleuchten, so kann dies schnell aus allen Briefen, in denen es thematisiert wird, herausgefunden werden.

5. Intention des Projektes

Intention der Briefaufarbeitung und damit des Projektes ist die Analyse der Beziehungen und Bezugssysteme der adeligen Frauen als Gruppe auf einer möglichst breiten Quellenbasis.

Damit soll eine Forschungslücke geschlossen werden, denn für den Adel innerhalb der habsburgischen Erblande existieren überhaupt nur punktuelle Auswertungen16. Dabei sollen die adeligen Frauen, deren Familienverband und Herkunft, Religiosität und Heiratskreise, so-ziale Vernetzung und Bildungshintergrund sowie die Bedeutung emotionaler Beziehungen er-faßt werden, so daß man auf sehr vielen Ebenen Aussagen über das Funktionieren der weibli-chen Kommunikation ermöglichen kann. Briefe werden überwiegend als der Ort von Frauen angesehen, der ihr gesellschaftliches Umfeld offenlegt.

Die bisherigen Modelle des Funktionierens der adeligen Gesellschaft (ζ. B. Norbert Elias) sollen dabei mit den vorhandenen biographischen Einzeluntersuchungen und Familienge-schichten verbunden werden. Analytische Verfahren, die sozialwissenschaftlich definierte ge-schlechtergeschichdiche Kategoriensysteme mit einbeziehen, werden auf die Quellen angewen-det.

Mit der Erschließung dieses Quellenmaterials soll die Basis geschaffen werden für eine dif-ferenziertere Beurteilung und Neubeurteilung der historischen Rolle der adeligen Frau inner-halb des Wandels vom Mittelalter bis zum vorrevolutionären 18. Jahrhundert. Auf dieser brei-ten Grundlage könnte es möglich sein zu klären, ob und in welchen genau definierbaren Berei-chen die Aristokratin politische (öffentliche) Macht besaß bzw. davon ausgeschlossen war, wo sie nur in Abhängigkeit von Mann (Vater, Ehemann, Sohn) agieren konnte und inwiefern sie auch außerhalb des „Hauses" (in seiner weiten Bedeutung nach Otto Brunner) Möglichkeiten hatte, ökonomisch und politisch eigenständig zu handeln.

6 . Exempel fiir die Auswertung

Um ganz konkret zu zeigen, wie die Auswertung von Briefen vor sich geht, bringe ich nun Beispiele aus zwei Briefwechseln, die zeigen sollen, wie vielfaltig die Briefthemen und damit auch die Briefschreiberinnen sind.

Zunächst zu den Briefen der Johanna Theresia von Harrach geb. Lamberg17 (1639-1716) an ihren Mann Ferdinand Bonaventura I. von Harrach (1636-1706) . Diese Briefe sind deshalb so interessant, weil sie einen unheimlichen Themenreichtum aufweisen. Neben der oftmaligen Erwähnung von Heiratsplänen: der Hernstein, sagt man, wirdt die von Losenstein heiradtenl8,

" Beatrix Bas t i , „Wan ich nur bei dier sein mecht / würden mier alle beschwerden leichter". Zur Bedeutung von Ehe und Liebe innerhalb des österreichischen Adels in der Frühen Neuzeit, in: Wolfen-bütder Barocknachrichten 1 (1995) 9-15 (ausführliche Fassung in „Unsere Heimat". Blätter fiir Landes-geschichte von Niederösterreich 66/1 [1995] 4-14.); D i e s . , Mezi moci a bezmoci, in: Dejiny a Soucas-nost 3 (1994) 24ff.; D i e s . , Örökles hizassig, gyermek. A. 16. & 17. sz&dadbeli Habsburg Birodalom-ban, in: Histöria 5-6 (1994) 15 ff.

17 Die Tageszettel der Johanna Theresia von Harrach aus dem AVA, FA Harrach, Karton 350 wer-den derzeit von Frau Mag. Susanne Claudine Pils für ihre im Entstehen begriffene Dissertation ausge-wertet.

" AVA, FA Harrach, Karton 248, o. a. O., o. J.

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spielen auch die Mitteilungen von Geburten eine große Rolle. Die Geburt des Enkels Karl Jo-sef, des dritten Sohnes ihrer Tochter Maria Josepha und deren Mann Johann Josef von Kuen-burg am 27. Mai 1686 wird natürlich besonders hervorgehoben: Mein herz dez verwichnen mondach ein halbßfirdel vor 6 ist die Joseffa nider komm, ist ein [...] starckher bueb, den andern dagtaufft [...] heist CarelJoseffHans Candolffuß^. Über Krankheiten in der Familie wird eben-falls berichtet: der Hans Joseff hadt die schlimbsten bladern die sein kenen, und ist ser madt und klein miedig, sap alleweill er mueß vor lauder schmerzen sterben, der dockhter sagt aber er sei ana gefar20. Johann Josef Phillip von Harrach (1678—1746) ist das jüngste der neun Kinder der Johanna Theresia.

Neben diesen privaten Ereignissen nimmt Johanna Theresia von Harrach aber auch auf politische Ereignisse Bezug. Zunächst ein Beispiel dafiir, daß sie im Sinne ihrer Herkunftsfami-lie Politik machen will: Mein schwester die Lenortl lost sich ihmb befellen und gar sehen biden wan eßnoch war ist daz man dem barißlodron absezt [...] daz erfir ihren Man biden soll, daz er obrist Jager Meister wirdt. Sie sezt all ihr hoffhung auff ihmb21. Hier geht es darum, daß der zweite Mann ihrer ältesten Schwester Eleonora Franziska (geb. 1636) Franz Anton Graf Lamberg pro-tegiert werden soll. (Um den ersten Mann der Schwester, den 43 Jahre älteren Heinrich Wil-helm Graf Starhemberg kann es hier wohl nicht gehen. Dessen Karriere ist schon vor seiner Heirat mit Eleonore Franziska von Harrach weit fortgeschritten.) Aber auch die große Politik kommt vor: gott geb nur daz Wien erhalten wirdt ich bin ihn dausend engsten gott ste unß bei u . Dieser Brief Johanna Theresias von Harrach entstand während der Kämpfe im Zuge der 2. Be-lagerung Wiens durch die Osmanen, die Wien am 12. Juli 1683 erreicht hatten. Kaiser Leo-pold I. hatte sich bereits am 8. Juli gemeinsam mit Ferdinand Bonaventura von Harrach nach Passau zurückgezogen. Erst am 12. September wird die Entscheidung um Wien fallen. Es ist nur allzu verständlich, daß Johanna Theresia von Harrach in dieser Phase der schweren Kämpfe um Wien bangt.

Ein weiterer hochinterssanter Briefwechsel ist jener der Helena von Schallenberg (1560— 1630) mit ihren Neffen Karl Christoph (1596-1629) und Georg Christoph von Schallenberg (1593—1659). Helena von Schallenberg trat 1593 in das nach der Franziskanerregel geführte Kloster Hl. Kreuz im niederbayrischen Landshut ein, das sie ab 1617 leitete. Mit ihren Neffen, den Söhnen ihres Bruders, des Schriftstellers Christoph von Schallenberg und der Manisch geb. von Lappitz, scheint sie ein enges Verhältnis gehabt zu haben. So schreibt sie an Karl Christoph von Schallenberg denn nach gott seydt ir die ainigfireydt meines hertzens 2i. Dieser Briefwechsel ist vor allem interessant vor der Folie der konfessionellen Auseinandersetzungen der Zeit, korre-spondiert doch die katholische Helena mit ihren (vorerst noch) evangelischen Neffen. So bittet sie diese bitt euch durch gott, wan die landtständt bey pese pröttiggtn wieder im landtsfirstn und catholische haben, haltets nit mit, sondern bewart eur seel24. Auch klagt sie in einem Brief an Karl Christoph mein gott khindt ich euch doch nuer ein wenig catollisch machen 2 \ Bemerkenswert sind die Briefe auch im Hinblick auf die Vorgänge im Kloster Heiligenkreuz. So gibt es eine Skandalgeschichte im Kloster zu vertuschen, wobei Helena und ihre Neffen zusammen-arbeiten. Es geht dabei um Briefe, die die SchafFnerin, eine Nonne im Kloster Heiligenkreuz,

" AVA, FA Harrach, Karton 248, Brief aus Salzburg den 30. Mai [1686]. Salzburg ist der Wohnort ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes.

20 AVA, FA Harrach, Karton 248, Brief aus Wien, 22. Jänner [1690?]. 21 AVA, FA Harrach, Karton 248, Brief aus Wien, Dezember [1681?]. 22 AVA, FA Harrach, Karton 248, Brief aus „Ditmanich" (Tittmoning, Stadt im Kreis Traunstein,

Oberbayern. Die Stadt gehörte früher zu Salzburg.), 26. August 1683. 23 HHStA, Rosenau, 96 II, Brief aus Landshut 1613. 24 HHStA, Rosenau, 96 II, Brief aus Landshut, 17. 3. 1616. 25 HHStA, Rosenau, 96 II, Brief aus Landshut, 3. 12. 1617.

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an den Jungen eines der Neffen, Hans, geschrieben haben soll. Weilers hat sich bis zum Guardian herumgesprochen, daß sich Karl Christoph im Kloster und in den Zellen frei bewegt haben soll, was dem bisher tadellosen Ruf des Klosters sehr schadet. Helena ruft ihre Neffen auP6, die Briefe der Schaffnerin zu vernichten. Später27 bedankt sie sich bei ihren Neffen fiir den geschickten Umgang mit der Briefaffäre - die Briefe wurden offensichdich vernichtet. Auch mit dem nach ihrer Anweisung formulierten Brief, den Karl Christoph dem Guardian geschrieben hat, ist sie sehr zufrieden. Dieser halte nun sehr viel von Karl Christophs Aufrich-tigkeit. Eine Klostervisitation macht Helena von Schallenberg ebenfalls zu schaffen. Sie hat Angst vor ihrer Absetzung, denn dieser wölsche haust seltsam in alln khlöstem28. Die bayrische franziskanische Provinz hatte sich den italienischen Reformaten angeschlossen und wurde da-her von Italienern kontrolliert.

7. Fazit

Die Auswertung aller für das Projekt gesammelten Briefe soll der Mentalitäts- und Alltags-geschichte neues Material liefern. Sowohl gruppenspezifische Werthaltungen und Vorstellun-gen als auch unmittelbare Einblicke in persönliche Leidenschaften und Nöte der Briefschreibe-rinnen können aus Briefen erschlossen werden. Die Analyse beider Aspekte soll ein differenzier-teres Bild der Rolle der adeligen Frau innerhalb des Wandels von der mittelalterlichen Gesell-schaft bis zur vorrevolutionären Gesellschaft des 18. Jahrhunderts ergeben.

16 Η Η StA, Rosenau, 96 II, Briefe aus Landshut von 1617 und vom 10. 1. 1618. 27 Η Η StA, Rosenau, 96 II, Brief aus Landshut vom 21. 1. 1619. 28 HHStA, Rosenau, 96 II, Brief aus Landshut o. J.

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