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REPORTAGE Das erste Tor gehört den Frauen Wie bringt man Männern Respekt vor den Frauen bei? Kolumbianischen Männern, Goldgräbern, die jahrzehntelang nur Bürgerkrieg und Gewalt erlebt haben? Man gibt ihnen einen Fußball, schicke Trikots – und eine unumstößliche Regel VON MAURICIO BUSTAMANTE (FOTOS) UND JAN KAHLCKE (TEXT) „Ich mache beim Friedensturnier mit, damit wir eine bessere Zukunft haben. Beim Fußball lernen Männer und Frauen nämlich, sich zu respektieren. Wenn mal ein Foul passiert, bitten wir einander hinterher um Entschuldigung.“ Leidy Vanesa Ceballos, 18, Schülerin „Schon als Kind war ich verrückt nach Fußball. Aber damals ließen mich die Jungs nur selten mitkicken. Seit dem Turnier haben sie Respekt vor mir.“ Diana Piedrahita, 23, Schrotthändlerin und Star des Friedensturniers

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REPORTAGE

Das erste Tor gehörtden Frauen Wie bringt man Männern Respekt vor den Frauen bei? Kolumbianischen Männern, Goldgräbern, die jahrzehntelangnur Bürgerkrieg und Gewalt erlebt haben? Man gibt ihnen einen Fußball, schicke Trikots – und eine unumstößliche Regel

VON MAURICIO BUSTAMANTE (FOTOS)UND JAN KAHLCKE (TEXT)

„Ich mache beim Friedensturnier mit,damit wir eine bessere Zukunft haben.

Beim Fußball lernen Männer und Frauen nämlich, sich zu respektieren.Wenn mal ein Foul passiert, bitten wir

einander hinterher um Entschuldigung.“

Leidy Vanesa Ceballos, 18, Schülerin

„Schon als Kind war ich verrückt nach Fußball. Aber damals

ließen mich die Jungs nur selten mitkicken. Seit dem Turnier haben sie Respekt vor mir.“

Diana Piedrahita, 23, Schrotthändlerinund Star des Friedensturniers

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ie Jungs von Juventus sehen verzweifelt aus. Sie er-obern Ball um Ball, kombinieren geschickt, bis vors

gegnerische Tor der Cañoneros – aber sie dürfen noch nicht da-rauf zielen. Da kommt Diana. Drängt von links heran, täuscht an,zieht durch, ein Schuss wie ein Strich, rechts oben in den Winkel. Eine Frau hat ein Tor gemacht – endlich, die Erlösung! Die Männerjubeln – ab jetzt dürfen auch sie Tore schießen.

In Segovia, einem abgelegenen Goldgräberstädtchen im HochlandKolumbiens, eineinhalb Flugstunden von der Hauptstadt Bogotáentfernt, hat der Bürgerkrieg besonders schlimm gewütet. In den 80erJahren war Segovia die Hochburg der marxistischen Guerilla-Trup-pen, zu denen sich die verarmten Kleinbauern zusammengeschlossenhatten. Mit gezielten Morden und beispiellosen Massakern gewannendann die rechten Paramilitärs – die Söldner der Großgrundbesitzer –die Oberhand. Der Kampf dauert bis heute an, wobei sich die Truppen nicht mehr um Ideologien, sondern um die Verteilung derDrogengelder streiten. Kolumbien ist der größte Kokain-Exporteurder Welt. Auch heute noch verschwinden hier Menschen. Auch jetztnoch spürt man die Wut, die sich in fünf Jahrzehnten des Bürger-krieges angestaut hat. Meist entlädt sie sich im Privaten, zwischenMännern und Frauen. Deshalb spielen sie jetzt zusammen Fußball.Das Ziel: zu lernen, ohne Gewalt miteinander auszukommen. DieMethode: Das erste Tor gehört den Frauen. Die Hoffnung: Wennman sich auf dem Fußballplatz respektiert, dann auch zu Hause.

Unter den Fans am Spielfeldrand ist auch der fünfjährigeJosuhar Esteven. Er jubelt seiner Mutter Diana zu, während sein vierjähriger Bruder Juan Manuel das Tor verschläft und erst beimSchlusspfiff aufwacht. Dann rennen beide zu ihr, aber Diana winkt erschöpft ab. Noch hat sie keine Zeit für die Kinder, erst ist die Nach-besprechung des Spiels gegen die Cañoneros dran. Alle versammelnsich unter dem Hochsitz von Don Albeiro an der Seitenlinie. Er fragt die Spieler: „Wie viele Fairnesspunkte gebt ihr Juventus?“ –„Drei“, rufen die Spieler durcheinander. „Und wie viele für die Cañoneros?“ – „Auch drei“, tönt es im Chor. Höchstsatz, schreibt derMittvierziger auf einen Zettel. Wer nach einem Spiel viele Punktesammelt, kann damit sogar eine Niederlage nach Toren noch um-kehren. Denn beim Turnier „Fútbol por la paz“, Fußball für den Frieden, zählen die Fairnesspunkte mehr als die Tore.

Fußball könne helfen, das Leben von Frauen und Männern friedlicher zu machen, sagten sich die Initiatoren von „Con-texto urbano“. Der kleine, private Verein setzte Fußball als Therapie ge-gen die Gewalt bereits seit 1998 in den Drogenvierteln der Provinz-hauptstadt Medellín ein. Im Sommer letzten Jahres brachte er die Idee eines landesweiten Friedensturniers, finanziert durch Sponsorenaus der Wirtschaft, auch nach Segovia.

Hier gehört das erste Tor oft Diana Piedrahita. Die junge Frau mitdem hübschen, sanften Gesicht und der kräftigen Statur ist eineKämpferin, wie die Männer inzwischen respektvoll sagen. Sie spielensie auch nach dem ersten Treffer noch an. Oft schliddert die 23-Jährige dabei über den Beton, schrammt sich die Ellenbogen, prelltsich die Knie und steht wieder auf, als wäre nichts passiert. Hinter die Fassade der starken Frau lässt sie selten jemanden blicken. Sie lebtallein mit ihren Kindern in einem aus Brettern gezimmerten Haus

D

„Die Männer spielen nicht mehr so roh wie am Anfang. Nur nach einem Foul werden manche noch hand-greiflich. Dann mache ich ihnen klar, dass es so nicht geht, dass man das auch mit Worten regeln kann.“

Cindy Marcela Maldonado, 17, Schülerin

„Hier in Machuca kommt es oft zu Schlägereien, vor allem nachts

in den Bordellen. Ich arbeite allein auf der Krankenstation und

bin immer froh, wenn keiner ein Messer dabei hatte. Zum

Glück hilft der Fußball, dass die Aggressionen nachlassen.“

Catalina Sampedro, 19, Krankenschwester

„Beim Fußball mit Frauen muss manganz schön viel Geduld haben. Das isteine gute Übung für uns Männer.“

Jerson David Villamisar, 15, Schüler

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am Rande der Stadt. Ihr Mann starb vor einem Jahr bei einem Un-glück in einer illegalen Goldmine. „In solchen Gruben stürzen dieStollen oft ein“, sagt sie. „Immer wieder habe ich damals zu ihm gesagt: Man muss das Leben lieben, schließlich gibt es nur eins.“ Siezögert und sagt dann noch: „Aber er hat nur gelacht.“

Jetzt muss sie ihre beiden Söhne allein versorgen, als Chatarrera,Schrotthändlerin. Jeden Morgen geht sie zur Mine El Mango, wo der Ausschuss an die Armen verteilt wird. Diana sortiert die Stückemit dem höchsten Goldgehalt aus und zertrümmert sie mit einemMaurerhammer. Dann zentrifugiert sie das Gesteinsmehl mitQuecksilber, dabei lösen sich die Goldpartikel. Oft reicht es nichtzum Leben, und Diana muss ihre Brüder um Geld bitten.

Fußball sei ihr einziges Vergnügen, sagt sie. So oft es geht, ziehtDiana deshalb nach Feierabend das rot-schwarze Trikot und die rotenStutzen an und trifft sich mit ihrer Mannschaft. „Abends noch ausdem Haus zu gehen war früher undenkbar“, sagt sie. „Damals hattenwir alle Angst, in eine Schießerei zu geraten oder entführt zu werden.“

In Segovia hat sich die Guerilla inzwischen in den Dschungelzurückgezogen. Zurückgeblieben ist eine verletzte Stadt mit einemangestauten Gewaltpotenzial. Viele Männer lassen ihre Wut an ihrenFrauen aus, die sich nur schlecht wehren können, da sie meist invölliger Abhängigkeit leben: Frauen dürfen in den Goldminen nichtunter Tage arbeiten und haben deshalb kaum Erwerbsmöglichkeiten.An einem Glückstag kann ein Minenarbeiter dort Gold im Wert von 800 Euro aus der Grube schleppen. Wenn er Pech hat, braucht er dafür über ein Jahr. Nicht selten bringen die Männer in einer einzigen Nacht den ganzen Verdienst durch.

Wenn es dunkel wird in Segovia, beginnen die Straßen rund um die Plaza mit dem goldfarbenen Mutter-Erde-Denkmal zu brodeln. Aus jedem zweiten Haus wehen Akkordeon-Schnulzen,die Menschen tanzen eng umschlungen oder stehen schwatzend vorden Bars zusammen. Die vielen Pfandhäuser haben geöffnet, die Lotterien, die schwer vergitterten Läden der Goldaufkäufer und natürlich die sieben Bordelle. Das Geld zirkuliert in Hochgeschwin-digkeit. Ein betrunkener Bauer lässt seinen Gaul auf einer KreuzungPirouetten drehen. Und ein Polizist schießt vor einer Bar in denNachthimmel, um eine Schlägerei zu beenden. Die Stimmung in den Straßen ist aufgekratzt. Ruhiger wird es erst im Morgengrauen.Dann beginnt in den Minen ringsum die Frühschicht.

Wenn Rony Prisco, 25, nachmittags wieder aus der Grube steigt,wartet seine Freundin schon auf ihn. Auf dem Fußballplatz. „Wirspielen im selben Team“, sagt er, „und dabei dachte ich, als dieMänner von Con-texto urbano hier auftauchten: Was für eine seltsame Idee.“ Der große, athletische Mann grinst verlegen. „Es ist ganz schön schwer, den Frauen das erste Tor zu überlassen. Aber so sind nun mal die Regeln. Sie zwingen uns nämlich, einen Weg zu finden. Wir lernen, dass es auch ohne Fluchen und Foulen geht.“ Rony hat viele seiner Kumpels davon überzeugt, in einer der 30Mannschaften von Segovia mitzukicken. Das beste aller Argumentewaren die fabrikneuen, gesponserten Trikots.

Frauen finden selten einen Job. Sie sind abhängig vom Geld der Männer und Zielscheibe ihrer Wut

„Es ist ein Supergefühl, das entscheidende Tor zu schießen. Ich bin unheimlich stolz.“

Yeimi Alejandra Moraporras, 12, Schülerin

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Im Nachbarort Machuca sind die bunten Shirts so beliebt, dassviele sie auch an spielfreien Tagen tragen. Die Bewohner sind armund dankbar für ein kostenloses Kleidungsstück, aber sie sind auchbesonders fußballbegeistert: 20 Mannschaften gibt es, jeder Achteder 1300 Bewohner spielt mit. Ursprünglich wollte man das Turniergemeinsam mit Segovia austragen, schließlich liegen die beiden Orte nur 20 Kilometer auseinander – eine Entfernung, für die der altersschwache Bus mit dem bunt bemalten Holzaufbau in der Regenzeit jedoch über vier Stunden braucht. Deshalb werden die Sieger aus der Stadt erst zum Finale nach Machuca kommen.

Das Dorf schmiegt sich in eine Flussbiegung des Río Pocuné, durch sattgrüne Hügel geschützt. Doch fast nirgendwo sonst hat der Bürgerkrieg so gewütet wie hier: Vor sieben Jahren sprengte die Guerilla die zentrale Öl-Pipeline des Landes in die Luft. Eine schwar-ze Welle schwappte über den Fluss ins Dorf und fing Feuer. Die Menschen schreckten aus ihrem Schlaf und liefen schreiend vor derFeuerwalze in die Berge. 74 Menschen starben in einer einzigenNacht. Die Guerilla räumte nach ein paar Wochen „Fehler“ ein. Die Regierung schickte ein wenig Geld für den Wiederaufbau derzerstörten Häuser. Und in einer Bar hängt heute ein verblichenes Foto vom Tag danach, voller rauchender Trümmer.

Neuerdings kommt alle paar Wochen eine Psychologin. SandraSierra bietet Gesprächskreise an, macht mit Frauen und Kindern pädagogische Brettspiele, die ein gewaltfreies Miteinander lehren sollen. Aber an die Männer kommt sie nicht heran. „Das Einzige,worauf die sich einlassen“, sagt sie, „ist Fußball.“

Jerson David Villamisar, 15 Jahre alt und Sohn des Dorflehrers,hat selbst ein Team gegründet. Pre-Kinder hat er es ironisch genannt,Kinderkrippe. „Goleadoraaaa!“, Torjägerin, ruft er, als ihm eine dunkle Schöne auf der Straße entgegenkommt, und er erklärt stolz,sie sei mit 20 Toren für sein Team die beste Schützin des Turniers.Solche Schwärmerei hätte er sich früher kaum vorstellen können.„Anfangs haben mich die Frauen wahnsinnig gemacht“, gesteht er.Jetzt holt er sie zu Hause ab, zeigt ihnen Tricks, feuert sie an. „Wennheute ein Mädchen fragt, ob sie mitkicken darf, dann lassen wir sie.“Bei den Kleinen funktioniert der Geschlechtermix schon von allein.Neben der Grundschule haben sich Mädchen um die zehn ein paarJungs zum Spielen gesucht, die sie körperlich übertrumpfen. Aberauch technisch sind sie stark. Eine von ihnen zeigt, wie lange sie den Ball in der Luft halten kann: . . . 18, 19, 20, 21 . . . Irgendwannhat keiner der Jungs mehr Lust, die Ballberührungen zu zählen.

Hundert Meter die Straße hinunter liegt der bescheidene Gesundheitsposten von Catalina Sampedro. „Wenn die Kranken-schwester spielt, kommen oft über 50 Zuschauer“, sagt sie schmun-zelnd. Die 19-Jährige spricht von sich der dritten Person, weil sie eine Institution ist. Der nächste Arzt sitzt in Segovia, Catalina hält allein die Stellung. „Enfermera, Enfermera, Krankenschwester,Krankenschwester!“, rufen die Einheimischen begeistert, wenn derBall in ihre Nähe kommt. „Dabei konnte ich überhaupt nicht spie-len. Ich dachte immer, Fußball sei nur was für Männer“, sagt sie.„Aber es ist wunderbar anzusehen, wie der Fußball die Menschen hierzusammenbringt.“ Neulich kam ein neunjähriges Mädchen zu ihr,der Vater hatte ihr mit der Machete die Schulter verletzt, weil sie ihmein bisschen Geld gestohlen hatte. Dem Täter hat Catalina geraten,beim Fußball für den Frieden mitzuspielen, um seine Aggressionenkontrollieren zu lernen. Erst als er ablehnte, zeigte sie ihn an.

Zurück in Segovia. Der Sonntagmorgen ist hier ein wichtigerTurniertag. Diana Piedrahita ist schon wieder auf Attacke eingestellt.Beim Spiel gegen La Reina stürmt sie über den Platz, dribbelt, plötz-lich stellt ihr jemand ein Bein. Ein Foul? Diana diskutiert beharrlichmit dem Gegenspieler und bekommt nach zwei Minuten Recht.Freistoß. Sie schießt vorbei, drängt aber wenig später wieder zum Tor,bringt den Ball mit der Fußspitze ins Netz und reißt die Arme hoch.Tor! Am Schluss steht es 11:1, und Juventus ist Tabellenführer.

Am nächsten Tag weht Dianas Trikot schon wieder frisch ge-waschen im Wind, bereit für das nächste Spiel.

Weltmeisterschaft der Straßenfußballer Die besten Spieler des kolumbianischen Friedensturniers kommenvom 1. bis 8. Juli 2006 nach Berlin: Denn parallel zum FIFA WorldCup wird es hier die erste Weltmeisterschaft der Straßenfußballergeben. Um den Titel beim „Festival 06“ kicken Mannschaften aus 24 Ländern und fünf Kontinenten, unter ihnen sogar auch ein palästinensisch-israelisches Team. Weitere Informationen über dieSpiele und Veranstaltungen auf dem Kreuzberger Mariannenplatz:www.streetfootballworld.org.

Wer hat gefoult? Diana bleibt stur und bekommt vom Gegenspieler Recht. Ihr Freistoß!

„Früher dachte ich, Frauen können keinenFußball spielen. Und nun gibt es einige,

die haben den Ball sogar öfter als ich. Manchmal macht es mich richtig wütend,

wie klasse sie sind. Aber das Gute am Fußball mit Frauen ist, dass niemand hand-

greiflich wird. Man lernt, fair zu spielen.“

Fernando Restrepo, 17, Minenarbeiter

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