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36 Astron. Nachr. 305 (1984) I, 36 Buchbesprechung H. BECKERT und H. SCHUMANN (Hrsg.) : 100 Jahre Mathema- tisches Seminar der Karl-Marx-Universit6t Leipzig. Berlin VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1981. 340 Seiten, Preis: 65.- M. Die vorliegende Festschrift wurdc aus AnlaU des 100. Jahrcs- tages der Griindung des Mathematischen Seminars an der Leipziger Universitat (1881, ab 1886 Mathcmatisches Institut, ab 1969 Sektion Mathematik) erarbeitet. Sie gliedert sich in vier Teilc. Im I. Teil (29 Seiten) beschreibt W. PURKERT, eingebettet in den Rahmen der gesellschaftlichen Verhaltnisse und der' Entwicklung der Leipziger Universitat, das Leben und Wirken der an der Universitat im Zeitraum von ihrer Eroffnung (am 2. Dezember 1409) bis zum zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts tatigen Mathe- matiker, darunter REGIOMONTANUS, WIDMAN, RHAETICUS, KIRCH, HEINSIUS, KASTNER, HINDENBURG, MOLLWEIDE, DROBISCH, MOBIUS, SCHEIBNER, HANKEL. Die meisten der hier gewiirdigten Gelehrten haben sich auch astronomischen Fragen gewidmet, darunter einige sogar hauptsachlich astronomischeu Beobachtun- gen und Kalendcrberechnungen. Der der eigentlichen Griindung des Leipziger Mathematischen Seminars gewidmete 2. Teil (29 Seiten), Teil einer Dissertation von F. KONIG, enthalt zuerst Ausfiihrungen zum ProzeB der Insti- tutionalisierung der Mathematik an den deutschen Universitaten im 19. Jahrhundert. Dann werden die Umstande der Berufung FELIX KLEINS an die Leipziger Universitat sowie seine auf die Einrichtung des Mathematischen Seminars gerichteten Aktivi- taten beschrieben. Ein Uberblick iiber das mathematische Leben am Seminar in den sechs Jahren des Wirkens F. KLEINS in Leipzig beschlieBt diesen Teil des Buches. Im 3. Teil (190 Seiten) wird in Einzelbeitragen von H. BECKERT (SCHNEE, LICHTENSTEIN, E. HOLDER), G. EISENREICH (0. HOLDER, VAN DER WAERDEN, SALIQ), J. FOCKE (BLASCHKE), H.-J. GIRLICH (HAUSDORFF), P. GUNTHER (LIE), R. KLBTZLER (MAYER), F. KONIC (KLEIN), R. KUHNAU (KOEBE). W. PURKERT (Einlcitung), H.- J. ROSSBERG (HERGLOTZ), H. SALIQ (C. NEUMANN), H. SCHUMANX (KAHLER), V. ZIEGLER (ROHN) das Wirken bedeutender Mathe- matiker an der Leipziger Universitat im Zeitraum von etwa 1865 bis in die fiinfziger Jahre unseres Jahrhunderts gewiirdigt. In der Einleitung wird ein vollstandiger chronologischer uberblick iiber alle Personen gegeben, die zwischen 1865 und 1945 in Leipzig eine Lehrtatigkeit auf dcm Gebict der Mathematik aufgenommen haben. Die nachfolgenden Darstellungen schildcrn den Lebenswcg und das wissenschaftliche Wirken (insbesondere und vorwiegend ihrer Leipziger Zeit) der folgenden 16 ausgewahlten Mathematiker (in Klammern die Jahre ihres Wirkens an der Universitat Leipzig) : FELIX KLEIN (1880- 1886) und seine Nachfolger: SOPHIELIE (1886-1898), OTTO HOLDER (1899-1928), B. L. VAN DER WAER- DEN (1931-1945); CARL NEUMANN (1868-1911) und seine Nach- folger: PAUL KOEBE (1911-1914 und - als Nachfolger von HERGLOTZ - 1926- 1948). WILHELM BLASCHKE (1915- 1917). WALTER SCHNEE (1917-1954); ADOLPH MAYER (1872-1908) und sein Nachfolger: GUSTAV HERGLOTZ (~gog- 1925) ; ferner KARL ROHN(1904- 1923) und seine Nachfolger: LEONLICKTENSTEIN (1922- 1933). ERNST HOLDER (1929- 1957); sowie FELIX HAUS- DORFF (I~OI-I~XO), ERICH KAHLER (1948-1958) und HANS SALIB (1952- 1967). Die Artikel sind nicht nur von unterschiedlichcr Langc (zwi- schcn 5 und 13 Seiten, mit Ausnahme der Beitrage iiber 0. HOL- DER, 22, LIE, 23, und VAN DER WAERDEN. 27 Seiten), sondern auch von verschiedenartiger Gestaltung in Inhalt und Form. Ncben einer Aufzahlung der auBeren Lebensumstande enthalt die Mehr- heit der Beitrage auch eine mchr oder wenigcr ausfiihrliche historisch-kritische Wertung der wahrend der Leipziger Tatigkeit erzielten wissenschaftiichen Leistung des betreffenden Mathemati- kcrs. Fur die theoretische bzw. Astrophysik relevante Resultatc sind in der Bewertung der Verdienste vor allem von C. NEUMANN, S. LIE, F. HAUSDORFF, G. HERGLOTZ, L. LICHTENSTEIN. B. L. VAN DER WAERDEN und E. HBLDER enthaltcn. Der von R. MILDNER und H. SCHUMANN verfaBte 4. Teil (68 Sci- ten) beiohaltct die Eutwicklung des Leipziger Mathematischen Instituts bzw. der daraus hervorgegangencn Sektion Mathematik im Zeitraum von 1946 bis 1981. Zunachst wird die fiir die Leipziger Mathematik relevante Personen- und Institutionsgeschichte dieser Zeit dargestellt und dann werden die wesentlichen Ergebnisse der mathematischen Forschung vorgestellt. Nach der Wiedereroffnung der Universitat 1946 wurde durch ERNST HOLDER und seine Schii- ler besonders die Lichtcnsteinsche Forschungstradition wach- gehalten. Aus dieser Lichtenstein-Holderschen Schule wuchs ein wichtiger Lehr- und Forschungsbereich auf dem Gebiet der Variationsrechnung und ihrer Anwendung. In den 5oer Jahren wurde von Kahier eine allgemeinc Theorie algebraischer Mannig- faltigkeiten auf arithmctischer Grundlage aufgcstellt, die die Lehrc und Forschung auf dem Gebict der algcbraischen Geometrie bcfruchtcte. Weitcre Forschungsergebnisse dcr Leipzigcr Mathe matiker betreffen u. a. die mathematische Physik, partiello Differentialgleichungen, Stochastik, Mathematische Optimierung und Informationsverarbeitung. Das Buch enthalt zahlreiche Abbildungen, im 2. Teil iibersicht- liche Tabellen, ferner eine Bildtafel, die die Portrats aller Direk- toren der mathematischen Institution zeigt. Namen- und Sach- register sind leider nicht vorhanden. Beim Lesen des Buches ent- steht der Wunsch nach cincr uberblickniaBigen Darstellung der ab und zu erwahnten Tatigkeit auch anderer Organe mathematischer Forschung in Leipzig (Zeitschriften, Gesellschaften, Akademien, Sternwarten etc .). Das Buch stellt hinsichtlich dcr behandelten Pershlichkcitcn eine auWerordentlich verdienstvolle Zusamnicnstellung dar. Es ist ein wertvoller Beitrag auch zur Historiographie der Mathematik der letzten IOO Jahre. Hevbert Pieper, Potsdam-Babelsberg

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Astron. Nachr. 305 (1984) I, 36

Buchbesprechung

H. BECKERT und H. SCHUMANN (Hrsg.) : 100 Jahre Mathema- tisches Seminar der Karl-Marx-Universit6t Leipzig. Berlin

VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1981. 340 Seiten, Preis: 65.- M.

Die vorliegende Festschrift wurdc aus AnlaU des 100. Jahrcs- tages der Griindung des Mathematischen Seminars an der Leipziger Universitat (1881, a b 1886 Mathcmatisches Institut, ab 1969 Sektion Mathematik) erarbeitet. Sie gliedert sich in vier Teilc.

Im I. Teil (29 Seiten) beschreibt W. PURKERT, eingebettet in den Rahmen der gesellschaftlichen Verhaltnisse und der' Entwicklung der Leipziger Universitat, das Leben und Wirken der an der Universitat im Zeitraum von ihrer Eroffnung (am 2 . Dezember 1409) bis zum zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts tatigen Mathe- matiker, darunter REGIOMONTANUS, WIDMAN, RHAETICUS, KIRCH, HEINSIUS, KASTNER, HINDENBURG, MOLLWEIDE, DROBISCH, MOBIUS, SCHEIBNER, HANKEL. Die meisten der hier gewiirdigten Gelehrten haben sich auch astronomischen Fragen gewidmet, darunter einige sogar hauptsachlich astronomischeu Beobachtun- gen und Kalendcrberechnungen.

Der der eigentlichen Griindung des Leipziger Mathematischen Seminars gewidmete 2. Teil (29 Seiten), Teil einer Dissertation von F. KONIG, enthalt zuerst Ausfiihrungen zum ProzeB der Insti- tutionalisierung der Mathematik an den deutschen Universitaten im 19. Jahrhundert. Dann werden die Umstande der Berufung FELIX KLEINS an die Leipziger Universitat sowie seine auf die Einrichtung des Mathematischen Seminars gerichteten Aktivi- taten beschrieben. Ein Uberblick iiber das mathematische Leben am Seminar in den sechs Jahren des Wirkens F. KLEINS in Leipzig beschlieBt diesen Teil des Buches.

Im 3. Teil (190 Seiten) wird in Einzelbeitragen von H. BECKERT (SCHNEE, LICHTENSTEIN, E. HOLDER), G. EISENREICH (0. HOLDER, VAN DER WAERDEN, SALIQ), J . FOCKE (BLASCHKE), H.-J. GIRLICH (HAUSDORFF), P. GUNTHER (LIE), R. KLBTZLER (MAYER), F. KONIC (KLEIN), R. KUHNAU (KOEBE). W. PURKERT (Einlcitung), H.- J. ROSSBERG (HERGLOTZ), H. SALIQ (C. NEUMANN), H. SCHUMANX (KAHLER), V. ZIEGLER (ROHN) das Wirken bedeutender Mathe- matiker an der Leipziger Universitat im Zeitraum von etwa 1865 bis in die fiinfziger Jahre unseres Jahrhunderts gewiirdigt. In der Einleitung wird ein vollstandiger chronologischer uberblick iiber alle Personen gegeben, die zwischen 1865 und 1945 in Leipzig eine Lehrtatigkeit auf dcm Gebict der Mathematik aufgenommen haben. Die nachfolgenden Darstellungen schildcrn den Lebenswcg und das wissenschaftliche Wirken (insbesondere und vorwiegend ihrer Leipziger Zeit) der folgenden 16 ausgewahlten Mathematiker (in Klammern die Jahre ihres Wirkens an der Universitat Leipzig) : FELIX KLEIN (1880- 1886) und seine Nachfolger: SOPHIE LIE (1886-1898), OTTO HOLDER (1899-1928), B. L. VAN DER WAER- DEN (1931-1945); CARL NEUMANN (1868-1911) und seine Nach- folger: PAUL KOEBE (1911-1914 und - als Nachfolger von HERGLOTZ - 1926- 1948). WILHELM BLASCHKE (1915- 1917).

WALTER SCHNEE (1917-1954); ADOLPH MAYER (1872-1908) und sein Nachfolger: GUSTAV HERGLOTZ (~gog- 1925) ; ferner KARL ROHN (1904- 1923) und seine Nachfolger: LEON LICKTENSTEIN (1922- 1933). ERNST HOLDER (1929- 1957); sowie FELIX HAUS- DORFF ( I ~ O I - I ~ X O ) , ERICH KAHLER (1948-1958) und HANS SALIB (1952- 1967).

Die Artikel sind nicht nur von unterschiedlichcr Langc (zwi- schcn 5 und 13 Seiten, mit Ausnahme der Beitrage iiber 0. HOL- DER, 22, LIE, 23, und VAN DER WAERDEN. 27 Seiten), sondern auch von verschiedenartiger Gestaltung in Inhalt und Form. Ncben einer Aufzahlung der auBeren Lebensumstande enthalt die Mehr- heit der Beitrage auch eine mchr oder wenigcr ausfiihrliche historisch-kritische Wertung der wahrend der Leipziger Tatigkeit erzielten wissenschaftiichen Leistung des betreffenden Mathemati- kcrs. Fur die theoretische bzw. Astrophysik relevante Resultatc sind in der Bewertung der Verdienste vor allem von C . NEUMANN, S. LIE, F. HAUSDORFF, G. HERGLOTZ, L. LICHTENSTEIN. B. L. VAN DER WAERDEN und E. HBLDER enthaltcn.

Der von R. MILDNER und H. SCHUMANN verfaBte 4. Teil (68 Sci- ten) beiohaltct die Eutwicklung des Leipziger Mathematischen Instituts bzw. der daraus hervorgegangencn Sektion Mathematik im Zeitraum von 1946 bis 1981. Zunachst wird die fiir die Leipziger Mathematik relevante Personen- und Institutionsgeschichte dieser Zeit dargestellt und dann werden die wesentlichen Ergebnisse der mathematischen Forschung vorgestellt. Nach der Wiedereroffnung der Universitat 1946 wurde durch ERNST HOLDER und seine Schii- ler besonders die Lichtcnsteinsche Forschungstradition wach- gehalten. Aus dieser Lichtenstein-Holderschen Schule wuchs ein wichtiger Lehr- und Forschungsbereich auf dem Gebiet der Variationsrechnung und ihrer Anwendung. In den 5oer Jahren wurde von Kahier eine allgemeinc Theorie algebraischer Mannig- faltigkeiten auf arithmctischer Grundlage aufgcstellt, die die Lehrc und Forschung auf dem Gebict der algcbraischen Geometrie bcfruchtcte. Weitcre Forschungsergebnisse dcr Leipzigcr Mathe matiker betreffen u. a. die mathematische Physik, partiello Differentialgleichungen, Stochastik, Mathematische Optimierung und Informationsverarbeitung.

Das Buch enthalt zahlreiche Abbildungen, im 2. Teil iibersicht- liche Tabellen, ferner eine Bildtafel, die die Portrats aller Direk- toren der mathematischen Institution zeigt. Namen- und Sach- register sind leider nicht vorhanden. Beim Lesen des Buches ent- steht der Wunsch nach cincr uberblickniaBigen Darstellung der ab und zu erwahnten Tatigkeit auch anderer Organe mathematischer Forschung in Leipzig (Zeitschriften, Gesellschaften, Akademien, Sternwarten etc .).

Das Buch stellt hinsichtlich dcr behandelten Pershlichkcitcn eine auWerordentlich verdienstvolle Zusamnicnstellung dar. Es ist ein wertvoller Beitrag auch zur Historiographie der Mathematik der letzten IOO Jahre.

Hevbert Pieper, Potsdam-Babelsberg