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819Bautechnik 86 (2009), Heft 12
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Bücher
Oechslin, W.: Palladianismus. AndreaPalladio – Kontinuität von Werk undWerkung. gta Verlag, ETH Zürich 2009.ISBN: 978-3-85676-239-1, 342 S. viele,teilweise doppelseitige Farb- und SW-Abbildungen. Geb., 98,– €
Von September 2008 bis Januar 2009fand aus Anlass des 500. Geburtstags vonAndrea Palladio (1508–1580) in dem vonihm entworfenen Palazzo Barbaran daPorto in Vicenza eine grandiose Ausstel-lung statt. Etwa 200 Originalzeichnun-gen, Gemälde, Fotos, Kunstgegenständeund Architekturmodelle fast aller seinerBauten dokumentierten eindrucksvolldas umfangreiche Lebenswerk eines derbedeutendsten europäischen Architek-ten. Zum gleichen Termin erschien auchdie deutsche Ausgabe des vom gta Verlagder ETH Zürich herausgegebenen Werksvon Werner Oechslin „Palladianismus.Andrea Palladio – Kontinuität von Werkund Werkung“. Im Gegensatz zur Vicen-tiner Ausstellung zeichnet Oechslin nichtakribisch Leben und Werk Palladiosnach, sondern legt den Schwerpunkt aufdessen Vorbildwirkung für die europäi-sche Architektur vom 16. Jahrhundertbis heute, denn „die Bedeutung und derRuhm Palladios gründen wesentlich aufseiner Nachahmung“. Die Grundlage fürdiesen über mehrere Jahrhunderte an-dauernden Ruhm bildeten weniger diein einem relativ kleinen Gebiet – Vene-dig und dem Veneto – errichtete Bauten,sondern ent scheidend war die mit vielenZeichnungen versehene PublikationPalladios: „I Quattro Libri Dell’Archi-tettura“, 1570 in Venedig erschienenenund immer wieder neu aufgelegt.
Auf der Grundlage einer eingehendenAnalyse der architektonischen Elementeim ersten Teil des Buchs, die als „palla-dianisch“ angesehen wurden und die dieAutorität Palladios begründeten, betrach-tet Werner Oechslin im zweiten Teil dieEinflüsse des Palladianismus auf die Ar-chitektur einzelner Länder: Deutschlandund Holland im 17. Jahrhundert, Frank-reich vom 17. bis 19. Jahrhundert, Eng-land vom 16. bis 18. Jahrhundert undzum Abschluss das Nachleben Palladiosin der modernen Architektur.
Großformatige Farbfotos der Bautenillustrieren die einzelnen Beispiele undAbbildungen bisher wenig bekannterZeichnungen, und Buchtitel belegen diepublizistische Beschäftigung mit demPalladianismus während der einzelnenJahrhunderte.
Doch die Verehrung Palladios fandihre Grenzen Ende des 18. Jahrhundertsmit der „Entdeckung“ Griechenlands
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Bautechnik 86 (2009), Heft 12
und dem Bekanntwerden der dortigenantiken Bauten – zumindest in Deutsch-land. Goethe, der auf seiner ItalienischenReise am 21. September 1786 in VicenzaStation machte, besuchte Palladios Bau-ten in der Stadt und auch die Villa Ro-tonda. Er war beeindruckt von der herr-lichen Lage auf einem Hügel außerhalbder Stadt, doch er kritisierte den luxu-riösen Grundriss mit vier Treppen undgroßen Vorhallen, denn „der Raum, dendie Treppen und Vorhallen einnehmen,ist viel größer als der des Hauses selbst;denn jede einzelne Seite würde als An-sicht eines Tempels befriedigen. Inwendigkann man es wohnbar, aber nicht wöhn-lich nennen. Der Saal ist von den schön -sten Proportionen, die Zimmer auch; aberzu den Bedürfnissen eines Sommerauf-enthalts einer vornehmen Familie wür-den sie kaum hinreichen.“ Fast vierzigJahre später, am 12. November 1824, be-suchte Karl Friedrich Schinkel Vicenza.Die Reisegesellschaft kam am Nachmit-tag an, besichtigte die wichtigsten Bau-ten Palladios, doch für einen Spaziergangzur Villa Rotonda reichte die Zeit nichtmehr. Bereits am nächsten Morgen gingdie Fahrt weiter nach Ve rona. Palladiozählte für Schinkel wohl zu den berühm-testen Baumeistern aller Zeiten und er-hielt seinen Platz auch auf einer der eiser -nen Türen der Berliner Bauakademie,doch hatte seine Architektur ihren di-rekten Vorbildcharakter verloren. Derpreußische Staat und die Bauherren ausdem Bürgertum hatten die Ziele der zeit -genössischen Architektur neu definiert.Der Luxus der Tempelgiebel, Säulen undhohen Räume hatte Zweckmäßigkeitund Ökonomie weichen müssen.
Doch diese großartige Publikationlässt noch etwas spüren vom Luxus derpalladianischen Villen. Man nimmt siein die Hand, blättert darin und ist begeis-tert von der Qualität der Abbildungenund erstaunt über das darin versammelteWissen. Und wenn man Lust bekommenhat, die zitierten Bücher im Original zulesen und eigene Entdeckun gen zu ma-chen, so ist dies möglich in der großarti-gen Bibliothek, die Werner Oechslin inEinsiedeln zusammengetragen hat. In-formationen hierzu findet man im Inter-net unter: www.bibliothek-oechslin.ch.
Hartwig Schmidt