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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung Author(s): Friedrich Klein Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 18, H. 2 (1957/58), pp. 236- 274 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40909206 . Accessed: 18/06/2014 04:17 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.2.32.109 on Wed, 18 Jun 2014 04:17:22 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung

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Bundesverfassungsgericht und EhegattenbesteuerungAuthor(s): Friedrich KleinSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 18, H. 2 (1957/58), pp. 236-274Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40909206 .

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung

von

Friedrich Klein

Durch Beschluß1 vom 17. Januar 1957 - 1 BvL 4/54, BVerfGE. 6, 55-84 2 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem Normenkontroll- verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.3 bzw. § 13 Ziff. II4 in Verbin- dung mit §§ 80 bis 82 BVerfGG.5 den § 26 des Einkommensteuergesetzes in

1 Da die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, ist sie nach § 25 Abs. 2 BVerfGG. ein „Beschluß" '. Ihre vielfach - vgl. etwa nur die Titel der hier in Fußnote 2 auf S. 237 in bezug genommenen Abhandlungen von Bühler, Felix (Nr. 2) und Mielke - anzutreffende Bezeichnung als Ehegattenbesteuerungs-,, Orteil" ist un- genau und unzutreffend. Mit Verwunderung stellt man fest, daß der Bundesminister der Finanzen in seinem offiziellen Publikationsorgan diesbezüglich „zweigleisig" fährt: In Bundessteuerblatt (BStBl.) 1957 Teil I S. 193 ist überschriftlich die Ent- scheidung zweimal als „Urteil" ausgewiesen, auf S. 201 daselbst dagegen sind „Leit- sätze zum Beschluß ..." abgedruckt! 2 Im folgenden wird hiernach zitiert. - Der Beschluß ist vollständig oder teil- weise auch abgedruckt in : BStBl. 1957 Teil I S. 193-202 ; Der Betriebs-Berater (BB.) 1957 S. 208-210; Deutsche Steuer-Rundschau (DStR.) 1957 S. 201-207 (mit Anm. von Lenski S. 205/6); Die öffentliche Verwaltung (DÖV.) 1957 S. 180-183; Ehe und Familie (FamRZ.) 1957 S. 82-86; Juristenzeitung (JZ.) 1957 S. 268-272 (mit Anm. von Bachof S. 272-274); Neue Juristische Wochenschrift (NJW.) 1957 S. 417-420; Wertpapier-Mitteilungen (WM.) Teil IV Β Nr. 10 vom 9. März 1957 S. 359-364. Vgl. auch: Der Steuerpraktiker 1957 S. 91 und Die Wirtschaftsprüfung 1957 S. 175; ferner Köhler : Zusammen Veranlagung von Ehegatten verfassungswidrig, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 1957 S. 97-99 (Bericht über die Gründe des bundesverfassungsgerichtlichen Beschlusses). 3 „Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungs- gerichtes einzuholen."

4 „Das ±$undesveriassungsgencht entscheidet m den vom (Grundgesetz be- stimmten Fällen, und zwar ... 11. über die Vereinbarkeit eines Bundesgesetzes oder eines Landesgesetzes mit dem Grundgesetz oder die Vereinbarkeit eines Landesgeset- zes oder sonstigen Landesrechts mit einem Bundesgesetz auf Antrag eines Gerichts (Artikel 100 Abs. 1 des Grundgesetzes)." 5 Diese Bestimmungen enthalten die näheren Einzelvorschriften über das Ver- fahren.

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der Fassung vom 17. Januar 1952 - EStG. 1951 - für nichtig erklärt1. Diese Entscheidung, zu der eine große Anzahl weit überwiegend steuerrechtlicher Stellungnahmen vorliegt2 und mit der ich mich unter verfassungsrechtlichem Blickpunkt anderwärts3 auseinandergesetzt habe, wirft zahlreiche rechts- theoretisch interessante und rechtspraktisch wichtige Verfahrens-, organi- sations-, Steuer- und verfassungsrechtliche Fragen auf, die hier zusammen- fassend dargestellt werden sollen. Dabei sollen steuerrechtspolitische Ge- sichtspunkte, insbesondere die Frage der optimalen Gestaltung der künftigen Ehegattenbesteuerung4, außer Betracht bleiben5.

I. Abschnitt

Übersicht über die Begründung des bundesverfassungsgerichtlichen Beschlusses

I. Die Gründe des Beschlusses sind in vier Abschnitte mit den Bezeich- nungen A, B, C und D aufgegliedert.

1. Im Abschnitt A geht das Bundesverfassungsgericht in einem nur zwei Sätze umfassenden ersten Absatz von § 1 Abs. 1 EStG. 1951, wonach „natür- liche Personen . . . einkommensteuerpflichtig" sind, aus und trifft schon im unmittelbar daran anschließenden zweiten Absatz die von ihm offenbar für entscheidend gehaltene Feststellung: „Von diesem Grundsatz der Individual- besteuerung macht - abgesehen von der Zusammenveranlagung des Haus- haltsvorstandes mit seinen Kindern, für die ihm Kinderermäßigung zusteht (§ 27) - nur § 26, die in diesem Verfahren zur Nachprüfung gestellte Vorschrift, eine Ausnahme" (S. 56).

Schon hier zu Eingang der Entscheidungsgründe wird also kurzerhand behauptet, daß das deutsche Einkommensteuerrecht von dem „Grundsatz der Individualbesteuerungi( beherrscht werde. Diese Formel „Grundsatz der Indi- vidualbesteuerung" findet sich insgesamt viermal in den Gründen des Be-

1 Die Entscheidungsformel, die gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG. durch den Bundesminister der Justiz in Bundesgesetzblatt (BGB1.) Teil I Nr. 6 vom 14. März 1957 veröffentlicht wurde, lautet: „§ 26 des EStG. i. d. F. vom 17. Januar 1952 - EStG. 1951 - (BGB1. 1 S. 33) ist nichtig." 2 Vgl. die umfangreiche Zusammenstellung der kaum mehr übersehbaren Ar- tikel, Aufsätze und Abhandlungen im Fachschrifttum, die ich in meiner in der näch- sten Fußnote genannten Abhandlung angeführt habe. 3 Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Ehegattenbesteuerung in verfassungsrechtlicher Sicht, DÖV. 1957 S. 567-578.

4 Darüber, daß die Ubergangsregelung für die Einkommensbesteuerung der Ehegatten zufolge des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGB1. 1 S. 848) auch und vor allem unter verfassungsrechtlichen Ge- sichtspunkten keine optimale Gestaltung der Ehegattenbesteuerung darstellt, vgl. meine Abhandlung : Die Problematik der Übergangsregelung für die Einkommens- besteuerung der Ehegatten in verfassungsrechtlicher Sicht, Steuer und Wirtschaft (StW.) 1957 Sp. 719-740. -Vgl. auch Wolkersdorf, Lorenz: Die Neuregelung der Ehe- gattenbesteuerung in der Bundesrepublik. Motive und Lösungsversuche, Finanz- archiv N. F. Bd. 16, 1957, S. 81-96, S. 89-91. 5 Vgl. statt dessen etwa Wolkersdorf a. a. O. S. 91-96.

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Schlusses (unter A Abs. 2 [S. 56], D I Abs. 1 [S. 67] und 2 [S. 67] sowie II 4 Abs. 1 [S. 77]), die sachlich entsprechende Formel „Prinzip der Individual- besteuerung" einmal (unter D I Abs. 7 [S. 69]) und die inhaltlich ebenfalls entsprechende Formel „Grundsatz der progressiven Individualbesteuerung" auch einmal (unter D I Abs. 8 [S. 70]) in den Gründen des Beschlusses.

2. In den Abschnitten Β und C der Gründe enthält der Beschluß tatsäch- liche und rechtliche Ausführungen, auf die hier nur hinsichtlich der letzteren einzugehen ist. Unter Β gibt das Bundesverfassungsgericht eine eingehende Darstellung des Sachverhalts, der dem betreffenden Steuerprozeß zugrunde lag, sowie des Sach- und Streitstandes im Prozeß ; unter C finden sich formell- verfahrensrechtliche Ausführungen, zu denen unten im II. Abschnitt Stellung genommen werden soll.

3. Der entscheidende Teil der Gründe des Beschlusses ist der Abschnitt D mit den materiellen verfassungs- und steuerrechtlichen Darlegungen. Dieser Abschnitt gliedert sich in die Unterabschnitte I, II und III, in denen im er- sten die grundlegenden Ausführungen zum Charakter der deutschen Ein- kommensteuer im allgemeinen und der Haushaltsbesteuerung im besonderen gemacht, im zweiten die verfassungsrechtlichen Fragen um Art. 6 Abs. 1 GG. (Schutz von Ehe und Familie) und auch Art. 3 GG. (Gleichheitssatz) erörtert und im dritten die Schlußfolgerung der Nichtigkeit des § 26 EStG. 1951 aus dem alleinigen Gesichtspunkt des Verstoßes dieser Vorschrift gegen Art. 6 Abs. 1 GG. gezogen werden.

II. Die demgemäß maßgebenden Gründe des Beschlusses, die in den Ab- schnitten C und D enthalten sind, lassen sich unter den folgenden Hauptge- sichtsfunkten erfassen und systematisieren :

1. Die formell- verfahrensrechtlichen Probleme. 2. Die materiellen verfassungs- und steuerrechtlichen Probleme :

a) Der Gegenstand der materiell- verfassungsrechtlichen Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht.

b) Die rechtliche Charakterisierung des Art. 6 Abs. 1 GG. c) Die Haushaltsbesteuerung als Widerspruch zu dem das Einkommen-

steuerrecht angeblich beherrschenden Grundsatz der Individual- besteuerung.

d) Die Widerlegung mehrerer Einwände gegen die Grundgesetz Widrig- keit der Zusammen Veranlagung von Ehegatten. aa) Die Möglichkeit der höheren steuerlichen Belastung von Ehegat-

ten wegen Einsparungen zufolge der Eheschließung. bb) Der sogenannte „Edukationseffekt". cc) Kein steuerliches Mehraufkommen für Kinderreiche aus unge-

setzlichen Steuern. dd) Die Unmaßgeblichkeit verwaltungstechnischer Erwägungen für

die Entscheidung. e) Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für die Entscheidung.

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II. Abschnitt

Die formell- verfahrensrechtlichen Probleme

Das Bundesverfassungsgericht behandelt unter C I und III der Gründe seines Beschlusses Probleme des sogenannten Vorlageverfahrens und die Zu- lässigkeit des finanzgerichtlichen Antrags an das Bundesverfassungsgericht.

I. Unter C I der Gründe (S. 61/62) befaßt sich der Beschluß mit zwei Problemen des sogenannten Vorlageverfahrens, die nicht nur für den Juristen und insbesondere den Verfassungsrechtler theoretisch interessant sind, son- dern auch erhebliche praktische Bedeutung haben.

1. Das erste der beiden Probleme betrifft den Vorlageweg nach der ur- sprünglichen Fassung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 (BGB1. 1 S. 243). Es kann nur im Hinblick auf den Sachverhalt des hier in Rede stehenden Steuerprozesses verstanden werden, der deshalb zunächst dargestellt werden muß.

a) Gegen ihre Zusammen Veranlagung für das Kalenderjahr 1951 gemäß § 26 EStG. 1951 durch Steuerbescheid des Finanzamts Deggendorf erhoben die Eheleute S. (ein Ruhestandsbeamter und eine Einzelhandels- Geschäfts- frau) in P. Einspruch. Das Finanzamt wies den Einspruch insoweit zurück. Dagegen legten die Eheleute S. Berufung an das Finanzgericht München ein. Der Vorsitzende der II. Kammer dieses Gerichts setzte durch Beschluß vom 21. Dezember 1953 - FG II 293/53 - „gemäß § 264 Abs. 2 RAO." 1 das Ver- fahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verein- barkeit des § 26 EStG. mit dem Grundgesetz aus. Die Kammer bestätigte diesen Beschluß durch Urteil vom 25. Februar 1954 und legte die Akten dem Bundesverfassungsgericht unmittelbar vor. Dieses gab zunächst dem Bun- desfinanzhof durch Übermittlung der Akten von der Vorlage Kenntnis. Dieser teilte dem Bundesverfassungsgericht mit, daß sein zuständiger IV. Senat die Grundgesetzgemäßheit des § 26 EStG. in ständiger Rechtsprechung anerkannt habe.

b) Die Übersendung der Akten durch das Finanzgericht München un- mittelbar an das Bundesverfassungsgericht geschah im Widerspruch zu § 80 Abs. 1 BVerfGG. in der Fassung vom 12. März 1951 (BGB1. I S. 243) 2; denn

1 § 264 AO.: „(1) Ist wegen einer gleichen oder ähnlichen Streitfrage eine Rechtsbeschwerde bei dem Bundesfinanzhof anhängig oder schwebt sonst vor einem Gericht oder vor einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren, dessen Ausgang von we- sentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die Berufung ist, so kann der Vor- sitzende des Finanzgerichts, sofern nicht wichtige Interessen der Beteiligten entge- genstehen, die Entscheidung über die Berufung aussetzen. (2) Der Aussetzungsbe- schluß ist unter Angabe der Gründe den Beteiligten bekanntzugeben. (3) Binnen zwei Wochen, von der Bekanntgabe des Aussetzungsbeschlusses ab gerechnet, kann jeder Beteiligte die Entscheidung des Finanzgerichts beantragen. Gegen die Ent- scheidung, die das Finanzgericht über die Aussetzung trifft, ist ein Rechtsmittel nicht gegeben." 2 „Sind die Voraussetzungen des Artikels 100 Abs. 1 des Grundgesetzes gege- ben, so holen die oberen Bundesgerichte unmittelbar, die übrigen Gerichte über das zuständige obere Bundesgericht, soweit es sich um Landesrecht handelt, über das zu- ständige oberste Gericht des Landes, die Entscheidung des Bundesverfassungsge- richts ein."

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danach hatten zwar die oberen Bundesgerichte unmittelbar, die übrigen Ge- richte - also auch das Finanzgericht München - jedoch über ihr jeweils zustän- diges oberes Bundesgericht - hier also den Bundesfinanzhof - die Entschei- dung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Demgemäß hätten die Akten dem Bundesverfassungsgericht über den Bundesfinanzhof vom Finanzgericht München vorgelegt werden müssen. In der Nichteinhaltung dieses Vorlage - weges lag ein Verfahrensmangel; dieser wurde aber nach der ständigen bun- desverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung dadurch geheilt, daß das Bun- desverfassungsgericht die Akten nachträglich dem Bundesfinanzhof zur Stellungnahme zuleitete1.

2. Das zweite auf das Vorlage verfahren bezügliche Problem betrifft die zwischenzeitliche Änderung des Vorlageweges zufolge der Änderung des § 80 BVerf GG. durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesver- fassungsgericht vom 21. Juli 1956 (BGB1. I S. 662) 2 und damit auch das all- gemeine Problem der Änderung des Verfahrensrechts während eines schwe- benden Verfahrens.

Obwohl nach Eingang des Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Mün- chen beim Bundesverfassungsgericht das Änderungsgesetz die Übermittlung gerichtlicher Vorlagebeschlüsse an sämtliche oberen Bundesgerichte3 ange- ordnet hat4, war es nach der Meinung des Bundesverfassungsgerichts unter C I Abs. 2 der Gründe seines Beschlusses (S. 61/62) nicht erforderlich, noch nachträglich außer dem Bundesfinanzhof auch den übrigen oberen Bundes- gerichten die finanzgerichtliche Vorlage zur Kenntnis zu bringen.

Die Begründung dafür lautet dahin : Nach allgemeinen Grundsätzen des Ver- fahrensrechts gälten zwar neue Verfahrensvorschriften auch für anhängige Verfahren ; diese würden in der Lage, in der sie sich beim Inkrafttreten der neuen Vorschriften befänden, von diesen ergriffen und nach ihnen weitergeführt5. Dies gelte jedoch nicht, soweit sich aus dem neuen Recht etwas anderes ergebe. Das sei hier der Fall; denn die Vorschrift über das Anhören sämtlicher oberen Bundesgerichte stehe im engen Zusammenhange mit der Neuregelung des Vorlageweges, der nunmehr un- mittelbar von dem vorlegenden Gericht an das Bundesverfassungsgericht führe. „Daraus folgt, daß die Vorschrift des § 80 Abs. 4 BVerf GG. nicht anzuwenden ist, wenn die Vorlage vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes dem Bundesverfassungs- gericht in einer Weise zugegangen ist, die den damaligen Verfahrensbestimmungen . genügte." β

1 Abschn. C I Abs. 1 der Gründe des Beschlusses (S. 61). Vgl. zur Heilung auf solche Art und Weise schon das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Fe- bruar 1953 - 1 BvL 21/51, BVerfGE. 2, 124-135, S. 127 = JZ. 1953 S. 224/25 (mit Anm. der Redaktion S. 225) = NJW. 1953 S. 497-499.

2 „(1) Sind die Voraussetzungen des Artikels 1UU Abs. 1 des Grundgesetzes ge- geben, so holen die Gerichte unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungs- gerichts ein ... (4) Das Bundesverfassungsgericht gibt den oberen Bundesgerich- ten Kenntnis von dem Vorlagebeschluß. Die oberen Bundesgerichte teilen dem Bun- desverfassungsgericht mit, wie und auf Grund welcher Erwägungen sie das Grund- gesetz in der streitigen Frage bisher ausgelegt haben, ob und wie sie die in ihrer Gül- tigkeit streitige Rechtsvorschrift in ihrer Rechtsprechung angewandt haben und welche damit zusammenhängenden Rechtsfragen zur Entscheidung anstehen ..."

3 Vgl. Art. 96 Abs. 1 und Art. 96 a Abs. 3 GG. 4 § 80 Abs. 4 BVerf GG. in der Neufassung. 5 Vgl. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27. September lyol -

1 BvR 61/51, BVerfGE. 1, 4/5, S. 4. 6 So auch der Leitsatz 1 des Beschlusses (S. 55).

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Die schwache Stelle x in dieser sonst schlüssigen Begründung ist der zweite Teil des letzten Satzes : Im vorliegenden Fall ist die finanzgerichtliche Vorlage dem Bundesverfassungsgericht gerade nicht in einer Weise zugegangen, ,,die den damaligen Verfahrensbestimmungen genügte"; es lag vielmehr insoweit ein Verfahrensmangel vor, der nur kraft einer Fiktion als geheilt zu gelten hat. Bedenken gegen die bundesverfassungsgerichtliche Formulierung, daß die un- mittelbare Vorlage der Akten an das Bundesverfassungsgericht durch das Fi- nanzgericht München ,,den damaligen Verfahrensbestimmungen genügte* ', ergeben sich daher in dreifacher Hinsicht : Erstens enthält das in Fußnote 1 auf S. 240 angeführte erste Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Fe- bruar 1953 - 1 BvL 21/51 zum „Heilungs" -Vorgang nur eine Behauptung, nicht aber eine Begründung2; zweitens ist diese Entscheidung nicht ohne weiteres eine „Verfahrensbestimmung" im Sinne der Formulierung des hier in Kede stehenden bundesverfassungsgerichtlichen Beschlusses; drittens ge- schah bzw. geschieht die ,, Heilung'

* zeitlich und schon begrifflich erst nach der Vorlage. Die - offene und vom Bundesverfassungsgericht nicht ausdrück- lich beantwortete - Frage ist die, ob seine Folgerung hinsichtlich der Nicht- anwendbar keit des § 80 Abs. 4 BVerf GG. (neue Fassung) 3 auch für diesen Fall gilt, was keineswegs selbstverständlich ist. Allerdings wird man diese Frage trotz der aufgezeigten theoretischen Bedenken aus praktischen Erwägungen bejahen dürfen und müssen, wenngleich es erwünscht und erf oderlich ge- wesen wäre, daß sich das Bundesverfassungsgericht auch mit diesem Problem auseinandergesetzt hätte.

II. Unter C III der Gründe seines Beschlusses (S. 62-66) prüft das Bun- desverfassungsgericht die Zulässigkeit des finanzgerichtlichen Antrags auf Normenkontrolle unter den beiden Gesichtspunkten, ob das Finanzgericht München ein „Gericht" im Sinne des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.4 ist (1) und ob es sich bei dem zur Nachprüfung gestellten § 26 EStG. 1951 um nachkon- stitutionelles Recht handelt (2).

1. Die II. Kammer des Finanzgerichts München war am 25. Februar 1954, dem Zeitpunkt, zu dem sie den Aussetzungsbeschluß ihres Vorsitzenden vom 21. Dezember 1953 durch Urteil bestätigte und die Akten dem Bundes- verfassungsgericht unmittelbar vorlegte5, mit dem Regierungsdirektor Dr. W. als Vorsitzendem, dem Regierungsrat W. als beamtetem Beisitzer und drei ehrenamtlichen Beisitzern besetzt. Diese Besetzung entspricht zwar formal dem § 2 Abs. 3 des Bayerischen Gesetzes zur Wiederherstellung der Finanz- gerichtsbarkeit vom 19. Mai 1948 (GVB1. S. 87) e, veranlaßte jedoch aus den

1 Sie ist von Bachof a. a. O. S. 273 unter Ziff. 1, der ohne eigene Begründung (auch) dem Leitsatz 1 und seiner Begründung „volle Zustimmung" erteilt, offenbar übersehen worden.

2 Vgl. BVerfGE. 2, 127. 3 Vgl. oben S. 240 Fußnote 2. 4 Vgl. oben S. 236 Fußnote 3. 5 Vgl. oben I I a. • „Die Kammern entscheiden in der Besetzung von 5 Mitgliedern, und zwar

wirken bei der Entscheidung mit 1 Beamter der Finanzverwaltung als Vorsitzender, 1 weiterer Beamter der Finanzverwaltung als beamteter Beisitzer (ständiges Mit- glied) und

3 ehrenamtliche Beisitzer. 16 Finanzarchiv Ν. F. 18. Heft 2

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nachstehend unter a) dargelegten Gründen das Bundesverfassungsgericht mit Becht zur Prüfung der Frage, ob das Finanzgericht München ein ,,ββ- richt" im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG. ist.

a) Nach § 2 Abs. 4 Satz 4 des vorstehend genannten bayerischen Ge- setzes1 können ,,die beamteten Beisitzer" der Finanzgerichtskammern vor- zeitig, d. h. praktisch jederzeit, abberufen werden, und in § 2 Abs. 3 daselbst2 sind der Vorsitzende und der beamtete Beisitzer (ständiges Mitglied) jeder Kammer als ,, Beamte der Finanz Verwaltung" bezeichnet. Daraus könnten sich - trotz der Benennung der bayerischen Finanzgerichte als „Gerichte" - Bedenken gegen den Charakter der Finanzgerichte Bayerns als „Gerichte" im Sinne des Grundgesetzes ergeben. Im Hinblick auf die angeführten gesetz- lichen Bestimmungen könnte es zweifelhaft sein, ob die Verfassungsgrund- sätze der Unabhängigkeit der Gerichte und der Trennung der Gewalten ge- wahrt sind, ob daher (der Weg zu den bayerischen Finanzgerichten der Rechts- weggarantie im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG. 3 genügt und ob) die bayerischen Finanzgerichte „Gerichte" im Sinne des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.3 sind.

b) Unter C III 1 Abs. 4 der Gründe seines Beschlusses (S. 63) geht das Bundesverfassungsgericht, um die vorstehend unter a) a. E. aufgeworfene Frage zu beantworten, von einem Vergleich des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG. 4 mit Art. 19 Abs. 4 GG.5 aus. Es stellt fest, daß der Begriff „Gericht" in Art. 19 Abs. 4 GG. und Art. 100 Abs. 1 GG. „verschiedene Bedeutung" habe, „weil beide Normen verschiedenen Zielen dienen". Die erstere Vorschrift habe die verfassungsrechtliche und -politische Aufgabe, den Rechtsschutz des Staatsbürgers zu gewährleisten; deshalb müsse bei der Antwort auf die Frage, ob ein Spruchkörper ein „Gericht" im Sinne dieser Vorschrift ist, ein strenger Maßstab angelegt werden8. Demgegenüber diene die zweite Vor- schrift „der Wahrung der Autorität des Gesetzgebers im Verhältnis zur Recht- sprechung und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu verfas- sungsrechtlichen Fragen"7. Daraus folgert das Bundesverfassungsgericht: „Dieses verfassungsrechtliche und -politische Ziel verlangt, daß die Befugnis und Verpflichtung zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG. sich auf alle Spruchstellen bezieht, die sachlich unabhängig, in einem formell gültigen Gesetz mit den Aufgaben eines Gerichts betraut und als Gerichte bezeichnet sind."8 Die Bestimmung in Art. 100 Abs. 1 GG., daß

Die Mitglieder der Finanzgerichte sind als solche unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen."

1 „Die beamteten Beisitzer können vorzeitig abberufen werden. z Vgl. oben ». 241 ΐ uünote ö. 3 „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so

steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben." 4 Vgl. oben S. 236 Fußnote 3.

5 Vgl. oben Fußnote 3. 6 Vgl. dazu von Mangoldt-Klein : Das Bonner Grundgesetz, 2. Autl. 1957, Bd. 1,

Anm. VII 2 c zu Art. 19, S. 570/71. 7 Vgl. die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1952 - 1 BvL 12, 15, 16, 24, 28/51, BVerfGE. 1, 184-201, S. 197-200 und vom 24. Februar 1953 - 1 BvL 21/51 (s. oben S. 240 Fußnote 1), BVerfGE. 2, 128-135. 8 So auch l^eitsatz 2 (». 55).

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nur „Gerichte" vorlageberechtigt sind, sei nicht dahin zu verstehen, daß hierunter nur Spruchkörper fielen, die „materiell als Gerichte im Sinne des Grundgesetzes" anzusehen seien und deren Spruchtätigkeit damit der Kechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.1 genüge.

c) Demgegenüber ist auf zweierlei hinzuweisen : Erstens besteht ein Bedenken gegen die bundesverfassungsgerichtliche

Auslegung des Begriffs „Gericht" in Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG. insoweit, als das Bundesverfassungsgericht mit dem Begriff des materiellen Gerichts ope- riert, weil es den Ausdruck Gericht im materiellen Sinne nicht mit dem Be- griff Rechtsprechung im materiellen Sinne koordiniert. Dieses Bedenken gilt für beide Hauptmethoden und -arten der verschiedenen Begriffsbestimmun- gen von Rechtsprechung im materiellen Sinne. Versteht man darunter mit der überwiegenden Meinung den verselbständigten Ausspruch dessen, was Recht ist, ohne Rücksicht auf die unabhängige, persönliche Rechtsstellung der Rechtsprecher, so ist das Finanzgericht München gerade nach den Ausführun- gen des Bundesverfassungsgerichts ein Gericht im materiellen Sinne. Bezieht man dagegen in den Begriff der Rechtsprechung im materiellen Sinne auch die unabhängige, persönliche Rechtsstellung der Rechtsprecher ein, so ist es nicht sinnvoll, von Spruchkörpern zu sprechen, „die materiell als Gerichte im Sinne des Grundgesetzes anzusehen sind". Denn einmal entbehrt jeder Be- griff der Rechtsprechung im materiellen Sinne der Festlegung in Rechtsvor- schriften, so daß zwar das Grundgesetz in bestimmten Artikeln den Begriff der Rechtsprechung im materiellen Sinne verwenden, aber nicht selbst einen sol- chen Begriff aufstellen könnte ; nur im letzteren Falle könnte man aber sinn- vollerweise von materiellen Gerichten „im Sinne des Grundgesetzes" spre- chen. Außerdem widerspricht sich das Bundesverfassungsgericht insoweit selbst, als es von materiellen Gerichten solche Spruchstellen abgrenzt, „die sachlich unabhängig, in einem formell gültigen Gesetz mit den Aufgaben eines Gerichts betraut und als Gerichte bezeichnet sind". Denn hier werden die Be- zeichnung eines Staatsorgans als Gericht und seine Betrauung mit den Auf- gaben eines Gerichts in einem formellen Gesetz, d. h. also dasjenige, was allein ein Staatsorgan zu einem „Gericht im Sinne dieses Gesetzes" machen kann, als Gegenbegriff zum Begriff des Gerichts im materiellen Sinne verwen- det.

Zweitens gibt es im Fachschrifttum in der hier zur Erörterung stehenden Frage auch eine andere Meinung als diejenige des Bundesverfassungsgerichts. So vertritt insbesondere Hans Lechner in seinem Kommentar zum Bundes- verfassungsgerichtsgesetz 2 die der bundesverfassungsgerichtlichen entgegen- gesetzte Auffassung, indem er ausführt: „Anrufende Stelle (sc. nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.) kann nur ein Gericht sein. Der Begriff des .Gerichts' ist mit dem in Art. 92 verwandten Begriff identisch. Er bedeutet also alle Organe der Rechtsprechung der Länder und des Bundes mit sachlicher und persönlicher ( !) Unabhängigkeit. Welche Gerichte, ist gleichgültig." Eine Auseinandersetzung mit dieser abweichenden Meinung, die ich in Übereinstimmung mit Bachof

1 Vgl. oben S. 242 Fußnote 3. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz, München und Berlin (Beck) 1954, Erl. 4

Abs. 1 zu §13 Ziff. 11, S. 109. 16*

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a. a. 0. S. 273 unter Ziff. 1 x allerdings nicht für richtig halte, der - wenn auch ohne eigene Begründung - (auch) dem Leitsatz 22 und seiner Begründung „volle Zustimmung" erteilt, vermißt man im Beschluß des Bundesverfas- sungsgerichts. Diese Auseinandersetzung wäre um so notwendiger gewesen, als der Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG. im IX. grundgesetzlichen Abschnitt über „Die Rechtsprechung" steht und dort in Art. 92 in Verbindung mit Art. 97 der Begriff des Gerichts im wesentlichen festgelegt ist, als nicht ohne weiteres einsichtig ist, weshalb der Begriff „Gericht" im Sinne des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG. nicht aus diesen Vorschriften gewonnen, sondern aus einer Ent- gegensetzung zum selben Ausdruck in einer an ganz anderer Stelle des Grund- gesetzes stehenden Bestimmung abgeleitet wird und als es fraglich erscheinen kann, ob demgegenüber das alleinige Abstellen auf die „Zielsetzung" der beiden miteinander verglichenen Bestimmungen in Art. 19 Abs. 4 und Art. 100 Abs. 1 GG. zur Begriffsbestimmung in der einen davon ausreicht.

Vom Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts aus ist es allerdings nicht zweifelhaft, daß die bayerischen Finanzgerichte „Gerichte" in dem von ihm zugrunde gelegten Sinne des Begriffs „Gericht" gemäß Art. 100 Abs. 1 GG. sind. Demgemäß war die II. Kammer des Finanzgerichts München in ihrer damaligen Besetzung vorlageberechtigt3.

2. Unter C III 2 der Gründe seines Beschlusses (S. 64-66) verneint das Bundesverfassungsgericht die Eigenschaft des zur Nachprüfung gestellten § 26 EStG. 1951 als vorkonstitutionelles Recht und unterstellt damit diese Bestim- mung seiner ausschließlichen Prüfungszuständigkeit und „Verwerfungskom- petenz".

a) Die tragenden Sätze seiner einschlägigen Überlegungen lauten: „Ob- wohl § 26 EStG. in dem Wortlaut, wie er hier am Grundgesetz gemessen wer- den soll, bereits seit 1939 geltendes Recht ist, stellt er doch kein vorkonstitu- tionelles Recht dar, weil der Bundesgesetzgeber die Frage der Beibehaltung einer Zusammenveranlagung von Ehegatten im Zusammenhang mit der Be- ratung von Einkommensteuer-Änderungsgesetzen wiederholt erörtert und be- jaht hat . . . Dieser Gedanke (sc. die Verneinung einer Prüfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für vorkonstitutionelle Rechtsnormen aus der Beschränkung seiner Aufgabe nur darauf ,zu verhüten, daß jedes einzelne Ge- richt sich über den Willen des Bundes- oder Landesgesetzgebers hinwegsetze,

1 So wohl auch Vangerow in einer Erläuterung zum Beschluß in StW. 1957 Sp. 259-270, Sp. 270. _- - - -· · ■■■■■ ^v ■ *-v & /"Ν *"^ Λ /"Χ 2 Vgl. oben zu und in .b'utfnote 8 aul 8. Z4Z.

- - . . -- ·>. . · -ι . t -m «- · 11 TTfc · ι ΤΓΤ /» a Dieses .Ergebnis entspncnt der Meinung aucn aes .Dayenscnen vercassungs- gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 26. November 1954 - Vf. 40-V-53 (Verf- GHE. N. F. Bd. 7 [1954] Teil II, Nr. 14, S. 107-113, S. 110), in der dieser auf die Vorlage eines Finanzgerichts hin den § 2 Abs. 4 Satz 4 des Bayerischen Gesetzes (vgl. oben unter a) für verfassungswidrig erklärte. Der Gerichtshof hatte die Zulässigkeit der Vorlage nach Art. 92 der Bayerischen Verfassung zu prüfen, der zur Anrufung des Gerichtshofs nur einen „Richter" verpflichtet, welcher ein Gesetz für verfas- sungswidrig hält. Der Gerichtshof bejahte die Zulässigkeit der Vorlage mit der Be- gründung, daß es für die Frage der Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 92 der Baye- rischen Verfassung genüge, „wenn der vorlegenden Behörde in der für sie geltenden gesetzlichen Regelung die Eigenschaft eines Gerichtes zuerkannt ist, ohne daß zu prüfen wäre, ob diese Regelung insoweit der Verfassung entspricht oder nicht".

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 245

indem es die von ihm beschlossenen Gesetze nicht anwendet, weil sie nach der Auffassung des betreifenden Gerichts gegen das Grundgesetz oder die bundes- staatliche Rangordnung von Bundes- und Landesrecht verstoßen') x rechtfer- tigt es jedenfalls dann nicht, die unverändert gebliebenen Bestimmungen eines nach Verkündung des Grundgesetzes im übrigen geänderten Gesetzes als vorkonstitutionelles Recht zu behandeln, wenn der an das Grundgesetz gebundene Gesetzgeber, hier der Bundesgesetzgeber, auch jene Bestimmun- gen in seinen Willen aufgenommen hat."2 Im vorliegenden Fall ergebe sich „die Willensentscheidung des Bundesgesetzgebers daraus, daß § 26 EStG. im Gesetzgebungsverfahren eingehend erörtert und - jedenfalls bei der Beratung des Änderungsgesetzes vom 27. Juni 1951 - eine Änderung ausdrücklich abge- lehnt worden" sei; der Bundesgesetzgeber habe § 26 EStG. „ausdrücklich in seiner Geltung bestätigt, so daß die Vorschrift, ebenso wie eine neu erlassene Bestimmung, der ausschließlichen Verwerfungskompetenz des Bundesver- fassungsgerichts unterliegt"3.

b) Bis zum Ehegattenbesteuerungs- Beschluß des Bundesverfassungs- gerichts vom 17. Januar 1957 wurde vielfach angenommen, daß § 26 EStG. 1951 mindestens bis Ende des Jahres 1954 den Charakter einer vorkonstitu- tionellen Rechtsnorm habe und deshalb der Normenkontrolle durch das Bun- desverfassungsgericht nicht unterliege. Insoweit wurde nicht mit Unrecht er- wogen :

Das Einkommensteuergesetz als Ganzes wurde im Wege der Bundesgesetzge- bung überhaupt noch nicht neu „erlassen", d. h. auf dem grundgesetzlich (vgl. Art. 76 bis 78 GG.) vorgeschriebenen Gesetzgebungswege beschlossen und gemäß Art. 82 Abs. 1 GG. verkündet4, sondern es ergingen nur verschiedene Bundesgesetze über einzelne Änderungen des Einkommensteuergesetzes, und es wurden vom Bundesmini- ster der Finanzen auf Grund einer ihm erteilten Ermächtigung, den Wortlaut des Einkommensteuergesetzes und der dazu erlassenen Durchführungsverordnung in der jeweils geltenden Fassung mit neuem Datum, unter neuer Überschrift und in neuer Paragraphenfolge bekanntzumachen und dabei Unstimmigkeiten des Wortlauts zu beseitigen 5, verschiedentlich textliche Neufassungen des Gesetzes bekanntgemacht ; die letzte Neufassung ist vom 21. Dezember 1954 datiert und im BGB1. 1 S. 441 vom Bundesminister der Finanzen bekanntgemacht worden. Es handelt sich bei solchen ministeriellen Bekanntmachungen um rein textliche Neufassungen, nicht um einen regelrechten Akt sachlich-inhaltlicher Rechtsetzung; denn diese ist vom Grundge- setz für Gesetze (Art. 76 bis 78 mit 82) und Rechtsverordnungen (Art. 80 mit 82) ge- nau geregelt, und es liegt insoweit auch keine „Verkündung4' (Art. 82 GG.), sondern nur eine „Bekanntmachung" vor. Ein Setzen von Rechtsnormen durch einen Bun- desminister auf Grund einer Ermächtigung wie der vorstehend angeführten, zumal auch noch ohne Mitwirkung des Bundesrates, die im vorliegenden Fall eine Zustim- mung desselben sein muß (vgl. Art. 105 Abs. 3 GG.), ist schlechterdings ausge- schlossen ; sie ist bisher wohl auch von keiner Seite ausdrücklich behauptet oder stillschweigend angenommen worden. „Derartige Neufassungen stellen lediglich eine

1 Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1953 - 1 BvL 21/51 (s. oben S. 240 Fußnote 1), BVerfGE. 2, 129. z Abschn. (J 111 2 Abs. 1 und ό (S. Ö4/Ö5); so auch Leitsatz ά (S. 55; vgl. unten S. 248 Fußnote 1). 3 Abschn. C III 2 Abs. 4 und 7 (S. 65 und 66). 4 Wobei hier vom „Erstreckungsgesetz" vom 29. April 1950 (BGB1. S. 95) ab- gesehen werden kann.

5 Vgl. § 51 Abs. 2 EStG. 1957.

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246 Friedrich Klein

für die Zwecke der praktischen Handhabung geschaffene Gebrauchsfassung dar, deren Unrichtigkeit unter Bezugnahme auf die ordnungsmäßig verkündeten Rechts- normen jederzeit geltend gemacht werden kann." x Von „seit der Verkündung des Grundgesetzes erlassenen Einkommensteuergesetzen" kann also nicht gesprochen werden; solche gibt es nicht2. Der § 26 EStG. wurde durch die verschiedenen Bun- des-Änderungsgesetze zum Einkommensteuergesetz nur insoweit berührt, als - und zwar unter unveränderter Beibehaltung des bisherigen Wortlauts des § 26 als Ab- sätze 1 und 2 - durch Art. I Nr. 27 des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern (Steuerneuordnungsgesetz) vom 16. Dezember 1954 (BGB1. 1 S. 373) dem § 26 zwei neue Absätze (3 und 4) angefügt wurden und ferner durch Art. I Nr. 8 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 5. Oktober 1956 (BGB1. 1 S. 781) der Satz 2 des neuen Abs. 3 wieder gestrichen und gleichzeitig ein neuer Abs. 5 angefügt wurde.

Es ist demnach festzustellen :

1. § 26 EStG. 1951, der seit dem Inkrafttreten des Steuerneuordnungs- gesetzes 1954 die beiden ersten Absätze des (nunmehrigen) § 26 EStG. dar- stellt, wurde vom Bundesgesetzgeber weder vor noch nach der Bekannt- machung des Einkommensteuergesetzes 1951 neu „erlassen".

2. § 26 EStG. 1951 wurde seinem Wortlaut nach auch durch die verschie- denen Änderungsgesetze zum Einkommensteuergesetz nicht berührt, sondern nur ergänzt.

c) Gleichwohl sieht das Bundesverfassungsgericht den § 26 EStG. 1951, und zwar mit neuen rechtlichen Gedankengängen, als nachkonstitutionelles Recht an.

Nach dem Leitsatz des bundesverfassungsgerichtlichen Urteils vom 24. Februar 1953 - 1 BvL 21/51 3 unterliegen der Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht „nicht solche Gesetze, die vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, dem 24. Mai 1949, verkündet worden sind" ; nach den ein- schlägigen Feststellungen in den Gründen dieser Entscheidung hat das Bun- desverfassungsgericht „Gesetze, die vordem Inkrafttreten des Grundgesetzes verkündet worden sind, auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz in einem Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG. nicht nachzuprüfen"4, und sind vorkon- stitutionell „jedenfalls alle Gesetze, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes, also vor dem 24. Mai 1949, verkündet worden sind"5.

Mit dieser Auffassung ist der weitere einschlägige Beschluß des Bundesverfas- sungsgerichts vom 11. November 1953 - IBvL 67/52* unschwer zu vereinbaren. Dort hatte es die Frage zu entscheiden, ob § 38 Abs. 3 des Wahlgesetzes für die Ge- meinde- und Kreisvertretungen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahl- gesetz) in der sachlich nicht unerheblich geänderten Fassung des Gesetzes zur Än- derung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 3. Februar 1951 (GVB1. S. 23) 7

1 Jung : Neues Einkommensteuerrecht. A) Die Nichtigkeit von Vorschriften über die Ehegattenbesteuerung, WM. Teil IV Β Nr. 10 vom 9. März 1957 S. 346-356, S. 351.

2 Ebenso Jung, ebenda. 3 S. oben S. 240 Fußnote 1. 4 BVerfGE. 2, 128. 5 BVerfGE. 2, 135. « BVerfGE. 3, 45-52 (S. 48) = JZ. 1954 S. 52/53 = NJW. 1954 S. 1909 = DOV.

1953 S. 763-765 = DVB1. 1954 S. 203 (Nr. 68; nur Leitsätze). 7 Vgl. die Bekanntmachung über die JNeutassung des Uesetzes in uvjbi. lyoi S. 31.

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 247

gültig ist; es hat diese Frage mit der folgenden Begründung zutreffend verneint: „Die zu prüfende Norm ist erst nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes Gesetz geworden, so daß das Bundesverfassungsgericht auf die Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG. zur materiellen Entscheidung berufen ist. - Zwar ist das Gemeinde- und Kreis- wahlgesetz in seiner ursprünglichen Form bereits am 15. 6. 1948 (GVB1. S. 102) aus- gefertigt worden. Die neue Fassung des § 38 Abs. 3 GKWG. beruht aber ausschließ- lich auf dem Änderungsgesetz vom 3. 2. 1951 (GVB1. S. 23)."

Der Ehegattenbesteuerungs-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 geht über jene Stellungnahme zum Problem des nach- konstitutionellen Rechts insofern hinaus, als es sich bei § 26 EStG. 1951 um eine sowohl dem Inhalt als auch dem Wortlaut nach unverändert gebliebene, bei § 38 Abs. 3 GKWG. dagegen um eine inhaltlich und textlich neugefaßte Bestimmung handelt. Entscheidend, aber auch ausreichend dafür, daß eine Rechtsnorm nachkonstitutionelles Recht darstellt, ist nach der nunmehrigen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht unbedingt die Tatsache, daß sie selbst nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes geändert bzw. neugefaßt, sondern von dem an das Grundgesetz gebundenen einfachen Gesetzgeber,, in seinen Willen aufgenommen'

' worden ist. Als Maßstab dafür, ob das der Fall ist, werden vom Bundesverfassungsgericht unter C III 2 Abs. 4 der Gründe seines Beschlusses (S. 65/66) das eingehende Erörtern und das ausdrückliche Ablehnen einer Änderung der betreffenden Rechtsnorm im Gesetzgebungsver- fahren, unter C III 2 letzter Absatz daselbst (S. 66) das ausdrücklich-in-ihrer- Geltung-Bestätigen durch den (einfachen Bundes-) Gesetzgeber angesehen.

d) Die nunmehrige Meinung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage vor- oder nachkonstitutionelles Recht als Gegenstand des bundesverfassungs- gerichtlichen Normenkontrollverfahrens ist von noch nicht zu übersehender Tragweite. Zahlreiche Rechtsnormen, insbesondere auf steuerlichem Gebiet, sind nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes weder textlich neugefaßt noch inhaltlich geändert, sondern nur vom einfachen Bundesgesetzgeber ir- gendwie „in ihrer Geltung bestätigt" worden und unterliegen damit mög- licherweise der ausschließlichen Verwerfungskompetenz des Bundesverfas- sungsgerichts. Insoweit ergibt sich das tiefgreifende Problem, auf das Van- gerow a. a. 0. Sp. 261 mit Recht hingewiesen und das er zutreffend so um- schrieben hat: Die neue These des Bundesverfassungsgerichts „wird aber kaum auf die Fälle beschränkt bleiben können, in denen die gesetzgeben- den Instanzen bei Beratung eines partiellen Änderungsgesetzes, vielleicht mehr oder weniger zufällig, positiv über eine im Ergebnis nicht abgeänderte alte Bestimmung gestritten, also irgendwie Worte gewechselt haben. Denn auch dann, und vielleicht gerade dann, wenn sie sich über die Brauchbarkeit einer alten Bestimmung von vornherein klar waren, haben sie diese doch auch , bestätigt' "; es sei „jedenfalls zweifelhaft, ob man eine debattelose Beibe- haltung so wesentlich anders werten dürfe als eine debattierte, wie es anschei- nend das Bundesverfassungsgericht will".

Praktisch spitzt sich hier die Frage dahin zu, ob ein ausdrückliches „Be- stätigen" - entsprechend der Formulierung des Bundesverfassungsgerichts mit Bezug auf den vorliegenden Fall in Abschn. C III 2 letzter Absatz der Gründe seines Beschlusses (S. 66) - verlangt werden muß, oder ob ein „schlichtes" Bestätigen - im Sinne der allgemeinen Formulierung des Bun-

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248 Friedrich Klein

desverfassungsgerichts über die Aufnahme formell unveränderter Bestim- mungen in den Willen des an das Grundgesetz gebundenen (einfachen Bun- des-) Gesetzgebers in Abschn. C III 2 Abs. 3 daselbst (S. 65) und der hieran geknüpften Überlegungen Vangerows - genügt. In jenem Falle werden sich mit Sicherheit Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen ausdrücklichem und nicht ausdrücklichem Bestätigen ergeben, in diesem drohen die Schranken einzustürzen, die das Bundesverfassungsgericht selbst in seiner früheren Rechtsprechung der von ihm in Anspruch genommenen ausschließlichen Ver- werfungskompetenz gezogen hat. Entgegen Bachof a. a. 0. S. 273 unter Ziff. 1, der ohne ein Wort der Rechtfertigung für seine Meinung (auch und beson- ders) dem Leitsatz 3 des bundesverfassungsgerichtlichen Beschlusses1 und seiner Begründung „volle Zustimmung" zollt, müssen daher Bedenken gegen die nunmehrige Ausdehnung der Prüfungskompetenz des Bundesverfassungs- gerichts im Normenkontrollverfahren angemeldet werden 2.

Vor allem enthalten die einschlägigen Ausführungen des Bundesver- fassungsgerichts insofern einen methodischen Bruch, als es „formale" und „materiale" Gesichtspunkte nicht folgerichtig behandelt, sondern mitein- einander vermengt: Es verläßt zwar das Kriterium des formalen Gesetzes- beschlusses, stellt aber an seiner Stelle nicht klar das - freilich äußerst frag- würdige - Kriterium der materialen Billigung auf, sondern hält die formalen Gesichtspunkte des Ablehnens formeller Anträge sowie des Abhaltens for- meller Debatten und sonstiger Erörterungen vermischt mit den materialen Gesichtspunkten der „Bestätigung" im Sinne einer „Aufnahme in den Willen des Gesetzgebers" für entscheidend, so daß aus seinem Beschluß keinerlei diesbezügliche Abgrenzungsmöglichkeiten mehr erkennbar werden.

Nimmt man die durchaus problematische Einschränkung der ausschließ- lichen Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts auf „nach-

1 „Die unverändert gebliebene Norm eines nach Verkündung des Grundgesetzes im übrigen geänderten Gesetzes kann dann nicht als vorkonstitutionelles Recht im Sinne der Entscheidung vom 24. Februar 1953 (BVerfGE. 2, 124 [128 ff.]) angesehen werden, wenn ein an das Grundgesetz gebundener Gesetzgeber auch jene Bestim- mung in seinen Willen aufgenommen hat" (S. 55). 2 Vgl. m diesem Sinne Jung a. a. <J. ö. 352: „die Ue weist unrung mit ihrer An- nahme der , Gesetzesbestätigung' durch den Bundesgesetzgeber recht gewagt" ; vgl. auch Bubenzer: Zur Überprüfung des Steuerrechts durch das Bundesverfassungsge- richt. Der Beschluß vom 17. Januar 1957 - 1 BvL 4/54 betr. § 26 EStG. 1951, Rechts- und Wirtschaftspraxis (RWP.) Lieferung 330 vom 10. Mai 1957 S. 27-34 (14 Steuer- R D Allgemein, Einzelfragen 71), S. 34: „Die Überlegungen, die der Senat anstellt, um zu prüfen, ob es sich etwa um vorkonstitutionelles Recht handelt . . . und die Feststellung, daß § 26 EStG. ebenso wie eine neu ergangene Bestimmung, der aus- schließlichen »Verwerfungs* -Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts unterliegt, bedeuten, daß § 26 EStG. im praktischen Ergebnis unberührt weiterhin bestehen würde, wenn seine (gleich gebliebene) Fassung nicht die Unterschriften der Organe des Rechtsstaates, sondern noch (allein) diejenigen der NS-Organe tragen würde. Formal-juristisch mag diese Feststellung des Senats hingenommen werden müssen. Sie gibt aber zu denken Anlaß." Vgl. schließlich die Spezialabhandlung von Sievers: Das Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG. bei geänderten vorkonstitu- tionellen Gesetzen, Deutsche Richterzeitung 1957 S. 78-80, der unter kritischer Würdigung der bundesverfassungsgerichtlichen Meinung eine eigene Lösung zu er- arbeiten sucht, mit der er allerdings dem Bundesverfassungsgericht im Ergebnis zu- stimmt.

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 249

konstitutionelles Recht" überhaupt hin, so muß doch das Abstellen auf eine rein materiale Billigung, „Bestätigung" oder „Aufnahme in den Willen des Gesetzgebers" wegen der von Yanger ow aufgezeigten untragbaren Folgen ab- gelehnt werden. Damit ist aber nicht gesagt, daß als Kriterium der Abgren- zung von vor konstitutionellem und nachkonstitutionellem Recht nur der Zeitpunkt in Betracht kommt, zu dem die betreffende Rechtsnorm im Rah- men des formalen Gesetzgebungsverfahrens formell verkündet wurde bzw. wird. Wäre hiergegen schon unter allgemeinen Gesichtspunkten der Kausali- tät zu erwägen, daß Rechtsnormen nicht nur deswegen gelten, weil sie zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt, sondern auch deswegen, weil sie danach nicht aufgehoben oder geändert wurden, so kommt es unter der hier ange- nommenen Voraussetzung, überhaupt zwischen vorkonstitutionellem und nachkonstitutionellem Recht zu unterscheiden und diese Unterscheidung mit dem Bundesverfassungsgericht mit dem Schütze nur des gegenwärtigen Gesetzgebers vor der Normenkontrolle auch durch alle Mittel- und Unterge- richte zu begründen, darauf an, wie sich insoweit der formale Gesetzesbe- schluß und der formale Beschluß zur Nichtaufhebung oder Nichtänderung eines Gesetzes, jeweils durch den gegenwärtigen Gesetzgeber, zueinander ver- halten.

Unter der angenommenen Voraussetzung wird man dem Gleichsetzen der beiden Beschlußarten durch das Bundesverfassungsgericht zustimmen dürfen und müssen, mögen sich auch das rechtslogische Bewußtsein und das entspre- chende Empfinden noch so sehr dagegen sträuben. Außer der vom Bundes- verfassungsgericht bemühten Autorität des Gesetzgebers spricht dafür vor allem das unabweisbare Bedürfnis nach einheitlicher Ausübung der verfas- sungsrechtlichen Verwerfungskompetenz. Mit diesem Hinweis geraten aller- dings der Boden der ganzen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und damit seine Unterscheidung von vorkonstitutionellem und nachkonsti- tutionellem Recht ins Wanken, und sichtbar wird seine Hand am Zopfe der „Aufnahme in den Willen des Gesetzgebers", um sich aus dem Sumpfe des Unbehagens über seine eigene einschlägige Rechtsprechung herauszuziehen, die zur Rechtszersplitterung und (oder) zu verfassungsfremdem Traditiona- lismus unterer und oberer Gerichte führt.

III. Abschnitt

Die materiellen verfassungs- und steuerrechtlichen Probleme

A. Der Gegenstand der materiell-verfassungsrechtlichen Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht

An die Spitze seiner materiell-verfassungsrechtlichen und steuerrecht- lichen Untersuchungen in Abschnitt D der Gründe seines Beschlusses stellt das Bundesverfassungsgericht unter I Abs. 1 (S. 66/67) die folgenden Ausfüh- rungen :

„Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung ist nicht die Frage, ob abstrakt die Zusammenveranlagung mehrerer Personen überhaupt oder der

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250 Friedrich Klein

Ehegatten im besonderen mit dem Grundgesetz vereinbar ist; sondern es handelt sich darum, ob die Zusammenveranlagung von Ehegatten im Rahmen des Einkommensteuergesetzes 1951, das auf der progressiven Besteuerung des einzelnen Steuerpflichtigen beruht, verfassungswidrig ist. Es könnte ver- fassungsrechtlich unbedenklich sein, der Besteuerung statt des Einkommens einer einzelnen Person die Summe der Einkünfte mehrerer, in Haushalts- gemeinschaft lebender Personen zugrunde zu legen, sei es, daß man überhaupt das Prinzip der Haushaltsbesteuerung wählt, sei es, daß man - bei Aufrecht- erhaltung des Grundsatzes der Individualbesteuerung - einen Proportional- tarif einführt. Hier ist entscheidend die Tatsache, daß Ehegatten durch die Zusammen Veranlagung angesichts des auf die Leistungsfähigkeit des Einzel- nen hin angelegten progressiven Steuertarifs im wirtschaftlichen Ergebnis schlechter gestellt werden als andere Personen - wobei noch die an die Zusammenveranlagung anknüpfende gesamtschuldnerische Haftung hinzu- kommt (§ 7 Abs. 2 und 3 des Steueranpassungsgesetzes in der Fassung vom 1. Dezember 1936 - RGB1. 1 S. 961 [977] - )."

Festzuhalten aus diesen Darlegungen sind für die weiteren Untersuchun- gen des bundesverfassungsgerichtlichen Beschlusses insbesondere die drei folgenden axiomatischen Sätze :

1. Das Einkommensteuergesetz 1951 beruht auf der progressiven Be- steiterung des einzelnen Steuerpflichtigen.

2. Das deutsche Einkommensteuerrecht wird von dem „Grundsatz der Individualbesteuerung'

' beherrscht. 3. Ehegatten, d. h. alle Ehegatten, Ehegatten schlechthin, werden durch

die Zusammenveranlagung angesichts des auf die Leistungsfähigkeit des ein- zelnen hin angelegten progressiven Steuertarifs im wirtschaftlichen Ergebnis schlechter gestellt als andere Personen.

Alle drei Sätze sind fragwürdig oder gar unrichtig. Zu 1. Die Meinung, daß das deutsche Einkommensteuergesetz 1951 eben-

so wie die deutschen Einkommensteuergesetze vorher und nachher auf der progressiven Besteuerung des einzelnen Steuerpflichtigen beruhten, wird ins- besondere von Armin Spitaler1 bestritten, der insoweit geltend macht: ,,Das Einkommensteuergesetz beruht . . . auf der Besteuerung von Wirtschaftsein- heiten, nicht von Einzelpersonen. Wohl ist der Gedanke der Besteuerung nach Wirtschaftseinheiten im Einkommensteuerrecht nicht folgerichtig durchge- führt, allein er besteht und ist in der Rechtsprechung als solcher auch aner- kannt worden/'

Zu 2. Es trifft nicht zu, daß das deutsche Einkommensteuerrecht vom „Grundsatz der Individualbesteuerung" beherrscht wird2.

Zu 3. Es ist nicht richtig, daß alle Ehegatten durch die Zusammenver- anlagung im wirtschaftlichen Ergebnis immer schlechter gestellt werden als andere Personen, wie etwa die Möglichkeit des Ausgleichs von Verlusten des einen Ehegatten mit Einkünften des anderen Ehegatten im Falle ihrer Zu- sammenveranlagung beweist.

1 Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes zur Ehegattenbesteuerung, BB. 1957 S. 268-270, S. 268. 2 Vgl. darüber unten C II.

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 251

B. Die rechtliche Charakterisierung des Art. 6 Abs. 1 GG.

I. Die beiden materiell entscheidenden Sätze der Gründe des Beschlusses lauten: „Eine solche (sc. mit der Zusammenveranlagung von Ehegatten ver- bundene), an die Eheschließung anknüpfende steuerliche Mehrbelastung der Ehegatten, wie sie auch § 26 EStG. 1951 herbeiführt, ist mit Art. 6 Abs. 1 GG. unvereinbar"1, und: „Aus all dem folgt, daß § 26 EStG. 1951 eine benach- teiligende Ausnahme Vorschrift gegen Verheiratete bildet und damit zu Lasten der Ehe gegen die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG.2 verstößt"3. In diesen beiden Sätzen wird ausdrücklich - ebenso wie im gesamten Beschluß überhaupt4 - als jeweils einzige, die Entscheidung tragende Bestimmung der Art. β Abs. 1 GG. angeführt', zu seiner Bedeutung und seinem Kechtscharakter nimmt der Beschluß eingehend Stellung.

II. Zur Bedeutung und zum Rechtscharakter des Art. 6 Abs. 1 GG. stellt das Bundesverfassungsgericht unter D II 2 der Gründe seines Beschlusses (S. 71-76) fest, daß die Bestimmung mehrere miteinander verbundene und ineinander übergehende Funktionen erfülle, indem sie erstens ein „Bekennt- nis" zu Ehe und Familie5 enthalte, zweitens als „ Instituts- oder Einrichtungs- garantie"0 wirke und darüber hinaus drittens zugleich eine „Grundsatznorm" darstelle.

1. Im einzelnen bemerkt das Bundesverfassungsgericht zu seiner ersten Qualifizierung des Art. 6 Abs. 1 GG. als Bekenntnis: In Abkehr von der All- staatlichkeit des Nationalsozialismus bekenne sich das Grundgesetz auch für den Bereich von Ehe und Familie zur Eigenständigkeit und Verantwortlich- keit des Menschen ; zur zweiten Qualifizierung der Bestimmung als sogenannte Instituts- oder Einrichtungsgarantie: Das grundgesetzliche Bekenntnis zu Ehe und Familie umschließe zugleich die verfassungsrechtliche Gewährlei- stung beider Lebensordnungen und damit also das, was in der Staatsrechts- wissenschaft Instituts- oder Einrichtungsgarantie genannt werde 7 ; zur drit-

1 Abschn. D II vor Ziff. 1 (S. 70). 2 „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schütze der staatlichen Ord- nung." 3 Abschn. D II 5 Abs. 1 (S. 82). 4 Vgl. außer den beiden oben im Text wiedergegebenen Sätzen insbesondere noch die folgenden Stellen in den Gründen des Beschlusses: „Da § 26 EStG. 1951 an den Tatbestand der ,Ehe' anknüpft, ist seine Verfassungsmäßigkeit in erster Linie an Art. 6 Abs. 1 GG. zu messen" (Abschn. D II 1 Abs. 2 a. E.; S. 71) und „Es bedarf . . . keiner Prüfung, ob § 26 EStG. 1951 auch unter anderen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, insbesondere wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG., verfassungswidrig ist" (Abschn. D II 5 Abs. 2; S. 82). 5 „Zur .Eigenständigkeit und Selbstverantworthchkeit des Menschen auch für die „spezifische Privatsphäre von Ehe und Familie" (Abschn. D II 2 Abs. 2; S. 71), „zur Freiheit der spezifischen Privatsphäre für Ehe und Familie" (Abschn. D II 4 Abs. 9; S. 81). • Im Sinne der verfassungsrechtlichen „Gewährleistung beider Lebensordnun- gen" als eines „Normenkerns des Ehe- und Familienrechts" (Abschn. D II 2 Abs. 3; S. 72). 7 Insoweit wörtlich: „In dieser Eigenschaft sichert er Ehe und Familie lediglich in ihrer wesentlichen Struktur, so daß insoweit seine juristische Wirkungskraft in der Rechtswirklichkeit nur darin besteht, einen Normenkern des Ehe- und Familien- rechts verfassungsrechtlich zu gewährleisten" (Abschn. D II 2 Abs. 3; S. 72).

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252 Friedrich Klein

ten Qualifizierung als Grundsatznorm: Über den Bekenntnis- Gehalt und die Einrichtungsgarantie hinaus stelle der Art. 6 Abs. 1 GG. zugleich eine ver- bindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts dar.

Daß Art. 6 Abs. 1 GG. über seinen Charakter als Bekenntnis und Ein- richtungsgarantie hinaus eine „wertentscheidende Grundsatznorm'''1, eine „Grundsatznorm für das gesamte, Ehe und Familie betreffende Kecht" 2 ent- hält, ist sachlich richtig3; die Formulierung „wertentscheidende Grundsatz- norm" muß jedoch insofern als nicht besonders glücklich bezeichnet werden, als sie nach der eigenen Begriffsbestimmung des Bundesverfassungsgerichts 4

tautologisch ist und außerdem die vom Bundesverfassungsgericht nicht be- antwortete und vermutlich überhaupt nicht gesehene Frage aufdrängt, ob es außer den „wertentscheidenden" noch andere - und welche ? - Grundsatz- normen gibt5, eine Frage, die richtigerweise zu verneinen sein dürfte6.

2. Das Bundesverfassungsgericht charakterisiert den Art. 6 Abs. 1 GG. ausschließlich als Norm des objektiven Rechts1. Ob daraus auf eine - still- schweigende - Ablehnung der neuerdings in der Rechtslehre mehrfach ver- tretenen Auffassung, daß die Bestimmung auch oder gar nur ein Grundrecht im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts beinhalte, geschlossen werden darf, mag zweifelhaft sein; das Bundesverfassungsgericht hatte keinen un- mittelbaren Anlaß, diese Frage zu untersuchen und zu beantworten und hat sich demgemäß mit Recht ihrer Entscheidung enthalten.

Nach der Meinung von Theodor Maunz bedeutet Art. 6 Abs. 1 GG. in positiver Hinsicht „zunächst", daß jeder Bürger ein echtes subjektives Recht gegen den Staat auf Eingehung der Ehe und auf Gründung einer Familie hat 8.

1 So die Formulierung unter D II 2 Satz 1, D II 2 a. Ε. und D II 3 Abs. 1 der Gründe des Beschlusses; „eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Be- reich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts" (Abschn. D II 2 Abs. 5; S. 72); vgl. auch Abschn. D II 1 Abs. 2 (S. 71) „ . . . Grundsatznor- men, in denen für bestimmte Bereiche der Rechts- und Sozialordnung Wertentschei- dungen des Verfassungsgebers ausgedrückt sind." Vgl. schließlich den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 1957 - 1 BvR 289/56, BVerfGE. 6, 386-389 = NJW. 1957 S. 1065 : „wertentscheidende Grundsatznorm für das gesamte die Ehe und Familie betreffende Recht".

2 Abschn. D II 2 Abs. 6 (72). 6 Vgl. die sachlich mit den bundesverlassungsgerichtiicnen übereinstimmenden, zeitlich schon vor ihnen liegenden Ausführungen bei von Mangoldt- Klein a. a. O. Anm. III 3 Abs. 2 und 3 zu Art. 6, S. 267 ; billigend auch Bachof a. a. O. S. 273 unter Ziff. 2.

4 Vgl. die in Fußnote 1 wiedergegebenen Formulierungen. 5 Entsprechend darf und muß zu der Formulierung von Jung a. a. O. b. 350: „abstrakt-dogmatische Grundsatznorm" gefragt werden.

6 Zum Begriff der Grundsatznormen unter den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes vgl. von Mangoldt-Klein a. a. O. Vorbem. A. VI 4 a und auch II 4 e zum I. Abschnitt, S. 88/89 und S. 66-69.

7 Vermutlich unrichtig Batho] a. a. U. ö. 273 unter Zitt. Z: „Sicht des ürt. ο ι GG. als Grundrecht, Institutsgarantie und ,wertentscheidende Grundsatznorm' ", da er den Art. 6 Abs. 1 GG. (auch) als Grundrecht im Sinne eines subjektiven öffent- lichen Rechts zu verstehen scheint (vgl. die Nachweisung im nächsten Textabsatz).

8 Die verfassungsrechtliche Gewähr von Ehe und Familie (Art. 6 GG.), FamRZ. 1956 S. 1-3, S. 1.

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 253

Die ,, Begründung* ', die sich dafür aus den sonstigen Maunzschen Ausführun- gen entnehmen läßt, lautet dahin, daß es sich dabei „um das natürliche Men- schenrecht auf Eheschließung" handele1. Unter Berufung auf Maunz meint auch Otto Bachof2 - ohne Begründung -: „M. E. enthält Art. 6 Abs. I - ähn- lich dem Art. 14 Abs. I GG. - sowohl eine Institutsgarantie wie ein subjekti- ves Recht . . . Ja, man wird sogar auch ein Recht auf Eingehung der Ehe be- jahen dürfen." - Beide wenden sich dabei ausdrücklich gegen die gegenteilige Auffassung, die ich in von Mangoldt-Klein a. a. 0. unter Hinweis auf die unter- schiedlich-gegensätzliche Formulierung des Art. 54 Abs. 1 der Bundesver- fassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 3 vertrete, und Maunz ebenda bezeichnet sie sogar als „zweifellos irrig"1. Gleichwohl sehe ich keine Veranlassung, auf Grund dieser Stellungnahmen meine dort ausgesprochene Meinung zu ändern, soweit sich diese auf das „Recht auf Eingehung der Ehe" bezieht, von dem allein Maunz spricht und das Bachof besonders hervorhebt.

Im neueren Schrifttum sind übrigens auch Stellungnahmen vorhanden, die meine Meinung mittelbar oder unmittelbar unterstützen. So hat Hildegard Krüger * den Art. 12 der Römischen Konvention des Europarats zum Schütze der Menschen- rechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 5 als „das einzige Grundrecht" bezeichnet, „dem bisher kein spezielles Grundrecht des Grundgesetzes entsprach", und Erich Küchenhoff β hat die Maunzsohe Auffassung kurz und bündig als „un- richtig" bezeichnet.

Ebenso wie der „in der Formulierung das subjektive öffentliche Recht auf Eheschließung betont hervorhebende"7 Art. 54 Abs. 1 der Schweizerischen Bundesverfassung8 läßt auch der Art. 12 der Europarats-Konvention - der übrigens dem Art. 16 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 9 entspricht - keinen Zweifel daran, daß er ein Grundrecht im Sinne eines subjektiv-öffentlichen Rechts gewährt. Die Wortlautabweichung in beiden Vorschriften („Recht zur Ehe" in Art. 54 Abs. 1 der Schweizerischen Bundesverfassung; „Recht, eine Ehe ein-

1 „Die Meinung, Art. 6 I GG. könne überhaupt kein subjektives Recht gegen den Staat eröffnen, oder ein solches subjektives Recht sei nicht aktuell, ist danach zweifellos irrig." 2 In einer Besprechung der Kommentierung des Art. 6 Abs. 1 GG. bei von Man- goldt-Klein a. a. O. Anm. III 3 Abs. 1 zu Art. 6, S. 266, in FamRZ. 1956 S. 399. 3 „Das Recht zur Ehe steht unter dem Schütze des Bundes." Vgl. dazu auch den nächsten Absatz des Textes. 4 Völkerrechts- und Verfassungswidrigkeit der Zölibatsklausel für Polizeivoll- zugsbeamte. Zugleich eine Kritik von OVG. Rheinland-Pfalz v. 19. 4. 1955, ZBR. 1955 S. 314, Zeitschrift für Beamtenrecht 1955 S. 289-292, S. 290. 5 „Mit Erreichung des Heiratsalters haben Männer und Frauen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie nach den nationalen Gesetzen, die die Ausübung dieses Rechts regeln, zu gründen." 6 Besonderer staatlicher Schutz von Ehe und Familie und zeitlicher Vorrang der standesamtlichen Eheschließung, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Bd. 113 (1957) S. 324-349, S. 331. ' lnsotern zutrenend Maunz ebenda. 8 Vgl. oben Fußnote 3. 9 „Volljährige Männer und Frauen haben ohne Rücksicht auf Rasse, Staats- angehörigkeit oder Religion das Recht, eine Familie zu gründen. Sie haben gleiche Rechte in bezug auf die Eingehung, das Bestehen und die Auflösung einer Ehe."

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254 Friedrich Klein

zugehen" in Art. 12 der Europarats-Konvention) gegenüber dem Art. 6 Abs. 1 GG. ist so eindeutig und wesentlich, daß sie keinesfalls mit der Maunzachen Berufung auf „das natürliche Menschenrecht auf Eheschließung" ausge- räumt und mit Bachof - dessen Polemik in seiner Kommentar-Besprechung gegen meine Auslegung des Art. 6 Abs. 1 GG. im übrigen meine Ausführungen in Vorbem. A II 4 und VI zum I. Abschnitt (S. 61-69 und S. 78-90) übersieht und dessen Hinweis auf Art. 14 Abs. 1 GG. allein schon in der Verwendung des Wortes „ähnlich" die Schwäche seiner Argumentation enthüllt - einfach für bedeutungslos erklärt werden kann.

Diese Argumentation aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 GG. wird unter- stützt durch einen Vergleich zwischen den Absätzen 1, 2 und 4 des Art. 6 GG. Ist der Abs. 1 nur objektiv-rechtlich formuliert, so enthalten jene beiden an- deren seiner Absätze eine besondere Formulierung, die im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes sonst überwiegend zum Kennzeichnen der Gewährleistung subjektiv-öffentlicher Kechte verwendet wird (Abs. 2: „das natürliche Recht der Eltern"; Abs. 4: „hat Anspruch auf"). Die unterschiedliche Formulie- rung des Abs. 1 und jener beiden anderen Absätze dieser Grundrechtsbestim- mung findet eine Parallele in den entsprechenden Formulierungen des benach- barten Art. 7 GG. Auch hier ist der Abs. 1 nur objektiv-rechtlich formuliert, wohingegen Abs. 2, Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 Satz 1 Formulierungen enthalten, die ausdrücklich ein subjektiv-öffentliches Recht ansprechen (Abs. 2: „haben das Recht"; Abs. 3 Satz 3: „darf gegen seinen Willen verpflichtet werden"; Abs. 4 Satz 1 : „das Recht zur Errichtung") *.

Die hier vertretene Meinung wird durch den weiteren Unterschied der Formulierungen des Art. 6 Abs. 1 GG. und der beiden im vorvorigen Absatz angeführten internationalen Menschenrechtsbestimmungen dahingehend ge- stützt, daß in diesen beiden Bestimmungen das von ihnen gewährte subjektiv- öffentliche Recht „auf Ehe" ausdrücklich unter der Schranke der „Errei- chung des Heiratsalters" (Art. 12 der Römischen Konvention; vgl. S. 253 Fußnote 5) bzw. der Volljährigkeit (Art. 16 Abs. 1 der Allgemeinen Menschen- rechts-Erklärung der Vereinten Nationen; vgl. S. 253 Fußnote 9) gestellt ist und daß diejenige dieser Bestimmungen, die aktuell geltendes Völkerrecht darstellt - nämlich Art. 12 der Römischen Konvention - weiterhin einen aus- drücklichen allgemeinen Vorbehalt zugunsten der „nationalen Gesetze" ent- hält, wohingegen derartige oder ähnliche ausdrückliche Schranken in Art. 6 Abs. 1 GG. gerade fehlen.

Es fragt sich allerdings, ob diese Überlegung nicht zur Ablehnung nicht nur eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf Ehe, sondern auch einer (diesem Recht entsprechenden) Einrichtungsgarantie und Grundsatznorm für die ob- jektiv-rechtlichen Eheschließungsnormen führen muß, soweit diese die Ehe- schließung unter den in ihnen angegebenen Voraussetzungen gewährleisten.

1 Darüber, daß dem Hinweis auf die unterschiedliche Formulierung jeweils des einleitenden Absatzes der Art. 6 und 7 GG. im Verhältnis zu den genannten weiteren Absätzen dieser Grundrechtsbestimmungen nicht entgegengehalten werden kann, daß das Grundgesetz nicht jede Gewährleistung von subjektiv-öffentlichen Rechten in seinen Grundrechtsbestimmungen in der oben im Text dargestellten Weise um- schreibe, vgl. meine eingehenden Nachweise in DÖV. 1957 S. 573/74.

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 255

Was die Einrichtungsgarantie anlangt, so ist eine solche Folgerung selbst dann zu verneinen, wenn als Rechtseinrichtung mehr als nur ein „Normenkern" begriffen wird; denn eine Einrichtungsgarantie erfaßt als Gewährleistung „für" nur und gerade das bestehende bürgerliche Recht, hindert als Gewähr- leistung „gegen" in gewissem Umfange dessen bürgerlich- und öffentlich- rechtliche Änderung und gibt gerade nicht irgendein Recht auf eine solche Änderung. Die in Art. 6 Abs. 1 GG. enthaltene Grundsatznorm, die den Staat zum besonderen bürgerlich- und öffentlich-rechtlichen Schutz von Ehe und Familie verpflichtet, bezieht sich ebenfalls nur auf das bestehende bürgerlich- rechtliche Ehe- und Familienbild, nicht dagegen auf seine Änderung. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht nicht etwa in Art. 6 Abs. 1 GG. die Ge- währleistung eines (subjektiven oder objektiven) „Rechts auf Ehe", indem es das Anknüpfen des § 26 EStG. an die Eheschließung für die wesentliche Grundlage seiner Entscheidung hält * ; damit sagt es vielmehr nur, daß der § 26 EStG. gar nicht die wirtschaftliche Grundlage der (ehelichen) Haushalts- gemeinschaft, sondern der Ehe schlechthin betrifft. Denn die Verfassungs- widrigkeit dieser Vorschrift folgt danach nicht nur daraus, daß „mitarbei- tende" Eheleute „bei Eingehung" der Ehe, „mit der Eheschließung" schlech- ter gestellt sind als bisher, sondern auch daraus, daß sie es während der Ehe bleiben. Die Bestimmung betrifft daher nicht die Eheschließung, sondern den Bestand der Ehe. Insoweit bedarf es also auch gar nicht der Annahme eines subjektiv-öffentlichen (Verfassungs-, Grund-) Rechts „auf Ehe", weil für den Bestand der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG. durchweg subjektiv-öffentliche (Ver- fassungs-, Grund-) Rechte hergeleitet werden können.

C. Die Haushaltsbesteuerung als Widerspruch zu dem das Einkommensteuer- recht angeblich beherrschenden Grundsatz der Individualbesteuerung

I. Zu diesem Problemkreis findet sich unter D I Abs. 2 der Gründe des Beschlusses (S. 67) die Ausgangsfeststellung: „In diesem auf dem Grundsatz der Individualbesteuerung beruhenden System des modernen Einkommen- steuerrechts bilden die beiden Fälle der Zusammen Veranlagung (§§ 26, 27 EStG.) einen Fremdkörper. Eine geschichtliche Betrachtung zeigt, daß es sich um den Rest einer ursprünglich allgemeinen Haushaltsbesteuerung han- delt."

An diese Ausgangsfeststellung anschließend schildert das Bundesverfassungs- gericht unter D I Abs. 3 bis 6 der Gründe seines Beschlusses (S. 67-68) in einem bis zum Jahre 1820 zurückreichenden geschichtlichen Überblick die Entwicklung der deutschen Einkommensbesteuerung 2. Danach ging diese seit dem preußischen Ge- setz wegen Einführung einer Klassensteuer vom 30. Mai 1820 (GS. S. 140) von einer ursprünglich allgemeinen und „echten Haushaltsbesteuerung, bei der die ganze Fa- milie als Einheit behandelt wurde", über die allmähliche Herauslösung verschiedener

1 Vgl. oben I. 2 Zur rechtsgeschichtlichen, insbesondere steuerrechtlichen Entwicklung der

Ehegattenbesteuerung vgl. auch die Denkschrift des Bundesministers der Finanzen zur Frage der Ehegattenbesteuerung vom 18. November 1955 (Anlage 1 zur Bundes- tags-Drucksache 1866) und Wolkersdorf a. a. O. S. 82-84.

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256 Friedrich Klein

Gruppen von Haushaltsangehörigen aus der gemeinsamen Besteuerung durch die staatliche Gesetzgebung zur Besteuerung des einzelnen Steuerpflichtigen mit dem Einkommen über, das er allein bezieht. Aus diesem geschichtlichen Überblick folgert das Bundesverfassungsgericht unter D I Abs. 7 der Gründe seines Beschlusses (S. 69) : „Die Zusammen Veranlagung von Ehegatten hatte somit ihren Ursprung in einem System der allgemeinen Haushaltsbesteuerung und dort auch ihre Berechtigung. Nachdem der Gesetzgeber. allgemein vom Prinzip der Haushaltsbesteuerung zum Prinzip der Individualbesteuerung übergegangen ist, bildet sie, von ihrem Ursprung gelöst, ein systemwidriges Element des heutigen Einkommensteuerrechts."

Im unmittelbar anschließenden Abs. 8 des Abschnittes D I der Gründe seines Beschlusses (S. 70) erwägt sodann das Bundesverfassungsgericht: Bis zum Ende des ersten Weltkrieges sei die Zusammen Veranlagung sowohl für den Steuerpflichtigen als auch für den Staat wirtschaftlich wenig erheblich gewesen, weil die Progression des Tarifs sehr bescheiden war und die Steuer- sätze niedrig blieben. Erst nachdem sich der Gedanke durchgesetzt gehabt hätte, daß bei den direkten Steuern die Steuergerechtigkeit eine steiler pro- gressive Staffelung des Steuertarifs erfordere, und seitdem diese Staffelung zu einer erheblichen Spannung zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Steuersatz geführt habe, trete durch die Zusammen Veranlagung eine emp- findliche Mehrbelastung der Ehegatten ein. Das werde auch durch die Bildung mehrerer Steuerklassen, d. h. durch die in den Tarif eingearbeiteten festen - nicht progressiven - steuerfreien Einkommensteile für die Ehefrau (und für die Kinder), nicht ausgeglichen. Diese Freibeträge berücksichtigten nur die Erhöhung des Existenzminimums, die mit der Unterhaltsverpflichtung des einzelnen Steuerpflichtigen gegenüber seinen Familienangehörigen verbunden sei, änderten also nichts an dem „Grundsatz der progressiven Individual- besteuerung". Zugleich sei die mit der Zusammen Veranlagung verbundene steuerliche Mehrbelastung zu einer Quelle erhöhter Einkünfte für den Staat ge- worden, wohingegen sie früher ausweislich der Begründung zu § 11 des Ent- wurfs des preußischen Einkommensteuergesetzes vom 24. Juni 1871 nur der Verwaltungsvereinfachung gedient habe.

An diese Erwägungen schließt das Bundesverfassungsgericht die mate- riell entscheidende Folgerung und Zwischenfeststellung des Ergebnisses seiner Begründung in zweifacher Variation an, die wörtlich so lautet: „Eine solche (nämlich mit der Zusammenveranlagung von Ehegatten verbundene), an die Eheschließung anknüpfende steuerliche Mehrbelastung der Ehegatten, wie sie auch § 26 EStG. 1951 herbeiführt, ist mit Art. 6 Abs. 1 GG. unverein- bar"1, und weiterhin: ,,. . . die Zusammen Veranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer durchbricht den Grundsatz der Individualbesteuerung, und zwar zum Nachteil der im Ehestand Lebenden, stellt also einen störenden Eingriff in die Ehe dar." 2

II. Dem vom Bundesverfassungsgericht mehrfach3 hervorgehobenen „Grundsatz der Individualbesteuerung" , „Prinzip der Individualbesteuerung", „Grundsatz der progressiven Individualbesteuerung" kommt nicht die Be- deutung für das moderne und insbesondere das deutsche Einkommensteuer-

1 So vor Ziff. 1 in Abschn. D II der Gründe seines Beschlusses (S. 70). 2 So in Ziff. 4 Abs. 1 daselbst (S. 77). 3 Vgl. oben I. Abschnitt unter All Abs. 2.

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 257

recht zu, die ihm das Bundesverfassungsgericht meint zumessen zu können und zu müssen. Ein solcher Grundsatz ist weder finanzwissenschaftlich noch steuer- rechtlich noch entwicklungsgeschichtlich noch tendenziell nachweisbar, noch war er für die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts und die Nichtig- erklärung des § 26 EStG. 1951 unerläßlich notwendig.

1. Zwar ist die Wandlung der Ehegattenbesteuerung im deutschen Ein- kommensteuerrecht mit ihrem allmählichen Abbau der Haushaltsbesteue- rung und ihrem Sich-Hinwenden zu einer individuelleren Besteuerung im Ehegattenbesteuerungs-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts richtig dar- gestellt; damit ist aber nicht gesagt, daß die vom Bundesverfassungsgericht aus dieser Wandlung gezogenen Schlußfolgerungen zutreffend oder gar zwingend seien.

Einen „Grundsatz der Individualbesteuerung" gibt es in der finanzwis- senschaftlichen Theorie nicht; wohl aber gilt der Grundsatz der Haushaltsbe- steuerung in den Staaten mit moderner Einkommensteuer noch heute. - Steuerrechtlich ist die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts erst recht nicht haltbar. Dieses meint, den von ihm behaupteten Grundsatz der Individualbesteuerung positiv-gesetzlich daraus ableiten zu können, daß nach § 1 Abs. 1 EStG. „natürliche Personen . . . einkommensteuerpflichtig" seien1, indem es anscheinend „natürliche Personen" mit „Individuen" gleich- setzt und sodann aus der Besteuerung von natürlichen Personen eine „Indivi- dualbesteuerung" macht. Der so gewonnene „Grundsatz der Individual- besteuerung" ist in jedem Falle unhaltbar, da bei diesem Vorgehen über- sehen wird, daß es sich in § 1 Abs. 1 EStG. nur um eine Abgrenzung gegenüber den Körperschaften handelt und daß damit noch nichts über eine gemeinsame oder getrennte Besteuerung mehrerer Personen ausgesagt ist. Aber selbst wenn der Begriff der Individualbesteuerung durch das Bundesverfassungs- gericht nicht oder doch nicht allein aus § 1 EStG. abgeleitet, sondern primär als Gegenbegriff zur Haushaltsbesteuerung konstruiert worden sein sollte, um die Grundgesetzwidrigkeit der Zusammenveranlagung von Ehegatten nach- weisen zu können, kann diesem Begriff keine Allgemeingültigkeit zukommen. Die seit Miquel entwickelte moderne Einkommensteuer läßt trotz ihrer - im Vergleich zur Pausch- oder Klassensteuer - individuelleren Ermittlung der Einkünfte nicht auf eine wirkliche Individualbesteuerung schließen. Dieser Begriff könnte also höchstens besagen, daß Einzelpersonen (im Gegensatz zu wirtschaftlichen Einheiten) im Mittelpunkt der Besteuerung stehen. - Ent- stehungsgeschichtlich liegen die Dinge so : Ursprünglich wurde die Haushalts- besteuerung gewählt, weil eine Aufteilung der Einkünfte - ζ. Β. zwischen Bauern oder Handwerkern und ihren mithelfenden Ehefrauen - verwaltungs- mäßig unmöglich war. 2 Die moderne und insbesondere die deutsche Einkom- mensteuer wurde aber nicht im Hinblick auf bäuerliche und handwerkliche

1 Vgl. Abschn. A Abs. 1 und 2 der Gründe des Beschlusses (S. 56). 2 Darauf weist auch das Bundesverfassungsgericht hin, wenn es unter D I Abs. 8 a. E. der Gründe seines Beschlusses (S. 70) unter Bezugnahme auf die Begründung zu § 11 des Entwurfs des preußischen Einkommensteuergesetzes vom 24. Juni 1891 feststellt, daß die Haushaltsbesteuerung „früher lediglich der Verwaltungsverein- fachung gedient hatte". 17 Finanzarchiv Ν. F. 18. Heft 2

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258 Friedrich Klein

Verhältnisse entwickelt, sondern entstand als Folge der fortschreitenden In- dustrialisierung. - Soziologisch gesehen ist die Entwicklung von der Klassen- steuer zur modernen Einkommensteuer - die den Grundsatz der Haushalts- besteuerung von der Klassensteuer übernommen hat - so verlaufen : Die Fa- milie als Produktionsgemeinschaft verlor durch die Industrialisierung mehr und mehr an Bedeutung. Weil immer mehr Menschen aus der familiengebun- denen Produktionsgemeinschaft ausschieden, wurde - unter Aufrechterhal- tung der Haushaltsbesteuerung - eine differenzierte Anpassung der Steuer an die Familienverhältnisse notwendig. Eine gegenläufige Tendenz führte zu einer Einschränkung der Haushaltsbesteuerung zugunsten einer zunehmen- den Getrenntveranlagung. Wenn auch die geschichtliche Entwicklung als Be- urteilungsmaxime im allgemeinen nicht bedeutungslos ist, so können doch wegen dieser gegenläufigen Tendenzen für die Ehegattenbesteuerung keine Schlußfolgerungen aus der geschichtlichen Entwicklung der Einkommensbe- steuerung gezogen werden.

Es ergibt sich also :

a) Einen „Grundsatz der Individualbesteuerung" gibt es finanzwissen- schaftlich nicht; vermutlich ist dieser „Grundsatz" vom Bundesverfassungs- gericht in erster Linie und jedenfalls zweckgerichtet als Gegenbegriff zur Haushaltsbesteuerung erdacht und gebraucht worden.

b) Ein „Grundsatz der Individualbesteuerung" kann nicht aus § 1 Abs. 1 EStG. abgeleitet werden, weil es sich hierbei nur um eine Abgrenzung der Be- steuerung von natürlichen gegenüber derjenigen von juristischen Personen handelt und das Prinzip einer gemeinsamen oder einer getrennten Besteue- rung mehrerer Personen dadurch nicht berührt wird.

c) Ein „Grundsatz der Individualbesteuerung" läßt sich schon wegen der verschiedenartigen Entwicklungstendenzen - die teils auf eine Aufrechterhal- tung oder (und) Verfeinerung, teils auf eine Einschränkung der Haushalts- besteuerung hinauslaufen - geschichtlich nicht begründen.

d) Ein „Grundsatz der Individualbesteuerung" kann nicht aus der seit Miquel feststellbaren Tendenz der modernen deutschen Einkommensteuer erschlossen werden, in stärkerem Maße als die Pausch- oder Klassensteuer zu einer individuelleren Ermittlung der Einkünfte bzw. zu einer immer differen- zierteren Anpassung der Steuer an die Familienverhältnisse zu gelangen.

2. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem angeblich für das Einkommensteuerrecht maßgebenden „Grundsatz der Individual- besteuerung" und die von ihm daraus gezogenen Folgerungen können aus den vorstehend Ziffer 1 angegebenen Gründen nicht gebilligt werden. Die bundes- verfassungsgerichtlichen Bemerkungen zu jenem von ihm nicht bewiesenen, sondern nur behaupteten Grundsatz sind aber nicht nur nicht haltbar, sondern auch überflüssig. λ Das Bundesverfassungsgericht hätte ihrer gar nicht bedurft,

1 Wenn Wolkersdorf, a.a.O. S. 88 Fußnote 2, meint, das Bundesverfassungsge- richt widerspreche sich mit seiner Auffassung, daß das Einkommensteuerrecht auf dem Prinzip der individuellen Besteuerung beruhe, insofern selbst, als es das Split- ting, das - zwar nicht materiell, aber doch formal-steuerrechtlich - eine Form der ge- meinsamen Besteuerung der Ehegatten darstelle, als eine verfassungsmäßige Lö-

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 259

um gleich wohl zu seinem Ergebnis der Nichtigkeit des § 26 EStG. 1951 zu ge- langen. Der angebliche „Grundsatz der Individualbesteuerung" ist nämlich deswegen ohne Bedeutung für den bundesverfassungsgerichtlichen Beschluß, weil es für die Verfassungswidrigkeit einer Besteuerungsform unter dem Blick- winkel des Art. 6 Abs. 1 GG. nur darauf ankommt, ob diese einen störenden Eingriff in die Ehe darstellt. Wenn eine Zusammen Veranlagung - ζ. Β. bei einem Proportionaltarif - dazu führt, daß Ehegatten im wirtschaftlichen Er- gebnis nicht schlechter gestellt werden als andere Personen, so kann auf den „Grundsatz der Individualbesteuerung" durchaus verzichtet werden1. Das Bundesverfassungsgericht hätte auch ohne das Argument des angeblich das Einkommensteuerrecht beherrschenden „Grundsatzes der Individualbesteue- rung" die Nichtigkeit des § 26 EStG. 1951 überzeugend beweisen können. Es hätte nämlich nur festzustellen brauchen, daß eine zum Nachteil der Ehegatten sich auswirkende und damit die Ehe als solche benachteiligende steuerliche Belastung gegen Art. 6 Abs. 1 GG. verstößt, und hätte alsdann alle diejenigen Fälle, in denen Ehegatten durch die Zusammen Veranlagung nicht benachteiligt, sondern begünstigt werden, mit Hilfe seines zutreffenden Gesichtspunktes von der Nichtigkeit des § 26 EStG. 1951 als einheitlicher Kechtsvorschrift im ganzen 2 meistern und somit auf diese Weise die Nichtig-

sung der Ehegattenbesteuerung bezeichne, so kann ich ihm darin aus den folgen- den Gründen nicht beipflichten :

Das Bundesverfassungsgericht erwähnt an zwei Stellen der Gründe seines Be- schlusses Wort und Begriff des „Splitting4', und zwar einmal unter D II 3 Abs. 3 (S. 76) und zum anderen unter D II 4 Abs. 7 (S. 80). An der ersteren Stelle führt es insoweit aus: „Selbstverständlich verbietet Art. 6 Abs. 1 GG. auch in der Funktion als Grundsatznorm nicht, an den Tatbestand der Eheschließung Rechtsfolgen mit gewissen wirtschaftlichen Auswirkungen zu knüpfen . . . Einmal steht Art. 6 Abs. 1 GG. nicht einer Begünstigung, sondern nur einer Benachteiligung von Verheirateten entgegen : Die Einführung begünstigender steuerrechtlicher Vorschriften (z. B. des »splitting') wäre daher unter diesem Gesichtspunkt verfassungsrechtlich unbedenk- lich." An der zweiten Stelle bemerkt es insoweit: „Will man aus dem Gesichtspunkt der Sozialstaatlichkeit und des Schutzes von Ehe und Familie der besonderen Lage des Ehemannes und Familienvaters, der für mehrere Personen aufzukommen hat, Rechnung tragen, so gibt es dazu verschiedene, in der Öffentlichkeit bereits erörterte Wege (Erhöhung der Freibeträge, Einführung des , splitting')."

Aus beiden Stellen des Beschlusses ist in dem inzwischen dazu angefallenen Schrifttum mehrfach (so z. B. von Wolkersdorf a.a.O. S. 90: „ . . . das Splitting-Ver- fahren nach amerikanischer Art, das vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als eine verfassungsgemäße Regelung der Ehegattenbesteuerung bezeichnet wird . . .") gefolgert worden, daß das Bundesverfassungsgericht das Splitting als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen und bezeichnet habe. Dazu muß jedoch negativ festgestellt werden : Von einer ausdrücklichen dahingehenden Stellungnahme des Bun- desverfassungsgerichts kann keine Rede sein; das ergibt sich aus der Einschränkung „unter diesem Gesichtspunkt" der ersten im vorigen Absatz wörtlich wiedergegebe- nen Stelle der Gründe des Beschlusses sowie daraus, daß an der zweiten dort im Wortlaut angeführten Stelle nur zwei „in der Öffentlichkeit bereits erörterte Wege" - von denen der eine das Splitting ist - benannt werden, daß an diese Benennung je- doch keinerlei Wertung im Sinne der grundgesetzlichen Zulässigkeit des Splittings geknüpft wird.

1 Vgl. dazu den oben A Abs. 2 wiedergegebenen Passus in Abschn. D I Abs. 1 der Gründe des Beschlusses.

2 Vgl. Abschn. D 111 Abs. 2 (S. 84): „Obwohl m einzelnen Fällen - nämlich beim Zusammentreffen von Gewinnen des einen Ehegatten mit Verlusten des ande- 17*

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260 Friedrich Klein

keit jener Bestimmung schlechthin dartun können. Demgemäß sind die ge- samten Darlegungen unter D I der Gründe des Beschlusses (S. 66-70) über- flüssig.

D. Die Widerlegung mehrerer Einwände gegen die Grundgesetzwidrigkeit der Zusammenveranlagung von Ehegatten

Eingehend setzt sich das Bundesverfassungsgericht mit einer Reihe von Einwänden auseinander, die gegen seine Auffassung erhoben werden könnten, daß die Zusammen Veranlagung von Ehegatten grundgesetz widrig sei. Dabei handelt es sich insbesondere um die fünf folgenden : Möglichkeit der höheren steuerrechtlichen Belastung von Ehegatten wegen Einsparungen zufolge der Eheschließung (I), Benachteiligung der Familien mit nur einem Einkommens- bezieher (II), sogenannter „Edukationseffekt" (III), Möglichkeit der Ver- wendung des Mehraufkommens aus der Zusammenveranlagung für Kinder- reiche (IV), verwaltungstechnische Erwägungen (V).

I. Unter D II 4 der Gründe seines Beschlusses (S. 77-82) setzt sich das Bundesverfassungsgericht mit den Einwendungen auseinander, die gegen seine Auffassung von der Grundgesetzwidrigkeit der Zusammenveranlagung von Ehegatten aus dem Gesichtspunkt heraus erhoben werden könnten, daß Ehegatten deswegen steuerlich höher belastet zu werden vermöchten, weil sie zu- folge der Eheschließung Einsparungen erzielten.

1. Zu dem Gedanken, daß die Einsparungen, die durch die gemeinsame Haushaltsführung erzielt würden, eine höhere steuerliche Belastung der Ehe- gatten in Gestalt der Zusammenveranlagung rechtfertigten, führt das Bun- desverfassungsgericht unter D II 4 Abs. 2 der Gründe seines Beschlusses (S. 77) wörtlich aus:

„Die Zusammen Veranlagung kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß sie nicht an die Ehe, sondern an die (angeblich) durch gemeinsame Haushaltsführung erzielten Einsparungen und eine dadurch erhöhte ,Leistungsfähigkeiti anknüpfe, so daß es sich bei der erhöhten Besteuerung der Ehegatten lediglich um eine unge- wollte Nebenfolge handle. Die Möglichkeit von Einsparungen in der Lebenshaltung wird aber im gesamten übrigen Einkommensteuerrecht als Faktor der Leistungs- fähigkeit nicht berücksichtigt ; dieser Gesichtspunkt ist also systemfremd. Vor allem aber trifft es nicht zu, daß die erhöhte Besteuerung der Ehegatten nur eine unge- wollte Nebenfolge sei; denn die Zusammenveranlagung ist nicht nur rechtsgrund- sätzlich an die Ehe gebunden, sondern die dadurch eintretende Wirkung erhöhter Be- steuerung ist geradezu der Hauptzweck dieser Bestimmung."

2. Abgesehen davon, daß der Gesichtspunkt möglicher Einsparungen in der Lebenshaltung als Faktor der Leistungsfähigkeit im Einkommensteuer- recht systemfremd und daß die erhöhte Besteuerung der Ehegatten nicht nur eine ungewollte Nebenfolge des § 26 EStG. 1951 sei, dürfte nach den weiteren

ren - die Zusammenveranlagung sich für die Steuerpflichtigen auch vorteilhaft auswirken kann, muß die Nichtigerklärung schlechthin ausgesprochen werden, da § 26 EStG. 1951 - anders als etwa § 69 Abs. 2 des Soforthilfegesetzes (BVerfGE. 4, 331 [332]) - eine einheitliche Vorschrift ist, die nur im ganzen gültig oder nichtig sein kann."

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 261

Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts unter D II 4 Abs. 3 der Gründe seines Beschlusses (S. 78) nicht einzig die eheliche Haushaltsgemeinschaft be- steuert werden, wenn die erhöhte Leistungsfähigkeit auf Grund gemein- samer Haushaltsführung der wahre Anknüpfungspunkt für die erhöhte Be- steuerung der Ehegatten wäre ; dies um so weniger, als die eheliche Haushalts- gemeinschaft keineswegs der typische Fall der Haushaltsgemeinschaft meh- rerer Personen mit marktwirtschaftlichem Einkommen ist, wie das Bundes- verfassungsgericht durch eine zahlenmäßige Aufschlüsselung der Mehrper- sonen-Haushaltungen sowie einer Gegenüberstellung der Haushaltungen mit mehr als einem Einkommensbezieher und derjenigen, in denen erwerbs- tätige Ehefrauen mit ihrem Ehemann zusammenleben, nachweist (im Jahre 1950 beispielsweise: insgesamt 12,6 Millionen Mehrpersonen-Haushaltungen; davon 5,7 Millionen Haushaltungen mit mehr als einem Einkommensbezieher [mithelfende Familienmitglieder nicht eingerechnet]; Zahl der erwerbs- tätigen, mit ihrem Ehemann in einem eigenen Haushalt zusammenlebenden Ehefrauen nur 0,74 Millionen, wobei die im Betrieb des Ehemannes Mithel- fenden nicht berücksichtigt sind). Im Jahre 1950 beruhte also nicht einmal jeder siebente Fall eines Zusammentreffens mehrerer Personen mit selbstän- digem marktwirtschaftlichen Einkommen in einem Haushalt auf der markt- wirtschaftlichen Tätigkeit der Ehefrau. „Ein Verzicht auf die Zusammen- veranlagung von Ehegatten", stellt das Bundesverfassungsgericht diese Er- wägungen abschließend fest, ,, würde also auch nicht, wie der Bundesminister der Finanzen meint, eine Ungleichheit gegenüber den Unverheirateten bedeu- ten, weil bei diesen die Möglichkeit eines Zusammen wirtschaf tens mehrerer Personen in aller Regel bestünde".

3. Des weiteren stellt das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusam- menhang im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs sowie unter Bezugnahme auf die Einkommensteuer-Richt- linien unter D II 4 Abs. 4 der Gründe seines Beschlusses (S. 78/79) heraus, daß es auch nicht die gemeinsame Haushaltsführung, sondern die Ehe als solche sei, die nach § 26 EStG. 1951 ursächlich für die Zusammenveranlagung sei ; denn erst bei einer Trennung von Tisch und Bett komme es zur getrenn- ten Veranlagung der Ehegatten.

4. Schließlich befaßt sich das Bundesverfassungsgericht in diesem Zu- sammenhang unter D II 4 Abs. 5 der Gründe seines Beschlusses (S. 79) mit der Frage, ob die mit der Zusammenveranlagung verbundene Verschärfung des Steuerdrucks nach dem Wesen des Einkommensteuerrechts im Charakter der Ehe begründet ist. Es verneint diese Frage zutreffend mit der Begründung, es liege ,,auf der Hand, daß bei einer rein abgabenrechtlichen Bestimmung die Anknüpfung an den Ehestand nicht in der Natur der Sache liegt, wie etwa im Familienrecht oder auf gewissen Gebieten des Fürsorgerechts' '.Wenn im Ein- kommensteuerrecht als Anknüpfungspunkt gelten solle, daß Ehe und Familie „nicht nur als die Summierung zweier Ehepartner und ihrer Kinder . . ., son- dern als eine höhere Einheit"1 anzuerkennen seien, so könnte man damit allenfalls eine steuerliche Besserstellung der Ehegatten begründen. „Es ist

1 Vgl. S. 17 der oben S. 255 Fußnote 2 angeführten Denkschrift.

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262 Friedrich Klein

nicht verständlich", sagt das Bundesverfassungsgericht wörtlich, „wie eine steuerliche Schlechterstellung der Ehegatten mit der höheren sittlichen Be- wertung ihres der Besteuerung zugrunde liegenden Status sollte gerechtfer- tigt werden können."

II. Unter dem Blickpunkt des Art. 3 GG. untersucht das Bundesver- fassungsgericht unter D II 4 Abs. 7 der Gründe seines Beschlusses (S. 80) das Verhältnis sowohl zwischen Haushaltsgemeinschaften von „mitarbeitenden" Ehegatten und solchen von Nicht-Ehegatten als auch zwischen Haushaltsgemein- schaften von „mitarbeitenden" und solchen von „mithelfenden" Ehegatten. Es führt dazu aus :

„Die Aufhebung der Zusammen Veranlagung würde - so wird gesagt - eine un- gerechte Benachteiligung der Familien bedeuten, in denen die Haufrau und Mutter einem marktwirtschaftlichen Erwerb nicht nachgeht oder nicht nachgehen kann. Es ist nicht einzusehen, inwiefern die Familie mit nur einem Einkommensbezieher ge- rade gegenüber den Ehegatten, die beide Einkommen haben, ungerecht benachtei- ligt sein soll; denn wenn man eine solche Benachteiligung' annimmt, so besteht sie genauso jedem anderen Steuerpflichtigen gegenüber, der für eine geringere Zahl von Personen aufzukommen hat als der allein verdienende Familienvater, und diese »Benachteiligung4 kann nicht dadurch behoben werden, daß aus der großen Zahl der »Begünstigten' nur die Ehegatten mit zwei selbständigen Einkommen erhöhter Be- steuerung unterworfen werden. Will man aus dem Gesichtspunkt der Sozialstaat- lichkeit und des Schutzes von Ehe und Familie der besonderen Lage des Ehemannes und Familienvaters, der für mehrere Personen aufzukommen hat, Rechnung tragen, so gibt es dazu verschiedene, in der Öffentlichkeit bereits erörterte Wege (Erhöhung der Freibeträge, Einführung des »splitting'1). Die Zusammen Veranlagung ist dazu nicht geeignet, da sie nur einen Teil der Ehepaare höher belastet, ohne den anderen zu nützen."

III. Unter D II 4 Abs. 8 bis 10 der Gründe seines Beschlusses (S. 80-82) tritt das Bundesverfassungsgericht dem Argument entgegen, daß die erhöhte steuerliche Belastung infolge Zusammenveranlagung der Ehegatten und die mit dieser verbundene Benachteiligung derselben einen Erziehungszweck, so- genannten „Edukationseffekt" - nämlich „die Ehefrau ins Haus zurückzu- führen" -, haben dürften, weil dies angeblich durch Art. 6 Abs. 1 GG. gefordert werde.

1. Dem Edukationseffekt soll die Zusammenveranlagung der Ehegatten nach der Meinung seiner Befürworter dadurch dienen, daß die damit ver- knüpfte erhöhte steuerliche Belastung die Ehefrau von der Berufstätigkeit zurückhält2. Bemerkenswerterweise leitet das Bundesverfassungsgericht seine Überlegungen zum Erziehungszweck unter D II 4 Abs. 8 der Gründe seines Beschlusses (S. 81) so ein: „An sich bestehen keine verfassungsrecht- lichen Bedenken, mit einer Steuer außer der Erzielung von Einkünften auch andere Zwecke mit zu verfolgen. Das gilt jedoch nur mit der Einschränkung, daß diese Nebenzwecke selbst verfassungsrechtlich neutral sind und mit ver- fassungsrechtlich unbedenklichen Steuern verfolgt werden." Im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten werde jedoch der Erziehungszweck einmal zur Rechtfertigung einer schon aus anderem Grunde verfassungswidri- gen Bestimmung herangezogen, und zum andern betreffe er selbst ein Ge-

1 Vgl. dazu oben S. 258 Fußnote 1. 2 Vgl. S. 14 der oben S. 255 Fußnote 2 angeführten Denkschrift.

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 263

biet, das bereits durch verfassungsgesetzliche Entscheidung umgrenzt sei, auf dem also der einfache Gesetzgeber nicht mehr völlig frei Wertentscheidun- gen treffen könne. Das ergäbe sich sowohl aus Art. 6 Abs. 1 GG. (Schutz von Ehe und Familie) selbst als auch aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. (Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter).

2. Aus diesen beiden rechtlichen Gesichtspunkten leitet das Bundesver- fassungsgericht die Unzulässigkeit des Edukationseffektes folgendermaßen ab :

a) Im Bereich des Art. 6 Abs. 1 GG. erwägt es unter D II 4 Abs. 9 der Gründe seines Beschlusses (S. 81/82): Das schon oben Β II vor Ziffer 1 er- wähnte Bekenntnis des Art. 6 Abs. 1 GG. zur Freiheit der spezifischen Pri- vatsphäre für Ehe und Familie entspreche einer Leitidee des Grundgesetzes, nämlich der grundsätzlichen Begrenztheit aller öffentlichen Gewalt in ihrer Einwirkungsmöglichkeit auf das freie Individuum. Aus diesem Gedanken folge allgemein die Anerkennung einer Sphäre privater Lebensgestaltung1, die staatlicher Einwirkung entzogen sei. Es fährt wörtlich fort: „Zu dem Ge- halt solcher privaten Entscheidungsfreiheit der Ehegatten gehört auch die Entscheidung darüber, ob eine Ehefrau sich ausschließlich dem Haushalt widmet, ob sie dem Manne im Beruf hilft oder ob sie eigenes marktwirtschaft- liches Einkommen erwirbt. Das zur Kechtfertigung der Zusammenveran- lagung angeführte Ziel, die erwerbstätige Ehefrau ,ins Haus zurückzuführen4, entspricht einer bestimmten Vorstellung von der besten Art der Ehegestal- tung. Das Gebot des Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG. aber bezieht sich auf jede Ehe und Familie, die den heute in der Bundesrepublik gesetzlich normierten bürgerlich-rechtlichen Instituten Ehe und Familie entspricht, überläßt also die Gestaltung der Privatsphäre in diesem Rahmen den Ehegatten selbst/' Demzufolge dürfte - folgert das Bundesverfassungs- gericht hierzu abschließend - der Gesetzgeber eine bestimmte Gestaltung der privaten Sphäre der Ehe nicht unmittelbar erzwingen; sei aber ein solcher unmittelbarer Zwang verfassungswidrig, so könne dasselbe Ziel auch nicht geeignet sein, eine Maßnahme mittelbar zu legitimieren, die, wie die Zusam- menveranlagung von Ehegatten, mittelbar diesem Ziele dienen solle.

b) Im Bereich des Art. S Abs. 2 und 3 GG. argumentiert das Bundesver- fassungsgericht hinsichtlich der Untauglichkeit des Erziehungszweckes zur Rechtfertigung der Zusammen Veranlagung von Ehegatten unter D II 4 Abs. 9

1 Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich hierbei auf seine einschlägigen Bemerkungen im Urteil des Ersten Senats („KPD -Urteil") vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51, BVerfGE. 5, 85 - 393 = JZ. 1956 S. 596-598 = NJW. 1956 S. 1393 bis 1399 = DÖV. 1956 S. 532/33 (nur Leitsätze) = DVB1. 1956 S. 646/47 (nur Leitsätze) - BVerfGE. 5, 200: „Dem Bürger wird (sc. in der staatlichen Ordnung der freiheit- lichen Demokratie) eine freie Sphäre durch die Anerkennung von Grundrechten . . . gesichert" und BVerfGE. 5, 204: „Um seiner (sc. des Menschen) Würde willen muß ihm eine Möglichkeit weitgehender Entfaltung seiner Persönlichkeit gesichert wer- den" - und im Urteil des Ersten Senats („Pass-Urteil") vom 16. Januar 1957 - 1 BvR 253/56, BVerfGE. 6, 32-45 = JZ. 1957 S. 167-169 (mit Anm. von Dürig S. 169-173) = NJW. 1957 S. 297/98 = BB. 1957 S. 88/89 Nr. 189 = DÖV. 1957 S. 116-118 = DVB1. 1957 S. 200-203, BVerfGE. 6, 41: Aus dem Grundgesetz „ergibt sich, daß dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vor- behalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist".

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264 Friedrich Klein

der Gründe seines Beschlusses (S. 82) so: Diese Untauglichkeit folge eben- so wie aus dem Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG. auch aus dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Das Grundgesetz gehe davon aus, daß die Gleichberechtigung der Ge- schlechter mit dem Schutz von Ehe und Familie vereinbar ist1, so daß auch die Gesetzgebung nicht von einem Widerspruch dieser beiden Prinzipien aus- gehen dürfe. Wörtlich fährt das Bundesverfassungsgericht fort: „Zur Gleich- berechtigung der Frau gehört aber, daß sie die Möglichkeit hat, mit gleichen rechtlichen Chancen marktwirtschaftliches Einkommen2 zu erzielen wie jeder männliche Staatsbürger. Die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der Frau von vornherein als ehezerstörend zu werten, widerspricht nicht nur dem Grund- satz, sondern auch dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 GG. Die Zweckrichtung des Gesetzes, die Ehefrau von marktwirtschaftlicher Tätigkeit zurückzuhal- ten, ist ungeeignet, die Zusammen Veranlagung zu rechtfertigen."

IV. Weiterhin weist das Bundesverfassungsgericht unter D II 4 Abs. 7 a. E. der Gründe seines Beschlusses (S. 80) den Einwand zurück, die Rück- sicht auf die kinderreichen Familien erfordere die Zusammen Veranlagung von Ehegatten, weil das Mehraufkommen aus dieser Zusammenveranlagung zu- gunsten der Kinderreichen verwendet werden solle. Abgesehen davon, daß eine Kontrolle dieser Verwendung nach den geltenden Haushaltsgrundsätzen nicht möglich sei, laufe das auf die Begründung hinaus, der allgemeine Fi- nanzbedarf des Staates erfordere diese Einnahmen. „Der Finanzbedarf des

1 Das Bundesverfassungsgericht beruft sich dafür auf seine einschlägigen Be- merkungen im Urteil des Ersten Senats vom 18. Dezember 1953 - 1 BvL 106/53, BVerfGE. 3, 225-248 = Der Deutsche Rechtspfleger 1954 S. 29 = JZ. 1954 S. 32-38 (mit Anm. der Redaktion S. 38) = MDR. 1954 S. 87/88 = NJW. 1954 S. 65-68 = DÖV. 1954 S. 117-121 (mit zustimmender Anm. von Bachof S. 121) = DVBL 1954 S. 203 (nur Leitsätze), BVerfGE. 3, 241/42: „Die Entwicklung lehrt . . ., daß der Ver- fassungsgeber selbst die beiden Prinzipien (sc. Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 GG.) ohne Bedenken als vereinbar angesehen hat : Der Gesetzgeber der Weimarer Ver- fassung hatte ihr Verhältnis zueinander dadurch klar zum Ausdruck gebracht, daß er sie in Art. 119 Abs. 1 unmittelbar nebeneinander aufführte; dort hieß es: ,Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und der Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichbe- rechtigung der beiden Geschlechter.' Der Gesetzgeber des Bonner Grundgesetzes wollte über den damaligen Zustand nur insoweit hinausgehen, als er die programma- tisch gemeinten Bestimmungen der Weimarer Verfassung in aktuell geltendes Recht fortentwickeln wollte ... Da mithin kein Zweifel sein kann, daß der Verfassungsgeber Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 GG. für vereinbar hielt, kann eine Auslegung, die dieser Vorstellung des Gesetzgebers Rechnung trägt, nur zu dem Ergebnis kommen: auch in Ehe und Familie sind Mann und Frau gleichberechtigt". - Vgl. auch von Mangoldt-Klein a.a.O., Anm. III 6 zu Art. 6, S. 268. 2 Vgl. dazu die kritische Bemerkung von Jung a.a.O. ö. 354: „In der .Begrün- dung wird wiederholt vom »marktwirtschaftlichen Einkommen4 der Ehefrau ge- sprochen. Was wird vom Bundesverfassungsgericht darunter verstanden ? Nur die Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger und aus nichtselbständiger Arbeit, oder auch andere Einkünfte, insbesondere aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung ? Es ist das um so weniger klar aus der Begründung zu entnehmen, als an der gleichen Stelle (sc. Abschn. D II 4 Abs. 10, S. 82) dann wieder von einer ,er- werbswirtschaftlichen Tätigkeit4 der Ehefrau gesprochen wird, die man (steuer- rechtlich) nicht von vornherein als ehezerstörend werten dürfe."

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 265

Staates ist aber niemals geeignet, eine verfassungswidrige Steuer zu recht- fertigen", stellt das Bundesverfassungsgericht hierzu kurz und bündig fest.

V. Schließlich bezeichnet das Bundesverfassungsgericht unter D II 5 Abs. 3 der Gründe seines Beschlusses (S. 83/84) verwaltungstechnische Er- wägungen, die zur Rechtfertigung der Zusammenveranlagung der Ehegatten angeführt worden sind - z. B. die leichtere Erfaßbar keit der ehelichen Ge- meinschaft im Vergleich zu anderen Haushaltsgemeinschaften und die Mög- lichkeit einer Verhinderung steuerlicher Manipulationen unter Ehegatten -, als „nicht maßgeblich". Gegenüber Art. 6 Abs. 1 GG. seien sie ihrer Natur nach als rechtliche Argumente ungeeignet, weil der Vorrang der verfassungs- rechtlichen Wertungen es dem Gesetzgeber verbiete, Zweckmäßigkeitserwä- gungen unter Verletzung solcher Wertungen Raum zu geben. Damit sei jedoch nicht ausgesprochen, daß solche verwaltungstechnischen Gesichtspunkte ohne Bedeutung sein müßten, wenn ein Steuergesetz ausschließlich am Maß- stab des Art. 3 Abs. 1 GG., also auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der allgemeinen Steuergerechtigkeit (vgl. dazu unten Ε 1 1) zu prüfen sei. Im übrigen würden auch besondere gesetzliche Bestimmungen, die nur Umge- hungen der Steuerpflicht durch eine vorgeschobene zivilrechtliche Verteilung der Einkünfte - namentlich aus Kapitalvermögen - zwischen Ehegatten ver- hindern sollen, niemals eine durch Art. 6 Abs. 1 GG. verbotene Benachteili- gung der Ehe und Familie darstellen.

E. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für die Entscheidung

Mehrfach klang in der bisherigen Darstellung neben dem Art. 6 Abs. 1 GG. (Schutz von Ehe und Familie) auch der Art. 3 GG. (Gleichheitssatz) an, und zwar überwiegend in bezug auf seine Abs. 2 und 3, die den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter postulieren, und nur einmal (unter D V) hinsichtlich seines Abs. 1, der den allgemeinen Gleichheitssatz enthält. Es bleibt nunmehr noch zu prüfen, welche Rolle überhaupt Art. 3 GG. mit seinem allgemeinen Gleichheitssatz in Abs. 1 und seinen Konkretisierungen desselben in den Abs. 2 und 3 in dem Beschluß des Bundesverfassungsge- richts spielt.

I. Mit Art. 3 GG. befaßt sich das Bundesverfassungsgericht - was in den Kritiken zum Ehegattenbesteuerungs-Beschluß gelegentlich übersehen oder doch zumindest nicht genügend gewürdigt wurde - an mehreren Stellen des Beschlusses; es macht ihn allerdings nicht zur tragenden Grundlage seiner sachlichen Entscheidung1.

1. Unter D II 1 Abs. 1 der Gründe seines Beschlusses (S. 70) leitet das Bundesverfassungsgericht aus Art. 3 Abs. 1 GG. den Grundsatz der allgemei- nen Steuergerechtigkeit her, indem es insoweit lapidar in einem einzigen Satze feststellt: „Es besteht . . . kein Zweifel daran, daß der Gesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit gebunden ist, der sich aus Art. 3 Abs. 1 GG. ergibt." Diese Feststellung, die zwei sehr gewichtige Aussagen enthält und in

1 Vgl. schon oben Β Ι.

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266 Friedrich Klein

beiderlei Hinsicht billigenswert 1 erscheint, ist deswegen so bedeutsam, weil das Grundgesetz - anders als die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 in Art. 134 2 - keine ausdrückliche Bestimmung darüber enthält, nach welchem Grundsatz die Staatsbürger an den öffentlichen Lasten zu beteiligen sind.

2. Unter D II 4 Abs. 10 der Gründe seines Beschlusses (S. 82) 3 befaßt sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 und 3 GG.). Da das Grundgesetz davon aus- gehe, daß die Gleichberechtigung mit dem Schutz von Ehe und Familie ver- einbar sei4, dürfe auch der einfache Gesetzgeber nicht von einem Wider- spruch dieser beiden Prinzipien ausgehen.

3. Unter D II 1 Abs. 2 (S. 71), D II 4 Abs. 10 (S. 82) und D II 5 Abs. 2 und 3 (S. 82/83 und 83/84) der Gründe des Beschlusses finden sich weitere Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 GG., die das Verhält- nis von dessen Abs. 1 und 2 zu Art. 6 Abs. 1 GG. betreffen.

II. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts speziell zum Ver- hältnis von Art. 3 (Abs. 1 und 2) GG. zu Art. 6 Abs. 1 GG. an den vorstehend I 3 angeführten Stellen seines Beschlusses geben zu den folgenden Bemerkun- gen Anlaß:

1. Unter D II 1 Abs. 2 der Gründe seines Beschlusses (S. 71) stellt das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf den Sinn des Art. 3 Abs. 1 GG. (nur solche tatsächlichen Ungleichheiten unterschiedlicher Behandlung im Recht auszusetzen, ,, denen aus Erwägungen der Gerechtigkeit und Zweck- mäßigkeit auch für das Recht entscheidende Bedeutung zukommt") zum Verhältnis des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. zu der Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG. fest: ,,Das Ermessen des Gesetzgebers findet jedoch seine Grenze nicht nur im Willkür verbot und in den , Konkreti- sierungen* des allgemeinen Gleichheitssatzes (insbesondere Art. 3 Abs. 2 und 3 GG.), sondern auch in sonstigen Grundsatznormen ...".- Abgesehen davon, daß die Formulierung „sonstige Grundsatznormen" nur bedingt richtig ist, indem zwar alle drei Absätze des Art. 3 GG. solche sind5, nicht aber alle an- deren Konkretisierungen dieser Bestimmung solche darstellen, kann mit Bachof a.a.O. S. 273 unter Ziff. 2 der bundesverfassungsgerichtlichen Mei- nung über die Begrenzung des gesetzgeberischen Ermessens nicht nur durch

1 Vgl. zur Bindung des Gesetzgebers an den Grundsatz der allgemeinen Steuer- gerechtigkeit die Billigung der bundesverfassungsgerichtlichen Meinung durch Ba- chof a. a. O. S. 273 unter Ziff. 2, zur Ableitung des Grundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. : Ottmar Bühler in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Erl. zum Abschn. X unter II Abs. 4 und 5, S. 3; Paulick, Heinz: Die verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers beim Erlaß von Steuergesetzen, Zeitschrift für die gesamte Staats - Wissenschaft Bd. 109 (1953) S. 483-502, S. 487-496; Paulick, Heinz: Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung - sein Inhalt und seine Grenzen, Bühler-Fest- schrift 1954 S. 121-184, S. 141-162. 2 „Alle Staatsbürger ohne Unterschied tragen im Verhältnis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze bei."

3 Vgl. dazu schon oben D III 2 b. 4 Vgl. zu und in Fußnote 1 auf S. 264. ö Vgl. von Mangoldt-Klem a.a.U. Vorbem. A VI 4 a Abs. 2 zum 1. Abscnnitt,

S. 88, Anm. II 6, IV 9 und V 4 zu Art. 3, S. 195, 207/8 und 212.

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 267

das Willkürverbot und die Konkretisierungen des allgemeinen Gleichheits- satzes, sondern auch durch Grundsatznormen außerhalb der Gleichheitssätze zugestimmt werden.

Kämen Grundsatznormen und damit (vgl. oben Β II 1) spezielle Wert- entscheidungen des Verfassunggebers für bestimmte Bereiche der Rechts- und Sozialordnung in Betracht, so sei - meint das Bundesverfassungsgericht an derselben Stelle weiter - ebenso wie im Falle des Vorliegens von Konkretisie- rungen (insbesondere Art. 3 Abs. 2 und 3 GG.) des allgemeinen Gleichheits- satzes (Art. 3 Abs. 1 GG.) als besonderen Prüfungsmaßstäben eine Bestim- mung zunächst daraufhin zu prüfen, ob sie mit ihnen vereinbar sei ; werde das verneint, dann sei für ihre Prüfung unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG.) kein Raum mehr. - Auch dieser bundes- verfassungsgerichtlichen Meinung über das Verhältnis spezieller Wertentschei- dungen als Prüfungsmaßstäben zum allgemeinen Gleichheitssatz kann bei- gepflichtet werden.1 Über diese formell-verfahrensmäßige Überlegung hin- aus fragt es sich, ob Art. 6 Abs. 1 GG. nicht überhaupt materiell-inhaltlich einen besonderen persönlichen Gleichheitssatz darstellt 2.

2. Indem das Bundesverfassungsgericht unter D II 4 Abs. 10 der Gründe seines Beschlusses (S. 82) die Vereinbarkeit von Art. 3 Abs. 2 mit Art. 6 Abs. 1 GG. bejaht3, sagt es zugleich etwas über das Verhältnis des besonderen Gleich- heitssatzes des Art. 3 Abs. 2 GG. zu der Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG. aus. Es leitet daraus die für seine Sachentscheidung wichtige Folgerung ab, die oben D II 4 b a. E. im Wortlaut wiedergegeben wurde.

III. Nach der Meinung des Bundesverfassungsgerichts, das seine Ent- scheidung zu § 26 EStG. 1951 ausschließlich auf Art. 6 Abs. 1 GG. stützt4, ist zwar ,,für die verfassungsrechtliche Beurteilung des § 26 EStG. 1951 . . . je- denfalls die Wirkung des Art. 6 Abs. 1 GG. als aktuelle Schutznorm maß- gebend"5; doch geht es auch auf Art. 3 GG., insbesondere dessen Abs. 1, und damit auf den daraus herzuleitenden6 Grundsatz der allgemeinen steuer- lichen Gerechtigkeit ein. Da die Kritik an dem bundesverfassungsgericht- lichen Beschluß im wesentlichen bei dem letzteren Gesichtspunkt eingesetzt hat und da zwischen dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit und der Grund- satznorm des Art. 6 Abs. 1 GG. eine bestimmt geartete Verknüpfung besteht (3), bedürfen die kritischen Stellungnahmen zu den einschlägigen Ausführun- gen des Bundesverfassungsgerichts (1) gerade insoweit der eingehenden Nach- prüfung auf ihre Stichhaltigkeit (2).

1. Die oben D I bis III wiedergegebenen oder in Bezug genommenen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der allgemeinen

1 Vgl. die ausführliche Behandlung dieses Problems schon bei von Mangoldl·- Klein a.a.O. Anm. III 4 c, besonders Ziff. 2, zu Art. 3, S. 201/2; zustimmend jetzt auch Bachof a. a. O. S. 273 unter Ziff. 2.

* Vgl. zu diesem ±$egnn von Mangoldt-Klem a. a. U. Anm. 11 4 b Abs. Ζ und 111 4 c Ziff. 3 zu Art. 3, S. 193/94 und 202, sowie zur Sache Strickrodt a. a. O. S. 169 : „. . . die praktische Positivierung eines speziellen Gleichheitsprinzips in Art. 6 Abs. 1 GG ".

3 Vgl. oben D II 4 b und Ε Ι 2. 4 Vgl. oben Β Ι. 5 Abschn. D II 4 Abs. 1 der Gründe seines Beschlusses (S. 77). 6 Vgl. oben I 1.

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268 Friedrich Klein

steuerlichen Gerechtigkeit wurden insbesondere durch den Bundesfinanzhof (a), durch Otto Bachof (b) und Günther Felix (c) kritisiert. Im Unterschied zum Bundesfinanzhof und zu Felix setzt sich Bachof nicht nur mit dem Gesichts- punkt auseinander, daß die getrennte Veranlagung beider Einkommensbezieher einer Ehe eine neue Ungleichheit zu Lasten der Ehen mit nur einem Einkom- mensbezieher schafft, sondern auch mit dem vom Bundesverfassungsgericht als „systemfremd" bezeichneten Gesichtspunkt der erhöhten Leistungsfähig- keit einer Ehe.

a) Unter dem 2. April 1957 hat der Bundesfinanzhof ein Urteil (1 335/56 U) erlassen1, dessen Schwerpunkt und Bedeutung für die Gesetzgebung und Verwaltung im Bereich der Besteuerung in den Ausführungen dazu liegen, welchen Grundsätzen das die Vergangenheit und Zukunft regelnde (Ein- kommen-) Steuergesetz entsprechen muß, um den Voraussetzungen nicht nur des Art. 6 Abs. 1 GG., sondern auch des Art. 3 GG. zu genügen.

Davon ausgehend, daß die Ehegattenbesteuerung im Einkommen- steuerrecht auch dem Art. 3 GG. entsprechen müsse, führt der Bundesfinanz- hof aus: „Mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. wie mit dem Ver- fassungsgebot des Art. 6 GG., Ehe und Familie zu schützen, wäre es nicht vereinbar, Ehen mit eigenen Einkünften beider Ehegatten ohne besondere stichhaltige Gründe günstiger zu besteuern als Ehen, in denen der Ehemann die gesamten Einkünfte bezieht, die Ehefrau aber, weil sie im Haushalt tätig ist und die Kinder erzieht, sich im Wirtschaftsleben nicht betätigen kann. Eine steuerliche Benachteiligung solcher Ehen würde auch wohl dem Art. 6 GG. widersprechen."

Der Bundesfinanzhof läßt hier deutlich erkennen, daß nach seiner Mei- nung die getrennte Veranlagung und Besteuerung beider Ehegatten mit den ihnen zivilrechtlich zustehenden Einkünften jedenfalls dann nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG. (und auch Art. 6 Abs. 1 GG.) vereinbar sei, wenn sich dadurch eine wesentlich niedrigere Besteuerung als in den Fällen ergebe, in denen der Ehemann allein gleich hohe Einkünfte beziehe, daß die getrennte Veranlagung und Besteuerung diejenigen Ehen steuerlich offensichtlich benachteilige, in denen die Ehefrau ihre Arbeitskraft als Ehefrau und Mutter einsetzt, und daß eine solche Veranlagung und Besteuerung insbesondere gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. verstoße.

b) Bachof a . a . Ο. S. 273 unter Ziff. 3 äußert in dreifacher Hinsicht Zweifel an der Richtigkeit der sachlichen Entscheidung des Bundesverfassungsge- richts. Zunächst sei auch die Besteuerung von Ehen mit nur einem Einkom-

1 Amtl. Slg. Bd. 64 S. 432-437 = BStBl. 1957 Teil III S. 162-164; vgl. auch Deutsche Steuerzeitung 1957 Ausgabe A S. 160 und Ausgabe B S. 217; Der Betrieb 1957 S. 394/95; Der Betriebs-Berater 1957 S. 460/61 (mit Anm. von Grieger S. 461/ 62 und Schlußbemerkung der Schriftleitung); Deutsche Steuer-Rundschau 1957 S. 280-282 (mit Anm. von Rademacher S. 282); Der Steuerpraktiker 1957 S. 153; Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung Nr. 34 vom 27. April 1957 S. 27; Die Wirtschaftsprüfung 1957 S. 302; Finanz -Rundschau 1957 S. 365 Nr. 1706 (nur Leit- sätze; vgl. dazu die Stellungnahmen von Hoffmann und Weickert ebenda S. 343 bzw. S. 343-345) ; Einzeldarstellungen des Bundes der Steuerzahler, herausgegeben vom Präsidium des Bundes der Steuerzahler e. V. : Nr. 34, Endlösung der Ehegattenbe- steuerung und Grundgesetz, Stuttgart 29. Juli 1957, 10 matrizierte Seiten, S. 1-7.

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 269

mensbezieher heute keine „Individualbesteuerung" mehr, sondern Zusam- menveranlagung, da beide Ehegatten schon de lege lata am Ergebnis der ge- meinsamen Arbeit auch dann beteiligt seien, wenn diese Arbeit auf Seiten der Ehefrau in der Führung des gemeinsamen Haushalts bestehe; dann aber sei die Zusammenveranlagung keine „systemwidrige Durchbrechung" des „Grundsatzes der Individualbesteuerung" (unter Ziff. 3 a). Sodann könne er es im Hinblick darauf, daß die Ehe (und Familie) eine Lebens- und eine Lei- stungsgemeinschaft sei, „nicht als so ganz abwegig empfinden, wenn nicht nur die , darreichende* Verwaltung, sondern auch die Besteuerung an den Ge- sichtspunkt der Leistungsfähigkeit einer Ehe anknüpfe"; zweifelhaft sei hier nur, „ob der Gesetzgeber mit Recht von einer erhöhten Leistungsfähigkeit der Ehe ausgehen kann, und ob die Erhöhung der Leistungsfähigkeit bejahen- denfalls ein Ausmaß besitzt, das auch nur einigermaßen der erhöhten Steuer- belastung entspricht"; auch müsse hinter das bundesverfassungsgerichtliche Argument, der Gesichtspunkt der erhöhten Leistungsfähigkeit einer Ehe sei „systemfremd", weil die Möglichkeit von Einsparungen in der Lebenshaltung im gesamten übrigen Einkommensteuerrecht als Faktor der Leistungsfähig- keit nicht berücksichtigt werde, ein Fragezeichen gesetzt werden: „eine Re- gelung, die die Mehrzahl aller Steuerpflichtigen trifft, kann man kaum als systemfremd bezeichnen". Vor allem aber sei der vom Bundesverfassungs- gericht angestellte und fast etwas peinliche Vergleich der Ehe mit Haushalts- gemeinschaften anderer Art verfehlt (unter Ziff. 3 b). Nach seiner Meinung unter Ziff. 3 c schließlich scheint es dem Bundesverfassungsgericht „am we- nigsten . . . gelungen zu sein, das Argument des Bundesfinanzministers1 aus- zuräumen, die getrennte Veranlagung beider Einkommensbezieher einer Ehe schaffe eine neue Ungleichheit zu Lasten der Ehe mit nur einem Einkommens- bezieher".

Er begründet dies so: „Der Hinweis, diese Benachteiligung bestehe ,genauso jedem anderen Steuerpflichtigen gegenüber, der für eine geringere Zahl von Personen aufzukommen hat als der allein verdienende Familienvater*, wäre nur dann schlüssig, wenn die für die Besteuerung maßgeblichen Verhältnisse der Ehen mit beiderseitigem Einkommen den Verhältnissen jener »anderen Steuerpflichtigen' als tatbestands- mäßig gleich, den Verhältnissen der Ehen mit nur einem Verdienenden dagegen als tatbestandsmäßig ungleich zu werten wären. In Wahrheit bestehen selbstverständ- lich zwischen allen drei Gruppen tatsächliche Ungleichheiten ; aber gerade nach den Ausführungen des Gerichts soll ja die Entscheidung darüber, welche tatsächlichen Ungleichheiten auch zu rechtlichen Unterscheidungen führen müssen, weithin dem Ermessen des Gesetzgebers überantwortet bleiben. Die Bindung, die dieses Er- messen durch Art. 6 I erfährt, ist gegenüber der einen Gruppe von Ehepartnern nicht größer oder geringer als gegenüber der anderen!"

c) Obwohl Felix a.a.O. S. 171 unter II Abs. 7 die Tatsache, daß die ge- trennte Besteuerung diejenigen Ehen steuerlich offensichtlich benachteilige, in denen die Ehefrau ihre Arbeitskraft als Hausfrau einsetze, als „weit schwe- rer wiegend" und die Rechtsfolge, die der Bundesfinanzhof in seiner oben a) angeführten Entscheidung herausstellt, als „tatsächlich unerfreulich" emp- findet und bezeichnet, ist er „der Ansicht, daß sich dieses Bedenken bei nähe- rer Betrachtung nicht zu einem verfassungswidrigen Tatbestand verdichtet,

1 Dieses Wort steht im Original in Kursivdruck.

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270 Friedrich Klein

obwohl ein auffallender Mißstand nicht zu verkennen ist". Aus dem Be- schluß des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich deutlich, daß Stein des bundesverfassungsgerichtlichen Anstoßes allein die Tatsache sei, daß infolge des Eingehens der Ehe bereits die steuerliche Mehrbelastung eintrete. Es er- scheine unvertretbar, den Akt der Eheschließung als Anknüpfungspunkt für die Erhöhung der Steuerpflicht zu verwenden. Dagegen lasse sich in dieser Weise nicht argumentieren, wenn nach bürgerlichem Eecht einer Leistung keine Einkünfte im steuerlichen Sinne entgegenstünden. Das Grundgesetz kenne kein „finanzielles Grundrecht der im Haushalt tätigen Hausfrau' c.

2. Die vorstehend Ziffer 1 wiedergegebenen kritischen Stellungnahmen zu den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sollen im folgenden auf ihre Stichhaltigkeit geprüft werden. Dabei sollen zunächst der Gesichts- punkt der erhöhten Leistungsfähigkeit einer Ehe im Verhältnis zu anderen Haushaltsgemeinschaften (a) und das Verhältnis der „ Mehr Verdiener-" oder „Mitverdiener-Ehe" zur „Einverdiener-Ehe" (b) erörtert werden; daran schließen sich Ausführungen, die diese beiden Gesichtspunkte gemeinsam be- treffen und zueinander in Beziehung setzen (c), im Zusammenhang damit ins- besondere die Rechtfertigung des „Edukations-" Arguments im bundesver- fassungsgerichtlichen Beschluß (d).

a) Wenn das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich das Verhältnis zwi- schen Haushaltsgemeinschaften sowohl von „mitarbeitenden" Ehegatten und von Nicht-Ehegatten als auch von „mitarbeitenden" und „mithelfenden" Ehegatten untersucht, so trägt es damit der ratio des § 26 EStG. Rechnung, der gerade „mitarbeitende" Ehegatten den „mithelfenden" Ehegatten gleichstellen soll, indem er auch das Einkommen der ersteren einer gemeinschaftlichen, einheit- lichen Steuerprogression unterwirft. Es stellt mit Recht darauf ab, daß für eine Einheitlichkeit der Veranlagung und Besteuerung unter dem Gesichts- punkt der steuerlichen Leistungsfähigkeit in bezug auf die Haushaltsgemein- schaften von „mithelfenden" Ehegatten nicht nur die Haushaltsgemein- schaften der „mitarbeitenden" Ehegatten, sondern auch die anderen Haus- haltsgemeinschaften hätten herangezogen werden müssen.

Die vom Bundesverfassungsgericht wiedergebene Statistik des Jahres 1950, nach der in diesem Jahre in insgesamt 5,7 Millionen Haushaltungen mit mehr als einem Einkommensbezieher (mithelfende Familienmitglieder nicht eingerechnet) nur 0,74 Millionen erwerbstätige Ehefrauen (ohne die im Betriebe des Ehemannes Mithelfenden) vorhanden waren, dürfte allgemein überraschen. Sie bildet ein be- achtliches Argument für die Begründung des Bundesverfassungsgerichts, die ge- trennte Veranlagung der Ehegatten verletze nicht zu Lasten von Einverdiener-Haus- haltungen den Gleichheitsgrundsatz in seiner Erscheinungsform der gleichmäßigen Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, da „die Möglichkeit von Einsparungen in der Lebenshaltung ... im gesamten übrigen Einkommensteuerrecht als Faktor der Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt" werde, weshalb ihre Heranziehung im vor- liegenden Zusammenhang „systemfremd" sei1.

Wenn Bachof a.a.O. S. 273 unter Ziff. 3 b hiergegen einwendet: „eine Regelung, die die Mehrzahl aller Steuerpflichtigen trifft, kann man kaum als systemfremd bezeichnen", so übersieht er, daß es hier nicht auf die von ihm

1 Abschn. D II 4 Abs. 2 und 3 der Gründe des Beschlusses (S. 77/78).

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 271

offenbar gemeinte Zahl der überhaupt bestehenden Ehen und nicht einmal auf die Zahl der hier allein in Betracht kommenden Ehen mit wirtschaftlicher Haushaltsgemeinschaft von zwei verdienenden Ehegatten ankommt, sondern allein auf die Zahlen Verhältnisse zwischen den abstrakten und konkreten der verschiedenen wirtschaftlichen Haushaltsgemeinschaften.

Bachof s Einwand mag zum Teil mit seiner neuartigen Meinung zusam- menhängen, ,,auch die Besteuerung von Ehen mit nur einem Einkommens- bezieher" sei „heute keine ,Individualbesteuerungc mehr, sondern Zusam- menveranlagung' ', weil die „Überschüsse und Ersparnisse" des Einkommens nach der (in irgendeiner Form allein der Gleichberechtigung entsprechenden) Errungenschaftsgemeinschaft oder Zugewinnstgemeinschaft „teilweise der Frau zustehen"1. Diese Auffassung ist allerdings weder steuerrechtlich noch familienrechtlich haltbar. Steuerrechtlich lassen sich Einnahmen des einen Einkommensbeziehers auch nicht in wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Einnahmen eines anderen Haushaltsangehörigen ansehen. Familienrechtlich stellt die inzwischen durch das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Kechts (Gleichberechtigungs- gesetz) vom 18. Juni 1957 (BGB1. I S. 609) als gesetzlicher Güterstand nach den neuen §§ 1363 bis 1390 BGB. eingeführte und auch in den langjährigen Erörterungen um diese Gesetzesänderung niemals in einem anderen Sinne verstandene Zugewinnstgemeinschaft erst auf den Vergleich des Vermögens vor Beginn und nach Ende des Güterstandes, nicht aber auf das laufende Ein- kommen während des Güterstandes ab (vgl. insbesondere §§ 1363 und 1373 BGB.). Auch bei der von Bachof noch erwähnten Errungenschaftsgemein- schaft kommt es von jeher auf den Vermögensvergleich vor Beginn und nach Ende des Güterstandes, nicht aber auf das Erfassen des laufenden Einkom- mens an (vgl. insbesondere §§ 1519 Abs. 1, 1541 und 1546 BGB. a. F.).

Zum anderen Teil begründet Bachof seine Kritik ausdrücklich damit, es sei „vor allem . . . der vom Gericht angestellte und fast etwas peinliche Ver- gleich der Ehe mit Haushaltsgemeinschaften anderer Art verfehlt", weil der Grund für „ihre - im Vergleich zu einer entsprechenden Zahl von Einzelperso- nen - erhöhte Leistungsfähigkeit" nur darin gefunden werden könnte, daß „Ehe und Familie umfassende Einheiten sittlicher und soziologischer Art" und damit von den anderen Haushaltsgemeinschaften wesensverschieden seien2. Diese Begründung ist in mehrfacher Hinsicht nicht haltbar. Denn einmal ist die Grundlage der Einkommensteuer nicht die sittliche und sozio- logische, sondern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, und es ist nicht er- sichtlich, inwiefern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gerade durch die sittliche und soziologische „Leistungsfähigkeit" gesteigert werden sollte, da wirtschaftliche „Erfolge" leider nur zu häufig mit nicht eben dem Sitten- gesetz entsprechenden Mitteln errungen zu werden pflegen. Zum andern müßte eine höhere sittliche Stellung der Ehe gerade nicht eine höhere, son- dern eine geringere Steuerbelastung rechtfertigen 3.

1 S. 273 unter Ziff. 3 a a. E. 2 S. 273 unter Ziff. 3 b a. E. 3 So mit Recht das Bundesverfassungsgericht unter D II 4 Abs. 5 der Gründe seines Beschlusses (S. 79).

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272 Friedrich Klein

b) Ist somit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Würdigung des Verhältnisses der ehelichen wirtschaftlichen Haushaltsge- meinschaften und anderer Haushaltsgemeinschaften zuzustimmen, so be- stehen erhebliche Bedenken gegen seine daran anschließenden Erörterungen über das Verhältnis der „Mehr Verdiener-" oder „Mitverdiener-Ehe" zur „Ein- verdiener-Ehe"1.

Eine Benachteiligung der Einverdiener-Ehe durch das getrennte Veran- lagen und Besteuern der Mehrverdiener-Ehegatten kann jedenfalls nicht unter Berufung darauf bezweifelt und bestritten werden, daß weitere Grup- pen von Steuerpflichtigen herangezogen werden2, zumal diese zum Teil be- reits und systematisch richtig in Form der „anderen Haushaltsgemeinschaf- ten" einkommensteuerlich herangezogen wurden. Unrichtig, weil hinsichtlich des Gleichheitssatzes unzulässig, aber ist der diesen Entscheidungsabschnitt tragende, nicht mehr mit Erwägungen des Gleichheitssatzes, sondern mit Er- wägungen der Sozialstaatlichkeit und des Schutzes von Ehe und Familie ope- rierende Satz des Beschlusses, die Zusammenveranlagung von Ehegatten könne nicht „der besonderen Lage des Ehemannes und Familienvaters, der für mehrere Personen aufzukommen hat, Rechnung tragen . . ., da sie nur einen Teil der Ehepaare höher belastet, ohne den anderen zu nützen"3. Denn die Zusammenveranlagung von Ehegatten belastet eben nicht ohne weiteres die Mehrverdiener- oder Mitverdiener-Ehegatten höher, als die Einverdiener- Ehegatten belastet sind, sondern bei erster Betrachtung durch das Erfassen des gesamten Familieneinkommens unter einer einheitlichen Progression der Einkommensteuer vielmehr gerade ebenso wie diese ; höher werden die Mehr- verdiener- oder Mitverdiener-Ehegatten unstreitig und ohne weiteres - sieht man von ihrem Verhältnis zu den anderen Haushaltsgemeinschaften 4 ab - nur im Verhältnis zu sich selbst vor ihrer Eheschließung oder nach einer Ehe- trennung belastet.

c) Um sich hinreichend mit den neuen Ungleichheiten5 auseinanderzu- setzen, die möglicherweise auf Grund seines Beschlusses auftreten, hätte sich das Bundesverfassungsgericht näher mit den Unterschieden zwischen der Haus- haltsführung von „mitarbeitenden" , „mithelfenden" und bloßen „Einverdiener"- Ehegatten befassen müssen. Es hätte dies übrigens auch schon für sein Ergeb- nis tun können; denn im Verhältnis zu der Haushaltsbesteuerung von nicht „mithelfenden", sondern nur „Einverdiener" -Ehegatten können Gleichheits- verletzungen durch die Nicht-Haushaltsbesteuerung der „mitarbeitenden" Ehegatten allenfalls dann vorliegen, wenn die „mitarbeitenden" Ehegatten gerade wegen ( !) dieser Mitarbeit die Tätigkeit in Haushalt und Familie nicht allein wahrnehmen, sondern von anderen Personen wahrnehmen lassen. Selbst soweit dies trotz des großen Mangels an Haushaltshilfen und (oder) -

1 Abschn. D II 4 Abs. 7 der Gründe des Beschlusses (S. 80). 2 Vgl. oben D 11; dagegen auch Bachof a.a.U. ». 273 unter Zitt. δ c. a Uagegen auch nactioj a.a.u. ö. z/á unter Zrtn. à c, wenn aucn mix) partiener

Billigung. 4 Vgl. oben a. 6 ütnckrodt a.a.U. ». ίου spricht von „neuen uesteuerungsungieicnneiren

peinlicher Art, nämlich gegenüber den mitarbeitenden Ehefrauen".

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Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung 273

vor allem in jungen Ehen1 - auch trotz der durch eine solche „Entlastung" wieder verursachten erheblichen Kosten der Fall ist, würde doch wieder Un- gleichheit vorliegen, insoweit auch ,, Ein Verdiener "-Ehegatten sich von der Arbeit in Haushalt und Familie entsprechend entlasten. Diese Gesichtspunkte hat leider auch der Bundesfinanzhof nicht ausreichend behandelt. Er läßt dort offen, wie er in den zahlreichen Fällen vor allem junger Ehen urteilen würde, in denen die Frau außer der Übernahme der vollen Pflichten als Haus- frau und Mutter noch verdienen muß, um überhaupt erst eine Lebensgrund- lage für die eheliche Gemeinschaft zu schaffen. Soweit hierbei außer den heute regelmäßig erforderlichen hohen Mietvorauszahlungen das Beschaffen derWoh- nungseinrichtung in Betracht kommt, muß diese Unterlassung um so mehr befremden, als der Bundesfinanzhof fast am selben Tage zur Grundlage einer weittragenden Entscheidung gemacht hat, „daß es in Folge der durch den zweiten Weltkrieg und durch die Währungsumstellung wesentlich veränderten Verhältnisse weitgehend üblich geworden ist, daß sich Eheleute ( !) ihre Woh- nungseinrichtung selbst beschaffen" 2. In denjenigen Fällen, in denen in einer dieser Gruppen eine solche Entlastung vorliegt, bestehen deswegen ungleiche Sach verhalte, weil die „mitarbeitenden" Ehegatten mehr Arbeitszeit und -kraft aufwenden müssen als die „Einverdiener"-Ehegatten. Gerade gegen diesen Unterschied wendete sich ja das vom Bundesminister der Finanzen immer wieder vorgebrachte „Educations"- Argument.

d) Die eingehende Auseinandersetzung mit dem „Edukations" -Argument hat daher in dem bundesverfassungsgerichtlichen Beschluß einen begründeten Platz. Wer meint, sie sei un juristisch, übersieht, daß der allgemeine Gleich- heitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. die Auseinandersetzung mit allen Gründen verlangt, die für die gleichartige Behandlung ungleichartiger oder für die un- gleichartige Behandlung gleichartiger Sach verhalte vorgebracht werden. Den diesbezüglichen Ausführungen des Beschlusses, die Verteilung der ehelichen Aufgaben in Haushaltsführung und Unterhaltsgewinn sei nach dem Men- schen- und Ehebilde des Grundgesetzes ausschließlich „innere" Angelegen- heit der Ehegatten - Ausführungen, die in Anbetracht der einschlägigen wie- derholten Auslassungen des Bundesministers der Finanzen durchaus nicht „fast unnötig breit" sind3 - ist auf Grund der insoweit klaren Entscheidun- gen des Art. 6 Abs. 1 GG. in Verbindung mit dem Freiheitsrechtsleitsatz4 des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 1 GG., des Art. 3 Abs. 2 GG. und auch des Art. 3 Abs. 1 GG. im Kahmen der Schranke des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG. (etwa gegen Unterhaltsgewinnung durch unsittlichen Lebenswandel!) uneingeschränkt zuzustimmen.

1 Vgl. den übernächsten Satz im Text. 2 Urteil vom 5. April 1957 - VI 177/56 U, Amtl. Slg. Bd. 64 S. 526-528 =

BStBl. Teil III S. 196/97 = Der Betrieb 1957 S. 496 über die Nichtabzugsfähigkeit von Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für die Wohnungseinrichtung seines Sohnes.

3 So aber Bachoj S. 273 unter Zitt. 3 vor a. 4 Vgl. von MangoMt-Klein, a.a. O., Anm. III 5 Β Abs. 1 zu Art. 2, S. 167.

18 Finanzarchiv N. F. 18. Heft 2

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274 F. Klein: Bundesverfassungsgericht und Ehegattenbesteuerung

IV. Abschnitt

Der Ehegattenbesteuerungs-Beschluß als Beweis für die Problematik der Verfassungsgerichtsbarkeit

Der Ehegattenbesteuerungs-Beschluß des Ersten Senats des Bundesver- fassungsgerichts vom 17. Januar 1957 hat die Aufmerksamkeit weitester Kreise der Bevölkerung auf die Verfassungsgerichtsbarkeit im allgemeinen und die - konkrete und abstrakte - Normenkontrolle als einer Verfahrensart dieser Gerichtsbarkeit im besonderen gelenkt. Dabei wurde erneut und dieses Mal besonders augenfällig die Problematik der Verfassungsgerichtsbarkeit sicht- bar. Wurde diese bislang im wesentlichen unter der Fragestellung: Juridifi- zierung der Politik ? Politisierung der Justiz ? gesehen, so wirft der bundes- verfassungsgerichtliche Beschluß zu § 26 Ε St G 1951 ein Schlaglicht auf die Verfassungsgerichtsbarkeit von dem Standpunkt des Grundgesetzes aus, daß alle Einzelrechtsgebiete, also auch der Gesamtbereich des Finanz- und Steuer- rechts, mit ihren gegenüber dem Grundgesetz schwächeren Rechtsnormen unter der Verfassung mit ihren stärkeren Rechtsnormen stehen, daß dieses Rangverhältnis von einfachgesetzlichen und Verfassungs-Normen zueinander durch das Bundesverfassungsgericht im konkreten oder abstrakten Normen- kontrollverfahren überprüft und daß jede rangniedere Rechtsnorm von ihm gegebenenfalls für grundgesetzwidrig und nichtig erklärt werden darf.

Taucht unter dem ersten Blickwinkel der Betrachtung die Gefahr auf, daß das Bundesverfassungsgericht sogar im Verfahren der - konkreten oder ab- strakten - Normenkontrolle „politisiert" und daß Politik in „justizförmiger" Weise getrieben wird, so unter dem zweiten das Bedenken, daß das Gericht sich in diesem Verfahren in zu weitgehender Weise zum Richter über den (ein- fachen Bundes-) Gesetzgeber erhebt. In beiden Fällen könnte dem Gericht eine „Entmachtung der Legislative" zur Last gelegt und könnte eine unan- gebrachte und unangemessene Übersteigerung seiner Machtbefugnisse be- hauptet werden.

Indessen scheint die aus solchen Vorwürfen sprechende Einschätzung der durch das Bundesverfassungsgericht ausgeübten richterlichen Gewalt in ihrer grundsätzlichen Einstellung doch zu einer Überschätzung dieser Gewalt zu führen und damit zu weit zu gehen. Gefahren in den aufgezeigten beiden Richtungen bestehen allerdings insofern, als das Gericht in beiden Beziehun- gen im Einzelfalle überfordert werden kann. Einer solchen Überforderung scheint es in der hier erörterten Angelegenheit unter dem zweiten der oben aufgezeigten Blickwinkel in der Tat zum Opfer gefallen zu sein: Mag der Ehegattenbesteuerungs-Beschluß zwar formal] uristisch weitgehend in Ord- nung sein, so wird er doch den spezifischen Besonderheiten der Einkommens- besteuerung offensichtlich nur schwerlich gerecht. Der Beschluß vermittelt nämlich dem Kenner den Eindruck, daß das Gericht einerseits die weittragen- den Auswirkungen seiner Entscheidung über den Bereich der Einkommens- besteuerung hinaus nicht recht übersehen hat und daß es anderseits im Gebiete der Einkommensbesteuerung selbst allzusehr im rein steuerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Meditieren und Argumentieren steckengeblieben ist.

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