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VON TANNHÄUSER ZUR T ANNHÄUSER-BALLADE von BURGHART W ACHINGER fur Günther Schweikle Die 'Sage' von Tannhäuser und dem Venusberg, fürs 19. Jahrhundert ein Mythos von großer Faszinationskraft, gehört ihrem Ursprung nach zu einer Reihe von mehr oder weniger fabulösen Erzählungen des Hoch- und Spätmit- telaI ters, die sich an Dichternamen knüpfen. I So verschiedenartig diese Erzäh- lungen nach Stoffen, Gestaltungsweisen und literarhistorischen Kontexten sind, sie scheinen doch insgesamt ein wachsendes Interesse am Autor als Person hinter den Texten zu bezeugen, ein Interesse, das um diese Zeit ja auch sonst nachzuweisen ist. 2 Gewiß wirkt die Verknüpfung von Autor und 'Sage' oft recht willkürlich, aber bei näherer Betrachtung werden doch meist Ansatzpunkte sichtbar, an die sich dann bereitliegende literarische Muster anlagern konnten : ein Stück Text (ein paar 'Wigalois'-Verse für 'Der Welt Lohn' von Konrad von Würzburg;3 Walther-Strophen unter dem Namen Heinrichs von Morungen fur die 'Moringer'-Ballade 4 ), ein programmatischer Name (flir die chronikalische Ausschmückung von Frauenlobs Begräbnis 5 ), Namenkataloge (Fürstenlob des 'Wartburgkriegs', Sage vom Ursprung des Meistergesangs 6 ), ein Tonname ('Bremberger' -Ballade 7 ), Propheten- oder Ge- 1 Fürs Deutsche zusammenfassend, im einzelnen vielfach überholt: F. ROSTOCK, Mittel· hochdeutsche Dichterheldensage (Hermaea 15), Halle 1925. 2 A. J. MINNIS, Medieval theory of authorship. Scholastic literary attitudes in the later Middle Ages, London 1984; B. WACHINGER, Autorschaft und Überlieferung, in: ders./W. HAUG (Hgg.), Autortypen (Fortuna vitrea 6), Tübingen 1991, S. 1-28. Zu den provenzalischen Vidas der Trobadors vgl. U. MÖLK, Trobadorlyrik (Artemis Einfuhrungen 2), Zürich 1982, S. 110- 123. Nur in den weiteren Umkreis des Themas gehören: Erläuterungen zu den Entstehungsum- ständen einzelner Texte wie die provenzalischen Razos (vgl. MÖLK, ebd.) oder eine W.anderan· ekdote in der Mönch·Überiieferung (vgl. B. WACHINGER, Der Mönch von Salzburg [Hermaea N. F. 57]. Tübingen 1989, S. 111); Erzählungen von göttlicher Beglaubigung eines geistlichen Texts (ein Beispiel ebenfalls aus der Mönch-Überlieferung ebd., S. 93f.); schließlich der weite Bereich fiktiver Autorschaft. l Wirnt von Grafenberg, Wigalois, hg. v. J. M. N. KArrEYN, Bonn 1926, v. 11680-83 . 4 F. SC HANZE, 'Moringe!', in: 2VL, Bd. 6, 1987, Sp. 688-692. 5 K. STACKMANN, Frauenlob, in: 2VL, Bd. 2, 1980, Sp. 865-877. 6 H . BRUNNER, Die alten Meister (MTU 54), München 1975, S. 12-31. 7 P. SArPLER, 'Bremberger', in: 2VL, Bd. I, 1978, Sp. 1014-1016.

Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

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Über die Entstehung der Tannhäuser-Sage

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Page 1: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

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VON TANNHAumlUSER ZUR T ANNHAumlUSER-BALLADE

von BURGHART W ACHINGER

fur Guumlnther Schweikle

Die Sage von Tannhaumluser und dem Venusberg fuumlrs 19 Jahrhundert ein Mythos von groszliger Faszinationskraft gehoumlrt ihrem Ursprung nach zu einer Reihe von mehr oder weniger fabuloumlsen Erzaumlhlungen des Hoch- und SpaumltmitshytelaI ters die sich an Dichternamen knuumlpfen I So verschiedenartig diese Erzaumlhshylungen nach Stoffen Gestaltungsweisen und literarhistorischen Kontexten sind sie scheinen doch insgesamt ein wachsendes Interesse am Autor als Person hinter den Texten zu bezeugen ein Interesse das um diese Zeit ja auch sonst nachzuweisen ist2 Gewiszlig wirkt die Verknuumlpfung von Autor und Sage oft recht willkuumlrlich aber bei naumlherer Betrachtung werden doch meist Ansatzpunkte sichtbar an die sich dann bereitliegende literarische Muster anlagern konnten ein Stuumlck Text (ein paar Wigalois-Verse fuumlr Der Welt Lohn von Konrad von Wuumlrzburg3 Walther-Strophen unter dem Namen Heinrichs von Morungen fur die Moringer-Ballade4) ein programmatischer Name (flir die chronikalische Ausschmuumlckung von Frauenlobs Begraumlbnis5)

Namenkataloge (Fuumlrstenlob des Wartburgkriegs Sage vom Ursprung des Meistergesangs6) ein Tonname (Bremberger -Ballade7) Propheten- oder Geshy

1 Fuumlrs Deutsche zusammenfassend im einzelnen vielfach uumlberholt F ROSTOCK Mittelmiddot hochdeutsche Dichterheldensage (Hermaea 15) Halle 1925

2 A J MINNIS Medieval theory of authorship Scholastic literary attitudes in the later Middle Ages London 1984 B WACHINGER Autorschaft und Uumlberlieferung in dersW HAUG (Hgg) Autortypen (Fortuna vitrea 6) Tuumlbingen 1991 S 1-28 Zu den provenzalischen Vidas der Trobadors vgl U MOumlLK Trobadorlyrik (Artemis Einfuhrungen 2) Zuumlrich 1982 S 110shy123 Nur in den weiteren Umkreis des Themas gehoumlren Erlaumluterungen zu den Entstehungsumshystaumlnden einzelner Texte wie die provenzalischen Razos (vgl MOumlLK ebd) oder eine Wanderanmiddot ekdote in der MoumlnchmiddotUumlberiieferung (vgl B WACHINGER Der Moumlnch von Salzburg [Hermaea N F 57] Tuumlbingen 1989 S 111) Erzaumlhlungen von goumlttlicher Beglaubigung eines geistlichen Texts (ein Beispiel ebenfalls aus der Moumlnch-Uumlberlieferung ebd S 93f) schlieszliglich der weite Bereich fiktiver Autorschaft

l Wirnt von Grafenberg Wigalois hg v J M N KArrEYN Bonn 1926 v 11680-83 4 F SCHANZE Moringe in 2VL Bd 6 1987 Sp 688-692 5 K STACKMANN Frauenlob in 2VL Bd 2 1980 Sp 865-877 6 H BRUNNER Die alten Meister (MTU 54) Muumlnchen 1975 S 12-31 7 P SArPLER Bremberger in 2VL Bd I 1978 Sp 1014-1016

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lehrtenruhm (Erzaumlhlungen von Vergil8 und A1bertus Magnus9) Besonders wichtig aber sind offenbar Rollen gewesen die in den Texten des jeweiligen Autors schon angelegt waren die Rolle des Liebhabers (in einigen spaumlten eher novellistischen Trobador-Vidaslo aber wohl auch fuumlr die BrembergershyBallade von Bedeutung) des schwachen ritterlichen Bauernfeinds (Neidhart) des betont laikaien Dichters (Wolfram im Raumltselspiel des Wartburgkriegsll) oder des streitbaren Meisters (Frauenlob-Regenbogen-Streitgedichte12) Geshygenuumlber solchen genuin literarischen Ansatzpunkten hat die aumlltere Forschung die Wahrscheinlichkeit daszlig ein vom literarischen Wissen unabhaumlngiges bioshygraphisches Wissen zum Kern einer Sagenbildung wurde gewiszlig uumlberschaumltzt 13

Von allen mittelalterlichen Dichtersagen hat die vom Tannhaumluser die Forschung wohl am intensivsten beschaumlftigt Die weit verstreuten Zeugnisse sind zusammengetragenI4 wesentliche Elemente der Sagenbildung scheinen mir geklaumlrt zu sein Ein Gesamtbild das mich zu uumlberzeugen vermoumlchte liegt jedoch nicht vor Ich greife das Problem noch einmal auf auch zur Rechtfershytigung und Modifikation meiner Darstellungen im Verfasseriexikonls Waumlhshyrend aber im Verfasserlexikon die Einzeltexte im Zentrum des Interesses standen geht es mir hier vor allem um die Traditionen die sich zwischen den Texten abgespielt haben muumlssen um das Wissen das die Texte voraussetzen eben um Sage Freilich moumlchte ich das was man kaum besser als Sage nennen kann nicht in einem vagen Ungefltihr belassen sondern so praumlzis wie moumlglich an uumlberlieferten Texten festmachen

Ich beginne mit dem historischen Dichter Unser Bild von dem Lyriker Tannhaumluser wird bestimmt von dem was die Heidelberger Liederhandschrift C unter dem Namen Der Tanhuser uumlberliefert Man darf sicherlich fragen ob dieses Bild vollstaumlndig ist Daszlig es falsch sei dafuumlr gibt es keine Indizien Die Texte scheinen leidlich gut uumlberliefert zu sein und auf die Idee einzelne Texte dieses Corpus als unecht anzuzweifeln ist noch niemand verfallen

8 F J WORSTBROCK Vergil in 2VL Bd 10 Lieferung 1 (im Druck) 9 F SCHANZE A1bertus Magnus und die Tochter des Koumlnigs von Frankreich in 2VL

bull Bd 11978 Sp 123f

10 Vgl MOumlLK (Anm 2) II H RAGOTZKY Studien zur Wolfram-Rezeption Die Entstehung und Verwandlung der

Wolfram-Rolle in der deutschen Literatur des 13ahrhunderts Stuttgart (ua] 1971 B WACHINGER Saumlngerkrieg (MTU 42) Muumlnchen 1973 S 83-89

12 B WACHINGER Saumlngerkrieg (Anm 11) S 280-298 IJ Angenommen hat man das vor allem fur die Beziehungen Heinrichs von Morungen

zum Leipziger Thomaskloster und fur einen angeblichen gewaltsamen Tod Reinmars von Brennenberg

14 Am vollstaumlndigsten ist das Material gesammelt bei PH ST BARTO Tannhaumluser and the Venusberg Diss Univ ofIllinois 1913 = Tannhaumluser and the Mountain ofVenus A study in the legend of Germanic paradise New York 1916

15 B WACHINGER Der Tannhaumluser Tannhaumluser und Venus Tann haumluser-Ballade in 2VL Bd 9 1995 Sp 600-616

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Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Tatsaumlchlich laumlszligt dieses Corpus ein relativ eigenartiges Autorprofil erkennen C uumlberliefert mit sechs Leichs sechs Minneliedern drei Sangspruchtoumlnen und einem Kreuzzugs- oder Pilgerlied ein Oeuvre von professioneller Vielseishytigkeit mit einzelnen originellen Typusvariationen (zB Fuumlrstenpreis im Tanzshyleich) In diesem Corpus operiert der Dichter mit traditionellen lyrischen Rollen der des Liebenden der des Tanzmeisters und der des heimatlosen Fahrenden Rollen denen er auch neue Nuancen abgewinnt Der Stil bleibt gemessen an der Reim- und Sprachartistik anderer professioneller Lyriker des 13 Jahrhunderts eher schlicht fast sorglos Als Schmuck dienen Namen und Fremdwoumlrter manchmal gehaumluft Und es findet sich eine Neigung zu Kataloshygen und zum Anzitieren geographischen Wissens und romanhafter oder exotischer Vorstellungen Nach heutigen Verstehens- und Wertungsmoumlglichshykeiten sind wohl die besten von Tannhaumlusers Dichtungen diejenigen in denen er verschiedene Imaginationen so kombiniert und uumlberlagert daszlig sich kaum noch eine Ebene der eigentlichen Bedeutung ausmachen laumlszligt So wenn er in Lied XF6 in der Rolle des Tanzmeisters ruumlr den winterlichen Stubentanz detailliert die Schoumlnheit seiner tanzenden Geliebten beschreibt und die Geshysellschaft auffordert die Schoumlne beim Tanzen nicht zu bedraumlngen und zu bestauben aber man weiszlig nicht ob die Geliebte als anwesend vorzustellen ist oder nur als Imagination des Tanzmeisters in eine Szene projiziert wird die als solche beim Vortrag vor der houmlfischen Gesellschaft natuumlrlich ebenfalls nur imaginiert ist Vergleichbar Leich III In einen Fruumlhjahrs-Tanz-Aufruf an eine Maumldchengesellschaft von Neidhartscher Stilisierung ist die Ich-Erzaumlhlung von einer Liebesbegegnung in der Fruumlhlingsnatur mit arthurischen Assoziationen eingeschoben weicher Ebene aber die zuletzt als Geliebte des Saumlngers geprieshysene Kuumlnigunt zugehoumlrt bleibt offen weil die Saite des Fiedlers (der den Saumlnger beim Vortrag - vor dem imaginierten Neidhartschen Maumldchenkreis oder auch vor dem letztlich angesprochenen houmlfischen Publikum - begleitet hat) reiszligt l7 In einem weiteren Sinne mag man auch das was WOLFGANG MOHR 18 in seinem schoumlnen Aufsatz zum Kreuzzugs-Pilgerlied (XIII) als alleshygorischen Naturalismus bezeichnet hat dieser Kunst einer irritierenden aber atmosphaumlrestiftenden Uumlberlagerung von Imaginationen zuordnen Bei der Entstehung der Sage scheinen allerdings diese fuumlr uns besonders interessanten Phaumlnomene keine Rolle gespielt zu haben

16 Zitate nach J SIEBERT Der Dichter Tannhaumluser Leben - Gedichte - Sage Halle 1934 17 Vergleichbare Phaumlnomene bei Neidhart hatJ-D MUumlLLER aufgezeigt Ritual Sprecherfikshy

tion und Erzaumlhlung Literarisierungstendenzen im spaumlteren Minnesang in M SCHILLINGP STROHSCHNELOER (Hgg) Wechselspiele Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik Heidelberg 1996 S 43-74

18 W MOHR Tanhusers Kreuzlied DVjs 34 (1960) 338-355

128 WACHINGER

Gemessen am C-Corpus fallt alles was sonst noch unter dem Namen des Tannhaumlusers verstreut uumlberliefert ist qualitativ deutlich ab Das muszlig nicht von vornherein Unechtheit bedeuten zumal es auch in C schwaumlchere Texte gibt und fuumlr das Buszliglied der Jenaer Handschrift moumlchte ich (ebenso wie fuumlr die Hofzucht) die Echtheitsfrage explizit offenlassen Das Buszliglied hat bei der Frage nach dem Ursprung der Sage eine gewisse Rolle gespielt ist aber sicher kein verlaumlszligliches Zeugnis Ist es echt so beweist es noch keineswegs daszlig eine Wende von der Sinnenfreude der Liebeslieder in C zum religioumlsen Ernst des Buszliglieds der biographische Ansatzpunkt fuumlr die Sage war Ist es unecht so ist es doch nicht als Zeugnis fur die fruumlhe Existenz der Sage verwertbar weil es viel zu unspezifisch iSt 19

bull Auch das Bild der Groszligen Heidelberger Liederhandschrift hat man wohl

zu Unrecht als Zeugnis fuumlr die Existenz der Sage oder der Ballade bereits um 1300 gedeutet 2o Dieses Bild das den Dichter frontal in der weiszligen Tracht eines Deutschordensritters zeigt wirkt in der Tat merkwuumlrdig streng gegenshyuumlber der in den Liedern vorherrschenden Sinnenfreude Gaumlbe es stuumltzende fruumlhe Zeugnisse so koumlnnte man einen Zusammenhang ernsthaft erwaumlgen Daszlig die beiden ornamentalen Eichen- und Ahornranken die den Dichter flankieren eine Andeutung des Stabwunders seien wuumlrde ich allerdings auch dann nicht glauben Da aber Ballade und Sage sonst ni~ht vor dem 15 Jahrshyhundert bezeugt sind vermute ich eher daszlig das Bildmotiv aus Tannhaumlusers Kreuzzugs-Pilgerlied (XIII) herausgesponnen wurde in Erinnerung an die Urspruumlnge des Deutschen Ordens im Heiligen Land

Die fruumlheste einigermaszligen datierbare Erwaumlhnung einer Beziehung zwishyschen Tannhaumluser und Venus und damit das fruumlheste sichere Zeugnis der Tannhaumluser-Sage findet sich in dem 143035 aufgezeichneten Dialog Tannshyhaumluser und Frau Welt2l Von da an haumlufen sich die Anspielungen und um die Mitte des 15 Jahrhunderts ist die aumllteste erhaltene Aufzeichnung der Tannhaumluser-Ballade zu datieren Diese ist der zentrale Text fuumlr die Analyse der Sage wahrscheinlich auch ihr Ursprung und Ausgangspunkt

Uumlberliefert ist die Ballade im 15 bis 17 Jahrhundert in vier Hauptfassunshygen (A bis D)22 A nur in der niederdeutschen Erstaufzeichnung um 1450

bull 19 Ausfufuliche Diskussion bei SIEBERT [Anm 16] S 237-239 Eine stark abweichende Deu tung hat R BLECK versucht Tannhaumlusers Aufbruch zum Kreuzzug Das Buszliglied der Jenaer Liederhandschrift GRM 74 NF 43 (1993) 257-266

20 Am entschiedensten W KOSCHORRECK Die Bildmotive in dersW WERNER (Hgg) Codex Manesse Die Groszlige Heidelberger Liederhandschrift Kommentar zum Faksimile des Codex Palatinus Germanicus 848 der Universitaumltsbibliothek Heidelberg Kassel 1981 S 101shy127 dort 5 118f

21 Ygl I KASTEN in 2YL Bd 9 1995 Sp 61Of 22 YgJ 2YL Bd 9 1995 Sp 611 f Meine Typendifferenzierung laumlszligt die juumlngere Yolksliedshy

uumlberlieferung unberuumlcksichtigt und deckt sich ua deshalb nicht mit der Unterscheidung von vier Typen bei MOSER (Anm26] S 19f Zitate von A und B nach Deutsche Yolkslieder

129 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

belegt bietet einen teilweise gestoumlrten Text zeigt aber in manchen Einzelheishyten wohl die aumllteste Gestalt Am verbreitetsten ist B die hochdeutsche Fasshysung seit 1515 vielfach gedruckt Ich referiere zunaumlchst den Inhalt nach B mit den wichtigsten Abweichungen von A

Str 1 Ankuumlndigung der Erzaumlhlung_ Str 2 Danheuser zieht in den Berg zu Venus und anderen schoumlnen Frauen (fehlt A) Str 3-15 Abschiedsdialog Venus - Danheuser Venus beruft sich auf einen Eid den Danheuser ihr geschworen habe bietet ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehe und sich selbst zum Liebesspiel an und mahnt ihn sein Leben zu fristen Danheuser weist alles zuruumlck nennt sie Teufelin und ruft Maria um Hilfe an Venus laumlszligt ihn schlieszliglich ziehen Sie mahnt ihn aber ihr Lob zu verkuumlndigen (A Danheushyser verspricht dies von sich aus) und von dem Greysen Abschied zu nehmen Str 16-20 Danheuser zieht nach Rom und beichtet dem Papst Dieser weist auf einen trockenen Stab so wenig dieser gruumlnen koumlnne so wenig werde er Gottes Huld gewinnen (A der Papst steckt einen Stab in die Erde wen n dieser Rosen trage seien ihm die Suumlnden vergeben) Str 21-24 Danheuser glaubt wenn er nur noch ein Jahr zu leben haumltte koumlnnte er auf Gottes Gnade hoffen (fehlt A) Mit einem Anruf an Maria zieht Danheuser fort und wieder in den Berg wo Venus ihn begruumlszligt Str 25f Nach drei Tagen gruumlnt der Stab der Papst laumlszligt Danheuser suchen aber der ist wieder im Berg deshalb muszlig Papst Urban IV ewig verloren sein (A Kein Name des Papstes Zusatz Kein Papst soll einen reuigen Suumlnder krencken)

Die juumlngere niederdeutsche Fassung C weicht von AB vor allem im Schluszlig ab Oanhuser zieht wieder in den Berg erklaumlrt aber Venus gegenuumlber er hoffe noch auf Christi Gnade der Papst ist betruumlbt daszlig er Oanhuser nicht mehr finden kann Gott aber wird Oanhuscrs Begehren erfuumlllen In den beiden ebenfalls juumlngeren niederlaumlndischen Fassungen (01 und 02) heiszligt der Held Oaniel Der Abschiedsdialog ist gekuumlrzt Nach der Abweisung durch den Papst holt Oaniel drei Kinder seiner Schwester und fuumlhrt sie mit in den Berg zu Venus dort aber will er (dies nur in 02) weder essen noch trinken und wenn Venus lachen und spielen will so schweigt er

bull Die Ballade ist sicher aumllter als ihre aumllteste erhaltene Aufzeichnung es fragt

sich nur wie viel Man hat immer wieder die Nennung von Papst Urban IV (1261-1264) die genau zu Tannhaumlusers Lebenszeit paszligt als Argument dafuumlr angefuumlhrt daszlig die Ballade schon um 1300 entstanden sein muumlsse zu einer Zeit da man sich noch an den historischen Tannhaumluser erinnerte Mir ershyscheint dieses Argument nicht stichhaltig Zunaumlchst ist zu beachten daszlig der Name des Papstes nur in einer der vier Fassungen genannt wird in der Fassung B die erstmals 1515 bei Jobst Gutknecht in Nuumlrnberg gedruckt wurde Es ist die Fassung mit den wenigsten Bruumlchen und Entstellungen und

Balladen 1 Bd 1 Teil hg v J MEIER (Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien) Berlin Leipzig 1935 S 145f (B) und 147f (A)

BO WACHINGER

man muszlig gerade deshalb damit rechnen daszlig sie nicht in allen Zuumlgen das Urspruumlngliche bewahrt sondern daszlig Gutknecht den Text fuumlr den Druck hat aufbereiten lassen Ich moumlchte die Moumlglichkeit nicht ausschlieszligen daszlig bei dieser Gelegenheit und in diesem Umfeld der Papstname sekundaumlr in den Text geraten ist Zweifellos wuszligte man daszlig hinter der Balladenfigur ein Dichter stand den man aus anderen Traditionen kannte und man konnte jederzeit historisches Wissen einsetzen Solches gleichsam literaturgeschichtshyliches Denken ist in Nuumlrnberg zu Beginn des 16 Jahrhunderts besonders gut vorstellbar Meistersinger und Humanisten waren je auf ihre Weise und aus ihrer Perspektive an Wissen uumlber fruumlhere Dichter interessiert Und immerhin gab es in Nuumlrnberg um diese Zeit eine Familie Danhauser aus der ua ein Humanist stammte23 auch das mag zu historischen Fragen angeregt haben

bull Die Verbindung des Namens Urban mit dem Stoff koumlnnte allerdings auch

aumllter sein In dem mittelfranzoumlsischen Prosaroman Le Paradis de la reine Sibylle von Antoine de La Sale dessen Quelle ich fuumlr eine Qlelle der Tannhaumluser-Ballade halte (davon wird noch die Rede sein) beichtet der Held zunaumlchst in Rom bei Papst Innocmt des Jahres 1352 andere sagen daszlig es Papst Urbain die Crimouault des Jahres B62 war und man sagt auch es sei Papst Urbain de Limozin des Jahres 1377 gewesen als ihm dort die Absolution verweigert wurde wandte er sich an Papst Clemmt in Avignon 24 Vielleicht war also der Papstname Urban schon mit jener Erzaumlhlung verbunden die der Tannhaumluser-Ballade das Handlungsgeruumlst geliefert hat Die Fixierung auf den aumllteren Urban IV muszlig dann freilich im Wissen um die Lebenszeit des historischen Tannhaumluser erfolgt sein Das waumlre wie gesagt in Nuumlrnberg um 1515 besonders gut vorstellbar ist aber auch fruumlher und andernorts durchaus moumlglich Denn der Verfasser der Urballade war in literarischen Mustern bewandert und ihm konnte historisches Wissen uumlber den Tannhaumluser auch dann zugaumlnglich sein wenn er wie ich annehme nicht allzu lange vor dem Einsetzen der Anspielungen auf die Tannhaumluser-Sage gedichtet hat Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts Eine Notwendigkeit die Ballade nur wegen der Korrektheit des Papstnamens weit zuruumlckzudatieren sehe ich jedenfalls nicht Um 1300 waumlre die Ballade als Texttypus voumlllig einzigartig aus dem 15 Jahrhundert aber sind mehrere Balladen uumlberliefert darunter auch zwei uumlber Dichter des hohen Mittelalters

Die Tannhaumluser-Ballade ist nicht nur in verschiedenen Fassungen mit zT auch in sich sehr variabler Gestalt uumlberliefert sie ist auch insofern ein offener Text als sie an einigen Stellen weiteres Sagenwissen vorauszusetzen scheint Der Creyse (Str B 15) ist wohl der getreue Eckart von dem die Heldenbuchshy

23 Vgl H RUPPRICH (Hg) Der Briefwechsel des Konrad Celtis Muumlnchen 1934 S 23f Anm1

24 Antoine de La Sale Le Paradis de 1a reine Sibylle hg v F DESONAY Paris 1930 Kapitel 11 S 32-34 zu den Papstnamen ebd S LXX-LXXIV

Von Tannhaumluser zur T annhaumluser-Ballade 131

Prosa des 15 Jahrhunderts berichtet er sei noch vor frau ftnus berg vnd sol auch da beleiben biszlig an den iuumlngsten tag vnd warnet alle die in den berg gan woumlUent 25 In Str B 9 und 21 koumlnnte angedeutet sein daszlig Danheuser wenn er den Berg verlaumlszligt nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat Es ist nicht unmoumlglich daszlig ein aumllterer vollstaumlndigerer Text der Ballade solche Motive deutlicher ausgefuumlhrt und in einen konsistenten Zusammenhang eingebunden hatte ein Text der uns heute verloren ist Und es ist auch nicht mit Sicherheit auszushyschlieszligen daszlig ein laumlngerer hochliterarischer Text von dem die Ballade nur eine Kurzfassung ist eine Tannhaumluser-Erzaumlhlung geboten hat aus der alle Raumltsel und offenen Enden der erhaltenen Fassungen widerspruchsfrei erklaumlrshybar waumlren Aber die Erfahrungen der Heldensagenforschung sollten uns vorshysichtig machen Dort ist das Rekonstruieren von voumlllig stimmigen Vorstufen zu Recht in Miszligkredit geraten Zwar waren die Lebensbedingungen der Tannhaumluser-Ballade sicher nicht ganz die der heldenepischen Tradition es gab kein altetabliertes vielstraumlngig tradiertes Sagenwissen Aber wie Heldenshyepen und Maumlren und wie ein Groszligteil der spaumltmittelalterlichen Lieddichtung gehoumlrt die Ballade doch in eine Literaturschicht die der Muumlndlichkeit nahe stand und Darstellungsweisen muumlndlicher Literatur auch in der Schriftlichkeit und auch bei der Aufnahme hochliterarischer Motive weiterpflegte Makelloshyse Kohaumlrenz ist da schon bei der Erstkonzeption nicht unbedingt zu erwarten und im Laufe der Tradition koumlnnen leicht Motive aus anderen Kontexten frei assoziiert worden sein sei es als freie Phantastereien sei es als Versuche der Erklaumlrung von Unverstandenem

Mit den offenen Enden des Textes und den unloumlsbaren Fragen einer moumlglichen Textvorgeschichte wird man also leben muumlssen Dennoch darf man versuchen die Ballade oder die Geschichte die sie erzaumlhlt als ganze in den Blick zu fassen DIETZ-RuumlDIGER MaSER hat 1977 versucht die TannhaumlusershySage aus einer Buumlszligerlegende vom Typus der Chrysostomus-Legende abzuleishyten 26 Daran ist uumlberzeugend daszlig das alte Aaronstabmotiv das Motiv vom Stab der wider aller Erwartung gruumlnt aumlhnlich eingesetzt ist wie vergleichbare Zeichen in Buumlszligerlegenden Die Absolution wird dort vom Papst nicht eigentshylich verweigert sondern der Suumlnder wird wegen der besonderen Schwere der Suumlnde auf ein langes Buumlszligerleben verwiesen dessen Ende ihm erst durch ein Wunder Gottes angezeigt wird Die Fassung A druumlckt die Erwartung eines Gotteszeichens noch deutlich aus (Str 17)

Dye pawes had der einen dariken Jlock den stack hyeyn dye erden

25 J HEINZLE (Hg) Heldenbuch nach dem aumlltesten Druck in Abbildung (Litterae 7512) Goumlppingen 1981 Bd I 6vb Bd 11 S 240

26 D-R MOSER Die Tannhaumluser-Legende Eine Studie uumlber Intentionalitaumlt und Rezeption katechetischer Volkserzaumlhlungen zum Buszlig-Sakrament (Fabula Suppl-Serie Reihe B Bd 4) BerlinNew York 1977

132 WACHINGER

wen hye rode rosen draht so synt dy dyn sunde vergeven

Wenn MaSER aber dann das Umbiegen dieses Motivs in der Ballade bloszlig negativ als ein Miszligverstaumlndnis dessen wertet was die postulierte Vorlage lehren wollte dann verkennt er die fast novellistische Pointe die damit gewonnen ist Das Gotteszeichen kommt zu spaumlt Hat sich Gott nicht genuumlshygend beeilt Oder hat sich der Tannhaumluser durch Ungeduld oder desperatio das Heil verscherzt Er dachte an ein Jahr Buszlige aber fuumlr Gott haumltten drei Tage genuumlgt Oder hat doch der Papst Tannhaumlusers Situation nicht richtig eingeshyschaumltzt Wie lange hatte Tannhaumluser noch Zeit Wird Gott ihn trotz allem noch aus dem Venusberg retten Daszlig solche Fragen nicht beantwortet werden - was die Schluumlsse der verschiedenen Fassungen versuchen sind bestenfalls TeiJantworten - daszlig die Raumltselhaftigkeit des Schlusses Phantasie und Nachshydenklichkeit anregt kann man auch als lite rarische Qualitaumlt verstehen

Ein wichtiges Glied in MasERs Argumentation ist Tannhaumlusers Antwort auf das Angebot der Venus ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehefrau zu geben (Str A 5 vgl B 6)

Neyme y ek nu eyn ander wylf dan iek heb yn mynen synne so malst iek nu ind to allen tyden in der hellen grunt vmynken

MaSER versteht diese Strophe als Hinweis auf ein gebrochenes Zoumllibatsgeluumlbshyde und dies sei die spezifische Schuld Tannhaumlusers die ihn zur Fahrt nach Rom zwinge denn fuumlr Bruch des Zoumllibats war nach dem Buszligrecht der Kirche ausschlieszliglich der Papst zustaumlndig Mit dieser Interpretation scheint mir der Text wie er in der Mehrzahl der Fassungen vorliegt in unzulaumlssiger Weise vereindeutigt und aufgefuumlllt Ein Bezug auf Mafia ist hier nicht zu leugnen Aber es kann mindestens ebenso gut gemeint sein daszlig der Tannhaumluser der (nach Str B 2) als Ritter eher aus curiositas weil er wunder sehawen wollte in den Venusberg gezogen ist jetzt da ihm der Ernst der Lage bewuszligt wird seine Hoffnung aufMaria setzt MaSER beruft sich denn auch auf die niedershylaumlndische Fassung D1 wo in der Tat von einem Geloumlbnis die Rede ist ie heb maria de moeder gods ghelovet liifge mijnre lrouwe sagt da Her DanelP Als Zoumllibatsgeluumlbde im kirchenrechtlichen Sinn sind wohl auch diese Verse nicht ohne weiteres zu verstehen und man wird den Text dieser einen Fassung die erst nach 1525 bezeugt ist und einige deutlich sekundaumlre Zuumlge aufweist nicht gegen alle uumlbrigen Fassungen mit dem der Urfassung gleichsetzen duumlrfen

M aSER hat auch wenn ich seinen Schluumlssen nicht zu folgen vermag zweifellos eine wichtige Dimension der Tannhaumluser-Ballade aufgezeigt Buszligshy

27 Hier nach BARTO [Anm 14] S 158 vgl MOSER S 23f

133 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

thematik und Marienfroumlmmigkeit sind in den erhaltenen Texten praumlsent und ein genetischer Zusammenhang mit Buumlszligerlegenden ist fuumlr das Stabwunder unabweisbar Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend fuumlr die Erzaumlhlstruktur an sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzaumlhlmusters eine Akzentuierung die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muszlig

bull

Die Tannhaumluser-Sage folgt wie man laumlngst gesehen hat28 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau Aufenthalt in deren Reich oumlfter einem Berg Ruumlckkehr zur Menschenwelt und - nur in einigen Varianten - endguumlltigem Eingang ins Feenreich Das Schema ist in der spaumltmittelalterlichen Erzaumlhlliteratur weit verbreitet Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhaumluser-Sage eingeshywirkt hat muszlig offen bleiben Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade Thomas Rhymer angefuumlhrt hat29 - der Held ein Dichshyter der den Auftrag erhaumllt das Lob der Fee zu verkuumlnden vgl Str B 15 der Tannhaumluser-Ballade - scheint mir wenig Gewicht zu haben Auffaumlllig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzaumlhlungen die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten 3o Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15 Jahrhunderts deutsche Reisende die wohl schon die TannhaumlusershyBallade kannten den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben und die bloszlige Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen ist rur unsere Fragestellung zu unspezifisch 31

Aber schon um 1410 erzaumlhlt Andrea de Magnabotti da Barbarino im Guerino il Meschino eine der Tannhaumluser-Sage aumlhnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl Str B 19) auch er zieht anschlieszligend nach Rom um vom Papst Absolution zu erhalten Der Tannhaumluser-Ballade noch aumlhnlicher ist eine wenig juumlngere Variante die Antoine de La Sale in seinem Paradis de la reine Sibylle erzaumlhlt hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl Str B 5) und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst der hier tatsaumlchlich die Absolution nur hinausschiebt um die wahre Buszliggesinnung zu pruumlfen erreicht der Knappe durch eine List daszlig sie beide auf immer in den Berg zuruumlckkehren 32 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der TannhaumlusershySage liegt auf der Hand bei La Sale findet sich sogar wenngleich anders

28 G PARJS Legendes du moyen age Paris 1903 S 113-145 dOr S 133 ff O LOumlHMANN Die Entstehung der Tannhaumlusersage Fabula 3 (1960) 224-25 3 (mit vollstaumlndiger Bibliographie zur Tannhaumluser-Sage)

I 29 LOumlHMANN (Anm 28] S 239f 30 Beste Diskussion bei LOumlHMANN [Anm 28] S 225-233 31 Vgl M WIS Ursprunge der deutschen Tannhaumluserlegende Zur Geschichte mittelalterli shy

cher PiJgertraditionen Neuphil Milaquo 61 (1960) 8-58 32 Referat vor allem nach LOumlHMANN [Anm 28] S 225-229 Vgl auch Anm 24

134 WACHINGER

motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 2: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

126 WACHINGER

lehrtenruhm (Erzaumlhlungen von Vergil8 und A1bertus Magnus9) Besonders wichtig aber sind offenbar Rollen gewesen die in den Texten des jeweiligen Autors schon angelegt waren die Rolle des Liebhabers (in einigen spaumlten eher novellistischen Trobador-Vidaslo aber wohl auch fuumlr die BrembergershyBallade von Bedeutung) des schwachen ritterlichen Bauernfeinds (Neidhart) des betont laikaien Dichters (Wolfram im Raumltselspiel des Wartburgkriegsll) oder des streitbaren Meisters (Frauenlob-Regenbogen-Streitgedichte12) Geshygenuumlber solchen genuin literarischen Ansatzpunkten hat die aumlltere Forschung die Wahrscheinlichkeit daszlig ein vom literarischen Wissen unabhaumlngiges bioshygraphisches Wissen zum Kern einer Sagenbildung wurde gewiszlig uumlberschaumltzt 13

Von allen mittelalterlichen Dichtersagen hat die vom Tannhaumluser die Forschung wohl am intensivsten beschaumlftigt Die weit verstreuten Zeugnisse sind zusammengetragenI4 wesentliche Elemente der Sagenbildung scheinen mir geklaumlrt zu sein Ein Gesamtbild das mich zu uumlberzeugen vermoumlchte liegt jedoch nicht vor Ich greife das Problem noch einmal auf auch zur Rechtfershytigung und Modifikation meiner Darstellungen im Verfasseriexikonls Waumlhshyrend aber im Verfasserlexikon die Einzeltexte im Zentrum des Interesses standen geht es mir hier vor allem um die Traditionen die sich zwischen den Texten abgespielt haben muumlssen um das Wissen das die Texte voraussetzen eben um Sage Freilich moumlchte ich das was man kaum besser als Sage nennen kann nicht in einem vagen Ungefltihr belassen sondern so praumlzis wie moumlglich an uumlberlieferten Texten festmachen

Ich beginne mit dem historischen Dichter Unser Bild von dem Lyriker Tannhaumluser wird bestimmt von dem was die Heidelberger Liederhandschrift C unter dem Namen Der Tanhuser uumlberliefert Man darf sicherlich fragen ob dieses Bild vollstaumlndig ist Daszlig es falsch sei dafuumlr gibt es keine Indizien Die Texte scheinen leidlich gut uumlberliefert zu sein und auf die Idee einzelne Texte dieses Corpus als unecht anzuzweifeln ist noch niemand verfallen

8 F J WORSTBROCK Vergil in 2VL Bd 10 Lieferung 1 (im Druck) 9 F SCHANZE A1bertus Magnus und die Tochter des Koumlnigs von Frankreich in 2VL

bull Bd 11978 Sp 123f

10 Vgl MOumlLK (Anm 2) II H RAGOTZKY Studien zur Wolfram-Rezeption Die Entstehung und Verwandlung der

Wolfram-Rolle in der deutschen Literatur des 13ahrhunderts Stuttgart (ua] 1971 B WACHINGER Saumlngerkrieg (MTU 42) Muumlnchen 1973 S 83-89

12 B WACHINGER Saumlngerkrieg (Anm 11) S 280-298 IJ Angenommen hat man das vor allem fur die Beziehungen Heinrichs von Morungen

zum Leipziger Thomaskloster und fur einen angeblichen gewaltsamen Tod Reinmars von Brennenberg

14 Am vollstaumlndigsten ist das Material gesammelt bei PH ST BARTO Tannhaumluser and the Venusberg Diss Univ ofIllinois 1913 = Tannhaumluser and the Mountain ofVenus A study in the legend of Germanic paradise New York 1916

15 B WACHINGER Der Tannhaumluser Tannhaumluser und Venus Tann haumluser-Ballade in 2VL Bd 9 1995 Sp 600-616

127

bull

bull

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Tatsaumlchlich laumlszligt dieses Corpus ein relativ eigenartiges Autorprofil erkennen C uumlberliefert mit sechs Leichs sechs Minneliedern drei Sangspruchtoumlnen und einem Kreuzzugs- oder Pilgerlied ein Oeuvre von professioneller Vielseishytigkeit mit einzelnen originellen Typusvariationen (zB Fuumlrstenpreis im Tanzshyleich) In diesem Corpus operiert der Dichter mit traditionellen lyrischen Rollen der des Liebenden der des Tanzmeisters und der des heimatlosen Fahrenden Rollen denen er auch neue Nuancen abgewinnt Der Stil bleibt gemessen an der Reim- und Sprachartistik anderer professioneller Lyriker des 13 Jahrhunderts eher schlicht fast sorglos Als Schmuck dienen Namen und Fremdwoumlrter manchmal gehaumluft Und es findet sich eine Neigung zu Kataloshygen und zum Anzitieren geographischen Wissens und romanhafter oder exotischer Vorstellungen Nach heutigen Verstehens- und Wertungsmoumlglichshykeiten sind wohl die besten von Tannhaumlusers Dichtungen diejenigen in denen er verschiedene Imaginationen so kombiniert und uumlberlagert daszlig sich kaum noch eine Ebene der eigentlichen Bedeutung ausmachen laumlszligt So wenn er in Lied XF6 in der Rolle des Tanzmeisters ruumlr den winterlichen Stubentanz detailliert die Schoumlnheit seiner tanzenden Geliebten beschreibt und die Geshysellschaft auffordert die Schoumlne beim Tanzen nicht zu bedraumlngen und zu bestauben aber man weiszlig nicht ob die Geliebte als anwesend vorzustellen ist oder nur als Imagination des Tanzmeisters in eine Szene projiziert wird die als solche beim Vortrag vor der houmlfischen Gesellschaft natuumlrlich ebenfalls nur imaginiert ist Vergleichbar Leich III In einen Fruumlhjahrs-Tanz-Aufruf an eine Maumldchengesellschaft von Neidhartscher Stilisierung ist die Ich-Erzaumlhlung von einer Liebesbegegnung in der Fruumlhlingsnatur mit arthurischen Assoziationen eingeschoben weicher Ebene aber die zuletzt als Geliebte des Saumlngers geprieshysene Kuumlnigunt zugehoumlrt bleibt offen weil die Saite des Fiedlers (der den Saumlnger beim Vortrag - vor dem imaginierten Neidhartschen Maumldchenkreis oder auch vor dem letztlich angesprochenen houmlfischen Publikum - begleitet hat) reiszligt l7 In einem weiteren Sinne mag man auch das was WOLFGANG MOHR 18 in seinem schoumlnen Aufsatz zum Kreuzzugs-Pilgerlied (XIII) als alleshygorischen Naturalismus bezeichnet hat dieser Kunst einer irritierenden aber atmosphaumlrestiftenden Uumlberlagerung von Imaginationen zuordnen Bei der Entstehung der Sage scheinen allerdings diese fuumlr uns besonders interessanten Phaumlnomene keine Rolle gespielt zu haben

16 Zitate nach J SIEBERT Der Dichter Tannhaumluser Leben - Gedichte - Sage Halle 1934 17 Vergleichbare Phaumlnomene bei Neidhart hatJ-D MUumlLLER aufgezeigt Ritual Sprecherfikshy

tion und Erzaumlhlung Literarisierungstendenzen im spaumlteren Minnesang in M SCHILLINGP STROHSCHNELOER (Hgg) Wechselspiele Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik Heidelberg 1996 S 43-74

18 W MOHR Tanhusers Kreuzlied DVjs 34 (1960) 338-355

128 WACHINGER

Gemessen am C-Corpus fallt alles was sonst noch unter dem Namen des Tannhaumlusers verstreut uumlberliefert ist qualitativ deutlich ab Das muszlig nicht von vornherein Unechtheit bedeuten zumal es auch in C schwaumlchere Texte gibt und fuumlr das Buszliglied der Jenaer Handschrift moumlchte ich (ebenso wie fuumlr die Hofzucht) die Echtheitsfrage explizit offenlassen Das Buszliglied hat bei der Frage nach dem Ursprung der Sage eine gewisse Rolle gespielt ist aber sicher kein verlaumlszligliches Zeugnis Ist es echt so beweist es noch keineswegs daszlig eine Wende von der Sinnenfreude der Liebeslieder in C zum religioumlsen Ernst des Buszliglieds der biographische Ansatzpunkt fuumlr die Sage war Ist es unecht so ist es doch nicht als Zeugnis fur die fruumlhe Existenz der Sage verwertbar weil es viel zu unspezifisch iSt 19

bull Auch das Bild der Groszligen Heidelberger Liederhandschrift hat man wohl

zu Unrecht als Zeugnis fuumlr die Existenz der Sage oder der Ballade bereits um 1300 gedeutet 2o Dieses Bild das den Dichter frontal in der weiszligen Tracht eines Deutschordensritters zeigt wirkt in der Tat merkwuumlrdig streng gegenshyuumlber der in den Liedern vorherrschenden Sinnenfreude Gaumlbe es stuumltzende fruumlhe Zeugnisse so koumlnnte man einen Zusammenhang ernsthaft erwaumlgen Daszlig die beiden ornamentalen Eichen- und Ahornranken die den Dichter flankieren eine Andeutung des Stabwunders seien wuumlrde ich allerdings auch dann nicht glauben Da aber Ballade und Sage sonst ni~ht vor dem 15 Jahrshyhundert bezeugt sind vermute ich eher daszlig das Bildmotiv aus Tannhaumlusers Kreuzzugs-Pilgerlied (XIII) herausgesponnen wurde in Erinnerung an die Urspruumlnge des Deutschen Ordens im Heiligen Land

Die fruumlheste einigermaszligen datierbare Erwaumlhnung einer Beziehung zwishyschen Tannhaumluser und Venus und damit das fruumlheste sichere Zeugnis der Tannhaumluser-Sage findet sich in dem 143035 aufgezeichneten Dialog Tannshyhaumluser und Frau Welt2l Von da an haumlufen sich die Anspielungen und um die Mitte des 15 Jahrhunderts ist die aumllteste erhaltene Aufzeichnung der Tannhaumluser-Ballade zu datieren Diese ist der zentrale Text fuumlr die Analyse der Sage wahrscheinlich auch ihr Ursprung und Ausgangspunkt

Uumlberliefert ist die Ballade im 15 bis 17 Jahrhundert in vier Hauptfassunshygen (A bis D)22 A nur in der niederdeutschen Erstaufzeichnung um 1450

bull 19 Ausfufuliche Diskussion bei SIEBERT [Anm 16] S 237-239 Eine stark abweichende Deu tung hat R BLECK versucht Tannhaumlusers Aufbruch zum Kreuzzug Das Buszliglied der Jenaer Liederhandschrift GRM 74 NF 43 (1993) 257-266

20 Am entschiedensten W KOSCHORRECK Die Bildmotive in dersW WERNER (Hgg) Codex Manesse Die Groszlige Heidelberger Liederhandschrift Kommentar zum Faksimile des Codex Palatinus Germanicus 848 der Universitaumltsbibliothek Heidelberg Kassel 1981 S 101shy127 dort 5 118f

21 Ygl I KASTEN in 2YL Bd 9 1995 Sp 61Of 22 YgJ 2YL Bd 9 1995 Sp 611 f Meine Typendifferenzierung laumlszligt die juumlngere Yolksliedshy

uumlberlieferung unberuumlcksichtigt und deckt sich ua deshalb nicht mit der Unterscheidung von vier Typen bei MOSER (Anm26] S 19f Zitate von A und B nach Deutsche Yolkslieder

129 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

belegt bietet einen teilweise gestoumlrten Text zeigt aber in manchen Einzelheishyten wohl die aumllteste Gestalt Am verbreitetsten ist B die hochdeutsche Fasshysung seit 1515 vielfach gedruckt Ich referiere zunaumlchst den Inhalt nach B mit den wichtigsten Abweichungen von A

Str 1 Ankuumlndigung der Erzaumlhlung_ Str 2 Danheuser zieht in den Berg zu Venus und anderen schoumlnen Frauen (fehlt A) Str 3-15 Abschiedsdialog Venus - Danheuser Venus beruft sich auf einen Eid den Danheuser ihr geschworen habe bietet ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehe und sich selbst zum Liebesspiel an und mahnt ihn sein Leben zu fristen Danheuser weist alles zuruumlck nennt sie Teufelin und ruft Maria um Hilfe an Venus laumlszligt ihn schlieszliglich ziehen Sie mahnt ihn aber ihr Lob zu verkuumlndigen (A Danheushyser verspricht dies von sich aus) und von dem Greysen Abschied zu nehmen Str 16-20 Danheuser zieht nach Rom und beichtet dem Papst Dieser weist auf einen trockenen Stab so wenig dieser gruumlnen koumlnne so wenig werde er Gottes Huld gewinnen (A der Papst steckt einen Stab in die Erde wen n dieser Rosen trage seien ihm die Suumlnden vergeben) Str 21-24 Danheuser glaubt wenn er nur noch ein Jahr zu leben haumltte koumlnnte er auf Gottes Gnade hoffen (fehlt A) Mit einem Anruf an Maria zieht Danheuser fort und wieder in den Berg wo Venus ihn begruumlszligt Str 25f Nach drei Tagen gruumlnt der Stab der Papst laumlszligt Danheuser suchen aber der ist wieder im Berg deshalb muszlig Papst Urban IV ewig verloren sein (A Kein Name des Papstes Zusatz Kein Papst soll einen reuigen Suumlnder krencken)

Die juumlngere niederdeutsche Fassung C weicht von AB vor allem im Schluszlig ab Oanhuser zieht wieder in den Berg erklaumlrt aber Venus gegenuumlber er hoffe noch auf Christi Gnade der Papst ist betruumlbt daszlig er Oanhuser nicht mehr finden kann Gott aber wird Oanhuscrs Begehren erfuumlllen In den beiden ebenfalls juumlngeren niederlaumlndischen Fassungen (01 und 02) heiszligt der Held Oaniel Der Abschiedsdialog ist gekuumlrzt Nach der Abweisung durch den Papst holt Oaniel drei Kinder seiner Schwester und fuumlhrt sie mit in den Berg zu Venus dort aber will er (dies nur in 02) weder essen noch trinken und wenn Venus lachen und spielen will so schweigt er

bull Die Ballade ist sicher aumllter als ihre aumllteste erhaltene Aufzeichnung es fragt

sich nur wie viel Man hat immer wieder die Nennung von Papst Urban IV (1261-1264) die genau zu Tannhaumlusers Lebenszeit paszligt als Argument dafuumlr angefuumlhrt daszlig die Ballade schon um 1300 entstanden sein muumlsse zu einer Zeit da man sich noch an den historischen Tannhaumluser erinnerte Mir ershyscheint dieses Argument nicht stichhaltig Zunaumlchst ist zu beachten daszlig der Name des Papstes nur in einer der vier Fassungen genannt wird in der Fassung B die erstmals 1515 bei Jobst Gutknecht in Nuumlrnberg gedruckt wurde Es ist die Fassung mit den wenigsten Bruumlchen und Entstellungen und

Balladen 1 Bd 1 Teil hg v J MEIER (Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien) Berlin Leipzig 1935 S 145f (B) und 147f (A)

BO WACHINGER

man muszlig gerade deshalb damit rechnen daszlig sie nicht in allen Zuumlgen das Urspruumlngliche bewahrt sondern daszlig Gutknecht den Text fuumlr den Druck hat aufbereiten lassen Ich moumlchte die Moumlglichkeit nicht ausschlieszligen daszlig bei dieser Gelegenheit und in diesem Umfeld der Papstname sekundaumlr in den Text geraten ist Zweifellos wuszligte man daszlig hinter der Balladenfigur ein Dichter stand den man aus anderen Traditionen kannte und man konnte jederzeit historisches Wissen einsetzen Solches gleichsam literaturgeschichtshyliches Denken ist in Nuumlrnberg zu Beginn des 16 Jahrhunderts besonders gut vorstellbar Meistersinger und Humanisten waren je auf ihre Weise und aus ihrer Perspektive an Wissen uumlber fruumlhere Dichter interessiert Und immerhin gab es in Nuumlrnberg um diese Zeit eine Familie Danhauser aus der ua ein Humanist stammte23 auch das mag zu historischen Fragen angeregt haben

bull Die Verbindung des Namens Urban mit dem Stoff koumlnnte allerdings auch

aumllter sein In dem mittelfranzoumlsischen Prosaroman Le Paradis de la reine Sibylle von Antoine de La Sale dessen Quelle ich fuumlr eine Qlelle der Tannhaumluser-Ballade halte (davon wird noch die Rede sein) beichtet der Held zunaumlchst in Rom bei Papst Innocmt des Jahres 1352 andere sagen daszlig es Papst Urbain die Crimouault des Jahres B62 war und man sagt auch es sei Papst Urbain de Limozin des Jahres 1377 gewesen als ihm dort die Absolution verweigert wurde wandte er sich an Papst Clemmt in Avignon 24 Vielleicht war also der Papstname Urban schon mit jener Erzaumlhlung verbunden die der Tannhaumluser-Ballade das Handlungsgeruumlst geliefert hat Die Fixierung auf den aumllteren Urban IV muszlig dann freilich im Wissen um die Lebenszeit des historischen Tannhaumluser erfolgt sein Das waumlre wie gesagt in Nuumlrnberg um 1515 besonders gut vorstellbar ist aber auch fruumlher und andernorts durchaus moumlglich Denn der Verfasser der Urballade war in literarischen Mustern bewandert und ihm konnte historisches Wissen uumlber den Tannhaumluser auch dann zugaumlnglich sein wenn er wie ich annehme nicht allzu lange vor dem Einsetzen der Anspielungen auf die Tannhaumluser-Sage gedichtet hat Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts Eine Notwendigkeit die Ballade nur wegen der Korrektheit des Papstnamens weit zuruumlckzudatieren sehe ich jedenfalls nicht Um 1300 waumlre die Ballade als Texttypus voumlllig einzigartig aus dem 15 Jahrhundert aber sind mehrere Balladen uumlberliefert darunter auch zwei uumlber Dichter des hohen Mittelalters

Die Tannhaumluser-Ballade ist nicht nur in verschiedenen Fassungen mit zT auch in sich sehr variabler Gestalt uumlberliefert sie ist auch insofern ein offener Text als sie an einigen Stellen weiteres Sagenwissen vorauszusetzen scheint Der Creyse (Str B 15) ist wohl der getreue Eckart von dem die Heldenbuchshy

23 Vgl H RUPPRICH (Hg) Der Briefwechsel des Konrad Celtis Muumlnchen 1934 S 23f Anm1

24 Antoine de La Sale Le Paradis de 1a reine Sibylle hg v F DESONAY Paris 1930 Kapitel 11 S 32-34 zu den Papstnamen ebd S LXX-LXXIV

Von Tannhaumluser zur T annhaumluser-Ballade 131

Prosa des 15 Jahrhunderts berichtet er sei noch vor frau ftnus berg vnd sol auch da beleiben biszlig an den iuumlngsten tag vnd warnet alle die in den berg gan woumlUent 25 In Str B 9 und 21 koumlnnte angedeutet sein daszlig Danheuser wenn er den Berg verlaumlszligt nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat Es ist nicht unmoumlglich daszlig ein aumllterer vollstaumlndigerer Text der Ballade solche Motive deutlicher ausgefuumlhrt und in einen konsistenten Zusammenhang eingebunden hatte ein Text der uns heute verloren ist Und es ist auch nicht mit Sicherheit auszushyschlieszligen daszlig ein laumlngerer hochliterarischer Text von dem die Ballade nur eine Kurzfassung ist eine Tannhaumluser-Erzaumlhlung geboten hat aus der alle Raumltsel und offenen Enden der erhaltenen Fassungen widerspruchsfrei erklaumlrshybar waumlren Aber die Erfahrungen der Heldensagenforschung sollten uns vorshysichtig machen Dort ist das Rekonstruieren von voumlllig stimmigen Vorstufen zu Recht in Miszligkredit geraten Zwar waren die Lebensbedingungen der Tannhaumluser-Ballade sicher nicht ganz die der heldenepischen Tradition es gab kein altetabliertes vielstraumlngig tradiertes Sagenwissen Aber wie Heldenshyepen und Maumlren und wie ein Groszligteil der spaumltmittelalterlichen Lieddichtung gehoumlrt die Ballade doch in eine Literaturschicht die der Muumlndlichkeit nahe stand und Darstellungsweisen muumlndlicher Literatur auch in der Schriftlichkeit und auch bei der Aufnahme hochliterarischer Motive weiterpflegte Makelloshyse Kohaumlrenz ist da schon bei der Erstkonzeption nicht unbedingt zu erwarten und im Laufe der Tradition koumlnnen leicht Motive aus anderen Kontexten frei assoziiert worden sein sei es als freie Phantastereien sei es als Versuche der Erklaumlrung von Unverstandenem

Mit den offenen Enden des Textes und den unloumlsbaren Fragen einer moumlglichen Textvorgeschichte wird man also leben muumlssen Dennoch darf man versuchen die Ballade oder die Geschichte die sie erzaumlhlt als ganze in den Blick zu fassen DIETZ-RuumlDIGER MaSER hat 1977 versucht die TannhaumlusershySage aus einer Buumlszligerlegende vom Typus der Chrysostomus-Legende abzuleishyten 26 Daran ist uumlberzeugend daszlig das alte Aaronstabmotiv das Motiv vom Stab der wider aller Erwartung gruumlnt aumlhnlich eingesetzt ist wie vergleichbare Zeichen in Buumlszligerlegenden Die Absolution wird dort vom Papst nicht eigentshylich verweigert sondern der Suumlnder wird wegen der besonderen Schwere der Suumlnde auf ein langes Buumlszligerleben verwiesen dessen Ende ihm erst durch ein Wunder Gottes angezeigt wird Die Fassung A druumlckt die Erwartung eines Gotteszeichens noch deutlich aus (Str 17)

Dye pawes had der einen dariken Jlock den stack hyeyn dye erden

25 J HEINZLE (Hg) Heldenbuch nach dem aumlltesten Druck in Abbildung (Litterae 7512) Goumlppingen 1981 Bd I 6vb Bd 11 S 240

26 D-R MOSER Die Tannhaumluser-Legende Eine Studie uumlber Intentionalitaumlt und Rezeption katechetischer Volkserzaumlhlungen zum Buszlig-Sakrament (Fabula Suppl-Serie Reihe B Bd 4) BerlinNew York 1977

132 WACHINGER

wen hye rode rosen draht so synt dy dyn sunde vergeven

Wenn MaSER aber dann das Umbiegen dieses Motivs in der Ballade bloszlig negativ als ein Miszligverstaumlndnis dessen wertet was die postulierte Vorlage lehren wollte dann verkennt er die fast novellistische Pointe die damit gewonnen ist Das Gotteszeichen kommt zu spaumlt Hat sich Gott nicht genuumlshygend beeilt Oder hat sich der Tannhaumluser durch Ungeduld oder desperatio das Heil verscherzt Er dachte an ein Jahr Buszlige aber fuumlr Gott haumltten drei Tage genuumlgt Oder hat doch der Papst Tannhaumlusers Situation nicht richtig eingeshyschaumltzt Wie lange hatte Tannhaumluser noch Zeit Wird Gott ihn trotz allem noch aus dem Venusberg retten Daszlig solche Fragen nicht beantwortet werden - was die Schluumlsse der verschiedenen Fassungen versuchen sind bestenfalls TeiJantworten - daszlig die Raumltselhaftigkeit des Schlusses Phantasie und Nachshydenklichkeit anregt kann man auch als lite rarische Qualitaumlt verstehen

Ein wichtiges Glied in MasERs Argumentation ist Tannhaumlusers Antwort auf das Angebot der Venus ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehefrau zu geben (Str A 5 vgl B 6)

Neyme y ek nu eyn ander wylf dan iek heb yn mynen synne so malst iek nu ind to allen tyden in der hellen grunt vmynken

MaSER versteht diese Strophe als Hinweis auf ein gebrochenes Zoumllibatsgeluumlbshyde und dies sei die spezifische Schuld Tannhaumlusers die ihn zur Fahrt nach Rom zwinge denn fuumlr Bruch des Zoumllibats war nach dem Buszligrecht der Kirche ausschlieszliglich der Papst zustaumlndig Mit dieser Interpretation scheint mir der Text wie er in der Mehrzahl der Fassungen vorliegt in unzulaumlssiger Weise vereindeutigt und aufgefuumlllt Ein Bezug auf Mafia ist hier nicht zu leugnen Aber es kann mindestens ebenso gut gemeint sein daszlig der Tannhaumluser der (nach Str B 2) als Ritter eher aus curiositas weil er wunder sehawen wollte in den Venusberg gezogen ist jetzt da ihm der Ernst der Lage bewuszligt wird seine Hoffnung aufMaria setzt MaSER beruft sich denn auch auf die niedershylaumlndische Fassung D1 wo in der Tat von einem Geloumlbnis die Rede ist ie heb maria de moeder gods ghelovet liifge mijnre lrouwe sagt da Her DanelP Als Zoumllibatsgeluumlbde im kirchenrechtlichen Sinn sind wohl auch diese Verse nicht ohne weiteres zu verstehen und man wird den Text dieser einen Fassung die erst nach 1525 bezeugt ist und einige deutlich sekundaumlre Zuumlge aufweist nicht gegen alle uumlbrigen Fassungen mit dem der Urfassung gleichsetzen duumlrfen

M aSER hat auch wenn ich seinen Schluumlssen nicht zu folgen vermag zweifellos eine wichtige Dimension der Tannhaumluser-Ballade aufgezeigt Buszligshy

27 Hier nach BARTO [Anm 14] S 158 vgl MOSER S 23f

133 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

thematik und Marienfroumlmmigkeit sind in den erhaltenen Texten praumlsent und ein genetischer Zusammenhang mit Buumlszligerlegenden ist fuumlr das Stabwunder unabweisbar Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend fuumlr die Erzaumlhlstruktur an sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzaumlhlmusters eine Akzentuierung die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muszlig

bull

Die Tannhaumluser-Sage folgt wie man laumlngst gesehen hat28 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau Aufenthalt in deren Reich oumlfter einem Berg Ruumlckkehr zur Menschenwelt und - nur in einigen Varianten - endguumlltigem Eingang ins Feenreich Das Schema ist in der spaumltmittelalterlichen Erzaumlhlliteratur weit verbreitet Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhaumluser-Sage eingeshywirkt hat muszlig offen bleiben Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade Thomas Rhymer angefuumlhrt hat29 - der Held ein Dichshyter der den Auftrag erhaumllt das Lob der Fee zu verkuumlnden vgl Str B 15 der Tannhaumluser-Ballade - scheint mir wenig Gewicht zu haben Auffaumlllig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzaumlhlungen die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten 3o Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15 Jahrhunderts deutsche Reisende die wohl schon die TannhaumlusershyBallade kannten den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben und die bloszlige Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen ist rur unsere Fragestellung zu unspezifisch 31

Aber schon um 1410 erzaumlhlt Andrea de Magnabotti da Barbarino im Guerino il Meschino eine der Tannhaumluser-Sage aumlhnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl Str B 19) auch er zieht anschlieszligend nach Rom um vom Papst Absolution zu erhalten Der Tannhaumluser-Ballade noch aumlhnlicher ist eine wenig juumlngere Variante die Antoine de La Sale in seinem Paradis de la reine Sibylle erzaumlhlt hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl Str B 5) und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst der hier tatsaumlchlich die Absolution nur hinausschiebt um die wahre Buszliggesinnung zu pruumlfen erreicht der Knappe durch eine List daszlig sie beide auf immer in den Berg zuruumlckkehren 32 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der TannhaumlusershySage liegt auf der Hand bei La Sale findet sich sogar wenngleich anders

28 G PARJS Legendes du moyen age Paris 1903 S 113-145 dOr S 133 ff O LOumlHMANN Die Entstehung der Tannhaumlusersage Fabula 3 (1960) 224-25 3 (mit vollstaumlndiger Bibliographie zur Tannhaumluser-Sage)

I 29 LOumlHMANN (Anm 28] S 239f 30 Beste Diskussion bei LOumlHMANN [Anm 28] S 225-233 31 Vgl M WIS Ursprunge der deutschen Tannhaumluserlegende Zur Geschichte mittelalterli shy

cher PiJgertraditionen Neuphil Milaquo 61 (1960) 8-58 32 Referat vor allem nach LOumlHMANN [Anm 28] S 225-229 Vgl auch Anm 24

134 WACHINGER

motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 3: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

127

bull

bull

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Tatsaumlchlich laumlszligt dieses Corpus ein relativ eigenartiges Autorprofil erkennen C uumlberliefert mit sechs Leichs sechs Minneliedern drei Sangspruchtoumlnen und einem Kreuzzugs- oder Pilgerlied ein Oeuvre von professioneller Vielseishytigkeit mit einzelnen originellen Typusvariationen (zB Fuumlrstenpreis im Tanzshyleich) In diesem Corpus operiert der Dichter mit traditionellen lyrischen Rollen der des Liebenden der des Tanzmeisters und der des heimatlosen Fahrenden Rollen denen er auch neue Nuancen abgewinnt Der Stil bleibt gemessen an der Reim- und Sprachartistik anderer professioneller Lyriker des 13 Jahrhunderts eher schlicht fast sorglos Als Schmuck dienen Namen und Fremdwoumlrter manchmal gehaumluft Und es findet sich eine Neigung zu Kataloshygen und zum Anzitieren geographischen Wissens und romanhafter oder exotischer Vorstellungen Nach heutigen Verstehens- und Wertungsmoumlglichshykeiten sind wohl die besten von Tannhaumlusers Dichtungen diejenigen in denen er verschiedene Imaginationen so kombiniert und uumlberlagert daszlig sich kaum noch eine Ebene der eigentlichen Bedeutung ausmachen laumlszligt So wenn er in Lied XF6 in der Rolle des Tanzmeisters ruumlr den winterlichen Stubentanz detailliert die Schoumlnheit seiner tanzenden Geliebten beschreibt und die Geshysellschaft auffordert die Schoumlne beim Tanzen nicht zu bedraumlngen und zu bestauben aber man weiszlig nicht ob die Geliebte als anwesend vorzustellen ist oder nur als Imagination des Tanzmeisters in eine Szene projiziert wird die als solche beim Vortrag vor der houmlfischen Gesellschaft natuumlrlich ebenfalls nur imaginiert ist Vergleichbar Leich III In einen Fruumlhjahrs-Tanz-Aufruf an eine Maumldchengesellschaft von Neidhartscher Stilisierung ist die Ich-Erzaumlhlung von einer Liebesbegegnung in der Fruumlhlingsnatur mit arthurischen Assoziationen eingeschoben weicher Ebene aber die zuletzt als Geliebte des Saumlngers geprieshysene Kuumlnigunt zugehoumlrt bleibt offen weil die Saite des Fiedlers (der den Saumlnger beim Vortrag - vor dem imaginierten Neidhartschen Maumldchenkreis oder auch vor dem letztlich angesprochenen houmlfischen Publikum - begleitet hat) reiszligt l7 In einem weiteren Sinne mag man auch das was WOLFGANG MOHR 18 in seinem schoumlnen Aufsatz zum Kreuzzugs-Pilgerlied (XIII) als alleshygorischen Naturalismus bezeichnet hat dieser Kunst einer irritierenden aber atmosphaumlrestiftenden Uumlberlagerung von Imaginationen zuordnen Bei der Entstehung der Sage scheinen allerdings diese fuumlr uns besonders interessanten Phaumlnomene keine Rolle gespielt zu haben

16 Zitate nach J SIEBERT Der Dichter Tannhaumluser Leben - Gedichte - Sage Halle 1934 17 Vergleichbare Phaumlnomene bei Neidhart hatJ-D MUumlLLER aufgezeigt Ritual Sprecherfikshy

tion und Erzaumlhlung Literarisierungstendenzen im spaumlteren Minnesang in M SCHILLINGP STROHSCHNELOER (Hgg) Wechselspiele Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik Heidelberg 1996 S 43-74

18 W MOHR Tanhusers Kreuzlied DVjs 34 (1960) 338-355

128 WACHINGER

Gemessen am C-Corpus fallt alles was sonst noch unter dem Namen des Tannhaumlusers verstreut uumlberliefert ist qualitativ deutlich ab Das muszlig nicht von vornherein Unechtheit bedeuten zumal es auch in C schwaumlchere Texte gibt und fuumlr das Buszliglied der Jenaer Handschrift moumlchte ich (ebenso wie fuumlr die Hofzucht) die Echtheitsfrage explizit offenlassen Das Buszliglied hat bei der Frage nach dem Ursprung der Sage eine gewisse Rolle gespielt ist aber sicher kein verlaumlszligliches Zeugnis Ist es echt so beweist es noch keineswegs daszlig eine Wende von der Sinnenfreude der Liebeslieder in C zum religioumlsen Ernst des Buszliglieds der biographische Ansatzpunkt fuumlr die Sage war Ist es unecht so ist es doch nicht als Zeugnis fur die fruumlhe Existenz der Sage verwertbar weil es viel zu unspezifisch iSt 19

bull Auch das Bild der Groszligen Heidelberger Liederhandschrift hat man wohl

zu Unrecht als Zeugnis fuumlr die Existenz der Sage oder der Ballade bereits um 1300 gedeutet 2o Dieses Bild das den Dichter frontal in der weiszligen Tracht eines Deutschordensritters zeigt wirkt in der Tat merkwuumlrdig streng gegenshyuumlber der in den Liedern vorherrschenden Sinnenfreude Gaumlbe es stuumltzende fruumlhe Zeugnisse so koumlnnte man einen Zusammenhang ernsthaft erwaumlgen Daszlig die beiden ornamentalen Eichen- und Ahornranken die den Dichter flankieren eine Andeutung des Stabwunders seien wuumlrde ich allerdings auch dann nicht glauben Da aber Ballade und Sage sonst ni~ht vor dem 15 Jahrshyhundert bezeugt sind vermute ich eher daszlig das Bildmotiv aus Tannhaumlusers Kreuzzugs-Pilgerlied (XIII) herausgesponnen wurde in Erinnerung an die Urspruumlnge des Deutschen Ordens im Heiligen Land

Die fruumlheste einigermaszligen datierbare Erwaumlhnung einer Beziehung zwishyschen Tannhaumluser und Venus und damit das fruumlheste sichere Zeugnis der Tannhaumluser-Sage findet sich in dem 143035 aufgezeichneten Dialog Tannshyhaumluser und Frau Welt2l Von da an haumlufen sich die Anspielungen und um die Mitte des 15 Jahrhunderts ist die aumllteste erhaltene Aufzeichnung der Tannhaumluser-Ballade zu datieren Diese ist der zentrale Text fuumlr die Analyse der Sage wahrscheinlich auch ihr Ursprung und Ausgangspunkt

Uumlberliefert ist die Ballade im 15 bis 17 Jahrhundert in vier Hauptfassunshygen (A bis D)22 A nur in der niederdeutschen Erstaufzeichnung um 1450

bull 19 Ausfufuliche Diskussion bei SIEBERT [Anm 16] S 237-239 Eine stark abweichende Deu tung hat R BLECK versucht Tannhaumlusers Aufbruch zum Kreuzzug Das Buszliglied der Jenaer Liederhandschrift GRM 74 NF 43 (1993) 257-266

20 Am entschiedensten W KOSCHORRECK Die Bildmotive in dersW WERNER (Hgg) Codex Manesse Die Groszlige Heidelberger Liederhandschrift Kommentar zum Faksimile des Codex Palatinus Germanicus 848 der Universitaumltsbibliothek Heidelberg Kassel 1981 S 101shy127 dort 5 118f

21 Ygl I KASTEN in 2YL Bd 9 1995 Sp 61Of 22 YgJ 2YL Bd 9 1995 Sp 611 f Meine Typendifferenzierung laumlszligt die juumlngere Yolksliedshy

uumlberlieferung unberuumlcksichtigt und deckt sich ua deshalb nicht mit der Unterscheidung von vier Typen bei MOSER (Anm26] S 19f Zitate von A und B nach Deutsche Yolkslieder

129 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

belegt bietet einen teilweise gestoumlrten Text zeigt aber in manchen Einzelheishyten wohl die aumllteste Gestalt Am verbreitetsten ist B die hochdeutsche Fasshysung seit 1515 vielfach gedruckt Ich referiere zunaumlchst den Inhalt nach B mit den wichtigsten Abweichungen von A

Str 1 Ankuumlndigung der Erzaumlhlung_ Str 2 Danheuser zieht in den Berg zu Venus und anderen schoumlnen Frauen (fehlt A) Str 3-15 Abschiedsdialog Venus - Danheuser Venus beruft sich auf einen Eid den Danheuser ihr geschworen habe bietet ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehe und sich selbst zum Liebesspiel an und mahnt ihn sein Leben zu fristen Danheuser weist alles zuruumlck nennt sie Teufelin und ruft Maria um Hilfe an Venus laumlszligt ihn schlieszliglich ziehen Sie mahnt ihn aber ihr Lob zu verkuumlndigen (A Danheushyser verspricht dies von sich aus) und von dem Greysen Abschied zu nehmen Str 16-20 Danheuser zieht nach Rom und beichtet dem Papst Dieser weist auf einen trockenen Stab so wenig dieser gruumlnen koumlnne so wenig werde er Gottes Huld gewinnen (A der Papst steckt einen Stab in die Erde wen n dieser Rosen trage seien ihm die Suumlnden vergeben) Str 21-24 Danheuser glaubt wenn er nur noch ein Jahr zu leben haumltte koumlnnte er auf Gottes Gnade hoffen (fehlt A) Mit einem Anruf an Maria zieht Danheuser fort und wieder in den Berg wo Venus ihn begruumlszligt Str 25f Nach drei Tagen gruumlnt der Stab der Papst laumlszligt Danheuser suchen aber der ist wieder im Berg deshalb muszlig Papst Urban IV ewig verloren sein (A Kein Name des Papstes Zusatz Kein Papst soll einen reuigen Suumlnder krencken)

Die juumlngere niederdeutsche Fassung C weicht von AB vor allem im Schluszlig ab Oanhuser zieht wieder in den Berg erklaumlrt aber Venus gegenuumlber er hoffe noch auf Christi Gnade der Papst ist betruumlbt daszlig er Oanhuser nicht mehr finden kann Gott aber wird Oanhuscrs Begehren erfuumlllen In den beiden ebenfalls juumlngeren niederlaumlndischen Fassungen (01 und 02) heiszligt der Held Oaniel Der Abschiedsdialog ist gekuumlrzt Nach der Abweisung durch den Papst holt Oaniel drei Kinder seiner Schwester und fuumlhrt sie mit in den Berg zu Venus dort aber will er (dies nur in 02) weder essen noch trinken und wenn Venus lachen und spielen will so schweigt er

bull Die Ballade ist sicher aumllter als ihre aumllteste erhaltene Aufzeichnung es fragt

sich nur wie viel Man hat immer wieder die Nennung von Papst Urban IV (1261-1264) die genau zu Tannhaumlusers Lebenszeit paszligt als Argument dafuumlr angefuumlhrt daszlig die Ballade schon um 1300 entstanden sein muumlsse zu einer Zeit da man sich noch an den historischen Tannhaumluser erinnerte Mir ershyscheint dieses Argument nicht stichhaltig Zunaumlchst ist zu beachten daszlig der Name des Papstes nur in einer der vier Fassungen genannt wird in der Fassung B die erstmals 1515 bei Jobst Gutknecht in Nuumlrnberg gedruckt wurde Es ist die Fassung mit den wenigsten Bruumlchen und Entstellungen und

Balladen 1 Bd 1 Teil hg v J MEIER (Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien) Berlin Leipzig 1935 S 145f (B) und 147f (A)

BO WACHINGER

man muszlig gerade deshalb damit rechnen daszlig sie nicht in allen Zuumlgen das Urspruumlngliche bewahrt sondern daszlig Gutknecht den Text fuumlr den Druck hat aufbereiten lassen Ich moumlchte die Moumlglichkeit nicht ausschlieszligen daszlig bei dieser Gelegenheit und in diesem Umfeld der Papstname sekundaumlr in den Text geraten ist Zweifellos wuszligte man daszlig hinter der Balladenfigur ein Dichter stand den man aus anderen Traditionen kannte und man konnte jederzeit historisches Wissen einsetzen Solches gleichsam literaturgeschichtshyliches Denken ist in Nuumlrnberg zu Beginn des 16 Jahrhunderts besonders gut vorstellbar Meistersinger und Humanisten waren je auf ihre Weise und aus ihrer Perspektive an Wissen uumlber fruumlhere Dichter interessiert Und immerhin gab es in Nuumlrnberg um diese Zeit eine Familie Danhauser aus der ua ein Humanist stammte23 auch das mag zu historischen Fragen angeregt haben

bull Die Verbindung des Namens Urban mit dem Stoff koumlnnte allerdings auch

aumllter sein In dem mittelfranzoumlsischen Prosaroman Le Paradis de la reine Sibylle von Antoine de La Sale dessen Quelle ich fuumlr eine Qlelle der Tannhaumluser-Ballade halte (davon wird noch die Rede sein) beichtet der Held zunaumlchst in Rom bei Papst Innocmt des Jahres 1352 andere sagen daszlig es Papst Urbain die Crimouault des Jahres B62 war und man sagt auch es sei Papst Urbain de Limozin des Jahres 1377 gewesen als ihm dort die Absolution verweigert wurde wandte er sich an Papst Clemmt in Avignon 24 Vielleicht war also der Papstname Urban schon mit jener Erzaumlhlung verbunden die der Tannhaumluser-Ballade das Handlungsgeruumlst geliefert hat Die Fixierung auf den aumllteren Urban IV muszlig dann freilich im Wissen um die Lebenszeit des historischen Tannhaumluser erfolgt sein Das waumlre wie gesagt in Nuumlrnberg um 1515 besonders gut vorstellbar ist aber auch fruumlher und andernorts durchaus moumlglich Denn der Verfasser der Urballade war in literarischen Mustern bewandert und ihm konnte historisches Wissen uumlber den Tannhaumluser auch dann zugaumlnglich sein wenn er wie ich annehme nicht allzu lange vor dem Einsetzen der Anspielungen auf die Tannhaumluser-Sage gedichtet hat Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts Eine Notwendigkeit die Ballade nur wegen der Korrektheit des Papstnamens weit zuruumlckzudatieren sehe ich jedenfalls nicht Um 1300 waumlre die Ballade als Texttypus voumlllig einzigartig aus dem 15 Jahrhundert aber sind mehrere Balladen uumlberliefert darunter auch zwei uumlber Dichter des hohen Mittelalters

Die Tannhaumluser-Ballade ist nicht nur in verschiedenen Fassungen mit zT auch in sich sehr variabler Gestalt uumlberliefert sie ist auch insofern ein offener Text als sie an einigen Stellen weiteres Sagenwissen vorauszusetzen scheint Der Creyse (Str B 15) ist wohl der getreue Eckart von dem die Heldenbuchshy

23 Vgl H RUPPRICH (Hg) Der Briefwechsel des Konrad Celtis Muumlnchen 1934 S 23f Anm1

24 Antoine de La Sale Le Paradis de 1a reine Sibylle hg v F DESONAY Paris 1930 Kapitel 11 S 32-34 zu den Papstnamen ebd S LXX-LXXIV

Von Tannhaumluser zur T annhaumluser-Ballade 131

Prosa des 15 Jahrhunderts berichtet er sei noch vor frau ftnus berg vnd sol auch da beleiben biszlig an den iuumlngsten tag vnd warnet alle die in den berg gan woumlUent 25 In Str B 9 und 21 koumlnnte angedeutet sein daszlig Danheuser wenn er den Berg verlaumlszligt nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat Es ist nicht unmoumlglich daszlig ein aumllterer vollstaumlndigerer Text der Ballade solche Motive deutlicher ausgefuumlhrt und in einen konsistenten Zusammenhang eingebunden hatte ein Text der uns heute verloren ist Und es ist auch nicht mit Sicherheit auszushyschlieszligen daszlig ein laumlngerer hochliterarischer Text von dem die Ballade nur eine Kurzfassung ist eine Tannhaumluser-Erzaumlhlung geboten hat aus der alle Raumltsel und offenen Enden der erhaltenen Fassungen widerspruchsfrei erklaumlrshybar waumlren Aber die Erfahrungen der Heldensagenforschung sollten uns vorshysichtig machen Dort ist das Rekonstruieren von voumlllig stimmigen Vorstufen zu Recht in Miszligkredit geraten Zwar waren die Lebensbedingungen der Tannhaumluser-Ballade sicher nicht ganz die der heldenepischen Tradition es gab kein altetabliertes vielstraumlngig tradiertes Sagenwissen Aber wie Heldenshyepen und Maumlren und wie ein Groszligteil der spaumltmittelalterlichen Lieddichtung gehoumlrt die Ballade doch in eine Literaturschicht die der Muumlndlichkeit nahe stand und Darstellungsweisen muumlndlicher Literatur auch in der Schriftlichkeit und auch bei der Aufnahme hochliterarischer Motive weiterpflegte Makelloshyse Kohaumlrenz ist da schon bei der Erstkonzeption nicht unbedingt zu erwarten und im Laufe der Tradition koumlnnen leicht Motive aus anderen Kontexten frei assoziiert worden sein sei es als freie Phantastereien sei es als Versuche der Erklaumlrung von Unverstandenem

Mit den offenen Enden des Textes und den unloumlsbaren Fragen einer moumlglichen Textvorgeschichte wird man also leben muumlssen Dennoch darf man versuchen die Ballade oder die Geschichte die sie erzaumlhlt als ganze in den Blick zu fassen DIETZ-RuumlDIGER MaSER hat 1977 versucht die TannhaumlusershySage aus einer Buumlszligerlegende vom Typus der Chrysostomus-Legende abzuleishyten 26 Daran ist uumlberzeugend daszlig das alte Aaronstabmotiv das Motiv vom Stab der wider aller Erwartung gruumlnt aumlhnlich eingesetzt ist wie vergleichbare Zeichen in Buumlszligerlegenden Die Absolution wird dort vom Papst nicht eigentshylich verweigert sondern der Suumlnder wird wegen der besonderen Schwere der Suumlnde auf ein langes Buumlszligerleben verwiesen dessen Ende ihm erst durch ein Wunder Gottes angezeigt wird Die Fassung A druumlckt die Erwartung eines Gotteszeichens noch deutlich aus (Str 17)

Dye pawes had der einen dariken Jlock den stack hyeyn dye erden

25 J HEINZLE (Hg) Heldenbuch nach dem aumlltesten Druck in Abbildung (Litterae 7512) Goumlppingen 1981 Bd I 6vb Bd 11 S 240

26 D-R MOSER Die Tannhaumluser-Legende Eine Studie uumlber Intentionalitaumlt und Rezeption katechetischer Volkserzaumlhlungen zum Buszlig-Sakrament (Fabula Suppl-Serie Reihe B Bd 4) BerlinNew York 1977

132 WACHINGER

wen hye rode rosen draht so synt dy dyn sunde vergeven

Wenn MaSER aber dann das Umbiegen dieses Motivs in der Ballade bloszlig negativ als ein Miszligverstaumlndnis dessen wertet was die postulierte Vorlage lehren wollte dann verkennt er die fast novellistische Pointe die damit gewonnen ist Das Gotteszeichen kommt zu spaumlt Hat sich Gott nicht genuumlshygend beeilt Oder hat sich der Tannhaumluser durch Ungeduld oder desperatio das Heil verscherzt Er dachte an ein Jahr Buszlige aber fuumlr Gott haumltten drei Tage genuumlgt Oder hat doch der Papst Tannhaumlusers Situation nicht richtig eingeshyschaumltzt Wie lange hatte Tannhaumluser noch Zeit Wird Gott ihn trotz allem noch aus dem Venusberg retten Daszlig solche Fragen nicht beantwortet werden - was die Schluumlsse der verschiedenen Fassungen versuchen sind bestenfalls TeiJantworten - daszlig die Raumltselhaftigkeit des Schlusses Phantasie und Nachshydenklichkeit anregt kann man auch als lite rarische Qualitaumlt verstehen

Ein wichtiges Glied in MasERs Argumentation ist Tannhaumlusers Antwort auf das Angebot der Venus ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehefrau zu geben (Str A 5 vgl B 6)

Neyme y ek nu eyn ander wylf dan iek heb yn mynen synne so malst iek nu ind to allen tyden in der hellen grunt vmynken

MaSER versteht diese Strophe als Hinweis auf ein gebrochenes Zoumllibatsgeluumlbshyde und dies sei die spezifische Schuld Tannhaumlusers die ihn zur Fahrt nach Rom zwinge denn fuumlr Bruch des Zoumllibats war nach dem Buszligrecht der Kirche ausschlieszliglich der Papst zustaumlndig Mit dieser Interpretation scheint mir der Text wie er in der Mehrzahl der Fassungen vorliegt in unzulaumlssiger Weise vereindeutigt und aufgefuumlllt Ein Bezug auf Mafia ist hier nicht zu leugnen Aber es kann mindestens ebenso gut gemeint sein daszlig der Tannhaumluser der (nach Str B 2) als Ritter eher aus curiositas weil er wunder sehawen wollte in den Venusberg gezogen ist jetzt da ihm der Ernst der Lage bewuszligt wird seine Hoffnung aufMaria setzt MaSER beruft sich denn auch auf die niedershylaumlndische Fassung D1 wo in der Tat von einem Geloumlbnis die Rede ist ie heb maria de moeder gods ghelovet liifge mijnre lrouwe sagt da Her DanelP Als Zoumllibatsgeluumlbde im kirchenrechtlichen Sinn sind wohl auch diese Verse nicht ohne weiteres zu verstehen und man wird den Text dieser einen Fassung die erst nach 1525 bezeugt ist und einige deutlich sekundaumlre Zuumlge aufweist nicht gegen alle uumlbrigen Fassungen mit dem der Urfassung gleichsetzen duumlrfen

M aSER hat auch wenn ich seinen Schluumlssen nicht zu folgen vermag zweifellos eine wichtige Dimension der Tannhaumluser-Ballade aufgezeigt Buszligshy

27 Hier nach BARTO [Anm 14] S 158 vgl MOSER S 23f

133 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

thematik und Marienfroumlmmigkeit sind in den erhaltenen Texten praumlsent und ein genetischer Zusammenhang mit Buumlszligerlegenden ist fuumlr das Stabwunder unabweisbar Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend fuumlr die Erzaumlhlstruktur an sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzaumlhlmusters eine Akzentuierung die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muszlig

bull

Die Tannhaumluser-Sage folgt wie man laumlngst gesehen hat28 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau Aufenthalt in deren Reich oumlfter einem Berg Ruumlckkehr zur Menschenwelt und - nur in einigen Varianten - endguumlltigem Eingang ins Feenreich Das Schema ist in der spaumltmittelalterlichen Erzaumlhlliteratur weit verbreitet Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhaumluser-Sage eingeshywirkt hat muszlig offen bleiben Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade Thomas Rhymer angefuumlhrt hat29 - der Held ein Dichshyter der den Auftrag erhaumllt das Lob der Fee zu verkuumlnden vgl Str B 15 der Tannhaumluser-Ballade - scheint mir wenig Gewicht zu haben Auffaumlllig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzaumlhlungen die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten 3o Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15 Jahrhunderts deutsche Reisende die wohl schon die TannhaumlusershyBallade kannten den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben und die bloszlige Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen ist rur unsere Fragestellung zu unspezifisch 31

Aber schon um 1410 erzaumlhlt Andrea de Magnabotti da Barbarino im Guerino il Meschino eine der Tannhaumluser-Sage aumlhnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl Str B 19) auch er zieht anschlieszligend nach Rom um vom Papst Absolution zu erhalten Der Tannhaumluser-Ballade noch aumlhnlicher ist eine wenig juumlngere Variante die Antoine de La Sale in seinem Paradis de la reine Sibylle erzaumlhlt hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl Str B 5) und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst der hier tatsaumlchlich die Absolution nur hinausschiebt um die wahre Buszliggesinnung zu pruumlfen erreicht der Knappe durch eine List daszlig sie beide auf immer in den Berg zuruumlckkehren 32 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der TannhaumlusershySage liegt auf der Hand bei La Sale findet sich sogar wenngleich anders

28 G PARJS Legendes du moyen age Paris 1903 S 113-145 dOr S 133 ff O LOumlHMANN Die Entstehung der Tannhaumlusersage Fabula 3 (1960) 224-25 3 (mit vollstaumlndiger Bibliographie zur Tannhaumluser-Sage)

I 29 LOumlHMANN (Anm 28] S 239f 30 Beste Diskussion bei LOumlHMANN [Anm 28] S 225-233 31 Vgl M WIS Ursprunge der deutschen Tannhaumluserlegende Zur Geschichte mittelalterli shy

cher PiJgertraditionen Neuphil Milaquo 61 (1960) 8-58 32 Referat vor allem nach LOumlHMANN [Anm 28] S 225-229 Vgl auch Anm 24

134 WACHINGER

motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 4: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

128 WACHINGER

Gemessen am C-Corpus fallt alles was sonst noch unter dem Namen des Tannhaumlusers verstreut uumlberliefert ist qualitativ deutlich ab Das muszlig nicht von vornherein Unechtheit bedeuten zumal es auch in C schwaumlchere Texte gibt und fuumlr das Buszliglied der Jenaer Handschrift moumlchte ich (ebenso wie fuumlr die Hofzucht) die Echtheitsfrage explizit offenlassen Das Buszliglied hat bei der Frage nach dem Ursprung der Sage eine gewisse Rolle gespielt ist aber sicher kein verlaumlszligliches Zeugnis Ist es echt so beweist es noch keineswegs daszlig eine Wende von der Sinnenfreude der Liebeslieder in C zum religioumlsen Ernst des Buszliglieds der biographische Ansatzpunkt fuumlr die Sage war Ist es unecht so ist es doch nicht als Zeugnis fur die fruumlhe Existenz der Sage verwertbar weil es viel zu unspezifisch iSt 19

bull Auch das Bild der Groszligen Heidelberger Liederhandschrift hat man wohl

zu Unrecht als Zeugnis fuumlr die Existenz der Sage oder der Ballade bereits um 1300 gedeutet 2o Dieses Bild das den Dichter frontal in der weiszligen Tracht eines Deutschordensritters zeigt wirkt in der Tat merkwuumlrdig streng gegenshyuumlber der in den Liedern vorherrschenden Sinnenfreude Gaumlbe es stuumltzende fruumlhe Zeugnisse so koumlnnte man einen Zusammenhang ernsthaft erwaumlgen Daszlig die beiden ornamentalen Eichen- und Ahornranken die den Dichter flankieren eine Andeutung des Stabwunders seien wuumlrde ich allerdings auch dann nicht glauben Da aber Ballade und Sage sonst ni~ht vor dem 15 Jahrshyhundert bezeugt sind vermute ich eher daszlig das Bildmotiv aus Tannhaumlusers Kreuzzugs-Pilgerlied (XIII) herausgesponnen wurde in Erinnerung an die Urspruumlnge des Deutschen Ordens im Heiligen Land

Die fruumlheste einigermaszligen datierbare Erwaumlhnung einer Beziehung zwishyschen Tannhaumluser und Venus und damit das fruumlheste sichere Zeugnis der Tannhaumluser-Sage findet sich in dem 143035 aufgezeichneten Dialog Tannshyhaumluser und Frau Welt2l Von da an haumlufen sich die Anspielungen und um die Mitte des 15 Jahrhunderts ist die aumllteste erhaltene Aufzeichnung der Tannhaumluser-Ballade zu datieren Diese ist der zentrale Text fuumlr die Analyse der Sage wahrscheinlich auch ihr Ursprung und Ausgangspunkt

Uumlberliefert ist die Ballade im 15 bis 17 Jahrhundert in vier Hauptfassunshygen (A bis D)22 A nur in der niederdeutschen Erstaufzeichnung um 1450

bull 19 Ausfufuliche Diskussion bei SIEBERT [Anm 16] S 237-239 Eine stark abweichende Deu tung hat R BLECK versucht Tannhaumlusers Aufbruch zum Kreuzzug Das Buszliglied der Jenaer Liederhandschrift GRM 74 NF 43 (1993) 257-266

20 Am entschiedensten W KOSCHORRECK Die Bildmotive in dersW WERNER (Hgg) Codex Manesse Die Groszlige Heidelberger Liederhandschrift Kommentar zum Faksimile des Codex Palatinus Germanicus 848 der Universitaumltsbibliothek Heidelberg Kassel 1981 S 101shy127 dort 5 118f

21 Ygl I KASTEN in 2YL Bd 9 1995 Sp 61Of 22 YgJ 2YL Bd 9 1995 Sp 611 f Meine Typendifferenzierung laumlszligt die juumlngere Yolksliedshy

uumlberlieferung unberuumlcksichtigt und deckt sich ua deshalb nicht mit der Unterscheidung von vier Typen bei MOSER (Anm26] S 19f Zitate von A und B nach Deutsche Yolkslieder

129 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

belegt bietet einen teilweise gestoumlrten Text zeigt aber in manchen Einzelheishyten wohl die aumllteste Gestalt Am verbreitetsten ist B die hochdeutsche Fasshysung seit 1515 vielfach gedruckt Ich referiere zunaumlchst den Inhalt nach B mit den wichtigsten Abweichungen von A

Str 1 Ankuumlndigung der Erzaumlhlung_ Str 2 Danheuser zieht in den Berg zu Venus und anderen schoumlnen Frauen (fehlt A) Str 3-15 Abschiedsdialog Venus - Danheuser Venus beruft sich auf einen Eid den Danheuser ihr geschworen habe bietet ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehe und sich selbst zum Liebesspiel an und mahnt ihn sein Leben zu fristen Danheuser weist alles zuruumlck nennt sie Teufelin und ruft Maria um Hilfe an Venus laumlszligt ihn schlieszliglich ziehen Sie mahnt ihn aber ihr Lob zu verkuumlndigen (A Danheushyser verspricht dies von sich aus) und von dem Greysen Abschied zu nehmen Str 16-20 Danheuser zieht nach Rom und beichtet dem Papst Dieser weist auf einen trockenen Stab so wenig dieser gruumlnen koumlnne so wenig werde er Gottes Huld gewinnen (A der Papst steckt einen Stab in die Erde wen n dieser Rosen trage seien ihm die Suumlnden vergeben) Str 21-24 Danheuser glaubt wenn er nur noch ein Jahr zu leben haumltte koumlnnte er auf Gottes Gnade hoffen (fehlt A) Mit einem Anruf an Maria zieht Danheuser fort und wieder in den Berg wo Venus ihn begruumlszligt Str 25f Nach drei Tagen gruumlnt der Stab der Papst laumlszligt Danheuser suchen aber der ist wieder im Berg deshalb muszlig Papst Urban IV ewig verloren sein (A Kein Name des Papstes Zusatz Kein Papst soll einen reuigen Suumlnder krencken)

Die juumlngere niederdeutsche Fassung C weicht von AB vor allem im Schluszlig ab Oanhuser zieht wieder in den Berg erklaumlrt aber Venus gegenuumlber er hoffe noch auf Christi Gnade der Papst ist betruumlbt daszlig er Oanhuser nicht mehr finden kann Gott aber wird Oanhuscrs Begehren erfuumlllen In den beiden ebenfalls juumlngeren niederlaumlndischen Fassungen (01 und 02) heiszligt der Held Oaniel Der Abschiedsdialog ist gekuumlrzt Nach der Abweisung durch den Papst holt Oaniel drei Kinder seiner Schwester und fuumlhrt sie mit in den Berg zu Venus dort aber will er (dies nur in 02) weder essen noch trinken und wenn Venus lachen und spielen will so schweigt er

bull Die Ballade ist sicher aumllter als ihre aumllteste erhaltene Aufzeichnung es fragt

sich nur wie viel Man hat immer wieder die Nennung von Papst Urban IV (1261-1264) die genau zu Tannhaumlusers Lebenszeit paszligt als Argument dafuumlr angefuumlhrt daszlig die Ballade schon um 1300 entstanden sein muumlsse zu einer Zeit da man sich noch an den historischen Tannhaumluser erinnerte Mir ershyscheint dieses Argument nicht stichhaltig Zunaumlchst ist zu beachten daszlig der Name des Papstes nur in einer der vier Fassungen genannt wird in der Fassung B die erstmals 1515 bei Jobst Gutknecht in Nuumlrnberg gedruckt wurde Es ist die Fassung mit den wenigsten Bruumlchen und Entstellungen und

Balladen 1 Bd 1 Teil hg v J MEIER (Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien) Berlin Leipzig 1935 S 145f (B) und 147f (A)

BO WACHINGER

man muszlig gerade deshalb damit rechnen daszlig sie nicht in allen Zuumlgen das Urspruumlngliche bewahrt sondern daszlig Gutknecht den Text fuumlr den Druck hat aufbereiten lassen Ich moumlchte die Moumlglichkeit nicht ausschlieszligen daszlig bei dieser Gelegenheit und in diesem Umfeld der Papstname sekundaumlr in den Text geraten ist Zweifellos wuszligte man daszlig hinter der Balladenfigur ein Dichter stand den man aus anderen Traditionen kannte und man konnte jederzeit historisches Wissen einsetzen Solches gleichsam literaturgeschichtshyliches Denken ist in Nuumlrnberg zu Beginn des 16 Jahrhunderts besonders gut vorstellbar Meistersinger und Humanisten waren je auf ihre Weise und aus ihrer Perspektive an Wissen uumlber fruumlhere Dichter interessiert Und immerhin gab es in Nuumlrnberg um diese Zeit eine Familie Danhauser aus der ua ein Humanist stammte23 auch das mag zu historischen Fragen angeregt haben

bull Die Verbindung des Namens Urban mit dem Stoff koumlnnte allerdings auch

aumllter sein In dem mittelfranzoumlsischen Prosaroman Le Paradis de la reine Sibylle von Antoine de La Sale dessen Quelle ich fuumlr eine Qlelle der Tannhaumluser-Ballade halte (davon wird noch die Rede sein) beichtet der Held zunaumlchst in Rom bei Papst Innocmt des Jahres 1352 andere sagen daszlig es Papst Urbain die Crimouault des Jahres B62 war und man sagt auch es sei Papst Urbain de Limozin des Jahres 1377 gewesen als ihm dort die Absolution verweigert wurde wandte er sich an Papst Clemmt in Avignon 24 Vielleicht war also der Papstname Urban schon mit jener Erzaumlhlung verbunden die der Tannhaumluser-Ballade das Handlungsgeruumlst geliefert hat Die Fixierung auf den aumllteren Urban IV muszlig dann freilich im Wissen um die Lebenszeit des historischen Tannhaumluser erfolgt sein Das waumlre wie gesagt in Nuumlrnberg um 1515 besonders gut vorstellbar ist aber auch fruumlher und andernorts durchaus moumlglich Denn der Verfasser der Urballade war in literarischen Mustern bewandert und ihm konnte historisches Wissen uumlber den Tannhaumluser auch dann zugaumlnglich sein wenn er wie ich annehme nicht allzu lange vor dem Einsetzen der Anspielungen auf die Tannhaumluser-Sage gedichtet hat Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts Eine Notwendigkeit die Ballade nur wegen der Korrektheit des Papstnamens weit zuruumlckzudatieren sehe ich jedenfalls nicht Um 1300 waumlre die Ballade als Texttypus voumlllig einzigartig aus dem 15 Jahrhundert aber sind mehrere Balladen uumlberliefert darunter auch zwei uumlber Dichter des hohen Mittelalters

Die Tannhaumluser-Ballade ist nicht nur in verschiedenen Fassungen mit zT auch in sich sehr variabler Gestalt uumlberliefert sie ist auch insofern ein offener Text als sie an einigen Stellen weiteres Sagenwissen vorauszusetzen scheint Der Creyse (Str B 15) ist wohl der getreue Eckart von dem die Heldenbuchshy

23 Vgl H RUPPRICH (Hg) Der Briefwechsel des Konrad Celtis Muumlnchen 1934 S 23f Anm1

24 Antoine de La Sale Le Paradis de 1a reine Sibylle hg v F DESONAY Paris 1930 Kapitel 11 S 32-34 zu den Papstnamen ebd S LXX-LXXIV

Von Tannhaumluser zur T annhaumluser-Ballade 131

Prosa des 15 Jahrhunderts berichtet er sei noch vor frau ftnus berg vnd sol auch da beleiben biszlig an den iuumlngsten tag vnd warnet alle die in den berg gan woumlUent 25 In Str B 9 und 21 koumlnnte angedeutet sein daszlig Danheuser wenn er den Berg verlaumlszligt nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat Es ist nicht unmoumlglich daszlig ein aumllterer vollstaumlndigerer Text der Ballade solche Motive deutlicher ausgefuumlhrt und in einen konsistenten Zusammenhang eingebunden hatte ein Text der uns heute verloren ist Und es ist auch nicht mit Sicherheit auszushyschlieszligen daszlig ein laumlngerer hochliterarischer Text von dem die Ballade nur eine Kurzfassung ist eine Tannhaumluser-Erzaumlhlung geboten hat aus der alle Raumltsel und offenen Enden der erhaltenen Fassungen widerspruchsfrei erklaumlrshybar waumlren Aber die Erfahrungen der Heldensagenforschung sollten uns vorshysichtig machen Dort ist das Rekonstruieren von voumlllig stimmigen Vorstufen zu Recht in Miszligkredit geraten Zwar waren die Lebensbedingungen der Tannhaumluser-Ballade sicher nicht ganz die der heldenepischen Tradition es gab kein altetabliertes vielstraumlngig tradiertes Sagenwissen Aber wie Heldenshyepen und Maumlren und wie ein Groszligteil der spaumltmittelalterlichen Lieddichtung gehoumlrt die Ballade doch in eine Literaturschicht die der Muumlndlichkeit nahe stand und Darstellungsweisen muumlndlicher Literatur auch in der Schriftlichkeit und auch bei der Aufnahme hochliterarischer Motive weiterpflegte Makelloshyse Kohaumlrenz ist da schon bei der Erstkonzeption nicht unbedingt zu erwarten und im Laufe der Tradition koumlnnen leicht Motive aus anderen Kontexten frei assoziiert worden sein sei es als freie Phantastereien sei es als Versuche der Erklaumlrung von Unverstandenem

Mit den offenen Enden des Textes und den unloumlsbaren Fragen einer moumlglichen Textvorgeschichte wird man also leben muumlssen Dennoch darf man versuchen die Ballade oder die Geschichte die sie erzaumlhlt als ganze in den Blick zu fassen DIETZ-RuumlDIGER MaSER hat 1977 versucht die TannhaumlusershySage aus einer Buumlszligerlegende vom Typus der Chrysostomus-Legende abzuleishyten 26 Daran ist uumlberzeugend daszlig das alte Aaronstabmotiv das Motiv vom Stab der wider aller Erwartung gruumlnt aumlhnlich eingesetzt ist wie vergleichbare Zeichen in Buumlszligerlegenden Die Absolution wird dort vom Papst nicht eigentshylich verweigert sondern der Suumlnder wird wegen der besonderen Schwere der Suumlnde auf ein langes Buumlszligerleben verwiesen dessen Ende ihm erst durch ein Wunder Gottes angezeigt wird Die Fassung A druumlckt die Erwartung eines Gotteszeichens noch deutlich aus (Str 17)

Dye pawes had der einen dariken Jlock den stack hyeyn dye erden

25 J HEINZLE (Hg) Heldenbuch nach dem aumlltesten Druck in Abbildung (Litterae 7512) Goumlppingen 1981 Bd I 6vb Bd 11 S 240

26 D-R MOSER Die Tannhaumluser-Legende Eine Studie uumlber Intentionalitaumlt und Rezeption katechetischer Volkserzaumlhlungen zum Buszlig-Sakrament (Fabula Suppl-Serie Reihe B Bd 4) BerlinNew York 1977

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wen hye rode rosen draht so synt dy dyn sunde vergeven

Wenn MaSER aber dann das Umbiegen dieses Motivs in der Ballade bloszlig negativ als ein Miszligverstaumlndnis dessen wertet was die postulierte Vorlage lehren wollte dann verkennt er die fast novellistische Pointe die damit gewonnen ist Das Gotteszeichen kommt zu spaumlt Hat sich Gott nicht genuumlshygend beeilt Oder hat sich der Tannhaumluser durch Ungeduld oder desperatio das Heil verscherzt Er dachte an ein Jahr Buszlige aber fuumlr Gott haumltten drei Tage genuumlgt Oder hat doch der Papst Tannhaumlusers Situation nicht richtig eingeshyschaumltzt Wie lange hatte Tannhaumluser noch Zeit Wird Gott ihn trotz allem noch aus dem Venusberg retten Daszlig solche Fragen nicht beantwortet werden - was die Schluumlsse der verschiedenen Fassungen versuchen sind bestenfalls TeiJantworten - daszlig die Raumltselhaftigkeit des Schlusses Phantasie und Nachshydenklichkeit anregt kann man auch als lite rarische Qualitaumlt verstehen

Ein wichtiges Glied in MasERs Argumentation ist Tannhaumlusers Antwort auf das Angebot der Venus ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehefrau zu geben (Str A 5 vgl B 6)

Neyme y ek nu eyn ander wylf dan iek heb yn mynen synne so malst iek nu ind to allen tyden in der hellen grunt vmynken

MaSER versteht diese Strophe als Hinweis auf ein gebrochenes Zoumllibatsgeluumlbshyde und dies sei die spezifische Schuld Tannhaumlusers die ihn zur Fahrt nach Rom zwinge denn fuumlr Bruch des Zoumllibats war nach dem Buszligrecht der Kirche ausschlieszliglich der Papst zustaumlndig Mit dieser Interpretation scheint mir der Text wie er in der Mehrzahl der Fassungen vorliegt in unzulaumlssiger Weise vereindeutigt und aufgefuumlllt Ein Bezug auf Mafia ist hier nicht zu leugnen Aber es kann mindestens ebenso gut gemeint sein daszlig der Tannhaumluser der (nach Str B 2) als Ritter eher aus curiositas weil er wunder sehawen wollte in den Venusberg gezogen ist jetzt da ihm der Ernst der Lage bewuszligt wird seine Hoffnung aufMaria setzt MaSER beruft sich denn auch auf die niedershylaumlndische Fassung D1 wo in der Tat von einem Geloumlbnis die Rede ist ie heb maria de moeder gods ghelovet liifge mijnre lrouwe sagt da Her DanelP Als Zoumllibatsgeluumlbde im kirchenrechtlichen Sinn sind wohl auch diese Verse nicht ohne weiteres zu verstehen und man wird den Text dieser einen Fassung die erst nach 1525 bezeugt ist und einige deutlich sekundaumlre Zuumlge aufweist nicht gegen alle uumlbrigen Fassungen mit dem der Urfassung gleichsetzen duumlrfen

M aSER hat auch wenn ich seinen Schluumlssen nicht zu folgen vermag zweifellos eine wichtige Dimension der Tannhaumluser-Ballade aufgezeigt Buszligshy

27 Hier nach BARTO [Anm 14] S 158 vgl MOSER S 23f

133 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

thematik und Marienfroumlmmigkeit sind in den erhaltenen Texten praumlsent und ein genetischer Zusammenhang mit Buumlszligerlegenden ist fuumlr das Stabwunder unabweisbar Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend fuumlr die Erzaumlhlstruktur an sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzaumlhlmusters eine Akzentuierung die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muszlig

bull

Die Tannhaumluser-Sage folgt wie man laumlngst gesehen hat28 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau Aufenthalt in deren Reich oumlfter einem Berg Ruumlckkehr zur Menschenwelt und - nur in einigen Varianten - endguumlltigem Eingang ins Feenreich Das Schema ist in der spaumltmittelalterlichen Erzaumlhlliteratur weit verbreitet Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhaumluser-Sage eingeshywirkt hat muszlig offen bleiben Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade Thomas Rhymer angefuumlhrt hat29 - der Held ein Dichshyter der den Auftrag erhaumllt das Lob der Fee zu verkuumlnden vgl Str B 15 der Tannhaumluser-Ballade - scheint mir wenig Gewicht zu haben Auffaumlllig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzaumlhlungen die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten 3o Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15 Jahrhunderts deutsche Reisende die wohl schon die TannhaumlusershyBallade kannten den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben und die bloszlige Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen ist rur unsere Fragestellung zu unspezifisch 31

Aber schon um 1410 erzaumlhlt Andrea de Magnabotti da Barbarino im Guerino il Meschino eine der Tannhaumluser-Sage aumlhnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl Str B 19) auch er zieht anschlieszligend nach Rom um vom Papst Absolution zu erhalten Der Tannhaumluser-Ballade noch aumlhnlicher ist eine wenig juumlngere Variante die Antoine de La Sale in seinem Paradis de la reine Sibylle erzaumlhlt hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl Str B 5) und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst der hier tatsaumlchlich die Absolution nur hinausschiebt um die wahre Buszliggesinnung zu pruumlfen erreicht der Knappe durch eine List daszlig sie beide auf immer in den Berg zuruumlckkehren 32 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der TannhaumlusershySage liegt auf der Hand bei La Sale findet sich sogar wenngleich anders

28 G PARJS Legendes du moyen age Paris 1903 S 113-145 dOr S 133 ff O LOumlHMANN Die Entstehung der Tannhaumlusersage Fabula 3 (1960) 224-25 3 (mit vollstaumlndiger Bibliographie zur Tannhaumluser-Sage)

I 29 LOumlHMANN (Anm 28] S 239f 30 Beste Diskussion bei LOumlHMANN [Anm 28] S 225-233 31 Vgl M WIS Ursprunge der deutschen Tannhaumluserlegende Zur Geschichte mittelalterli shy

cher PiJgertraditionen Neuphil Milaquo 61 (1960) 8-58 32 Referat vor allem nach LOumlHMANN [Anm 28] S 225-229 Vgl auch Anm 24

134 WACHINGER

motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 5: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

129 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

belegt bietet einen teilweise gestoumlrten Text zeigt aber in manchen Einzelheishyten wohl die aumllteste Gestalt Am verbreitetsten ist B die hochdeutsche Fasshysung seit 1515 vielfach gedruckt Ich referiere zunaumlchst den Inhalt nach B mit den wichtigsten Abweichungen von A

Str 1 Ankuumlndigung der Erzaumlhlung_ Str 2 Danheuser zieht in den Berg zu Venus und anderen schoumlnen Frauen (fehlt A) Str 3-15 Abschiedsdialog Venus - Danheuser Venus beruft sich auf einen Eid den Danheuser ihr geschworen habe bietet ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehe und sich selbst zum Liebesspiel an und mahnt ihn sein Leben zu fristen Danheuser weist alles zuruumlck nennt sie Teufelin und ruft Maria um Hilfe an Venus laumlszligt ihn schlieszliglich ziehen Sie mahnt ihn aber ihr Lob zu verkuumlndigen (A Danheushyser verspricht dies von sich aus) und von dem Greysen Abschied zu nehmen Str 16-20 Danheuser zieht nach Rom und beichtet dem Papst Dieser weist auf einen trockenen Stab so wenig dieser gruumlnen koumlnne so wenig werde er Gottes Huld gewinnen (A der Papst steckt einen Stab in die Erde wen n dieser Rosen trage seien ihm die Suumlnden vergeben) Str 21-24 Danheuser glaubt wenn er nur noch ein Jahr zu leben haumltte koumlnnte er auf Gottes Gnade hoffen (fehlt A) Mit einem Anruf an Maria zieht Danheuser fort und wieder in den Berg wo Venus ihn begruumlszligt Str 25f Nach drei Tagen gruumlnt der Stab der Papst laumlszligt Danheuser suchen aber der ist wieder im Berg deshalb muszlig Papst Urban IV ewig verloren sein (A Kein Name des Papstes Zusatz Kein Papst soll einen reuigen Suumlnder krencken)

Die juumlngere niederdeutsche Fassung C weicht von AB vor allem im Schluszlig ab Oanhuser zieht wieder in den Berg erklaumlrt aber Venus gegenuumlber er hoffe noch auf Christi Gnade der Papst ist betruumlbt daszlig er Oanhuser nicht mehr finden kann Gott aber wird Oanhuscrs Begehren erfuumlllen In den beiden ebenfalls juumlngeren niederlaumlndischen Fassungen (01 und 02) heiszligt der Held Oaniel Der Abschiedsdialog ist gekuumlrzt Nach der Abweisung durch den Papst holt Oaniel drei Kinder seiner Schwester und fuumlhrt sie mit in den Berg zu Venus dort aber will er (dies nur in 02) weder essen noch trinken und wenn Venus lachen und spielen will so schweigt er

bull Die Ballade ist sicher aumllter als ihre aumllteste erhaltene Aufzeichnung es fragt

sich nur wie viel Man hat immer wieder die Nennung von Papst Urban IV (1261-1264) die genau zu Tannhaumlusers Lebenszeit paszligt als Argument dafuumlr angefuumlhrt daszlig die Ballade schon um 1300 entstanden sein muumlsse zu einer Zeit da man sich noch an den historischen Tannhaumluser erinnerte Mir ershyscheint dieses Argument nicht stichhaltig Zunaumlchst ist zu beachten daszlig der Name des Papstes nur in einer der vier Fassungen genannt wird in der Fassung B die erstmals 1515 bei Jobst Gutknecht in Nuumlrnberg gedruckt wurde Es ist die Fassung mit den wenigsten Bruumlchen und Entstellungen und

Balladen 1 Bd 1 Teil hg v J MEIER (Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien) Berlin Leipzig 1935 S 145f (B) und 147f (A)

BO WACHINGER

man muszlig gerade deshalb damit rechnen daszlig sie nicht in allen Zuumlgen das Urspruumlngliche bewahrt sondern daszlig Gutknecht den Text fuumlr den Druck hat aufbereiten lassen Ich moumlchte die Moumlglichkeit nicht ausschlieszligen daszlig bei dieser Gelegenheit und in diesem Umfeld der Papstname sekundaumlr in den Text geraten ist Zweifellos wuszligte man daszlig hinter der Balladenfigur ein Dichter stand den man aus anderen Traditionen kannte und man konnte jederzeit historisches Wissen einsetzen Solches gleichsam literaturgeschichtshyliches Denken ist in Nuumlrnberg zu Beginn des 16 Jahrhunderts besonders gut vorstellbar Meistersinger und Humanisten waren je auf ihre Weise und aus ihrer Perspektive an Wissen uumlber fruumlhere Dichter interessiert Und immerhin gab es in Nuumlrnberg um diese Zeit eine Familie Danhauser aus der ua ein Humanist stammte23 auch das mag zu historischen Fragen angeregt haben

bull Die Verbindung des Namens Urban mit dem Stoff koumlnnte allerdings auch

aumllter sein In dem mittelfranzoumlsischen Prosaroman Le Paradis de la reine Sibylle von Antoine de La Sale dessen Quelle ich fuumlr eine Qlelle der Tannhaumluser-Ballade halte (davon wird noch die Rede sein) beichtet der Held zunaumlchst in Rom bei Papst Innocmt des Jahres 1352 andere sagen daszlig es Papst Urbain die Crimouault des Jahres B62 war und man sagt auch es sei Papst Urbain de Limozin des Jahres 1377 gewesen als ihm dort die Absolution verweigert wurde wandte er sich an Papst Clemmt in Avignon 24 Vielleicht war also der Papstname Urban schon mit jener Erzaumlhlung verbunden die der Tannhaumluser-Ballade das Handlungsgeruumlst geliefert hat Die Fixierung auf den aumllteren Urban IV muszlig dann freilich im Wissen um die Lebenszeit des historischen Tannhaumluser erfolgt sein Das waumlre wie gesagt in Nuumlrnberg um 1515 besonders gut vorstellbar ist aber auch fruumlher und andernorts durchaus moumlglich Denn der Verfasser der Urballade war in literarischen Mustern bewandert und ihm konnte historisches Wissen uumlber den Tannhaumluser auch dann zugaumlnglich sein wenn er wie ich annehme nicht allzu lange vor dem Einsetzen der Anspielungen auf die Tannhaumluser-Sage gedichtet hat Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts Eine Notwendigkeit die Ballade nur wegen der Korrektheit des Papstnamens weit zuruumlckzudatieren sehe ich jedenfalls nicht Um 1300 waumlre die Ballade als Texttypus voumlllig einzigartig aus dem 15 Jahrhundert aber sind mehrere Balladen uumlberliefert darunter auch zwei uumlber Dichter des hohen Mittelalters

Die Tannhaumluser-Ballade ist nicht nur in verschiedenen Fassungen mit zT auch in sich sehr variabler Gestalt uumlberliefert sie ist auch insofern ein offener Text als sie an einigen Stellen weiteres Sagenwissen vorauszusetzen scheint Der Creyse (Str B 15) ist wohl der getreue Eckart von dem die Heldenbuchshy

23 Vgl H RUPPRICH (Hg) Der Briefwechsel des Konrad Celtis Muumlnchen 1934 S 23f Anm1

24 Antoine de La Sale Le Paradis de 1a reine Sibylle hg v F DESONAY Paris 1930 Kapitel 11 S 32-34 zu den Papstnamen ebd S LXX-LXXIV

Von Tannhaumluser zur T annhaumluser-Ballade 131

Prosa des 15 Jahrhunderts berichtet er sei noch vor frau ftnus berg vnd sol auch da beleiben biszlig an den iuumlngsten tag vnd warnet alle die in den berg gan woumlUent 25 In Str B 9 und 21 koumlnnte angedeutet sein daszlig Danheuser wenn er den Berg verlaumlszligt nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat Es ist nicht unmoumlglich daszlig ein aumllterer vollstaumlndigerer Text der Ballade solche Motive deutlicher ausgefuumlhrt und in einen konsistenten Zusammenhang eingebunden hatte ein Text der uns heute verloren ist Und es ist auch nicht mit Sicherheit auszushyschlieszligen daszlig ein laumlngerer hochliterarischer Text von dem die Ballade nur eine Kurzfassung ist eine Tannhaumluser-Erzaumlhlung geboten hat aus der alle Raumltsel und offenen Enden der erhaltenen Fassungen widerspruchsfrei erklaumlrshybar waumlren Aber die Erfahrungen der Heldensagenforschung sollten uns vorshysichtig machen Dort ist das Rekonstruieren von voumlllig stimmigen Vorstufen zu Recht in Miszligkredit geraten Zwar waren die Lebensbedingungen der Tannhaumluser-Ballade sicher nicht ganz die der heldenepischen Tradition es gab kein altetabliertes vielstraumlngig tradiertes Sagenwissen Aber wie Heldenshyepen und Maumlren und wie ein Groszligteil der spaumltmittelalterlichen Lieddichtung gehoumlrt die Ballade doch in eine Literaturschicht die der Muumlndlichkeit nahe stand und Darstellungsweisen muumlndlicher Literatur auch in der Schriftlichkeit und auch bei der Aufnahme hochliterarischer Motive weiterpflegte Makelloshyse Kohaumlrenz ist da schon bei der Erstkonzeption nicht unbedingt zu erwarten und im Laufe der Tradition koumlnnen leicht Motive aus anderen Kontexten frei assoziiert worden sein sei es als freie Phantastereien sei es als Versuche der Erklaumlrung von Unverstandenem

Mit den offenen Enden des Textes und den unloumlsbaren Fragen einer moumlglichen Textvorgeschichte wird man also leben muumlssen Dennoch darf man versuchen die Ballade oder die Geschichte die sie erzaumlhlt als ganze in den Blick zu fassen DIETZ-RuumlDIGER MaSER hat 1977 versucht die TannhaumlusershySage aus einer Buumlszligerlegende vom Typus der Chrysostomus-Legende abzuleishyten 26 Daran ist uumlberzeugend daszlig das alte Aaronstabmotiv das Motiv vom Stab der wider aller Erwartung gruumlnt aumlhnlich eingesetzt ist wie vergleichbare Zeichen in Buumlszligerlegenden Die Absolution wird dort vom Papst nicht eigentshylich verweigert sondern der Suumlnder wird wegen der besonderen Schwere der Suumlnde auf ein langes Buumlszligerleben verwiesen dessen Ende ihm erst durch ein Wunder Gottes angezeigt wird Die Fassung A druumlckt die Erwartung eines Gotteszeichens noch deutlich aus (Str 17)

Dye pawes had der einen dariken Jlock den stack hyeyn dye erden

25 J HEINZLE (Hg) Heldenbuch nach dem aumlltesten Druck in Abbildung (Litterae 7512) Goumlppingen 1981 Bd I 6vb Bd 11 S 240

26 D-R MOSER Die Tannhaumluser-Legende Eine Studie uumlber Intentionalitaumlt und Rezeption katechetischer Volkserzaumlhlungen zum Buszlig-Sakrament (Fabula Suppl-Serie Reihe B Bd 4) BerlinNew York 1977

132 WACHINGER

wen hye rode rosen draht so synt dy dyn sunde vergeven

Wenn MaSER aber dann das Umbiegen dieses Motivs in der Ballade bloszlig negativ als ein Miszligverstaumlndnis dessen wertet was die postulierte Vorlage lehren wollte dann verkennt er die fast novellistische Pointe die damit gewonnen ist Das Gotteszeichen kommt zu spaumlt Hat sich Gott nicht genuumlshygend beeilt Oder hat sich der Tannhaumluser durch Ungeduld oder desperatio das Heil verscherzt Er dachte an ein Jahr Buszlige aber fuumlr Gott haumltten drei Tage genuumlgt Oder hat doch der Papst Tannhaumlusers Situation nicht richtig eingeshyschaumltzt Wie lange hatte Tannhaumluser noch Zeit Wird Gott ihn trotz allem noch aus dem Venusberg retten Daszlig solche Fragen nicht beantwortet werden - was die Schluumlsse der verschiedenen Fassungen versuchen sind bestenfalls TeiJantworten - daszlig die Raumltselhaftigkeit des Schlusses Phantasie und Nachshydenklichkeit anregt kann man auch als lite rarische Qualitaumlt verstehen

Ein wichtiges Glied in MasERs Argumentation ist Tannhaumlusers Antwort auf das Angebot der Venus ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehefrau zu geben (Str A 5 vgl B 6)

Neyme y ek nu eyn ander wylf dan iek heb yn mynen synne so malst iek nu ind to allen tyden in der hellen grunt vmynken

MaSER versteht diese Strophe als Hinweis auf ein gebrochenes Zoumllibatsgeluumlbshyde und dies sei die spezifische Schuld Tannhaumlusers die ihn zur Fahrt nach Rom zwinge denn fuumlr Bruch des Zoumllibats war nach dem Buszligrecht der Kirche ausschlieszliglich der Papst zustaumlndig Mit dieser Interpretation scheint mir der Text wie er in der Mehrzahl der Fassungen vorliegt in unzulaumlssiger Weise vereindeutigt und aufgefuumlllt Ein Bezug auf Mafia ist hier nicht zu leugnen Aber es kann mindestens ebenso gut gemeint sein daszlig der Tannhaumluser der (nach Str B 2) als Ritter eher aus curiositas weil er wunder sehawen wollte in den Venusberg gezogen ist jetzt da ihm der Ernst der Lage bewuszligt wird seine Hoffnung aufMaria setzt MaSER beruft sich denn auch auf die niedershylaumlndische Fassung D1 wo in der Tat von einem Geloumlbnis die Rede ist ie heb maria de moeder gods ghelovet liifge mijnre lrouwe sagt da Her DanelP Als Zoumllibatsgeluumlbde im kirchenrechtlichen Sinn sind wohl auch diese Verse nicht ohne weiteres zu verstehen und man wird den Text dieser einen Fassung die erst nach 1525 bezeugt ist und einige deutlich sekundaumlre Zuumlge aufweist nicht gegen alle uumlbrigen Fassungen mit dem der Urfassung gleichsetzen duumlrfen

M aSER hat auch wenn ich seinen Schluumlssen nicht zu folgen vermag zweifellos eine wichtige Dimension der Tannhaumluser-Ballade aufgezeigt Buszligshy

27 Hier nach BARTO [Anm 14] S 158 vgl MOSER S 23f

133 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

thematik und Marienfroumlmmigkeit sind in den erhaltenen Texten praumlsent und ein genetischer Zusammenhang mit Buumlszligerlegenden ist fuumlr das Stabwunder unabweisbar Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend fuumlr die Erzaumlhlstruktur an sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzaumlhlmusters eine Akzentuierung die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muszlig

bull

Die Tannhaumluser-Sage folgt wie man laumlngst gesehen hat28 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau Aufenthalt in deren Reich oumlfter einem Berg Ruumlckkehr zur Menschenwelt und - nur in einigen Varianten - endguumlltigem Eingang ins Feenreich Das Schema ist in der spaumltmittelalterlichen Erzaumlhlliteratur weit verbreitet Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhaumluser-Sage eingeshywirkt hat muszlig offen bleiben Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade Thomas Rhymer angefuumlhrt hat29 - der Held ein Dichshyter der den Auftrag erhaumllt das Lob der Fee zu verkuumlnden vgl Str B 15 der Tannhaumluser-Ballade - scheint mir wenig Gewicht zu haben Auffaumlllig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzaumlhlungen die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten 3o Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15 Jahrhunderts deutsche Reisende die wohl schon die TannhaumlusershyBallade kannten den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben und die bloszlige Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen ist rur unsere Fragestellung zu unspezifisch 31

Aber schon um 1410 erzaumlhlt Andrea de Magnabotti da Barbarino im Guerino il Meschino eine der Tannhaumluser-Sage aumlhnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl Str B 19) auch er zieht anschlieszligend nach Rom um vom Papst Absolution zu erhalten Der Tannhaumluser-Ballade noch aumlhnlicher ist eine wenig juumlngere Variante die Antoine de La Sale in seinem Paradis de la reine Sibylle erzaumlhlt hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl Str B 5) und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst der hier tatsaumlchlich die Absolution nur hinausschiebt um die wahre Buszliggesinnung zu pruumlfen erreicht der Knappe durch eine List daszlig sie beide auf immer in den Berg zuruumlckkehren 32 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der TannhaumlusershySage liegt auf der Hand bei La Sale findet sich sogar wenngleich anders

28 G PARJS Legendes du moyen age Paris 1903 S 113-145 dOr S 133 ff O LOumlHMANN Die Entstehung der Tannhaumlusersage Fabula 3 (1960) 224-25 3 (mit vollstaumlndiger Bibliographie zur Tannhaumluser-Sage)

I 29 LOumlHMANN (Anm 28] S 239f 30 Beste Diskussion bei LOumlHMANN [Anm 28] S 225-233 31 Vgl M WIS Ursprunge der deutschen Tannhaumluserlegende Zur Geschichte mittelalterli shy

cher PiJgertraditionen Neuphil Milaquo 61 (1960) 8-58 32 Referat vor allem nach LOumlHMANN [Anm 28] S 225-229 Vgl auch Anm 24

134 WACHINGER

motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 6: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

BO WACHINGER

man muszlig gerade deshalb damit rechnen daszlig sie nicht in allen Zuumlgen das Urspruumlngliche bewahrt sondern daszlig Gutknecht den Text fuumlr den Druck hat aufbereiten lassen Ich moumlchte die Moumlglichkeit nicht ausschlieszligen daszlig bei dieser Gelegenheit und in diesem Umfeld der Papstname sekundaumlr in den Text geraten ist Zweifellos wuszligte man daszlig hinter der Balladenfigur ein Dichter stand den man aus anderen Traditionen kannte und man konnte jederzeit historisches Wissen einsetzen Solches gleichsam literaturgeschichtshyliches Denken ist in Nuumlrnberg zu Beginn des 16 Jahrhunderts besonders gut vorstellbar Meistersinger und Humanisten waren je auf ihre Weise und aus ihrer Perspektive an Wissen uumlber fruumlhere Dichter interessiert Und immerhin gab es in Nuumlrnberg um diese Zeit eine Familie Danhauser aus der ua ein Humanist stammte23 auch das mag zu historischen Fragen angeregt haben

bull Die Verbindung des Namens Urban mit dem Stoff koumlnnte allerdings auch

aumllter sein In dem mittelfranzoumlsischen Prosaroman Le Paradis de la reine Sibylle von Antoine de La Sale dessen Quelle ich fuumlr eine Qlelle der Tannhaumluser-Ballade halte (davon wird noch die Rede sein) beichtet der Held zunaumlchst in Rom bei Papst Innocmt des Jahres 1352 andere sagen daszlig es Papst Urbain die Crimouault des Jahres B62 war und man sagt auch es sei Papst Urbain de Limozin des Jahres 1377 gewesen als ihm dort die Absolution verweigert wurde wandte er sich an Papst Clemmt in Avignon 24 Vielleicht war also der Papstname Urban schon mit jener Erzaumlhlung verbunden die der Tannhaumluser-Ballade das Handlungsgeruumlst geliefert hat Die Fixierung auf den aumllteren Urban IV muszlig dann freilich im Wissen um die Lebenszeit des historischen Tannhaumluser erfolgt sein Das waumlre wie gesagt in Nuumlrnberg um 1515 besonders gut vorstellbar ist aber auch fruumlher und andernorts durchaus moumlglich Denn der Verfasser der Urballade war in literarischen Mustern bewandert und ihm konnte historisches Wissen uumlber den Tannhaumluser auch dann zugaumlnglich sein wenn er wie ich annehme nicht allzu lange vor dem Einsetzen der Anspielungen auf die Tannhaumluser-Sage gedichtet hat Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts Eine Notwendigkeit die Ballade nur wegen der Korrektheit des Papstnamens weit zuruumlckzudatieren sehe ich jedenfalls nicht Um 1300 waumlre die Ballade als Texttypus voumlllig einzigartig aus dem 15 Jahrhundert aber sind mehrere Balladen uumlberliefert darunter auch zwei uumlber Dichter des hohen Mittelalters

Die Tannhaumluser-Ballade ist nicht nur in verschiedenen Fassungen mit zT auch in sich sehr variabler Gestalt uumlberliefert sie ist auch insofern ein offener Text als sie an einigen Stellen weiteres Sagenwissen vorauszusetzen scheint Der Creyse (Str B 15) ist wohl der getreue Eckart von dem die Heldenbuchshy

23 Vgl H RUPPRICH (Hg) Der Briefwechsel des Konrad Celtis Muumlnchen 1934 S 23f Anm1

24 Antoine de La Sale Le Paradis de 1a reine Sibylle hg v F DESONAY Paris 1930 Kapitel 11 S 32-34 zu den Papstnamen ebd S LXX-LXXIV

Von Tannhaumluser zur T annhaumluser-Ballade 131

Prosa des 15 Jahrhunderts berichtet er sei noch vor frau ftnus berg vnd sol auch da beleiben biszlig an den iuumlngsten tag vnd warnet alle die in den berg gan woumlUent 25 In Str B 9 und 21 koumlnnte angedeutet sein daszlig Danheuser wenn er den Berg verlaumlszligt nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat Es ist nicht unmoumlglich daszlig ein aumllterer vollstaumlndigerer Text der Ballade solche Motive deutlicher ausgefuumlhrt und in einen konsistenten Zusammenhang eingebunden hatte ein Text der uns heute verloren ist Und es ist auch nicht mit Sicherheit auszushyschlieszligen daszlig ein laumlngerer hochliterarischer Text von dem die Ballade nur eine Kurzfassung ist eine Tannhaumluser-Erzaumlhlung geboten hat aus der alle Raumltsel und offenen Enden der erhaltenen Fassungen widerspruchsfrei erklaumlrshybar waumlren Aber die Erfahrungen der Heldensagenforschung sollten uns vorshysichtig machen Dort ist das Rekonstruieren von voumlllig stimmigen Vorstufen zu Recht in Miszligkredit geraten Zwar waren die Lebensbedingungen der Tannhaumluser-Ballade sicher nicht ganz die der heldenepischen Tradition es gab kein altetabliertes vielstraumlngig tradiertes Sagenwissen Aber wie Heldenshyepen und Maumlren und wie ein Groszligteil der spaumltmittelalterlichen Lieddichtung gehoumlrt die Ballade doch in eine Literaturschicht die der Muumlndlichkeit nahe stand und Darstellungsweisen muumlndlicher Literatur auch in der Schriftlichkeit und auch bei der Aufnahme hochliterarischer Motive weiterpflegte Makelloshyse Kohaumlrenz ist da schon bei der Erstkonzeption nicht unbedingt zu erwarten und im Laufe der Tradition koumlnnen leicht Motive aus anderen Kontexten frei assoziiert worden sein sei es als freie Phantastereien sei es als Versuche der Erklaumlrung von Unverstandenem

Mit den offenen Enden des Textes und den unloumlsbaren Fragen einer moumlglichen Textvorgeschichte wird man also leben muumlssen Dennoch darf man versuchen die Ballade oder die Geschichte die sie erzaumlhlt als ganze in den Blick zu fassen DIETZ-RuumlDIGER MaSER hat 1977 versucht die TannhaumlusershySage aus einer Buumlszligerlegende vom Typus der Chrysostomus-Legende abzuleishyten 26 Daran ist uumlberzeugend daszlig das alte Aaronstabmotiv das Motiv vom Stab der wider aller Erwartung gruumlnt aumlhnlich eingesetzt ist wie vergleichbare Zeichen in Buumlszligerlegenden Die Absolution wird dort vom Papst nicht eigentshylich verweigert sondern der Suumlnder wird wegen der besonderen Schwere der Suumlnde auf ein langes Buumlszligerleben verwiesen dessen Ende ihm erst durch ein Wunder Gottes angezeigt wird Die Fassung A druumlckt die Erwartung eines Gotteszeichens noch deutlich aus (Str 17)

Dye pawes had der einen dariken Jlock den stack hyeyn dye erden

25 J HEINZLE (Hg) Heldenbuch nach dem aumlltesten Druck in Abbildung (Litterae 7512) Goumlppingen 1981 Bd I 6vb Bd 11 S 240

26 D-R MOSER Die Tannhaumluser-Legende Eine Studie uumlber Intentionalitaumlt und Rezeption katechetischer Volkserzaumlhlungen zum Buszlig-Sakrament (Fabula Suppl-Serie Reihe B Bd 4) BerlinNew York 1977

132 WACHINGER

wen hye rode rosen draht so synt dy dyn sunde vergeven

Wenn MaSER aber dann das Umbiegen dieses Motivs in der Ballade bloszlig negativ als ein Miszligverstaumlndnis dessen wertet was die postulierte Vorlage lehren wollte dann verkennt er die fast novellistische Pointe die damit gewonnen ist Das Gotteszeichen kommt zu spaumlt Hat sich Gott nicht genuumlshygend beeilt Oder hat sich der Tannhaumluser durch Ungeduld oder desperatio das Heil verscherzt Er dachte an ein Jahr Buszlige aber fuumlr Gott haumltten drei Tage genuumlgt Oder hat doch der Papst Tannhaumlusers Situation nicht richtig eingeshyschaumltzt Wie lange hatte Tannhaumluser noch Zeit Wird Gott ihn trotz allem noch aus dem Venusberg retten Daszlig solche Fragen nicht beantwortet werden - was die Schluumlsse der verschiedenen Fassungen versuchen sind bestenfalls TeiJantworten - daszlig die Raumltselhaftigkeit des Schlusses Phantasie und Nachshydenklichkeit anregt kann man auch als lite rarische Qualitaumlt verstehen

Ein wichtiges Glied in MasERs Argumentation ist Tannhaumlusers Antwort auf das Angebot der Venus ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehefrau zu geben (Str A 5 vgl B 6)

Neyme y ek nu eyn ander wylf dan iek heb yn mynen synne so malst iek nu ind to allen tyden in der hellen grunt vmynken

MaSER versteht diese Strophe als Hinweis auf ein gebrochenes Zoumllibatsgeluumlbshyde und dies sei die spezifische Schuld Tannhaumlusers die ihn zur Fahrt nach Rom zwinge denn fuumlr Bruch des Zoumllibats war nach dem Buszligrecht der Kirche ausschlieszliglich der Papst zustaumlndig Mit dieser Interpretation scheint mir der Text wie er in der Mehrzahl der Fassungen vorliegt in unzulaumlssiger Weise vereindeutigt und aufgefuumlllt Ein Bezug auf Mafia ist hier nicht zu leugnen Aber es kann mindestens ebenso gut gemeint sein daszlig der Tannhaumluser der (nach Str B 2) als Ritter eher aus curiositas weil er wunder sehawen wollte in den Venusberg gezogen ist jetzt da ihm der Ernst der Lage bewuszligt wird seine Hoffnung aufMaria setzt MaSER beruft sich denn auch auf die niedershylaumlndische Fassung D1 wo in der Tat von einem Geloumlbnis die Rede ist ie heb maria de moeder gods ghelovet liifge mijnre lrouwe sagt da Her DanelP Als Zoumllibatsgeluumlbde im kirchenrechtlichen Sinn sind wohl auch diese Verse nicht ohne weiteres zu verstehen und man wird den Text dieser einen Fassung die erst nach 1525 bezeugt ist und einige deutlich sekundaumlre Zuumlge aufweist nicht gegen alle uumlbrigen Fassungen mit dem der Urfassung gleichsetzen duumlrfen

M aSER hat auch wenn ich seinen Schluumlssen nicht zu folgen vermag zweifellos eine wichtige Dimension der Tannhaumluser-Ballade aufgezeigt Buszligshy

27 Hier nach BARTO [Anm 14] S 158 vgl MOSER S 23f

133 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

thematik und Marienfroumlmmigkeit sind in den erhaltenen Texten praumlsent und ein genetischer Zusammenhang mit Buumlszligerlegenden ist fuumlr das Stabwunder unabweisbar Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend fuumlr die Erzaumlhlstruktur an sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzaumlhlmusters eine Akzentuierung die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muszlig

bull

Die Tannhaumluser-Sage folgt wie man laumlngst gesehen hat28 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau Aufenthalt in deren Reich oumlfter einem Berg Ruumlckkehr zur Menschenwelt und - nur in einigen Varianten - endguumlltigem Eingang ins Feenreich Das Schema ist in der spaumltmittelalterlichen Erzaumlhlliteratur weit verbreitet Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhaumluser-Sage eingeshywirkt hat muszlig offen bleiben Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade Thomas Rhymer angefuumlhrt hat29 - der Held ein Dichshyter der den Auftrag erhaumllt das Lob der Fee zu verkuumlnden vgl Str B 15 der Tannhaumluser-Ballade - scheint mir wenig Gewicht zu haben Auffaumlllig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzaumlhlungen die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten 3o Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15 Jahrhunderts deutsche Reisende die wohl schon die TannhaumlusershyBallade kannten den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben und die bloszlige Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen ist rur unsere Fragestellung zu unspezifisch 31

Aber schon um 1410 erzaumlhlt Andrea de Magnabotti da Barbarino im Guerino il Meschino eine der Tannhaumluser-Sage aumlhnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl Str B 19) auch er zieht anschlieszligend nach Rom um vom Papst Absolution zu erhalten Der Tannhaumluser-Ballade noch aumlhnlicher ist eine wenig juumlngere Variante die Antoine de La Sale in seinem Paradis de la reine Sibylle erzaumlhlt hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl Str B 5) und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst der hier tatsaumlchlich die Absolution nur hinausschiebt um die wahre Buszliggesinnung zu pruumlfen erreicht der Knappe durch eine List daszlig sie beide auf immer in den Berg zuruumlckkehren 32 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der TannhaumlusershySage liegt auf der Hand bei La Sale findet sich sogar wenngleich anders

28 G PARJS Legendes du moyen age Paris 1903 S 113-145 dOr S 133 ff O LOumlHMANN Die Entstehung der Tannhaumlusersage Fabula 3 (1960) 224-25 3 (mit vollstaumlndiger Bibliographie zur Tannhaumluser-Sage)

I 29 LOumlHMANN (Anm 28] S 239f 30 Beste Diskussion bei LOumlHMANN [Anm 28] S 225-233 31 Vgl M WIS Ursprunge der deutschen Tannhaumluserlegende Zur Geschichte mittelalterli shy

cher PiJgertraditionen Neuphil Milaquo 61 (1960) 8-58 32 Referat vor allem nach LOumlHMANN [Anm 28] S 225-229 Vgl auch Anm 24

134 WACHINGER

motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 7: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

Von Tannhaumluser zur T annhaumluser-Ballade 131

Prosa des 15 Jahrhunderts berichtet er sei noch vor frau ftnus berg vnd sol auch da beleiben biszlig an den iuumlngsten tag vnd warnet alle die in den berg gan woumlUent 25 In Str B 9 und 21 koumlnnte angedeutet sein daszlig Danheuser wenn er den Berg verlaumlszligt nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat Es ist nicht unmoumlglich daszlig ein aumllterer vollstaumlndigerer Text der Ballade solche Motive deutlicher ausgefuumlhrt und in einen konsistenten Zusammenhang eingebunden hatte ein Text der uns heute verloren ist Und es ist auch nicht mit Sicherheit auszushyschlieszligen daszlig ein laumlngerer hochliterarischer Text von dem die Ballade nur eine Kurzfassung ist eine Tannhaumluser-Erzaumlhlung geboten hat aus der alle Raumltsel und offenen Enden der erhaltenen Fassungen widerspruchsfrei erklaumlrshybar waumlren Aber die Erfahrungen der Heldensagenforschung sollten uns vorshysichtig machen Dort ist das Rekonstruieren von voumlllig stimmigen Vorstufen zu Recht in Miszligkredit geraten Zwar waren die Lebensbedingungen der Tannhaumluser-Ballade sicher nicht ganz die der heldenepischen Tradition es gab kein altetabliertes vielstraumlngig tradiertes Sagenwissen Aber wie Heldenshyepen und Maumlren und wie ein Groszligteil der spaumltmittelalterlichen Lieddichtung gehoumlrt die Ballade doch in eine Literaturschicht die der Muumlndlichkeit nahe stand und Darstellungsweisen muumlndlicher Literatur auch in der Schriftlichkeit und auch bei der Aufnahme hochliterarischer Motive weiterpflegte Makelloshyse Kohaumlrenz ist da schon bei der Erstkonzeption nicht unbedingt zu erwarten und im Laufe der Tradition koumlnnen leicht Motive aus anderen Kontexten frei assoziiert worden sein sei es als freie Phantastereien sei es als Versuche der Erklaumlrung von Unverstandenem

Mit den offenen Enden des Textes und den unloumlsbaren Fragen einer moumlglichen Textvorgeschichte wird man also leben muumlssen Dennoch darf man versuchen die Ballade oder die Geschichte die sie erzaumlhlt als ganze in den Blick zu fassen DIETZ-RuumlDIGER MaSER hat 1977 versucht die TannhaumlusershySage aus einer Buumlszligerlegende vom Typus der Chrysostomus-Legende abzuleishyten 26 Daran ist uumlberzeugend daszlig das alte Aaronstabmotiv das Motiv vom Stab der wider aller Erwartung gruumlnt aumlhnlich eingesetzt ist wie vergleichbare Zeichen in Buumlszligerlegenden Die Absolution wird dort vom Papst nicht eigentshylich verweigert sondern der Suumlnder wird wegen der besonderen Schwere der Suumlnde auf ein langes Buumlszligerleben verwiesen dessen Ende ihm erst durch ein Wunder Gottes angezeigt wird Die Fassung A druumlckt die Erwartung eines Gotteszeichens noch deutlich aus (Str 17)

Dye pawes had der einen dariken Jlock den stack hyeyn dye erden

25 J HEINZLE (Hg) Heldenbuch nach dem aumlltesten Druck in Abbildung (Litterae 7512) Goumlppingen 1981 Bd I 6vb Bd 11 S 240

26 D-R MOSER Die Tannhaumluser-Legende Eine Studie uumlber Intentionalitaumlt und Rezeption katechetischer Volkserzaumlhlungen zum Buszlig-Sakrament (Fabula Suppl-Serie Reihe B Bd 4) BerlinNew York 1977

132 WACHINGER

wen hye rode rosen draht so synt dy dyn sunde vergeven

Wenn MaSER aber dann das Umbiegen dieses Motivs in der Ballade bloszlig negativ als ein Miszligverstaumlndnis dessen wertet was die postulierte Vorlage lehren wollte dann verkennt er die fast novellistische Pointe die damit gewonnen ist Das Gotteszeichen kommt zu spaumlt Hat sich Gott nicht genuumlshygend beeilt Oder hat sich der Tannhaumluser durch Ungeduld oder desperatio das Heil verscherzt Er dachte an ein Jahr Buszlige aber fuumlr Gott haumltten drei Tage genuumlgt Oder hat doch der Papst Tannhaumlusers Situation nicht richtig eingeshyschaumltzt Wie lange hatte Tannhaumluser noch Zeit Wird Gott ihn trotz allem noch aus dem Venusberg retten Daszlig solche Fragen nicht beantwortet werden - was die Schluumlsse der verschiedenen Fassungen versuchen sind bestenfalls TeiJantworten - daszlig die Raumltselhaftigkeit des Schlusses Phantasie und Nachshydenklichkeit anregt kann man auch als lite rarische Qualitaumlt verstehen

Ein wichtiges Glied in MasERs Argumentation ist Tannhaumlusers Antwort auf das Angebot der Venus ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehefrau zu geben (Str A 5 vgl B 6)

Neyme y ek nu eyn ander wylf dan iek heb yn mynen synne so malst iek nu ind to allen tyden in der hellen grunt vmynken

MaSER versteht diese Strophe als Hinweis auf ein gebrochenes Zoumllibatsgeluumlbshyde und dies sei die spezifische Schuld Tannhaumlusers die ihn zur Fahrt nach Rom zwinge denn fuumlr Bruch des Zoumllibats war nach dem Buszligrecht der Kirche ausschlieszliglich der Papst zustaumlndig Mit dieser Interpretation scheint mir der Text wie er in der Mehrzahl der Fassungen vorliegt in unzulaumlssiger Weise vereindeutigt und aufgefuumlllt Ein Bezug auf Mafia ist hier nicht zu leugnen Aber es kann mindestens ebenso gut gemeint sein daszlig der Tannhaumluser der (nach Str B 2) als Ritter eher aus curiositas weil er wunder sehawen wollte in den Venusberg gezogen ist jetzt da ihm der Ernst der Lage bewuszligt wird seine Hoffnung aufMaria setzt MaSER beruft sich denn auch auf die niedershylaumlndische Fassung D1 wo in der Tat von einem Geloumlbnis die Rede ist ie heb maria de moeder gods ghelovet liifge mijnre lrouwe sagt da Her DanelP Als Zoumllibatsgeluumlbde im kirchenrechtlichen Sinn sind wohl auch diese Verse nicht ohne weiteres zu verstehen und man wird den Text dieser einen Fassung die erst nach 1525 bezeugt ist und einige deutlich sekundaumlre Zuumlge aufweist nicht gegen alle uumlbrigen Fassungen mit dem der Urfassung gleichsetzen duumlrfen

M aSER hat auch wenn ich seinen Schluumlssen nicht zu folgen vermag zweifellos eine wichtige Dimension der Tannhaumluser-Ballade aufgezeigt Buszligshy

27 Hier nach BARTO [Anm 14] S 158 vgl MOSER S 23f

133 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

thematik und Marienfroumlmmigkeit sind in den erhaltenen Texten praumlsent und ein genetischer Zusammenhang mit Buumlszligerlegenden ist fuumlr das Stabwunder unabweisbar Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend fuumlr die Erzaumlhlstruktur an sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzaumlhlmusters eine Akzentuierung die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muszlig

bull

Die Tannhaumluser-Sage folgt wie man laumlngst gesehen hat28 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau Aufenthalt in deren Reich oumlfter einem Berg Ruumlckkehr zur Menschenwelt und - nur in einigen Varianten - endguumlltigem Eingang ins Feenreich Das Schema ist in der spaumltmittelalterlichen Erzaumlhlliteratur weit verbreitet Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhaumluser-Sage eingeshywirkt hat muszlig offen bleiben Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade Thomas Rhymer angefuumlhrt hat29 - der Held ein Dichshyter der den Auftrag erhaumllt das Lob der Fee zu verkuumlnden vgl Str B 15 der Tannhaumluser-Ballade - scheint mir wenig Gewicht zu haben Auffaumlllig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzaumlhlungen die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten 3o Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15 Jahrhunderts deutsche Reisende die wohl schon die TannhaumlusershyBallade kannten den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben und die bloszlige Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen ist rur unsere Fragestellung zu unspezifisch 31

Aber schon um 1410 erzaumlhlt Andrea de Magnabotti da Barbarino im Guerino il Meschino eine der Tannhaumluser-Sage aumlhnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl Str B 19) auch er zieht anschlieszligend nach Rom um vom Papst Absolution zu erhalten Der Tannhaumluser-Ballade noch aumlhnlicher ist eine wenig juumlngere Variante die Antoine de La Sale in seinem Paradis de la reine Sibylle erzaumlhlt hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl Str B 5) und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst der hier tatsaumlchlich die Absolution nur hinausschiebt um die wahre Buszliggesinnung zu pruumlfen erreicht der Knappe durch eine List daszlig sie beide auf immer in den Berg zuruumlckkehren 32 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der TannhaumlusershySage liegt auf der Hand bei La Sale findet sich sogar wenngleich anders

28 G PARJS Legendes du moyen age Paris 1903 S 113-145 dOr S 133 ff O LOumlHMANN Die Entstehung der Tannhaumlusersage Fabula 3 (1960) 224-25 3 (mit vollstaumlndiger Bibliographie zur Tannhaumluser-Sage)

I 29 LOumlHMANN (Anm 28] S 239f 30 Beste Diskussion bei LOumlHMANN [Anm 28] S 225-233 31 Vgl M WIS Ursprunge der deutschen Tannhaumluserlegende Zur Geschichte mittelalterli shy

cher PiJgertraditionen Neuphil Milaquo 61 (1960) 8-58 32 Referat vor allem nach LOumlHMANN [Anm 28] S 225-229 Vgl auch Anm 24

134 WACHINGER

motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

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wen hye rode rosen draht so synt dy dyn sunde vergeven

Wenn MaSER aber dann das Umbiegen dieses Motivs in der Ballade bloszlig negativ als ein Miszligverstaumlndnis dessen wertet was die postulierte Vorlage lehren wollte dann verkennt er die fast novellistische Pointe die damit gewonnen ist Das Gotteszeichen kommt zu spaumlt Hat sich Gott nicht genuumlshygend beeilt Oder hat sich der Tannhaumluser durch Ungeduld oder desperatio das Heil verscherzt Er dachte an ein Jahr Buszlige aber fuumlr Gott haumltten drei Tage genuumlgt Oder hat doch der Papst Tannhaumlusers Situation nicht richtig eingeshyschaumltzt Wie lange hatte Tannhaumluser noch Zeit Wird Gott ihn trotz allem noch aus dem Venusberg retten Daszlig solche Fragen nicht beantwortet werden - was die Schluumlsse der verschiedenen Fassungen versuchen sind bestenfalls TeiJantworten - daszlig die Raumltselhaftigkeit des Schlusses Phantasie und Nachshydenklichkeit anregt kann man auch als lite rarische Qualitaumlt verstehen

Ein wichtiges Glied in MasERs Argumentation ist Tannhaumlusers Antwort auf das Angebot der Venus ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehefrau zu geben (Str A 5 vgl B 6)

Neyme y ek nu eyn ander wylf dan iek heb yn mynen synne so malst iek nu ind to allen tyden in der hellen grunt vmynken

MaSER versteht diese Strophe als Hinweis auf ein gebrochenes Zoumllibatsgeluumlbshyde und dies sei die spezifische Schuld Tannhaumlusers die ihn zur Fahrt nach Rom zwinge denn fuumlr Bruch des Zoumllibats war nach dem Buszligrecht der Kirche ausschlieszliglich der Papst zustaumlndig Mit dieser Interpretation scheint mir der Text wie er in der Mehrzahl der Fassungen vorliegt in unzulaumlssiger Weise vereindeutigt und aufgefuumlllt Ein Bezug auf Mafia ist hier nicht zu leugnen Aber es kann mindestens ebenso gut gemeint sein daszlig der Tannhaumluser der (nach Str B 2) als Ritter eher aus curiositas weil er wunder sehawen wollte in den Venusberg gezogen ist jetzt da ihm der Ernst der Lage bewuszligt wird seine Hoffnung aufMaria setzt MaSER beruft sich denn auch auf die niedershylaumlndische Fassung D1 wo in der Tat von einem Geloumlbnis die Rede ist ie heb maria de moeder gods ghelovet liifge mijnre lrouwe sagt da Her DanelP Als Zoumllibatsgeluumlbde im kirchenrechtlichen Sinn sind wohl auch diese Verse nicht ohne weiteres zu verstehen und man wird den Text dieser einen Fassung die erst nach 1525 bezeugt ist und einige deutlich sekundaumlre Zuumlge aufweist nicht gegen alle uumlbrigen Fassungen mit dem der Urfassung gleichsetzen duumlrfen

M aSER hat auch wenn ich seinen Schluumlssen nicht zu folgen vermag zweifellos eine wichtige Dimension der Tannhaumluser-Ballade aufgezeigt Buszligshy

27 Hier nach BARTO [Anm 14] S 158 vgl MOSER S 23f

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thematik und Marienfroumlmmigkeit sind in den erhaltenen Texten praumlsent und ein genetischer Zusammenhang mit Buumlszligerlegenden ist fuumlr das Stabwunder unabweisbar Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend fuumlr die Erzaumlhlstruktur an sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzaumlhlmusters eine Akzentuierung die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muszlig

bull

Die Tannhaumluser-Sage folgt wie man laumlngst gesehen hat28 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau Aufenthalt in deren Reich oumlfter einem Berg Ruumlckkehr zur Menschenwelt und - nur in einigen Varianten - endguumlltigem Eingang ins Feenreich Das Schema ist in der spaumltmittelalterlichen Erzaumlhlliteratur weit verbreitet Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhaumluser-Sage eingeshywirkt hat muszlig offen bleiben Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade Thomas Rhymer angefuumlhrt hat29 - der Held ein Dichshyter der den Auftrag erhaumllt das Lob der Fee zu verkuumlnden vgl Str B 15 der Tannhaumluser-Ballade - scheint mir wenig Gewicht zu haben Auffaumlllig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzaumlhlungen die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten 3o Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15 Jahrhunderts deutsche Reisende die wohl schon die TannhaumlusershyBallade kannten den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben und die bloszlige Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen ist rur unsere Fragestellung zu unspezifisch 31

Aber schon um 1410 erzaumlhlt Andrea de Magnabotti da Barbarino im Guerino il Meschino eine der Tannhaumluser-Sage aumlhnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl Str B 19) auch er zieht anschlieszligend nach Rom um vom Papst Absolution zu erhalten Der Tannhaumluser-Ballade noch aumlhnlicher ist eine wenig juumlngere Variante die Antoine de La Sale in seinem Paradis de la reine Sibylle erzaumlhlt hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl Str B 5) und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst der hier tatsaumlchlich die Absolution nur hinausschiebt um die wahre Buszliggesinnung zu pruumlfen erreicht der Knappe durch eine List daszlig sie beide auf immer in den Berg zuruumlckkehren 32 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der TannhaumlusershySage liegt auf der Hand bei La Sale findet sich sogar wenngleich anders

28 G PARJS Legendes du moyen age Paris 1903 S 113-145 dOr S 133 ff O LOumlHMANN Die Entstehung der Tannhaumlusersage Fabula 3 (1960) 224-25 3 (mit vollstaumlndiger Bibliographie zur Tannhaumluser-Sage)

I 29 LOumlHMANN (Anm 28] S 239f 30 Beste Diskussion bei LOumlHMANN [Anm 28] S 225-233 31 Vgl M WIS Ursprunge der deutschen Tannhaumluserlegende Zur Geschichte mittelalterli shy

cher PiJgertraditionen Neuphil Milaquo 61 (1960) 8-58 32 Referat vor allem nach LOumlHMANN [Anm 28] S 225-229 Vgl auch Anm 24

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motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

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Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 9: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

133 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

thematik und Marienfroumlmmigkeit sind in den erhaltenen Texten praumlsent und ein genetischer Zusammenhang mit Buumlszligerlegenden ist fuumlr das Stabwunder unabweisbar Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend fuumlr die Erzaumlhlstruktur an sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzaumlhlmusters eine Akzentuierung die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muszlig

bull

Die Tannhaumluser-Sage folgt wie man laumlngst gesehen hat28 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau Aufenthalt in deren Reich oumlfter einem Berg Ruumlckkehr zur Menschenwelt und - nur in einigen Varianten - endguumlltigem Eingang ins Feenreich Das Schema ist in der spaumltmittelalterlichen Erzaumlhlliteratur weit verbreitet Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhaumluser-Sage eingeshywirkt hat muszlig offen bleiben Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade Thomas Rhymer angefuumlhrt hat29 - der Held ein Dichshyter der den Auftrag erhaumllt das Lob der Fee zu verkuumlnden vgl Str B 15 der Tannhaumluser-Ballade - scheint mir wenig Gewicht zu haben Auffaumlllig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzaumlhlungen die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten 3o Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15 Jahrhunderts deutsche Reisende die wohl schon die TannhaumlusershyBallade kannten den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben und die bloszlige Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen ist rur unsere Fragestellung zu unspezifisch 31

Aber schon um 1410 erzaumlhlt Andrea de Magnabotti da Barbarino im Guerino il Meschino eine der Tannhaumluser-Sage aumlhnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl Str B 19) auch er zieht anschlieszligend nach Rom um vom Papst Absolution zu erhalten Der Tannhaumluser-Ballade noch aumlhnlicher ist eine wenig juumlngere Variante die Antoine de La Sale in seinem Paradis de la reine Sibylle erzaumlhlt hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl Str B 5) und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst der hier tatsaumlchlich die Absolution nur hinausschiebt um die wahre Buszliggesinnung zu pruumlfen erreicht der Knappe durch eine List daszlig sie beide auf immer in den Berg zuruumlckkehren 32 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der TannhaumlusershySage liegt auf der Hand bei La Sale findet sich sogar wenngleich anders

28 G PARJS Legendes du moyen age Paris 1903 S 113-145 dOr S 133 ff O LOumlHMANN Die Entstehung der Tannhaumlusersage Fabula 3 (1960) 224-25 3 (mit vollstaumlndiger Bibliographie zur Tannhaumluser-Sage)

I 29 LOumlHMANN (Anm 28] S 239f 30 Beste Diskussion bei LOumlHMANN [Anm 28] S 225-233 31 Vgl M WIS Ursprunge der deutschen Tannhaumluserlegende Zur Geschichte mittelalterli shy

cher PiJgertraditionen Neuphil Milaquo 61 (1960) 8-58 32 Referat vor allem nach LOumlHMANN [Anm 28] S 225-229 Vgl auch Anm 24

134 WACHINGER

motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 10: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

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motiviert das Motiv der verhaumlngnisvoll miszliggluumlckten Buszlige und es wird wie gesagt eine Tradition zitiert daszlig der Papst Urban geheiszligen habe Es ist chronologisch nicht voumlllig auszuschlieszligen daszlig diese Sibyllenbergerzaumlhlunshygen schon von der Tannhaumluser-Sage beeinfluszligt sind sehr viel wahrscheinlishycher ist jedoch daszlig sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhaumluser-Sage mitgepraumlgt haben die Sage oder eben die Ballade die uns als variabler Text uumlberliefert ist

bull

Das Handlungsgeruumlst dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein duumlrften macht freilich noch nicht die ganze Tannhaumluser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus Zu erklaumlren bleibt die Verknuumlpfung mit dem Namen Tannhaumluser und die spezifische literarische Machart der Ballade Um mich diesen Problemen anzunaumlhern setze ich noch einmal beim Dichter Tannhaumlushyser an und frage nach der Tannhaumluser-Uumlberlieferung und dem TannhaumlusershyBild im Spaumltmittelalter

Die Spaumltuumlberlieferung im engeren Sinn ist schmal vom Bestand des CshyCorpus finden sich umgearbeitet sechs Strophen in zwei Toumlnen auch in juumlngeren Handschriften Der eine Fall bleibt fuumlr die Frage nach der Tannhaumlushyser-Sage unergiebig

Das dreistrophige Lied IX eines der Lieder von den unerfuumlllbaren Forderungen der Geliebten erscheint in zwei Handschriften des 15 Jahrhunderts einmal oberflaumlchlich entshystellt aber auch mit ein paar beachtenswerten moumlglicherweise authentischen Lesarten im Berliner Ms germ fol 922 einmal grundlegend veraumlndert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift33 Es ist reizvoll die Veraumlnderungen zu verfolgen vor allem die in der Kolmarer Handschrift 34 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formryshypus der Meisterlieder angenaumlhert und waumlhrend Tannhaumlusers Minnelied wie C es uumlberlieshyfert uumlber die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenshyuumlber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhaumllt kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verpruumlgelung einer solchen anmaszligenden Frau auszuklingen

Interessant aber ist der andere Fall die Umformung von drei Strophen aus Ton XII Klagen des Fahrenden daszlig er immer nur Gast sei von der Gesellshyschaft nicht angemessen geschaumltzt (Stuumlcke aus XII Str 1 und 2) und ein Katalog von Fluszlignamen der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu bezieshyhen ist (swer des gelouben welle niht der var unz erz beschouwe XII Str 4) erscheinen in der Berliner Handschrift Ms germ qu 414 die Hans Sachs 151718 geschrieben hat als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophishygen Meisterlieds 35 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluszligshy

33 Repertorium der Sangspruche und Meisterlieder des 12 bis 18 Jahrhunderts Tuumlbingen 1986ff (kuumlnftig RSM) Tanh411 dort Nachweis der Ausgaben

34 Vgl CH PEitSCH Tannhaumlusers Lied IX in C und im cgm 4997 Adynatonkatalog und Vortragsformen Euphorion 75 (1981) 303-324

35 RSM [Anm 33]ITanhlSOO Ausgabe SIEBERT [Anm 16] S 227-231

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 11: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

135 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-BalJade

und Bergnamen dar ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen die perg vnd warser fis ichJar wolt mich der wirt behaussen Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert Im Fluumlssekatalog ist eine Stelle in eine Ich-Aussage umgeformt aus Rome bi der Tiver fit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle Beim Tannhaumluser heiszligt es in einem wehmuumltigen Ruumlckblick nach Nuumlrnberg wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII Str 2)

Ich lei vil manegez hie bevor daz mich nu riuwel ure

hel ich gewisl daz ich nu weil ich hele tihle mere

In kande do min selbes nihl des muoz ich dicke engelen

Im Meisterlied ist der Bezug auf Nuumlrnberg getilgt und die entsprechenden Verse lauten

Ich det ein ding wer es hinJuumlr ich det es )Im vurbare

dar vmb mus ich villanl durch sliir vndfremde siel erJare

vnd das ich nicht an gul pin reich des mus ich oift engelten

Aus der Klage des Tannhaumlusers daszlig er die gluumlcklichen Bedingungen von Nuumlrnberg leichtsinnig und ohne die Haumlrte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein buumlszlige Das insinuiert eine Tannshyhaumluser-Geschichte von Schuld und Buszlige die der BaJJade nicht im Handshylungsgeruumlst wohl aber im thematischen Ansatz entspricht Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzaumlhlt wird sind aumlhnliche Vorstellunshygen doch auch sonst nachweisbar Das wird ein Uumlberblick uumlber die weiteren spaumlten Lieder und Gedichte die mit dem Namen des Tannhaumlusers verbunden sind zeigen

Zu pruumlfen ist bei der Spaumltuumlberlieferung auch ob nicht vielleicht aus dem 15 16 Jh Texte oder Toumlne uumlberliefert sind die auf echte Tannhaumluser-Texte und -Toumlne zuruumlckgehen

aber in der fruumlhen Uumlberlieferung fehlen Bei den Texten halte ich dies rur so gut wie

ausgeschlossen die Uumlberarbeitung muumlszligte denn so tiefgreifend gewesen sein daszlig vom

echten Tannhaumluser noch weniger uumlbriggeblieben waumlre als von dem eben besprochenen

Lied IX in der Kolmarer Handschrift Dagegen halte ich es nicht fuumlr unwahrscheinlich daszlig

zwei im 15 Jahrhundert unter Tannhaumlusers Namen uumlberlieferte Toumlne echt sind oder einen

echten Kern haben Tannhaumlusers TagweiseJ6 nur einmal uumlberliefert und Tannhaumlusers

36 RSM ITanhl71

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 12: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

136 WACHINGER

Hauptton oder Goldener Ton der zum beliebtesten Tannhaumluser-Ton bei den Meistersinshygern wurdeY Aber da es gaumlngige Praxis war beruumlhmten Meistern weitere Toumlne zuzuschreishyben ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen

Fuumlr die Genese der Sage ist zunaumlchst einmal wichtig daszlig der Name des Tannhaumlusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung praumlsent war Der Tannhaumluser war im 15 Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigal138 Man konnte seine (echten oder unechten) Toumlne benutshyzen um neue Meisterlieder zu dichten Im Gedicht von den zwoumllf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht zwar nicht als einer der zwoumllf die den Meistergesang gruumlndeten aber doch als einer der mit ein paar anderen ein biszligehen zu spaumlt kam dann aber doch von den zwoumllfen ehrenvoll aufgenommen wurde 39 Man legte dem Tannhaumluser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein Endlied in den Mund ein Lied das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll es ist genau wie bei anderen ein Lied buszligfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade40 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift voumlllig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt statt auf das mich nit der helle trach verschtint dort ymer mere heiszligt es da (und zwar wohl durch sekundaumlre Aumlndeshyrung) ach dazJraw venus ie gesprach du edler tanhusere41 Das ganz normale Bild des alten Meisters Tannhaumluser konnte alse mit Zuumlgen aus dem Tannhaumlushyser-Bild der Sage angereichert werden

Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten die im 15 Jahrhundert mit Tannhaumlusers Namen verknuumlpft werden mehrfach wieder die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog Das erste fehlt der Ballade kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhaumlusers verstanden werden Die wilden straumlszlig gar manigfalt die bu ich durch ain wunder heiszligt es in Tannhaumlusers Tagweise42 Steg vnd stroszlig hon ich gebawen In deinem dimt das ist mir leyt sagt der Tannhaumluser im Dialog mit Frau Welt43 von der

37 RSM ITanh61-6 38 Vgl H BRUNNER Dichter ohne Werk in Uumlberlieferungsgeschichtliche Editionen und

Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters Fs Kurt Ruh (TTG 31) Tuumlbingen 1989 S 1shy31

39 RSM ILiebeI7 40 RSM ITanh63 vgl RSM IBeh 287 IFrau420-22 IFrau33 2 IMarn7 573 41 Zitate nach SIEBERT [Anm 16] S 218-221 Die Erwaumlhnung der Venus findet sich in der

aumllteren der beiden Handschtiften der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460) die insgesami den besseren und eigenartigeren Text bietet Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert daszlig ich Ni diese Stelle doch eher der juumlngeren Handschrift Berlin Ms germ qu 414 Veruauen schenken moumlchte In dem aumlhnlich gelagerten Fall RSM ITanh612 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundaumlr in den Text gesetzt worden

42 RSM ITanh7I Zitat nach BARTO [Anm 14] S 226-230 dort Str 2 43 Vgl Anm 21 Zitat nach U SCHMID Codex Karlsruhe 408 BernMuumlnchen 1974

S 569-573 v25f

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

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da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 13: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

137 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede Am weitesten ausgefuumlhrt ist das Motiv in einem Lied in Tannhaumlusers Hauptton oder Goldenem Ton das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (K) und der Wiltener (W) Meisterliederhandschrift uumlberliefert ist 44

Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Buszligfahrt nach Rom voraus (K 84 W 38) artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (K 6W 6 K 75f1 W 30f) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (zrys du mich selber baszlig K 26) denn es wart kein missetat 50 groszlig gedenck ich mir enpfeht der sunder ruwe annemlich ist er dir (K 17-20W 17-20) Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren wird aber im Gebet abgewiesen nu loumlsa herr mich vszlig der sunden strange ich km mich nym anjenus vin ob ich dich herr enpjange (K 44-46 fehlt W) All das lieszlige sich durchaus ins Handlungsgeruumlst der Ballade einfuumlgen Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Laumlndern und Orten zu denen Daumlmonen mit den abstrusesten Namen den Dichter gefuumlhrt haben sollen

Von Ewade mich vszlig Deruszlig Maus mich furt hin von Wenede zu Dempor in die stat da gunde mich Boleta ser beslim en Machmeusfurle mich der struszlig biszlig hin gein Momordya Noch sneller was Hanbruszlig dar an wart ich betort zwar ich gebien in ee manche die waz myn pfat der sinenfur begund mich JeT verdriwen [ ]

(K 93-104W 47-58)

Mit seiner Haumlufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhaumluser-Lieder wie sie C uumlberliefert In Lied IX dem Lied von den unmoumlglichen Wuumlnschen der Geliebten von dem schon die Rede war greift die Phantasie auch ins Exotische aus Und in Leich V wird als Hintergrund fuumlr die einzigartige Schoumlnheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter teils kurios-exotischer Laumlnder- und Staumldtenamen ausgebreitet und zu manchen sagt der Dichter da sei er gewesen (V 4f)

zeJerusalem zem Cometal hin bin ich kamen Nicosia (Hs Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant In Armenie (Hs Normanya) ich was wie kume ich da genas fuumlr Antioch kam ich ze Tuumlrki (Hs Trirgis) sunde danc

44 RSM lTanh61 zitiert (mit Groszligschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei M LANG Tannhaumluser (Von deutscher Poeterey 17) Leipzig 1936 S 171-175 Versuch einer Rekonstruktion bei SIEBERT [Anm 16J S 210-215

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 14: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

138 WACHINGER

da was der Tatern (Hs tau) vii von den ich swigen wil der Vatas (Hs Vattan) gar mit siner milte Kriechen twanc

bull

Nimmt man noch Lied XIII das Kreuzlied mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu so darf man behaupshyten daszlig die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhaumluser in den von C uumlberlieferten Texten mehrfach Anknuumlpfungspunkte findet Da und dort koumlnnte man sogar versucht sein in einzelnen Namen oder Formulieshyrungen konkrete Zusammenhaumlnge aufzuspuumlren Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluszlig der alten Texte Eher hat sich aus Fahrendenmoshytivik und Namenkatalogen in Tannhaumluser-Liedern ein Rollenkonzept entwikshykelt das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft uumlberformt einerseits zu einem Geisterbeschwoumlrer Tannhaumluser andererseits zu dem Buumlszliger der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde Wie beide Aspekte verknuumlpft sein sollen wird in diesem lose komponierten und schlecht uumlberlieferten Lied nicht deutlich Denkbar waumlre ja eine Sagenversion in der der Tannhaumluser nach seiner Abweishysung in Rom von Daumlmonen gehetzt auf Gnade hoffend durch die Welt irrt Moumlglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlishychen Konzepten nur oberflaumlchlich zu einem Lied verbunden worden Wichshytig aber scheint mir daszlig hier uumlberhaupt ein sagenhaft uumlberformtes Rollenkonshyzept nachweisbar ist das sich eng an authentische Texte des Tannhaumlusers anschlieszligen laumlszligt Und dieses Konzept duumlrfte alt sein denn es speist sich uumlberwiegend aus Texten die im Spaumltmittelalter nicht mehr bekannt waren Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt rur die Tannhaumluser-Venusberg-Sage zu liegen Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelemenshyten umspielten Figur geworden war konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzaumlhlung verknuumlpft werden

Das andere Motiv das im 15 Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhaumluser verbunden wird ist der Abschieds- oder Absagedialog Er praumlgt ja die Ballade sehr wesentlich etwa die Haumllfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet waumlhrend die erzaumlhlenden Partien bis zur Unverstaumlndlichkeit kurz geraten sind Diese auffaumlllige Disproportion ist nur daraus verstaumlndlich daszlig hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde Schon Walther von der Vogel weide stellte sich aumlhnlich dar im Dialog mit Frau Welt die sich als Minnedame gibt aber mit dem Teufel verbunden ist (L 100 24ff) Der Typus war im 15 Jahrhundert bekannt In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Wuumlrzburg ein solcher Diashylog in den Mund gelegt wie der meister der welt vrlaub git45 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert 46 Der

45 RSM IKonrWI7S07

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 15: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade 139

Tannhaumluser aber erscheint auszliger in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten Das eine Tannhaumluser und Frau Welt47 mag Ende des 14 oder Anfang des 15 Jahrhunderts entstanden sein dadurch daszlig es in einer Handschrift von 143035 aufgezeichnet wurde stellt es wie schon erwaumlhnt zugleich das fruumlheste sichere Zeugnis einer Tannhaumluser-Sage dar Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe hinter der Aufzeichnungsform ist eine urspruumlngliche strophische Form zu erschlieszligen48 die Dialogpartnerin ist Frau Welt und der Absagende ist als Saumlnger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen Du vilgetrewer Tannheuser Vnd deinen sanck also verkysen Das ist mir ein leydes mer vv 159-162) Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der WeItabsage und koumlnnte zum groumlszligten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot49 die den Tannhaumluser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen Tannhaumlushyser sagt auch ihnen ab Daszlig dabei ein fruumlherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird ist wahrscheinlich wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich

Der andere Absagedialog Tannhaumluser und Venus neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen aufgezeichnet 145350 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespraumlch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet Der Anlaszlig dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhaumlusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen Anshygedeutet aber werden zusaumltzliche Sagenelemente rudimentaumlre Ansaumltze fuumlr Erzaumlhlbares die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzaumlhlungen verweisen muumlssen sondern moumlglicherweise auch ad hoc erfunden sind um Atmosphaumlre zu stiften Unter den Versprechungen der Venus bleibt die

46 Hugo von Montfon hg v J E WACKERNELL (Aeltere uralische Dichter 3) Innsbruck 1881 Nr XXIX

47 Vgl Anm 21 und 43 48 Die regelmaumlszligige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen

gestoumlrt Am Anfang hat der Schreiber an Reimpaare gewoumlhnt Vers 2 und 3 umgestellt und Vers 109f ist ein uumlberzaumlhliges inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben Daszlig je drei Vierversgruppen zu einer Strophe zusammenzufassen sind dafuumlr spricht die Verteilung der Reden Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform Zu vergleichen ist aber erwa das zitierte Lied Hugos von Montfort in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (vgl die Melodie bei E JAMMERS

Ausgewaumlhlte Melodien des Minnesangs Tuumlbingen 1963 S 213f) 49 Der Name im Mhd sonst mehrfach als Teufelsname belegt ist hier wohl im Anschluszlig

an III Reg 1133 (Astharolh dea Sidoniorum) einer weiblichen Daumlmonin im Gefolge der Venus zugeteilt

so Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe Badische Landesbibliothek K 74 46-47 r ist sehr fluumlchtig schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie Ich folge dem normalisierenshyden Abdruck von F J MONE Lieder vom Tannhaumluser Anz f Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836) 169f halte mich aber bei den Namen an die Handschrift Fuumlr Hilfe bei der Bemuumlhung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm Karlsruhe

140 WACHINGER

schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

Page 16: Burghart Wachinger - Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade

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schwer lesbare Zeile 27 dunkel so kompt der aderx (oder ader mit Silbensusshypension am Ende) so schier Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Astcrot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit Tannhaumluser und Frau Welt anzunehmen Noch merkwuumlrdiger ist wie Venus sich gegen den Vorwurf sie sei mit mmgem Msm gaist behafl verteidigt (Str 6)

Nun bin ich nil von dem Iwfel hie min valer was ain kuumlng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie) dennoch hel er landes mer hell die wil ich dir nun gebm [

Zu Venus der Goumlttin der Liebe will das nicht recht passen Umso deutlicher wird hier die Naumlhe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzaumlhlungen von Zwergenkoumlniginnen und anderen entruumlckten Frauen im Berg Zwerge gehoumlren denn auch hier wie in Tannhaumluser und Frau Welt zu den Requisiten des Venusreichs

Man sollte wohl nicht versuchen das genealogische Verhaumlltnis der drei Tannhaumluser-Absagedialoge genauer zu bestimmen denn das waumlre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet Doch auch dann wenn die Ballade unabhaumlnshygig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte vermoumlgen diese die Tradition zu verdeutlichen die auf die Ballade eingewirkt haben muszlig Tannhaumlusers Abschiedsgespraumlch mit Venus steht in der Tradition der Abshyschiede eines Dichters von Frau Welt Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus daszlig der Tannhaumluser ein Dichter ist was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint Mein lob das solt ir preysen Wo ir da in dem landt vmbfart Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben die Ma SER von katechetischen Buszligerzaumlhlungen her erklaumlren wollte Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits der in der Frau-Welt-Tradition von Anfang an gegeben war ist dadurch daszlig Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist nur um eine Spur verschaumlrft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria

Ich versuche die Faumlden zusammenzufassen Die Tannhaumluser-Sage wie sie von der Ballade gestaltet wird steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansaumltzen um die Figur des Dichters Tannhaumluser die aus dem 15 Jahrhundert anderweitig belegt sind Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13 Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben Wohl aber haben die ausgepraumlgte Fahrendenrolle und die auffaumlllige Haumlufung exotischer Namen im Oeuvre des Tannhaumlusers zu sagenhaften Uumlberformunshygen des Dichterbildes gereizt Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann - in welcher Reihenfolge moumlchte ich nicht entshyscheiden - zwei formal sehr verschiedenartige thematisch aber konvergierenshyde literarische Muster verknuumlpft einerseits eine mehr oder weniger fertige

141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen

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141 Von Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade

Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch durch Buszlige ins kirchliche Leben und zu Gott zuruumlckzufinden eine Geschichte wie sie uns recht aumlhnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt uumlbertragen aufVenus die mit der Liebesdame 1m Berg gleichgesetzt wurde Ob das zu spaumlt kommende Stabwunder das im

Ansatz dem Muster von Buumlszligerlegenden folgt aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist in die Liebesreich-Erzaumlhlung vor oder nach deren Verknuumlpfung mit dem Namen des Tannhaumlusers eingefiigt wurde scheint mir kein zentrales Problem zu sein Auch die Frage woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist51 duumlrfte fuumlr die Genese der Dichtersage vom Tannhaumluser vergleichsweise wenig relevant sein

Bemerkenswert scheint mir zum Schluszlig noch eines Die Ballade die spaumlter Auslaumlufer in Volksliedern gefunden hat steht schon in ihren fruumlh uumlberliefershyten Fassungen muumlndlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl fruumlh auch muumlndlich tradiert worden Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhaumlusersage ist am ehesten im Raum muumlndlicher oder der Muumlndlichshykeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar Denshynoch waumlren Begriffe wie Volkslied und Volkssage fuumlr den hier ins Auge gefaszligten Komplex grundfalsch Die Elemente die zur Tannhaumluser-Sage beigetragen haben stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur und ein Bewuszligtsein davon daszlig der Tannhaumluser ein Minnesaumlnger der Ritterzeit oder ein alter Meister war scheint nie ganz verloren gegangen zu sein Insofern ist der Weg vom Tannhaumluser zur Tannhaumluser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel fuumlr die Naumlhe zwischen hoher und niedrigerer artifizishyeller und schematisch-formelhafter schriftgestuumltzter und muumlndlich komposhynierter und tradierter Literatur und fuumlr die Moumlglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen 52

Anschrift des Verfassers Prof Dr Burghart Wachinger Deutsches Seminar der Univ Tuumlbingen Wilhelmstr 50 72074 Tuumlbingen

51 Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wrs [Anm 31] S 50-54 und bei MOSER [Anm 26] S 107-114

52 Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden fuumlr das Colloquium das Guumlnther Schweikle zu Ehren am 14115 Januar 1994 stattfand Sie wurde leicht modifiziert noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universitaumlt Muumlnchen und bei einem Gastvortrag an der Universitaumlt Koumlln Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Ruumldiger Moser fuumlr kritische Einwaumlnde und Anregungen