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DORT, WO DAS LICHT IST EIN INTERVIEW C H R I S T I A N B A H R Er gehört zu den poetischen, tiefgrün- digen deutschen Malern und Zeichnern der Gegenwart. Seine abstrakten groß- formatigen Arbeiten hängen in privaten und öffentlichen Sammlungen unter an- derem in den USA und Kanada, in Aus- tralien, Großbritannien und China. Es sind reduzierte, kraftvolle Bilderwelten, die von ihrer ausgeprägten Symbolik und einer strengen Ästhetik leben. Wir baten Christian Bahr zum Interview und merkten alsbald, hier ist ein Maler, der etwas über seine Arbeiten zu erzählen hat. Ein Künstler mit klarer Philosophie und Ansprüchen an sich und sein Werk.

C H R I S T I A N B A H R · keine Umwege, keine schönen Fassa-den. Und so verzichte ich auf das Un-wichtige ohne Wenn und Aber, auch wenn die Unterscheidungnicht immer leicht zu

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DORT, WO DAS LICHT IST – EIN INTERVIEW

C H R I S T I A N B A H R

Er gehört zu den poetischen, tiefgrün-digen deutschen Malern und Zeichnernder Gegenwart. Seine abstrakten groß-formatigen Arbeiten hängen in privatenund öffentlichen Sammlungen unter an-derem in den USA und Kanada, in Aus-tralien, Großbritannien und China. Essind reduzierte, kraftvolle Bilderwelten,die von ihrer ausgeprägten Symbolikund einer strengen Ästhetik leben. Wirbaten Christian Bahr zum Interview undmerkten alsbald, hier ist ein Maler, deretwas über seine Arbeiten zu erzählenhat. Ein Künstler mit klarer Philosophieund Ansprüchen an sich und seinWerk.

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Sie malen und zeichnen seit über 35 Jahren. Was bedeutetIhnen die Malerei?

Malen und Leben sind für mich un-trennbar und gehören zusammen. Ichbin Mensch und Künstler in nur einereinzigen Person. Ich male, was ich alsMensch sehe und wie ich empfinde.Und umgekehrt hilft mir meine Male-rei dabei, die Welt in mir und um michherum besser zu verstehen und neuePerspektiven zu entwickeln. Deshalbliebe ich das Malen. Jedes Gefühl, dasich spüre, jeder Gedanke, den ich ihnmir trage, ist zugleich Leben und Male-rei. Ich muss auf der Leinwand nichtskonstruieren, es liegt alles auf derHand, gehört zusammen und beein-flusst sich gegenseitig. Genau so mussMalerei für mich sein. Hineingeworfenin die Mitte des Lebens, den Menschenzugewandt.

Wir berauben uns ganz viel der Kraftund Mystik von Kunst, wenn wir siewie eine unberührbare Kostbarkeitverwahren und aus allem heraus-haltenwollen.

Das Leben selbst ist also Ihre künstlerische Bezugsgröße?

Das reale Leben ist der beste Lehr-meister und die größte Inspiration,jede Art von Studium kann nur einakademischer Start sein und bleibtTheorie. Aber ich möchte nicht überdie ermüdende Theorie von Malereisprechen. Denn Kunst ist für mich soviel mehr. Ich will die Malerei fühlen,will sie atmen, und meine Emotionenund auch mein Intellekt sehnen sichdanach, von ihr berührt und beein-druckt zu werden. Denn Kunst ist fürmich die echte, wahre Schönheit derMenschheit, mit Malerei als einemgewichtigen Teil von ihr. Lassen wiralso zu, dass Malerei unser täglichesLeben verschönert. Ich nehme auf einwunderbares Zitat von Fjodor Dosto-jewski Bezug: Nur Schönheit kann die-se Welt erretten. Daran glaube ich alsKünstler und auch als Mensch. An dieKraft der Schönheit. Malen soll Hoff-nung schaffen und sein. Ein Ort, wo dasLicht ist.

»Nur SCHÖNHEIT

wird diese WELT

retten können.«

* * *

Z U R P E R S O N

CHRISTIAN BAHR, deutscher Maler und Zeich-ner, geboren 1965 in Buxtehude (Deutschland).Humanistisch erzogen, Großes Latinum, Stu-dium, Diplom. Künstlerische und historische Stu-dien, teils autodidaktisch. Seine Liebe zur Kunsthat ihn schon immer begleitet. Doch war es keingradliniger Weg bis zu dem professionellen Ma-ler von heute. Er ist Träger der Ehrenmedailleder Bundeswehr, Kosmopolit, Kenner derGeschichte des Altertums und des Mittelalters.Er war mit der U.S. Customs and Border Protec-tion an der Grenze zu Mexiko auf Streife sowieAusbilder für die russische Zollverwaltung. Er-fahrungen, die ihn als Künstler erden, wie ersagt. Das Wissen um Menschen und ihre Schick-sale thematisiert er immer wieder in seinerMalerei. C. Bahr arbeitet und lebt heute naheHamburg an der norddeutschen Küste. SeineWerke finden sich in Privatsammlungen und imöffentlichen Raum in den USA, Kanada, Großbri-tannien, China, in Australien, Mexiko, Russland,Belarus, Deutschland und in der Ukraine.

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»Jedes gelungene

Gemälde ist LÜGE

und WAHRHEITzugleich.«

Wie sieht Ihr Schaffensprozessaus, wie gelangen Sie von der Idee zum fertigen Gemälde?

Meine Bilder entstehen intuitiv undunmittelbar. Ansätze, Farben undFormen sind aus dem Moment herausgeboren, aus einer dominanten Em-pfindung in mir, die des Weges kam,sich Gehör verschaffte und auf einesofortige Umsetzung drängte. Es mussmöglichst distanzlos sein, ohne großeVorskizzen. Eben keine konstruierteKopfgeburt, sondern emotional, oderanders: brachial und melancholisch,schwer, zugleich aber auch hell,poetisch und hoffnungsvoll. Kein Viel-leicht, auch kein Lauwarm. Jeder ein-zelne Moment während des Malenszählt, bleibt wichtig und kann eineRichtungsänderung herbeiführen. Ichbleibe wachsam. Ich opfere den Strichnicht der Idee, und ich mag das damitverbundene malerische Risiko bei derArbeit, die Radikalität der Entschei-dungen, die während des Schaffens-prozesses zu treffen sind. So und nichtanders male und zeichne ich. Ich willin meinen Bildern nichts Unwichtigeszeigen, weil das Unwichtige und Ne-bensächliche lediglich Dekoration ist,ein trügerisches und gefälliges Bei-werk, das vom Kern und von der Aus-sage ablenkt.

Ich brauche in meinen Gemäldenkeine Umwege, keine schönen Fassa-den. Und so verzichte ich auf das Un-wichtige ohne Wenn und Aber, auchwenn die Unterscheidung nicht immerleicht zu treffen ist, auch wenn sichmanchmal das Unwichtige geschicktals wichtig zu tarnen versteht. Nie-mand außer mir trifft diese Entschei-dung und kann sie auch treffen. Wasals unwichtig gilt, wird von der Lein-wand rückstandslos entfernt. Es istein Dialog mit mir selbst. Fokussiertsoll es sein, reduziert, nur das mirWichtige zeigen, den Kern, die Essenz.Alles andere ist Verrat an der Aussagedes Bildes.

Hat sich die Art Ihrer Abstraktionin den Jahren verändert?

Je älter ich werde, desto klarer wirdder Blick. Ich kann auch besser mitder Leinwand kommunizieren, ichsehe Irrwege früher, ich gebe umge-kehrt meine Bilder auch nicht mehr soleicht verloren. Dennoch bin ich radi-kaler als früher. Manchmal geradezubrutal im Umgang mit meiner Kunst,in dem, was ich als lebensfähig erachteund was ich dann wieder verwerfe.Das ist nicht immer ein harmonischerVorgang, sondern häufiger durchausauch Kampf. Ein produktiver, notwen-diger Konflikt in mir selbst.

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Ihr künstlerischer Werdegang vermittelt den Eindruck, dass Sie es sich nicht leicht gemacht haben.

Es war ein langer Weg bis zu dem Maler,der ich heute bin. Zwar war meine Krea-tivität von Anfang an in mir sehr ausge-prägt, auch die Liebe zur Kunst. Doch ichhabe als junger Mann lange mit meinemSchaffen gehadert, weil ich mich in derMalerei nicht unmittelbar, nicht distanzlosgenug fand. Ich konnte dieses Ich in meinenArbeiten nicht deutlich genug sehen, michdort nicht richtig wiederfinden. Mir fehlteder wirkliche Grund, warum ich ohne Male-rei weder leben konnte noch wollte. DieSuche nach einer Antwort dauerte, denn ichwollte mehr erschaffen als nur gefälligeWerke, die zwar dem Mainstream ent-sprechen, aber mehr den Zeitgeist wider-spiegeln als mich selbst. Mir ging es all dieJahre um eine ganz eigene Handschrift,einen deutlichen Wiedererkennungswertund eben keine Wiederholung hinlänglichbekannter, immer wieder bemühter Posi-tionen. Heute bin ich froh, dass ich damalsso kritischmit mir selbst war.

Deshalb konzentrierten Sie sich anfangs nicht alleine auf die Malerei?

Und so kam es, dass ich lange Zeit nebender Kunst, zusätzlich zu ihr auch nochandere Wege beschritt. Das war alles reales,echtes Leben und es erdet, prägt und inspi-riert mich bis jetzt auf vielfältigeWeise.

Vieles war der Kunst fern und doch wiedernah, weil ich aus jedem Erlebnis neueInspiration schöpfen konnte. Während alldieser Zeit habe ich weiter gemalt, mich inTheorien vertieft und an meinem Stil gear-beitet. Bis ich mit den Resultaten lebenkonnte. Auch wenn es gedauert hat undkeine von Beginn an gradlinige Biographieaufweist, als Mehrwert habe ich jetzt klare,lebensnahe Standpunkte in meiner Kunst,auf die ich stolz bin und die ich gut kommu-nizieren kann, in den Bildern und außer-halb, weil sie über Jahre durchdacht sind. Inmeiner Malerei bin ich heute ganz bei mir.

Fällt es Ihnen nicht schwer, in Ihrer Kunst so persönlich zu sein?

Natürlich macht man sich auf dieseWeise auch angreifbar und verletzlich. Aberalleine Authentizität ist für mich maß-geblich, diese Ehrlichkeit, eben dass einStück von mir sich in jeder meiner Arbeitenwiederfindet. Diesen Anspruch habe ich anmein gesamtes Werk. Und weil das so ist,fühle ich mich in guten Momenten mitmeiner Malerei wie auf offener See, fernder Küste und der lauten, übervollen Häfen.Dort draußen kann ich sein, wie ich alsMaler bin. Pur, ungefiltert. Diese echtekünstlerische Freiheit kam erst mit denJahren, weshalb ich mit Fug und Rechtsagen kann, ich habe die Zeit gebraucht, umbei dem selbstbewussten, überzeugtenMaler anzukommen, der ich heute bin.

Haben Sie Themen, die uns in Ihrem Werk wiederkehrend begegnen?

In jedem Fall. Aus meiner Sicht brauchtMalerei einen diskursfähigen Inhalt, einenroten Faden. Denn Bilder, die kein Themaverhandeln, bleiben stumm und zwangs-läufig sprachlos und verlieren die Berech-tigung zur ernsthaften Teilhabe an Kunst.Ich jedenfalls habe ein klares künst-lerisches Thema, das ich auch kommu-niziere. Von der ersten Inspiration bis zumletzten Pinselstrich steht immer der Menschim Zentrum meiner Arbeiten. Nichts istspannender, vielfältiger und ausdrucks-stärker als der Mensch selbst. Nichts istlohnender in der Betrachtung, weil esimmer auch Selbsterkenntnis bedeutet. Ichthematisiere mit den Mitteln der abstraktenMalerei diesen immerwährenden mensch-lichen Konflikt zwischen unserer Innen-und Außenwelt. Meine Malerei ist (auch)eine Suche nach dem Menschen in uns.Natürlich bleibt jede Antwort, die ich inmeinem Werk gebe, subjektiv. Die Aus-gangsfrage jedoch berührt uns alle gleich:Was ist das Wirkliche in und hinter der ver-meintlichen, uns umgebenden Wirklichkeit?Was sind wir wirklich, jeder einzelne vonuns? Was (noch) sind wir selbst und wasschon ist Manipulation Dritter, der Versucheiner Einflussnahme auf unser Fühlen,Denken und Handeln? Für mich liegt dieeinzige Wahrheit in der persönlichen Wahr-nehmung. Wir alleine sind der legitime Ur-sprung vonWirklichkeit.

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Viele Ihrer Arbeiten nehmen auf historische Ereignisse oder auf Persönlichkeiten aus früheren Tagen Bezug. Warum?

Ohne das Wissen um Geschichte verlieren wir einenTeil unserer Identität. Gerade die Kenntnis der Vergan-genheit hilft dabei, das Gegenwärtige in Politik undGesellschaft besser einzuordnen und die Wahrheitendeutlicher von den Lügen zu trennen. Man geht demZeitgeist nicht so sehr auf den Leim. Zudem ist dieGeschichte voll von menschlichen Dramen, die es wertsind, erzählt und dem Vergessen entrissen zu werden.Davon mache in meiner Gemälden reichlich Gebrauch.Geschichte ist für mich eine große Inspirationsquelle.Darin drückt sich auch mein Respekt vor der Lebens-leistung früherer Generationen aus. Der Mensch undsein Fühlen und Denken haben sich über die Jahr-hunderte weniger verändert als wir wahrhaben wollen.In jedem Fall lohnt der Blick zurück als Künstler, auchwenn es unmodern geworden ist, sich seiner Wurzelnzu besinnen. Ich gehe meinen ganz eigenen Weg.

Sie bevorzugen das Großformat. War diese Präferenz bei Ihnen schon immer vorhanden?

Ich hatte nie Angst vor der großen Leinwand. Sie gibtmir vielmehr ein unglaubliches Gefühl von kreativerFreiheit. Rein körperlich reduzieren sich die Grenzen inmeiner Kunst, die mentalen ebenso wie die tatsäch-lichen. Ich wollte immer schon groß malen, gefordertwerden auch durch die Dimensionen. Achtsamkeit istgefragt. Jeder kleinste Fehler fällt sofort auf, wird durchdie Größe umso offensichtlicher und stört die Bildhar-monien gewaltig. Ich mag den vielfältigen Reiz, voreiner solch riesigen Leinwand zu stehen und etwas zuerschaffen. Für mich als Maler kann ein Gemälde garnicht groß genug sein.

»Ohne das Wissen

um GESCHICHTEverlieren wir unsere

IDENTITÄT und jede

künstlerische DEMUT.«

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Es geht Ihnen also um den einzelnen Menschen mit all seinen großen und kleinen Konflikten?

Die Dramen sind unumgänglich. Es gibtso viele persönliche Wirklichkeiten undeben nicht nur eine einzige Wahrheit.Daraus erwachsen die großen Miss-verständnisse, Widersprüche und Kon-flikte. Der Mensch ist der Ursprung vonallem, was uns in dieser Welt an Gutem undSchlechtem begegnet. Deshalb setze ichmich in meinem Werk mit dem einzelnenMenschen und seiner Verortung in der Mo-derne auseinander. Wo sind die Wahrhei-ten früherer Tage geblieben, all die Wahr-haftigkeiten und Gewissheiten und derklare Weg? Wir leben in unruhigen Zeiten,das Urvertrauen der Kindheit ist uns ab-handengekommen. Wir stehen zwischenHoffen und Bangen, zwischen Geschichteund Jetzt, zwischen Glauben und Kampf. Soviele unterschiedliche Biographien, vereintund getrennt durch Leidenschaften undSehnsüchte, Ängste und Zweifel. Und mitdramatischen Geschichten, die es wert sind,erzählt zu werden. Ich konstruiere keineneuen und fiktiven Welten, sondern bei mirsteht der Mensch im Mittelpunkt. Jedemeiner Abstraktionen startet mit ihm undhat seine kleine großeWelt zum Inhalt, seininneres Königreich, seine verwundeteSeele. Dabei wähle ich die Natur als großeMetapher. Mit ihrer Hilfe spiegele ich, wasich über den Menschen erzählenmöchte.

Die Natur ist gewaltig, voll von inspi-rierendem Licht, Harmonie und Ästhetik.Der Mensch wird klein angesichts dieserSchönheit, die er zwar bewundern kann,die er aber nie erreichen wird. Und dochgibt es einen Zusammenhang. Die Natur istin uns. Was uns als Menschen ausmacht,was in uns haust und uns um den Schlafbringt, dies findet in der Natur seine Ent-sprechung und gleicht Küsten, Wäldern,Ozeanen. Und schließlich die Seele selbst.Sie ist die rätselhafteste aller Landschaf-ten, in denen wir uns als Suchende undFragende bewegen. Meine Gemälde gebendiesen Reisen ein Gesicht, gleich einemChronisten halten sie meine Streifzügedurch die inneren Landschaften fest. OhneZweifel ist das hochemotional, und esberührt mich selbst auch tief. Es ist per-sönlich, manchmal dunkel und archaisch,dann wieder romantisch und hoffnungs-voll, aber genau so und nicht anders möch-te ich es in meinemWerk.

Sie werden auch als deutscher Maler wahrgenommen. Spielt Nationalität in Ihren Arbeiten eine Rolle?

Ich bin ein deutscher Maler und werdeinternational natürlich auch so eingeord-net. Das ist legitim. Denn auch wenn ich dasDeutsche in meinen Arbeiten nicht in denMittelpunkt rücke, so wirkt es doch als derMutterboden, auf dem die künstlerischeSaat reift. Wie könnte das auch anders sein?Erst drei, vier Generationen liegt es zurück,da sind Männer aus meiner Familie für dendeutschen Kaiser vor Verdun in den Schüt-zengräben verblutet. Und wenige Jahr-zehnte später, während des Zweiten Welt-kriegs, haben meine beiden Großväter alseinfache Wehrmachtssoldaten an der Ost-front gekämpft, sind in russische Gefangen-schaft geraten und erst viele Jahre nachKriegsende wieder freigelassen worden. Inder Endphase dieses Krieges, als die RoteArmee vorrückte, wurden zudem meineFamilien vertrieben. Die meines Vaters flohaus Pommern, die meiner Mutter aus demSudetenland. Im Westen Deutschlandshaben sie sich dann mit Disziplin und demGlauben an ein besseres Morgen neue Exis-tenzen aufgebaut. Ich habe das nicht ver-gessen. Es sind sehr deutsche Biografien,deren Gene ich trage. Es mag sein, dassmeine Werke deshalb eine gewisse Schwe-re aufweisen. Diese Suche nach Ernst-haftigkeit im historischen, reflektierendenKontext ist eben in mir.

»Wir Menschen stehen

zwischen HOFFEN und

Bangen, Geschichte und

JETZT. Damit beginnt

meine Malerei.«

* * *

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Wenn man sich in seinen Arbeiten so viel mit dem Menschen auseinandersetzt wie Sie, zu was wird man dann, zu einem Menschenfeind oder Menschenfreund?

Nicht immer ertrage ich all die menschliche Un-vernunft und Arroganz gegenüber der Natur undSchöpfungsgeschichte, die Aggressivität und dengrundlosen Größenwahn. Es fehlt so sehr an Demut.Und doch, ich mag die Menschen, ich mag ihreVerletzbarkeit, die Empathie hinter der Fassade, dieAbgründe der Seele. Niemand ist ohne Schuld undohne Narben. Aber was uns verletzlich macht, istzugleich auch unsere Stärke. Am Ende geht es aufirgendeine Art immer um Macht und mehr noch umLiebe, als Quintessenz von allem. Liebe kann Chaosstiften, Imperien stürzen oder ins Paradies führen.Vor allem aber ist Liebe zugleich die ultimative Frageund Antwort. Das machtmir Hoffnung.

Sie begreifen sich als emotionalen Beobachter. Besteht nicht die Gefahr, dass Ihre Gefühle Sie in die Irre leiten? Wäre eine größere Sachlichkeit nicht angebracht?

Ich möchte kein distanzierter Chronist der heuti-gen Zustände sein, zynisch all die Unzulänglichkeitenauflisten und mich dabei moralisch überlegen fühlen,wie es in der Gegenwartskunst derzeit so häufigpassiert. Im Gegenteil, ich ergreife Partei für dieMenschen und ihre Leidenschaften, selbst wenn dieseirrational sind und in den Untergang führen mögen.Deshalb erlaube ich mir eine tiefe Emotionalität imWerk. Als Regulativ, manchmal auch als Antipodewirkt alleine meine strenge Ästhetik. Auf der Lein-wand fällt ihr die Aufgabe zu, die überbordendenEmpfindungen visuell zu ordnen.

»Angesichts

meiner

VERGÄNGLICHKEITmüsste ich

eigentlich viel

RADIKALER malen

und leben.«

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Ihr Werk lebt von einer intensiven, ungewöhnlich gradlinigen Ästhetik. Ist das ein bewusster Vorgang?

Ästhetik ist für mich ein wichtiger kreativerMaßstab, den ich an meine Arbeiten anlege. Mirgeht es neben inhaltlichen Aussagen auch immerum gefällige Proportionen und Ausgewogenheitin der Komposition. Ästhetik ist Bestandteilmeines künstlerischen Schönheitsbegriffs undhat nichts mit Kitsch gemein und ist auch keinRückgriff auf eine Heile-Welt-Symbolik. DasSchöne und Ästhetische inspirieren und berüh-ren mich und lassen mich kreativ denken. Unter-schätzen wir deshalb die Bedeutung von Ästhe-tik nicht. Das Bild darf gefallen und kann den-noch polarisieren, Diskussionsansätze bietenund in die Tiefe gehen. Es ist keinerlei Wider-spruch.

Gegenwartskunst hat sich weitgehend vom Schönen verabschiedet, scheint es. Stört Sie diese Entwicklung?

Man versucht uns davon zu überzeugen, dasszeitgenössische Kunst nicht mehr schön seinmuss, ja es sogar nicht mehr sein darf. Schwach-sinn. Ästhetik war und ist kostbar. Und vor allemzeitlos. Selbst das Unschöne oder gar Hässlichekann, sofern bewusst und pointiert eingesetzt,auf eine gewisse Weise ästhetisch wirken. Dochohne innere Schönheit auf zumindest den zwei-ten Blick, ohne eben irgendeine Form von Ästhe-tik wird niemals Kunst entstehen, die den Mo-ment überdauert. Alles andere ist einem flüch-tigen Trend geschuldet und wird alsbald wiederin der Versenkung verschwinden.

Sie gehen also zu dem Modernen in der Kunst auf Distanz?

Es gibt diesen bedingungslosen Trend zur Mo-dernität. Alles muss modern daherkommen,möglichst neu sein, unverbraucht und auf einefast unmögliche Weise noch nie dagewesen. Wasbisher war, ist plötzlich gestrig, veraltet undüberholt. Auch in der Kunst ist diese Tendenz zubeobachten, und es gleicht einem unkritischenOpfergang auf dem Altar des Zeitgeistes. Nichtdie Qualität des Werks, sondern alleine der Gradan Modernität ist maßgeblich. Dabei ist nichtsbesser, nur weil es modern ist. In den meistenFällen ist es noch nicht einmal wirklich anders.Häufig stellt man auf den zweiten Blick fest, dasshier nur alter Wein in neuen Schläuchen ver-kauft werden soll.

Das ist eine sehr grundlegende Kritik. Haben Sie Angst um die Kunst?

Es steht tatsächlich viel auf dem Spiel. Werdas Bisherige auslöscht und alleine durchModernismus ersetzen will, der negiert nichtnur seine eigenen künstlerischen Wurzeln, dernimmt auch die Kulturgeschichte der Mensch-heit insgesamt nicht zur Kenntnis. Das ist absurdnaiv, manchmal sogar verlogen. Wir sind nichtlebensfähig ohne unsere Geschichte. Das giltauch für die Kunst. Trotzdem hat das Modernefür mich seinen wichtigen Platz. Als etwas, dassdas Gestern und Jetzt in einem neuzeitlichen,ansprechenden Gewand interpretiert. Und dasind wir dann bei meinen Arbeiten. Meineeigenen Werke finde ich in diesem Sinne sehrzeitgemäß.

»Es war ein langerWEG bis zu dem

Maler, der ich HEUTE bin.«

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Ein Spaziergang an der See klärt die Gedan-ken. Gezeiten und maritime Urgewaltenzeigen uns überdeutlich, wie winzig undverletzbar wir doch sind. Deshalb bin ich sogerne am Meer, deshalb ist der Ozean einwiederkehrendes Thema in meinen Arbei-ten auf Leinwand und Papier.

Nicht alle Menschen möchten auf Ihre eigene Vergänglichkeit aufmerksam gemacht werden.

Sicherlich, aber niemand kann an dieserunumstößlichen Tatsache etwas ändern,auch wenn wir es im Alltag gerne verges-sen. Zu allen Zeiten hat der Umgang desMenschen mit seiner eigenen Vergänglich-keit die Künstler bewegt, es ist eines derganz großen Themen in der Kulturge-schichte. Sehr stark finde ich beispielsweisedie Gemäldefolgen (Reigenbilder) des nor-wegischen Expressionisten Edvard Munchhierzu. Sterblichkeit berührt jeden, geradeweil es sich der eigenen Einflussnahmeentzieht und die Fragilität unserer Existenzaufzeigt. Wir wandeln auf unsicheremGrund, Tag für Tag, quasi an einem unsicht-baren Abgrund. Jede Planbarkeit ist Illusion,eher Wunsch denn Wirklichkeit. Nichts istsicher, auch wenn wir unser Leben ebenexakt so ausrichten, als würden wir unserSchicksal in Händen halten. Ich finde esdeshalb nur natürlich, dass auch ich michdieser Thematik in meiner Malerei immerwieder künstlerisch zuwende. Alle Berüh-rungsängste wären fehl am Platze.

Der Mensch mit seiner Gefühlswelt ist Inhalt Ihres Werks. Das umfasst auch Themen wie Geburt und Tod. Keine Berührungsängste?

Natürlich ist Vergänglichkeit ein ganzgewichtiges Thema in meinen Arbeiten. Ichmöchte mich nicht mit Nebensächlichkeitenaufhalten, sondern zum Kern vordringenund auf das Elementare konzentrieren. Dasgilt gleichermaßen für Art und Umfang derAbstraktion wie auch für den Inhalt des Bil-des. Und was könnte existentieller, grund-sätzlicher sein als das Wissen um die eigeneSterblichkeit? Eben weil es zum Leben da-zugehört, weil es Urängste auslöst und weiles das Fühlen, Denken und Handeln des ein-zelnen Menschen so absolut beeinflusst.Trotz aller Sinnsuche finden wir keine ein-fachen Antworten, sind nicht Gestaltende,sondern müssen hinnehmen, was das großeSchicksal uns bestimmt.

Das Leben als ein Teil vom Ganzen?

Es gab vor uns Leben und es wird nachuns Leben geben. Die Welt hat nicht erst mituns begonnen und wird auch nicht mitunserem Tod abrupt enden. Wir sind nichtso außergewöhnlich und so exklusiv, wiewir es gerne hätten. Es geht immer weiter,vom Anbeginn bis zum Ende aller Zeiten.Ein immerwährender Kreislauf aus Geburt,Blüte, Intensität und Vergehen, gleicher-maßen beim Menschen wie auch sonst inder Natur.

Ihre Bildtitel sind häufig poetisch gehalten, wirken manchmal wie aus der Zeit gefallen. Sind Sie in Ihrer Kunst ein Romantiker?

Ich lege auf emotionale Titel Wert, weilsie für meine Bilder eine zusätzliche, intimeEbene der Betrachtung eröffnen. Zudemmag ich den Umgang mit Sprache und Poe-sie sehr. Meine Titel sind dabei sehr be-wusst gewählt, manchmal das Ergebniseines wochenlangen Suchens, manchmal inAugenblicken gefunden. Es gibt immereinen Grund, warum das Bild diesen undkeinen anderen Titel trägt und auch nichttragen kann. Für mich sind es Fragmenteeines sehr persönlichen Gedichts. Das giltauch für Worte, die ich manchen der Ge-mälde beigebe und die meine StimmungbeimMalen des jeweiligen Bildes einfangen.Für mich ist das alles Bestandteil des krea-tiven Prozesses, interdisziplinär und ganzegal ob es sich um Malerei oder Lyrik. Mei-ne Leidenschaft ist das Fundament. Manmag es romantisch nennen, ich selbst eti-kettiere es nicht.

»Ich sehe meine

MALEREI dort,

wo LICHT ist.«

* * *

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Sie malen abstrakt, also offen für In-terpretationen. Andererseits haben Sie in Ihren Bildern ein klares Thema. Ist das nicht ein Widerspruch?

Der Kanon ist längst gefallen, dieser all-gemeingültige Maßstab, der Kunst seit demMittelalter definierte, der festlegte, wonachsich die Fähigkeiten eines Malers und seinerWerke beurteilen lassen. Und er fiel zu Recht,dieser oberflächliche Zensor, weil er jederEntfaltung den Atem raubte und nur einenvon vielen Wegen zuließ. Aber was ist an dieStelle dieses Kanons getreten? Wir leben ineiner Welt ohne künstlerische Richtschnur.Und wenn es keine Grenzen mehr gibt, dannist alles möglich und zugleich auch nichtswirklich. Das ist der Zustand heute. In derschier unüberschaubaren Masse des zumeistMittelmäßigen droht das Außergewöhnlichezu versinken.

Deshalb die deutlichen Botschaftenin Ihrer Abstraktion?

Ich bin nicht bereit, diese Beliebigkeit fürmein Werk hinzunehmen. Ich will keine be-langlosen Bilder malen, ich möchte eine Aus-sage treffen. Gerade bei einer reduzierten, ab-strakten Malerei sehe ich sonst die Gefahr, indas Grundlose abzurutschen oder Profanes zuüberhöhen. Und deshalb arbeite ich meine Po-sitionen umso schärfer heraus, formuliere einkünstlerisch klares Thema in meinen Gemäl-den. Es bindet alleine mich im Zeitpunkt desSchaffensprozesses, nicht aber das Publikum.

»Unsere SEELE ist eine rätselhafte,

doch wunderbare LANDSCHAFT.«

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Haben Sie keine Angst vor zu viel Pathos, wenn Sie so grundsätzliche Fragen in Ihrem Werk erörtern?

Es gibt kein Zuviel an Gedanken und Ge-fühlen, wenn man sich mit existentiellenThemen beschäftigt. Letztlich steht dahintereine einzige Fragestellung: Woher kommeich, wohin gehe ich, und mehr noch, wel-chen Sinn hat meine Existenz? Ich bin inmeiner Malerei auf der Suche nach Antwor-ten. So wie es der Philosoph mit Worten tut,so nutze ich hierfürmeine Mittel als Maler.

Da schwingt viel Melancholie mit. Braucht Ihr Werk diese Schwere?

Melancholie ist nichts Schlechtes, son-dern bedeutet, dass ich mich mit meinerirdischen Existenz und mit meiner eigenenVergänglichkeit auseinandersetze. Als Men-schen brauchen wir diese tiefen Gedankenund die Gefühle und die Schwere, die damiteinhergehen. Denn dahinter warten LichtundWärme auf uns.

»Wir brauchen dieDUNKELHEIT und

MELANCHOLIE, um

das Licht zu sehen.«

Wir brauchen das Dunkel, um das Hellewahrzunehmen. Keine Flut ohne Ebbe, keinLicht ohne Schatten, kein Tag ohne Nacht.Und genau deshalb braucht es auch dieSchwere und diese Melancholie, um dasLeben als große Möglichkeit zu begreifen.Meine Gemälde leben von dieser Dialektikund der Spannung, die aus ihr erwächst.Deshalb sage ich auch: Das Dunkel wärmtund reinigt, es macht bewusst. Und darummale ich auch aus dem Dunklen ins Helle.Genau das ist die Botschaft in meinenBildern: Akzeptiere möglichst angstfrei denimmerwährenden Kreislauf des Lebens, dasGute ebenso wie das Schlechte. Lebe imJetzt, aber ohne lähmenden Fatalismus.Denn Kampf ist erlaubt, Kämpfen istwichtig, in einem positiven Sinn und mitoffenem Visier. Besser Kämpfer als Opfer.Der grandiose walisische Dichter DylanThomas hat das in einer einzigen Zeile sehrgut zusammengefasst, dieses Gefühl derUnausweichlichkeit gepaart mit Wider-stand: “Do not go gentle into that goodnight.“. Also geh nicht gelassen in die guteNacht. Ein kluger, vielschichtig interpre-tationsfähiger Satz. Dass er das Gedicht, ausdem dieses Zitat stammt, für seinen ster-benden Vater schrieb, macht es zudem be-rührend authentisch. Ich halte das für dieeinzig richtige Perspektive, aus der wirunser Leben betrachten sollten. Als Chance,als Erfahrung, als Abenteuer. Ohne Bitter-keit, auch wenn das manchmal schwerfällt.Unsere Seele besteht weiter, denn sie istunsterblich.

* * *

Und auch das Menschliche an uns lebt inder Erinnerung weiter, durch unsere Ta-ten und Worte, in unseren Kindern undKindeskindern. Die Menschen des Mittel-alters formten den Satz: Carpe diem etmemento mori. Nutze den Tag und beden-ke deine Sterblichkeit. Alles kann schonbald vorüber sein. Wir haben nichts wirk-lich unter Kontrolle. Es kann jeden jeder-zeit treffen. Das ist die wahre Botschaft desLebens. Es ist ein Geschenk, jeder einzelneTag, jede einzelne Stunde.

Apropos Philosophie: Sie sagten einmal, Sie malen gar nicht so radikal, wie Sie es eigentlich müssten. Wie ist das zu verstehen?

Das geht auf einen Ausspruch des unga-rischen Schriftstellers Peter Esterhazy zu-rück: „Ich lebe nicht radikal genug. Ich lebe,als erwarte mich ewiges Dasein und nichtvöllige Vernichtung.“ Ich versuche mir die-se Tatsache immer wieder vor Augen zuführen. Es gibt in meiner Malerei keinenGrund, nicht radikal zu sein angesichts derBegrenztheit meiner irdischen Existenz.Ganz im Gegenteil. Ich sollte, ich muss michimmer wieder neu ausprobieren, mehrnoch als jetzt schon. Jeder Kompromiss undjede Rücksichtnahme sind fehl am Platzeund führen ins kreative Nichts. Es gibt inmeiner Kunst noch so viel zu entdecken. Ichwill auf meinem Weg mich selbst weiterfordern, riskant bleiben bis zumÄußersten.

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Immer wieder begegnen uns in Ihren Arbeiten religiöse Themen. Ist diese Nähe zum Glaubenfür einen zeitgenössischen Maler nicht eherungewöhnlich?

Ich male keine religiösen Bilder, jedenfalls nicht ineinem engeren Sinn. Aber ich begreife den Glauben als eineBereicherung und thematisiere das auf unterschiedlicheArt. Hoffnung und Licht, Liebe und Glauben sind sounglaublich starke, zeitlose menschliche Empfindungen,die gehören ebenso wie Rache, Krieg und Tod einfach inmein Werk. Zudem gibt es viele biblische Erzählungen, dieeignen sich auch im 21. Jahrhundert noch als Metapher.Religion ist mir wichtig. Es gibt Situation im Leben, dastoßen unsere naturwissenschaftlichen Erklärungsmodelleund die menschliche Ratio an Grenzen. Doch ich spüreeinen Zauber in dieser Welt, der hilft über den Tag unddurch die Nacht und bietet Antworten jenseits dertechnokratischen, sterilen Sachlichkeit unseres Alltags. Esgibt Schicksal und Be-stimmung. Ich glaube an Gott und ichglaube an Wunder. Last but not least gibt diese Sichtweiseder eitlen Ego-Show, die Malen natürlich irgendwie auchist, einen tieferen Sinn.

Beeinflusst es Ihr Verständnis als Künstler?

Meine Kreativität und mein künstlerisches Ausdrucks-vermögen wurden mir gegeben, davon bin ich überzeugt.Das ist nicht nur Geschenk, sondern auch Verpflichtung.Denn es bedeutet, dass ich weiter an mir arbeiten mussund nicht leichtfertig meine Möglichkeiten verschwende.Ich möchte fokussiert bleiben, ausgerichtet auf den künst-lerischen Weg. Wohin der mich führt, weiß ich jetzt undheute noch nicht, aber ich bin sicher, es gibt immer wiedereinen guten Grund für das nächste Bild, für den nächstenkreativen Schritt.

»Ich möchte keine

Bilder malen, die

ALLES und NICHTSsein können.«

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Sind Sie wie so viele Maler auf der Suche nach dem perfekten Bild?

Meine Bilder sind nicht perfekt, können esgar nicht sein. Ich muss mit dem Zustand desUnperfekten leben, der einen Reifegrad, nie-mals aber den endgültigen Abschluss doku-mentiert. Das fertige, das perfekte, finale, feh-lerfreie Bild habe ich noch lange nicht gemalt,und bei ehrlicher Betrachtung bin ich überdiesen Umstand auch sehr froh. Ich habeAngst, dass eine perfekte Makellosigkeit zu-gleich auch Langeweile bedeuten würde. DasEnde aller Zweifel, Ecken, Kanten undBrüche. Und nichts könnte danach mehrkommen. Diese Perfektion würde meinerMalerei den Todesstoß versetzen. Ich abermag die unauflösbaren Widersprüche in mei-nen Gemälden. Und genau deshalb mag ichauch das Unperfekte.

Sie sagen, Malen ist für Sie auch ein Kampf. Ihre Kreativität bräuchte nicht nur Gleichklang.

Malen ist Kampf. Nicht in jeder Minute,nicht ausschließlich, aber häufig. Einfruchtbarer Kampf mit sich, ein unendlichesRingen um Farben und Motiv im eigenenZwiegespräch. Es gibt diese Tage und Nächte,da muss jeder Strich erkämpft, jedeFarbgebung hinterfragt werden. Natürlich istes gut, dass es nicht nur leicht von der Handgeht. Denn jeder dieser Kämpfe lohnt, weil erzeigt, dass man als Maler noch atmet und sichentwickelt. Und dieser Kampf darf mirintellektuell und emotional auch wehtun. Mirsind Gemälde, die im Kampf entstanden, dieliebsten.

Gibt es Künstler, an denen Sie sich orientieren?

Ich gehe künstlerisch meinen eigenenWeg. Dennoch stehe ich mit meiner Malereinatürlich in einer Tradition. Meine Bezugs-punkte sind ganz unterschiedlicher Natur. Sieziehen sich durch die zurückliegenden Jahr-hunderte bis in Heute und reichen von derKlassischen Moderne über den Jugendstilund Expressionismus bis zur Gegenwarts-kunst. Um Namen zu nennen: Mich bewegenMaler wie J. M. William Turner und seinevisionäre Farbabstraktion, Edvard Munchwegen seines bildhaften Schwermuts, PabloPicasso mit seiner kreativen Potenz, der Im-pressionist Claude Monet (gerade mit seinemAlterswerk). Hinzu kommt das Werk dergroßen abstrakten amerikanischen Malerin-nen Joan Mitchell und Helen Frankenthaler.Und aus dem Bereich des ZeitgenössischenNeo Rauch wegen seiner Ernsthaftigkeit imthematischen Umgang, Gerhard Richter undlast but not least der brachiale Georg Baselitz.Die Geschichte der Malerei kennt vielespannende Charaktere. Und das sind die Pole,zwischen denen ich mich bewege. Koordi-naten, Einflüsse, Strömungen, nicht mehr undnicht weniger. Ich kann mich auf all dieseBilder und Malerleben einlassen und trotz-dem in meiner Kunst eigenständige und vorallem auch unabhängige Pfade beschreiten.

Keine Kunst ohne Inspiration.Wie werden Sie inspiriert?

Mein Schaffensprozess ist intuitiv, ichverzichte weitgehend auf Vorplanungen undSkizzen. Ich habe das große Glück, reich anEinfällen zu sein. Und sie sind plötzlich da,ungefragt und zuweilen auch zu unpassendenMomenten. Diese Inspiration ist tief in mir. Eshat etwas Meditatives, wenn alles an- undwieder abfluten darf, jede Emotion, jeder Ge-danke. Keine Zensur zu diesem Zeitpunkt.Und aus dem, was nach dem Ende der Flutam Strand verbleibt, aus diesen Überrestenentstehen dann meine Ideen. Es ist ein Sehen,innerlich und äußerlich, ein Aufnehmen undUmsetzen in eine eigene Bildsprache. MeineInspiration ist Fluch und Segen zugleich, weilsie auch antreibt, einen nicht zur Ruhe kom-men lässt, und nach einer Perfektion giert,die es nie geben kann.

» FRANZ KAFKA:

Nachfolgendes Zitat des böhmischen Schriftstellers Franz Kafka (1883 - 1924) gibt perfekt wieder, wie ich in meiner Kunst zuagieren versuche, Tag und Nacht und für jedes einzelne meiner Gemälde:

Von einem gewissen

PUNKT an gibt es KEINE RÜCKKEHR mehr.

Dieser Punkt ist zu ERREICHEN.«

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Ihre Gemälde kommen mit einer Botschaft daher. Erwarten Sie, dass der Betrachter des Bildes Ihren Inhalten folgt?

Das fände ich befremdlich, denn es gehtnicht darum, was ich als Maler in meinemBild sehe. Es gibt niemals nur ein Falschund Richtig. Es ist völlig legitim, wenn derBetrachter eine andere Perspektive ent-wickelt und seine eigene Interpretationwagt. Ich bitte sogar darum. Gerade dasmacht ja Gegenwartskunst aus. Gute undkraftvolle Bilder sind (auch) Projektions-flächen, die Platz für die Gedanken undGefühle des Betrachters lassen und bei ihmEmpfindungen hervorrufen. Jeder erschafftsich sein ganz eigenes Bild, und keinesgleicht dem anderen. Wir sollten nicht sotun, als wenn Gemälde objektiv angeschautund bewertet werden können. Der Dialogzwischen Gemälde und Betrachter fällt im-mer intim aus, ist hochgradig persönlich.Ich als Maler kann das Bild nicht festhal-ten, früher oder später kommt der Mo-ment, da es meiner Hand entwächst undeigene Wege beschreitet, sich emanzipiert.Dieser Prozess ist unaufhaltsam. Ein jedernimmt Anteil an ihm, fügt zu meiner eineneue, eigene und natürlich gleichermaßenrichtige Interpretation hinzu. Die eineerste, die ursprüngliche Idee verschwimmtimmer mehr. Das ist ein natürlicher Vor-gang. Ich mag das Loslassen, weil es men-talen Freiraum gibt für neue Werke. JederAbschied ist hier auch der Beginn vonetwas Neuemund Spannendem.

»Ich spüre viel

VERLOGENHEITin dem, was sich

in der Kunst modern

nennt und mit dem

ZEITGEIST flirtet .«

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Sie betonen das Subjektive in der Wahrnehmung, sprechen von vielen Wirklichkeiten. Was bedeutet das?

Eben weil es nicht nur die eine, dieeinzige Wirklichkeit gibt. Es existiert keinMonopol auf Wirklichkeit. Wirklichkeit istsubjektiv und sie ist alleine in uns behei-matet. Jeder von uns hat seine eigene,private kleine Wirklichkeit und wie er dieDinge sieht und empfindet. MeineWirklichkeit ist nicht deine Wirklichkeit,kann es gar nicht sein. Aber deine Wirk-lichkeit ist ebenso richtig, ebenso gut wiemeine.

Welche Bedeutung hat diese Feststellung für Ihre Malerei?

Es ist als Erkenntnis bedeutsam, weil wirdem Wirklichen trauen, es für (die) Wahr-heit halten. Aber wir belügen uns. Undwerden natürlich auch belogen, ganzbewusst manipuliert, indem man eineeinzige dieser Wirklichkeiten und Wahr-heiten zur Weltformel erhebt und alseinzig richtig darstellt. Doch diese Welt istunsicherer als wir meinen, voll von un-terschiedlichen, widersprüchlichen Wirk-lichkeiten, und keine ist weniger odermehr wahr. In meiner Malerei versucheich diese Sichtweise zu verdeutlichen.Meine Art der Abstraktion zielt darauf ab,zum Kern des Wahrnehmbaren in unsvorzustoßen, zu eben dem, was wirklichbleibt und einen Konsens darstellt.

Welche Bedeutung haben hierbei Kunsttheorien für Sie?

Leider haben wir es mit Kunsttheorienzu tun, die uns ex cathedra erklären, wiedas jeweilige Werk zu interpretieren ist.Dieser absolute Deutungsanspruch störtmich. Ich finde es unvollständig, Kreativesalleine mit der Ratio deuten zu wollen undkünstlerische Kompetenz auf ihre Gat-tungszugehörigkeit zu reduzieren. Injedem Fall tut es der Kunst nicht gut, wenndie rein theoretische, intellektuelle Aus-einandersetzung einen großen Raum ein-nimmt. Es sind Diskussionen im Elfen-beinturm. Malen, so wie ich es lebe,kommt dagegen aus dem Bauch. Und vorallem ist es Herz und Seele, keine Kopf-geburt. Es geht primär um Gefühle, lassenwir uns nichts anderes einreden.

Planen Sie in nächster Zeit größere Ausstellungen?

Ich brauche nicht länger eine langeListe mit Ausstellungsorten, um meinemEgo zu schmeicheln, das finde ich im 21.Jahrhundert überholt. Dennoch ist mir derunmittelbare Kontakt mit meinem Pub-likum wichtig. Meine Sammler befindensich ganz überwiegend in den USA undGroßbritannien. Zukünftig werde ichdeshalb im anglo-amerikanischen Bereichmehr Präsenz vor Ort zeigen. Konkret sindAusstellungen zeitnah in Los Angeles, NewYork und London geplant.

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Sind die auf dem Kunstmarkt teils aufgerufenen Preise nicht völlig überzogen?

Sicherlich gibt es den einen oder anderenWahnsinn in der Kunstszene, und sicherlichist auch nicht alles Gold, was marktschreie-risch beworben wird. Doch Kunst ist ebenauch einer der wenigen Bereiche, der nochals Investition mit stabiler Wertschöpfungs-kette taugt. Dieser Aspekt hatte viele Jahr-hunderte seine Berechtigung, und das giltauch heute noch. Für viele Sammler ist es einechtes Kaufargument. Nachvollziehbar undlegitim, dass der Kunstmarkt sich als finan-ziell sensibler Bereich über Angebot undNachfrage reguliert.

Widerspricht das nicht der Reinheit von Kunst, wenn sie sich gemein macht mit Kapital und Investoren?

Wir sollten der Kunst keine Unschuld an-dichten, die sie noch nie besaß. Sobald einGemälde das Atelier verlässt, spielt der Preissehr wohl eine Rolle. Das war noch niemalsanders. Kunst hat zu allen Zeiten die Nähedes Geldes gesucht. Der Schönheit der Kunstund ihrer Ausdruckskraft hat es aber keinenAbbruch getan. Ich kann mich dem Weh-klagen, dass Kunst ihre Unschuld verlorenhätte, deshalb nicht anschließen. Und nochein Mythos, der mehr schadet denn hilft:Kunst war auch nie wirklich demokratisch.Dazu ist sie viel zu sehr Statussymbol sowieintellektuelles und soziales Prestigeobjekt.

Es gibt mehr als nur die Kunst des Malers. Kunst besitzt auch eine wirtschaftliche Größe, ist Ware. Wie stehen Sie selbst zu diesem Aspekt?

Auf der einen Seite ist meine Kunst, die icherschaffe. Ich male für mich, weil es in mirist, weil es raus muss, als Bild manifestiertwerden will, weil es diese Bestimmung inmir gibt. Das ist Kunst von mir und für mich.Ich denke, jeder ernsthafte Künstler weiß,wovon ich spreche. Ich male also nicht füreinen Kunstmarkt, sondern alleine für mich.Dennoch freut mich jedes meiner Gemälde,das beim Publikum Interesse weckt undKäufer findet. Es ist fantastisch und einegroße Unterstützung, damit ich meine Ma-lerei weiter auf diesem hohen Niveau be-treiben kann. Kunst ist zudem immer schonauch Kaufobjekt, finanzielles Investment undexquisite Ware. Warum nicht? Ich bin frohüber das Interesse der Sammler an meinemWerk und an meiner Person. Es haben sichüber die Jahre sehr angenehme Kontakte zuden Besitzern meiner Gemälde dort draußenin der Welt ergeben. Ich mag diese Art desFeedbacks. Auch wenn ich in meiner Krea-tivität autark bin, so bestärkt mich die Rück-meldung von außen doch immer wieder, aufeinem richtigen Weg zu sein. Insofern ge-hören für mich alle Aspekte zu einer Kunst,wie ich sie lebe. Maler, Gemälde und Samm-ler gehen eine fruchtbare Symbiose ein. Zu-dem, kein Mensch ist eine Insel, das gilt auchfür Christian Bahr.

Ihre Gemälde werden teilweise bereits im fünfstelligen Bereich gehandelt. Akzeptabel?

Man mag bedenken, ich erschaffeUnikate mit beständigem Wert und langerLebens-dauer. Meine Gemälde sind qualitativwertig und werden noch in hundert undmehr Jahren die Menschen erfreuen. Zudemsagt der Preis, den der Käufer zu zahlenbereit ist, auch immer etwas über denRespekt aus, den man meinem Kunstwerkundmir als Künstler entgegenbringt. Ich redehier von Wertschätzung, und der Verkaufs-preis ist eben ein verlässlicher Gradmesserdafür. Zudem bin ich es meinen Gemäldenschuldig, einen adäquaten Preis anzustreben.Schließlich veräußere ich einen sehr intimenTeil von mir, für dessen Geburt ich kreativgestritten habe. Deshalb ist jeder halbwegsvernünftige Preis, der sich am Markt erzielenlässt, auch legitim.

Vielen Dank für das Gespräch.

»Die KUNSTunserer Tage

besaß niemals

UNSCHULD.«

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