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105 - Zeitschrift fur angewandte - - . - - - - .- . - - - Chemie - 37. Jahrgang S. 105-120 I lnhaltsverzeichnis Anzeigenteil S. V. I 28. Februar 1924, Nr. 9 Carl Dietrich Harries +. In der Nacht vom 2. zurn 3. November 1923 verschied an den Folgen einer Darmoperation der Geheime Hegierungsrat Professor Dr. phil. und Dr.-lng. E. h. C a r l D i e t r i c h H a r r i e s im Alter von 57 Jahren. Er starb zu einer Zeit, d3 die Hofliiung auf ein Wiederaufbluhen Deutschlands aufs tiefste gesunken war. Ilie Freunde und Bekannten des groi3en Gelehrten aissen, hi3 auch bei ihm die geistige Not der Zeit der Krankheit ihr Zerslorungswerk nur allzu sehr erleichtert hat. Zwar arbeitete er, wie jeder wahrhalt GroOe, im Rahmen einer Lebensanschauung, und \\oil1 helfen Er- wagungen der Vernunft gegenuber dem Leid, indem sie es ver- standlich machen und seinen EinfluB abgrenzen; aber die gefiihls- maBig erfaOte, rein instinktive Daseinsfreude hiingt nicht von Erwlgungen ab. Carl Dietrich Harries war der Sohn des damaligen Amtsrichters, spateren Geheimen Justizrats Dr. jur. T h. H. H a r - r i e s und seiner Frau Mathilde geb. Gro- schuff. Geboren wurde er am 5. August 1866 in Luckenwalde, die Stadt aber, die ihm zur Heimat wurde, war Jena. In der alten Uni- versitatsstadt wuchs er heran, hier besuchte er das Gymnasium, und hier bildete sich sein Charakter, der, soviel auch spatere Ein- driicke an ihm geformt und umgeformt haben, gewisse Grundziige beibehielt, die wohl aus jenen Tagen stammen mogen: ein feiner, verstehender Humor, Freude an studen- tischem Treiben, oflener Hlick fu? die ,Schiin- heit, in welcher Form sie sich bietet. Tm Jalire 11386 begann er sein Studium zunachst in Jena. Er tastete erst vorsichtig. besuchte die verschiedensten Kollegs und entschloB sich dann endgiiltig, sich der Che- mie zu widmen. Impulsivem Handeln war er abgeneigt, auch schon damals. Er iiberlegte, wog Grunde und Gegengrunde, blieb aber dann bei sei- nem EntschluB, fest und unbeeinfluBbar. Er wollte keinen Umweg gehen, und so lebte er nach Grundsatzen. Uber der damaligen Zeit schweben die , Ideen N i e t z s c h e s; sie wurden ausschlaggebend fur seinen Werde- gang. Die Auffassung von der iiberragenden Bedeutung der Personlich- keit zwang ihn, PersGnlichkeiten zu suchen, und so muate er Jena ver- lassen. Wohlverstanden, muBte, denn die Ethik der Lebensauffassung erhebt zum Oesetq was andere Beweggrunde nur als ratsam erscheinen lassen. Er ging nach Miinchen zu A d o 1 f v. B a e y e r und dann nach Berlin, wo A. W. v. H o f m a n n lehrte. Hier promoviertc er 1890 mit einer Arbeit iiber den Salicylaldehyd bei T i e m a n 11, dem Hnt- decker des Ionons. Dann wurde er Privntassistent H o f m n n n s , und zwei Jahre spater staatlich angestellter Assistent im Chemi- when Institut in der GeorgenstraOe. Tm selben Jahre starb der Altmeister Hof m a n n , und von Wiirzburg kam Emil F i s c h e r nach Berlin. In einer empirischen Wissenschaft, wie der Chemie, spielt das Gluck eine groDe Rolle. Das ist keine Herabniinderung der Ver- dienste des Entschlafenen, denn auch Gliick will erst wahrgenommen werden. Als F i s c h e r an die erste Universitat Deutschliinds berufen wurde, wuBte er, daf3 er au! einen Posten kam, der Spitzenleistungen verlangte; er wuBte aber auch, daf3 ein Forscher in hohem Mafie von seinen Mitarbeitern abhangt. Er iibernahm H a r r i e s. War schon unter I1 o f m a n n ein echt wissenschafflicher Geist im Berliner Institut richtunggebend gewesen, so wurde dieser jetzt fruchtbar gemacht durch die Arbeitsenergie, die der noch junge Meister seinen Mitarbeitern einflofite. Der Assistent H a r r i e s brachte damals seine ersten guten Untersuchungen auf dem Gebiet der Phenylhydrazine und der ungesgttigten Ketone zustande. Unter- suchungen, die ihn die Methodik des organischen Arbeitens lehrten und ihm die Achtung der Kollegen eintrugen. Muhevolle, ergebnis- Angew. Chemle 1924. Nr. 9 reiche Arbeiten, die in der Aufflndung des Euphthalmins, des bekann- ten Mydriatikums, ihre schonste Frucht trugen. Und doch, der junge Assistent verlangte mehr von sich. 'Uberlegende, kritische Menschen sind meist gute Reobachter, nicht nur ihreni Arbeitsobjekt, auch ihrer Umwelt gegeniiber. Der Assi- steiit studierte den Charakter seines Meisters und dessen Arbeits- methode; er analysierte das Geheimnis des Erfolges und zog die Iconsequenz. Wie er sie zog, zeigt klar, daB er selbst einer war, der auf Erfolg rechnen durfte, ein werdender GroBer. Bei aller Kiihnheit in der Forschung kannte fi 1x1 i 1 F i s c h e r doch Grenzen. Gewiihnlich lehnte er die Untersuchung amorpher Stoffe ab. Gr sah ja noch so vide groBe I'robleme auf dem Gebiet der Kristalloid- chemie, Probleme, die an Bedeutung und Schwierigkeit nichts zu wiinschen ubrig lieBen. Seinem chemischen Feingefiihl aber kostete es Uberwindung, mit amorphen Sub- stamen zu arbeiten. Hier ging H a r r i e s weiter, denn die Stoffe der Natur sind meist nicht kristallisiert, er begann gerade deshalb sich mit amorphen Stoffen zu befassen. Sein Gliick und sein chemisches Gefuhl gaben ihm den Kautschuk in die Hand. Von die- sem Zeitpunkt an schlug er in der Wissen- schaft eigene Wege ein. Man kann ihn nicht einen Schiiler F i s c h e r s nennen. Im Wintersemester 1896-1897 habili- tierte er sich und las sein erstes Kolleg uber hydroaromatische Verbindungen und Ter- pene. 1900 wurde er Abteilungsvorsteher in dem neuen Institut in der Hessischen StraiJe. Bei der Einrichtung dieses Gebau- des stand er F i s c h e r in unermudlicher Arbeit zur Seite; unermiidlich in Plilnen und Verbesserungsvorschlagen. F i s c h e r stat- tete seinen Dank ab, indem er ihn zurn Generalsekretar fiir die Deutsche Chemische Abteilung der Weltausstellung in St. Louis 1904 vorschlug. Die Regierung willigte ein. Noch in seinen letzten Lebensjahren sprach H a r r i e s gern von der Bewunderung, die deutsche 'l'iichtigkeit. damals im Ausland errang. Im selben Jahre 1904 wurde H a r r i e s aufierordentlicher Pro- fessor und sofort bot ihm auch die Universitiit Kiel ein Ordinariat und die Stelle eines Institutsdirektors an. H a r r i e s folgte diesem ehrenden Ruf. Wie weit er in seinen Reruf hineingewachsen war, zeigen die Aufgaben, die er sich stellt. Die alten Arbeitsgebiete verlaflt er mehr und mehr. Die Untersuchung des Kautschuke riickt in den Vorder- grund, und auf Grund einer Erwagung und einer bestatigenden Beob- achtung die Einwirkung des Ozons auf ungeslttigte Verbindungen. Von allen seinen Arbeiten hielt Harries seine Unter- suchungen der Ozonide fiir die beste; und die weite Verbreitung dieser Methode zur Aufkllrung der Konstitution ungesattigter Ver- bindungen gibt ihm recht. Freilich verschwieg er sich nicht, daB die empfindlichen, durchweg arnorphen Produkte nur in den Haaden eines geschickten Experimentators den gewunschten Aulschluij geben. Wie wertvoll die Arbeitsweise aber sein konnte, bewies er durch die Darstellung und Spaltung vor allem .des Kautschukozonids und die Raffination von Rraunkohlenteerolen durch Ozon. A. W. v. H o f m a n n sagt einmal: ,,Die Geschichte eines Ge- lehrten ist das, was er lehrte". Die Peranlichkeit tritt zuriick, im Vordergrunn steht die Leistung. Jeder echte Forscher weiB das, und so sehr grabt sich die Wertvehatzung der Leistung seinem Cenken und Empfinden ein, daB sie auch seiner Lebensanschauung und seiner Lebensftihrung den Stempel aufdriickt. Fast konnte man sagen : Die Lebensphilosophie des Forschers ist Arbeitshypothesu. ,,Wie muO ich die Welt ansehen, damit fur meine Arbeit der gr6Bte Nutzen erwachst?" Hat nicht mancher Forscher vielleicht unbewudt so gedacht? H a r r i e s ist sich dariiber klar gewesen, daB unsere 9

Carl Dietrich Harries †

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Page 1: Carl Dietrich Harries †

105 - Zeitschrift fur angewandte - - . - - - - .- . - - - Chemie

- 37. Jahrgang S. 105-120 I lnhaltsverzeichnis Anzeigenteil S. V. I 28. Februar 1924, Nr. 9

Carl Dietrich Harries +. In der Nacht vom 2. zurn 3. November 1923 verschied an den

Folgen einer Darmoperation der Geheime Hegierungsrat Professor Dr. phil. und Dr.-lng. E. h. C a r l D i e t r i c h H a r r i e s i m Alter von 57 Jahren. Er starb zu einer Zeit, d3 die Hofliiung auf ein Wiederaufbluhen Deutschlands aufs tiefste gesunken war. Ilie Freunde und Bekannten des groi3en Gelehrten aissen, h i3 auch bei ihm die geistige Not der Zeit der Krankheit ihr Zerslorungswerk nur allzu sehr erleichtert hat. Zwar arbeitete er, wie jeder wahrhalt GroOe, im Rahmen einer Lebensanschauung, und \\oil1 helfen Er- wagungen der Vernunft gegenuber dem Leid, indem sie es ver- standlich machen und seinen EinfluB abgrenzen; aber die gefiihls- maBig erfaOte, rein instinktive Daseinsfreude hiingt nicht von Erwlgungen ab.

C a r l D i e t r i c h H a r r i e s war der Sohn des damaligen Amtsrichters, spateren Geheimen Justizrats Dr. jur. T h. H. H a r - r i e s und seiner Frau Mathilde geb. Gro- schuff. Geboren wurde er am 5. August 1866 in Luckenwalde, die Stadt aber, die ihm zur Heimat wurde, war Jena. In der alten Uni- versitatsstadt wuchs e r heran, hier besuchte er das Gymnasium, und hier bildete sich sein Charakter, der, soviel auch spatere Ein- driicke an ihm geformt und umgeformt haben, gewisse Grundziige beibehielt, die wohl aus jenen Tagen stammen mogen: ein feiner, verstehender Humor, Freude an studen- tischem Treiben, oflener Hlick fu? die ,Schiin- heit, in welcher Form sie sich bietet.

Tm Jalire 11386 begann er sein Studium zunachst in Jena. Er tastete erst vorsichtig. besuchte die verschiedensten Kollegs und entschloB sich dann endgiiltig, sich der Che- mie zu widmen.

Impulsivem Handeln war er abgeneigt, auch schon damals. Er iiberlegte, wog Grunde und Gegengrunde, blieb aber dann bei sei- nem EntschluB, fest und unbeeinfluBbar. Er wollte keinen Umweg gehen, und so lebte er nach Grundsatzen.

Uber der damaligen Zeit schweben die ,

Ideen N i e t z s c h e s; sie wurden ausschlaggebend fur seinen Werde- gang. Die Auffassung von der iiberragenden Bedeutung der Personlich- keit zwang ihn, PersGnlichkeiten zu suchen, und so muate e r Jena ver- lassen. Wohlverstanden, muBte, denn die Ethik der Lebensauffassung erhebt zum Oesetq was andere Beweggrunde nur als ratsam erscheinen lassen. Er ging nach Miinchen zu A d o 1 f v. B a e y e r und dann nach Berlin, wo A. W. v. H o f m a n n lehrte. Hier promoviertc er 1890 mit einer Arbeit iiber den Salicylaldehyd bei T i e m a n 11, dem Hnt- decker des Ionons. Dann wurde er Privntassistent H o f m n n n s , und zwei Jahre spater staatlich angestellter Assistent im Chemi- when Institut in der GeorgenstraOe.

Tm selben Jahre starb der Altmeister Hof m a n n , und von Wiirzburg kam Emil F i s c h e r nach Berlin.

In einer empirischen Wissenschaft, wie der Chemie, spielt das Gluck eine groDe Rolle. Das ist keine Herabniinderung der Ver- dienste des Entschlafenen, denn auch Gliick will erst wahrgenommen werden.

Als F i s c h e r an die erste Universitat Deutschliinds berufen wurde, wuBte er, daf3 er au! einen Posten kam, der Spitzenleistungen verlangte; er wuBte aber auch, daf3 ein Forscher in hohem Mafie von seinen Mitarbeitern abhangt. Er iibernahm H a r r i e s.

War schon unter I1 o f m a n n ein echt wissenschafflicher Geist im Berliner Institut richtunggebend gewesen, so wurde dieser jetzt fruchtbar gemacht durch die Arbeitsenergie, die der noch junge Meister seinen Mitarbeitern einflofite. Der Assistent H a r r i e s brachte damals seine ersten guten Untersuchungen auf dem Gebiet der Phenylhydrazine und der ungesgttigten Ketone zustande. Unter- suchungen, die ihn die Methodik des organischen Arbeitens lehrten und ihm die Achtung der Kollegen eintrugen. Muhevolle, ergebnis-

Angew. Chemle 1924. Nr. 9

reiche Arbeiten, die in der Aufflndung des Euphthalmins, des bekann- ten Mydriatikums, ihre schonste Frucht trugen. Und doch, der junge Assistent verlangte mehr von sich.

'Uberlegende, kritische Menschen sind meist gute Reobachter, nicht nur ihreni Arbeitsobjekt, auch ihrer Umwelt gegeniiber. Der Assi- steiit studierte den Charakter seines Meisters und dessen Arbeits- methode; er analysierte das Geheimnis des Erfolges und zog die Iconsequenz. Wie e r sie zog, zeigt klar, daB er selbst einer war, der auf Erfolg rechnen durfte, ein werdender GroBer.

Bei aller Kiihnheit in der Forschung kannte fi 1x1 i 1 F i s c h e r doch Grenzen. Gewiihnlich lehnte e r die Untersuchung amorpher

Stoffe ab. Gr sah ja noch so v i d e groBe I'robleme auf dem Gebiet der Kristalloid- chemie, Probleme, die an Bedeutung und Schwierigkeit nichts zu wiinschen ubrig lieBen. Seinem chemischen Feingefiihl aber kostete es Uberwindung, mit amorphen Sub- stamen zu arbeiten. Hier ging H a r r i e s weiter, denn die Stoffe der Natur sind meist nicht kristallisiert, er begann gerade deshalb sich mit amorphen Stoffen zu befassen. Sein Gliick und sein chemisches Gefuhl gaben ihm den Kautschuk in die Hand. Von die- sem Zeitpunkt an schlug er in der Wissen- schaft eigene Wege ein. Man kann ihn nicht einen Schiiler F i s c h e r s nennen.

Im Wintersemester 1896-1897 habili- tierte e r sich und las sein erstes Kolleg uber hydroaromatische Verbindungen und Ter- pene. 1900 wurde er Abteilungsvorsteher in dem neuen Institut in der Hessischen StraiJe. Bei der Einrichtung dieses Gebau- des stand er F i s c h e r in unermudlicher Arbeit zur Seite; unermiidlich in Plilnen und Verbesserungsvorschlagen. F i s c h e r stat- tete seinen Dank ab, indem er ihn zurn Generalsekretar fiir die Deutsche Chemische Abteilung der Weltausstellung in St. Louis 1904 vorschlug. Die Regierung willigte ein. Noch in seinen letzten Lebensjahren sprach H a r r i e s gern von der Bewunderung, die

deutsche 'l'iichtigkeit. damals im Ausland errang. Im selben Jahre 1904 wurde H a r r i e s aufierordentlicher Pro-

fessor und sofort bot ihm auch die Universitiit Kiel ein Ordinariat und die Stelle eines Institutsdirektors an. H a r r i e s folgte diesem ehrenden Ruf.

Wie weit er in seinen Reruf hineingewachsen war, zeigen die Aufgaben, die er sich stellt. Die alten Arbeitsgebiete verlaflt er mehr und mehr. Die Untersuchung des Kautschuke riickt in den Vorder- grund, und auf Grund einer Erwagung und einer bestatigenden Beob- achtung die Einwirkung des Ozons auf ungeslttigte Verbindungen.

Von allen seinen Arbeiten hielt H a r r i e s seine Unter- suchungen der Ozonide fiir die beste; und die weite Verbreitung dieser Methode zur Aufkllrung der Konstitution ungesattigter Ver- bindungen gibt ihm recht. Freilich verschwieg er sich nicht, daB die empfindlichen, durchweg arnorphen Produkte nur in den Haaden eines geschickten Experimentators den gewunschten Aulschluij geben. Wie wertvoll die Arbeitsweise aber sein konnte, bewies er durch die Darstellung und Spaltung vor allem .des Kautschukozonids und die Raffination von Rraunkohlenteerolen durch Ozon.

A. W. v. H o f m a n n sagt einmal: ,,Die Geschichte eines Ge- lehrten ist das, was er lehrte". Die Peranlichkeit tritt zuriick, im Vordergrunn steht die Leistung. Jeder echte Forscher weiB das, und so sehr grabt sich die Wertvehatzung der Leistung seinem Cenken und Empfinden ein, daB sie auch seiner Lebensanschauung und seiner Lebensftihrung den Stempel aufdriickt. Fast konnte man sagen : Die Lebensphilosophie des Forschers ist Arbeitshypothesu. ,,Wie muO ich die Welt ansehen, damit fur meine Arbeit der gr6Bte Nutzen erwachst?" Hat nicht mancher Forscher vielleicht unbewudt so gedacht? H a r r i e s ist sich dariiber klar gewesen, daB unsere

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Page 2: Carl Dietrich Harries †

[ Zoitschrl?t fur sncrwsnndte Chrmie Evers: C. D. Harries' Arbeiten aus verschiedenen Qebieten -~ 106

Lebensanschauung beeinflufit wird von dem, was der einzelne als Lebenswerte ansieht und ihm, dem- Forscher, war die experimen- telle Ausgestaltung seiner Ideen Lebenswert. In spiiteren Jahren ltam er zu der Erkenntnis, dni3 die wissenschaftliche Leistung am besten gefordert wird dort, wo sie praktisch verwertet wird, in der lndustrie. Im rnteresse. seiner Arbeit ging e r 1916 zur Industrie.

Im Jahre 1699 hatte er sich mit 11 e r t a v. S i e m e n s verheiratet, der Frau, der F i s c l i e r in seinen Memoiren so ehrende Worte widmet, und war durch sie mit der Firma S i e m e n s in Beziehung getreten. Geheimrat W i l h e l m v. S i e m e n s , der Leiter der Firma, hatte sich dann darum bemiiht, ihn als wissenschafllichen Mitarbeiter zu gewinnen. Im Jahre 1916 gelang ihm das, obwohl gerade zu dieser Zcit ein Ruf der Universitiit Gottingen an ihn er- ging. H a r r i e s trat in den Aufsichtsrat von Siemens & Iialske und 1917 in den ron Siemens-Schuckcrt ein als Delegierter fur wissenschaftlich-technische Forschungsnrbeiten. Die reicheren Mittel und die groBere Zahl geschulter Mitarbeiter ermoglichten es ihm, seine Forschungen auf breiterer Basis zu grunden. In dem nach modernsten Gesichtspunkten erbauten und eingerichteten Forschungs- laboratorium fand er eine Arbeitsstatte, die den verwohntesten An- spriichen geniigte. IJnd an Problemen fehlte es nicht. Zu den alten, deren Bereich sich immer mehr erweitert hatte, Kautschuk, Gutta- perrha, Braunkohlenteer traten die Harze. Physikalische und elektro- chemische Fragen tauchten auf, Fragen der anorganischen Chemie. Fragen von weittragender praktischer Bedeutung, die wissenschaft- lich studiert werden muUten. Er hatte ein Betatigungsfeld gefunden, das sich auf fast alle Zweige chemischen Denkens erstreckte. Da schnitt der Tod plolzlicli alle Probleme a b und machte sie fur ihii belanglos. In der Nacht vom 2. zum 3. November starb er.

Der Name C a r 1 D i e t r i c h H a r r i e s ist in weite Kreise ge- drungen. Seine Forschungsresultate und ihre sorgsam durchdachte Veroffentlichung machten ihn so popular, wie ein Gelehrter werden kann auf einem Gebiet, dessen Gedanken keine Alltagsgedanken sind, und dessen Sprache nicht die Sprache des Alltags ist. Seine Fachgenossen ehrten ihn durch die Verleihung der goldenen Liebig- denkmunze im Jahre 1912 und durch die Ernennung zum Prasidenten tler Deutschen chemischen Gesellschaft 1920.

Jede Arbeit, auch die des Gelehrten, hat nach dem ungliick- lichen Ausgang des Krieges ein mornlisches Gepriige erhalten. Jeder Handelnde triigt Verantwortung. H a r r i e s ' Lebensarbeitstandunter dieser Uberlegung. ,,Es ist ein Kriterium echter Moral, daI3 sie nicht nach Lohn verlangt", sagt Rant, ,,trotzdem stellt sie ihre For- derungen kategorisch." Und doch, unser menschliches Empfinden mochte es einen Undank nennen, einen Undank des Schicksals, daB geradc in dieser Zeit ein Leben zu Ende ging, das der Arbeit qe- widmet war. einer Arbeit, deren Fruchte auch die ernten, die Schuld an unserer Not sind. Der Vernunft ist das allea klar, aber das Ge- fuhl vermiat den Ausgleich. Dr. W e r n e r N a g e l .

C. D. Harries' Arbeiten aus verschiedenen Gebieten.

Von Dr. FRITZ EVERS, Siemensetadt. Wer sich naher mit H a r r i e s ' Arbeiten befafit, der erkennt

leicht, wie sich H a r r i e s aus einem Lernenden zu einem Lehrenden. vom noch etwas unsicher tastenden Assistenten zum zielbewuflten Forscher entwickelt hat. 1)as erste Jahrzehnt seines chemischen Arbeitens ist im wesentlichen mit deni nusgefullt, von dem in den nachstehenden Zeilen die Rede sein wird, von den ungesattigten Ke- tonen. Systematisch erforscht er sie und kommt zu den Resultaten, die ihm spl ter notwendig waren, als er den zweiten Teil seiner Forscherlaufbahn betreten hatte; sie werden an anderer. Stelle dieses Heftes abgehandelt.

-1m Jahre 1890 hatte H a r r i e s unter T i e m a n n s Leitung seine Doktorarbeit iiber die Reduktion des Salicy1:ildehyds und die Synthese des Methyl-o-cumarketons nus Salicylaldehyd und Aceton beendet. Die zweite der .beiden Arbeiten gab den Grundstock a b fiir eine Reihe weiterer Arbeiten uber Reduktion von ungesiittigten Ketonen, sowie iiber Kondensationsreaktionen.

Aus dem Methyl-o-cumarketon, wie H a r r i e s AA das Methyl-o-oxycinnamylketon nannte, hatte er

HC ' CH durch Reduktion mit Natriuniamalgam das gegt - HC cH tigte Keton CBHI(OH) .CII,.CH,.CO.C€I, gewonnen. \A/ Durch weitere Reduktion mit Zink und Salzsiiure

CH 0 fuhrte er es in ein Derivat des Cumarans iiber. Die analogen Reduktionen beim Propyl- und Phenyl-o-cumarketoti

erhirteten die Existenz dieser neuen Klasse von Verbindungen. D u n 3 weitere Anwendung der Reduktionsmethode beim T3enzylidenacetoli

CH CH,

I II II

erkannte H IT r i e s die Bildung eines zweiten Heduktionsproduktes von doppelter MolekulargroUe nebeu Renzylaceton. Die Reduktioii verlauft nach folgendem Schema:

CeH, * CH,. CHg * CO . CH,

C,H,.CH = CH.C0.CH3 A C,H, CH CH, CO - C A,

\ c,H, - LH. cH, co . CH, Der Reweis der Konstitution des dimolekularen Reduktionspro-

duktes als eines 4,5Diphenyl-octan-2,7-dions liei3 sich crbringen durch weitere Reduktion iiber ein inneres Pinakon zum Kohlenwasserstoff,

CeHh-CH- CH,-C(OH)-CH,

C,,H,-CH-CH,-C(OH)-CH, I I

der rnit Salpetersaure in Dinitrobenzil uberging. hlit Natriumathylat kondensiert sich das Octan-dion zu einem Cyclopentenderivat. Be- wiesen wurde dieser Obergang bei dem dimolekularen Reduktions- produkt des Mesityloxyds. Das Oxim diescs entsprechenden Cyclopen- tenderivats erfahrt schon beim Kochen mit verdunnten Sauren eine B e c k m n n n sche Umlagerung und geht in Pentamelhylcyclopentenol, Essigsiiure und Ammoniak iiber. Beim moron, Furfuralaceton und

(CHA: C-CHP I \

// C-CH,

(CH,),: C-C-C-CH,

NOH I I

Benzylidenacetophenon fanden sich dieselben Erscheinungen bei der Reduktion wieder, und H a r r i e s konnte allgemein iiber die Re- duktion a-p-ungedttigter Ketone aussagen, daf3 bei gemlfligter Wasserstoffzufuhr gedttigte Ketone neben dimolekularen 1,6-Di- ketonen auftreten. Bestatigt fnnd er diese Regel in der hydroaroma- tischen Reihe, wo er Carvon fiber Dicar- velon, Dicarvelol in den Kohlenwasser- co stoff Biscarven iiberfuhren konnte. /\

HpC CH, I I

( C H M C(CH*)* \/

Wie gegen Wasserstoff erwies s i b die Doppelbindung in a-@-Stellung zur Keto- gruppe auch gegen Hydroxylamin als re- aktionsfiihig. So lagert Phoron, je nach NOH den Reaktionsbedingungen, entweder e h oder zwei Molekiile Hydroxylamin a n unter Bildung von Triaceton- hydroxylamin oder Dihydroxylamin-triaceton.

(CH,),C-CH,-CO-CH*-C(CH,), I I

NH-OH NH-OH Durch Reduktion geht das letztgenannte Produkt in ein Diamin

uber, das Triacetondiamin, das schon von €I e i n t z dargestellt worden war. Quecksilberoxyd verwandelt es in den Di-Nitrosokorper. Diese Oxydation ist charakteristisch fur Hydroxylaniinreste, die a n ter- tiaren Kohlenstoffatomen sitzen. So wird auch das Diacetonhydroxyl- amin leicht in das Nitrosoisopropylaceton abergefuhrt. Die meisten der so gewonnenen Nitrosokorper existieren in zwei Modifikationen, einer monomeren blauen und einer weii3en dimeren Form.

Abweichend von den aliphatischen Ketonen reagieren die cyclischen Ketone. Steht die Doppelbindung im Kern in a-p-Stellung zur Ketogruppe, so erhielt H a r r i e s bei Einwirkung von zwei

C-CH, HC*CH3 /\

H0.N = C CH-NH-OH I I

A OC CH

I 1 -* HgC CH, %C CA.2 \/ ,CH3 \/ CH3

C-c, c-c' H \CH, H \CH,

I H * C- CH. H.C*CH,

/\ - 1 1 HgC CH,

A HgC CH,

I I H,C CO H,C CO NH*OH

Molckulen Hydroxylamin ,Oxaminoxime, die mit verdunnter Schwefel- saure die Oxime der ungeettigten Ketone ergeben (I).

Steht die Doppelbindung dagegen in der Seitenkette, so rea- gieren sie wie aliphatische Ketone unter Anlagerung von einem Mol Hydroxylamin ohne Oximbildung (11).