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Carl Severing Severing (August 1928) Carl Wilhelm Severing (* 1. Juni 1875 in Herford;† 23. Juli 1952 in Bielefeld) war ein sozialdemokratischer Politiker. Er galt als Vertreter des rechten Parteiflügels. Über Jahr- zehnte kam ihm im Parteibezirk Ostwestfalen und Lippe eine Führungsrolle zu. Severing agierte als Mitglied des Reichstages während des Deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Eine überregional bedeuten- de Rolle spielte er erstmals 1919/20 als Reichs- und Staatskommissar im Ruhrgebiet. Von 1920 bis 1926 trieb er im Freistaat Preußen als In- nenminister die Demokratisierungspolitik von Verwal- tung und Polizei entscheidend voran. Im zweiten Kabi- nett von Hermann Müller bekleidete Severing von 1928 bis 1930 das Amt des Reichsinnenministers. In der End- phase der Republik war er von 1930 bis 1932 noch einmal preußischer Innenminister. Während der Zeit des Nationalsozialismus lebte er als Pensionär in Bielefeld. Nach Kriegsende betätigte sich Severing erneut politisch. Er war unter anderem Vorsit- zender der SPD in Ostwestfalen-Lippe und Landespoliti- ker in Nordrhein-Westfalen. 1 Leben und Wirken in der Zeit des Kaiserreichs 1.1 Herkunft und erste politische Erfah- rungen Blick auf Bielefeld um 1895 Severing stammte aus einer Arbeiterfamilie aus Herford, die in beengten Verhältnissen lebte. Sein Vater Bernhard arbeitete als Zigarrensortierer, seine Mutter Johanna war Näherin. Die Familie war protestantisch. Sie geriet in Not, als der Vater psychisch erkrankte. Carl und ein Halb- bruder mussten der Mutter beim Sortieren der Zigarren helfen, eine Tätigkeit, die in Heimarbeit verrichtet wur- de. Ein Pfarrer bot an, die Finanzierung des Besuchs einer höheren Schule zu organisieren. Er schlug vor, Carl solle später selbst Pfarrer werden. Dieses Angebot lehnte Carl jedoch ab, er wollte Musiker werden. Dies erwies sich jedoch als nicht finanzierbar. [1] So begann Severing nach dem Besuch der Volksschule eine Schlosserlehre, die er 1892 abschloss. Politik spielte in der Familie keine Rolle, dennoch zeig- te Carl bereits früh Interesse an der sozialistischen Arbeiterbewegung. Ein Kollege machte ihn mit ihren Zielen vertraut. Unmittelbar nach seiner Gesellenprü- fung schloss Severing sich dem freigewerkschaftlichen Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) an. Innerhalb der Organisation übernahm er bald erste Positionen. So war er Schriftführer und wurde 1893 bereits als Vertre- ter des DMV ins örtliche Gewerkschaftskartell gewählt. 1

Carl Severing

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ein sozialdemokratischer Politiker.Er galt als Vertreter des rechten Parteiflügels. Über Jahrzehnte kam ihm im Parteibezirk Ostwestfalen und Lippe eine Führungsrolle zu. Severing agierte als Mitglied des Reichstages während des Deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Eine überregional bedeutende Rolle spielte er erstmals 1919/20 als Reichs- und Staatskommissar im Ruhrgebiet.

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  • Carl Severing

    Severing (August 1928)

    Carl Wilhelm Severing (* 1. Juni 1875 in Herford; 23. Juli 1952 in Bielefeld) war ein sozialdemokratischerPolitiker.Er galt als Vertreter des rechten Parteigels. ber Jahr-zehnte kam ihm im Parteibezirk Ostwestfalen und Lippeeine Fhrungsrolle zu. Severing agierte als Mitglied desReichstages whrend des Deutschen Kaiserreichs undder Weimarer Republik. Eine berregional bedeuten-de Rolle spielte er erstmals 1919/20 als Reichs- undStaatskommissar im Ruhrgebiet.Von 1920 bis 1926 trieb er im Freistaat Preuen als In-nenminister die Demokratisierungspolitik von Verwal-tung und Polizei entscheidend voran. Im zweiten Kabi-nett von Hermann Mller bekleidete Severing von 1928bis 1930 das Amt des Reichsinnenministers. In der End-phase der Republik war er von 1930 bis 1932 noch einmalpreuischer Innenminister.Whrend der Zeit des Nationalsozialismus lebte er alsPensionr in Bielefeld. Nach Kriegsende bettigte sichSevering erneut politisch. Er war unter anderem Vorsit-

    zender der SPD in Ostwestfalen-Lippe und Landespoliti-ker in Nordrhein-Westfalen.

    1 Leben undWirken in der Zeit desKaiserreichs

    1.1 Herkunft und erste politische Erfah-rungen

    Blick auf Bielefeld um 1895

    Severing stammte aus einer Arbeiterfamilie aus Herford,die in beengten Verhltnissen lebte. Sein Vater Bernhardarbeitete als Zigarrensortierer, seine Mutter Johanna warNherin. Die Familie war protestantisch. Sie geriet inNot, als der Vater psychisch erkrankte. Carl und ein Halb-bruder mussten der Mutter beim Sortieren der Zigarrenhelfen, eine Ttigkeit, die in Heimarbeit verrichtet wur-de. Ein Pfarrer bot an, die Finanzierung des Besuchs einerhheren Schule zu organisieren. Er schlug vor, Carl sollespter selbst Pfarrer werden. Dieses Angebot lehnte Carljedoch ab, er wollte Musiker werden. Dies erwies sichjedoch als nicht nanzierbar.[1] So begann Severing nachdem Besuch der Volksschule eine Schlosserlehre, die er1892 abschloss.Politik spielte in der Familie keine Rolle, dennoch zeig-te Carl bereits frh Interesse an der sozialistischenArbeiterbewegung. Ein Kollege machte ihn mit ihrenZielen vertraut. Unmittelbar nach seiner Gesellenpr-fung schloss Severing sich dem freigewerkschaftlichenDeutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) an. Innerhalbder Organisation bernahm er bald erste Positionen. Sowar er Schriftfhrer und wurde 1893 bereits als Vertre-ter des DMV ins rtliche Gewerkschaftskartell gewhlt.

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  • 2 1 LEBEN UND WIRKEN IN DER ZEIT DES KAISERREICHS

    Im gleichen Jahr trat Severing fr die Grndung einessozialdemokratischen Lokalvereins in Herford ein. Die-se Grndung war allerdings nicht von langer Dauer, undSevering sah sich gezwungen, 1894 zusammen mit ei-nigen anderen einen zweiten Versuch zu wagen. Bereitszu dieser Zeit bettigte sich Severing als Korrespondentund Ansprechpartner der sozialdemokratischen ZeitungVolkswacht aus dem benachbarten Bielefeld. Dabei lern-te er mit Carl Homann und Carl Schreck die damalsfhrenden Sozialdemokraten Bielefelds kennen, mit de-nen ihn spter ein besonderes Vertrauens- und Arbeits-verhltnis verband.Als Grnde fr seinen Engagement in der Arbeiterbe-wegung gab er spter an: Die Beweggrnde, die michzum Anschluss an die Gewerkschaft, zum Eintritt in diesozialdemokratische Partei bestimmt haben () warenmehr vomGefhl, vomWillen zur Freiheit und zumwirt-schaftlichen Aufstieg als von wissenschaftlicher Erkennt-nis eingegeben.[2]

    Im Jahr 1894 verlie Severing Herford und zog nach Bie-lefeld. Dort gab er seine Beschftigung im Handwerk aufund wechselte in die Industrie. Er fand eine Anstellungbei den Drkopp-Werken. Auch in Bielefeld engagierteer sich in Partei und Gewerkschaft. Im Jahr 1896 spielteer eine fhrende Rolle bei einem gescheiterten Streik be-ziehungsweise einer Aussperrung bei Drkopp. Aus die-sem Grund verlor er seinen Arbeitsplatz.

    Deutsche Sozialdemokraten in der Schweiz (Severing bendetsich in der hinteren Reihe, der zweite neben dem Schild)

    1.2 Die Jahre in der SchweizNach dem Arbeitsplatzverlust wanderte Severing sd-wrts und kam 1895 nach verschiedenen Stationennach Zrich. Dort arbeitete er als Facharbeiter in ei-ner Metallwarenfabrik und engagierte sich fr denSchweizerischen Metallarbeiterverband, der fr zugewan-derte deutsche Arbeitskrfte eigenstndige Teilorganisa-tionen besa. Ebenso fand er Anschluss an den Ortsaus-schuss deutscher Sozialdemokraten und im deutschen

    Arbeiterbildungsverein Eintracht. In den verschiede-nen Vereinen etablierte sich Severing in kurzer Zeit alseine fhrende Persnlichkeit. In den Schweizer Jahrenwurden Severings politische Ansichten deutlich radika-ler. Seine Kritik an der Politik der Sozialdemokratie fhr-te dazu, dass er seine Funktionen im Arbeiterbildungs-verein niederlegte.[3] In seinen Reden sprach er nun hu-g von der Weltrevolution und nicht mehr nur von derVerbesserung der politischen und sozialen Lage der Ar-beiter. Aus der Ferne beobachtete er kritisch, dass sichin der SPD Ostwestfalens ein ausgeprgt pragmatischerKurs durchsetzte und man sogar berlegte, an den wegendes Dreiklassenwahlrechts verpnten preuischen Land-tagswahlen teilzunehmen. Im Jahr 1898 verlie er dieSchweiz wieder und kehrte nach Bielefeld zurck.

    1.3 Aufstieg in der Bielefelder Arbeiterbe-wegung

    Nach der Rckkehr aus der Schweiz heiratete Severingeine entfernte Verwandte (Emma Wilhelmine Twelker),die von ihm ein Kind erwartete. Aus der Ehe gingenzwei Kinder hervor. Das Verhltnis der Ehepartner zu-einander entsprach den damaligen, eher kleinbrgerlich-patriarchalischen Verhaltensweisen. Die Frau blieb alsHausfrau ganz auf die Familie verwiesen. Severings tra-ditionelles Rollenverstndnis von Mann und Frau zeigtesich beispielsweise beim Studienbeginn seiner Tochter:Er erlaubte ihr zwar die Aufnahme eines Medizinstudi-ums, meinte aber, sie wrde ohnehin nach ein paar Se-mestern aufgeben und heiraten.[4]

    Maifeier 1905 in Bielefeld

    Unmittelbar nach der Rckkehr engagierte er sich wie-der in der regionalen Arbeiterbewegung.[5] Vor den Bie-lefelder Sozialdemokraten hielt er 1899 einen ersten Vor-trag, der sich mit der mangelhaften Volksschulbildungauseinandersetzte. Dagegen propagierte er Selbstbildungund Untersttzung durch sozialdemokratisch orientierteOrganisationen. Lebendige Bildungsveranstaltungen ht-ten zudem mehr Anziehungskraft als trockene politische

  • 1.4 Politik seit 1903 3

    Vortrge.[6] Mit seinen damals radikalen Ansichten blieber innerparteilich weitgehend isoliert. So gelang es ihmnicht, den Bezirk Ostwestfalen zu einer Verurteilung derRevisionisten um Eduard Bernstein zu bewegen.Auf Grund des mangelnden Rckhalts in der Partei ver-lagerte sich der Schwerpunkt von Severings Ttigkeit aufdie Gewerkschaftsarbeit. In diesem Bereich stieg er raschauf und wurde 1901 Geschftsfhrer des Ortsverban-des des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes. Zu diesemZeitpunkt hatte die rtliche Gewerkschaft lediglich etwa1300 Mitglieder, dies entsprach einem Organisationsgradvon etwa 30 %. In Severings Amtszeit nahm die Mit-gliederzahl um das sechsfache zu, dies war deutlich h-her als der Anstieg auf Reichsebene. Bereits 1906 lagder Organisationsgrad bei 75 %. Zu seinem Erfolg trugdie Einfhrung eines Vertrauensmnnersystems bei. Die-ses System garantierte die Nhe zu den Sorgen und N-ten der Mitglieder. Severings Basisnhe war ein Grundfr seine Beliebtheit bei den Bielefelder Arbeitern. Erging bei seinen Agitationsmanahmen auch damals un-gewohnte Wege. Werbewirksam erwies sich etwa ein vonihm zum zehnjhrigen Jubilum organisiertes Orchester-konzert, das 2000 Besucher anlockte.[7]

    Von seiner Basis in der Metallarbeiterbewegung ausge-hend dehnte Severing seinen Einussbereich gegen hef-tigen Widerstand anderer Verbnde auf die gesamte Ge-werkschaftsorganisation in Bielefeld aus. Sptestens imJahr 1906 war er die zentrale Person in der Arbeiterbe-wegung der Stadt. In den Jahren 1906 und 1910 erreichteSevering ohne Streik Erfolge fr die Arbeiter. Erst 1911kam es zu einer greren Arbeitsniederlegung, die eben-falls erfolgreich verlief. Im Jahr 1912 gab er seinen Postenim DMV auf.In den Jahren vorwiegend gewerkschaftlicher Ttigkeitwandelte sich Severings politische Auassung deutlich.Revolutionre Positionen wurden abgelst von einemausgeprgten Pragmatismus, der innerparteilich nicht sel-ten als rechts galt. Sein Ziel war nicht mehr die Dikta-tur des Proletariats, sondern die Integration der Arbeiterin die Gesellschaft. Insofern nherte er sich den einst be-kmpften revisionistischen Positionen an.Severings Position in kulturellen Fragen war durchaus ty-pisch fr die Arbeiterbewegung des Kaiserreichs. Einer-seits wurde die brgerliche Kultur kritisiert, andererseitsorientierte man sich letztlich doch an ihr. Fr Severingwar die Bildung der deutschen Kultur im Kern mit derKlassik abgeschlossen. Gotthold Ephraim Lessing ht-te den Umbau der Kuppel geformt, whrend JohannWolfgang von Goethe darber die Kuppel wlbte.[8]Severing selber hat zeit seines Lebens Gedichte verfasst.Sie wurden in der Volkswacht und nach dem ZweitenWeltkrieg in der Freien Presse abgedruckt. Im Jahr1905 bildetenMnner und Frauen aus dem gewerkschaft-lichen und sozialdemokratischen Umfeld unter seinerFederfhrung die Theaterbesuchergemeinschaft FreieVolksbhne Bielefeld. Sie war die zweite Organisation

    ihrer Art in Deutschland. Mit ihrer Mitgliedschaft erwar-ben die Arbeiter ein Abonnement, das ihnen ermglich-te, kostengnstig Theater- oder Konzertauhrungen zubesuchen. Dieser Organisation blieb Severing verbundenund gehrte 1947 als ein Mann der ersten Stunde zuden Wiederbegrndern der Volksbhne.[9]

    1.4 Politik seit 1903

    Severings Einuss auf die Bielefelder Arbeiterbewegungberuhte whrend des Kaiserreichs vor allem auf seinemgewerkschaftlichen Erfolg. Durch die Vergewerkschaf-tung der Partei (Karl Ditt)[10] war sein indirekter Ein-uss ber enge Mitarbeiter auf die Partei gro genug, umselbst auf leitende Positionen in ihr verzichten zu knnen.Wichtiger war ihm die allgemeine parlamentarische Mit-sprachemglichkeit. Das erste Mal kandidierte er bereits1903 fr ein Reichstagsmandat, diesmal noch an aus-sichtsloser Stelle, auch wenn es zu einer starken Steige-rung sozialdemokratischer Stimmen gekommen war. Se-vering war von 1905 bis 1924 Stadtverordneter in Biele-feld. Die dritte Abteilung der Stadtverordnetenversamm-lung wurde seither von den Sozialdemokraten beherrscht.Innerhalb der Fraktion bernahm Severing rasch Fh-rungsfunktionen. Die bisher eher ruhige Versammlungvon Honoratioren wurde seither deutlich politischer, daSevering dort oen die Missstnde in der Stadt an-sprach. Von der brgerlichen Presse wurde SeveringsRolle durchaus gewrdigt: Er ist vielleicht die interes-santeste Erscheinung der Bielefelder Sozialdemokratieberhaupt. Ungemein eiig, ungemein belesen, hat erdem Metallarbeiterverband den Stempel des Individuel-len aufgedrckt. Als Redner verbindet er Schrfe mit Be-geisterung. Dem Manne folgen die Massen.[11]

    Bei der Reichstagswahl von 1907 wurde er im Wahl-kreis Minden 3 (Bielefeld - Wiedenbrck) in einemStichwahlentscheid mit Hilfe der Stimmen der Zentrums-whler mit 2000 Stimmen Vorsprung gegen den natio-nalliberalen Kandidaten, den Staatsminister von Mller,erstmals in den Reichstag des Kaiserreiches gewhlt.[12]Sein Erfolg kontrastierte mit dem Reichstrend: Die Sozi-aldemokraten verloren reichsweit bei diesen sogenanntenHottentottenwahlen, als Reichsfeinde gebrandmarkt,erheblich an Whlern und Mandaten.Mit diesem Sieg stieg nicht nur das Ansehen der Biele-felder Sozialdemokraten in der Gesamtpartei erheblich,auch Severing selbst rckte in den engeren Kreis der Ent-scheidungstrger auf. Innerhalb der Reichstagsfraktionwar er der jngste Abgeordnete. Angesichts seiner ge-werkschaftlichen Vergangenheit und seiner mittlerweilereformistischen Grundeinstellung schloss er sich Parla-mentariern an, die ebenfalls aus der Gewerkschaftsbewe-gung kamen. Dazu gehrten etwa Carl Legien oder OttoHue, spter stand er auch in Kontakt mit Sozialdemo-kraten, die ber einen brgerlichen Hintergrund verfg-ten, wie Eduard David, Wolfgang Heine und insbeson-

  • 4 2 ERSTER WELTKRIEG

    karikierende Postkarte der brgerlichen Parteien zur Wahl vonSevering in den Reichstag

    dere Ludwig Frank. Innerhalb der Fraktion entwickeltesich Severing zu einem gefragten Debattenredner im Ple-num und einem sachkundigen Mitglied zahlreicher Aus-schsse. Dabei lag ein Schwerpunkt seiner Ttigkeit aufder Sozialpolitik. In diese Zeit fllt auch der Beginn re-gelmiger Verentlichungen im Theorieorgan der Re-visionisten, den Sozialistischen Monatsheften. Danebenschrieb er regelmig fr die Bielefelder Volkswacht berseine Berliner Ttigkeit oder auch ber seine Teilnah-me an internationalen Kongressen der Metallarbeiter inBrssel (1907) und Birmingham (1907). Auch am Inter-nationalen Arbeiter- und Sozialistenkongress (1910) so-wie am Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart(1907) hatte Severing teilgenommen.[13]

    Severing wurde einer breiten entlichkeit bekannt, alser 1910 in einer Reichstagsrede Unregelmigkeiten aufden kaiserlichen Werften in Kiel und Danzig publikmachte und einen gegenteiligen Bericht einer Marinezei-tung als erlogen bezeichnete. Nach tumultartigen Szenenreagierte er auf einen Ordnungsruf des Reichstagsprsi-denten mit den Worten: Herr Prsident, ich meine, eineRatte ist eine Ratte, und ein Lgner ist ein Lgner.[14]

    Der Wahlkampf von 1912 wurde der bislang schrfsteund polemischste im Wahlkreis Bielefeld-Wiedenbrck.Alle Seiten betrachteten ihn als eine Prestigeangelegen-heit. Der Gegenkandidat von Severing war Arthur vonPosadowsky-Wehner. Dieser Konservative hatte bis 1907weitgehend die Innen- und Sozialpolitik des Reiches be-stimmt und trat als gemeinsamer Kandidat von Zentrum,

    Nationalliberalen und Konservativen an. Whrend beideKandidaten im erstenWahlgang noch gleichauf lagen, ge-wann Posadowsky die Stichwahl, da die Basis der linksli-beralen Fortschrittspartei entgegen demVotum ihrer Par-teifhrung nicht fr Severing stimmte.Der Verlust des Reichstagsmandats bedeutete nicht, dassSevering seinen Einuss in der Partei verlor. Er bliebvielmehr einer der einussreichsten Provinzfrsten undspielte eine wichtige Rolle im sogenannten Partei-ausschuss, einem Gremium, das neben Vorstand undReichstagsfraktion den Einuss der Bezirke auf die Ge-samtpartei vertreten sollte.Ebenfalls im Jahr 1912 gab Severing seine Position beimDMV auf. Hinter den Kulissen agierte er zwar immernoch als starker Mann der Bielefelder Gewerkschaftsbe-wegung, suchte aber zugleich neue Aufgaben jenseits dergewerkschaftlichen Kleinarbeit. Von 1912 bis 1919 warer Redakteur und faktischer Leiter der sozialdemokrati-schen Volkswacht in Bielefeld.

    2 Erster Weltkrieg

    2.1 Kriegsbefrworter

    Kurz vor Beginn des ErstenWeltkrieges fand auch in Bie-lefeld eine groe Antikriegsdemonstration statt. Bereitsdort sprach Severing sich schon vorsichtig fr die sozi-aldemokratische Untersttzung eines als Verteidigungs-krieg gedeuteten Koniktes aus. Am 1. August 1914wurde er deutlicher: Sind aber die Wrfel gefallen,dann gibt es auch fr die Sozialdemokratie nur ein Ziel:das deutsche Volk mit allen Mitteln gegen machthung-rige Ansprche des Friedenszaren zu schtzen. Undnach Kriegsbeginn am 4. August schrieb er Inter ar-ma silent leges! () Der Krieg ist da und wir habenuns zu wehren.[15] Zur Legitimation der Bewilligungder Kriegskredite gri Severing auf uerungen vonFerdinand Lassalle und August Bebel zurck. Dass er wieLudwig Frank in der Kriegspolitik ein Mittel sah, um diegesellschaftliche Gleichberechtigung der Arbeiter undlngst berfllige Reformen durchzusetzen, ist wegen sei-ner Nhe zu Frank und Wilhelm Keil wahrscheinlich.[16]

    Auf der Linie der Kriegsbefrworter blieb er auch in denfolgenden Jahren und gri den Kriegsgegner Karl Lieb-knecht 1916 mit teils falschen und polemischen Anschul-digungen an. Im Parteiausschuss sprach Severing 1915Hugo Haase sogar das Recht ab, seine kritische Haltungzu uern.[17]

    Severing gelang es, gesttzt auf die regionale sozialde-mokratische Presse, die SPD Bielefeld-Wiedenbrck aufden Kurs der Parteimehrheit um Friedrich Ebert einzu-schwren. Als im Januar 1917 die Trennung der Partei-mehrheit von den Kritikern bevorstand, war Severing ei-ner der entschiedensten Verfechter eines klaren Schnitts:Alle diese gutgemeinten Reden seit zwei Jahren ndern

  • 5nichts an der Tatsache, dass wir uns ausen, wenn wirheute nicht die letzten Reste zusammenhalten.[18]

    Whrend in anderen Teilen Rheinland undWestfalens dieneue USPD eine bedeutende und teils dominierende Rol-le spielte, konnte sie in Ostwestfalen kaum Fu fassen.[19]

    2.2 Burgfriedenspolitik

    Die Burgfriedenspolitik der Bielefelder SPD fhrte da-zu, dass die Anhnger der Partei auf kommunaler Ebe-ne anerkannt wurden. Severing selbst wurde Deputierterder Schulkommission. Wichtiger noch war, dass Seve-ring in einen informellen Gesprchskreis Bielefelder Ho-noratioren um Albert Bozi aufgenommen wurde, in demim Vorfeld kommunalpolitischer Entscheidungen wich-tige Probleme besprochen, aber auch Konzepte fr dieNachkriegszeit entwickelt wurden. So gab Bozi zusam-men mit dem sozialdemokratischen Anwalt Hugo Hei-nemann einWerk mit dem Titel: Recht, Verwaltung undPolitik im neuen Deutschland heraus, in dem auch Bei-trge von Severing erschienen. Aus diesem Kreis gingwhrend der Revolution von 1918 ein sozialpolitischerArbeitskreis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern her-vor. Diesem Gremium ging es darum, Konikte ohneStreiks mglichst im Vorfeld zu verhindern. Der VersuchSeverings, dieses Bielefelder Beispiel auf andere Stdtezu bertragen, hatte allerdings keinen Erfolg.Severing wurde whrend des Krieges zu einem gleich-berechtigten Teil des bislang ausschlielich brgerlichgeprgten Bielefelder Establishments. Gemeinsam mitBrgerlichen rief er noch 1917 zur Zeichnung vonKriegsanleihen auf.[20]

    2.3 Wahlrechtskampagne, Friedensreso-lution und Kriegsende

    Whrend fr Severing auf kommunaler Ebene die Burg-friedenspolitik insgesamt erfolgreich war, brachte sie aufReichsebene nur langsam Vernderungen zu Gunsten derArbeiter mit sich. Dies gilt etwa fr die Abschaungdes Dreiklassenwahlrechts in Preuen. Nach der Oster-botschaft Wilhelm II. vom April 1917 brachte die SPD-Fraktion in der Bielefelder Stadtverordnetenversamm-lung eine Resolution durch, die fr Vernderungen ein-trat. Daneben wurden die Arbeiter zu einer Massenver-sammlung aufgerufen, auf der Severing sprach.[21]

    Trotz grundstzlicher Zustimmung zum Burgfrieden kri-tisierten Severing und andere Bielefelder Sozialdemo-kraten auf groen Volksversammlungen immer wiederKriegsgewinnler, Schieber und die Unfhigkeit der Be-hrden bei der Bekmpfung der immer sprbarer wer-denden Not der Bevlkerung. Den Eingri der Regierungin den freien Markt sah Severing als Kriegssozialismusan. Er forderte, auf diesem Weg weiter zu gehen. Nichtweniger, sondern mehr Sozialismus muss die Parole der

    Zukunft sein.[22]

    Obwohl er noch kurz zuvor zur Zeichnung von Kriegs-anleihen aufgerufen hatte, begrte Severing dieFriedensresolution von 1917. Er sah in ihr auch einenSchritt hin zu einem demokratischen System und zurZusammenarbeit mit anderen Parteien. Er bilanzierteauf einer auerordentlichen Bezirkskonferenz der SPD:Wir kamen aus dem Turm heraus, das war die groeBedeutung des Tages.[23]

    Als in Brest-Litowsk ein Diktatfrieden mit dem neuenbolschewistischen Russland abgeschlossen worden war,der in deutlichem Gegensatz zum in der Friedensresolu-tion geforderten Verstndigungsfrieden stand, organisier-te Severing in Bielefeld groe Demonstrationen. Wie inanderen Orten des Reiches kam es auch in Bielefeld imJanuar 1918 zu politisch motivierten Streiks. Auch hierstellte sich die SPD an die Spitze der Bewegung, um diesein gemigte Bahnen zu lenken. Nach nur zwei Tagen wa-ren die Arbeitsniederlegungen beendet. Friedrich Ebertbezeichnete das Vorgehen Severings als Vorbild fr dasgesamte Reich.[24]

    In den letzten Tagen undWochen vor der Revolution ver-hielt sich Severing sehr widersprchlich. Am 17. Okto-ber 1918 rief er noch einmal entlich zur Zeichnungvon Kriegsanleihen auf, am 27. Oktober sprach er aller-dings ganz anders. Man hat meine opportunistische Po-litik oft als Bremsen bezeichnet, aber ich hielte diese Po-litik fr durchaus vereinbar, wenn ich mich allem wider-setzte, was eine ungesetzliche Macht eine unverantwort-lichen Militrkamarilla anordnen wrde. Ich wrde michan die Spitze einer Bewegung stellen, die die oene Em-prung gegen einen Krieg der Militrs organisierte. Bie-gen oder Brechen, hiee dann die Parole.[25] Die Redekorrespondierte mit der Umorientierung der Politik derSozialdemokratie, die einige Tage spter den Rcktrittdes Kaisers forderte.

    3 Novemberrevolution

    Sitzung des I. Reichskongresses der Arbeiter- und Soldatenrte.Ernungsrede von Richard Mller

  • 6 4 WEIMARER REPUBLIK

    Nicht zuletzt durch die enge Einbindung der SPD in dieKommunalpolitik vollzog sich die Novemberrevolutionvllig reibungslos, und Bielefeld galt in dieser Zeit als dieruhigste Industriestadt Deutschlands. Als Severing am 8.November von der beginnenden Revolution erfuhr, warer entschlossen, das Heft des Handelns in der Hand zubehalten. In Bielefeld entstand bezeichnenderweise keinArbeiter- und Soldatenrat, sondern ein Volks- und Sol-datenrat. Auch wenn dahinter die SPD und die Gewerk-schaften standen, machte dies die nung gegenber an-deren sozialen Gruppen deutlich. Als am selben Tag be-wanete auswrtige Matrosen gewaltsam versuchten, dasGefngnis zu strmen, gelang es Severing, die Menge zuberuhigen.Einen Tag spter kam es zu Verhandlungen mit den Be-hrden. Das von Severing konzipierte Programm desVolks- und Soldatenrates zielte allein auf Aufrechter-haltung der entlichen Ordnung und Sicherstellung derVersorgung ab, politische Ansprche waren damit nichtverbunden. Am 17. November whlte der Volks- und Sol-datenrat einen Vollzugsausschuss, der je zu einem Drittelaus Arbeitern, Angestellten und Vertretern des Brger-tums bestand. Severing agierte dabei aus der wichtigenStellung des Verantwortlichen fr den Sicherheitsdienstheraus und hatte zusammen mit einem Gewerkschafterden Gesamtvorsitz inne. Fr die weitere Entwicklung desRates war er die entscheidende Persnlichkeit. Die Biele-felder Rteorganisation wurde zur Koordinierungsinstanzfr ganz Ostwestfalen und Lippe. Die Mehrheit folgte da-bei Severings gemigtem Kurs. Er wurde als Delegierterzum ersten I. Reichskongress der Arbeiter- und Soldaten-rte in Berlin gewhlt. Dort war er einer der drei Vorsit-zenden der MSPD-Fraktion.[26] Obwohl er grundstzlichdie Politik Eberts untersttzte, brachte Severing zusam-men mit Hermann Ldemann den Antrag auf die Soziali-sierung aller dafr reifen Industrien ein und handelte da-mit gegen die Absichten Eberts.[27] Dennoch hat Seve-ring in starkem Mae dazu beigetragen, dass die Linieder Mehrheitssozialdemokraten sich insgesamt durchset-zen konnte.[28]

    Die renommierte Vossische Zeitung zeigte sich beein-druckt davon, wie Severing mit den Delegierten, unterihnen Dutzende wilde Mnner, Soldaten mit kriegsze-rtteten Nerven, Schaum vor demMund, lallend vor Auf-regung, umging. Inmitten dieser Grung, diesem Sturmund Aufruhr, wehrlos unter den Gewaltttigen: ein klei-ner, unscheinbarer, schweigsamer Mann, mit den Hndeneines Arbeiters, der Stirn eines Gelehrten, den Augen ei-nes Glubigen: Carl Severing, damals noch ein unbekann-ter Arbeiterfhrer aus Bielefeld, aber der Vertreter vonvier Jahrzehnten gewerkschaftlicher Disziplin, Verant-wortungsfreudigkeit, Nchternheit und Gemeingeist.[29]

    4 Weimarer Republik

    4.1 Parlamentarische Ttigkeit zu Beginnder Republik

    Severing gehrte 1919/20 der Weimarer Nationalver-sammlung an. Anschlieend war er bis 1933 erneutReichstagsabgeordneter. Daneben gehrte er von 1919bis 1933 auch dem Preuischen Landtag an.Bei der Bildung der Weimarer Koalition spielte Severingals Befrworter eines Bndnisses von MSPD, brgerli-chen Demokraten und Zentrum als einer der Verhand-lungsfhrer der MSPD zusammen mit Paul Lbe einebedeutende Rolle. Es war insbesondere Severings Ver-handlungsgeschick zu verdanken, dass sich auch die Zen-trumspartei an der Koalitionsregierung beteiligte.[30]

    In der deutschen Nationalversammlung setzte er sich frdie Annahme des Versailler Vertrages ein, weil er der An-sicht war, dass die bei einer eventuellen Ablehnung dro-henden Opfer nicht zu rechtfertigen seien.[31]

    4.2 Reichs- und Staatskommissar imRuhrgebiet

    Severing 1919

    Im Ruhrgebiet hatten die Gewerkschaften und die MSPDerheblich an Einuss zugunsten der USPD und derKPD verloren. Die sich dort Anfang 1919 ausbreiten-de Sozialisierungsbewegung, an der alle Arbeiterpartei-en beteiligt waren, verfolgte das Ziel, eine Sozialisierungdes Bergbaus durchzusetzen. Im Verlauf des Ausstandes

  • 4.3 Kapp-Putsch 1920 und Ruhrkampf 7

    bildete sich mit der Allgemeinen Bergarbeiter-Union einsyndikalistischer Verband.Als Reichs- und Staatskommissar erhielt Severing dieAufgabe, die Lage zu entspannen. Die Reichs- wie auchdie preuische Regierung verband damit die Absicht,dem Befehlshaber des Generalkommandos in Mnster,General Oskar von Watter, einen Politiker beizugeben,der den Einsatz von Gewalt mglichst minimieren sollte.In seinem Aufruf vom 8. April lie Severing verlauten, erwolle als Arbeitervertreter zu den Arbeitern reden undals Arbeiter fr die Arbeiter handeln. Die von ihm ge-troenen Entscheidungen zielten nicht in erster Linie aufgewaltsame Unterdrckung ab, sondern waren der Ver-such einer Verstndigung mit den streikenden Arbeiternund der Abstellung vorhandener Hrten und Missstnde.Gewalt solle nur dort angewandt werden, wo diese provo-ziert wrde.[32] Den Streik konnte er rasch unter Einsatzsowohl von Repressionen wie auch Verhandlungen beile-gen. Eine Anordnung sah die Zwangsverpichtung allerarbeitsfhigen Mnner zu Notstandsarbeiten vor. Auer-dem lie er die Rdelsfhrer des Streiks verhaften. Aufder anderen Seite erhielten Arbeitswillige Sonderratio-nen. In Verhandlungen wurde den Bergarbeitern die Sie-benstundenschicht zugestanden, und daraufhin beganndie Streikfront zusammenzubrechen.[32]

    Auch als die eigentliche Aufgabe erfllt war, blieb Seve-ring im Amt. Er sollte zur dauerhaften Beruhigung derLage im Revier beitragen. Er versuchte insbesondere dieVersorgungslage zu verbessern. Die preuische Regie-rung schtzte ihn mittlerweile als Krisenmanager. Vor-bergehend entsandte sie ihn nach Oberschlesien. Auer-dem wurden seine Kompetenzen ber das enge Ruhrge-biet auf weitere angrenzende Regionen ausgedehnt. Un-tersttzt von Ernst Mehlich und Fritz Husemann hat Se-vering zahlreiche Konikte zwischen Arbeitgebern undArbeitnehmern geschlichtet.[33]

    Obwohl er sich auch fr die Bielefelder Arbeiter einsetz-te, verlor Severing ausgerechnet auf seinem heimischenTerrain zeitweise die Kontrolle. Als dort im Juni 1919Unruhen ausbrachen, musste er iehen und sah sich ge-zwungen, den Belagerungszustand ber die Stadt zu ver-hngen. Insbesondere diese Manahmen fhrten zu Kon-ikten mit der Bielefelder SPD.[34]

    VonAnfang an gab es ferner Kompetenzstreitigkeiten mitden Militrs, insbesondere mit General von Watter. Umdessen teilweise eigenmchtiges Vorgehen besser kon-trollieren zu knnen, verlegte Severing seinen Dienstsitzvon Dortmund nach Mnster.[35]

    Im Wesentlichen blieb die Lage im Revier bis Anfang1920 ruhig. Als sie sich durch einen Eisenbahnerstreikund Bergarbeiterstreiks wieder verschrfte, ging Seve-ring mit repressiven Manahmen dagegen vor. Dazugehrte unter anderem die Entlassung streikender Ei-senbahner. Auch gegen den Versuch der Syndikalisten,Sechsstundenschichten im Bergbau zu erzwingen, ging erhnlich vor. Gegen die Kohlekrise im Reich setzte er zu-

    dem berschichten durch. Im Gegenzug setzte er sich freine bessere Versorgung und Bezahlung ein.Die Mehrheitssozialdemokraten erkannte Severings Be-mhungen zur Normalisierung der Lage im rheinisch-westflischen Industriegebiet auf dem Parteitag von 1919ausdrcklich an. Dabei spielte es eine Rolle, dass Seve-ring anders als Gustav Noske sich gegen das Militrdurchzusetzen verstand.[36]

    4.3 Kapp-Putsch 1920 und Ruhrkampf

    Die erste wirklich ernste Bedrohung der Republik gingim Kapp-Putsch von der politischen Rechten aus. Un-ter den Putschisten gab es einige, die letztlich ohne Er-folg dafr eintraten, rechte Sozialdemokraten wie Seve-ring an der neuen Regierung zu beteiligen.[37] Severingselbst befand sich zu Beginn des Putsches in Ostwestfa-len und organisierte dort den Widerstand. Er stellte sichzusammenmit demOberprsidenten der ProvinzWestfa-len Bernhard Wuermeling eindeutig auf Seiten der recht-migen Regierung. General Watter verweigerte jedochdie Unterschrift unter einen entsprechenden Aufruf undstand insgeheim Kapp nahe. Im Ruhrgebiet entwickeltesich aus dem Generalstreik gegen den Kapp-Putsch ei-ne allgemeine Aufstandsbewegung, die sich gegen Wat-ter und die ihm unterstellten Freikorps richtete. Zeitwei-lig konnte sich eine Rote Ruhrarmee gegen die Freikorpsdurchsetzen. Erst nach der Niederlage seiner Truppen be-kannte sich Watter am 16. Mrz 1920 zur verfassungs-migen Regierung.Der Aufruf Severings vom 21. Mrz, nach der NiederlageKapps wieder an die Arbeit zurckzukehren, wurde vonden Streikenden nicht beachtet. Dabei spielte nicht nurdie Gegnerschaft gegenber den Freikorps undWatter ei-ne Rolle, verschrfend wirkten auch die Erinnerungen andie von Severing verantworteten Zwangsmanahmen.Die Rote Ruhrarmee beherrschte inzwischen das gesam-te Ruhrgebiet und stand vor Wesel. Dabei gab es Un-stimmigkeiten zwischen der gemigten Zentralleitung inHagen und den radikalen Krften im Westen. Die beidenRegierungen in Berlin wollten zu diesem Zeitpunkt ge-gen die Aufstndischen nicht mit vollem Einsatz der Ar-mee antworten. Severing hatte deutlich gemacht, dass dieBewegung nicht allein mit militrischen Mitteln zu be-enden sei.[38] Zunchst sollte versucht werden, eine Ver-handlungslsung zu nden. Zu diesem Zweck vermittel-te Severing das sogenannte Bielefelder Abkommen. DasAbkommen litt aber an verschiedenen Deziten. So wur-den weder Vertreter der radikalen Rte des Westens nochVertreter der Roten Ruhrarmee eingeladen. Sprecher derKPD und USPD, die fr diese zu sprechen vorgaben, wa-ren durch nichts legitimiert. Auf der anderen Seite wardas Militr nur unzureichend in die Absprachen einge-bunden und fhlte sich nicht daran gebunden. Die Abl-sung General Watters, die vielfach auch aus den Reihender SPD gefordert wurde, lehnte Severing ab, da es zu

  • 8 4 WEIMARER REPUBLIK

    ihm keine Alternative gbe und sich alle Oziere sei-nes Wehrkreises mit ihm solidarisiert htten.[39] Durchdie Zugestndnisse an die Streikenden erkannten auch dieRegierungen in Berlin die Abmachungen nicht wirklichan und begannen Severings Befriedungsversuche zu hin-tertreiben.Das Abkommen war daher auch nur teilweise erfolgreich.Als Erfolg konnte er eine Spaltung der Bewegung ver-melden. Die gemigten Krfte aus dem Umfeld der Ge-werkschaften, der MSPD, der Demokraten und des Zen-trums rckten bald von der Ruhrarmee ab, weil diese sichvon dem ursprnglichen Ziel, die Verfassung zu scht-zen, entfernt hatte.[40] In anderen Teilen, vor allem imWesten, wurden die Kmpfe fortgesetzt. Daraufhin kames doch zu einem Einmarsch von Reichswehr und Frei-korps in Ruhrgebiet. Eine Alternative zum militrischenEingreifen sah schlielich auch Severing nicht mehr. Erforderte sogar die Reichsregierung auf, bei den Alliier-ten die Erlaubnis fr den Einmarsch in die entmilitari-sierte Zone zu erwirken. Ihm ging es nicht mehr darum,die Reichswehr fernzuhalten, sondern darum, unntigesBlutvergieen zu verhindern.[41] Dabei agierte GeneralWatter weitgehend ohne Absprache mit Severing. So ver-schrfte dieser ein von der Regierung verhngtes Ultima-tum zur Entwanung der Ruhrarmee derartig, dass dieAufstndischen keine Mglichkeit mehr hatten, den Auf-lagen nachzukommen. In der Folge marschierten Reichs-wehr und Freikorps auf Befehl von Hans von Seeckt. DerEinmarsch der Truppen war begleitet von Misshandlun-gen und Ttungen zahlreicher Aufstndischer. Severingversuchte nun, den Weien Terror mglichst zu been-den. Erst spt gelang es ihm, die Praxis der standrechtli-chen Erschieungen abstellen zu lassen. Fr Severing warsptestens seit diesem Zeitpunkt klar, dass die Armee frdie Aufrechterhaltung der inneren Ordnung ungeeignetsei, da ihr Einsatz den Unmut in der Bevlkerung nochsteigerte[42]

    4.4 Beginn des Systems Severing inPreuen

    Nach dem Kapp-Putsch kam es im Reich wie auch inPreuen zu Wechseln in der Regierung. In der preui-schen Regierung stand Innenminister Wolfgang Heine inder Kritik. Dieser hatte kaum Willen gezeigt, die Bro-kratie im Sinne der Republik zu modernisieren, und hattesogar einige Putschanhnger in fhrende Positionen ge-bracht. Heine trat unmittelbar nach dem Putsch von sei-nem Amt zurck. Zu den neuen Personen an der Spit-ze gehrten Otto Braun als Ministerprsident, HermannLdemann als Finanzminister und Severing als Innenmi-nister. Die neuen Mnner betrieben keine linkere Poli-tik als ihre Amtsvorgnger, unterschieden sich von ihnenaber durch eine grere Zielklarheit und Energie ihrerPolitik.[43] Zu Severings Aufgaben gehrte unter ande-rem die Kontrolle der Verwaltung sowie der Polizei. InPreuen hatte der Innenminister neben demMinisterpr-

    sidenten die meisten Befugnisse. Zentrale Aufgabe Seve-rings wurde die Republikanisierung von Verwaltung undPolizei.Oziell ernannt wurde Severing zwar schon am 29. Mrz1920; weil er aber noch mit der Abwicklung seiner Ge-schfte im Ruhrgebiet beschftigt war, nahm er erst Mit-te April an einer preuischen Kabinettssitzung teil. ImMinisterium gelang es Severing von Beginn an, fhren-de Beamte fr sich einzunehmen. Dazu zhlte zunchstinsbesondere Staatssekretr Friedrich Freund (DDP) undFriedrich Meister (DVP), spter Nachfolger Freunds.Insbesondere die Leitung der Personalabteilung wurdesofort von Severing ausgetauscht. Fritz Mooshake (DVP)und Heinrich Brand (Zentrumspartei) bernahmen dieseAufgabe.[44]

    Zu den Aufgaben Severings in der Anfangszeit seiner Mi-nisterttigkeit zhlte auch die politische Umsetzung desinsbesondere von Bill Drews und Friedrich Freund ausge-arbeiteten Entwurf fr eine neue preuische Verfassung.Allerdings stammte der Entwurf noch aus der AmtszeitHeines; Severing trat daher bei der Gestaltung der Ver-fassung kaum noch in Erscheinung.[45]

    4.4.1 Republikanisierung der Verwaltung

    Am Anfang seiner Manahmen zur Republikanisierungder Verwaltung stand die zur Dispositionstellung der-jenigen Beamten, die sich den Putschisten angeschlos-sen oder mit ihnen oen sympathisiert hatten. SeveringsVoraussetzung, die er an Beamte stellte, war, dass sieaus berzeugung fr die Demokratie eintreten und diesenicht nur als gegebene Tatsache widerwillig hinnehmensollten. Aus seiner Sicht musste insbesondere im Bereichder so genannten politischen Beamten, angefangen vonden Landrten, ber Regierungs- und Oberprsidentenbis hin zu hohen Ministerialbeamten und Staatssekret-ren, einWechsel erfolgen. Nach dem Putsch wurden etwahundert hohe Beamte von ihren Posten entfernt. An ihreStelle traten berzeugte Republikaner. Die von den poli-tisch Rechten geforderteWhlbarkeit der Landrte lehnteSevering, wissend um die Strke der DNVP in den Kreis-tagen der stlichen Provinzen, ab. Landratswahlen httendort die Position der Rechten noch verstrkt. 1926, amEnde von Severings Amtszeit, waren alle Oberprsiden-ten mit einer Ausnahme, alle Regierungsprsidenten undmehr als die Hlfte aller Landratsmter von republika-nischen Regierungen ernannt worden. Die Spitzenposi-tionen wurden dabei fast durchweg von Anhngern derKoalitionsparteien eingenommen. In den Westprovinzengehrten dazu auch viele Landrte (78 %), im Osten wardie Bilanz mit einem Drittel weniger eindrucksvoll.Bei seinen personalpolitischen Manahmen achtete Se-vering im Prinzip darauf, nicht nur Sozialdemokraten,sondern Demokraten aus allen politischen Lagern zu be-rufen. Die Ernennung von Gustav Noske zum Oberprsi-denten war mehr dessen Person als der Partei geschuldet.

  • 4.4 Beginn des Systems Severing in Preuen 9

    Allerdings waren die Sozialdemokraten als Polizeiprsi-denten deutlich berreprsentiert. An der Grundstrukturder preuischen Verwaltung hat Severing aus Respekt vorderen Eektivitt kaum etwas gendert. Ihm gelang esetwa nicht, das Juristenmonopol zu brechen. Nur weni-ge Nichtjuristen von Auen gelangten in Fhrungsstellender Verwaltung.[46]

    4.4.2 Polizeireform 1920

    Verfassungsfeier der Schutzpolizei (1926)

    Neben der Demokratisierung der Verwaltung war eineReform der Polizei wichtigster Faktor des Systems Se-vering. Er kam in den Jahren nach der Revolution zu derberzeugung, nur eine schlagkrftige Polizeitruppe kn-ne den Einsatz des Militrs im Inneren bei Strungen derentlichen Ordnung verhindern. Auch im Bereich derPolizei und insbesondere der Sicherheitspolizei wurdenAnhnger des Kapp-Putsches entlassen.Die Reorganisation und der Ausbau der Polizei hingenstark von der Zustimmung der ehemaligen Kriegsgeg-ner ab. Gegen deren anfnglichen Widerstand setzte Se-vering die Verstaatlichung der bislang teilweise kom-munalen Polizei und die Einrichtung von Polizeiprsi-dien und -direktionen durch. Im Jahr 1920 veranlasstendie Alliierten dann in der Boulogner Note die Au-sung der paramilitrischen Einheiten und den Aufbau ei-ner Ordnungspolizei. Von 150.000 Mann sollten allein85.000 auf Preuen entfallen. Als Organisator der neu-en Schutzpolizei holte Severing Wilhelm Abegg in dasMinisterium. Zwar war die Schutzpolizei ein beachtli-cher Machtfaktor, aber die Polizeioziere stammten inder Regel aus den Reihen der alten Armee und stan-den innerlich der Demokratie meist fern. Insofern hat-te die innere Republikanisierung der Polizei deutlicheGrenzen.[47] Um dem teilweise entgegenzuwirken, legteSevering groen Wert auf die Persnlichkeitsbildung derPolizeibeamten und lie eine Reihe von Polizeischulenerrichten.[48]

    4.4.3 Verbot von Schutzwehren und Mitteldeut-scher Aufstand

    Gesttzt auf die neue Polizei konnte Severing bereitsseit 1920 darangehen, die Orgesch, Schutzwehren undhnliche Organisationen zu verbieten und aufzulsen.[49]Grundstzlich sah Severing in einem Organisationsverbotnur die ultima ratio im Kampf gegen verfassungsfeindli-che Organisationen. Solange diese oder ihre Mitgliedersich nicht aktiv gegen die Republik wandten, schritt ernicht ein. Im Jahr 1921 hob er die Verordnung auf, diees Kommunisten verbot, mter in der Staats- und Ge-meindeverwaltung zu bernehmen. Fr ihn reichte diebloe Mitgliedschaft fr einen Ausschluss nicht aus. Erstwenn radikale Gruppen tatschlich umstrzlerisch ttigwurden, schritt Severing ein. Dieses abgestufte Verhal-ten fhrte bei einigen Sozialdemokraten, die hug einschrferes Vorgehen wnschten, zu Kritik.[50]

    Revolutionre Arbeiter werden in Eisleben von der Polizei abge-fhrt.

    Noch in Severings erste Amtszeit als Innenminister eldie Niederschlagung des Mitteldeutschen Aufstandes.Politischer Hintergrund war eine von der Komintern for-mulierte kommunistische Oensivstrategie, die auf put-schistische Aktionen auerhalb Russlands abzielte. Un-mittelbare Ursache war der Einmarsch der neugebilde-ten Schupoeinheiten in das mitteldeutsche Industriege-biet. In Unkenntnis der KPD-Plne wollte Severing da-mit die Ordnung in dieser seit dem Kapp-Putsch unru-hig gebliebenen Region wiederherstellen. Mit dem Vor-sto der Polizei wollte er dem Einmarsch der Reichswehrzuvorkommen. Die Aktion war gleichzeitig eine Bewh-rungsprobe fr die neuen Polizeieinheiten. Sie lste dengeplanten Putsch nicht aus, sondern sorgte lediglich frdie Vorverlegung.[51] Es kam zu Kmpfen, bei denen sichdie Polizei schnell durchsetzen konnte, zumal es auer imRuhrgebiet und in Hamburg keine Versuche von KPD-Anhngern gab, sich der Aktion anzuschlieen. Der Ver-gleich der Schden und Opfer zwischen den Kmpfen imRuhrgebiet 1920 und dem Mitteldeutschen Aufstand be-sttigte Severings Auassung, dass der Einsatz von Poli-zei dem des Militrs vorzuziehen sei.[52]

  • 10 4 WEIMARER REPUBLIK

    4.5 Regierungswechsel und neue Amtszeit

    Bereits nach einem Jahr begann man vom System Seve-ring zu sprechen, einem republikanischen Preuen. DieLandtagswahlen von 1921 fhrten allerdings zu einerdeutlichen Schwchung der SPD. Es kam zur Bildung ei-ner Minderheitsregierung von Zentrum und DDP unterMinisterprsident Adam Stegerwald. An die Stelle vonSevering trat Alexander Dominicus (DDP).[53]

    Severing erholte sich nach dem Ende seines Ministeram-tes zunchst von den Anstrengungen der letzten Jahre.Er sprach auch auf einer Massenversammlung in Bie-lefeld anlsslich der Ermordung von Matthias Erzber-ger. Da sein Nachfolger nach Severings Ansicht seineninnenpolitischen Kurs zu verlassen begann, pldierte ernun vehement fr groe Koalitionen im Reich und inPreuen. Eine Voraussetzung dafr war ein Wandel inder SPD selbst. Vor dem Grlitzer Parteitag schrieb Se-vering: Will er [der Parteitag] seiner Picht gerechtwerden, dann mssen seine Debatten nur von dem ei-nen Geist getragen sein: vom Willen zur Macht, vomMut der Verantwortung.[54] Der Parteitag fhrte tatsch-lich nicht nur zur Verabschiedung des stark revisionis-tischen und kurzlebigen Grlitzer Programms, sondernauch zu einem Beschluss, der eine Regierungszusammen-arbeit auch mit der DVP ermglichte.In Preuen begannen daraufhin Bemhungen, anstelleder Minderheitsregierung Stegerwald eine groe Koaliti-on unter Einschluss von SPD und DVP zu bilden. Ver-handlungsfhrer dabei war auf Seiten der Sozialdemo-kraten Severing. Diesem gelang es, die DDP zum Ver-lassen der bisherigen Regierung zu bewegen. Damit tratam 1. November 1921 die Regierung Stegerwald zurck.Erneut wurden Otto Braun Ministerprsident und Seve-ring Innenminister. Nach Meinung von Zeitgenossen wieFriedrich Hussong (DNVP) war Severing der eigentli-che starke Mann der Regierung. Um dem neuen Koali-tionspartner DVP entgegenzukommen, ernannte Seve-ring nach dem Tod von Friedrich Freund Wilhelm Meis-ter zum Staatssekretr. Zwischen beiden gab es durchausKonikte, aber es gibt keine Beweise, dass der Staatsse-kretr Severings Politik hintertrieben htte.[55]

    Im Gegensatz zum ersten Ministerjahr, als die Kommu-nisten als die gefhrlichsten Feinde der Republik erschie-nen waren, vernderte sich die Situation insbesonderenach den Anschlgen gegen Scheidemann undWalter Ra-thenau. Severing nahm nun den Kampf gegen Rechts aufund befand sich dabei im Einklang mit der entsprechen-den Notverordnung von Reichskanzler Wirth. In Preuenwurden zahlreiche rechte Organisationen verboten. Dar-unter war 1922 auch der Stahlhelm. Diese Entschei-dung wurde indes vom Staatsgerichtshof fr das DeutscheReich wieder aufgehoben. Der Versuch von Braun undSevering, auch gegen illegale Reichswehreinheiten vor-zugehen, scheiterte im Wesentlichen am Widerstand vonGeneral von Seeckt. Im Angesicht der politischen Mordegelang es Severing dagegen, gegen den Widerstand des

    Zentrums weitere hohe Beamte insbesondere in der Pro-vinz Westfalen und der Rheinprovinz auszutauschen.[56]

    4.6 Krisenjahr 1923

    Carl Severing (1923)

    Die nchste groe Herausforderung fr Severing war dieBesetzung des Ruhrgebiets durch franzsische Truppen1923. Severing war einer der eindeutigsten Befrworterdes passiven Widerstandes. Dagegen war er Gegner ei-nes von den Rechtsgruppierungen propagierten und voll-zogenen aktiven und gewaltttigen Widerstandes. ZumKampf gegen Rechts gehrte auch Severings Verbot derDeutschvlkischen Freiheitspartei am 22. Mrz 1923. Inder Folge nahm auf der rechten Seite des politischenSpektrums der Hass gegen Severing zu. Die DNVP ver-suchte sogar, die DVPmit Verweis auf den Innenministerzum Austritt aus der Koalition zu bewegen ein letzt-lich gescheitertes Unterfangen. Die Rechten versuchtenzudem, Severing als Verantwortlichen fr den Tod vonLeo Schlageter hinzustellen. Im Gegensatz zu den Vor-wrfen von Rechts und auch von Reichskanzler WilhelmCuno ignorierte Severing nicht die linksextremen Gefah-ren. Dies machte er durch das Verbot der ProletarischenHundertschaften in Preuen deutlich. Gegen die rech-ten Schutzformationen schloss Severing ein Bndnis mitdem Reichswehrchef Hans von Seeckt. Dadurch wur-de unter anderem der Aufbau der Schwarzen Reichs-wehr erleichtert.[57] Das Ziel der Abgrenzung der Reichs-wehr von den rechten Verbnden konnte indes nicht er-

  • 4.8 Weg zum Kabinett Mller 11

    reicht werden. Der passive Widerstand lie sich ange-sichts der wachsenden Ination indes nicht lnger auf-rechterhalten. Die Krise wurde unter der von GustavStresemann gefhrten neuen Reichsregierung, an der dieSPD anfangs auch auf Bestreben Severings beteiligt war,berwunden.[58] Die Beteiligung der SPD endete wegender geplanten Einschrnkung des Achtstundentages. EinGroteil der fhrenden sozialdemokratischen Politiker,insbesondere Paul Lbe, sprach sich unter dem Druckder Gewerkschaften fr einen Rckzug ihrer Ministeraus. Einer der wenigen, die fr ein Verbleiben in derRegierung eintraten, war Severing. Er frchtete einenRechtsruck unter einer Regierung ohne sozialdemokra-tische Beteiligung. Er beschwor seine Partei: Denkt andie Folgen![59] Auch wenn Severing in der Staatskriseselbst extreme Parteien verboten hatte, war er nach ber-windung der akuten Krise zusammen mit Friedrich Ebertdafr, vor den Reichstagswahlen die auf Reichsebene ver-botene KPD, NSDAP und Deutschvlkische Freiheits-partei wieder zu den Reichstagswahlen von 1924 zuzu-lassen. Er argumentierte dabei, dass Verbotsmanahmenzu einer Radikalisierung beitragen wrden.[60]

    4.7 Minister unter Marx und Braun

    Auch in Preuen kam es schlielich zu einem Regie-rungswechsel. Die DVP zog ihre Minister zurck, undam 10. Februar 1925 wurde schlielich Wilhelm Marx(Zentrum) zum neuen Ministerprsidenten gewhlt. Erbelie Severing imAmt in der Honung, so auch die SPDfr die Untersttzung der Regierung zu gewinnen. Marxscheiterte aber in den eigenen Reihen, auch weil Poli-tiker vom rechten Flgel der Zentrumspartei wie Franzvon Papen wegen des Festhaltens an Severing der Re-gierung die Gefolgschaft verweigerten. Die Krise konnteschlielich durch eine Neuauage der Regierung Braunberwunden werden. Auch in dieser war Severing wiederInnenminister.[61]

    Allerdings war er inzwischen amtsmde. Seine Plne freine groe Verwaltungsreform, die unter anderem dieAusung der Bezirksregierungen beinhaltete, scheiter-ten. Auch im Bereich der Demokratisierung der Verwal-tung kam er nicht weiter voran, zumal hnliche Manah-men auf Reichsebene ausblieben. Hinzu kam, dass sichdas persnliche Verhltnis zwischen Braun und Severingverschlechtert hatte. Braun war der Meinung, dass Seve-ring nicht mehr hart genug gegen die Feinde der Repu-blik vorgehen wrde. Er nutzte eine lange Krankheit Se-verings, um ohne Absprache gegen rechte Politiker undGruppierungen vorzugehen. Auch Personalentscheidun-gen im Innenministerium traf er ohne Rcksprache mitSevering.[62] Ein weiterer Aspekt waren die stndigen,teilweise diamierenden Angrie der extremen Linkenund Rechten. Im Oktober 1925 brachte die DNVP impreuischen Landtag einMisstrauensvotum gegen ihn aufden Weg. In seinem Plenarbeitrag wehrte er sich ener-gisch, was selbst die Neue Zrcher Zeitung zu einem

    Internationale Polizeiausstellung in Berlin auf dem Funkturmge-lnde (1926)

    lobenden Kommentar veranlasste. Der Antrag scheiter-te, hat aber Severings Selbstvertrauen stark belastet.[63]Auerdem wurde Severing unschuldig in die Are ei-nes betrgerischen Geschftsmanns hineingezogen. Ge-wissermaen als Krnung und Abschluss seiner Amtszeitbetrachtete Severing die internationale Polizeiausstellungin Berlin. Abgesehen von fachlichen Aspekten wollte erdort die erfolgreiche Entwicklung der preuischen Po-lizei von einem Organ des Obrigkeitsstaates hin zu ei-ner Einrichtung des republikanischen Staates prsentie-ren. Nach einer lngeren Krankheit trat er oziell am7. Oktober 1926 zurck. Sein Nachfolger wurde AlbertGrzesinski.[64]

    4.8 Weg zum Kabinett MllerZur Wiederherstellung seiner Gesundheit verbrachte Se-vering nach seinem Rcktritt einige Zeit zur Kur inBaden-Baden und hielt sich auch in Italien auf. In die-ser Zeit verfasste er seine Erinnerungen an seine Zeit alsRegierungskommissar im Ruhrgebiet. Diese wurden un-ter dem Titel 1919/20 im Wetter- und Watterwinkel(1927) ein groer Erfolg.Im Hintergrund warb Severing nunmehr fr die Bildungeiner groen Koalition auf Reichsebene. Notfalls war erauch bereit, sozialpolitische Reformpolitik zurckzustel-len, um die DVP zur Mitarbeit zu gewinnen. Whrendfhrende sozialdemokratische Politiker wie Hermann

  • 12 4 WEIMARER REPUBLIK

    Mller dies hnlich sahen, war die Haltung der Partei ins-gesamt zunchst eher ablehnend. Allerdings gelang es ei-ner Gruppe um ihn, Otto Braun und Rudolf Hilferding,den SPD-Parteitag in Kiel 1927 zu einem Beschluss zubewegen, in dem eine Eroberung von Machtpositionenauf allen politischen Ebenen angestrebt wurde.Die Chance, auf Reichsebene wieder Einuss zu erlan-gen, bot die Reichstagswahl von 1928. Im Wahlkampfstellte die SPD insbesondere die Ablehnung des Baus desPanzerschis A in den Mittelpunkt. Severing, der diesePosition selbst nicht teilte, hielt im Reichstag die Grund-satzrede gegen den Neubau. Mit der Parole Kinderspei-sung statt Panzerkreuzer war die SPD erfolgreich undkonnte stark zulegen. Schon vor Bildung der Regierungvon Hermann Mller war klar, dass Severing Innenmi-nister werden wrde. Er selbst leitete die schwierigenKoalitionsverhandlungen auf Seiten der SPD. Die Ver-suche, einen formalen Koalitionsvertrag abzuschlieen,scheiterten, und so kam zunchst nur eine Regierung derPersnlichkeiten zu Stande.[65]

    4.9 Reichsinnenminister 1928

    Das Amt des Reichsinnenministers hatte deutlich weni-ger Gestaltungsmglichkeiten als der Posten in Preuen,insbesondere da Verwaltung und Polizei weitgehend Ln-dersache waren. Severing begann die Spitze des Ministe-riums im republikanischen Sinne personell umzubeset-zen. Hans Menzel als neuer Leiter der Verfassungsab-teilung begann in der Reichsbrokratie mit Vernderun-gen im Sinne einer Demokratisierung. Trotz der persn-lichen Unstimmigkeiten mit dem preuischen Innenmi-nister Grzesinski arbeiteten Preuen und das Reich in derPhase der groen Koalition innenpolitisch so intensiv wienie zusammen.[66]

    4.9.1 Politik bis zur Krise um den Panzerkreuzer-bau

    Von seinemVorgngerWalter von Keudell hatte Severingdie Vorarbeiten zu einer umfassenden Reichsreform zumAbbau von Kompetenzstreitigkeiten, zur Ausung klei-ner Lnder und weitere Manahmen bernommen. Seve-ring selbst, der am liebsten alle Lnder imReich aufgehenlassen wollte, war skeptisch hinsichtlich der Erfolgsaus-sichten einer groen Reichsreform. Dennoch hat er zu-sammen mit Arnold Brecht in Preuen alles versucht, umdas Projekt zu einem Erfolg zu machen. Letztlich schei-terte die Reichsreform insbesondere amWiderstand Bay-erns und anderer Lnder.[67]

    Severing gehrte wie Ernst Heilmann zu den wenigen So-zialdemokraten, die die politische Bedeutung des Radioserkannt hatten. Fr sie sollte der Rundfunk im Sinne vonRepublik und Demokratie senden. Eine Privatisierungdes Rundfunks lehnte er vehement ab. Auf Severing gin-gen kontroverse Diskussionssendungen im Radio zurck.

    Das Kabinett im Juni 1928. Stehend v.l.n.r.: Hermann Diet-rich, Rudolf Hilferding, Julius Curtius, Carl Severing, Theodorvon Gurard, Georg Schtzel. Sitzend v.l.n.r.: Erich Koch-Weser,Hermann Mller, Wilhelm Groener, Rudolf Wissell. Nicht abge-bildet: Gustav Stresemann

    Auerdem baute er die Aufsichtsgremien im Sinne einergreren gesellschaftlichen Pluralitt um. All dies fhrtedazu, dass die politische Rechte Severing als Rundfunk-diktator bezeichnete. Eine grundlegende Rundfunkre-form, deren Vorarbeiten weit gediehen waren, kamwegendes Endes der RegierungMller nicht mehr zustande. Einweiterer Aspekt der Medienpolitik Severings war seinBestreben, ein Monopol des rechten Hugenbergkonzernsim Bereich der Kinowochenschauen zu verhindern. Aufseinen Vorschlag hin erwarb das Reich die Mehrheit amletzten noch unabhngigenWochenschauproduzenten.[68]

    Die Regierung Mller holte schon bald die Frage nachdem Neubau neuer Marineschie ein, die bereits imWahlkampf eine groe Rolle gespielt hatte. Die brger-lichen Koalitionspartner bestanden auf einer Umsetzungder Plne und drohten mit dem Ende der Koalition. Seve-ring und die brigen sozialdemokratischen Minister woll-ten die Regierung erhalten und stimmten zu. Dies ls-te in der Partei eine Welle des Unmuts hervor. Severinghat versucht, die Entscheidung der Regierungsmitglie-der oensiv zu verteidigen. Aber selbst die Mehrheit derReichstagsfraktion lie sich nicht berzeugen. Sie zwangdie Regierungsmitglieder in der Abstimmung vielmehr,gegen den eigenen Gesetzesentwurf zu stimmen. Da dieseStimmen nichts an der Annahme des Gesetzes nderten,blieb die Koalition bestehen.[69]

    Die harte Haltung der Unternehmer fhrte 1928/1929 imso genannten Ruhreisenstreit zu einem Konikt mit denGewerkschaften und zur Aussperrung der Metallarbei-ter im rheinisch-westflischen Industriegebiet. Die Un-ternehmerseite brachte, vermittelt ber die DVP, Seve-ring als Vermittler ins Spiel. Bei den Gewerkschaften warSevering anerkannt, einer Sonderschlichtung aber miss-trauten sie. Severing nahm die Schlichterrolle unter derBedingung an, dass beide Seiten im Voraus erklrten,sich seinem Schlichterspruch zu unterwerfen. An frhe-re Schlichtersprche war er bei seinem Schlichtungsver-such nicht gebunden. Nach einem heftigen Konikt wur-

  • 4.9 Reichsinnenminister 1928 13

    de Severing schlielich auch vomGewerkschaftslager ak-zeptiert. Seine Entscheidung fhrte zu etwas geringerenEntgelten der Arbeitnehmer als im Schlichterspruch sei-nes Vorgngers. Beide Seiten waren zwar damit nichtganz zufrieden, bewerteten ihn jedoch als Erfolg fr ih-re Sache.[70] Vom linken Flgel der SPD kam dagegenscharfe Kritik. Die Leipziger Volksstimme sprach sogarvon einem Severing Skandal.[71]

    Innerhalb der Partei blieb die Militrpolitik auf der Ta-gesordnung. Auf dem Parteitag von 1929 kam es zumStreit ber ein Wehrprogramm, das von einer Kom-mission vorgelegt worden war. Dagegen sprach sich ins-besondere die linke Klassenkampfgruppe um Paul Le-vi und andere aus. Diese Gruppe lehnte das Militr ka-tegorisch ab, weil sie es als Mittel zur Unterdrckungder Arbeiterklasse betrachtete. Severing war einer derHauptredner fr den vorliegenden Antrag. Er warnte da-vor, nur stndig die Reichswehr zu bekritteln.Wer nichtauch das Positive sehe, knne eine Republikanisierungder Reichswehr nicht erreichen. Durch seine positiv auf-genommene Rede hat Severing dazu beigetragen, eineMehrheit fr den etwas modizierten Kommissionsent-wurf zu gewinnen.[72] Der eher rechte Flgel der SPDwurde von Severing auch gefrdert, als er 1929 zur Grn-dung des neuen Theorieorgans Neue Bltter fr den So-zialismus 5000 M aus einem Regierungsfonds zum Re-publikschutz beisteuerte. Ohne dieses Kapital wre dasErscheinen nicht mglich gewesen.[73]

    4.9.2 Gegen die politischen Extreme

    Whrend einer Kabinettskrise, in der das Zentrum sei-nen Minister Theodor von Gurard aus der Regierungzurckzog, bernahm Severing kommissarisch auch des-sen Posten als Minister fr die besetzten Gebiete. Nachder Rckkehr des Zentrums am 13. April 1929 war dieRegierung zunchst gestrkt worden. Gegen den insbe-sondere von Auenminister Gustav Stresemann zustan-de gebrachten Young-Plan zur Regelung der Reparatio-nen erhob sich der Protest des rechten politischen La-gers. Insbesondere Hugenberg trieb ein Volksbegehrengegen den Young-Plan voran. Severing stand an der Spit-ze derjenigen, die gegen dieses Volksbegehren auftratenund sich gegen die Angrie der Hugenberg-Presse wehr-ten. In Teilen der entlichkeit wurde das schlielich ge-scheiterte Volksbegehren zu einem Kampf zwischen Hu-genberg und Severing stilisiert.[74]

    Auf der Linken hatte die KPD inzwischen dieSozialfaschismusthese bernommen und agitier-te vorwiegend gegen die SPD. Insbesondere derRotfrontkmpferbund (RFB) versuchte zu provozie-ren. Gegen eine verbotene Demonstration ging diepreuische Polizei am 1. Mai 1929 hart vor. Es kamzu brgerkriegshnlichen Auseinandersetzungen inBerlin, dem so genannten Blutmai. In der Folge drng-te Grzesinski Severing, ein reichsweites Verbot desRotfrontkmpferbundes zu erlassen. Um Druck auf

    Preuische Polizei whrend der Maiunruhen 1929

    den Reichsinnenminister auszuben, lie Grzesinskiden RFB in Preuen schon zuvor verbieten. Letztlichkam es zu einem entsprechenden Verbotsbeschlussder Landesinnenminister. Severing selbst stand demVorgehen skeptisch gegenber, weil der Schritt noch zurRadikalisierung der KPD beigetragen habe. Weiterge-hende Plne fr ein Verbot der KPD insgesamt hielt erfr nicht durchfhrbar.[75]

    Angesichts der Entwicklungen auf der extremenLinken und Rechten war in Severings Augen eineVerlngerung des am 22. Juli 1929 auslaufendenRepublikschutzgesetzes ntig. Ein erster Entwurf schei-terte im Reichstag. Ein leicht abgeschwchter Entwurf,der keine Zweidrittelmehrheit mehr im Parlamentbentigte, wurde schlielich angenommen.Obwohl das demokratische System schon brchig war,betonte Severing als Hauptredner zu den Feierlichkeitenzum zehnjhrigen Verfassungsjubilum, dass die Repu-blik Willens sei, sich ihrer Feinde zu erwehren.[76]

    4.9.3 Ende der Regierung Mller 1930

    Wirtschaftlich bedroht wurde die Republik durch diebeginnende Weltwirtschaftskrise. Innenpolitisch beganninsbesondere die DVP nach dem Tod von Stresemanndamit, die SPD aus der Regierung zu drngen. Anfangssetzte sich Severing immer wieder fr Zugestndnisse ge-genber den brgerlichen Parteien ein. Am Ende gin-gen aber auch ihm die Forderungen der anderen Seite zuweit. Im entscheidenden Konikt whrend der Etatbera-tungen fr das Jahr 1930 lehnte er im Namen der SPD-Minister den Entwurf des Reichsnanzministers ab, weildieser keine direkten Steuern zur Heranziehung der Besit-zenden beinhaltete. Severing pldierte zur Deckung deskrisenbedingten Dezits in der Arbeitslosenversicherungfr direkte Steuererhhungen, etwa in Form eines Zu-schlags zur Einkommensteuer. Dagegen wandte sich dieDVP nachdrcklich. Der intensive Streit um den Haus-halt konnte noch einmal beigelegt werden. Am 27. Mrz1930 zerbrach die Regierung Mller jedoch an der Aus-einandersetzung um die Arbeitslosenversicherung. Vor-

  • 14 4 WEIMARER REPUBLIK

    angegangen war ein Kompromissvorschlag von HeinrichBrning, der im Kern eher der DVP nahekam und ins-gesamt einen sozialpolitischen Rechtsruck bedeutet ht-te. Gleichwohl pldierte Severing, um die Regierungzu retten, fr die Annahme dieses Vorschlages, konn-te sich damit in der SPD aber nicht durchsetzen. Sei-ner Meinung nach wre die Annahme des Kompromis-ses besser gewesen, als die Republik den rechten Partei-en zu berlassen.[77] Severing uerte dazu im Reichs-tag: dieser Rcktritt war keine gewhnliche Demissi-on, sondern der Abschluss einer politischen Periode, inder es der Sozialdemokratie mglich war, die Reichspo-litik unmittelbar zu beeinussen. Es gehrt keine Prophe-tengabe dazu, um vorauszusagen, dass nunmehr der Kursbewusst ohne Sozialdemokraten gesteuert werden sollte,in mehreren Fragen auch gegen sie.[78]

    4.10 Preuischer Innenminister in derKrise der Republik

    Nach dem Ende seiner Ministerzeit wurde Severing dieEhrendoktorwrde der Technischen Hochschule Braun-schweig verliehen. Wegen Drohungen nationalsozialisti-scher Studenten wurde die Verleihung nicht entlichbegangen.[79]

    Insbesondere nach den Reichstagswahlen von 1930 mitden Erfolgen von KPD und NSDAP sprachen sich Seve-ring, Braun undHeilmann fr eine Tolerierung der Regie-rung von Heinrich Brning durch die SPD-Fraktion aus.Fr diese war die erste Prsidialregierung das kleinerebel angesichts des erstarkten Nationalsozialismus.[80]

    Anstelle von Grzesinski, der wegen einer privaten A-re zurcktreten musste, wurde Severing nach einer kur-zen Amtszeit von HeinrichWaentig am 21. Oktober 1930erneut preuischer Innenminister. Fr MinisterprsidentBraun war Severing allerdings nicht die erste Wahl. Eineerneute Berufung von Grzesinski stie beim Koalitions-partner der Zentrumspartei aber auf harten Widerstand.Brauns Zgern lag die Einschtzung zu Grunde, Seve-ring sei zu wenig tatkrftig. Von Seiten der Mehrheit derRepublikaner wurde die Amtsbernahme allerdings alsHonung auf einen erfolgreichen Kampf gegen die poli-tischen Extreme angesehen. Der Vorwrts schrieb: DieErnennung Carl Severings zum preuischen Innenminis-ter wird in allen Kreisen als Antwort auf die nationalso-zialistischen Diktatur- und Staatsstreichplne aufgefasstwerden. Das Blatt lobte noch einmal die Demokrati-sierung der Verwaltung und die Schaung des SystemsSevering, gegen das der ganze Zorn der entmachtetenJunker und Reaktionre emporgeiferte. Dagegen fasstedie extreme Rechte die Ernennung als Provokation auf,und fr die Kommunisten war Severing die Verkrpe-rung des Sozialfaschismus.[81] Severing selbst gab sichkampfbereit. Er sei nicht kampfesmde, und wenn manam vergangenen Sonnabend im Reichstag versucht habe,ihm den Puls zu fhlen, so knne er vor seinen Gegnern

    erklren, dass er dasWort krnklich aus seinem Lexikongestrichen htte.[82]

    Ein erster Konikt war die Kampagne, die insbesondereJoseph Goebbels gegen den Film Im Westen nichts Neu-es nach dem Roman von Erich Maria Remarque insze-niert hatte. Severing und der zum Polizeiprsidenten vonBerlin ernannte Grzesinski lieen die Kinos bewachenund verboten Demonstrationen der Nationalsozialisten.Allerdings wurde der Film kurze Zeit spter auf Veran-lassung der Reichsregierung und des Reichsprsidentenverboten.[83] Severing musste auch bald erkennen, dassdie Schutzpolizei nur noch bedingt als Schutztruppe derRepublik taugte. Ein Groteil der Polizisten, insbesonde-re der Oziere, neigte dem Stahlhelm und der NSDAPzu. Um der sozialen Not derWeltwirtschaftskrise und da-mit der politischen Radikalisierung entgegenzutreten, be-teiligte sich Severing engagiert am Aufbau derWinterhil-fe. Nicht zuletzt auf Severings Drngen ergri Brningdie Initiative zu einer Notverordnung, die es ermglich-te, besser als zuvor gegen politische Extremisten vorzuge-hen. Dem folgten weitere hnliche Notverordnungen desReiches. Allerdings waren damit auch Einschrnkungenvon Grundrechten verbunden. In den ersten drei Mona-ten wurden mehr als 3400 Polizeiaktionen wegen politi-scher Straftaten gezhlt, die Mehrheit von ber 2000 Fl-len richtete sich dabei gegen die KPD.[84]

    Das Volksbegehren von rechten Parteien zur Ausungdes preuischen Landtages musste Severing zulassen, daes verfassungsgem war. Er verbot indes die aktive Un-tersttzung des Vorhabens durch Beamte und Polizisten.Die KPD brachte er gegen sich auf, als er eine kommunis-tische Spartakiade verbieten lie. Dies verstrkte in derkommunistischen Partei das Ziel, das sozialfaschistischeSystem Braun-Severing-Grzesinski zu strzen. Eine Fol-ge war, dass die KPD das schlielich gescheiterte Volks-begehren der NSDAP und anderer rechter Parteien un-tersttzte.Die Manahmen der Regierungen im Reich und inPreuen erwiesen sich als weitgehend wirkungslos beider Bekmpfung politisch motivierter Gewalttaten. Al-lerdings hielt Severing ein Verbot der KPD fr nicht mg-lich. Bei einem Verbot der SA sah er die Gefahr, dassdie Nationalsozialisten stattdessen den Stahlhelm unter-wandern wrden. Am Ende des Jahres 1931 nutzte Seve-ring die Boxheimer Dokumente dazu, die entlichkeitnoch einmal ber die nationalsozialistische Gefahr zu in-formieren. Verschiedene Ideen wie die, Adolf Hitler alsunerwnschten Auslnder abzuschieben, scheiterten amEinspruch der Reichsregierung.Als 1932 die Reichsprsidentenwahlen anstanden undBraun, Brning und andere Hindenburg als republikani-schen Kandidaten aufstellen wollten, war Severing skep-tisch, da er wusste, dass der Reichsprsident hug aufBerater aus dem rechten Lager hrte. Stattdessen schluger ohne Erfolg den populren und republiktreuen Kapitnder Zeppeline Hugo Eckener vor. Als die Entscheidung

  • 4.12 Preuenschlag 15

    Propagandawagen whrend der Reichsprsidentenwahl 1932

    fr Hindenburg gefallen war, setzte sich Severingmit allerEnergie fr diesen ein. So organisierte er die republika-nische Aktion, die ber die Parteigrenzen hinweg fr dieWahl Hindenburgs eintrat. Ihm gelang es auch, Geldmit-tel der Reichsregierung und Preuens fr denWahlkampfgegen Hitler zu akquirieren.[85]

    Bereits zwischen den beiden Wahlgngen zur Prsiden-tenwahl hatte Severing Gebude der NSDAP durchsu-chen lassen. Dabei wurde erheblich belastendes Materialwie etwa Suberungslisten gefunden. Vor diesem Hinter-grund begann Severing damit, sich bei der Reichsregie-rung fr ein Verbot der SA einzusetzen. Der Vorsto warerfolgreich, aber das am 13. April 1932 in Kraft getreteneSA-Verbot lief grtenteils ins Leere, weil die NSDAPauch von Mitarbeitern aus dem preuischen Innenminis-terium vorgewarnt war.[86]

    4.11 Geschftsfhrende Landesregierung1932

    Propaganda der NSDAP zur preuischen Landtagswahl am 24.April 1932

    Bei den preuischen Landtagswahlen wurde Severing vonGoebbels als eigentlicher Gegner betrachtet. Der Gaulei-ter von Berlin schrieb: Der Kampf um Preuen, HerrSevering, wird um ihren Namen und um ihre Person

    gefhrt.[87] Goebbels fhrte in der Folge eine Schmutz-kampagne mit angeblichen privaten Enthllungen. Aberes war vor allem die allgemeine politische Lage, die da-zu fhrte, dass nach den Wahlen die NSDAP und dieKPD eine negative Mehrheit errungen hatten. Die bishe-rige Regierung trat oziell zurck, fhrte die Geschf-te bis zur Wahl einer neuen Regierung aber fort. Nachder Wahl wurden verschiedene Mglichkeiten diskutiert,wieder zu einer Regierung mit einer Mehrheit im preui-schen Landtag zu kommen. Darunter war auch ein Bnd-nis von Zentrum und NSDAP. Severing hat fr vie-le berraschend eine Regierungsbeteiligung der Hitler-Partei befrwortet, weil er meinte, dass so die Bewegungentzaubert werden knnte. Spter versuchte er dies zu re-lativieren. Nur wenn klar sei, dass die Nationalsozialis-ten keinen Schaden anrichten knnten, sei ihre Regie-rungsbeteiligung zu tolerieren. Stattdessen pldierte ernunmehr dafr, dass das Kabinett ber lngere Zeit ge-schftsfhrend im Amt bleiben sollte. Bleiben bis zurAblsung und unverdrossen seine Picht tun, was immerkommen mag das ist vielleicht das schwerste Opfer,das bisher von der Partei und von den nchstbeteiligtenPersonen gefordert worden ist. Es muss aber gebrachtwerden, weil die Verfassung und das Wohl des Volkeses so verlangen.[88] Nach dem faktischen Rckzug vonOtto Braun war Severing die dominierende Person dergeschftsfhrenden Regierung. Er versuchte sogar noch,eine Verwaltungsreform durchzubringen. Schwierig wur-de die Situation fr die preuische Regierung nach demSturz Brnings.[89]

    4.12 Preuenschlag

    Das Kabinett Papen arbeitete von Anfang an auf dieBeseitigung der geschftsfhrenden preuischen Re-gierung hin. Dieses Vorhaben war verfassungswidrig,und die anderen Lnder stellten sich auf die SeitePreuens. Ein willkommener Anlass fr den so genann-ten Preuenschlag fand sich im so genannten AltonaerBlutsonntag. In der entlichkeit wurde bereits ber dieEinsetzung eines Reichskommissars fr Preuen debat-tiert. In diesem Zusammenhang machte der Herausge-ber des Vorwrts Friedrich Stampfer mit dem Satz, Se-vering htte kein Recht, auf Kosten der Polizeibeamtentapfer zu sein, deutlich, dass die SPD einer Entmach-tung in Preuen keinen aktiven Widerstand entgegenset-zen wrde. Am Morgen des 20. Juli 1932 ernete vonPapen Severing, dem stellvertretenden Ministerprsiden-ten Heinrich Hirtsiefer und Finanzminister Otto Klep-per, die er zu sich bestellt hatte, dass Hindenburg ihn,Papen, wegen der beim Altonaer Blutsonntag bewiese-nen Unfhigkeit der preuischen Regierung, Recht undGesetz in Preuen zu garantieren, zum Reichskommissarfr Preuen bestellt htte. Er bernehme die Regierungs-geschfte und entlasse zunchst den MinisterprsidentenOtto Braun und Severing. Das Innenministerium wer-de durch den Essener Oberbrgermeister Franz Bracht

  • 16 5 ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS

    bernommen. Die preuischen Minister protestierten ge-gen diese Manahmen und bezeichneten sie als verfas-sungswidrig und Severing erklrte: Ich weiche nur derGewalt. Darauf wurde sofort der Belagerungszustandber Berlin verhngt und die Reichswehr eingesetzt. Diepreuischen Minister verzichteten aber in Gnze darauf,Widerstand zu leisten, indem sie ihre Polizei einsetzten.Am Nachmittag des gleichen Tages lie sich Severing,der ber eine Polizeimacht von 90.000 preuischen Poli-zeibeamten gebot, von einer Abordnung des neu ernann-ten Polizeiprsidenten mit zwei Polizisten aus seinem B-ro undMinisterium vertreiben.Weitere fhrende republi-kanische Polizeioziere und auch andere demokratischgesinnte Beamte wurden sofort und in den nchsten Ta-gen ihres Amtes enthoben. Klepper war entsetzt ber denFatalismus und die Passivitt Severings, wie er 1933 inder in Paris erscheinenden Exilzeitschrift das Neue Ta-gebuch in seinem Artikel Erinnerung an den 20. Ju-li berichtete.[90][91] Als einzige Gegenmanahme riefendieMinister den Staatsgerichtshof an. Auch wenn die Re-gierung in der im Herbst stattndenden Verhandlung vordem Staatsgerichtshof teilweise Recht bekam, hatten dieMinister durch die Aufgabe ihrer Posten ihren tatschli-chen Einuss verloren.[92]

    Die Verordnung des Reichsprsidenten von Hindenburg ber denAusnahmezustand an einer Berliner Litfasule, Aufnahme ausdem Bundesarchiv

    Entgegen der Erwartung vieler Anhnger der Sozialde-mokratie und der Republik befrwortete Severing einenaktiven Widerstand gegen den Preuenschlag nicht. Da-bei spielten zum einen sachliche Grnde eine Rolle. EinGeneralstreik war angesichts der hohen Arbeitslosigkeitwenig aussichtsreich, der Kampf der Polizei gegen dieReichswehr nicht zu gewinnen, und das Reichsbanner warebenfalls nicht so stark, wie es den Anschein hatte. Insbe-sondere waren aber persnliche Grnde von Bedeutung.Severing hatte innerlich resigniert und war gar nicht mehrzu einer wirkungsvollen Gegenwehr bereit. Wre er wirk-lich standhaft geblieben, htte er mglicherweise Papenzu Kompromissen zwingen knnen.[93]

    Nach dem Preuenschlag begann Papen sofort damit,

    die Spitzen der Behrden umzubesetzen. Republikan-hnger wurden entlassen. Obwohl weiterhin Sitzungender machtlosen Staatsregierung stattfanden, nahm Seve-ring an ihnen kaum noch teil. Stattdessen befand er sichals Symbolgur der Republikaner in einem fast stndi-gen Wahlkampf. Er war der letzte SPD-Politiker, der imRadio eine Wahlkampfansprache halten konnte. An denStimmenverlusten der Partei nderte sein Einsatz nichts.In der Endphase der Republik war Severing einer der we-nigen fhrenden Sozialdemokraten, die eine Unterstt-zung des neuen Reichskanzlers Kurt von Schleicher be-frworteten, um Hitler zu verhindern.[94]

    5 Zeit des Nationalsozialismus

    5.1 Beginn der nationalsozialistischenHerrschaft 1933

    Im Zuge der von der neuen Regierung geplanten Au-sung des preuischen Landtages wurden gegen Severingund Braun Vorwrfe laut, sie htten Staatsgelder unter-schlagen. Dabei handelte es sich um Mittel, die die Re-gierung 1932 fr die Bekmpfung der Gegner der Re-publik zur Verfgung gestellt hatte. Gegen Severing undBraun begann eine regelrechte Hetzkampagne. Gegen dieVorwrfe gingen beide vergeblich gerichtlich vor. In derentsprechenden Debatte im Landtag am 4. Februar 1933uerte Wilhelm Kube fr die NSDAP gegenber Se-vering: Sie sind fr uns keine politische Angelegenheit,sie sind fr uns eine kriminelle Angelegenheit.[95] DerAngegriene konnte darauf nicht antworten, weil ihn dieNSDAP-Abgeordneten durch Geschrei daran hinderten.Der Wahlkampf zu den Reichs- und Landtagswahlen imMrz 1933 konnte von der SPD nur eingeschrnkt ge-fhrt werden. Severing etwa durfte nur zwei Wahlkampf-reden halten. Wegen der Vorwrfe, Staatsgelder verun-treut zu haben, wurde er verhaftet, aber zur Sitzung desReichstages, in der das Ermchtigungsgesetz behandeltwurde, entlassen. Bei der Abstimmung im Reichstag warer der letzte, der seine Stimme abgab. Er berichtete: DieAnwesenheit von SA- und SS-Mnnern in den Gngenund im Sitzungssaal der Kroll-Oper verstrkte den dro-henden Ton der Ankndigung. () Mit der Neinkarte inder erhobenen Rechten ging ich darauf von meinem Platzdurch die Reihen der SA- und SS-Leute zur Abstimmung()[96] An der Abstimmung ber ein Ermchtigungsge-setz fr Preuen am 18. Mai 1933 nahm Severing nichtmehr teil, da er sein Landtagsmandat bereits niedergelegthatte.[97]

    Severing ging bewusst nicht in die Emigration. Er wollteseine Anhngerschaft insbesondere in Bielefeld nicht al-leine lassen. Auch ein Leben im Ausland konnte er sichnicht vorstellen. Severing gehrte zu dem Teil der SPD-Fhrung um Paul Lbe, die im Inland bis zum Verbot derSPD den Fhrungsanspruch der Exil-Partei bekmpfteund sich den neuen Verhltnissen anzupassen suchte.[98]

  • 17

    5.2 Leben in der Zeit des NS-Regimes

    In der Folgezeit wurde Severing nicht mehr verhaftet,gleichwohl musste er Schikanen ber sich ergehen las-sen und wurde berwacht. Aufgrund von Bedrohungenetwa durch die SA musste er mehrfach Bielefeld verlas-sen, aber ansonsten blieb er unbehelligt. Er selbst zog sichvollstndig aus der entlichkeit zurck und hielt sichzunchst von Widerstandsgruppen fern. Severing hieltwhrend der NS-Zeit allerdings auch durch Reisen engenKontakt zu frheren fhrenden Sozialdemokraten.Zwar machte er in kleinen Gesten wie derWeigerung, dieHakenkreuzfahne aufzuziehen, seine Haltung zum Re-gime deutlich, aber er lie sich vom Regime auch instru-mentalisieren. Whrend die Exil-SPD bei der Abstim-mung ber die Eingliederung des Saargebiets forderte,gegen den Anschluss zu stimmen, sprach sich Severingdafr aus. Dahinter steckte die berzeugung, dass dasRegime nur kurze Zeit bestehen werde, aber die Gefahrdrohe, dass das Saarland auf Dauer auerhalb des Reichs-gebiets bleibe. Fr die Exil-SPD war das Interview so un-geheuerlich, dass sie an eine Flschung glaubte.Bereits whrend des Dritten Reiches gab es Gerchte,dass Severing sich dem Regime zugewandt htte. ImMrz 1934 berichtete eine im Saarland erscheinendekommunistische Zeitung, dass Severing seine Memoi-ren unter dem Titel Mein Weg zu Hitler verentli-chen werde, und das Blatt druckte angebliche Auszgeab. In der Emigration gab es eine heftige Debatte, obdies der Wahrheit entspreche. Die Kampagne stellte sichrasch als haltlos heraus, der Verdacht wurde aber auchnach 1945 von interessierter Seite politisch gegen Seve-ring verwendet.[99]

    Fr das Verhltnis von Severing zumNS-Regime sind dieZahlungen problematisch, die er vomRegime erhielt. Da-bei ist zwischen zwei Aspekten zu unterscheiden. Juris-tisch vertreten durch seinen Schwiegersohn Walter Men-zel gelang es Severing, die Auszahlung des bergangs-geldes durchzusetzen, das ihm wie auch den anderenMit-gliedern der ehemaligen preuischen Regierung vom Re-gime verweigert wurde. Gleiches trit auch auf die Zah-lung einer kleinen Pension von 500 M zu. Problemati-scher als diese ihm rechtlich zustehenden Gelder ist einedarber hinausgehende Zahlung von 250 RM, die aus ei-nem Privatfonds Hitlers stammte. Weshalb er diese Zah-lung erhielt und weshalb er sie annahm, ist unklar. Dernach dem Krieg erhobene Vorwurf, er habe hier mit demRegime paktiert, ist allerdings falsch.[100]

    5.3 Beziehungen zum Widerstand

    Whrend des Zweiten Weltkriegs el sein Sohn an derFront. Die zahlreichen Bombenangrie auf Deutschlandmachten Severing deutlich, dass eine Weiterfhrung desKrieges in einer Katastrophe enden wrde. Daher be-gann er, Kontakt zu Widerstandskreisen insbesondere

    zu Wilhelm Leuschner und Wilhelm Elfes aufzuneh-men. Zusammen mit diesem ehemaligen Zentrumspoliti-ker plante er fr die Zeit nach Hitler die Grndung einerArbeiterpartei, die die bisherige Spaltung der Arbeiter-bewegung in christliche, kommunistische und sozialde-mokratische Fraktionen berwinden sollte. Als ehemali-ger Minister spielte er auch eine Rolle bei den personel-len Planungen des Widerstandes. Eine darber hinausge-hende Beteiligung oder gar aktive Teilnahme lehnte Se-vering ab, weil er den geplanten Umsturz als viel zu ris-kant und realittsfern ansah.[101] Trotz seiner Kontaktewurde Severing nach dem Scheitern des Hitlerattentatesvom 20. Juli 1944 nicht im Rahmen der Aktion Gitterverhaftet.[102]

    6 Nachkriegszeit

    6.1 Einuss ohne MandatUnmittelbar nach Kriegsende beriet Severing die zu-nchst amerikanischen und spter britischen Besatzungs-behrden bei der Besetzung von Stellen, wenngleich beimPosten des Bielefelder Oberbrgermeisters kein Sozial-demokrat zum Zuge kam und Sozialdemokraten auchnicht in der ersten beratenden Stadtverordnetenversamm-lung vertreten waren. Die SPD in Bielefeld und Ostwest-falen wurde in seinem Haus wieder gegrndet. Severingspielte auch in der Folgezeit die fhrende Rolle in derPartei. Seine Ideen einer die Grenzen der politischenLager berbrckenden Arbeiterpartei wurden allerdingsnicht verwirklicht. Das Verhltnis zu Kurt Schumacherwar seit der Weimarer Republik gespannt, aber sie hattenin dem Ziel, die deutsche Einheit zu bewahren, und inder Ablehnung der Kollektivschuldthese eine zumindestvorbergehend gemeinsame Basis der Zusammenarbeit.Dennoch blieben die Gegenstze gro. Severing lehnteden Rigorismus Schuhmachers ab. Anstelle der Konfron-tation setzte er auf Zusammenarbeit der SPD mit den b-rigen demokratischen Parteien. Severings Bemhen, mitden christlichen Kirchen und insbesondere mit katholi-schen Kreisen ins Gesprch zu kommen, blieb Schuma-cher ebenfalls fremd.[103]

    Severing hatte ber die Grenzen Bielefelds hinaus Bedeu-tung fr den demokratischen Neuaufbau. Er war Vorsit-zender der Oelder Konferenz, zu der sich Vertreter ver-schiedenster gesellschaftlicher Gruppen trafen, um mitdem Oelder Aufruf eine Basis fr einen politischenNeubeginn zu entwerfen. Der entliche Eindruck warso gro, dass Severing auch eine vergleichbare Konferenzfr das Rheinland leitete.Am 3. September 1945 trafen sich fhrende Verwal-tungsleiter der britischen Zone in seinem Haus. Sie be-stimmten den Hamburger Brgermeister Rudolf Peter-sen und Severing zu den deutschen Verbindungsleutenbei der Besatzungsbehrde. Auf Grund des Todes seinerFrau konnte Severing nicht an der Wennigser Konferenz

  • 18 6 NACHKRIEGSZEIT

    teilnehmen, auf der Kurt Schumacher seinen Fhrungs-anspruch fr die SPD der Westzonen durchsetzte. Im Be-reich der britischen Zone sollten die regelmigen Konfe-renzen der einzelnen Lnder unter dem Vorsitz Severingsstattnden. Die Mitarbeiter fr ein Verbindungssekreta-riat wurden von ihm bestimmt. Er verhandelte auch mitden Ruhrbergarbeitern, um diese zu einer greren Fr-dermenge zu bewegen, und machte Vorschlge zur Neu-formierung der Polizei. Ohne ein formales Amt hatte Se-vering eine so starke Stellung wie spter nie mehr inne.Im Oktober 1945 konnte Severing zur oziellen Zulas-sung der SPD in Bielefeld auf groen Versammlungensprechen.[104]

    6.2 Kampagne gegen SeveringBereits im Herbst 1945 begann Severings Einuss deut-lich abzunehmen. Hintergrund war eine von der ostdeut-schen KPD initiierte Kampagne, in der ihm vorgewor-fen wurde, dass er vom NS-Regime eine Pension erhal-ten htte. Zudem wurde ihm sein Verhalten whrend desPreuenschlages vorgeworfen. Aus dem westlichen Aus-land gab es sogar Berichte, Severing htte eine Verpich-tungserklrung zu Gunsten Hitlers unterschrieben. Ne-ben den gezielten Denunziationsabsichten stand hinterden Vorwrfen die Unklarheit darber, weshalb Severingdie NS-Zeit weitgehend unbehelligt berstehen konnte.Severing versuchte mit wenig Erfolg, oensiv gegen dieKampagne vorzugehen.Aber auch in der SPD gab es Kritik. Severing, Lbe undNoske schienen als Fhrungspersonen fr einen Neuan-fang wenig geeignet. Auch Schumacher sah dies hnlichund nutzte die Kampagne, um Severing aus dem Fh-rungskreis der SPD zu verdrngen. Severings Idee ei-ner ideologiefreien Arbeiterpartei wurde von Schuma-cher zudem scharf abgelehnt. Dass ihn die SPD in derProvinzWestfalen bei der Aufstellung der Landesliste frdie ersten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen nichtan die Spitze setzte, verbitterte ihn.[105]

    Nicht nur die persnlichen Angrie gegen Severing, son-dern auch das Bild, das sich die westlichen Alliierten vonihm machten, fhrte zu einer Schwchung seiner Posi-tion. Insbesondere die Franzosen sahen in seiner Ttig-keit den Versuch, das Preuentum in der britischen Zonewiederzubeleben. Die Briten sahen vor diesem Hinter-grund insbesondere Severings Position als Vorsitzenderder Konferenz der Lnderchefs bei Verhandlungen mitFranzosen und Russen als strend an. Auf Druck der bri-tischen Besatzungsbehrden legte er dieses Amt nieder.Auch in den beratenden Provinziallandtag der ProvinzWestfalen wurde er 1946 nicht berufen.[106]

    6.3 LandespolitikerDie Briten versagten ihm zunchst auch bei der neu zugrndenden Parteizeitung fr Ostwestfalen und Lippe

    (Freie Presse) die Lizenz. Immerhin schrieb Severing inder ersten Ausgabe den Leitartikel und stellte das Blattvor. Dieses war breiter aufgestellt als die Volkswacht vonvor 1933. Man wollte nicht nur Arbeiter und berzeugteSozialdemokraten ansprechen, sondern auch andere Le-serkreise erreichen. Severing leitete die Redaktion.Wenngleich er berregional nur noch geringe Bedeu-tung hatte, blieb Severing der fhrende Kopf der SPD inOstwestfalen, deren Fhrungspositionen mit seinen Ge-folgsleuten besetzt waren. Auf dem ersten Parteitag derostwestflisch-lippischen SPD Ende April 1946 wurdeSevering zum Bezirksvorsitzenden gewhlt.Mit seinem Einsatz gegen eine Angliederung von Ost-westfalen an ein neues groes Niedersachsen war Se-vering zusammen mit anderen erfolgreich. Bei denVerhandlungen zur Bildung des ersten Kabinetts vonNordrhein-Westfalen unter Rudolf Amelunxen (Zen-trumspartei) war Severing Leiter der Verhandlungsdele-gation der SPD. Besonders heftig waren die Auseinan-dersetzungen mit Konrad Adenauer,[107] der sich vor al-lem gegen die Besetzung des Innenministeriums mit Se-verings Schwiegersohn Walter Menzel wandte. Er mach-te Severing dafr verantwortlich, dass schlielich eineRegierung ohne die CDU zustande kam. Bei der Wahlzum ersten gewhlten Landtag von Nordrhein-Westfalenam 20. April 1947 wurde Severing in den Landtag ge-whlt, dem er bis zu seinem Tod angehrte.[108] Im Jahr1947 war er wieder mageblich an den Verhandlungenfr eine neue Regierung beteiligt. Im Landtag selbst warSevering eine moralische Autoritt, er nahm sein Man-dat sehr ernst. Er hielt die Rede zur Einweihung desLandtagsgebudes.[109]

    6.4 Letzte Jahre

    Vor den ersten Bundestagswahlen von 1949 erhote sichSevering als Anerkennung fr seine Lebensleistung denersten Platz auf der nordrhein-westflischen Landeslis-te, obwohl er nicht daran dachte, das Mandat anzuneh-men. Als die Partei dem nicht folgte, kandidierte er nichtwieder fr den Vorsitz des SPD-Bezirks Ostwestfalen-Lippe. Stattdessen wurde er Ehrenvorsitzender. Bereitszuvor hatte er aus Gesundheitsgrnden die Leitung derFreien Presse abgegeben. Allerdings schrieb er auch wei-terhin zahlreiche Artikel.Die letzten beiden Lebensjahre waren von Krankhei-ten geprgt. Gleichwohl sprach Severing weiterhin aufbedeutenden Parteiveranstaltungen und besuchte alteFreunde. Unter anderem besuchte er Otto Braun in derSchweiz. Sie legten die Konikte aus der Weimarer Zeitbei. Aber noch an der Jahreswende 1951/52 mischte ersich in die politische Debatte ein und untersttzte ei-ne Kampagne von Otto Grotewohl beziehungsweise vonSED und KPD zur Wiedervereinigung. Diesem Kurs tratKurt Schumacher strikt entgegen, und Severing kndigtesogar an, diesen strzen zu wollen. Dazu kam es krank-

  • 19

    heitsbedingt und wegen der Erkenntnis, von der SEDmissbraucht worden zu sein, nicht mehr.Bei seinem Tod hatte er fast jeglichen politischen Ein-uss verloren. Aber nach seinem Tod zeigte sich, dass erimmer noch hoch geachtet war. Der Landtag hielt eineTrauerfeier ab. Bis zur Beerdigung nutzten tausende vonBielefelderinnen und Bielefeldern die Gelegenheit, umdem Aufgebahrten die letzte Ehre zu erweisen. An sei-nem Trauerzug nahmen mehr als 40.000 Menschen teil.Beerdigt wurde Severing auf dem Sennefriedhof.[110]

    7 Ehrungen Nach Severing sind mehrere Bielefelder Schulen be-nannt worden, nmlich

    das Carl-Severing-Berufskolleg fr Metall- undElektrotechnik,

    das Carl-Severing-Berufskolleg fr Wirtschaftund Verwaltung,

    das Carl-Severing-Berufskolleg fr Gestaltungund Technik und

    das Carl-Severing-Berufskolleg fr Beklei-dungstechnik, Biotechnik, Hauswirtschaftund Soziales. Dieses wurde inzwischenumbenannt und trgt seitdem den NamenMaria-Stemme-Berufskolleg.

    DasBildungszentrumCarl Severing des Landesamtesfr Ausbildung, Fortbildung und Personalange-legenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalens inMnster trgt seinen Namen.

    Mehrere Straen in ganz Deutschland wurden nachihm benannt, u.a. in Berlin-Buckow, Bielefeld-Quelle, Bremen-Vahr, Dsseldorf-Garath undKln-Holweide sowie in Hiddenhausen.

    8 Werke 1919/20 im Wetter- und Watterwinkel. Berlin 1927. Mein Lebensweg. Greven, Kln 1950 (2 Bnde).

    9 Literatur Thomas Alexander: Carl Severing. Sozialdemo-krat aus Westfalen mit preussischen Tugenden.Westfalen-Verlag, Bielefeld 1992, ISBN 3-88918-071-X.

    Kurt Koszyk:Carl Severing. In:Westflische Lebens-bilder. Band XI, Mnster, 1975. S. 172201.

    Hans Menzel: Carl Severing. Historisch-PolitischerVerlag, Berlin 1932.

    Klaus Neumann: Carl Severing. Von der Armenschu-le ins Ministeramt. Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Mnster 1991, DNB 942952057 (= Westfa-len im Bild, Reihe: Persnlichkeiten aus Westfalen,Heft 4).

    Karsten Rudolph: Severing, Carl Wilhelm. In: NeueDeutsche Biographie (NDB). Band 24, Duncker &Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-11205-0,S. 286 f. (Digitalisat).

    Martin Schumacher (Hrsg.):M.d.R. Die Reichstags-abgeordneten derWeimarer Republik in der Zeit desNationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emi-gration und Ausbrgerung, 19331945. Eine bio-graphische Dokumentation. 3., erheblich erweiter-te und berarbeitete Auage. Droste, Dsseldorf1994, ISBN 3-7700-5183-1.

    Karl Ditt: Industrialisierung, Arbeiterschaft und Ar-beiterbewegung in Bielefeld. Gesellschaft fr West-fische Wirtschaftsgeschichte, Dortmund 1982,ISBN 3-921467-30-6.

    Heinrich August Winkler: Von der Revolution zurStabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in derWeimarer Republik 1918 bis 1924. Dietz, Berlin /Bonn 1984, ISBN 3-8012-0093-0 (= Arbeiter undArbeiterbewegung in der Weimarer Republik, Band1).

    Heinrich August Winkler: Der Schein der Normali-tt. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der WeimarerRepublik 1924 bis 1930. Dietz, Berlin / Bonn 1985,ISBN 3-8012-0094-9 (= Arbeiter und Arbeiterbewe-gung in der Weimarer Republik, Band 2).

    Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastro-phe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in derWeimarerRepublik 1930 bis 1933. 2. Auage, Dietz, Berlin /Bonn 1990, ISBN 3-8012-0095-7 (= Arbeiter undArbeiterbewegung in der Weimarer Republik, Band3).

    10 Weblinks

    Commons: Carl Severing Sammlung von Bildern,Videos und Audiodateien

    Literatur von und ber Carl Severing im Katalog derDeutschen Nationalbibliothek

    Carl Severing in der Datenbank der Reichstagsab-geordneten

  • 20 11 EINZELNACHWEISE

    Carl Severing in der Online-Version der EditionAkten der Reichskanzlei. Weimarer Republik

    Online-Biographie zu Carl Severing Eintrag im Lexikon westflischer Autoren (Kurz-biographie, Verentlichungen, Sekundrliteraturu.a.)

    11 Einzelnachweise[1] Koszyk, Severing, S. 173f.

    [2] zit. nach Alexander, Sozialdemokrat aus Westfalen, S. 21.

    [3] Koszyk, Severing, S. 176.

    [4] Ribhegge, Preuen im Westen, S. 268.

    [5] Karl Ditt: Industrialisierung, Arbeiterschaft und Arbeiter-bewegung in Bielefeld, Dortmund 1982, S. 248

    [6] Koszyk, Severing, S. 177.

    [7] Koszyk, Severing, S. 178.

    [8] Alexander, Severing, S. 49.

    [9] Visionen von Freiheit und Glck. Zum 50. Jahrestag derNeugrndung der Volksbhne Bielefeld von Martin Bo-denstein, ehemaliger Feuilleton-Chef der Neuen Westf-lischen Zeitung, Bielefeld.

    [10] Karl Ditt: Industrialisierung, Arbeiterschaft und Arbeiter-bewegung in Bielefeld. 18501914. Dortmund 1982, S.147.

    [11] Koszyk, Severing, S. 179f.

    [12] Kaiserliches Statistisches Amt (Hrsg.): Statistik derReichstagswahlen von 1907. Berlin: Verlag von Puttkam-mer & Mhlbrecht, 1907, S. 86 (Sonderverentlichungzu den Vierteljahresheften zur Statistik des DeutschenReiches) Fritz Specht / Paul Schwabe: Die Reichs-tagswahlen von 1867 bis 1907. Eine Statistik der Reichs-tagswahlen nebst den Programmen der Parteien und ei-nem Verzeichnis der gewhlten Abgeordneten. 2. durch ei-nen Anhang ergnzte Auage. Nachtrag. Die Reichstags-wahl von 1907 (12. Legislaturperiode. Berlin: Verlag CarlHeymann, 1908 S. 38f)

    [13] Koszyk, Severing, S. 180.

    [14] zit. nach Alexander, S. 67.

    [15] zit. nach Alexander, Severing, S. 73.

    [16] Alexander, Severing, S. 7274.

    [17] Alexander, Severing, S. 74.

    [18] zit. nach Alexander, Severing, S. 78.

    [19] Alexander, Severing, S. 7779.

    [20] Alexander, Severing, S. 8084.

    [21] Alexander, Severing, S. 82f.

    [22] zit. nach Alexander, Severing, S. 84.

    [23] zit. nach Alexander, Severing, S. 85.

    [24] Alexander, Severing, S. 8487.

    [25] zit. nach Alexander, Severing, S. 90.

    [26] Alexander, Severing, S. 91102.

    [27] Winkler, von der Revolution zur Stabilisierung, S. 104.

    [28] Koszyk, Severing, S. 185.

    [29] zit.