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13. Teil des Prologs zum Buch
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© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 89
SPRACHLOS IN NIPPES
Mit einem „Mach‘s gut, Lale“ hatte Hannes ihr einen Kuss auf die Stirn
gedrückt. Dann war er in seiner Uniform aus ihrer Wohnung gestürmt und
im Treppenhaus verschwunden.
Seitdem hockte Lale in ihrem Flur, den Rücken an die Wohnungstür
gelehnt, und weinte. Wie konnte sie nur so blöd sein?! Sie hatte selbst
Schuld, dass sie jetzt wie ein Häuflein Elend Rotz und Wasser heulte und
sich vorkam wie die letzte Idiotin. Hannes war nicht gut für sie! Warum
hatte sie das nur vergessen?!
An der Tür klopfte es. Sie stand auf, wischte sich die Tränen aus dem
Gesicht und sah durch den Spion. Hannes. Was wollte der schon wieder?
Sie öffnete die Tür nur einen Spalt weit.
„Was willst du“, fragte sie schroff und hoffte, dass sie nicht allzu verheult
aussah. Dann fiel ihr auf, dass auch seine Augen verräterisch glänzten.
„Ich ... “, stammelte er und verstummte. Im Treppenhaus hoch über ihnen
entstand Tumult. Jemand polterte eilig die Stufen herunter. Lale zog ihre
Tür auf und winkte Hannes in die Wohnung. Ihr Trennungsgespräch ging
niemanden etwas an, schon gar nicht ihre ätzenden Nachbarn.
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 90
In der Küche setzten sie sich. Diesmal gab es keinen Tee. Der Himmel vor
dem Fenster war stumpf und grau. Ebenso grau wie das Gefühl, das ihr
Herz im Griff hielt.
Hannes sah sie an und suchte nach Worten. Genau so hatte gestern alles
angefangen. Hier in dieser Küche. Warum hatte sie sich bloß nochmal auf
ihn eingelassen? Sie wusste doch, dass er nicht für eine Beziehung taugte.
Dass er immer dann die Flucht ergriff, wenn es ernst wurde. Und dass er
sich immer dann ein wenig öffnete, wenn sie sich von ihm zurückzog. Wie
sie dieses ewige Katz und Maus-Spiel hasste!
„Lass uns nicht im Streit auseinandergehen“, sagte er und studierte seine
Hände. „Es kann so viel passieren … Ich will nicht, dass du denkst, mir
fällt das leicht, dich loszulassen.“
In Lales Augen sammelte sich die nächste Tränenflut. „Ich versteh einfach
nicht, was dein Problem ist.“
Hannes hob den Kopf und sah sie an. Er sah auf einmal total verloren aus.
„Ich weiß es doch auch nicht, Lale. Ich weiß nur, dass du mir unendlich
wichtig bist. Werd glücklich. Versprich mir das.“
„Wie denn?“, flüsterte sie. „Wie denn ohne dich?“
Doch darauf antwortete er nicht. Er saß einfach nur da, sprachlos, und
starrte auf seine Beschützer-Hände.
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 91
„Ich hoffe, wir bleiben Freunde“, sagte er dann und stand auf.
Freunde, dachte Lale bitter. Was für ein schwacher Trost.
„Sicher, bleiben wir“, antwortete sie mechanisch und erhob sich ebenfalls.
Er sollte bloß nicht merken, wie schlecht es ihr mit diesem schlappen Deal
ging.
„Lale, es tut mir ...“
„Schon okay“, unterbrach sie ihn. Dass es ihm leid tat, hatte er in den
letzten Stunden oft genug gesagt. „Es ist nicht allein deine Schuld, dass
das mit uns nicht funktioniert.“
Es tat weh, sich das einzugestehen, aber es stimmte. Wenn sie ehrlich war,
hatte sie von dem Moment, in dem sie sich kennengelernt hatten, gewusst,
dass Hannes nicht der Mann war, mit dem sie alt werden würde.
Er nickte erleichtert. Und machte einen Schritt auf sie zu.
„Ich muss dann mal.“ Er nahm sie in den Arm und zog sie fest an sich.
„Klar.“ Sie löste sich von ihm und ging vor ihm her in den Flur. Die Hand
auf der Klinke drehte sie sich zu ihm um.
„Pass auf dich auf da unten. Versprochen? Ich will nicht irgendwann an
deinem Sarg stehen müssen.“ Sie versuchte ein Lächeln.
„Keine Sorge. Ich bin immer der erste, der in Deckung geht, wenn‘s ernst
wird“, lächelte er zurück. Doch seine Augen lachten nicht mit.
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 92
An der Tür fanden sie beide keine Worte mehr. Ein letzter, inniger Kuss –
und dann war er weg.
Diesmal endgültig, das spürte Lale.
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 93
SCHWESTERHERZSCHMERZ
Rudi saß in der Filmdose und klammerte sich an ihren heißen Orangensaft
mit Ingwer. Hannes lächelte sie schuldbewusst an. Seine Augen waren
gerötet. „Ich versteh ja, dass du sauer bist, Rudi. Sorry. Ich war noch bei
...“, er suchte nach Worten, fand offensichtlich keine und löffelte
stattdessen stumm Zucker in seinen Milchkaffee.
Rudi nickte, ebenfalls wortlos. Sie hatte keine Lust, sich mit Hannes zu
streiten. Er würde eh nicht verstehen, was ihr Problem war. Und auf
einmal wusste sie, bei wem er die Nacht verbracht hatte. Die Erkenntnis
stach ihr wie ein Stachel ins Herz.
„Du warst bei Lale, stimmt‘s?“
Hannes hob den Blick. Seine schwarzen Augen wirkten kühl, distanziert.
Der Einsatz in Afghanistan hatte ihn verändert.
„Ich hab‘s lang nicht wahrhaben wollen“, nickte er nach einer Weile, „aber
heute weiß ich, Lale hat zu Recht Schluss gemacht. Das musste ich ihr
sagen.“
„Und dafür hast du den ganzen Abend und die ganze Nacht gebraucht?“
Rudi ballte eifersüchtig die Fäuste in ihrem Schoß. Wie konnte ihm seine
Ex wichtiger sein als seine Schwester?
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 94
„Wir ... ich ...“, stotterte er. „Weißt du, als ich Lale ...“
„Schon gut“, winkte Rudi ab. „Ich kann‘s mir denken: Revival-Sex mit der
Ex. Übertrieben überflüssig, wenn du mich fragst.“
„Hast ja recht“, gab er zu. „Jetzt weiß ich das auch.“ Er hob seine Tasse
hoch und pustete hinein. „Wir hatten Riesenzoff heute Morgen.“
Der Kellner, ein Glatzkopf mit zwei verschiedenfarbigen Augen, den Rudi
flüchtig aus der Uni kannte, brachte das Frühstück.
„Und wie seid ihr jetzt auseinandergegangen?“, fragte sie so beiläufig wie
möglich, während sie etwas von ihrem Rührei auf eine Scheibe
Schwarzbrot schaufelte. Hannes sollte bloß nicht merken, dass sie ihn am
liebsten in der Luft zerfetzt hätte.
„Keine Ahnung“, schüttelte er den Kopf. „Eigentlich dachte ich, Lale wär
cool mit der Trennung. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.“
Rudi zwang sich, ruhig zu bleiben. Hannes kapierte anscheinend immer
noch nicht, wie sehr Lale ihn geliebt hatte. Und vermutlich hatte sich
daran bis heute nichts geändert. Aber das war nicht mehr Rudis Problem.
Sie hielt sich da besser raus.
„Warum habt ihr zwei eigentlich keinen Kontakt mehr?“ Hannes biss in
sein Honig-Brötchen. „Ihr wart doch die besten Freundinnen.“
„Als sie sich von dir getrennt hat, hat sie mich gleich mit abserviert.“
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 95
„Das tut mir leid, Schwesterherz.“
Rudi schüttelte den Kopf und nippte an ihrem Orangensaft, der inzwischen
leider lauwarm war.
„Vergiss es. Lass uns nicht von Lale reden. Wie ist es in Afghanistan? Und
was für einen Film hast du in Bonn gedreht?“
Jetzt war es Hannes, der abwinkte.
„Ne Image-Geschichte. Die Bundeswehr braucht Soldaten für
Auslandseinsätze. Bevorzugt Migranten, die sich vor Ort mit der
einheimischen Bevölkerung verständigen können. Das soll zu mehr
Akzeptanz und Sicherheit führen.“
„Und wofür brauchten die dich?“
„Ich bin der einzige aus meiner Einheit, der nicht wie ein Deutscher
aussieht“, antwortete Hannes und biss seelenruhig in sein Brötchen. Rudi
leerte ihr Glas und kaute missmutig auf einer Ingwerscheibe herum.
„Find ich total scheiße“, sagte sie dann. „Die machen dich zur Kokosnuss.
Wir sind Schwarze Deutsche, das ist auch unser Land. Aber die Leute
kapieren das nie, wenn du ihnen den Ausländer vorspielst.“
Hannes nickte abwesend und sah auf seine Uhr. Grundsatzgespräche über
derartige Themen verabscheute er wie Gremlins das Wasser.
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 96
„Ich weiß. Aber lass uns jetzt nicht darüber streiten. Ich hab nicht mehr
viel Zeit, und ich weiß noch gar nichts von dir. Wie geht‘s dir denn hier in
Köln?“
„Alles bestens“, log Rudi. Was sollte sie ihm auch erzählen? Rührseliges
aus ihrem tristen Single-Leben? Die neuesten Stories aus ihrer Horror-
WG? Oder dass sie den Job in der Kneipe würde kündigen müssen, weil er
sie von guten Leistungen in der Uni abhielt? Hannes war ihr großer
Bruder, sie liebte ihn über alles. Aber etwas zwischen ihnen hatte sich
verändert. Er war so distanziert. Total fremd irgendwie. Besser, wenn sie
ihre Probleme in Zukunft allein anging ...
Sie zwang sich zu lächeln und sah in sein Pokerface. Fühlte sich so
Erwachsenwerden an?