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Catwatching 1-57 Bel. Catwatching 1-57 03.12.12 15:32 … · Desmond Morris Catwatching Die Körpersprache der Katze Aus dem Englischen von Gisela Bulla WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

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Desmond Morris

CatwatchingDie Körpersprache der Katze

Aus dem Englischen von Gisela Bulla

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Catwatching 1-57_Bel._Catwatching 1-57 03.12.12 15:32 Seite 3

15. Auflage

Taschenbucherstausgabe 06/2000

Copyright © 1994 by Desmond Morris

Copyright © 1995 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

http://www.heyne.de

Printed in Germany 2013

Bildredaktion: Nadine Bazar

Umschlagillustration: Tony Stone Worldwide/Desmond Burdon

Umschlagkonzept und - gestaltung: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur,

München - Zürich

Herstellung: Armin Köhler, München

Druck und Verarbeitung: RMO-Druck, München

ISBN: 978-3-453-17259-3

Titel der englischen Originalausgabe:

CATWATCHING

Erschienen 1994 bei Ebury Press Limited, London

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier

Périgord liefert Papierunion, hergestellt von Condat.

17259_Impressum_15.Aufl_17259_Impressum_11.Aufl. 03.12.12 07:18 Seite 1

INHALT

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Die Katze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Warum schnurren Katzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28Warum heißt die Katze Katze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30Wie schnurrt die Katze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Wie sensibel ist das Gehör der Katze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34Wie viele verschiedene Laute kann die Katze hervorbringen? . . . . 37Was ist Catgut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47Wie bringt es eine Katze fertig, auf alle vier Pfoten zu fallen? . . . . 49Was macht eine Katze mit ihren Schnurrbarthaaren? . . . . . . . . . . 51Warum leuchten Katzenaugen im Dunkeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . 54Warum zieht sich die Pupille der Katze zu einem senkrechten

Spalt zusammen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Können Katzen Farben sehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Was signalisieren Katzen durch ihre Augensprache? . . . . . . . . . . 59Warum lassen sich Katzen so gern streicheln? . . . . . . . . . . . . . . . 62Warum rollt sich eine Katze auf den Rücken, wenn sie Sie sieht? . 63Warum reibt sich die Katze zur Begrüßung an Ihren Beinen? . . . 65Warum erheben sich manche Katzen zur Begrüßung

auf die Hinterbeine? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66Warum fühlen sich Katzen manchmal von Menschen angezogen,

die keine Katzen mögen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68Warum sagt man, »da ist nicht genügend Platz, um eine Katze

herumzuschwenken«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Warum schmollen Katzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71Wie fein sind die Geschmacksempfindungen der Katze? . . . . . . . 75Warum verweigern Katzen manchmal ihr Futter? . . . . . . . . . . . . . 78Warum trinken Katzen gern schmutziges Wasser? . . . . . . . . . . . . 82Welche Substanzen sind für Katzen giftig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85Warum reagieren Katzen so stark auf Katzenminze? . . . . . . . . . . . 89Wieso hat eine Katze neun Leben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

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Warum »schnattert« eine Katze, wenn sie durchs Fenster einen Vogel sieht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

Warum dreht eine Katze ihren Kopf von einer Seite zur anderen, wenn sie ihre Beute anstarrt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

Warum spielt eine Katze manchmal mit dem Beutetier, bevor sie es tötet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Wie geht eine Katze mit ihrer selbstgefangenen Nahrung um? . . . 98Wie erfolgreich ist eine Katze bei der Bekämpfung sogenannter

Schädlinge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Warum bringen Katzen ihren Besitzern oft frisch gefangene

Beutetiere? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Warum vergräbt eine Katze ihren Kot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105Welche Gerüche stoßen Katzen ab? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107Warum fressen Katzen Gras? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110Warum verwendet eine Katze soviel Zeit darauf, ihr Fell zu putzen? 112Wie viele verschiedene Arten von Fellhaar hat die Katze? . . . . . . . 118Warum leckt eine Katze sich das Gesicht, auch wenn es

gar nicht schmutzig ist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121Wie groß ist das Territorium einer Katze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124Wie gesellig sind Katzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128Warum maunzen Katzen inständig, um rausgelassen zu werden,

und maunzen gleich darauf wieder, um reingelassen zu werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

Warum sagen wir, »er lässt die Katze aus dem Sack«? . . . . . . . . . 133Was signalisiert eine Katze mit der Stellung ihrer Ohren? . . . . . . 134Wie kämpfen Katzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137Warum fauchen Katzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141Warum macht eine Katze einen Buckel, wenn sie einen fremden

Hund erblickt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143Warum wedelt eine Katze mit dem Schwanz? . . . . . . . . . . . . . . . . 146Wie viele Botschaften können Katzen mit dem Schwanz

übermitteln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148Wie spielt sich die Brautwerbung bei Katzen ab? . . . . . . . . . . . . . 150Warum packt der Kater das Weibchen beim Zeugungsakt

im Genick? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

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Warum heißt der Kater in England »Tom«? . . . . . . . . . . . . . . . . . 155Warum schreit das Weibchen bei der Paarung? . . . . . . . . . . . . . . 156Wie geht eine Katzenmutter mit ihren Neugeborenen um? . . . . . . 159Wie vermeiden Katzenkinder Streit, wenn sie bei der

Mutter trinken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162Säugt ein Katzenweibchen auch fremde Junge? . . . . . . . . . . . . . . 163Können Katzengeschwister aus einem Wurf verschiedene

Väter haben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166Warum sind weiße Katzen schlechte Mütter? . . . . . . . . . . . . . . . . 170Wie entwickeln sich junge Katzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173Was ist der Ursprung des Kinderspiels, das im Englischen

»Katzenwiege« heißt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175Warum bringt eine Katze ihre Jungen in ein anderes Nest? . . . . . 176Wie lernen junge Katzen, ihre Beute zu töten? . . . . . . . . . . . . . . . 180Was besagt die englische Redensart, dass jemand

»Kätzchen bekommt«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182Warum werfen junge Katzen ihr Spielzeug manchmal hoch

in die Luft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183Wie verhalten sich alte Katzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186Warum reißen Katzen Fäden aus dem Bezug Ihres

Lieblingssessels? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190Haben Katzen ASW? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193Wann wurden die ersten Katzen domestiziert? . . . . . . . . . . . . . . . 197Wie stark hat die Domestizierung die Katze verändert? . . . . . . . . 200Welchen Ursprung hat die Tabbykatze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203Wie verlor die Manxkatze ihren Schwanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207Warum stammen so viele Zuchtkatzenrassen aus Asien? . . . . . . . 210Wie beeinflusst die Temperatur die Farbe des Katzenfells? . . . . . . 213Welche Katzen sind die Riesen beziehungsweise die Zwerge

dieser Tierart? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216Können Katzen Erdbeben vorausahnen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218Wann wurden die ersten Katzenausstellungen veranstaltet? . . . . . 219Sind einige Zuchtrassen als anomal zu bezeichnen? . . . . . . . . . . 222Welche Spiele mögen Katzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227Welches sind die teuersten Katzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

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Warum sagt man in England, wenn es gießt, »es regnet Katzen und Hunde«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

Warum haben so viele Katzen wenigstens einige weiße Haare? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

Warum glaubt man in England, dass schwarze Katzen Glück bringen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

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EINFÜHRUNG

Die domestizierte Katze ist ein Widerspruch in sich. Kein anderes Tierhat eine so enge Beziehung zum Menschen entwickelt und sich gleich-zeitig so viel Unabhängigkeit und Bewegungsfreiheit bewahrt. Der Hundmag der beste Freund des Menschen sein, aber nur selten erlaubt manihm, frei und nach eigenem Willen durch Garten und Straßen zu laufen.Der gehorsame Hund muss sich spazierenführen lassen, die eigensin-nige Katze aber streift frei umher.

Katzen führen ein Doppelleben. Zu Hause bleiben sie immer Katzen-kinder, die zu ihrem Besitzer aufsehen. Draußen, auf Pirsch, ist dieKatze völlig erwachsen, ihr eigener Herr, ein freies, wildes Tier, wach-sam und nicht auf fremde Hilfe angewiesen. Ihren menschlichen Besit-zer vergisst sie dabei vorübergehend vollkommen. Es ist faszinierend,diese blitzschnelle Verwandlung vom zahmen zum wilden Tier undzurück zu erleben. Jeder Katzenhalter wird wissen, was ich meine, wenn

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er jemals zufällig seinem Haustier im Freien begegnet ist, als es völligvertieft war in eines jener Katzendramen voll Sex und Gewalttätigkeit.Das Tier mag völlig aufgehen in seinem intensiven Werben oder imKampf um die Rangordnung, bis es aus dem Augenwinkel seinenmenschlichen Besitzer entdeckt. Einen zwiespältigen Augenblick lang istdie Katze hin und her gerissen; ein Zögern – dann läuft sie herbei, reibtsich am Bein des Besitzers und wird wieder zum Hauskätzchen.

Dass die Katze zahm bleibt, ist ein Ergebnis dessen, wie sie auf-wuchs. Da eine Katze während ihrer Kindheit und Jugend sowohl mitanderen Katzen (ihrer Mutter und Geschwistern) als auch mit Men-schen (der Familie, bei der sie aufwächst) zusammenlebt, sind ihr beide vertraut, und sie glaubt, beiden Spezies anzugehören. Sie ist wieein Kind, das in einem fremden Land aufwächst und infolgedessen zweisprachig wird. Die Katze wächst gewissermaßen zweigleisig heran.Körperlich gesehen mag sie eine richtige Katze sein, aber innerlich istsie beides, Katze und Mensch. Ist sie erwachsen, dann sind die meisten ihrer Ausdrucksformen zwar die einer Katze. Ihren menschlichen Besit-zern gegenüber behält sie im wesentlichen nur ein einziges Verhaltens-muster bei: Sie betrachtet sie als Adoptiveltern. Das geschieht deshalb,weil sie in einem bestimmten Stadium die Aufgaben übernehmen, dieauch die leibliche Katzenmutter ihren Jungen gegenüber erfüllt: Sie ge-ben ihr Milch, gut zu essen und Behaglichkeit.

Die Bindung zwischen Mensch und Katze unterscheidet sich sehrvon der zwischen Mensch und Hund. Der Hund sieht seine menschli-chen Besitzer zwar auch als Adoptiveltern an, genau wie die Katze. Wasdas angeht, sind die Motive für ihre Anhänglichkeit gleich. Aber für denHund gibt es noch eine zusätzliche Bindung: Kaniden, Angehörige derFamilie der Hunde und hundeartigen Raubtiere, tun sich zu Gruppenzusammen, die der Katzenartigen, der Feliden, nicht. Hunde leben inRudeln; der Status jedes einzelnen Tieres ist genau festgelegt und unter-liegt laufender Beobachtung. Es gibt Anführer, die an der Spitze stehen,eine Mittelgruppe und die »Unterprivilegierten« auf der niedrigstenStufe der Rangordnung. Unter natürlichen Bedingungen leben alle stän-dig nah beieinander und sind daher stets auf dem Laufenden, welche Position jedes Gruppenmitglied innehat. Deshalb sieht der erwachsene

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Hund in »seiner« menschlichen Familie zweierlei: seine Adoptivelternund die dominierenden Mitglieder seines Rudels. Daher ist sein Gehor-sam zu verstehen, seine sprichwörtliche Loyalität. Katzen leben gleich-falls entsprechend einer vielschichtigen Sozialordnung, aber sie gehennie im Rudel auf die Jagd. In der Freiheit verbringen sie einen Großteilihrer Tage damit, sich einzeln an Beute anzuschleichen oder ihr aufzu-lauern. Deshalb hat ein Spaziergang mit dem Menschen für sie nichtden geringsten Reiz. Und sie sind völlig desinteressiert, »bei Fuß« ge-hen zu lernen oder Kommandos wie »Sitz!« oder »Komm!« zu befolgen.Derartige Dressuren ergeben für Katzen keinerlei Sinn.

Die Katze ist im gleichen Augenblick, in dem es ihr gelingt, einenMenschen dazu zu bewegen, ihr die Tür zu öffnen (die verhassteste allermenschlichen Errungenschaften), auf und davon, ohne einen Blickzurückzuwerfen. Beim Überqueren der Türschwelle geht eine Ver -wandlung mit der Katze vor sich. Das Verhaltensmuster eines auf den Menschen bezogenen Kätzchens wird einfach ausgeblendet und anseine Stelle tritt das voll ausentwickelte Repertoire einer wilden Katze.Ein Hund wird sich in einer solchen Situation immer umschauen, obsein menschlicher Rudelführer ihm auch folgt, um mit ihm das Ver -gnügen einer aufregenden Entdeckungstour zu teilen. Nicht so dieKatze. Ihr Denken und Fühlen ist ausgerichtet auf eine andere, totaleKatzenwelt, in der es für fremdartige, zweibeinige Wesen keinen Raumgibt.

Dieser entscheidende Unterschied zwischen Hauskatzen und Haus-hunden ist der Grund, warum Katzenliebhaber wesensmäßig meist völ-lig anders sind als Hundefreunde. Sie neigen im allgemeinen in ihremHandeln und Denken zu mehr Eigenwilligkeit. Künstler lieben Katzen,Soldaten lieben Hunde. Das vielgerühmte Gruppenverhalten ist als Phä-nomen der bedingungslosen Treue zum Rudel, der Gruppe, dem Kreissowohl der Katze als auch dem Katzenfreund zuwider. Wenn Sie sehr ge-sellig sind, einer Clique angehören, aktiver Sportsfreund sind oder Poli-zeibeamter, wird sich höchstwahrscheinlich bei Ihnen zu Hause keineKatze vor dem Ofen räkeln. Der Yuppie, der ehrgeizige Politiker, derprofessionelle Fußballer – sie alle gehören nicht zu den typischen Kat-zenhaltern. Es ist einigermaßen schwierig, sich einen Rugby-Spieler mit

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einer Katze auf dem Schoß vorzustellen, viel leichter fällt es dagegen,sich auszumalen, wie er seinen Hund spazieren führt.

Wenn man Katzen- und Hundebesitzer als grundsätzlich verschie-dene Gruppen betrachtet, kommt man bald darauf, dass die Vorliebe fürKatze oder Hund auch vom Geschlecht abhängig ist. Die Tendenz zu Katzen ist bei Frauen deutlich stärker. Berücksichtigt man die Arbeits -teilung, die sich während der menschlichen Evolution entwickelt hat, soist das nicht weiter überraschend. In vorgeschichtlicher Zeit jagten dieMänner meist in Horden, die Frauen hingegen befassten sich vornehm-lich damit, das Essen zuzubereiten und die Kinder aufzuziehen. DieseUnterschiede führten zur »Rottenmentalität« der Männer, die man beiFrauen weit weniger antrifft. Frauengegner könnten hier die Behaup-tung aufstellen, dass Frauen und Katzen keinen Teamgeist besäßen; einMännerfeind könnte mit der gleichen Berechtigung Männern und Hun-den eine angeborene Neigung zur Bandenbildung unterstellen.

In der weiteren Argumentation käme es zur Gegenüberstellung vonSelbstgenügsamkeit und Individualität bei den Frauen und Kameraderieund Kumpanei bei Männern. Ich möchte an dieser Stelle gleich betonen,dass ich beide Positionen, um sie deutlich hervorzuheben, karikierthabe. In Wirklichkeit gibt es viele Menschen, die gleichermaßen die Ge-sellschaft von Hunden und Katzen genießen. Und wir alle – oder dochwenigstens fast alle – haben katzen- und hundeartige Wesenszüge in unsselbst vereinigt.

Mit beiden Tieren – Hund und Katze – gingen wir Menschen einsteinen feierlichen Vertrag ein: den ungeschriebenen, unausgesproche-nen Pakt mit ihren wilden Vorfahren, dass wir ihnen zu fressen und zutrinken geben und sie dafür bestimmte Pflichten zu unserem Schutzübernehmen. Für Hunde sind diese Pflichten sehr vielfältig, sie reichenvon einer ganzen Reihe von Aufgaben bei der Jagd, dem Bewachen desmenschlichen Eigentums, der Verteidigung ihrer Besitzer gegen An-griffe, der Bekämpfung von Schädlingen bis hin zur Arbeit als Zugtiere,zum Ziehen von Karren und Schlitten. In jüngerer Zeit kamen bei demgeduldigen, ausdauernden Hund etliche weitere Pflichten hinzu, darun-ter so verschiedenartige Aufgaben wie das Führen von Blinden, das Fan-gen von Verbrechern, die Teilnahme an Hunderennen.

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Für Katzen waren die Bedingungen des »Ur-Vertrages« wesentlicheinfacher und sind es bis heute geblieben. Für sie gibt es nur je eineHaupt- und eine Nebentätigkeit. In erster Linie erwarten wir von ihnendie Bekämpfung bestimmter Schädlinge, in zweiter Linie halten wir sieals Hätschel- und Schmusetiere. Da sie Einzelgänger sind und nurkleine Beutetiere fangen, konnten sie den menschlichen Jägern kaumvon Nutzen sein. Und weil sie nicht in festgefügten sozialen Gruppen -leben, die abhängig sind von gegenseitiger Hilfe, um zu überleben,schlagen sie auch keinen Alarm, wenn Eindringlinge ins Haus kommen.Deshalb sind sie als Wächter des menschlichen Eigentums oder als Ver-

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teidiger unseres Besitzes nur von geringem Wert. Und aufgrund ihrergeringen Körpergröße sind sie als Zug- oder Lasttiere nicht zu ge -brauchen.

Trotz der viel engeren Einbeziehung der Hunde in alle möglichenmenschlichen Angelegenheiten ist die Katze in der Lage gewesen, sichdie menschliche Zuneigung über alle Maßen zu erhalten. Auf den Briti-schen Inseln gibt es heute fast ebenso viele Katzen wie Hunde – etwafünf Millionen Katzen gegenüber sechs Millionen Hunden. In den Verei-nigten Staaten von Nordamerika ist die Relation für Katzen etwas ungün-stiger; dort leben etwa 23 Millionen Katzen und 40 Millionen Hunde.Aber selbst das bedeutet eine ungeheure Population domestizierter Kat-zen. Unter diesen Katzen gibt es natürlich Mäuse- und Rattenfänger, dieihre alten Pflichten als Schädlingsvertilger erfüllen, die große Mehrheitaller domestizierten Katzen heute besteht allerdings aus Hauskatzen undfreilebenden ehemaligen Hauskatzen. Unter ihnen gibt es eine Reihevon verzärtelten Zuchtkatzen mit langem Stammbaum, die meisten abersind ganz normale Hauskatzen oder Mischlinge. Der Prozentsatz vonZuchtkatzen im Vergleich zur gewöhnlichen Hauskatze ist vermutlichgeringer als der von Rassehunden zu Promenadenmischungen. Ob-gleich Katzenausstellungen eine ebenso feste Einrichtung geworden sindwie Hundeausstellungen, werden doch längst nicht so viele veranstaltet,genauso wie es viel weniger verschiedene Katzenrassen gibt. Da Katzenin früheren Zeiten nicht so viele Funktionen zu erfüllen hatten wieHunde, gab es auch damals schon viel weniger speziell ausgerichteteZüchtungen. Tatsächlich wurden Katzen bis vor kurzem so gut wie über-haupt nicht gezüchtet. Alle Katzen waren von ganz allein gute Mäuse-und Rattenfänger, und mehr wurde von ihnen nicht verlangt. Alle Abwei-chungen in Fellänge, Fellfarbe, Musterung oder im Körperbau entsprin-gen einzig gewissen lokalen Vorlieben oder den Launen der Besitzer.Das hat dazu geführt, daß hinreißend hübsche Katzen gezüchtet wur-den, aber man findet unter ihnen nicht im entferntesten so verblüffendund unglaublich unterschiedliche Rassen wie bei Hunden. Es gibt ein-fach kein Äquivalent unter den Katzen zur Dänischen Dogge oder zumChihuahua, zum Bernhardiner oder zum Dackel. Was bleibt, sind ein-drucksvolle Unterschiede in der Beschaffenheit des Fells oder in der

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Farbe, aber eine nur sehr geringe Variationsbreite in der Körpergrößeund Körperform. Das Gewicht einer wirklich großen Katze beträgt etwasechzehn Pfund; die kleinste ausgewachsene Katze bringt knapp dreiPfund auf die Waage. Das bedeutet, selbst wenn man die verrücktestenExtreme unter den Katzen berücksichtigt, sind die größten domestizier-ten Tiere nur sechsmal so schwer wie die kleinsten. Zieht man zum Ver-gleich die Situation unter den Hunden heran, so zeigt sich, dass einBernhardiner dreihundertmal soviel wie ein Yorkshirerterrier wiegenkann. Mit anderen Worten, die Gewichtsunterschiede bei Hunden sindfünfzigmal so groß wie bei Katzen.

Auch im Vergleich zwischen Hunden und Hauskatzen einerseits so-wie herrenlosen, freilebenden Tieren beider Arten andererseits ent-deckt man einen bemerkenswerten Unterschied. Während in wenigerzivilisierten Gegenden streunende Hunde Rudel bilden, um sich gemein-sam zu versorgen, sich untereinander zu paaren und sich ohne mensch-liche Hilfe durchschlagen zu können, gibt es das in städtischen oderdicht besiedelten Gebieten kaum. Tatsächlich findet man sie im heutigenüberbevölkerten Europa so gut wie nirgends. Nicht einmal in ländlichenGegenden können sie sich halten. Wenn sich dort eine wilde Hunde-meute bildet, wird sie bald von bäuerlichen Interessengemeinschaftenzur Strecke gebracht, um eventuellen Angriffen auf Lebensmittelvorrätezuvorzukommen. Bei freilebenden Katzenkolonien sieht die Sache an-ders aus. In jeder Großstadt gibt es eine große Anzahl herrenloser Kat-zen. Alle Versuche, sie zu vernichten, schlugen in der Regel fehl, weilimmer wieder neue Streuner auftauchten. Auch wird das Bedürfnis, sichihrer zu entledigen, nicht als so dringlich empfunden, da sie häufig zumÜberleben ihre uralte Funktion als sogenannte Schädlingsvertilger wie-der aufnehmen. Wo der Mensch allerdings durch Gift die Bestände anRatten und Mäusen dezimiert hat, müssen die wilden Katzen ihrenganzen Verstand aufbieten, um zu überleben. Ihre erstaunliche Wider-standskraft ist ein Zeugnis dafür, daß trotz mehrerer tausend Jahre Do-mestizierung die Gehirn- und Körperfunktionen der Katzen immer nochin überraschender Weise denen ihrer wilden Vorfahren ähneln.

Gleichzeitig ist aber diese Widerstandskraft schuld an vielen Leidender Katze. Daß Katzen überleben können, wenn sie verstoßen oder aus-

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gesetzt werden, macht es vielen Leuten leichter, dies auch zu tun. DieTatsache, dass die meisten dieser Tiere den Rest ihres Lebens unter ent-setzlichen Umständen verbringen müssen, mag zwar beweisen, wie klugund anpassungsfähig sie sind, ihr Dasein aber ist nichts als ein grausa-mes Zerrbild einer katzengemäßen Existenz. Dass wir diese Zuständedulden, ist ein Beweis mehr dafür, wie schändlich wir laufend unserenalten Vertrag mit der Katze brechen. Im Vergleich dazu allerdings, mitwieviel Brutalität wir sie Jahrhunderte lang gequält und gepeinigt haben,erscheint unsere Gleichgültigkeit heute gegenüber dem Schicksal aus-gestoßener Katzen noch als das kleinere Übel. Oft mussten Katzen denSündenbock spielen für unterdrückte menschliche Aggressionen, undzwar in einem solchen Maße, dass es in England zu der Redensart » …und der Laufjunge tritt dann die Katze« kam, als Metapher dafür, wie inder Hackordnung der menschlichen Gesellschaft Schelte an sozial nied-riger stehende Opfer weitergegeben wird.

Dem kann man zum Glück entgegenhalten, dass die meisten Fami-lien, die Hauskatzen halten, diese liebevoll und mit Rücksicht behan-deln. Katzen verstehen es, die Zuneigung ihrer Besitzer zu gewinnen,nicht nur durch ihr jungkatzenartiges Verhalten, sondern auch einfachdurch ihre Anmut. Ihre Eleganz und ihre Gelassenheit bestechen dasmenschliche Auge. Für einen empfindsamen Menschen ist es einewahre Wohltat, wenn eine Katze einen Raum mit ihm teilt, flüchtigeBlicke mit ihm tauscht, sich zur Begrüßung an ihm reibt und zu beob-achten, wie sie es sich auf einem weichen Kissen gemütlich macht, zu-sammenrollt zu einer schlummernden, atmenden Kugel. Und für Millio-nen einsamer Menschen, von denen viele körperlich nicht dazu in derLage wären, lange Spaziergänge mit einem lebhaften Hund zu unterneh-men, ist die Katze der beste Gefährte. Insbesondere für Menschen, diegezwungen sind, in vorgerücktem Alter allein zu leben, verspricht dieGesellschaft einer Katze reiche Belohnung.

Damit komme ich zum Zweck meines Buches. Als Zoologe habe ichim Laufe der Zeit fast alle Mitglieder der Katzenfamilie schon einmal inmeiner Obhut gehabt, vom großen Tiger bis zu winzigen Tigerkatzen,vom starken Leoparden bis zu winzigen Leopardenkätzchen, vom mäch-tigen Jaguar bis zur seltenen kleinen Wieselkatze. Bei mir zu Hause gab

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es fast immer eine domestizierte Hauskatze, die mich bei der Heimkehrfreudig begrüßte. Als Kind habe ich in der Grafschaft Wiltshire auf demLande gelebt. Ich verbrachte viele Stunden im Gras liegend und beob-achtete die Bauernkatzen, wie sie sich mit der Sicherheit von Expertenan ihre Beute heranpirschten, oder ich kundschaftete ihre Nester aufdem Heuboden aus, wo sie ihre quirligen Jungen säugten. Ich ent-wickelte mich schon früh zum Katzenbeobachter und bin es jetzt fast einhalbes Jahrhundert lang geblieben. Wegen meiner beruflichen Beschäf-tigung mit Tieren werden mir laufend Fragen gestellt über das Verhaltenvon Katzen, und ich bin zutiefst verwundert, wie wenig die meisten Men-schen über diese interessanten Tiere zu wissen scheinen. Selbst solche,die in ihre eigene Hauskatze völlig vernarrt sind, besitzen oft nur einevage Ahnung von deren komplexem Sozialverhalten, Sexualleben, vonihren Aggressionen oder ihren Fähigkeiten als Jäger. In gewissem Maßist es nicht einmal ihre Schuld, denn ein großer Teil der Verhaltenswei-sen der Katze findet nur außerhalb der häuslichen vier Wände, derKüche und des Wohnzimmers, statt. Deshalb hoffe ich, dass selbst Men-schen, die das Gefühl haben, ihre eigene Katze genauestens zu kennen,noch etwas dazulernen können über ihre reizenden Gefährten, wenn siediese Seiten lesen.

Die Methode, die ich gewählt habe, besteht darin, dass ich eineReihe grundsätzlicher Fragen stelle, auf die ich dann einfache, direkteAntworten gebe. Es gibt eine große Anzahl guter Standardbücher überKatzen mit allen erforderlichen Einzelheiten über Ernährung, Haltungund tierärztliche Versorgung, kombiniert mit klassifizierten Listen überdie verschiedenen Zuchtkatzen und ihre Charakteristika. Diese In -formationen werde ich in meinem Buch nicht wiederholen. Stattdessenhabe ich versucht, eine andere Art von Katzenbuch zu schreiben: eines,das sich auf das Verhalten der Katzen konzentriert und Antwort gibt aufFragen, mit denen ich jahrelang konfrontiert wurde. Wenn mir das ge-lungen ist, werden Sie, wenn Sie wieder eine Katze aufnehmen, fähigsein, die Welt auf eine Katzen angemessenere Art zu sehen. Und Sie wer-den feststellen, dass Sie sich immer mehr Fragen stellen über deren fas-zinierende Welt und – wer weiß – vielleicht entwickeln Sie sich dabeiselbst zu einem ernsthaften Katzenbeobachter und Katzenkenner.

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DIE KATZE

Wir wissen mit Sicherheit, dass Katzen bereits vor 3500 Jahren völligdomestiziert waren. Den Beweis dafür liefern Fresken und Hierogly-phenschriften aus dem alten Ägypten. Aber wir wissen nicht, wann die-ser Prozess anfing. Überreste von Katzen wurden bei Ausgrabungen inJericho gefunden. Sie sind 9000 Jahre alt, nur gibt es keinen Beweisdafür, dass diese Katzen bereits domestiziert waren. Das Problem liegtdarin, dass das Skelett wilder Katzen sich nur ganz geringfügig von demzahmer Tiere unterscheidet. Nur wenn uns ins einzelne gehende Be-schreibungen und detaillierte Abbildungen – Gemälde oder Plastikenwie aus dem alten Ägypten – zur Verfügung stehen, können wir mit Ge-wissheit sagen, ob es sich schon um domestizierte Katzen handelte odernoch um wilde.

Eines steht fest: Vor der »Neolithischen Revolution«, dem Beginnvon Ackerbau und Viehzucht in der Neusteinzeit, fand – anders als beimHund – noch keine Zähmung von Katzen statt. Hunde spielten schon

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eine entscheidende Rolle, bevor die Menschen anfingen, Ackerbau zubetreiben. Die prähistorischen Jäger des Paläolithikums, der Altstein-zeit, verstanden es bereits, sich ihrer vierbeinigen Jagdgefährten mit derhervorragenden Witterung und dem feinen Gehör zu bedienen. Katzenaber waren für die Menschen der Frühzeit wertlos, solange sie nochnicht dazu übergegangen waren, Ackerbau zu betreiben und größereVorräte an Nahrungsmitteln anzulegen. Insbesondere die Getreidelagermüssen unübersehbare Scharen von Ratten und Mäusen angelockt ha-ben, kaum dass die Jäger seßhaft geworden waren, um Landwirtschaftzu betreiben. In den frühen Städten, in denen größere Vorratslager anGetreide angelegt werden mussten, war es für die menschlichen Auf -passer ein Ding der Unmöglichkeit, den Mäusen aufzulauern und nen-nenswerte Mengen zu töten und zu vernichten, um so ihrer weiterenVermehrung Einhalt zu gebieten. Die verheerende Heimsuchung von Nagetieren dürfte eine der ersten Plagen gewesen sein, die der Stadt -bewohner kennen lernte. Jedes Raubtier, dessen natürliche Beute dieseRatten und Mäuse waren, musste ihm als ein Geschenk des Himmels er-scheinen.

Man kann sich gut vorstellen, wie eines Tages irgendjemand zufälligentdeckte, dass sich ein paar wilde Katzen in der Nähe der Getreide -lager herumtrieben und anfingen, Mäuse zu jagen. Was lag näher, als siezu dieser segensreichen Tätigkeit zu ermutigen? Für die Katzen muss dieneue Situation traumhaft gewesen sein. Um sie herum ein lebendes Fest-mahl, eine nie gekannte Fülle von Nahrung. Vorbei das endlose Wartenim Versteck. Alles, was sie noch zu tun hatten, war ein lässiger Spazier-gang in der Nähe der Getreidelager, wo sie ein Supermarkt für Gour-mets in Gestalt vieler dicker, fetter, mit bestem Getreide ernährter Nage-tiere erwartete. Von diesem Zustand bis zur gezielten Haltung und Auf-zucht der Katzen für die verstärkte Schädlingsbekämpfung kann es nurnoch ein kleiner Schritt gewesen sein, denn er war ja für beide Seitenbuchstäblich ein Segen.

Für uns heute mit unseren wirksamen modernen Methoden derSchädlingskontrolle ist es nicht leicht, uns die Bedeutung der Katze fürdiese frühen Zivilisationen vorzustellen. Einige wenige Hinweise überdas Verhältnis der alten Ägypter zu ihren geliebten Katzen verdeutlichen

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den Stellenwert, der ihnen damals zugemessen wurde. Sie wurden bei-spielsweise als heilige Tiere verehrt; wer eine Katze umbrachte, musstemit der Todesstrafe rechnen. Wenn in einem Haus eine Katze auf natür-liche Weise starb, mussten alle Angehörigen der Familie Trauer tragen,dazu gehörte auch das Abrasieren der Augenbrauen.

Nach dem Tode wurde die ägyptische Hauskatze zeremoniell einbal-samiert, der Kadaver wurde in verschiedenfarbige Tücher eingehülltund das Gesicht mit einer fein gearbeiteten Maske aus Holz bedeckt. Einige wurden in Holzsärge in Form eines Katzenkörpers gebettet, andere in Körbe aus geflochtenem Stroh. Sie wurden buchstäblich zuMillionen auf den riesigen Katzenfriedhöfen bestattet.

Die Katzengöttin hieß Bastet nach der Stadt Bubastis, in der derwichtigste Katzentempel lag. Dort versammelten sich jedes Frühjahretwa eine halbe Million Menschen, um das heilige Fest der Bastet zu fei-ern. Bei jedem dieser Feste wurden rund einhunderttausend mumifi-zierte Katzen zu Ehren der jungfräulichen Katzengöttin bestattet, diemöglicherweise als Vorbild für die Jungfrau Maria anzusehen ist. DieseFeste der Bastet galten als die populärsten und bestbesuchten im altenÄgypten – ein Erfolg, der vielleicht auf die dazugehörigen wilden, orgia-stischen Kulturzeremonien und rituellen Ekstasen zurückzuführen ist.Der Katzenkult war offenbar so beliebt, daß er sich fast zweitausendJahre lang behauptete. Offiziell wurde er erst im Jahre 390 n. Chr. ver-boten, aber zu dieser Zeit befand er sich bereits in totalem Zerfall. Zuseiner Blütezeit jedoch zeigte er, welch unermesslicher Wertschätzungsich die Katze in jener antiken Hochkultur erfreute. Die vielen hübschenBronzestatuetten von Katzen, die die Jahrtausende überdauert haben, legen Zeugnis ab von der Begeisterung der Ägypter für die anmutigeSchönheit dieser Tiere.

Einen traurigen Gegensatz zu der alten Verehrung der Katze bildetdie vandalistische Zerstörung der Katzenfriedhöfe durch die Engländerim vorigen Jahrhundert. Ein Beispiel mag genügen: Eine Fracht vondreihunderttausend ausgegrabenen Katzenmumien wurde nach Liver-pool eingeschifft, wo sie, zu Dünger verarbeitet, auf den Feldern derumliegenden Bauernhöfe ihr Ende fanden. Ein einziger Katzenschädelist übriggeblieben und befindet sich jetzt im Britischen Museum.

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Die Ägypter hätten früher wahrscheinlich dreihunderttausend To -des urteile für ein derartiges Sakrileg gefordert, haben sie doch einst einen römischen Soldaten in Stücke gerissen, weil er eine Katze verletzthatte. Sie verehrten ihre Katzen nicht nur, sie verboten sogar ausdrück-lich ihren Export. Das führte zu wiederholten Versuchen, sie außer Lan-des zu schmuggeln, denn sie wurden als Hauskatzen hochgeschätzt. DiePhönizier, die das antike Äquivalent zu unseren Gebrauchtwagenhänd-lern darstellten, betrachteten »Catnapping«, also Katzenentführungen,als eine sportliche Herausforderung und brachten die kostbaren Haus-katzen per Schiff in die Länder rings ums Mittelmeer, wo sie an die Rei-chen und Wohlhabenden verkauft wurden. Das mag die Ägypter ver -ärgert haben – für die Katzen jener Frühzeit bedeutete es aber eher positive Veränderungen, brachte es sie doch als Wertobjekte, die pfleg-lich zu behandeln waren, in neue Gefilde.

Durch die Nagetierplagen, die Europa überfluteten, nahm das Re-nommee der Katzen als Schädlingsvertilger weiter zu und sie breitetensich rapide über den ganzen Kontinent aus. Das war vor allem den Römern zu verdanken, die schließlich die Katze auch nach Englandbrachten. Wir wissen, dass sie in den folgenden Jahrhunderten hier gutbehandelt wurde, und zwar auf Grund der Strafen, die auch hier für dasTöten einer Katze verhängt wurden. Sie waren zwar nicht so extrem wieim alten Ägypten, betrugen aber immerhin nicht selten den Gegenwerteines Lamms oder eines Schafes. Die Strafe, die ein walisischer Königim 10. Jahrhundert ersann, lässt erkennen, was der Tod einer Katze fürihn bedeutete. Der Kadaver des Tieres wurde am Schwanz so aufge-hängt, dass seine Nase gerade den Boden berührte, und die Buße seinesMörders bestand darin, so viel Getreide über den toten Körper an-zuhäufen, dass er vollständig damit bedeckt war. Die Beschlagnahmedieses Getreides gab jedem ein klares Bild von dem Wert einer arbeiten-den Katze als Hüterin des Getreides vor dem verheerenden Appetit derRatten und Mäuse.

Aber die guten Zeiten für die Katze sollten nicht von Dauer sein. ImMittelalter musste sie überall in Europa mehrere Jahrhunderte langQualen, Marter und Tod ertragen – auf Anstiftung der christlichen Kir-che. Weil Katzen in früheren heidnischen Ritualen eine Rolle gespielt

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Desmond Morris

CatwatchingDie Körpersprache der Katzen

Taschenbuch, Broschur, 240 Seiten, 12,5 x 18,7 cmISBN: 978-3-453-17259-3

Heyne

Erscheinungstermin: Juni 2000

Welche Gerüche stoßen Katzen ab? Warum schmollen sie? Warum streichen sie einem umdie Beine? Bestsellerautor Desmond Morris beantwortet diese und andere Fragen auf gewohntfundierte und zugleich amüsante Weise. Einzigartige Farbfotos begleiten den Text.«An diesem Buch kann kein Katzenliebhaber vorbei.» Doris Lessing