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kathrin
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EinleitungSein erzwungener Selbstmord, Gerüchte über seine Teilnahme an der Pisoni-
schen Verschwörung gegen Nero und nicht zuletzt sein ungewöhnliches Epos
machen Lucan zu einer schillernden Gestalt unter den römischen Autoren. Sein
unvollendetes Werk Pharsalia behandelt den römischen Bürgerkrieg zwischen
Caesar und Pompeius (49 – 45 v. Chr.). Dieser Konflikt prägte die römische Welt
entscheidend und war auch zu Lucans Lebzeiten (39 – 65 n. Chr.) noch im allge-
meinen Bewusstsein präsent.
Die Pharsalia steht in der lateinischen Epik einzigartig da, weil sie auf das
traditionelle Auftreten der Götter innerhalb der Handlung verzichtet und statt-
dessen eine Welt präsentiert, die vom Krieg entstellt ist. Nachdem sich dieses
Werk lange Zeit in der Forschung keiner großen Beliebtheit erfreute, wird ihm in
den letzten Jahrzehnten wieder verstärkte Aufmerksamkeit zuteil. Gerade aktuell
zeugen zahlreiche Publikationen von Lucans Popularität.
In der Pharsalia werden die historischen Personen Caesar, Pompeius und Cato
zu den dominanten Figuren innerhalb der literarischen Welt, doch auch einzel-
nen Personengruppen wie beispielsweise den Soldaten fällt in der Handlung eine
wichtige Rolle zu. Nicht weniger faszinierend als seine Figuren ist auch der Erzäh-
ler des Epos, der sich durch seine wertenden Kommentare, Reflexionen u. ä. immer
wieder bemerkbar macht und nicht müde wird, den Bürgerkrieg zu verurteilen.
Seit beinahe zweitausend Jahren fesselt die Pharsalia ihre Leser, ein
Anspruch, den der Erzähler selbst formuliert (7, 205 – 213):
o summos hominum, quorum Fortuna per orbem 205
signa dedit, quorum fatis caelum omne vacavit!
haec et apud seras gentes populosque nepotum,
sive sua tantum venient in saecula fama
sive aliquid magnis nostri quoque cura laboris
nominibus prodesse potest, cum bella legentur, 210
spesque metusque simul perituraque vota movebunt,
attonitique omnes veluti venientia fata,
non transmissa, legent et adhuc tibi, Magne, favebunt.
Obwohl der Bürgerkrieg, über den der Erzähler berichtet, schon lange vergan-
gen ist, werden die Leser dennoch die Handlung verfolgen wie etwas, was noch
bevorsteht, und sie werden Partei für die Seite des Pompeius ergreifen. Diese
Aussage drückt ein Bewusstsein von der Wirkung von Literatur aus: Sie erweckt
Vergangenes zum Leben, fesselt, löst Gefühle aus und kann Standpunkte beein-
flussen. Damit ein Text eine solche Wirkung entfaltet, ist die Beherrschung zahl-
reicher Erzähltechniken erforderlich.
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2 Einleitung
Einen intensiven Einfluss auf den Leser übt die Gestaltung der Erzählper-
spektive aus, indem sie dazu einlädt, am Schicksal der dargestellten Personen
Anteil zu nehmen. Bei der literarischen Umsetzung einer Bürgerkriegsthematik
ist sie von besonderem Interesse. Wie wird der Konflikt, der die Gesellschaft
spaltet, im Text wiedergegeben? Wie setzen sich die beteiligten Charaktere mit
dem Umstand auseinander, dass sie gegen ihre eigenen Landsleute Krieg führen?
Welche Position nimmt der Erzähler ein?
Ziel der Narratologie ist es, Textstrukturen zu analysieren und die verwen-
deten narrativen Techniken herauszuarbeiten. Nicht nur bei moderner, sondern
auch bei antiker Literatur hat sie sich als praktisches Hilfsmittel bewährt.
Berühmt geworden ist vor allem de Jongs narratologische Arbeit zu Homers
Ilias,¹ die zeigt, dass die Kombination von antiken Texten und modernen Analy-
semethoden einerseits neue Erkenntnisse bringen kann, andererseits die Meis-
terschaft vor Augen führt, mit der die antiken Autoren ihre Werke gestaltet haben.
Das Zentrum der vorliegenden Arbeit über Lucans Pharsalia bildet das in
der Tradition von De Jong stehende Konzept der eingebetteten Fokalisation, das
von der niederländischen Narratologin Mieke Bal entwickelt wurde.² Wichtig
für dieses Konzept ist die Unterscheidung mehrerer Erzählebenen sowie die zwi-
schen einfachem und komplexem Erzählertext. Dabei entspricht der Begriff des
komplexen Erzählertexts dem, was traditionell als Figurenperspektive bezeichnet
wird. Obwohl einzelne Aspekte der Pharsalia bereits mit Methoden der Erzähl-
forschung untersucht wurden, wurde bislang noch kein Versuch unternommen,
die Verwendung von Fokalisation im gesamten Werk zu analysieren. Diese Arbeit
möchte den ersten Versuch in dieser Richtung beginnen.
Dabei werden zuerst die verwendeten narratologischen Begriffe und Metho-
den vorgestellt, von anderen narratologischen Traditionen abgegrenzt und
ihre Vorzüge erläutert (Kapitel I). In Kapitel II steht zunächst der Erzähler der
Pharsalia im Vordergrund. Dieses Kapitel setzt sich mit verschiedenen For-
schungsmeinungen über den Erzähler auseinander und arbeitet heraus, wie er
seinem Adressaten Informationen vermittelt. Das Kernstück der Arbeit, Kapitel
III, befasst sich mit komplexem Erzählertext und fasst die narrativen Funktio-
nen von Fokalisation durch Charaktere (Charakterfokalisation) in der Pharsalia
zusammen. Anschließend werden Unterschiede bei der Verwendung von Cha-
rakterfokalisation in Bezug auf die wichtigsten Figuren untersucht. Kapitel IV
enthält einen Vergleich der Funktionen von Charakterfokalisation bei Lucan und
in Vergils Aeneis. Kapitel V geht auf die direkte Rede der Pharsalia ein, bei der
Figuren ihrerseits zu Erzählern werden. Auch hier interessiert vor allem die Ver-
1 De Jong 2004.
2 Eine ausführliche Darstellung des Konzepts findet sich in I. 2. 1. dieser Arbeit.
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wendung von Fokalisation. Das Fazit (Kapitel VI) nennt kurz die Ergebnisse der
gesamten Analyse. So soll sich auch eine Antwort auf die Frage finden lassen, wie
der Erzähler das Versprechen einzulösen gedenkt, seine Leser immer wieder von
neuem zu fesseln, solange das Epos gelesen wird.
Der zitierte Text richtet sich nach der Ausgabe von von Shackleton Bailey.³
Eventuelle Abweichungen werden an den jeweiligen Stellen begründet.
3 Shackleton Bailey 1997.
Einleitung 3
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