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Herr Lang, Sie gelten nicht nur als ei- ner der bedeutendsten Homöopa- then weit über die Region hinaus, sondern auch als sozialpolitisch en- gagiert. Wo sehen Sie die Verbin- dung zwischen Homöopathie und Sozialstaat? DR. GERHARDUS LANG: Man kann ein Volk wie einen Organismus anse- hen. Wenn in einem Organismus die Systeme, die den Organismus darstellen, nicht in der richtigen Weise zusammenarbeiten, entste- hen Krankheitssymptome, Krank- heit im allerweitesten Sinne. So ist es auch im Sozialorganismus, im Staat. Wenn das Zusammenleben nicht nach den Gesetzen des Orga- nismus funktioniert, kann es nicht gut gehen, dann gibt es Störungen, die analog zu Krankheitserscheinun- gen sind. Das ist eine deutliche Ver- bindung. Die Denkweise, an das ein und andere heranzugehen, ist ähn- lich. Mich hat diese Art verbindend zu denken schon in der Schule inte- ressiert – und seitdem nicht mehr losgelassen. Woher rührt die aktuelle Debatte, die den Sozialstaat in Frage stellt? LANG: Wenn die Leute das Gefühl haben, dass das, was gemeinschaft- lich an Wohlstand erarbeitet wird, in den Ergebnissen falsch verteilt wird, empfinden sie das als unge- recht. Da ist nicht viel von „sozial“ zu erkennen. Ein Beispiel ist die Steuerflucht: Da ist auf der einen Seite unermesslicher Reichtum. Der verführt dazu über die Grenze zu gehen, um das Erworbene unge- hindert über Zinsen zu vermehren. Für diese Zinsen möchte man keine Steuern zahlen, damit der Reich- tum noch schneller anwächst. Zu Recht wird es als ungerecht empfun- den, dass jemand ohne tatsächliche Leistung, die er in das Gemein- schaftswesen einbringt, noch zu- sätzlich etwas verdient. Wer oder was hat uns, dem Staat die- ses Problem eingebracht? LANG: Wir haben ein Sozialstaat- Problem, weil viele Leute in der Ar- beitslosigkeit sind oder sich in Ver- dienstverhältnissen bewegen, die sie an die Armutsgrenze bringen. Auch wer Arbeit hat, fühlt sich der ständigen Bedrohung, der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes aus- gesetzt. Ich höre diese Unsicher- heit, diese Sorge täglich in meinen Patientengesprächen. Leute, die ihr Leben lang bestens gearbeitet ha- ben, stehen plötzlich auf der Straße. Aber! Die Chefs stehen ja auch un- ter Druck, sie verlieren große Auf- traggeber. So setzt sich der Druck von oben nach unten fort. Die ganze Wirtschaft, das heißt, das ka- pitalistische System, ist in meinen Augen ein Gegner des marktwirt- schaftlichen Systems. Ich bin gespannt auf Ihre Begrün- dung. LANG: Das kapitalistische System neigt dazu, Monopole zu bilden. Über die Macht des Monopols wer- den Preise bestimmt und darüber können Einkommensverhältnisse zu den eigenen Gunsten verbessert werden. Immer mehr Macht befin- det sich in immer weniger Händen. Es ist die Macht der Wirtschaftskapi- täne, sie kaufen Politik. Das ist längst nicht mehr nur in den USA so! Auch wir haben Klientelparteien – das ist nicht nur die FDP – in Wirk- lichkeit müssen alle nach der Pfeife von denen tanzen, die das große Geld haben. Das sehen Sie auch da- ran, dass man es bis heute nicht fer- tig gebracht hat, Steuerhinterzie- hung strafbar zu machen. In dem Moment, wo sie sich selber anzei- gen, bleiben sie straffrei. Das ist ge- rade so, als würden sie einen Einbre- cher, der sich selbst anzeigt, unbe- straft lassen. Dass es möglich ist, an- dere Menschen auszubeuten und ohne tatsächliche Leistungen Reich- tum immer höher anzuhäufen, ist das eigentliche Problem. Die Gier – eine menschliche Eigen- schaft? LANG: Ja. Gier wird dort geweckt, wo wir die Möglichkeit dazu geben. Ist der Mensch von Natur aus gierig und damit böse? LANG: Nein! Der Mensch ist nicht von Natur aus böse, auch nicht gie- rig, aber er hat die Veranlagung zur Gier. Wenn sie geweckt wird, ist er nicht mehr Herr seiner selbst, dann herrscht die Gier über sein Han- deln. Sehen Sie eine Möglichkeit Gier aus- zubremsen? LANG: „Führe uns nicht in Versu- chung...“. Gelegenheit macht Diebe. Früher war es so, dass derje- nige, der etwas aus einem Spind ge- stohlen hatte, bestraft wurde. Jener, der den Spind nicht abgeschlossen hatte, wurde auch bestraft. Er hatte zum Diebstahl verführt. Wir dürfen nicht die Möglichkeiten schaffen, die dazu führen, dass der Mensch seine Tugend verliert. Versuchungen sind größer als alle Ge- birge. Lassen sie sich verhindern? LANG: Ich denke schon. Wir müs- sen die Ordnung wieder herstellen. Der Gedanke ist wahrlich nicht neu. Ohne Ordnung ist keine Freiheit möglich. Das sehen Sie im Verkehr: Wenn nicht alle rechts fahren wür- den, würde der ganze Verkehr zu- sammenbrechen, niemand käme mehr vorwärts. Es müsste eine poli- tische, eine wirtschaftspolitische Ordnung geschaffen werden, die so einfach ist, wie die Verkehrsregeln. Jeder muss sie verstehen und befol- gen können. Wer hat das Recht, solch eine Ord- nung zu schaffen? LANG: Ein starker Staat, der diese Regeln auch beaufsichtigt. Ein Staat, der nicht nach Interessen han- delt, wie es heute der Fall ist, son- dern nach seinen Regeln, die für alle gleichermaßen gelten müssen. Wie lässt sich wohl Armut im Bild des Organismus beschreiben? LANG: Im Organismus wäre das eine Minderdurchblutung eines Or- gans. Wie ließe sich das zum Besseren ver- ändern? LANG: Sie meinen Armut verhin- dern und Wohlstand gleichmäßig verteilen? Genau das. LANG: Nehmen wir an, Sie haben hohes Fieber. Man sieht, dass ihr Ge- hirn sehr stark durchblutet ist. Sie kriegen eine Hirnhautentzündung. In diesem Fall müssen Sie dafür sor- gen, dass sie das, was oben an Wärme zu viel ist, verteilen. Im Bauch haben Sie sozusagen ständig Fieber, und da brauchen Sie es auch, um all das zu verdauen, was sie aufnehmen. Oben im Gehirn sollten wir besser die Klarheit des Verstandes haben. In der Homöopa- thie wähle ich folglich ein Mittel, das beim Gesunden diesen Zustand des Fiebers im Kopf erwirken würde. Der Gesunde bekäme genau die Kopfschmerzen, die Nackenstei- figkeit, den roten Kopf, das hohe Fie- ber, wie jemand, der an Hirnhaut- entzündung erkrankt ist. Bei einem Patienten mit Hirnhautentzündung reguliert sich die ungleiche Vertei- lung von Wärme durch das ge- wählte Mittel wieder. Wie um alles in der Welt funktio- niert das? LANG: Der Organismus hat einen Hinweis bekommen: „Lieber Freund, wenn du so weiter machst, stirbst du.“ Das will der Organismus nicht: „Ich danke dir für den Hin- weis, ich mach's jetzt lieber wieder richtig.“ Das homöopathisches Mit- tel ist wie ein Hinweisschild, ein Warnschild, das den Organismus aufruft, seine eigene Ordnung wie- der herzustellen – und es zeigt ihm auf, in welche Richtung das gehen kann. Und jetzt bitte die Übertragung auf den Staat. LANG: Wenn die menschliche Na- tur so und so beschaffen ist, müs- sen wir das Zusammenleben der Menschen derart gestalten, dass es der menschlichen Natur entspricht. Unser Geist – der braucht das Prin- zip Freiheit. Im wirtschaftlichen Be- reich muss das Prinzip der Gegensei- tigkeit, der Brüderlichkeit herr- schen. Im Bereich der Menschen un- tereinander muss das Prinzip Herz regieren. Die Menschen müssen das Gefühl haben, „so ist es richtig“. Dazu braucht es ständige Balance durch Gleichgewicht. Das kann nicht fixiert werden. Gleichgewicht muss sich im freien Spiel immer wie- der eintarieren. Das ist nur über das Gefühl möglich. Erst wenn Sie ein gutes Gefühl bei etwas haben, ma- chen Sie es auch gut. So bestimmt das Gefühl unser Handeln. Welche Rolle spielt in den komple- xen Zusammenhängen Bewegung? LANG: Genau das ist es, was Leben ausmacht. Es gibt nichts Totes, es gibt nur etwas, das relativ unbewegt ist. Leben ist Bewegung. Kapitalis- mus zum Beispiel schränkt die Be- wegungsfreiheit sehr vieler Men- schen ein. Bei den übermäßig Rei- chen ist dagegen eine Überbeweg- lichkeit gegeben, das ist auch nicht erstrebenswert. Wir alle brauchen Gleichgewicht. Wir brauchen das richtige Maß. Herr Lang, noch am Rande – Sie schreiben sehr engagiert Leser- briefe... LANG: (lacht) Hier stehe ich und kann nicht anders! Ich muss mich äußern. Auch übe ich mich in die- sen Beiträgen darin, Dinge so ein- fach wie möglich darzustellen, um die Prinzipien, von denen ich über- zeugt bin, verständlicher vorzutra- gen. Und ich glaube fest daran, dass Gedanken, die in irgendeiner Weise richtungsgebend sind, wirken. Ich glaube, dass das, was wir denken, eine Wirksamkeit im geistigen Be- reich hat, die über das, was wir ver- muten, weit hinausgeht. Es ist von großer Bedeutung was wir denken. Dr. Gerhardus Lang: „Die Menschen müssen das Gefühl haben, ,so ist es richtig’. Dazu braucht es ständige Balance durch Gleichgewicht.“ Fotos: Andrea Maier Ginge es nach ihm, so müsste eine politische und wirtschafts- politische Ordnung geschaffen werden, die so einfach zu ver- stehen ist wie Verkehrsregeln. Andrea Maier sprach mit dem Bad Boller Homöopathen Dr. Gerhardus Lang über den Sozial- staat, Gier, Monopole und Macht. Dr. Gerhardus Lang Gerhardus kommt 1931 in Dor- nach/Schweiz zur Welt. Kaum je- mand ist wohl näher am Goethea- num geboren als Gerhardus Lang und seine beiden Brüder. Ihr Vater hat beim Neubau des 1923 nieder- gebrannten anthroposophischen Gebäudes geholfen, dabei seine künftige Frau getroffen und die drei Jungs mit ihr groß gezogen. 1936 wird die deutsche Familie aus der Schweiz ausgewiesen und zieht nach Worpswede. Ein Jahr später richtet der Vater die Gärten des Heil- und Erziehungsinstitutes in Eckwälden ein, Gerhardus kommt in Boll zur Schule, bleibt ein Jahr und wächst dann weiter in Worpswede auf. 1945 zieht er mit seiner Habe in einer kleinen Kiste, in die ausgebombte Jugendher- berge in Hannover und besucht die Freie Waldorfschule, die dort ih- ren Neubeginn einrichtet. In Frei- burg studiert der junge Mann Me- dizin und beschäftigt sich intensiv mit Nationalökonomie. 1961 zieht der 30-jährige Arzt nach Boll. Schon bald besucht der politisch und sozialwissenschaftlich Interes- sierte Tagungen des Seminars für freiheitliche Ordnung in Herr- sching. Über dort engagierte Kolle- gen findet Gerhardus Lang zur Ho- möopathie. Arztberuf und sozial- wissenschaftliches Interesse ver- schmelzen in der Idee von der freien Entwicklung und Entfaltung des Menschen. Der Familienvater praktiziert in Boll Homöopathie, denkt und wirkt im Sinne freiheitli- cher Ordnung. Er mischt sich ein: im Gemeinderat, im Seminar für freiheitliche Ordnung, in medizini- schen und anthroposophischen De- batten und in zahlreichen Leser- briefen in der NWZ. Auch als Se- nior lebt und arbeitet er an der Seite seiner Frau in Boll. STECKBRIEF In der Reihe Charakterköpfe erschie- nen zuletzt Interviews mit den Sän- gern Peter Rubin Tony Marshall und Thomas Godoj, dem Moderator Mi- chael Branik, der Sängerin Mara Kay- ser, der Märchenerzählerin Sigrid Früh, dem Malteser-Präsidenten Dr. Constantin von Brandenstein-Zeppe- lin, der Akkordeon-Virtuosin Christa Behnke, dem Informatiker Professor Horst Zuse, dem Kabarettisten Bernd Kohlhepp, dem Musiker Stefan Mross, der Autorin Sophie van der Stap, dem Bundesrichter Herbert Mayer aus Hei- ningen, dem Göppinger Schlagerduo Daniel & Steffen, dem Schriftsteller Friedrich Ani, der Schlagersängerin Angela Wiedl, der Autorin Antje Bal- ters, der „Wellcome“-Gründerin Rose Volz-Schmidt, dem Schlagersänger Graham Bonney, dem Expo-Planer Jo- hannes Milla, dem Sparkassendirek- tor Jürgen Hilse, dem Stuttgarter Mu- sikhochschuldirektor Prof. Werner Heinrichs, dem Abenteurer Arved Fuchs, dem Förster Bodo Marschall, dem Wissenschaftler Peter Bohley, dem Musiker Helge Schneider, dem Karikaturisten Giuseppe Ingala, dem Entertainer Roberto Blanco, dem Opernchordirektor Michael Alber, dem Schauspieler Walter Sittler, dem „Prinzen“-Sänger Sebastian Krumbie- gel, dem Eiskunstläufer Norbert Schramm, der Sängerin Pe Werner, dem Kirchenmusiker Klaus Rothaupt, dem Schriftsteller Martin Suter, der Märchen-Schauspielerin Adelheid Sperlich und dem Grafiker Klaus Bür- gle. „Der Mensch ist nicht von Natur aus böse und gierig“ „Der Organismus wird zur Ordnung aufgerufen“ CHARAKTERKÖPFE „Brauchen das richtige Maß“ Dr. Gerhardus Lang über sein sozialpolitisches Engagement und Leserbriefe charakterköpfe. 36 10. April 2010

Charakterkopf Dr.Gerhardus Lang

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Eine Koryphäe in Sachen klassische Homöopatie, insonderheit der Seghal-Methode - Portrait

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Page 1: Charakterkopf Dr.Gerhardus Lang

Herr Lang, Sie gelten nicht nur als ei-ner der bedeutendsten Homöopa-then weit über die Region hinaus,sondern auch als sozialpolitisch en-gagiert. Wo sehen Sie die Verbin-dung zwischen Homöopathie undSozialstaat?DR. GERHARDUS LANG: Man kannein Volk wie einen Organismus anse-hen. Wenn in einem Organismusdie Systeme, die den Organismusdarstellen, nicht in der richtigenWeise zusammenarbeiten, entste-hen Krankheitssymptome, Krank-heit im allerweitesten Sinne. So istes auch im Sozialorganismus, imStaat. Wenn das Zusammenlebennicht nach den Gesetzen des Orga-nismus funktioniert, kann es nichtgut gehen, dann gibt es Störungen,die analog zu Krankheitserscheinun-gen sind. Das ist eine deutliche Ver-bindung. Die Denkweise, an das einund andere heranzugehen, ist ähn-lich. Mich hat diese Art verbindendzu denken schon in der Schule inte-ressiert – und seitdem nicht mehrlosgelassen.

Woher rührt die aktuelle Debatte,die den Sozialstaat in Frage stellt?LANG: Wenn die Leute das Gefühlhaben, dass das, was gemeinschaft-lich an Wohlstand erarbeitet wird,in den Ergebnissen falsch verteiltwird, empfinden sie das als unge-recht. Da ist nicht viel von „sozial“zu erkennen. Ein Beispiel ist dieSteuerflucht: Da ist auf der einenSeite unermesslicher Reichtum.Der verführt dazu über die Grenzezu gehen, um das Erworbene unge-hindert über Zinsen zu vermehren.Für diese Zinsen möchte man keineSteuern zahlen, damit der Reich-tum noch schneller anwächst. ZuRecht wird es als ungerecht empfun-den, dass jemand ohne tatsächlicheLeistung, die er in das Gemein-schaftswesen einbringt, noch zu-sätzlich etwas verdient.

Wer oder was hat uns, dem Staat die-ses Problem eingebracht?LANG: Wir haben ein Sozialstaat-Problem, weil viele Leute in der Ar-beitslosigkeit sind oder sich in Ver-

dienstverhältnissen bewegen, diesie an die Armutsgrenze bringen.Auch wer Arbeit hat, fühlt sich derständigen Bedrohung, der Angst vordem Verlust des Arbeitsplatzes aus-gesetzt. Ich höre diese Unsicher-heit, diese Sorge täglich in meinenPatientengesprächen. Leute, die ihrLeben lang bestens gearbeitet ha-ben, stehen plötzlich auf der Straße.Aber! Die Chefs stehen ja auch un-ter Druck, sie verlieren große Auf-traggeber. So setzt sich der Druckvon oben nach unten fort. Dieganze Wirtschaft, das heißt, das ka-pitalistische System, ist in meinenAugen ein Gegner des marktwirt-schaftlichen Systems.

Ich bin gespannt auf Ihre Begrün-dung.LANG: Das kapitalistische Systemneigt dazu, Monopole zu bilden.Über die Macht des Monopols wer-den Preise bestimmt und darüberkönnen Einkommensverhältnissezu den eigenen Gunsten verbessertwerden. Immer mehr Macht befin-det sich in immer weniger Händen.Es ist die Macht der Wirtschaftskapi-täne, sie kaufen Politik. Das istlängst nicht mehr nur in den USAso! Auch wir haben Klientelparteien– das ist nicht nur die FDP – in Wirk-lichkeit müssen alle nach der Pfeifevon denen tanzen, die das großeGeld haben. Das sehen Sie auch da-ran, dass man es bis heute nicht fer-tig gebracht hat, Steuerhinterzie-hung strafbar zu machen. In demMoment, wo sie sich selber anzei-gen, bleiben sie straffrei. Das ist ge-rade so, als würden sie einen Einbre-cher, der sich selbst anzeigt, unbe-straft lassen. Dass es möglich ist, an-dere Menschen auszubeuten undohne tatsächliche Leistungen Reich-tum immer höher anzuhäufen, istdas eigentliche Problem.

Die Gier – eine menschliche Eigen-schaft?LANG: Ja. Gier wird dort geweckt,wo wir die Möglichkeit dazu geben.

Ist der Mensch von Natur aus gierigund damit böse?

LANG: Nein! Der Mensch ist nichtvon Natur aus böse, auch nicht gie-rig, aber er hat die Veranlagung zurGier. Wenn sie geweckt wird, ist ernicht mehr Herr seiner selbst, dannherrscht die Gier über sein Han-deln.

Sehen Sie eine Möglichkeit Gier aus-zubremsen?LANG: „Führe uns nicht in Versu-chung...“. Gelegenheit machtDiebe. Früher war es so, dass derje-nige, der etwas aus einem Spind ge-stohlen hatte, bestraft wurde. Jener,der den Spind nicht abgeschlossen

hatte, wurde auch bestraft. Er hattezum Diebstahl verführt. Wir dürfennicht die Möglichkeiten schaffen,die dazu führen, dass der Menschseine Tugend verliert.

Versuchungen sind größer als alle Ge-birge. Lassen sie sich verhindern?LANG: Ich denke schon. Wir müs-sen die Ordnung wieder herstellen.Der Gedanke ist wahrlich nicht neu.Ohne Ordnung ist keine Freiheitmöglich. Das sehen Sie im Verkehr:Wenn nicht alle rechts fahren wür-den, würde der ganze Verkehr zu-sammenbrechen, niemand kämemehr vorwärts. Es müsste eine poli-tische, eine wirtschaftspolitischeOrdnung geschaffen werden, die soeinfach ist, wie die Verkehrsregeln.Jeder muss sie verstehen und befol-gen können.

Wer hat das Recht, solch eine Ord-nung zu schaffen?LANG: Ein starker Staat, der dieseRegeln auch beaufsichtigt. EinStaat, der nicht nach Interessen han-delt, wie es heute der Fall ist, son-dern nach seinen Regeln, die füralle gleichermaßen gelten müssen.

Wie lässt sich wohl Armut im Bilddes Organismus beschreiben?

LANG: Im Organismus wäre daseine Minderdurchblutung eines Or-gans.Wie ließe sich das zum Besseren ver-ändern?LANG: Sie meinen Armut verhin-dern und Wohlstand gleichmäßigverteilen?

Genau das.LANG: Nehmen wir an, Sie habenhohes Fieber. Man sieht, dass ihr Ge-hirn sehr stark durchblutet ist. Siekriegen eine Hirnhautentzündung.In diesem Fall müssen Sie dafür sor-gen, dass sie das, was oben anWärme zu viel ist, verteilen. ImBauch haben Sie sozusagen ständigFieber, und da brauchen Sie es

auch, um all das zu verdauen, wassie aufnehmen. Oben im Gehirnsollten wir besser die Klarheit desVerstandes haben. In der Homöopa-thie wähle ich folglich ein Mittel,das beim Gesunden diesen Zustanddes Fiebers im Kopf erwirkenwürde. Der Gesunde bekäme genaudie Kopfschmerzen, die Nackenstei-figkeit, den roten Kopf, das hohe Fie-ber, wie jemand, der an Hirnhaut-entzündung erkrankt ist. Bei einemPatienten mit Hirnhautentzündungreguliert sich die ungleiche Vertei-lung von Wärme durch das ge-wählte Mittel wieder.

Wie um alles in der Welt funktio-niert das?LANG: Der Organismus hat einenHinweis bekommen: „LieberFreund, wenn du so weiter machst,stirbst du.“ Das will der Organismusnicht: „Ich danke dir für den Hin-weis, ich mach's jetzt lieber wiederrichtig.“ Das homöopathisches Mit-tel ist wie ein Hinweisschild, einWarnschild, das den Organismusaufruft, seine eigene Ordnung wie-der herzustellen – und es zeigt ihmauf, in welche Richtung das gehenkann.

Und jetzt bitte die Übertragung aufden Staat.LANG: Wenn die menschliche Na-tur so und so beschaffen ist, müs-sen wir das Zusammenleben derMenschen derart gestalten, dass esder menschlichen Natur entspricht.Unser Geist – der braucht das Prin-zip Freiheit. Im wirtschaftlichen Be-reich muss das Prinzip der Gegensei-tigkeit, der Brüderlichkeit herr-schen. Im Bereich der Menschen un-tereinander muss das Prinzip Herzregieren. Die Menschen müssendas Gefühl haben, „so ist es richtig“.Dazu braucht es ständige Balancedurch Gleichgewicht. Das kannnicht fixiert werden. Gleichgewichtmuss sich im freien Spiel immer wie-der eintarieren. Das ist nur über dasGefühl möglich. Erst wenn Sie eingutes Gefühl bei etwas haben, ma-chen Sie es auch gut. So bestimmtdas Gefühl unser Handeln.

Welche Rolle spielt in den komple-xen Zusammenhängen Bewegung?LANG: Genau das ist es, was Lebenausmacht. Es gibt nichts Totes, esgibt nur etwas, das relativ unbewegtist. Leben ist Bewegung. Kapitalis-mus zum Beispiel schränkt die Be-wegungsfreiheit sehr vieler Men-

schen ein. Bei den übermäßig Rei-chen ist dagegen eine Überbeweg-lichkeit gegeben, das ist auch nichterstrebenswert. Wir alle brauchenGleichgewicht. Wir brauchen dasrichtige Maß.

Herr Lang, noch am Rande – Sieschreiben sehr engagiert Leser-briefe...LANG: (lacht) Hier stehe ich undkann nicht anders! Ich muss michäußern. Auch übe ich mich in die-

sen Beiträgen darin, Dinge so ein-fach wie möglich darzustellen, umdie Prinzipien, von denen ich über-zeugt bin, verständlicher vorzutra-gen. Und ich glaube fest daran, dassGedanken, die in irgendeiner Weiserichtungsgebend sind, wirken. Ichglaube, dass das, was wir denken,eine Wirksamkeit im geistigen Be-reich hat, die über das, was wir ver-muten, weit hinausgeht. Es ist vongroßer Bedeutung was wir denken.

Dr. Gerhardus Lang: „Die Menschen müssen das Gefühl haben, ,so ist es richtig’.Dazu braucht es ständige Balance durch Gleichgewicht.“ Fotos: Andrea Maier

Ginge es nach ihm, so müsste eine politische und wirtschafts-politische Ordnung geschaffen werden, die so einfach zu ver-stehen ist wie Verkehrsregeln. Andrea Maier sprach mit demBad Boller Homöopathen Dr. Gerhardus Lang über den Sozial-staat, Gier, Monopole und Macht.

Dr. Gerhardus Lang Gerhardus kommt 1931 in Dor-nach/Schweiz zur Welt. Kaum je-mand ist wohl näher am Goethea-num geboren als Gerhardus Langund seine beiden Brüder. Ihr Vaterhat beim Neubau des 1923 nieder-gebrannten anthroposophischenGebäudes geholfen, dabei seinekünftige Frau getroffen und diedrei Jungs mit ihr groß gezogen.1936 wird die deutsche Familie ausder Schweiz ausgewiesen undzieht nach Worpswede. Ein Jahrspäter richtet der Vater die Gärtendes Heil- und Erziehungsinstitutesin Eckwälden ein, Gerharduskommt in Boll zur Schule, bleibtein Jahr und wächst dann weiter inWorpswede auf. 1945 zieht er mitseiner Habe in einer kleinen Kiste,in die ausgebombte Jugendher-berge in Hannover und besuchtdieFreie Waldorfschule,die dort ih-ren Neubeginn einrichtet. In Frei-burg studiert der junge Mann Me-dizin und beschäftigt sich intensivmit Nationalökonomie. 1961 ziehtder 30-jährige Arzt nach Boll.Schon bald besucht der politischund sozialwissenschaftlich Interes-sierte Tagungen des Seminars fürfreiheitliche Ordnung in Herr-sching. Über dort engagierte Kolle-gen findet Gerhardus Lang zur Ho-möopathie. Arztberuf und sozial-wissenschaftliches Interesse ver-schmelzen in der Idee von derfreien Entwicklung und Entfaltungdes Menschen. Der Familienvaterpraktiziert in Boll Homöopathie,denkt und wirkt im Sinne freiheitli-cher Ordnung. Er mischt sich ein:im Gemeinderat, im Seminar fürfreiheitliche Ordnung, in medizini-schen und anthroposophischen De-batten und in zahlreichen Leser-briefen in der NWZ. Auch als Se-nior lebt und arbeitet er an derSeite seiner Frau in Boll.

STECKBRIEF

In der Reihe Charakterköpfe erschie-nen zuletzt Interviews mit den Sän-gern Peter Rubin Tony Marshall undThomas Godoj, dem Moderator Mi-chael Branik, der Sängerin Mara Kay-ser, der Märchenerzählerin SigridFrüh, dem Malteser-Präsidenten Dr.Constantin von Brandenstein-Zeppe-lin, der Akkordeon-Virtuosin ChristaBehnke, dem Informatiker ProfessorHorst Zuse, dem Kabarettisten BerndKohlhepp, dem Musiker Stefan Mross,der Autorin Sophie van der Stap, demBundesrichter Herbert Mayer aus Hei-ningen, dem Göppinger SchlagerduoDaniel & Steffen, dem SchriftstellerFriedrich Ani, der SchlagersängerinAngela Wiedl, der Autorin Antje Bal-ters, der „Wellcome“-Gründerin RoseVolz-Schmidt, dem Schlagersänger

Graham Bonney, dem Expo-Planer Jo-hannes Milla, dem Sparkassendirek-tor Jürgen Hilse, dem Stuttgarter Mu-sikhochschuldirektor Prof. WernerHeinrichs, dem Abenteurer ArvedFuchs, dem Förster Bodo Marschall,dem Wissenschaftler Peter Bohley,dem Musiker Helge Schneider, demKarikaturisten Giuseppe Ingala, demEntertainer Roberto Blanco, demOpernchordirektor Michael Alber,dem Schauspieler Walter Sittler, dem„Prinzen“-Sänger Sebastian Krumbie-gel, dem Eiskunstläufer NorbertSchramm, der Sängerin Pe Werner,dem Kirchenmusiker Klaus Rothaupt,dem Schriftsteller Martin Suter, derMärchen-Schauspielerin AdelheidSperlich und dem Grafiker Klaus Bür-gle.

„Der Mensch istnicht von Natur ausböse und gierig“

„Der Organismuswird zur Ordnungaufgerufen“

CHARAKTERKÖPFE

„Brauchen das richtige Maß“Dr. Gerhardus Lang über sein sozialpolitisches Engagement und Leserbriefe

charakterköpfe. 3610. April 2010