18
Chemie für Biologen Vorlesung im WS 2004/05 V2, Mi 10-12, S04 T01 A02 Paul Rademacher Institut für Organische Chemie der Universität Duisburg-Essen (Teil 12: 12.01.2005) MILESS: Chemie für Biologen 218

Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

  • Upload
    others

  • View
    5

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Chemie für BiologenVorlesung im

WS 2004/05V2, Mi 10-12, S04 T01 A02

Paul RademacherInstitut für Organische Chemieder Universität Duisburg-Essen

(Teil 12: 12.01.2005)

MILESS: Chemie für Biologen218

Page 2: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

219

Konstitutionsisomere:gleiche Summenformel, unterschiedliche Verknüpfung der Atome.Beispiele:

Konfigurationsisomere (Stereoisomere):gleiche Summenformel, gleiche Verknüpfung der Atome, aber unterschiedliche räumliche Anordnung.Beispiele:

Isomerieformen

H

CH3H3C

H CH3

HH3C

H

cis- oder Z- trans- oder E-

H

BrBr

H

Br

BrH

Htrans-cis-

1,2-Dibromcyclohexan2-Buten

C2H6O : O CH3H3C H3C CH2 OHDimethylether Ethanol

C4H10 :n-Butan IsobutanH3C CH2 CH2 CH3 H3C CH CH3

CH3

Diastereomere

Page 3: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Nefertari, Gemahlin von Ramses II.

mit 2 linken Händen mit 2 rechten HändenDie Spiegelung eines chiralen ("händigen") Objektes ergibt ein nicht deckungsgleiches neues Objekt. Das Objekt selbst darf nicht spiegelsymmetrisch sein, z. B. Person mit rechter und linker Hand.

220

Page 4: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Chiralität bedeutet Händigkeitchiral (griechisch cheir – Hand bzw. Händigkeit)

221

Chirale Objekte sind mit ihrem Spiegelbild nicht deckungsgleich.Beispiele: Hände, Handschuhe, Schuhe, Füße, Beine, Schrauben, Korkenzieher, Schneckengehäuse, Hirschgeweihe, Spiralnebel, ... Bei Molekülen: Spiegelbildisomerie, eine Form der Konfigurations-isomerie, Stereoisomerie. Viele Naturstoffe sind chiral: Aminosäuren, Proteine, Zucker, ....

Page 5: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Makroskopische und molekulare Chiralität

Weinbergschnecke (helix pomatia)

Wiley-VCH, Weinheim, 1999.222

P-[13]-Helicen M-[6]-Helicen

Page 6: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Beispiele für Stereoisomere

H3C CH2 CHCl

CH3

2-Chlorbutan

CCH3

H

CH2Cl

H3C CH3C

H

CH2CH3Cl

H3C CH COOHOHMilchsäure

COH

COOH

HH3C

CHO

COOH

HCH3

- stereogenes Zentrum asymmetrisches C-Atom

Bild Spiegelbild

nicht deckungsgleiche Enantiomere

223

Bei technischen und Laborsynthesen entstehen zumeist ein 1:1-Gemische der Enantiomere (= racemisches Gemisch, Racemat). Enantiomere können mit geeigneten Methoden getrennt werden (Racematspaltung). Die meisten biochemischen Synthesen sind enantioselektiv (stereospezifisch).

Page 7: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Asymmetrisches C-Atom und Enantiomerenpaar

Asymmetriezentrum, stereogenes Zentrum. Kleinste chirale Einheit:C-Atom mit vier verschiedenen Substituenten.

C C

a

b

c

d

a

b

c

d

Spiegel

a ≠ b ≠ c ≠ d

Bild und Spiegelbild sind nicht deckungsgleich.Moleküle mit einem Asymmetriezentrum sind chiral. Spiegelbildisomerie, KonfigurationsisomerieEine Vertauschung von zwei Substituenten kehrt die Konfiguration um.

Beispiel: 2-Iodbutan, Enantiomerenpaar

Konfiguration:S-(+) R-(−)

Spezifische Drehung:[α]D: +15.9° −15.9°

EtC

Me IH

MeC

EtHI

224

Page 8: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Unterscheidung von EnantiomerenEnantiomere sind trennbare, stabile Verbindungen. Sie sind nur durch Umgruppierung von Bindungen ineinander überführbar. Sie besitzen die gleiche Konstitution. Sie zeigen gegenüber achiralenReagenzien gleiche chemische Eigenschaften. Die meisten physikalischen Eigenschaften sind gleich (z.B. Dichte, Schmelzpunkt, Siedepunkt).Unterscheidung mit polarisiertem Licht:Enantiomere besitzen für zirkular polarisiertes Licht unterschiedliche Brechungsindices. Sie drehen die Ebene von linear polarisiertem Licht.Chirale Verbindungen sind optisch aktiv. Racemate sind optisch inaktiv.

225

PolarimeterMessung der spezifischen Drehung[α]D

Messung mit derD-Linie des Natriums (ca. 589 nm)

Page 9: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Bezeichnung der Konfiguration: R,S-System

Die Angabe des Drehsinns (+ oder −) reicht nicht, da zwischen Konfiguration und Drehsinn keine einfache Beziehung besteht. In vielen Fällen ist es wichtig, die Konfiguration zu kennen. Sie muss empirischbestimmt werden!R,S-Nomenklatur, (Cahn, Ingold, Prelog, 1951ff), Beispiel Milchsäure:

CH3

C

OH H

CO2HCH3

C

OH

HCO2H

C

OH H

CH3HO2CC

OH

HCH3

CO2H

4

3

1

2

2

3

1

4

32

1

R-(_)-Milchsäure R = rectus (rechts)

S-(+)-Milchsäure S = sinister (links)

4

1

2

34

Blickrichtung

Sequenzregeln für Substituenten ~ Ordnungszahl

Die linksdrehende Milchsäure besitzt die R-Konfiguration.Die rechtsdrehende Milchsäure besitzt die S-Konfiguration. 226

Page 10: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Moleküle mit mehreren stereogenenZentren. Ein Beispiel

CH3

OH

CH3 CH3

* **

1

2

5

C10H20O ein Terpenalkohol

Das Molekül besitzt 3 asymmetrische Kohlenstoffatome. Damit ergeben sich23 = 8 Stereoisomere, oder 4 Enantiomerenpaare.Enantiomere besitzen an allen C* entgegen-gesetzte Konfiguration.Diastereomere, also Stereomere, die keine Enantiomere sind, werden häufig mit Trivialnamen unterschieden.

227

C-1 C-2 C-5 Name C-1 C-2 C-5 Name R S R (−)-Menthol*) S R S (+)-Menthol S R R (+)-Isomenthol R S S (−)-Isomenthol S S R (+)-Neomenthol R R S (−)-Neomenthol R R R (+)-Neoisomenthol S S S (−)-Neoisomenthol *)Systematischer Name: (1R,2S,5R)-2-Isopropyl-5-methylcyclohexanol

Page 11: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

H2NOH

O

O H2N HHO

NH2

O

ONH2H

Konfiguration und physiologische Eigenschaft

S Rbitter Asparagin süß

N N

OO

OCH 3H

C 6 H 5n-C 4H 9

N N

OO

OHH 3 C

C 6 H 5n-C 4H 9

S R

Krampfanfall Barbitursäure-Derivat narkotisch

N

O

O

NO

O H

H

NO

OH

HN

O

O

S R

extrem teratogen Contergan keine Mißbildungen

C H 3

H 3 C C H 2

C H 3

H 2 C C H 3

RS

228Geruch nach Zitrone Limonen Geruch nach Orange

Page 12: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Thalidomid (Contergan®):ein janusköpfiges Medikament

NCNH

O

O

O

O

HNC

NH O

O

OH

O

R-(+)-Isomer S-(_)-Isomer(±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4

Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung.Beide Enantiomere weisen gleiche sedative Wirkung auf, nur das (S)-(–)-Isomer ist bei Mäusen teratogen.Noch im Gebrauch zur Behandlung entzündlicher Prozesse bei Lepra.

Die Lage eines H-Atoms kann die Eigenschaften entscheidend verändern.229

Page 13: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

230

Arzneimittel - Wirkstoffe (1993)

AsymmetrischesC-Atom

Gesamtzahl nicht-chiral chiral, racemisch chiral, rein

1850 805 (43 %) 475 (26 %) 570 (31 %)*)

*) 2000: 40 %

O

OHC

NH2

I

I

I

I

CO2H

H

Page 14: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Bezeichnung der Konfiguration: D,L-System

Neben der R,S-Nomenklatur verwendet man bei bestimmten Stoffklassen wie Aminosäuren, Hydroxysäuren und Zuckern dieD,L-Nomenklatur (E. Fischer, 1891), Beispiel Milchsäure:

CH3

C

OH H

CO2H

C

OH H

CH3HO2C

CH3

C OHH

CO2H

CH3

OHH

CO2H

CH3

COH H

CO2H

CH3

OH H

CO2H

R-(_)-Milchsäure

S-(+)-Milchsäure

D-(_)-Milchsäure

D = dexter (rechts)

L-(+)-Milchsäure

L = laevus (links)

Fischer-Projektion

Die D,L-Nomenklatur ist nur auf Moleküle anwendbar, die ein H-Atom am stereogenen Zentrum besitzen. 231

Page 15: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Wichtige Naturstoffe - Übersicht

232

Aminosäuren, Peptide, Proteine Hormone, Enzyme, Synthesebausteine, Energiequelle (Nahrungsmittel) Gewebe, Fasern, Muskeln Medikamente, Antibiotika

Lipide (Fette, Wachse, Öle) Nahrungsmittel, Membranen, Rohstoffe für Detergentien, Kosmetika

Alkaloide, biogene Amine N-haltige Verbindungen, meist pflanzlicher Herkunft, pharmakologisch wirksam, Medikamente, Genussmittel

Terpene Pflanzlicher Herkunft, Duft- und Geschmackstoffe, Kosmetika Lacke, Farbstoffe, Vitamine, Pharmaka

Kohlenhydrate Zucker, Cellulose, Stärke, Glykogen, Energiespeicher Synthesebausteine, Nahrungsmittel

Steroide Hormone, Vitamine, biologische Regulatoren

Nucleoside, Nucleotide, Nucleinsäuren DNA, RNA, Speicher der genetischen Information, Proteinbiosynthese

Pheromone Signalstoffe, Sexual-, Aggregations-, Erkennungspheromone, Alarmstoffe, Repellentien

Porphyrine Farbstoffe, Vitamine

Page 16: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

Die Kohlenhydrate sind wichtige Naturstoffe, die in der Natur hauptsächlich durch die Photosynthese und anschließende Reaktionen aufgebaut werden.Rohstoffe: z.B. Baumwolle, Holz; Nahrungsbestandteile: Zucker, StärkePhotosynthese:

Kohlenhydrate sind Polyhydroxyaldehyde oder Polyhydroxyketone bzw. Verbindungen,die dazu hydrolysiert werden können.Monosaccharide (einfache Zucker, n = m) können nicht durch Hydrolyse in kleinere Bruchstücke gespalten werden.Disaccharide (m = n − 1) ergeben bei der Hydrolyse zwei Monosaccharide.Polysaccharide (m << n) entstehen unter Wasserabspaltung (Polykondensation) aus Monosacchariden.

MonosaccharideAldosen (enthalten eine Aldehydfunktion) Ketosen (enthalten eine Ketofunktion)

Kohlenhydrate Cn(H2O)m

6 CO2 + 6 H2O C6(H2O)6 + 6 O2 Glucose

hνChlorophyll

Je nach Anzahl der C-Atome unterscheidet man bei den Monosacchariden:Triosen (C3), Tetrosen (C4), Pentosen (C5), Hexosen (C6), Heptosen (C7).Die wichigsten Monosaccharide sind:Glucose, eine Aldohexose und Fructose, eine Ketohexose.

233

Page 17: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

D-Glucose, Traubenzucker

CO

OH

H

H

H OH

H OH

HOH

CH2OH

C

OHH

H OH

H

HOH

CH2OH

OHH

C

OHH

H OH

H

HOH

CH2OH

HOH

O

OH

OHOH

OH

OOH

OHOH

OH

COH

CHOH

CH2OH

O

O

CH2OH

CH2OH

α-D-Glucopyranose 36 %

β-D-Glucopyranose 64 % (stabilste Form)

1

11

1

14

Aldohexosen< 0.01%D-Glucose,eines von 24 = 16Stereoisomeren

Cyclische Halbacetale:Pyranosen

6

6

6

6

6

Gleichgewicht in wässriger Lösung.

Glucose bildet zwei Pyranosen (Sechsringe) als cyclische Halbacetale.Beide sind isolierbar. β-Form = kristalliner Traubenzucker

234

Page 18: Chemie für Biologen · (±)-N-(2,6-Dioxo-3-piperidyl)-phthalimid, C13H10N2O4 Schlafmittel und Sedativum, als Racemat im Handel 1958-1961, teratogene Wirkung. Beide Enantiomere weisen

D-Fructose, FruchtzuckerO

HH

OH H

CH2OH

OH

O

HH

OH H

CH2OH

OH

C O

H OH

H OH

HOH

CH2OH

CH2OH

OCH2OH

OH

H

H

OH

HO

CH2OH

H

H

OH

H OH

C O

CH2OH

CHOH

CH2OH

HOCH2

HO

1

2

HOCH2

HO

1

2

α-Fructofuranose 9 %

β-Fructofuranose 31 %

1

2

HO

HO

1

2

HO

HO

1

2

α-Fructopyranose 3 %

β-Fructopyranose*)

57 %

(< 1 %)

3

Ketohexosen

D-Fructose,eines von 23 = 8Stereoisomeren

(a)(b)

(b)

(a) +

+

6 6

66

6

*)Nur diese Form ist rein isolierbar,= kristalliner Fruchtzucker

Gleichgewicht in wässriger Lösung.

Fructose bildet vier cyclische Halbketale,mit Fünfringen: Furanosen mit Sechsringen: Pyranosen 235