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Bernhard Timm Chemie und Ernahrung im Jahre 2000 Es ist verstandlich, da8 heute auf vielen Gebieten Betrachtungen daruber angestellt werden, wie wir beim Obergang in das dritte Jahrtausend unserer Zeitrechnung leben werden. Zu allen Zeiten haben Schriflsteller und Kiinstler versucht, die Zukunft vorausschauend zu erfassen. Erst vor wenigen Monaten konnten wir miter- leben, dai3 Menschen von der Erde zum Mond reisten und das verwirklichten, was Jules Verne schon im Jahre 1865 in einem von Phantasie erfullten Roman vorwegge- nommen hatte. Das Bedurfnis, die Zu- kunR rational zu erfassen, kommt auch zum Ausdruck in dem in jungster Zeit immer haufiger verwendeten Wort ,,Futu- rologie". Je nach dem fachlichen Standort verbindet man damit ganz verschiedene Vorstellungen. Fur die einen ist es nur eine moderne Umschreibung fur einen Appell an die Phantasie, der den Autor der Vor- aussage zu nichts verpflichtet. Die anderen mochten den Begriff Futurologie exakter aufgefai3t wissen und darin eine neuartige wissenschaflliche Aufgabenstellung sehen, indem man von den Erkenntnissen der Gegenwart nach einem rationalen Denk- prozei3 in die ZukunR extrapolieren kann. Ein solches Vorgehen ist dann gerechtfer- tigt, wenn man den fachlichen Rahmen nicht zu weit spannt und zugleich auch den Weg aufzeigt, wie die in der Prognose an- gekundigten Ergebnisse verwirklicht wer- den konnen. Gefahrlich erscheint mir da- gegen der Fall, dai3 man versucht, die fach- lichen Grenzen zu iiberspringen und ganz einfach das, was fur eine Disziplin gelten mag, auf eine andere Disziplin zu ubertra- gen. Es ist zum mindesten nicht auszu- schlieaen, dai3 bei dieser Ubertragung un- bewui3t Vorurteile und Denkfehler mit- wirken und dai3 damit die Prognose in ih- rem realen Inhalt verwassert und mehr oder weniger in den Bereich der Spekula- tion gedrangt wird. Wir durfen uns gliicklich schatzen, dai3 die Chemie in Deutschland nicht nur eine gute Tradition hat, sondern dai3 sie auch alle Voraussetzungen erfullt, um maageblich an der Gestaltung unseres Alltagslebens in der ZukunR mitzuwirken. Wenn wir da- bei wagen, schon jetzt etwas uber die Ent- wicklung bis zur Jahrhundertwende aus- zusagen, so ist das keine Vermessenheit. Bedenken Sie bitte, dai3 eine gute Erfin- dung 8 bis 15 Jahre braucht, um in die Praxis iiberfiihrt zu werden, dai3 die indu- strielle Auswertung der durch Patente ab- gesicherten Monopolposition etwa 10 Jah- re dauert und dai3 in weiteren 10 Jahren das zunachst nur dem Erfinder gesicherte Monopol zum Allgemeingut der Technik wird. Das heii3t also, dai3 die heute in un- seren besten Kopfen reifenden Ideen mit den dadurch angestoi3enen Konsequenzen uns bereits uber die Schwelle des Jahres 2000 fiihren werden. Es ist kein Zufall, dai3 die Chemiker in Wissenschafl und Technik sich stets einge- hend mit dem Problem des organischen Le- bens befafiten, und auch der Ausdruck ,,or- ganische Chemie" weist auf diese enge Be- ziehung hin, ebenso wie die z. Zt. stark an Interesse gewinnende biochemische Ar- beitsrichtung. Ein spezielles Problem in diesen weit gesteckten Beziehungen ist die Frage nach der Ernahrung der Menschheit, die nach den vorliegenden Statistiken von 3,5 Milliarden Menschen bis zum Jahre 2000 auf uber 6Milliarden anwachsen wird und ausreichend ernahrt sein will. In den Abbildungen 1 und 2 ist zu erken- nen, dai3 sich das Wachstum der Mensch- heit in den kommenden Jahrzehnten stark auf geographische Gebiete verlagern wird, von denen wir wissen, dai3 sie schon heute mit Schwierigkeiten bei der Nahrungsbe- schaffung fur ihre Bevolkerung zu kamp- fen haben. Abbildung 3 zeigt, wie ungleich das An- gebot an Nahrungsmitteln in der Welt verteilt ist und dai3 gerade die Gebiete mit hohem Industrialisierungsgrad zugleich die Uberschui3gebiete fur die Nahrungsmittel- 163

Chemie und Ernährung im Jahre 2000

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Bernhard Timm Chemie und Ernahrung im Jahre 2000

Es ist verstandlich, da8 heute auf vielen Gebieten Betrachtungen daruber angestellt werden, wie wir beim Obergang in das dritte Jahrtausend unserer Zeitrechnung leben werden. Zu allen Zeiten haben Schriflsteller und Kiinstler versucht, die Zukunft vorausschauend zu erfassen. Erst vor wenigen Monaten konnten wir miter- leben, dai3 Menschen von der Erde zum Mond reisten und das verwirklichten, was Jules Verne schon im Jahre 1865 in einem von Phantasie erfullten Roman vorwegge- nommen hatte. Das Bedurfnis, die Zu- kunR rational zu erfassen, kommt auch zum Ausdruck in dem in jungster Zeit immer haufiger verwendeten Wort ,,Futu- rologie". Je nach dem fachlichen Standort verbindet man damit ganz verschiedene Vorstellungen. Fur die einen ist es nur eine moderne Umschreibung fur einen Appell an die Phantasie, der den Autor der Vor- aussage zu nichts verpflichtet. Die anderen mochten den Begriff Futurologie exakter aufgefai3t wissen und darin eine neuartige wissenschaflliche Aufgabenstellung sehen, indem man von den Erkenntnissen der Gegenwart nach einem rationalen Denk- prozei3 in die ZukunR extrapolieren kann. Ein solches Vorgehen ist dann gerechtfer- tigt, wenn man den fachlichen Rahmen nicht zu weit spannt und zugleich auch den Weg aufzeigt, wie die in der Prognose an- gekundigten Ergebnisse verwirklicht wer- den konnen. Gefahrlich erscheint mir da- gegen der Fall, dai3 man versucht, die fach- lichen Grenzen zu iiberspringen und ganz einfach das, was fur eine Disziplin gelten mag, auf eine andere Disziplin zu ubertra- gen. Es ist zum mindesten nicht auszu- schlieaen, dai3 bei dieser Ubertragung un- bewui3t Vorurteile und Denkfehler mit- wirken und dai3 damit die Prognose in ih- rem realen Inhalt verwassert und mehr oder weniger in den Bereich der Spekula- tion gedrangt wird.

Wir durfen uns gliicklich schatzen, dai3 die Chemie in Deutschland nicht nur eine gute Tradition hat, sondern dai3 sie auch alle

Voraussetzungen erfullt, um maageblich an der Gestaltung unseres Alltagslebens in der ZukunR mitzuwirken. Wenn wir da- bei wagen, schon jetzt etwas uber die Ent- wicklung bis zur Jahrhundertwende aus- zusagen, so ist das keine Vermessenheit. Bedenken Sie bitte, dai3 eine gute Erfin- dung 8 bis 15 Jahre braucht, um in die Praxis iiberfiihrt zu werden, dai3 die indu- strielle Auswertung der durch Patente ab- gesicherten Monopolposition etwa 10 Jah- re dauert und dai3 in weiteren 10 Jahren das zunachst nur dem Erfinder gesicherte Monopol zum Allgemeingut der Technik wird. Das heii3t also, dai3 die heute in un- seren besten Kopfen reifenden Ideen mit den dadurch angestoi3enen Konsequenzen uns bereits uber die Schwelle des Jahres 2000 fiihren werden.

Es ist kein Zufall, dai3 die Chemiker in Wissenschafl und Technik sich stets einge- hend mit dem Problem des organischen Le- bens befafiten, und auch der Ausdruck ,,or- ganische Chemie" weist auf diese enge Be- ziehung hin, ebenso wie die z. Zt. stark an Interesse gewinnende biochemische Ar- beitsrichtung. Ein spezielles Problem in diesen weit gesteckten Beziehungen ist die Frage nach der Ernahrung der Menschheit, die nach den vorliegenden Statistiken von 3,5 Milliarden Menschen bis zum Jahre 2000 auf uber 6Milliarden anwachsen wird und ausreichend ernahrt sein will.

In den Abbildungen 1 und 2 ist zu erken- nen, dai3 sich das Wachstum der Mensch- heit in den kommenden Jahrzehnten stark auf geographische Gebiete verlagern wird, von denen wir wissen, dai3 sie schon heute mit Schwierigkeiten bei der Nahrungsbe- schaffung fur ihre Bevolkerung zu kamp- fen haben.

Abbildung 3 zeigt, wie ungleich das An- gebot an Nahrungsmitteln in der Welt verteilt ist und dai3 gerade die Gebiete mit hohem Industrialisierungsgrad zugleich die Uberschui3gebiete fur die Nahrungsmittel-

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produktion darstellen. Man schatzt die Jahreswelterzeugung an Nahrungsmitteln auf 1,s Milliarden Tonnen Getreideein- heiten (GE), woraus sich im Weltdurch- schnitt fur den einzelnen Verbraucher 1,4 kg GE oder 4200 kcal/Tag errechnen. Die fur den taglichen Bedarf zur Verfiigung stehende Kalorienmenge verringert sich je- doch noch dadurch, dafl die Umwandlung von pflanzlichen Produkten in animali- sche Erzeugnisse uber den tierischen Orga- nismus mit dem Verlustfaktor 6:l behaf- tet ist. Hierdurch ergibt sich dann eine durchschnittliche Nahrungsmittelerzeu- gung von knapp 2500 kcal, also dem Wert, der fur die tzgliche Ernahrung als gerade ausreichend angesehen werden kann. Die- se Zahl hat aber nur begrenzten Aussage- wert, weil der Ausgleich zwischen den Uberschuflgebieten und den unterversorg- ten Lfndern nur zum Teil funktioniert. In Verbindung mit den Daten der Abbildung 3 ergibt sich die betriibliche Feststellung, dafl auch heute noch in weiten Gebieten der Erde lang anhaltende Hungersnote vorkommen. Den Bemuhungen der Re- gierungen und zahlreicher internationaler Institutionen, wie z.B. der Food and Agri- cultural Organization (FAO) der Verein- ten Nationen, sind zwar inEinzelffllen be- achtliche Erfolge beschieden bei der Uber- windung der Hindernisse, die sich dem Warenaustausch entgegenstellen. Aber selbst wenn es gelingt, die Versorgung der Hungergebiete auf den heutigen Welt- durchschnitt anzuheben, wurden sich den- noch angesichts der schnellen Zunahme der Weltbevolkerung in wenigen Jahren wie- der neue Zentren mit schwerwiegender Unterversorgung bilden. Es hat sich im Grunde genommen in weltweiter Sicht seit dem Ende des letzten Jahrhunderts trotz grofler Fortschritte der Chemie fur die Verbesserung der Ernahrungswirt- scliaft nur wenig geandert. Bei naherer Be- trachtung mufl man jedoch zugeben, dafl in den hoch entwickelten Landern dank der Chemie sehr beachtliche Fortschritte zu verzeichnen sind und dafl die konse- quente Anwendung der hier gewonnenen Erfahrungen doch geeignet ist, auch in den Entwicklungslfndern den Hunger wirksa- mer zu bekimpfen als in der Vergangen- heit.

Wir wenden uns nun den Methoden ZU, mit welchen die Chemie einen wichtigen Beitrag zur Losung dieses Problems lei- sten kann. Hierzu bieten sich heute und in

der ubersehbaren Zukunft folgende Mog- lichkeiten an:

- das Angebot an Handelsdunger, - die Pflanzenschutzmittel, - die Schadlingsbekfmpfungsmittel zum Schutz des Saatguts und der Ernte, - die Schlieflung der Eiweifllucke durch unmittelbare Herstellung von Nahrungs- mitteln aus einfachen chemischen Grund- stoffen, - die Anwendung von Futterhilfsmitteln und Einfuhrung neuartiger, von der Che- mie beeinfluflter Arbeitsmethoden in der Landwirtschaft, - die Bodenverbesserung und die For- derung der zuchterisclien Maflnahmen mit Hilfe der Chemie, - die Entlastung von AnbauflEchen fur die Bekleidungsindustrie zugunsten der Nahrungsmittelproduktion.

Handelsdiinger

Der Bedarf an Kohlenhydraten, Fett und Eiweifl fur die menschliche Ernahrung kann nicht allein aus pflanzlicher Produk- tion gedeckt werden. Fur die Eiweiflver- sorgung ist der Umweg iiber den tieri- schen Organismus trotz seines schlechten Wirkungsgrades notwendig und auch in der Zukunft nicht zu vermeiden. Somit bleibt die Steigerung der landwirtschaftli- chen Produktion an pflanzlichen und tieri- schen Stoffen eine vordringliche Aufgabe.

Liebig hat uns in seiner Ernahrungslehre der Pflanzen den Weg gewiesen, das Pflan- zenwachstum durch die Dungung rnit Sal- Zen der Elemente Stickstoff, Phosphor und Kalium kraftig zu steigern. Die Aufschlie- flung der Phosphat- und Kalivorrate der Erde ist mit verhaltnismfflig einfachen Methoden moglich. Mengenmfflig gibt es keine Engpasse. Mit Hilfe der Bodenana- lyse kann man den Entzug dieser Nahr- stofie durch die Ernte messen und die Ver- luste leicht wieder ausgleichen. Beim Stick- stoff sieht es etwas anders aus. Die Uber- fuhrung des Stickstoffs der Lufk in die fur die Pflanzen erwunschte gebundene Form von Stickstoff verbindungen ist technisch nur moglich uber den Weg der Synthese des Ammoniaks aus den Elementen Stick- stoff und Wasserstoff. Durch die von Fritz Haber und Carl Bosch in den Jahren 1908 bis 191 3 entwickelte Hochdrucksynthese des Ammoniaks ist eine neue Industrie der Herstellung synthetischer Dungemittel

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entstanden, die entscheidend zur Steige- rung der landwirtschafilichen Produktion beigetragen hat. Eine nach den Erkennt- nissen von Liebig verabreichte Gabe von Stickstoffdiingemitteln, erganzt durch die darauf abgestimmten Mengen an Phos- phorsaure und Kali, fiihrt zu folgenden Mehrertragen: Ein Kilogramm Stickstoff erlaubt bei Volldiingung eine Mehrerzeu- gung von 15 Kilogramm Getreidewerten. Auf diese Weise war es z. B. in Deutsch- land moglich, die Hektarertrage sowohl im Weizen- wie im Kartoffelanbau in den letzten hundert Jahren zu vervierfachen. Das zeigt, welche Nahrungsmittelreserven weltweit noch freigesetzt werden konnen, wenn uberall nur das heutige Niveau Deutschlands erreicht wird. Die Erfahrun- gen der letzten Jahre lehren sogar, dai3 selbst in den Landern mit leistungsfahiger Landwirtschafi die Entwicklung bei wei- tem noch nicht am Ende ist.

In den Industriestaaten verlagern sich die Probleme allerdings auch in den wirtschafi- lichen Bereich, so dai3 neben Fragen der verstarkten Diingung die nach der ratio- nellsten Arbeitsweise treten. Die groi3en Diingemittelproduzenten fuhren darum umfangreiche Versuche durch, um Diin- gersorten und Ausbringungsmethoden zu verbessern. Im Vordergrund steht die Entwicklung von Volldiingern, die in einer einzigen Gabe alle Elemente fur das pflanzliche Wachstum in der richtigen Zu- sammensetzung enthalten, wodurch Feh- lermoglichkeiten bei der Anwendung ver- ringert werden. Des weiterenwurden lang- Sam wirkende Diingemittel entwickelt, die arbeitssparend sind, weil die Diingung nur einmal wahrend der ganzen Vegetations- periode erfolgt. Ihr chemischer Aufbau garantiert eine allmahliche Auflosung im Boden, so dai3 Oberdosierungen vermie- den werden.

Die derzeitige Weltproduktion an Stick- stoffdiingemitteln betragt 27 Millionen Tonnen N. Aus der damit erzeugten Mehrproduktion gegeniiber dem Nicht- einsatz von Handelsdiingern konnen die 3,5 Milliarden Menschen in der Welt tag- lich rnit 300g GE oder 900kcal oder 900g Brot versorgt werden. Vereinfacht darf man sagen, dai3 etwa die Halfie der Menschheit von der Mehrerzeugung er- nahrt wird, die schon heute durch An- wendung der Handelsdunger produziert wird. Um jedoch den bis zum Jahre 2000

zu erwartenden Bevolkerungszuwachs vollstandig versorgen zu konnen, ware es erforderlich, die Weltstickstoffproduktion auf 90 bis 95 Millionen Tonnen N zu stei- gern. Wir wollen fur den Augenblick von allen politischen und wirtschafispolitischen oder okonomischen Faktoren einmal ab- sehen und uns zunachst die Frage vorle- gen, ob die hier gestellte Aufgabe tech- nisch iiberhaupt zu losen ist.

Solange der zur Gewinnung des Stickstoffs der Lufi benotigte Wasserstoff iiber die Wassergasreaktion aus Kohle gewonnen werden muate, war die Stickstoffindustrie standortmai3ig an die Kohlevorkommen und dariiber hinaus aus betrieblichen Griinden an die Lander mit hoher indu- strieller Entwicklung gebunden. Diese Ab- hangigkeit vom energetishen Standort ist heute weitgehend aufgehoben durch die Verwendung von Erdgas- und Erdolfrak- tionen als Rohstoff quelle fur den Wasser- stoff. Beide Ausgangsstoff e konnen durch Rohrleitungen iiber groi3e Entfernungen an den Or t der Verarbeitung transpor- tiert werden, so dai3 die Diingemittelfabri- ken im Prinzip unmittelbar in ihren Ab- satzgebieten errichtet werden konnten. Obwohl die Ammoniakreaktion ein exo- thermer Vorgang ist, konnte man in der Anfangszeit die freigesetzte WErme gar nicht und lange Jahre nur zum kleinsten Teil wiedergewinnen, so dai3 Ammoniak- fabriken fur den Betrieb der Kompresso- ren und anderer Maschinen einen groi3en Bedarf an von aui3en zugefuhrter Energie hatten. Die dadurch bedingte Bindung an hoch industrialisierte Standorte ist inzwi- schen weitgehend aufgehoben worden, weil die in den neuzeitlichen, sehr groi3en Reaktoren anfallende Warme mit gutem Wirkungsgrad wiedergewonnen werden kann. Sie wird genutzt fur den Antrieb der maschinellen Einrichtungen der Dun- gemittelfabrikation und macht diese da- mit weitgehend von der Versorgung mit Fremdenergie unabhangig.

Nach dem heutigen Stand der Technik kann man den Investitionsbedarf fur eine Tonne Reinstickstoff in Form von Diinge- salzen mit 825,- DM pro Tonne N an- setzen. Daraus ergibt sich bis zum Jahre 2000 fur den vorhin genannten theoreti- schen Kapazitatszuwachs ein Bedarf von rund 55 Milliarden DM. Dabei ist noch nicht der Ersatzbedarf fur die heute be- stehenden oder bald zu errichtenden An-

lagen beriicksichtigt, so dai3 man vermut- lich rnit einem Gesamtbedarf von 130 Mil- liarden DM rechnen mui3. Das sind zwar gewaltige Summen, aber ihre Aufbringung diirfie im Prinzip moglich sein. Somit ware das Problem der Darbietung einer ausrei- chenden Produktionskapazitiit sowohl von der Technik wie von der Finanzierung her zu losen.

Dennoch ist leider nicht zu erwarten, dai3 dieseEntwicklung so ablaufen kann. Selbst nach Oberwindung der Standortgebun- denheit sind Diingemittelfabrikationen nur sinnvoll, wenn in den zu versorgen- den Gebieten eine ausreichend entwickelte Infrastruktur vorhanden ist. Dies gilt in erster Linie fur die Wasserversorgung. Ei- ner planvollen Verteilung der Diingemit- telproduktion iiber die wichtigsten land- wirtschaftlichen Erzeugungsgebiete der Welt steht aber neben den ungleichen Vor- aussetzungen von der Infrastruktur her auch die Tatsache entgegen, dai3 in den groi3en Industrielandern heute bereits eine starke Konzentration an Stickstoffanlagen vorhanden ist. Dies fiihrte schon in der Vergangenheit zu einem weltweiten Han- delsgeschaR mit Dungemitteln, mit dessen Hilfe die nicht industrialisierten Lander an den Vorteilen teilnehmen konnten, wel- che sich aus dem Diingemittelangebot der Industrielander ergaben. Durch die neuen leistungsfahigen Mammutanlagen in den hochentwickeltenLandern wurde der Preis auf einen so niedrigen Stand gebracht, dai3 iiberall ein wirtschafilicher Anreiz zum Einsatz der Diingemittel gegeben ist.

Diese von der Industrie erbrachte Lei- stung ist ein gutes Beispiel dafiir, was durch private Initiative auch auf einem so politischen Gebiet wie der Ernfhrungs- wirtschafi erreicht werden kann, wenn und solange die Handelswege offen sind. Alle Bestrebungen der Regierungen, die darauf abzielen, noch bestehende Handels- hemmnisse zu iiberwinden, sind daher ge- rade unter diesem Gesichtspunkt ganz be- sonders zu b e g d e n . Zweifellos wire dies der wirksamste Weg, um schnell weltweit so nahe wie moglich an das vorher ge- nannte Ziel heranzukommen. Daneben wird man selbstverstfndlich auch bestrebt seln, in den ganz groi3en Bedarfsgebieten, wie z. B. Indien oder China, lokale Fabri- kationen fur Stickstoffdiingemittel zu er- richten. Das ist dann durchaus sinnvoll, wenn von der WirtschaRsstruktur des be-

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treffenden Landes sowie vom Rohstoffan- gebot her die Voraussetzungen erfullt sind, um die Diingemittel dort nicht teurer zu produzieren als die aus den Industrielan- dern angebotenen Handelsprodukte. Dann stellt sich im allgemeinen auch als positi- ver Begleiteffekt im Laufe der Zeit eine wirksame Verbesserung der Infrastruktur ein.

Fur die Durchfiihrung der technischen Aufgabe sind diese Lander aber noch fur lange Zeit auf die Unterstiitzung aus den Industrielandern angewiesen. Leider hat die politische Raumverteilung in der Welt zur Folge, dai3 vielfach aus Griinden einer nationalen Autarkiewirtschaft oder auch aus Prestigegriinden Industrieanlagen in Entwicklungslandern errichtet werden, bei denen die Voraussetzungen fur die Verwertung der angebotenen Produktion noch gar nicht vorliegen. So sind zahlrei- che Falle bekannt, wo Dungemittelanlagen geplant werden mit der erklarten Zielset- zung, dai3 ihre Erzeugnisse zu Beginn in dem betreffenden Land nur zum Teil ver- braucht werden und dai3 sie daher fur eine Reihe von Jahren als Devisenbringerdurch einen geplanten Dungemittelexport ange- setzt werden sollen. Meistens wird dann noch hinzugefiigt, dai3 aus den zu erwar- tenden Betriebsgewinnen zunachst die In- frastruktur des eigenen Landes fur die spa- tere Aufnahme grofierer Diingemittel- mengen erschlossen werden soll. In dieser Betrachtung sind eine ganze Reihe von Trugschliissen enthalten, darunter vor al- len Dingen derjenige, dai3 die Gewinn- chancen fur solche Anlagen weit uber- bewertet werden. Wenn sich aus Griinden desBetreibens oder der Auslastung Schwie- rigkeiten ergeben, fuhren solche grogen Anlagen sehr schnell zu nachhaltigen Ver- lusten. Dann ist aber der wirtschaftliche Cyclus, in den sie hineingestellt sind, ge- stort. Aus diesen Griinden wird die Errei- chung des vorher als wunschenswert be- zeichneten Zieles erheblich erschwert und die tatsachliche Entwicklung in den nach- sten 30 Jahren langsamer verlaufen. An- zeichen dafiir ist unter anderem auch die Tatsache, dai3 bedeutende internationale Unternehmen der Erdolindustrie, welche

sich zunachst zu diesem Programm be- kannt hatten, inzwischen vie1 zuriickhal- tender geworden sind. Es ergibt sich dar- aus die Schluflfolgerung, dai3 Vorhaben in Entwicklungslandern ganz besonders sorg- faltig auf ihre WirtschaRlichkeit gepriift werden mussen und dai3 groi3e Anlagen unabhangig von den politkhen Grenzen nur in okonomisch zweckmEi3iger raumli- cher Gliederung errichtet werden sollten. Daneben sollten alle Anstrengungen ge- macht werden, um durch tiberwindung von Handelshemmnissen den Produkti- onsiiberschui3 der Industrielander fur die Entwicklungslander weiterhin zur Verfii- gung zu stellen. Soweit dies nicht durch normale Handelsbeziehungen geschehen kann, bietet sich hier die Mitwirkung der Regierungen in einem groi3 angelegten in- ternationalen Forderungsprogramm an.

Wir fassen zusammen, dai3 die Versorgung der Menschheit mit ausreichender Nah- rung rnit Hilfe der Handelsdiinger zwar im Prinzip moglich ist, dai3 es aber in ho- hem Grade wahrscheinlich ist, dai3 ein sol- ches Ziel bis zum Jahre 2000 auf diesem Wege noch nicht in befriedigendem MaBe erreicht sein wird. Umso wichtiger ist es daher, auch alle anderen Methoden zu for- dern, die geeignet sind, die Nahrungsmit- telversorgung der Menschheit zu verbes- sern. Soweit es die Diingung betrifR, kommt d a m in Frage eine Verbesserung des Wirkungsgrades der Bodenbakterien, die auch heute bereits einen beachtlichen Beitrag zur Deckung des Stickstoffbedarfs der Pflanzen leisten. Schliei3lich gehoren in diesen Zusammenhang neuere Untersu- chungen, bei denen mit Hilfe metallorga- nisher Katalysatorsysteme bei niedriger Temperatur und niedrigem Druck reak- tionsfahiger Stickstoff gewonnen werden kann. Diese sehr interessanten wissen- schafllichen Arbeiten haben aber im Au- genblick noch keine technische Bedeutung. Zum Abschlui3 dieses Kapitels soll noch darauf hingewiesen werden, dai3 die land- wirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion der Welt sich heute auf einem Zehntel der festen Erdoberflache abspielt und dai3 trotz bedeutender Fortschritte z. B. bei der Ziichtung winterharter Getreidearten we- nig Aussichten bestehen, diese Relation entscheidend zu verandern. Wir miissen daher alle unsere Energie darauf verwen- den, die spezifische Nahrungsmittelpro- duktion pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzflache zu steigern.

Pflanzenschutzmittel

Eine weitere Moglichkeit zur Leistungs- steigerung der landwirtschaftlichen Pro- duktion besteht in der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Von der Methode her werden z. Zt. zwei Wege beschritten. Der erste Fall betrifft die Herstellung von spezifisch wirksamen Pflanzenschutzmit- teln, welche durch selektive Vernichtung von unerwunschten Pflanzen die uneinge- schrankte Entfaltung der Kulturpflanzen gewahrleisten. Im Getreidebau haben seit Kriegsende Derivate der &4-Dichlorphen- oxyessigsaure groi3e wirtschaRliche Be-

OC Hz-COZH 6” c1

2,4 - Dic hlor - phenoxyes sigs aure

deutung erlangt. Sie beseitigen alle zwei- keimblattrigen Unkrauter, weil sie als Wuchsstoffe fur derartige Pflanzen das Wachstum in der Weise anregen, dai3 die Pflanzen wegen tiberforderung ihrer Kraf- te zugrunde gehen. Auch die Umkehrung ist moglich, also die Bekampfung von Gra- sern in dicotylen (zweikeimblattrigen) Kul- turen. Hierfiir verwendet man heutzutage vorzugsweise Produkte aus der Gruppe der Thiolcarbamate. Weitaus schwieriger ist die Entwicklung von Wirkstoff en ge- gen solche Unkrauter, die mit den Kultur- pflanzen verwandt sind, wie z. B. die Un- graser in Getreidesorten. Aber auch hier konnten in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte erzielt und wirksame Mittel in den Handel gebracht werden. Als Bei- spiel sei die Bekampfung des von Land- wirten so gefurchteten Flughafers erwahnt.

Nach einem vollig anderen Prinzip ver- fahrt man mit den sogenannten Vorauf- laufmitteln. Sie werden kurz vor oder nach der Saat ausgebracht und haben die Aufgabe, praktisch jeden Bewuchs rnit Ausnahme der Nutzpflanze so nachhaltig zu unterdriicken, dai3 die gewunschte Kul- tur ungestort die erste Wachstumsphase hinter sich bringen und sich damit der Verunkrautung entziehen kann. Hier ist also die Universalitat des Pflanzenschutz- mittels noch weiter getrieben. Neben dem Effekt der Unkrautbeseitigung ergibt sich in diesem Fall noch eine beachtliche Ar- beitserleichterung, weil die jungen Kultu- ren ohne Unkraut aufgehen (siehe Abbil-

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dung 4 auf Seite 166). Ein wirksames Praparat dieser Art stellt das Pyramin dar, das im Zuckerriibenbau zu groi3ter wirt- schaftlicher Bedeutung gelangt ist.

In Zukunft wird sich der Trend nach ein- facher anwendbaren und arbeitserleicli- ternden Pflanzenschutzmitteln noch wei- ter verstarken. Das ist insbesondere eine Forderung der Landwirtschaft in industri- alisierten Landern, in denen die Wirt- schafilichkeit der Nahrungsmittelproduk- tion mit an erster Stelle steht. Fur die Chemie bedeutet es, daf3 sie einerseits im- mer spezifischere, gegen ein bestinimtes Unkraut gerichtete Herbizide entwickeln mui3 und andererseits auch zunehmend solche, die alle unerwunschten Pflanzen der einzelnen Kulturen in einem Arbeitsgang beseitigen.

Die weitere Erforschung dieses Gebietes ist daher von vorrangiger Bedeutung. Es mui3 jedoch darauf hingewiesen werden, dai3 es bis heute noch keine exakten gesetzmai3i- gen Beziehungen zwischen der chemischen Struktur und der Wirkung derartiger Pra- parate gibt. Man ist daher auf eine in sehr groi3er Breite betriebene und entsprechend aufwendige Empirie angewiesen. Der Nutzeffekt der Pflanzenschutzmittel ist beachtlich. Bei rechtzeitiger Anwendung werden Mehrertrage bis zu 300/, und in einigen tropischen Landern sogar mehr als 50% Ertragssteigerung erzielt.

SchidlingsbekSmpfungsmittel

Der Schutz der Saaten und der Ernte vor Vernichtung durch Schadlinge ist eine Auf- gabenstellung von hoher wirtschaftlicher Bedeutung. Man schatzt, dai3 rund 25% der Welterzeugung an Nahrungsmitteln im Werte von 90 Milliarden DM jahrlich durch Schadlinge vernichtet werden. Seit langer Zeit sind Quecksilberverbindungen als Mittel zum Schutz des Saatgetreides be- kannt. Sie erfullen mit Erfolg ihren Zweck, jedoch besteht von der Chemie aus ein grofles Interesse daran, in der ZukunR wirksame quecksilberfreie Saatbeizen zu entwickeln. Es liegen hierzu einige aus- sichtsreiche Versuchsentwicklungen vor, und es besteht gute Aussicht, dafl man im Laufe der nachsten Jahre dieses Problem losen wird.

Die heranwachsende Pflanze wird in ihrem Bestand bedroht durch Insekten- und Pilz-

befall. Mit der Einfuhrung der Monokul- turen, vor allen Dingen in den iibersee- ischen Anbaugebieten, erfolgte ein starker Eingriff in das biologische Gleichgewicht. Es wurden die natiirlichen Feinde der Schadinsekten vertrieben, wahrend diese sich rapid ausbreiten konnten. Gleichzeitig fiihrte die auf hochsten Ertrag der Nutz- pflanzen gerichtete Zuchtung zu einer ver- starkten Empfindlichkeit der Kulturen gegen den Angriff durch Schadlinge und Pilze. Einige Praparate sind schon sehr lange bekannt, wie z.B. kupferhaltigeMit- tel gegen den Pilzbefall oder Schwefel fur die Behandlung der Weinkulturen. Einen besonderen Fortschritt stellten vor etwa 30 Jahren die chlorierten Kohlenwasserstoffe dar, von denen nur das DDT und das Gammexan erwahnt werden sollen. Sie haben in kurzer Zeit uberragende wirt- schaftliche Bedeutung erlangt und insbe- sondere den schnellen Wiederaufbau der durch die Kriegsverhaltnisse in Mitleiden- schaft gezogenen Kulturen ermoglicht. Durch ihre Anwendung ist auch die Ma- laria in manchen Gebieten der Welt stark zuruckgedrangt worden. Ihr erst allmah- lich erkannter Nachteil besteht darin, dai3 sie biologisch schwer abbaubar sind und sich in gewissen Organismen anreichern.

H --+).J$cl C1 Ganimexan

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wie auch verschiedene Insektizide als so- genannte systemische Mittel wirken, also uber den Saftstrom der PBanze an den Schadling herangebracht werden.

Gegen die Verwendung von Schadlingsbe- kampfungsmitteln sind zu jeder Zeit viele Einwande vorgebracht worden. HCufig hort man das Argument, dai3 man statt chemischer Produkte nur biologische Be- kampfungsmethoden anwenden solle. Als mogliche Mafinahmen werden z. B. die Ziichtung und Aussetzung steriler mann- licher Schadinsekten vorgeschlagen, damit die Schadlingsfamilien nach wenigen Ge- nerationen aussterben. Statt der Verwen- dung von Herbiziden empfiehlt man, sol- che Kaferarten zu ziichten und auszuset- Zen, die mit hoher Selektivitat bestimmte Unkrauter fressen. In der Praxis lassen sich die hier genannten Beispiele jedoch nicht rnit Erfolg anwenden, weil man von aui3en kommende storende Einfliisse bis jetzt nicht ausschlieflen kann. Ich mochte daher ganz klar aussprechen, dai3 wir auf die Pflanzenschutz- und Schadlingsbekamp- fungsmittel weiterhin angewiesen sind. Dies Gebiet wird deswegen auch in den kommenden Jahren in wissenschaftlicher und anwendungstechnischer Hinsicht in- tensiv bearbeitet werden. Wie bei denHer- biziden wird man auch an die Insektizide und Fungizide die Forderung nach leichter Abbaubarkeit stellen mussen.

Die Eiweiglucke

Dichlor-diphenyl- tr ichlorathan

(DDT)

Eine andere Klasse wirksamer Insektizide leitet sich von den Phosphorsaureestern ab, die unter den verschiedensten Marken- namen im Handel sind. Neben einer star- ken Wirksamkeit auch in kleinsten Dosen haben diese Mittel den Vorteil, dai3 sie nach ihrer Anwendung in verhaltnismaflig kurzer Zeit vollstandig abgebaut werden. Es ist daher vorauszusehen, dai3 diese Pro- dukte in den kommenden Jahrzehnten weiter an Bedeutung gewinnen, wahrend die chlorierten Kohlenwasserstoffe wahr- scheinlich wegen ihrer Nachteile in den Hintergrund treten. Auf die zahlreichen Mittel zur Pilzbekampfung mochte ich hier im einzelnen nicht eingehen. Ich ver- weise lediglich darauf, dai3 viele Praparate

Die von arztlicher Seite mit Recht gefor- derte ausgewogene Versorgung mit den drei Grundstoffen der Ernahrung - Fett, Eiweii3, Kohlenhydrate - ist in weiten Gebieten der Welt, vor allen Dingen im Hinblick auf das Eiweii3 gefahrdet.

Wie Tabelle 1 zeigt, ist der Hunger der Welt eigentlich ein EiweXhunger. Wegen der hohen Verluste bei der Umwandlung von pflanzlichen Futtermitteln in tierische Erzeugnisse ist es wunschenswert, dem tie- rischen Organismus neben pflanzlicher Nahrung auch industriell erzeugte Eiweii3- stoffe zuzufiihren. Man kann 2.B. aus Erdol Hefeprodukte erzeugen, die zwar nicht geeignet sind fur menschliche Ernah- rung, wohl aber als Komponenten bei der Herstellung von Kraftfutterstoffen. In die- sem Zusammenhang ist auch die Verwen- dung von Harnstoff als Zusatz zu Futter- mitteln fur Wiederkkuer zu nennen. Die

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animalische vegetabilische Kost Kost

ausreichend Nordamerika 40 60 Australien 40 60 Europa 35 65

___ ____

25 75

-

nicht Afrika 15 85 ausreichend Sudamerika 15 85

Asien 10 90

Bedeutung dieser Arbeitsrichtungen ergibt sich aus der Tatsache, da8 beim Umweg uber den tierischen Organismus aus sechs Getreideeinheiten in Form von pflanzli- cher Nahrung lediglich eine Getreideein- heit als tierisches Erzeugnis produziert werden kann. Es scheint durchaus aus- sichtsreich, da8 sich nun auf diese Weise mit Hilfe der Chemie bei gleichem Einsatz an pflanzlicher Substanz die Erzeugung von tierischen Produkten verdoppeln 1Ei3t. Auf die Konsequenzen fur die Tierhaltung und Aufzucht will ich hier nur hinweisen; sie betreff en zunachst selbstverstandlich die Landwirtschaft und fuhren zwangslau- fig zu weiterer Spezialisierung. Aus der zu erwartenden Mechanisierung der Tierhal- tung ergeben sich dann aber wiederum eine ganze Reihe neuer Aufgaben fur die Che- mie.

Moderne Landwirtschaft mit Hilfe der Chemie

Bei teilweisem Ersatz von konventionel- ler pflanzlicher Nahrung im tierischen Kraftfutter sind die Vitamine oder die pflanzlichen Farbstoffe nicht mehr in der richtigen Zusammensetzung enthalten. Diese mussen in Zukunft weitgehend auf synthetischem Wege erzeugt und dann dem Futter zugesetzt werden, um das Ge- deihen der Tiere und ein appetitliches Aus- sehen der Produkte zu gewahrleisten. Vi- tamin A und E werden daruber hinaus auch deswegen angeboten, weil sie das Wachstum des tierischen Organismus au- gerordentlich begunstigen. Ihrem Zusatz

ist es in erster Linie zu verdanken, dai3 z. B. die Schweinemastzeiten von friiher 15 auf 5 Monate verkurzt werden konnten. Abbildung 5 zeigt die wichtigsten Stufen fur die Synthese des Vitamins A, das heute schon weitgehend auf Basis petrochemi- scher Rohstoffe hergestellt wird.

Bodenverbesserung und zuchterische Bemuhungen

Die vorstehend behandelten Metboden der Dungung und des Pflanzenschntzes haben zu einer kraftigen Ertragssteigerung pro Hektar landwirtschafilicher Nutzflache ge- fuhrt. Wir haben bisher aber noch nicht daruber gesprochen, dai3 dann die Zufuhr vonwasser unter Urnstanden zum begren- zenden Faktor fur den Ertrag werden kann. Dabei handelt es sich nicht allein darum, Wasser uberhaupt verfiigbar zu machen - das betriffi das Thema der In- frastruktur, auf das wir eingangs schon hingewiesen haben -, sondern die Boden so zu verbessern, dai3 die Pflanzen in Be- zug auf Feuchtigkeit und Bodenstruktur moglichst gunstige Wachstumsbedingun- gen vorfinden. Interessante Versuche in dieser Richtung wurden schon vor vielen Jahren unternommen mit Hilfe von Kunststoff dispersionen, z. B. auf Basis der Acrylsaure. Fur die LandwirtschaR waren die Kosten dieser Produkte zunachst noch zu hoch, und die Anwendung blieb auf technische Aufgaben beschrankt, wie z. B. die Verfestigung von Sandboden zur An- lage von Flugplatzen oder Industrieanla- gen. Inzwischen wurden neue, billigere

Produkte entwickelt, so da8 heute einer Ausbreitung derartiger Methoden kaum noch Hindernisse entgegenstehen durfien. Besonderes Interesse findet z. Zt. ein Poly- merisationsprodukt von Harnstoff-Form- aldehyd-Harzen, das dank seiner Fahigkeit, Wasser zu binden, sogar die Nutzbarma- chung von reinen Sandboden oder Dunen ermoglicht.

Die Abbildungen 6 und 7 zeigen die auf diese Weise erzielte Bodenverfestigung in dem Schwemmsandgelande des Hafens von Antwerpen. In Form von Flocken ist das Produkt geeignet, schwere Boden auf- zulockern.

Fur die Ertragssteigerung in der landwirt- schafilichen Erzeugung spielen zuchteri-

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Page 8: Chemie und Ernährung im Jahre 2000

sche Bemuhungen seit langer Zeit eine gro- de Rolle. Beim Getreide ergab sich ein Engpafl dadurch, dad die Halme das durch Zuchtung durchaus erzielbare hohere Ge- wicht nicht tragen konnten. Die zuchteri- schen Madnahmen fuhrten entweder zur Steigerung des Ertrags oder zur Verstar- kung der Halme, aber nicht zu beiden Ef- fekten gleichzeitig. Hier konnte die Che- mie helfend einspringen. So fuhrt die Be- handlung mit Chlorcholinchlorid zu einer

Chlorchol inchlor id

Verkurzung und gleichzeitigen Verstar- kung der Halme unter Erhaltung der Er- tragskraft in der Ahre. Die auf diese Weise standfester gewordenen Kulturen erlauben nun im Laufe der Vegetationsperiode zu- satzliche Diingemittelgaben, die wiederum zu einer weiteren Ertragssteigerung fuh- ren, ohne dad es zur Bildung des von der Landwirtschafi so gefurchteten Lagerge- treides kommt.

Abbildung 8 vermittelt einen Eindruck von der Wirkungsweise dieses Praparats.

Die Bekleidungsfrage der Menschheit

Parallel mit den Anforderungen fur eine verstarkte Nahrungsmittelversorgung der Menschheit steigen auch die Bedurfnisse fur Bekleidung, und zwar rnit zunehmen- dem Wohlstand ube,rproportional im Ver- haltnis zum Nahrungsmittelbedarf. Die Produktion von Wolle und Baumwolle ist jedoch aus klimatischen und raumlichen Grunden nicht beliebig zu steigern. Sie hat vielmehr schon heute weitgehend ihren Maximalwert erreicht rnit 1,7 Millionen Jahrestonnen fur Wolle und 11 Millionen Jahrestonnen fur Baumwolle. Die Cellu- losefasern werden zwar zur Klasse der

Chemiefasern gerechnet, aber fur unsere Betrachtung konnten wir sie ebenso gut als eine abgewandelte Naturfaser ansehen, weil ihre Herstellung auf der Verwertung des Holzes aufgebaut ist. Diese z. Zt. 3,5 Millionen Tonnen betragende Weltjahres- produktion wird bis zur Jahrhundertwen- de auf mehr als 7 Millionen Tonnen an- wachsen. Dank der Verwendung von Tex- tilveredlungsmitteln und neuer Bearbei- tungsmethoden gelingt es in zunehmen- dem Made, die nachteiligen Eigenschaften der Zellwolle im Vergleich zur Baumwolle zu uberwinden. Wichtig ist auch, dad die Zelluloseproduktion eines Waldes pro Fla- cheneinheit zehnmal groder ist als die der Baumwollpflanzung, die uberdies noch ho- he Anspriiche an den Boden stellt. Daraus erklart sich, dad wir die Aussichten der Zellulosefasern langfristig durchaus gun- stig beurteilen durfen. Trotzdem wird es auf diesem Wege nicht moglich sein, den Textilbedarf der Menschheit voll zu dek- ken oder den immer hoher werdenden Qualitatsanspruchen gerecht zu werden. Hier werden die vollsynthetischen Fasern auf Basis Polyacrylnitril, Polyamid und Polyester, um nur die drei wichtigsten zu nennen, in den kommenden Jahren eine sehr grode Aufwartsentwicklung erleben. Sie fangen mit einer Jahresproduktion von mehr als 3 Millionen Tonnen schon heute den Mehrbedarf vollig auf und werden dies auch in der Zukunft tun miissen. Bis zum Jahr 2000 schatzt man die Erzeugung an Synthesefasern auf 25 Millionen Ton- nen.

Das hier angeschnittene Problem der Be- kleidung hat mit unserem Thema Ernfh- rung nur insoweit zu tun, als sich aus einer detaillierten Analyse der zu erwartenden Entwidclung ablesen ladt, dad das erhohte Angebot an Synthesefasern dazu fuhren kann, die Baumwollerzeugung allmahlich zuruckzudrangen und damit hochwertigen Boden fur Erzeugung von Nahrungsmit-

teln freizumachen. Diese Tendenz ist z. Zt. bereits ganz klar in den Vereinigten Staa- ten festzustellen, wo die Anbaufliche fur Baumwolle seit 1956 von 8,3 auf 3,2 Mil- lionen Hektar, d. h. um mehr als 60% zu- ruckgegangen ist. Es versteht sich wohl von selbst, dad gerade die Entwicklungs- lander gezwungen sein konnten, von der hier angebotenen Freisetzung von Land fur Ernahrungszwecke Gebrauch zu ma- chen.

Professor Dr. Bernhard Timm, geb. 1909 in PinnebergiHolstein, Studium der Astro- nomie, Physik und Chemie in Heidelberg, dort Promotion im Jahre 1934. 1936 Ein- tritt in die Badische Anilin- & Soda-Fa- brik AG, LudwigshafedRhein. Nach langjahriger Tatigkeit in Forschung und Produktion ist er seit 1965 Vorsitzender des Vorstandes der BASF. Fur ,,Chemie in unserer Zeit" [I, 141 (1967)l schrieb Pro- fessor Timm bereits ,Kohle und Erdol als Chemierohstoffe".

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