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Originalarbeit Österr Wasser- und Abfallw 2020 · 72:47–60 https://doi.org/10.1007/s00506-019-00628-w Chemisches Recycling von gemischten Kunststoffabfällen als ergänzender Recyclingpfad zur Erhöhung der Recyclingquote A. Lechleitner · D. Schwabl · T. Schubert · M. Bauer · M. Lehner Online publiziert: 6. November 2019 © Der/die Autor(en) 2019 Zusammenfassung Kunststoffabfäl- le, speziell Verpackungsabfälle, lie- gen oft als Gemische mit hohem Ver- schmutzungsgrad vor. Die werkstoffli- che Verwertung wird dadurch enorm erschwert, da die Sortierung und Rei- nigung dieser Fraktionen in vielen Fäl- len nicht ökonomisch sinnvoll oder technisch umsetzbar sind. Um diese Materialströme dennoch rohstofflich rezyklieren zu können, bietet das che- mische Recycling eine vielversprechen- de Methode durch die Rückgewinnung von Einsatzstoffen für die Kunst- und Kraftstoffproduktion sowie für die pe- trochemische Industrie. Durch das Ein- wirken von Wärme, Katalysatoren und Lösungsmitteln werden dabei die Poly- merketten in kürzere Einheiten bis hin zu Monomeren aufgespalten. Die dabei gewonnenen Kohlenwasserstoffe kön- nen dem Stoffkreislauf erneut zugeführt werden, um primäre Ressourcen zu er- setzen. Diese Technologien weisen eine hohe Toleranz gegenüber Störstoffen und Sortenunreinheiten auf und sind deshalb besonders attraktive Optionen für die Verwertung von verunreinig- ten Verpackungsabfällen. In den letzten 40 Jahren wurden hierzu verschiede- ne Ansätze zur Solvolyse und Pyroly- se mit und ohne Katalysator verfolgt, die zugrunde liegenden Mechanismen untersucht sowie zahlreiche Reaktor- systeme und Prozesswege entwickelt. Ein Überblick über die chemischen Die AutorInnen A. Lechleitner, D. Schwabl und T. Schubert trugen gleichermaßen zu dieser Arbeit bei und sind daher als Erstautoren anzusehen. A. Lechleitner · T. Schubert (M. Bauer · M. Lehner Verfahrenstechnik des industriellen Umweltschutzes, Montanuniversität Leoben, Franz-Josef-Straße 18, 8700 Leoben, Österreich [email protected] Grundlagen, die entwickelten Verfahren und deren Werdegang gibt Aufschluss über die Chancen und Problematiken des Feedstockrecyclings als ergänzende Maßnahme zum werkstofflichen Re- cycling. Weiters werden die neuesten Forschungs- und Entwicklungsaktivitä- ten dargestellt, um den heutigen Ent- wicklungsstand und zukünftige Trends abzubilden und aufzuzeigen, dass das chemische Recycling eine potente Opti- on zur Rückgewinnung von Rohstoffen und Schonung von Ressourcen dar- stellt. Schlüsselwörter Chemisches Recycling · Feedstockrecycling · Kunststoffabfälle Chemical recycling of mixed waste plastics as complementary process pathway to increase recycling rates Abstract Waste plastics, especially packaging waste, arise as mixed frac- tions with high amounts of contami- nants and impurities. To recycle these materials mechanically, costly sorting and purification is necessary, which is not always technical and econom- ical feasible. Chemical or feedstock recycling provides a promising op- portunity to recover these materials anyhow to obtain feedstock for the petrochemical industry, which can be processed to plastics again as well as to chemical commodities and fuels. To degrade the polymeric structure of the waste plastics to shorter hydro- carbons up to monomeric units, heat, catalysts and solvents can be applied. Depending on the specific technology, chemical recycling approaches have much higher tolerances towards mixed fractions and impurities and are ca- pable to deal with contaminated and mixed packaging wastes. In the last 40 years, a broad range of technolo- gies and processes were developed to realize chemical recycling for waste plastics. These technologies receive increased academic and industrial in- terest recently, due to increasing legal recycling rates and common awareness of plastics recycling. This review gives a comprehensive overview of the chem- ical fundamentals, developed processes and types of approaches as well as their opportunities and constraints. Further- more, current developments in research and industry are summarized to point out recent activities in feedstock re- cycling as promising complementary option for waste plastics recycling. Keywords Chemical recycling · Feedstock recycling · Waste plastics 1 Kunststoffrecycling Die weltweite Kunststoffproduktion ist laut PlasticsEurope (PlasticsEurope AIS- BL 2018) im Jahr 2017 auf fast 350Mio. Tonnen angewachsen, davon entfal- len knapp 65Mio. Tonnen allein auf die 28 EU-Staaten sowie die Schweiz und Norwegen (in weiterer Folge ver- einfacht als Europa bezeichnet). Im- merhin 50Mio. Tonnen (PlasticsEurope AISBL 2018) davon werden auch in diesen Staaten verbraucht, wobei die Hälfte hiervon auf nur drei Kunststoff- sorten (Polyethylen, Polypropylen und Polystyrol) der Gruppe der sogenann- ten Polyolefine entfällt. Diese Gruppe besitzt somit eine überproportionale Bedeutung, wenn man die nahezu end- lose Vielfalt an Kunststoffen betrachtet. Ihre Relevanz für die Abfallwirtschaft wird umso größer, wenn man bedenkt, dass Polyolefine den Hauptwerkstoff für Kunststoffverpackungen und -be- hältnisse darstellen, welche im Ver- gleich zu anderen Polymerprodukten eine sehr kurze Lebensdauer aufwei- sen. Diese Polymergruppe ist daher in den jährlich etwa 27Mio. Tonnen in Europa anfallender Kunststoffabfälle überproportional vertreten. Chemisches Recycling von gemischten Kunststoffabfällen als ergänzender Recyclingpfad zur Erhöhung der Recyclingquote 47

ChemischesRecyclingvongemischtenKunststoffabfällen ... · untersucht sowie zahlreiche Reaktor-systeme und Prozesswege entwickelt. Ein Überblick über die chemischen Die AutorInnen

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Originalarbeit

Österr Wasser- und Abfallw 2020 · 72:47–60https://doi.org/10.1007/s00506-019-00628-w

Chemisches Recycling von gemischten Kunststoffabfällenals ergänzender Recyclingpfad zur Erhöhung derRecyclingquoteA. Lechleitner · D. Schwabl · T. Schubert · M. Bauer · M. Lehner

Online publiziert: 6. November 2019© Der/die Autor(en) 2019

Zusammenfassung Kunststoffabfäl-le, speziell Verpackungsabfälle, lie-gen oft als Gemische mit hohem Ver-schmutzungsgrad vor. Die werkstoffli-che Verwertung wird dadurch enormerschwert, da die Sortierung und Rei-nigung dieser Fraktionen in vielen Fäl-len nicht ökonomisch sinnvoll odertechnisch umsetzbar sind. Um dieseMaterialströme dennoch rohstofflichrezyklieren zu können, bietet das che-mische Recycling eine vielversprechen-de Methode durch die Rückgewinnungvon Einsatzstoffen für die Kunst- undKraftstoffproduktion sowie für die pe-trochemische Industrie. Durch das Ein-wirken von Wärme, Katalysatoren undLösungsmitteln werden dabei die Poly-merketten in kürzere Einheiten bis hinzu Monomeren aufgespalten. Die dabeigewonnenen Kohlenwasserstoffe kön-nen dem Stoffkreislauf erneut zugeführtwerden, um primäre Ressourcen zu er-setzen. Diese Technologien weisen einehohe Toleranz gegenüber Störstoffenund Sortenunreinheiten auf und sinddeshalb besonders attraktive Optionenfür die Verwertung von verunreinig-ten Verpackungsabfällen. In den letzten40 Jahren wurden hierzu verschiede-ne Ansätze zur Solvolyse und Pyroly-se mit und ohne Katalysator verfolgt,die zugrunde liegenden Mechanismenuntersucht sowie zahlreiche Reaktor-systeme und Prozesswege entwickelt.Ein Überblick über die chemischen

Die AutorInnen A. Lechleitner,D. Schwabl und T. Schubert trugengleichermaßen zu dieser Arbeit beiund sind daher als Erstautorenanzusehen.

A. Lechleitner · T. Schubert (�) ·M. Bauer · M. LehnerVerfahrenstechnik desindustriellen Umweltschutzes,Montanuniversität Leoben,Franz-Josef-Straße 18, 8700 Leoben,Ö[email protected]

Grundlagen, die entwickelten Verfahrenund deren Werdegang gibt Aufschlussüber die Chancen und Problematikendes Feedstockrecyclings als ergänzendeMaßnahme zum werkstofflichen Re-cycling. Weiters werden die neuestenForschungs- und Entwicklungsaktivitä-ten dargestellt, um den heutigen Ent-wicklungsstand und zukünftige Trendsabzubilden und aufzuzeigen, dass daschemische Recycling eine potente Opti-on zur Rückgewinnung von Rohstoffenund Schonung von Ressourcen dar-stellt.

Schlüsselwörter ChemischesRecycling · Feedstockrecycling ·Kunststoffabfälle

Chemical recycling of mixedwaste plastics as complementaryprocess pathway to increaserecycling rates

Abstract Waste plastics, especiallypackaging waste, arise as mixed frac-tions with high amounts of contami-nants and impurities. To recycle thesematerials mechanically, costly sortingand purification is necessary, whichis not always technical and econom-ical feasible. Chemical or feedstockrecycling provides a promising op-portunity to recover these materialsanyhow to obtain feedstock for thepetrochemical industry, which can beprocessed to plastics again as well asto chemical commodities and fuels.To degrade the polymeric structure ofthe waste plastics to shorter hydro-carbons up to monomeric units, heat,catalysts and solvents can be applied.Depending on the specific technology,chemical recycling approaches havemuch higher tolerances towards mixedfractions and impurities and are ca-pable to deal with contaminated andmixed packaging wastes. In the last40 years, a broad range of technolo-gies and processes were developed to

realize chemical recycling for wasteplastics. These technologies receiveincreased academic and industrial in-terest recently, due to increasing legalrecycling rates and common awarenessof plastics recycling. This review givesa comprehensive overview of the chem-ical fundamentals, developed processesand types of approaches as well as theiropportunities and constraints. Further-more, current developments in researchand industry are summarized to pointout recent activities in feedstock re-cycling as promising complementaryoption for waste plastics recycling.

Keywords Chemical recycling ·Feedstock recycling · Waste plastics

1 Kunststoffrecycling

Die weltweite Kunststoffproduktion istlaut PlasticsEurope (PlasticsEurope AIS-BL 2018) im Jahr 2017 auf fast 350Mio.Tonnen angewachsen, davon entfal-len knapp 65Mio. Tonnen allein aufdie 28 EU-Staaten sowie die Schweizund Norwegen (in weiterer Folge ver-einfacht als Europa bezeichnet). Im-merhin 50Mio. Tonnen (PlasticsEuropeAISBL 2018) davon werden auch indiesen Staaten verbraucht, wobei dieHälfte hiervon auf nur drei Kunststoff-sorten (Polyethylen, Polypropylen undPolystyrol) der Gruppe der sogenann-ten Polyolefine entfällt. Diese Gruppebesitzt somit eine überproportionaleBedeutung, wenn man die nahezu end-lose Vielfalt an Kunststoffen betrachtet.Ihre Relevanz für die Abfallwirtschaftwird umso größer, wenn man bedenkt,dass Polyolefine den Hauptwerkstofffür Kunststoffverpackungen und -be-hältnisse darstellen, welche im Ver-gleich zu anderen Polymerprodukteneine sehr kurze Lebensdauer aufwei-sen. Diese Polymergruppe ist daher inden jährlich etwa 27Mio. Tonnen inEuropa anfallender Kunststoffabfälleüberproportional vertreten.

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Tab. 1 Heizwerte verschiedener Energieträger bei 25 inMJ/kgnach. (NachMartensandGoldmann2016)Hausmüll 2,5–12,0 Kohle 25,0–35,0 Polypropylen 44,0

Polyethylenterephthalat (PET) 4,2 Polyamid (PA) 31,0 Polyethylen 46,1

Papier 17,0 Erdgas 32,0–45,0 Propan 46,3

Holz 18,0 Polystyrol 40,2 Methan 50,0

Polyvinylchlorid (PVC) 18,0 Erdöl 42,8 Wasserstoff 120,0

Die ökologisch und wirtschaftlichsinnvolle Behandlung von Kunststoff-abfällen stellt technisch eine der Her-ausforderungen der modernen Abfall-wirtschaft dar. Ebenjene Eigenschaften,welche den Siegeszug der Kunststoffeals Produkte in fast alle Lebensberei-che ermöglich haben (allen voran diehohe Beständigkeit, aber auch die guteVeränderbarkeit physikalischer Eigen-schaften durch Zusätze und kosten-günstige Herstellung), machen Kunst-stoff als Abfall zu einer Umweltgefahrund einem anspruchsvollen Reststoff.

Es haben sich drei Behandlungsstra-tegien etabliert, Kunststoffabfälle nachGebrauchsende zu verbringen:• Die Deponierung hat Massen- und

Volumsreduktion und sichere Lage-rung von Abfällen in einem Endlagerzum Ziel. Sie stellt eine simple Be-seitigungsform ohne Verwertungs-potenzial dar, die in einigen StaatenEuropas wie etwa Österreich undDeutschland für Kunststoffe auf-grund des hohen Anteils an orga-nischem Kohlenstoff verboten ist.

• Das thermische oder auch energeti-sche Recycling nützt den Energiein-halt von Abfällen und kann damit zurEinsparung von primären Energie-trägern beitragen. Für Kunststoffe istdieser Verwertungsweg interessant,da sie als Erdölprodukte teilweiseähnlich hohe Heizwerte wie fossileEnergieträger ausweisen, wie Tab. 1zeigt.

• Beim Recycling zuletzt werden Werk-stoffe oder deren chemische Baustei-ne aus Abfällen rückgewonnen, umdaraus erneut Kunststofferzeugnissezu produzieren und so primäre Roh-stoffe einzusparen. Zum Beispiel dasösterreichische Abfallwirtschafts-gesetz definiert hierbei stofflichesRecycling so, dass alle Verwertungs-maßnahmen darunter fallen, die eineSubstitution von Primärrohstoffenbewirken unddie nicht unter thermi-sche Verwertung fallen (Bundesge-setz über eine nachhaltige Abfallwirt-schaft (Abfallwirtschaftsgesetz 2002– AWG 2002)). Dabei kann weiterszwischen mechanischem oder werk-stofflichem und chemischem oder

rohstofflichem Recycling unterschie-den werden, wobei beim ersteren diePolymerstruktur nahezu unverän-dert durch erneutes Aufschmelzenin Sekundärprodukte überführt wird.Das chemische Recycling auf deranderen Seite basiert auf der Rezy-klierung chemischer Bausteine, diedurchKettenspaltung gewonnen undin folgenden Verarbeitungsschrit-ten wieder chemisch repolymerisiertwerden.

In den vergangenen Jahrzehnten habensich aus diesen drei Verwertungswegenin den einzelnen Staaten unterschiedli-che Abfallwirtschaftssysteme entwickeltund auf die spezifischen Bedürfnissedes Landes, politische sowie wirtschaft-liche Rahmenbedingungen eingestellt.So verwundert es nicht, dass deren Dar-stellung wie in Abb. 1 zu sehen, eineunterschiedliche Ausrichtung offen-bart. Staaten mit höher entwickeltenAbfallwirtschaftssystemen setzen aufeine Kombination aus thermischemund stofflichem Recycling und könnenso den Abfall zu einem gewissen Maßzur Gewinnung von Sekundärrohstof-fen und -energieträgern nutzen. Aufder anderen Seite sind Staaten, derenAbfallwirtschaftssysteme sich im Auf-bau befinden, oft noch zu einem hohenMaß auf die Deponierung angewiesen,wobei andere Verwertungswege nurzu einem kleinen Teil realisiert sind.Um eine weitere Entwicklung der Ab-fallwirtschaftssysteme anzuregen, hatdie Europäische Kommission im Juli2018 die überarbeitete Richtlinie überVerpackungen und Verpackungsabfälleerlassen, worin für 2025 und 2030 Recy-clingziele für Kunststoffverpackungenvon 50 bzw. 55% gefordert sind (Euro-päische Kommission 2018).

2 Trenntechnik Kunststoffabfälle

Eine Kernaufgabe bei der Erreichungdieser Ziele wird den Betrieben der Ab-fallaufbereitung zukommen, denn diebisher vergleichsweise geringen Men-gen des stofflichen Recyclings hängenvor allem damit zusammen, dass beimmechanischen Recycling die Anforde-

rungen, die an die Reinheit des Re-cyclingkunststoffs gestellt werden, imBereich jenseits 99% liegen, damit diedaraus erstellten Produkte mit Primär-produkten konkurrieren können. DieNotwendigkeit dieser geringen Fremd-stoffanteile lässt sich an Abb. 2 erken-nen. Beim werkstofflichen Recyclingwerden Altkunststoffe, gleich wie beider Verarbeitung primärer Produkte,mittels Extrudern erhitzt und so form-bar gemacht, um sie verarbeiten zukönnen. Verschiedene Kunststoffsortenweisen aber ein unterschiedliches Er-wärmungsverhalten auf und erweichenin nicht sortenreinen Mischungen zuunterschiedlichen Verarbeitungszeit-punkten. Dies kann zu Schäden amExtruder und Einschlüssen im erzeug-ten Werkstoff führen. Solche Einschlüs-se fremder Polymere wirken in einemKunststoff wie ein Fehler im Kristallgit-ter eines Minerals und es entstehen beiBelastung Risse, welche zu verfrühtemVersagen des Werkstoffs führen kön-nen. Schon geringe Verunreinigungenkönnen somit die physikalischen Ei-genschaften eines Polymerwerkstoffsdramatisch verändern.

Um entsprechende reine Kunststoff-produkte aus Abfällen abzutrennen,stehen die Abfallaufbereiter vor der Auf-gabe, teilweise sehr heterogene Input-ströme bearbeiten zu müssen. HäufigeVerunreinigungen wie Metalle und Glaskönnen meist einfach durch Windsich-tung, Magnet- und Wirbelstromschei-dung entfernt werden, wodurch alsqualitätsentscheidender Schritt meistdie Trennung der verschiedenen Kunst-stoffsorten untereinander bleibt.

In diesem Bereich haben sich zweiTechnologien hervorgetan, mit denendieser Aufgabe begegnet werden kann.Zum einen ist es die Dichtetrennung,welche mit Flüssigkeiten verschiedenerDichte durchgeführt wird und sich desUmstands bedient, dass sich – wie inTab. 2 ersichtlich – verschiedene Kunst-stoffe durch unterschiedliche Dich-ten auszeichnen. Je nach konkreterTrennaufgabe können weitverbreiteteSchwimm-Sink-Tanks, wie sie etwa imFlaschenrecycling, Hydrozyklone oderSortierzentrifugen eingesetzt werden.

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Abb. 1 Verwertungswege fürKunststoffe indenLändernEuropas2018. (NachEuropäischeKommission2018; PlasticsEuropeAISBL2018)

Die andere bekannte Technologie istdie optische Sortierung, ein trockenerProzess, welcher unter den Oberbegriffder Klaube-Trenntechnologien fällt.Hierbei werden die einzelnen Parti-kel, welche sich über ein Förderbandbewegen von Sensoren erfasst, die ihrePosition und spektrale Eigenschaftenfeststellen. Über das gemessene Spek-trum können je nach Vorgabe Eigen-schaften wie Farbe, Form, Materialzu-sammensetzung, Feuchtigkeit u.v.m.festgestellt werden. Es wird dann auto-matisch entschieden, ob diese Partikelden gewünschten Eigenschaften ent-sprechen oder nicht und dann entspre-chend mittels Luftdruckdüse, Klappe

oder Ähnlichem in den korrekten Ma-terialaustrag überführt. Hatten dieseApparate früher wegen unzureichenderRechenleistungen nur geringe Durch-sätze, so können nun bereits bis zu10 Tonnen pro Stunde und Meter För-derbandbreite erreicht werden (Mar-tens and Goldmann 2016).

Eine weniger verbreitete Techno-logie, die hier dennoch genannt wer-den soll, ist die elektrostatische Tren-nung mittels triboelektrischer Freifall-scheidung. Hierbei wird ausgenutzt,dass Kunststoffpartikel unterschiedli-cher chemischer Zusammensetzungin einem Reaktionsraum bei inten-sivem Kontakt untereinander sowie

der Apparatewandung unterschiedlicheOberflächenladungen erhalten. DieseOberflächenladungen können die Par-tikel infolge ihrer geringen Leitfähigkeitnur sehr langsam wieder abgeben, wo-durch sie anschließend im elektrischenFeld eines Freifallscheiders abgetrenntwerden können. Ob sich Kunststoffeim Kontakt miteinander positiv odernegativ laden, kann der sogenanntentriboelektrischen Spannungsreihe ent-nommen werden.

Rein technisch gesehen ist es dahermöglich, auch aus einem vergleichs-weise heterogenen Einsatzstrom hoch-reine Kunststoffprodukte abzutrennen.Jedoch bedarf es dabei einer Kombina-

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Abb. 2 Verarbeitungstemperatur unterschiedlicherKunststoffe (a); ÄnderungderReißdehnung vonPolypropylendurchVerunreinigungen (b). (NachMichaeli et al. 1993)

tion mehrerer Prozessschritte, da dieseentweder auf eine möglichst vollstän-dige Abtrennung der Verunreinigung,wodurch Verluste an Wertstoffen inKauf genommen werden müssen, odermöglichst vollständige Rückgewinnungder Wertstoffe, wodurch es zu Produkt-verunreinigungen kommt, ausgelegtwerden können. Je höher die Steigerungdes Wertstoffinhalts zwischen Einsatz-stoff und Produkt sein soll, umso mehrimmer feiner arbeitende Prozessschrit-te sind daher erforderlich, wodurch eszu einem exponentiellen Wachstum derAufbereitungskosten kommt.

Der Verkaufspreis des schlussendlichhergestellten Produkts muss diese undandere Kosten tragen und gleichzeitigmit jenem von primären Kunststoff-produkten konkurrieren können, damitein mechanisches Recycling wirtschaft-lich ist. Dies ist aufgrund der geringen

Primärproduktionskosten der meis-ten Massenkunststoffe aktuell nur fürausgewählte Kunststoffsorten und Ab-fallfraktionen wirtschaftlich sinnvoll.Hierbei repräsentiert das chemischeRecycling, welches geringere Reinheits-ansprüche stellt, eine attraktive Mög-lichkeit zur Ergänzung des Recycling-portfolios.

3 Möglichkeiten des chemischenRecyclings

Das rohstoffliche oder chemische Re-cycling zielt, anders als das werkstoff-liche oder mechanische Recycling, aufdie Rückgewinnung der Bausteine desWerkstoffes ab. Durch die Einwirkungvon Wärme, Katalysatoren, Lösemittelund Wasserstoff sowie in teiloxidativerAtmosphäre werden die Polymerkettenin kürzere Kohlenwasserstoffe zerteilt.

Somit lassen sich Monomere, petroche-mische Grundstoffe und Synthesegasaus Abfallströmen gewinnen, wobei dieEinteilung je nach einwirkender Trieb-kraft zur Kettenspaltung erfolgt (sieheAbb. 3). Man unterscheidet hierbei zwi-schen• Hydrocracking,• thermokatalytischer Konversionoder

katalytischem Cracken,• thermischer Konversion oder Pyroly-

se,• chemischer Depolymerisation oder

Solvolyse und• Gasifizierung oder Vergasung,

die jeweils absteigende Ansprüche anden Reinheitsgrad der Einsatzfraktio-nen stellen. Im folgenden Kapitel wirdauf die unterschiedlichen Ansätze, ih-re Charakteristika und ihre Vor- undNachteile eingegangen.

3.1 Chemische Depolymerisation –Solvolyse

Bei der chemischen Depolymerisation,die auch Solvo- oder Chemolyse ge-nannt wird, werden die Polymere desKunststoffabfalls mithilfe von chemi-schen Reagenzien in ihre Monomerbe-standteile zerteilt, welche entweder zurerneuten Erzeugung desselben Werk-stoffs oder als Ausgangsstoff für ande-re chemische Synthesen dienen kön-nen. Chemisch gesehen läuft dabei dieUmkehrreaktion der Polykondensationoder eine artverwandte Reaktion dieserdurch Einbau von kleinen Molekülenab. Daraus folgt, dass diese Technologieausschließlich für Polykondensations-kunststoffe wie Polyester und Polyami-de Anwendung finden kann, da diesedurch Abspaltung von Wasser oder an-deren Verbindungen synthetisiert wer-den. Der Hauptteil der Kunststoffabfällebesteht jedoch aus Polyolefinen, wel-che sich nicht zur Chemolyse eignenund somit mit solch einer Technolo-gie nicht dem wertstofflichen Recyclingzugeführt werden können (Clarke et al.1999; Ragaert et al. 2017).

Für die Solvolyse kommen unter-schiedliche Lösungsmittel zum Einsatz,wodurch dieser Ansatz des tertiären Re-cyclings weiter unterteilt werden kannin die vorherrschenden Wege der• Glykolyse,• Methanolyse,• Hydrolyse sowie• Ammonolyse und Aminolyse.

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Tab. 2 DichtespektrenverschiedenerKunststoffe ing/cm3. (NachBilitewski et al. 2000)Polypropylen (PP) 0,90–0,91 Polyamid 6 (PA 6) 1,13

Polyethylen (PE) 0,91–0,96 Polyethylenterephthalat (PET) 1,37

Acrylnitril/Butadien/Styrol (ABS) 1,04–1,06 Polyvinylchlorid (PVC) 1,38–1,55

Polystyrol (PS) 1,05 Polyoxymethylen (POM) 1,41–1,42

Abb. 3 MöglichkeitendeschemischenRecyclings imLebenszyklus vonKunststoffprodukten

Der Einsatz unterschiedlicher Reagen-zien führt jeweils zu verschiedenenRecyclingprodukten, wobei auch Kom-binationen der gelisteten Strategien zurAnwendung kommen können. Am Bei-spiel von PET zeigt Abb. 4 die Vielzahlder Produktverbindungen und derenpotenzielle Verwendung, die sich durchReaktion mit den jeweiligen Lösungs-mitteln ergeben.

Die Glykolyse von PET, die ältes-te und einfachste Chemolyse-Techno-logie, setzt unterschiedliche Glykole(Ethylenglykol, Diethylenglykol, Propy-lenglykol, Dipropylenglykol) zur Auf-spaltung der Polymere bei Temperatu-ren zwischen 180 und 240 °C ein. Dabeidiffundiert das Glykol in die Struk-tur des Polymers, welche anschließendaufquillt und das Glykol mit der Es-terbindung reagiert. Dieser Mechanis-

mus wird durch eine große, spezifischeOberfläche, etwa bei stark zerkleiner-tem Einsatzmaterial, begünstigt undkann durch Katalysatoren wie Zeolithe,ionische Flüssigkeiten oder Metallver-bindungen und Kombinationen mitanderen Lösungsmitteln beschleunigtund verbessert werden. Auch der Ein-satz von Glyzerin ist möglich, wobei dieweitverbreitetste Methode Ethylengly-kol verwendet (Pardal and Tersac 2006).Die dabei entstehenden Verbindun-gen wie Bis(hydroxyethyl)terephthalat(BHET) und PET-Glykolysate könnengereinigt sowohl zur Synthese von Poly-urethanen, Copolyestern und ungesät-tigten Harzen oder auch erneut bei derHerstellung von PET eingesetzt werden(Sheel and Pant 2019).

Bei der Methanolyse, die bei ähn-lichen Temperaturen (180 bis 280 °C)

aber auch höheren Drücken von 20 bis40bar abläuft, wird die Polyesterstruk-tur durch Methanol meist in Anwesen-heit eines Katalysators wie Zink-, Ma-gnesium- oder Cobaltacetat zur Unter-stützung der Umesterung aufgespalten.Dabei werden gleichermaßen Rohstoffezur erneuten PET-Synthese, in diesemFall Dimethyltherephthalat und Ethy-lenglykol, rückgewonnen, wobei dieseGrundstoffe eine höhere Reinheit alsbei der Glykolyse aufweisen, allerdingsnicht solch breite Anwendungsfelderbedienen können. Die hohen Drücke inder Reaktionszone erschweren jedochim Vergleich die Einbringung der Ein-satzstoffe bei kontinuierlicher Prozess-führung, wodurch meist die Nachteiledes Batchbetriebs bei der Methanolysein Kauf genommen werden müssen.Weiters erfordert diese Technologie hö-

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Abb. 4 Pfadeder chemischenDepolymerisation vonPET. (NachClarkeet al. 1999)

here Reinheiten der Abfallfraktionenund die Investitionskosten fallen höheraus, da der Einsatz von überhitztemMethanol strenge Sicherheitsmaßnah-men fordert.

Durch Hydrolyse bei neutralen, sau-ren und basischen Bedingungen durchZugabe von zum Beispiel Schwefelsäureoder Natriumhydroxid zu Wasser wirdPET in Terephthalsäure (englisch tere-phthalic acid, TPA) und Ethylenglykolaufgespalten. Da die gewonnene TPAniedrige Reinheiten aufweist und wei-tere Reinigungsschritte für eine erneutePolykondensation erforderlich macht,sowie die Zersetzung vergleichsweiselangsam vonstattengeht, kommt derHydrolyse geringere Bedeutung zu, ob-wohl der Energieeinsatz geringer ist alsbei Glykolyse und Methanolyse (Clarkeet al. 1999).

Ammonolyse mit Ammoniak undAminolyse in Anwesenheit von pri-mären Aminen stellen die amwenigstenerforschten und entwickelten Verfahrenda (Clarke et al. 1999). Durch die Um-setzung mit zum Beispiel Methylamin,Ethylamin oder Ethanolamin entstehenDiamide der Terephthalsäure, die man-nigfaltig als Grundstoff für Additive, inder Pharmazie sowie für Textilfarbendienen können. Dennoch gibt es keinekommerziellen Bestrebungen zum PET-Recycling auf diesem Weg, da eine voll-ständige Umsetzung von PET schwierigist. Weiters ist zu beachten, dass untersauren und basischen Bedingungen dieentstehenden Prozessabwässer durchihren Gehalt an anorganischen Salzenentsprechend nachbehandelt werdenmüssen (Clarke et al. 1999; George andKurian 2014).

Die chemische Depolymerisationbietet somit eine praktikable Möglich-keit zur Verwertung von Kunststoffab-fällen zu Sekundärwertstoffen, die kei-ne Qualitätseinbußen gegenüber denprimären Produkten aufweisen. Durchdie Lösung, Abtrennung von Farb- undStörstoffen und weitere Reinigung vorder erneuten Polymerisation könnenhohe Reinheiten gewährleistet werden,die auch den bedenkenlosen Einsatzin Kontakt mit Lebensmitteln ermögli-chen. Da der Mechanismus jedoch aufeinen kleinen Teil der aufkommendenKunststoffabfallvolumina, die Polykon-densationskunststoffe, limitiert ist, bie-tet sich durch diesen Ansatz jedoch nurbegrenztes Potenzial zur Erhöhung derRecyclingquoten. Durch die Selektivitätdes Lösungsprozesses hinsichtlich derKunststoffsorten kann solch ein Verfah-ren allerdings gezielt zur Auftrennungvon gemischten Kunststoffabfällen an-gewandt werden. Dabei gehen die lös-lichen Bestandteile in die Flüssigphaseüber und können von den unlöslichenFeststoffen abgetrennt werden, wo-durch durch Ausfällung anschließendReinsubstanzen rückgewonnen werdenkönnen.

Sowohl glykolytische als auch me-thanolytische Verfahren befinden sichbereits in industrieller Anwendung zumPET Recycling und werden zum Bei-spiel von Unternehmen wie DuPont(Dupont) und Eastman (Eastman 2019)realisiert sowie im Zuge des UnPET-Prozesses eingesetzt. Das industrielleInteresse von Konzernen wie etwa CocaCola an neuartigen Verfahren, wie zumBeispiel einer hydrolytischen Depoly-merisation mithilfe von Mikrowellenzeigt, dass in diesem Bereich Bedarf für

Recyclingalternativen gegeben ist (gr3nrecycling; Coca Cola Company 2019).

Neben Polyethylenterephthalat kön-nen auch Polyurethane (PUR) durchchemische Depolymerisation recyceltwerden, wobei auch hier Wasser undGlykol als chemisches Lösungsmittelzur Anwendung kommen (Clarke et al.1999). Bei der Hydrolyse entstehendabei Polyole und Amine, ein Verfah-ren, das bereits seit den 1970er-Jahrenangewandt wird. Weiters entwickeltedie Ford Motor Company eine hydro-glykolytische Technologie, die nacheigenen Angaben aus verunreinigtenAbfällen Produkte hoher Reinheit ge-neriert (Zia et al. 2007). In der EU läuftseit Jänner 2019 des Weiteren ein neuesForschungsprojekt zur Optimierung derchemischen Depolymersiation zum ter-tiären PUR-Recycling (CORDIS 2019b).

Auch End-of-life-Polyamide (PA),wie zum Beispiel in aliphatischer Formunter dem Trivialnamen Nylon bekann-te Verbindungen, werden durch chemi-sche Depolymerisation, hauptsächlichhydrolytisch, verwertet und dadurchMonomere wie Capralactam rückge-wonnen (Clarke et al. 1999). Vor allemauch die Möglichkeit der Auftrennungund Verwertung von Verbundwerkstof-fen wie carbon- oder glasfaserverstärk-tes PA durch Chemolyse sei an dieserStelle erwähnt (Braun et al. 2001; Chaa-bani et al. 2017). Im Zuge des ProjektesRECAM wurde die Anwendbarkeit derchemischen Depolymerisation auf Tep-pichfasern untersucht (COMM/RTD2019a) und die Produkte aus auch re-cycelten Fischernetzen auf diesem Wegunter dem Namen ECONYL® vertrie-ben.

3.2 Thermochemisches Recycling –Pyrolyse

Polymerketten aus Abfallkunststoffenkönnen auch durch das Verweilen beiTemperatur über 300 °C in inerter At-mosphäre bei der Pyrolyse zu kürzerenKohlenwasserstoffbestandteilen zerteiltwerden. Diese beim Recycling bewusstinduzierte thermische Degradation vonKunststoffen zeichnet sich durch einbreites Produktspektrum aus, welchesdurch den eingesetzten Ausgangsstoff-stoff, die Prozessbedingungen und denReaktortyp beziehungsweise das grund-sätzliche Verfahrensdesign bestimmtwird. Dementsprechend ist auch dieVerwendung der Produkte vielseitigund reicht über die Verarbeitung ineiner konventionellen Raffinerie hin

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Originalarbeit

zur Erzeugung von Monomereinheitenfür die Polymerisation bis zu Grund-chemikalien für die Petrochemie undTreibstoffen. Bei einigen Kunststoffsor-ten wie z.B. Polystyrol wird auch beider Pyrolyse von einer Depolymerisa-tion gesprochen, da das Polymer beigewissen Bedingungen durch die ge-genläufige Reaktion der Polymerisationin seine Monomere zerfällt. Bei denmeisten Massenkunststoffen wird aberein Gemisch aus unterschiedlich lan-gen Kohlenwasserstoffketten gewon-nen, welches als synthetisches Rohöloder Pyrolyseöl bekannt ist und durchdestillative und veredelnde Schritte inmarktfähige Produkte weiterverarbeitetwerden kann. Durch weitere Prozess-schritte wie für konventionelles Rohölin zum Beispiel einer Ethylencrackan-lage erhält man wieder Monomere zurHerstellung von Kunststoffen. Weitersbesteht die Möglichkeit, die teilweiseungesättigten Kohlenwasserstoffe mit-tels Hydrierung in stabilere Verbindun-gen für die Anwendung als Treibstoffeoder chemische Grundstoffe überzu-führen.

Die thermische Degradation läuftnach einem radikalischen Kettenme-chanismus ab, welche detailliert zumBeispiel in Clarke et al. (1999) undScheirs and Kaminsky (2006) zu fin-den ist. Welche Produkte entstehen,hängt sowohl von der Art des initialenKettenbruchs und dem Fortsetzungs-mechanismus ab. Man unterscheidetmehrere Startmechanismen, die meistvon Fehlerstellen oder weniger starkenchemischen Bindungen in der Poly-merkette ausgehen. Zufällige, initialeKettenspaltungen führen zu einem sta-tistisch verteilten Produktspektrum,während bei anderen Kunststoffsor-ten durch Abspaltung von Kettenendenoder funktionellen Gruppen Monome-re entstehen, wie es bei Polystyrol derFall ist. Bei der Pyrolyse von Polyvinyl-chlorid spaltet sich aufgrund der ge-ringeren Bindungsstärke HCl ab, bevordie Hauptkette in kürzere Fragmentezerfällt. Durch die Auftrennung einerBindung entsteht eine Radikalstelle,welche je nach sterischen Effekten andieser Kettenposition verweilt oder sichinter- oder intramolekular weiterbe-wegt und anschließend zu weiterenAbspaltungsschritten führt. Meist tre-ten aber mehrere dieser Mechanismensimultan auf, wodurch die Beschrei-bung des Reaktionsmechanismus vielekomplexe Teilschritte und Zwischen-produkte umfasst.

Die thermische Zersetzung vonKunststoffen läuft bei hohen Tempe-raturen ab und die Unterteilung der Py-rolyse erfolgt nach der Prozesstempera-tur, wobei zwischen langsamer Pyrolysebei unter 400 °C, moderater Pyrolysevon 400 bis 600 °C und Schnellpyrolyseüber 600 °C differenziert wird. Dement-sprechend muss die Verweilzeit ange-passt werden, welche von Sekundenbis vielen Stunden variieren kann. DieTemperatur beeinflusst nicht nur dienotwendige Verweildauer des Kunst-stoffs bis zum vollständigen Umsatz,sondern auch die Produktausbeuten.Grundsätzlich gilt die Regel, dass jehöher die Temperatur im Reaktor ist,desto leichtere Produkte, Gas und Koksentstehen, wobei bei niedrigeren Tem-peraturen mehr Wachse (Aliphaten mithohem Molekulargewicht) und schwe-rere Öle entstehen. Der Prozessdruckwird meist unter atmosphärischen Be-dingungen gehalten. Der Druckeinflussist bisher nicht vollends geklärt, damehrere Arbeiten zu unterschiedlichenErkenntnissen kommen (Murata et al.2004; Schubert et al. 2019). Allerdingshängt dies auch vom Reaktortyp ab,da zum Beispiel der Druck auch Aus-wirkung auf den Gasphasenanteil hatund dadurch die Verweilzeit signifikantbeeinflusst.

Thermochemische Prozesse zeich-nen sich durch die breite Anwendbar-keit der Produkte, vor allem der Flüs-sigphase aus, die in der bestehendenInfrastruktur einer Erdölraffinerie wei-terverarbeitet werden können. Weitersist nur Energie in Form von Wärmefür die endotherme Reaktion notwen-dig, ansonsten werden keine weiterenBetriebsmittel oder Verbrauchsmate-rialien benötigt. Durch die möglicheVerunreinigung der Kunststoffabfälle inForm von Rückständen organischer Na-tur oder Beimengungen und Verbundenbietet sich die Pyrolyse als attraktiverRecyclingprozess an, da die thermi-sche Zersetzung wesentlich toleran-ter gegenüber Verunreinigungen undSortenmischungen als mechanischeRecyclingrouten ist. Dennoch könnenProbleme durch gewisse Kunststoff-sorten auftreten. So muss vor allemaus Korrosionsgründen der PVC-Gehaltim Einsatz möglichst gering gehaltenwerden oder Chlor über einen Entchlo-rungsschritt als Salzsäure abgeschiedenwerden. Außerdem können Heteroato-me die Produktqualität je nach nachfol-gender Verwertung verringern und inFolgeanlagen zu Problemen führen. Die

Einbringung von Sauerstoff, Chlor undSchwefel durch die Einsatzmaterialienkann in geringwertigere Produktspeziesmünden. Bei der thermochemischenVerarbeitung von Polyethylentereph-thalat bildet sich außerdem Terephthal-säure, wodurch auch Potenzial für An-lagenverblockungen durch Ausfällungbesteht. Als Einsatzmaterialien für dieKunststoffpyrolyse eignen sich dahervor allem Polyolefine, welche nur ausWasserstoff- und Kohlenstoffatomenbestehen, somit werden keine orga-nisch gebundenen Fremdatome in denProzess eingebracht. Zusätzlich lassensich Polyolefine gut sortieren, da sieim Gegensatz zu vielen anderen Kunst-stoffen leichter als Wasser sind (Scheirsand Kaminsky 2006; Tukker 2002).

Bei der Pyrolyse muss Energie zu-geführt werden, da es sich um einenendothermen Prozess handelt. Derthermische Energieeintrag stellt ei-ne der größten Herausforderungendes thermochemischen Kunststoffrecy-clings dar, da Kunststoff sehr niedrigeWärmeleitungskoeffizienten aufweistund die Schmelze sehr zähflüssig ist.Aus diesem Grund verfolgt man unter-schiedliche Lösungsansätze, wodurchsich unterschiedliche Anlagenkonzepteund Reaktortypen etabliert haben. Eineeinfache und stabile Möglichkeit bie-ten Drehrohröfen, wie beispielsweiseder Berliner Prozess für Kunststoffe ausElektro- und Elektronikabfällen, wo-hingegen auch reaktive Extrusionsan-lagen in Frage kommen (Tukker 2002).Prozesstechnisch ist es jedoch vorteil-haft, die Oberfläche des Kunststoffsmöglichst zu vergrößern, um den Wär-meübergang sowie den Stofftransportzu verbessern und so den Kunststoffschnell zu pyrolysieren. Dazu werdenWirbelschichtreaktoren verwendet, wiezum Beispiel im Hamburger Verfahren,welches auch katalytisch betrieben wer-den kann (siehe Abschn. 3.3.). In derchemischen Industrie ist vermehrt derkonventionelle Rührkessel in Verwen-dung, als Beispiel dafür ist das BASF-Verfahren anzugeben (Scheirs and Ka-minsky 2006; Schubert et al. 2019; Tuk-ker 2002).

Ein aktuelles Beispiel für einen Py-rolyseprozess ist das ReOil-Verfahren(OMV 2018), welches sich gerade im Pi-lotbetrieb in der Raffinerie Schwechatbefindet und auch in Schubert et al.(2019) beschrieben wird. Ein flüssiges,hochsiedendes Raffinerienebenproduktfungiert hierbei als Lösungsmittel, umdie Viskosität und Wärmeleitfähigkeit

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Abb. 5 SchematischesBlockfließbilddesReOil Prozesses. (NachSchubert et al.2019)

der Kunststoffschmelze zu verbessern.Der Kunststoff wird in einem Extruderin Schmelzphase übergeführt und soeinem Trägermediumkreislauf beige-mengt (siehe Abb. 5). Diese Mischungwird in einem Rohrreaktor auf rund400 °C erhitzt und der Kunststoff inkurzkettige Kohlenwasserstoffe gespal-ten, welche anschließend destillativentfernt werden. Schwere Produktan-teile, unkonvertierter Kunststoff unddas Trägermedium verbleiben im Kreis-lauf und werden mit einer Pumpeerneut zur Mischstelle geführt. DieHauptprodukte sind flüssige Kohlen-wasserstoffe unterschiedlicher Siede-charakteristik, welche als synthetischesRohöl direkt in der Raffinerie weiter-verarbeitet werden. Es entstehen auchgeringe Anteile an Nebenprodukten wieGas und Koks (Schubert et al. 2019).

Neben dem ReOil-Verfahren derOMV in Österreich gibt es aktuell hoheForschungs- und Entwicklungsaktivi-tät im Bereich des thermochemischenKunststoffrecyclings. So zeigen sichauch bei Neste (Neste 2018), Petrogas(Petrogas 2019) mit der BlueAlp Tech-nology (BluAlp 2019) oder ein NASA-Spin-Off namens VADXX Energy (Va-dxx 2019) andere große Unternehmen,vor allem mit petrochemischem Hin-tergrund, jüngst interessiert an diesemAnsatz.

3.3 Thermokatalytisches Recycling

Eine weitere Möglichkeit, Kunststoffab-fälle in kürzere Kohlenwasserstoffe zuRecyclingzwecken zu konvertieren undPolymerketten zu brechen, ist ähnlichder Pyrolyse – die thermische Spaltungin der Anwesenheit eines katalytischwirkenden Stoffes. Die thermokatalyti-schen Prozesse werden in heterogeneund homogene Systeme eingeteilt. He-terogene Katalysatoren sind Feststoffe,

welche beispielsweise in einem Fest-bett- oder Wirbelschichtreaktor ver-wendet werden können. Vielverwen-dete Katalysatoren sind zum BeispielZeolithe, es werden aber auch andereStoffe wieMetalloxide, Reinmetalle odermetallbeschichtete Kohle eingesetzt.Homogene Katalysatoren sind weni-ger weit verbreitet und basieren meistauf ionischen Flüssigkeiten. Im Gegen-satz zur rein thermischen Pyrolyse hatdie katalytische Umsetzung mehrereVorteile: Die Aktivierungsenergie derCrackingreaktionen wird durch die An-wesenheit des Katalysators verringert,dadurch kann die Temperatur niedrigergehalten werden. Bei gleichbleiben-den Bedingungen wird die Reaktiondurch den Katalysator beschleunigt.Dadurch ergeben sich Energieeinspa-rungen und kleinere Reaktoren, waswirtschaftlich vorteilhaft sein kann. Dertypische Temperaturbereich thermo-katalytischer Prozesse liegt zwischen300 und 900 °C, je nach eingesetztemReaktortyp, Druck und gewünschtenProdukten. Dementsprechend mussdie Verweilzeit der Reaktionstempe-ratur angepasst werden, sodass diesevon Millisekunden bis Stunden betra-gen kann. Neben den Verfahrensbe-dingungen, die bei der Pyrolyse alsStellschrauben für die Produkte die-nen, ist der Katalysator ein weitererProzessparameter, durch den das Pro-duktspektrum beeinflusst werden kann.Im Vergleich zur rein thermischen De-gradation entstehen mehr verzweigte,ringförmige und aromatische Verbin-dungen, die je nach Verwertung einenhöheren Wert darstellen. Bei der Ein-flussnahme auf Ausbeute und Spektrumspielt nicht nur das Katalysatormate-rial und dessen Selektivität eine Rolle,auch die Oberfläche bzw. Porenstruk-tur haben große Auswirkungen. DieVerwendung eines Katalysators setzt

jedoch auf der anderen Seite aber auchein höhere Qualität des verarbeitba-ren Einsatzes voraus. Durch spezielleKunststoffsorten und Verunreinigun-gen können Heteroatome wie Stickstoffoder Schwefel in den Prozess gelangen,welche als Katalysatorgifte fungierenkönnen und den Umsatz durch Ka-talysatorinaktivierung mindern. DesWeiteren können auch andere Störstof-fe, wie mineralische Füllstoffe oder sichbildender Koks, den Katalysator durchAblagerungen oder chemische Reaktio-nen deaktivieren. Dies kann durch einegeeignete Regeneration mit zusätzli-chen Aggregaten rückgängig gemachtwerden. Nicht zuletzt muss auch da-rauf geachtet werden, dass Katalysator-rückstände gänzlich aus dem Produktentfernt werden, was zusätzlichen ap-parativen Aufwand bedeutet und dieGefahr erhöht, vor allem feinen Kataly-satorabrieb im Produkt wiederzufinden(Scheirs and Kaminsky 2006).

Ein Beispiel für ein industrielles,thermokatalytisches Recyclingverfah-ren ist der Thermofuel-Prozess, indem die Reaktion in einem Konverter-turm stattfindet, welcher nickellegiertePlatten als katalytische Einbauten be-sitzt. Das bereits unter thermochemi-schem Recycling vorgestellte Hambur-ger Verfahren (siehe Abb. 6) verwendeteQuarzsand, aber auch katalytisch aktiveMaterialien wie Zeolithe, um mit einemvon unten kommenden Stickstoff- oderanderen Inertgasstrom ein Wirbelbettzu bilden. Der Kunststoff wird übereine Schnecke in den Reaktionsraumder Wirbelschicht eingebracht, wel-che bei über 400 °C betrieben wird.Je nach Art des Kunststoffs und Re-aktionstemperatur werden dabei ausdem Altkunststoff Monomere wie Styroloder Methylmethacrylat, Wachse oderAromaten wie Xylol, Benzol und To-luol gewonnen. Wegen Problemen beider Maßstabsvergrößerung der Wirbel-schicht wurden die Projekte beendet(Scheirs and Kaminsky 2006).

Der Amoco-Prozess ist ebenfalls einBeispiel für die Verwendung von Zeo-lith-Katalysatoren, wie auch der Fuji-Recycling-Prozess, welcher eine kata-lytische Entchlorung bei 300 °C als Be-sonderheit aufweist, um auch PVC stö-rungsfrei einsetzen zu können (Scheirsand Kaminsky 2006).

Der Alphakat NanoFuel Process istein thermokatalytischer Prozess ba-sierend auf einem ionentauschfähigenNatrium-Zeolith-Katalysator, der dieFähigkeit besitzt, Halogene zu bin-

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Abb. 6 SchematischesBlockfließbilddesHamburger Verfahrens. (NachScheirs andKaminsky2006)

den, wodurch auch PVC und anderehalogenhaltige Einsatzmaterialien ver-arbeitet werden können. Der Prozessgeneriert bis zu 95% Flüssigprodukte,bis zu 5% Gas und unter einem Pro-zent feste Rückstände. Der Kunststoff-schmelze wird ein schweres, heizöl-ähnliches Öl zugegeben, was auch diethermische Leitfähigkeit der Kunststoff-schmelze verbessert. Die Konversiondes Kunststoffs findet in Anwesenheitdes Katalysators in einem Rührkesselstatt, die Hauptprodukte verdampfenund werden am Kopf des Rührkesselsgesammelt und destilliert. Der Kataly-sator und feste Rückstände sammelnsich unten und werden mit einer För-derschnecke abtransportiert. Der Ka-talysatorverbrauch liegt bei 1,5% derflüssigen Produktausbeute. Der Rühr-kesselreaktor wird nahezu drucklos bei270 bis 390 °C betrieben, wodurch Koks-bildung minimiert wird. Diese Art vonkatalytischen Crackanlagen wurde inder Größenordnung von 500 Litern proStunde in Mexiko, Japan, Korea undDeutschland errichtet (Scheirs and Ka-minsky 2006).

Aktuelle Entwicklungen weiterer Ver-fahren sind in einem Bericht für dasAmerican Chemistry Council nach-zulesen (4R Sustainability Inc. 2011;OCEAN RECOVERY ALLIANCE 2015).Hierbei sind als katalytische Verfah-ren die PARC-Technologie (Plastic Ad-vanced Recycling Corp. 2019), die TAC-Technologie (englisch thermal anae-robic conversion) von Plastic Energyoder der Cat-HTR (katalytischer Hy-drothermal-Reaktor), welcher von denUnternehmen Licella und ReNewELPverwendet wird (Licella 2019b; Plas-tic Energy 2019; ReNew ELP 2019), zunennen.

3.4 Hydrocracking

Ähnlich wie das thermochemischeund katalytische Recycling ist Hydro-cracking eine weitere Möglichkeit, Alt-kunststoffe durch Konversion in kür-zerkettige Kohlenwasserstoffe zu rezy-klieren. Wie in den zuvor genanntenProzessen werden die Kunststoffket-ten erhöhten Temperaturen ausgesetzt,um Bindungen zu spalten. Dabei wirdnoch zusätzlich Wasserstoff mit einemPartialdruck von 2 bis 15MPa, oft inAnwesenheit eines biofunktionellenKatalysators, zur Verfügung gestellt.Dadurch wird die Bildung von unge-sättigten Verbindungen unterbunden,somit hauptsächlich Alkane und we-nig Alkene und Aromaten im Produktgebildet und dadurch höhere Produkt-qualitäten und stabilere Verbindungenerreicht. Die Polymerisationsneigungder gesättigten Kohlenwasserstoffe zurerneuten Kunststoffsynthese ist jedochvermindert. Der bifunktionelle Kataly-sator erfüllt zwei Aufgaben: einerseitshat er eine Cracking- bzw. Isomerisie-rungsfunktion und andererseits einehydrierende bzw. dehydrierende Funk-tion. Zuerst wird der zu crackende Koh-lenwasserstoff beispielsweise zu einemOlefin dehydriert, wobei Wasserstofffrei wird. Darauf folgt eine Isomeri-sierung zu verzweigten Olefinen. Alsletzter Schritt folgt die Hydrierung, wo-durch ein gesättigter Kohlenwasserstoffentsteht. Auf ähnlicher Weise könnenauch zyklische Paraffine und Aroma-ten entstehen, was die Oktanzahl derleichten Produkte steigert. Die Zerset-zungsreaktionen laufen wie beim ther-mokatalytischen Cracken bei tieferenTemperaturen als bei einer alleinigenPyrolyse ab. In Munir et al. (2018) wer-den optimale Bedingungen für einen

bifunktionellen Katalysator mit 400 °C,20 bis 60bar und eine Verweilzeit vonunter 60min vorgeschlagen. Der Wär-mebedarf ist nicht nur durch die niedri-gen Temperaturen beim Hydrocrackingvermindert, sondern auch deshalb, weildie Hydrierung exotherm vonstatten-geht und die freiwerdende Wärme fürdie Spaltung der Polymerketten ver-wendet werden kann. Allerdings mussdie Wasserstoffbereitstellung in dieenergetische Betrachtung miteinbe-zogen werden. Der Prozess kann auchzweistufig, mit einer vorgeschaltetenPyrolyse und anschließender Hydrie-rung, ausgeführt sein. Der Vorteil dergetrennten Kettenspaltung und Hydrie-rung ist, dass Heteroatome, Störstoffeund Koks nach der Pyrolyse entferntwerden können und somit der Katalysa-tor im Hydrierschritt geschont werdenkann. Ein Nachteil des Hydrocrackingssind die hohen Kosten für den bifunk-tionellen Katalysator sowie die Kostenfür Wasserstoff und der damit einher-gehende Mehraufwand, die den Ener-gieeinsparungen durch den geringerenWärmebedarf und hohen Flüssigpro-duktausbeuten gegenüberstehen. DesWeiteren muss, wie beim thermoka-talytischen Recycling, auf potenzielleKatalysatorgifte im Abfalleinsatz undDeaktivierung durch Ablagerungen ge-achtet werden (Scheirs and Kaminsky2006).

Beispiele für kommerzielle Hydro-cracking-Verfahren finden sich in derLiteratur (Munir et al. 2018; Samperio2016; Tukker 2002). Das RWE-Verfah-ren ist ein Beispiel für eine langsa-me Pyrolyse mit anschließender Hy-drierung. Der Hiedrierwerke-Prozess,der Freiberg-Prozess, der Böhlen-Pro-zess und das ITC-Verfahren bedienensich einer simultanen Wasserstoffzu-

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Abb. 7 Synthesegas-VerwertungswegezurHerstellung vonchemischenGrundstof-fen

fuhr und thermokatalytischen Spaltungfür unterschiedliche Kunststoffabfall-fraktionen. Ein interessantes, zweistu-figes Verfahren stellt der Veba- bzw.VCC-Prozess dar, der ursprünglich fürKohle als Einsatz entwickelt, jedochkurz vor der Jahrtausendwende fürVakuumrückstand und Kunststoffab-fälle adaptiert wurde. Dabei erfolgtedie Mischung von Vakuumgasöl mitden Kunststoffabfällen, die in einemKreislauf bei milden Bedingungen von400 °C und atmosphärischem Druckthermisch crackten. Die Produkte wur-den anschließend aus dem Kreislaufentfernt und hydriert. 1999 erfolgte dieRealisierung dieses Prozesses in einergroßtechnischen Anlage, welche aberstillgelegt wurde, da sie zum damaligenZeitpunkt gegen die energetische Ver-wertung nicht wettbewerbsfähig war.

3.5 Gasifizierung

Unter Gasifizierung oder Vergasungversteht man allgemein die partielleOxidation von kohlenstoffhaltigen Ma-terialien, die mittels Luft, Sauerstoff,Dampf oder Mischungen daraus, übli-cherweise bei Temperaturen zwischen700 und 1600 °C und Drücken zwi-schen 10 und 90bar vollzogen wird.Diese Technologie wurde ursprünglichzur Umsetzung von Kohle in Synthese-gas, ein Gasgemisch aus hauptsächlichKohlenmonoxid und Wasserstoff, ent-wickelt, um daraus Energie bereitstel-len oder chemische Grundstoffe (sieheAbb. 7) synthetisieren zu können.

Während der Vergasung laufen ei-ne Reihe unterschiedlicher Gleichge-wichtsreaktionen ab (siehe Gl. 1 bis

13), wobei sich meist im ersten Schrittder Einsatzstoff thermisch ohne Einwir-kung von Sauerstoff oder Wasserdampfzersetzt und erst anschließend teiloxi-diert wird.

CxHy ↔ xC+y/2H2 (1)

C+1/2O2 ↔CO (2)CO+1/2O2 ↔CO2 (3)H2+1/2O2 ↔H2O (4)CxHy+(x+y/4)O2 ↔ xCO2+y/2H2O (5)

CxHy+(x/2+y/4)O2 ↔ xCO+y/2H2O (6)

C+H2O↔CO+H2 (7)CO+H2O↔CO2+H2 (8)CxHy+xH2O↔ xCO+ (y/2+x)H2 (9)

C+CO2 ↔ 2CO (10)CxHy+xCO2 ↔ 2xCO+y/2H2 (11)

CO+3H2 ↔CH4+H2O (12)CO2+4H2 ↔CH4+2H2O (13)

Die freiwerdende Energie der exo-thermen Reaktionen wie der Reaktionvon Kohlenstoff oder Wasserstoff mitSauerstoff (Reaktionen (1) bis (6)) stehtfür endotherme Teilreaktionen, zumBeispiel die Boudouardreaktion (10),Methanisierung (12) und (13) sowie dieWassergas-Shift-Reaktion (8) zur Verfü-gung. Je nach Einsatzstoff, Vergasungs-mittel und -technologie setzt sich dasProduktgas aus veränderlichen Antei-len CO, H2 aber auch CH4 und höherenKohlenwasserstoffen sowie einer Reihevon Verbindungen mit Heteroatomenzusammen (Clarke et al. 1999).

Altkunststoffe und kunststoffhaltigeAbfallfraktionen eignen sich ebenfallsfür die Vergasung, und wenn das er-zeugte Synthesegas zur Erzeugung vonchemischen Grundstoffen oder Aus-

gangsmaterialen für Synthesen einge-setzt wird, ist diese Technologie demrohstofflichen Recycling zuzurechnen.So können zum Beispiel CO und CO2

katalytisch hydrogeniert werden, umMethanol zu gewinnen, das Synthese-gas zur Ammoniakherstellung genutztoder über Fischer-Tropsch-SyntheseKohlenwasserstoffe generiert werden.Die Oxosynthese bietet durch die Hy-droformylierung von Olefinen weitersdie Möglichkeit, Oxygenate zu synthe-tisieren. Dampfvergasung liefert auf-grund des höheren Wasserstoffgehaltsfür etwaige chemische Synthesen hier-für ein günstigeres Ausgangsprodukt.Da für all diese Prozesse der Einsatzvon Katalysatoren erforderlich ist, dieempfindlich auf Verunreinigungen imEduktgas reagieren, kommt der Gas-reinigung nach der Gasifizierung großeBedeutung zu. Im Falle von Kunststof-fen als Einsatzstoff sind vor allem chlor-und stickstoffhaltige Komponenten so-wie Teere und partikuläre Verunreini-gungen zu entfernen (Clarke et al. 1999;Lopez et al. 2018).

Ein großer Vorteil der Gasifizierungvon Kunststoffabfällen sind die gerin-gen Reinheitsanforderungen an dasEinsatzmaterial, wodurch der Sortier-aufwand auch gegenüber der pyroly-tischen Wiederverwertung erheblichverringert werden kann (Lopez et al.2018). Dabei ist zu erwähnen, dassnicht nur eine sortengemischte Aufgabevon Altkunststoffen, sondern auch einegleichzeitige Verarbeitung mit ande-ren, festen Abfallstoffen, zum Beispielin Form von biogenen Reststoffen ingemischten Siedlungsabfällen möglichist, worauf sich auch der Hauptteil derForschungs- und Entwicklungsaktivi-täten konzentriert (Clarke et al. 1999).Demgegenüber steht, dass durch diepartielle Oxidation der erhöhte Sau-erstoffgehalt des Synthesegases dessenEnergiegehalt mindert und daraus auchdie Synthese von sauerstofffreien Ver-bindungen nicht mehr möglich ist. Sokönnen theoretisch nur über Umwegeund erhöhte Energieeinbringung wie-der gleichwertige Produkte wie Kunst-stoffe erzeugt werden. Um ein für dieSynthese günstigeres H/C-Verhältnisdurch Dampfvergasung zu erreichen,werden jedoch bei der Kunststoffver-gasung ein erhöhter Energiebedarf zurUmsetzung mit Wasserdampf und hö-here Teergehalte im Produktgas im Ver-gleich zu Biomasse und anderen Ein-satzstoffen in Kauf genommen. Durchden Einsatz von gemischten Fraktionen

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Tab. 3 Vor- undNachteile der VerfahrendeschemischenKunststoffrecyclingsVorteile Nachteile

Solvolyse Sehr selektiv gegenüber speziellen PolymerenMonomere direkt zur erneuten Kunststoffsynthese

Lösungsmittelabtrennung und -handhabung aufwändig

Pyrolyse Breite Anwendbarkeit der ProdukteWenig empfindlich gegenüber Heteroatomen (kein Kataly-sator)Hoher Energiegehalt der ProdukteEinfaches Anlagendesign

Wenig selektiv→ breites ProduktspektrumProduktverarbeitung aufwendigChemisch gebundene Heteroatome je nach Anwendung problematischEnergieeinbringung für endotherme ReaktionenVerkokungsneigung

ThermokatalytischesCracken

Breite Anwendbarkeit der ProdukteProduktspektrum teilweise steuerbarGeringerer Wärmebedarf durch Katalysator

Katalysator empfindlich gegenüber speziellen HeteroatomenKatalysatorabtrennung prozesstechnisch aufwendigVerkokungsneigung

Hydrocracking Geringere Koksbildung durch WasserstoffStabilere, gesättigte ProdukteGeringerer thermischer Energiebedarf durch exothermeHydrierung

Energiebedarf zur WasserstoffbereitstellungKomplexe Anlagentechnik

Gasifizierung Wenig Einsatzaufbereitung notwendigVielfältig einsetzbares Produktgas

Niedermolekulare ProdukteOxygenierung und dadurch reduzierter Wert der Produkte

sowie Katalysatoren zur Teerspaltungkann dem jedoch entgegengewirkt wer-den (Wilk and Hofbauer 2013).

Eine Möglichkeit zur Reduktion vonStörstoffen ist der Einsatz von Kalk zurBindung von Chlor und Schwefel. Die-ser Ansatz wird zum Beispiel durcheinen Kalkkreislauf in einem Schacht-reaktor im Verfahren der Firma ecoloopangewandt, die eine 32-MW-Anlagein Traunstein betreibt, um Synthese-gas aus Kunststoffabfällen und ande-ren Reststoffen zu gewinnen (ecoloopGmbH 2019). In der Technologie vonTexaco zur Gasifizierung von gemisch-ten Kunststoffen, die in den 1990er-Jahren in einer Pilotanlage für 10 t/dgetestet wurde, erfolgt die Vergasungin einem zweistufigen Verfahren, wobeiim ersten Verflüssigungsschritt chlor-haltiges Gas ausgetrieben wird undabgeschieden werden kann. Der ent-stehende, flüssige Rückstand wird an-schließend zur Produktgasgewinnungvergast und enthält somit wesentlichgeringere Störstoffgehalte. Eine kom-merzielle Anlage war ursprünglich inDänemark angedacht, wurde jedochaufgrund von fehlenden Übereinkom-men nie realisiert (Tukker 2002). Wei-ters betreibt das kanadische Unterneh-men Enerkem eine industrielle Verga-sungsanlage für gemischte, feste Abfällein der Bioraffinerie in Alberta, Kanada.In einer blasenbildenden Wirbelschichtwird Synthesegas aus sortierten, be-handelten Siedlungsabfällen erzeugt,was aufgrund der Zusammensetzungzu geringeren Teergehalten führt, undanschließend katalytisch zu Ethanolund Methanol sowie weiteren Folge-produkten umgesetzt (Enerkem).

3.6 Chancen und Herausforderungender unterschiedlichen Verfahren beider großtechnischen Realisierung

Wie in den vorhergegangenen Kapitelndargestellt, wird eine Fülle an Ansät-zen zum chemischen Recycling vonAbfallpolymeren verfolgt und erforscht.Bedingt durch die Vielzahl an unter-schiedlichen chemischen Strukturen,Eigenschaften sowie der Mannigfal-tigkeit der Abfallströme eignen sichunterschiedliche Verfahren verschiedengut für explizite Anwendungen. Tab. 3stellt die Vor- und Nachteile all die-ser möglichen Prozesspfade gegenüber,wobei ersichtlich wird, dass die Wahldes am besten geeigneten chemischenRecyclingkonzepts je nach konkreterFragestellung und Zielsetzung sehr un-terschiedlich ausfällt.

Die Breite der Möglichkeiten zumchemischen Recycling spiegelt sichauch in den Kommerzialisierungsan-sätzen wider, die bereits im letztenDrittel des letzten Jahrhunderts un-ternommen, jedoch meist aufgrundmangelnder Wirtschaftlichkeit wiedereingestellt wurden. Die ökonomischeKonkurrenzfähigkeit der Verfahren zurwerkstofflichen Wiederverwertung mitfossilen Alternativen sowie mit anderenVerwertungswegen (z.B. energetischeVerwertung) wurde durch folgende pro-zesstechnische, einsatzlogistische sowieproduktseitige Hürden in der Vergan-genheit erschwert:• Fehlende Einsatzverfügbarkeit in ge-

forderter Qualität.• Variabilität der Einsatzqualität.• Fehlende Zusicherung der notwendi-

gen Gate Fee.• Aufwendige Vorbehandlung und Sor-

tierung.

• Handhabung Kunststoffschmelze.• Verminderung des Wärmeeintrages

durch Verkokung und Anlagerungenan denWärmeübertragerflächen.

• Verblockungen durch Wachse undhochmolekulare Zwischenprodukte.

• Verblockungen durch Calciumchlo-rid.

• Aufwendige Reinigung durch Verko-kungen und Verblockungen.

• Produkte minderer Qualität durchbreites Produktspektrum und insta-bile, chemische Verbindungen.

• Produkte minderer Qualität durchVerunreinigungen und Fremdatome.

• Geringere Ausbeuten.• Anlagentechnische Schwierigkeiten

bei der Maßstabsvergrößerung.

In der jüngsten Vergangenheit sind dasInteresse und die Aktivitäten im Be-reich des chemischen Recyclings vonindustrieller Seite erneut gestiegen, wasvor allem durch den gesellschaftlichenDruck zur nachhaltigen Lösung derVerwertungsthematik für Kunststoff-abfälle, aber auch der zunehmendenWirtschaftlichkeit gegenüber fossilenRohstoffen geschuldet ist. Dies zeigtsich auch in Tab. 4, in der weitere,aktuelle kommerzielle Ansätze zusam-mengefasst sind.

4 Zusammenfassung

Um die Möglichkeiten des Recyclingsweiter auszubauen und auch Abfall-ströme mit Kunststoffmischungen bzw.allgemein heterogener Zusammenset-zungmit hohem Kunststoffanteil für diestoffliche Verwertung zu erfassen, bie-tet das chemische Recycling eine breitePalette an Möglichkeiten, chemischeBausteine aus Altkunststoffen rückzu-

Chemisches Recycling von gemischten Kunststoffabfällen als ergänzender Recyclingpfad zur Erhöhung der Recyclingquote 57

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Originalarbeit

Tab. 4 AktuelleKommerzialisierungsansätze für daschemischeKunststoffrecycling, die Technologie undderenEinsatzstoffeProzess Unternehmen Verfahren Einsatz Status Kapazität

[t/a]Quelle

BlueAlp™ Tech-nology

BlueAlp Pyrolyse Polyolefine – 20.000 (BluAlp 2019; Petro-gas 2019)

ReOil OMV Pyrolyse Polyolefine Pilotanlage 800 (OMV 2018)

Cat-HTR™ Licella Holdings Ltd Katalytische hydrothermaleUmsetzung (Hydrocrackingmit Wasser)

Biomasse, Kunststoff-abfälle, Altöl

KommerzielleAnlagen

– (Licella 2019a)

Thermal Anaero-bic Conversion(TAC)

Plastic Energy Pyrolyse Kunststoffabfälle – 200.000ab 2020

(Plastic Energy)

Vadxx Prozess Vadxx Pyrolyse Kunststoffabfälle – 20.000 (Vadxx 2019)

Agilyx Prozess Agilyx PS Depolymerisierung Polystyrol – ~3500 (Home: Agilyx 2019)

Cassandra Oil’stechnology

Cassandra Oil Katalytisches Cracking Reifen, Kunststoffab-fall ohne PVC

KommerziellesPatent

– (Cassandra Oil 2019)

Clariter’s chemi-cal process

Clariter Pyrolyse PE, PP, PS IndustrielleAnlage

10.000 (Clariter – globalclean-tech group2019)

IH2 Illinois-based Gas Techno-logy Institute/CRI Catalyst/Shell

Hydrocracking Siedlungsabfall,Biomasse, Kunststoff-abfälle

IndustrielleAnlage

700.000 (IH2 Technology;Shell 2019a)

DeFuel Demont Katalytisches Cracking Kunststoffabfälle – – (Demont 2019)

Enerkem Prozess Enerkem Vergasung Biomasse, Siedlungs-abfall, Kunststoff

KommerzielleAnlagen

360.000 (Enerkem 2019)

Fulcrum Prozess Fulcrum Vergasung Fester Siedlungsab-fall

Demoanlage 175.000 (Fulcrum BioEnergy2019)

GreenMantraTechnologies

GreenMantra Katalytisches Cracking Polyolefine – – (Home – GreenMan-tra 2019)

Handerek Pro-zess

Handerek Hydrocracking Polyolfefine, PS – – (Handerek Technolo-gies 2019)

Mehrere Prozes-se

Klean Industries Pyrolyse und Vergasung Kunststoffabfälle KommerzielleAnlagen

– (Klean Industries2019)

QuantafuelProzess

Quantafuel Katalytisches Cracking Kunststoffabfälle KommerzielleAnlag

18.000 (QuantaFuel 2019)

RT7000 Recycling Technologies Pyrolyse Kunststoffabfälle – 9000 (The RT7000 | Recy-cling Technologies2018)

LuxCRTM DuPont Teijin Films Solvolyse PET – – (DuPont 2019)

Solvolyse EASTMAN Methanolyse Polyester KommerzielleAnlage geplant

– (Eastman 2019)

DEMETO Techno-logie

gr3n Depolymerisation mit Mikro-wellen

PET IndustrielleAnlage 2021geplant

– (gr3n recycling2019)

gewinnen. Vor allem Verpackungsab-fälle, die sich aus einem großen Anteilan Polyolefinen zusammensetzen undaußerdem aufgrund der kurzen Pro-duktlebensdauer in großen Mengenanfallen, eignen sich in gemischten Ab-fallfraktionen als Einsatzstoff sehr gut,wodurch rohstoffliches Recycling zurErreichung der Recyclingziele beitragenkann.

Verfahrenstechnisch ergeben sichdurch chemische Wiederverwertungeinige Vorteile, vor allem begründetdurch den geringeren Reinheitsan-spruch des chemischen Recyclingsim Vergleich zum mechanischen. DerSortieraufwand für gemischte Abfälleund Verpackungsabfälle kann redu-

ziert werden, wobei je nach Verfahrenunterschiedliche Toleranzen möglichsind. Bei der Vergasung zum Beispielkönnen Siedlungsabfälle ohne jeglicheVorbehandlung umgesetzt werden undauch solvolytische Verfahren ermög-lichen stark heterogene Einsatzstoffe.Beide Ansätze ermöglichen zudem dieVerwertung von Verbundwerkstoffen,was bedingt auch bei den anderen,hier vorgestellten Verfahren möglichist. Bei thermochemischen Prozessenbestimmt die Zusammensetzung zu-nehmend die Qualität der Produkte,und katalytische Prozesse erforderndie Evaluierung von potenziellen Ka-talysatorgiften und etwaig notwendige

Sortierschritte zur Eliminierung kataly-satorschädlicher Fraktionen.

Die entstehenden Produkte, je nachgewähltem chemischen Recyclingver-fahren und eingesetzten Kunststoffsor-ten, Synthesegas, Monomereinheitenoder flüssige Kohlenwasserstoffgemi-sche, bedienen einen breiten Marktund können in der bestehenden Infra-struktur weiterverarbeitet werden. Sokann zum Beispiel das bei der Pyro-lyse entstehende sogenannte Syncru-de in konventionellen Erdölraffinerienweiterverarbeitet und ohne Qualitäts-verluste über Ethylencracking-Anlagenwieder in Grundstoffe zur Kunststoff-produktion überführt werden. Dadurch,dass es sich bei den entstehenden Sub-

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Originalarbeit

stanzen um chemische Grundbausteinehandelt, bieten sich vielfältige Anwen-dungsmöglichkeiten wie die Synthe-se von diversen anderen Chemikalienaus Synthesegas sowie die Bedienungder gesamten Petrochemie. Durch dieRückführung in Monomere und nie-dermolekulare Verbindungen wird au-ßerdem ermöglicht, Produktqualitätenvergleichbar mit Primärprodukten zuerreichen und somit ein wirklichesRecycling statt eines Downcyclingszu minderwertigeren Produkten ausMischfraktionen zu realisieren.

All diesen Vorteilen stehen vor al-lem anlagen- und prozesstechnischeHürden gegenüber, die aufgrund derEigenschaften von Polymeren über-wunden werden müssen, um technischund wirtschaftlich sinnvolle Prozessezu entwickeln, was sich auch in derMannigfaltigkeit der chemischen Recy-clingkonzepte zeigt. Weiters ist spezi-ell im Fall der Weiterverarbeitung derProdukte in bestehender Infrastruktur,wie zum Beispiel der Raffination vonPyrolyseölen in petrochemischen In-dustrieanlagen, die rechtliche Lage undZurechenbarkeit zu Recyclingraten, vorallem im Fall der Weiterverarbeitungin konventionellen petrochemischenInfrastrukturen, zu klären.

Außerdem haben bisherige Versu-che der großtechnischen Realisierunggezeigt, dass bei allen Verfahrensvari-

Literatur

anten des chemischen Recyclings In-termediate und keine fertigen Produk-te wie beim werkstofflichen Recyclinggewonnen werden. Daher ist eine ver-lässliche und umfassende Anbindungan Infrastruktur zur Weiterverarbei-tung unerlässlich, welche schon imPlanungsstadium mitbedacht werdenmuss, um vermarktbare Chemikalienund Materialien wirtschaftlich erzeu-gen zu können.

Neben den produktbezogenen Her-ausforderungen spielen die Einsatzver-fügbarkeit in entsprechender Qualitätund der etwaige Sortier- und Vorbe-handlungsaufwand zur Erreichung dergeforderten Reinheit eine tragende Rol-le bei der erfolgreichen Realisierungdes chemischen Recyclings im Indus-triemaßstab. Für einen störungs- undunterbrechungsfreien Betrieb ist daherdie langfristige Versorgungmit geeigne-ten Abfallfraktionen zu gewährleistenund entsprechende Sortier- und Vorbe-handlungsschritte abgestimmt auf dieStoffströme auszulegen.

Nichtsdestotrotz lohnt es sich, zu-künftig das breite Spektrum des che-mischen Recyclings vermehrt in denFokus der Aufmerksamkeit zu rücken,um höhere Anteile an vor allem ge-mischt anfallenden Kunststoffabfällenwerkstofflich zu verwerten und somitdie wertstofflichen Senken bei der Ver-brennung und Deponierung zu ver-

meiden. Das Potenzial des chemischenRecyclings spiegelt sich auch in deraktuellen Aufmerksamkeit großer, vorallem petrochemischer Konzerne wieOMV (OMV 2018), Neste (Neste 2018)und BASF (BASF for the first time ma-kes products with chemically recycledplastics), aber auch kunststoffverar-beitender und Lebensmittelindustriewider, die vermehrt versuchen, demKonsumentenwunsch nach nachhalti-gen Verwertungskonzepten und Kreis-lauflösungen durch Forschungs- undEntwicklungsaktivitäten im Bereich desrohstofflichen Recyclings nachzukom-men.

Funding Open access funding providedby Montanuniversität Leoben.

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