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Politologie

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Inhaltsverzeichnis I. Teil - Einführung 4 1. Weiterführende Literatur (Bibliothek ZHW) 4 2. Politologie als wissenschaftliche Disziplin 4

Was? (Gegenstände und Inhalte)............................................................................................ 5 Merkmale von Unterentwicklung............................................................................................ 6 Unterentwicklung (Modelle) .................................................................................................. 6 Regelkreis (Kausalitätsmodell) ................................................................................................ 6 Zeitdiagramm: Produktivität................................................................................................... 7 Wie? (Methodiken)............................................................................................................... 8 Wozu? (Einsatzgebiete, Hilfestellungen) .................................................................................. 8 Übung „Stimm-/Wahlbeteiligung“......................................................................................... 9

II. Teil – Die Grundlagen des modernen Staates 10 1. Einführung: Die Gesellschaft als Steuerungssystem und als Versorgungssystem 10 2. Definitionen: Staat und Politik 12 3. Der Staat 12

31. Die Entwicklungsgeschichte gesellschaftlicher Steuerungssysteme ................................. 12 32. Der moderne Territorialstaat...................................................................................... 12 321. Das Ziel: Wahrung gemeinsamer Güter und Werte: Sicherheit, Versorgung und Freiheit .. 12 Die „Sonntagsfrage“........................................................................................................... 12 Die Konvergenz-Theorie:..................................................................................................... 12 322. Die Reichweite: Territorium und Volk......................................................................... 12 323. Die Mittel: Herrschaft, Legitimation und der Wille des Volkes - die Verfassung .................. 12

III. Teil – Das internationale System 12 1. Integration – Voraussetzungen und Prozesse am Beispiel der EU 12

Zweck der Europäischen Union:............................................................................................ 12 Integration - Ein allgemeines Modell: .................................................................................... 12 Die Organe der Europäischen Union..................................................................................... 12

2. Konflikt – Eine Typologie des Krieges 12 IV. Teil – Das politische System der Schweiz 12 1. Einführung: Formen der Legitimation politischer Herrschaft im modernen Territorialstaat: Demokratie und Totalitarismus 12

Gruppenarbeit: Analyse der folgenden Texte nach den Kriterien.............................................. 12 1. Totalitäre Positionen: -Traditionelle Konservative ............................................................ 12 2. Demokratische Positionen: - Liberale Konservative .......................................................... 12 - Pluralistische Demokratietheorie......................................................................................... 12 - Theorie demokratischer Eliteherrschaft ................................................................................ 12 - Theorie des reduzierten Demokratieverständnisses (reduktionistisch) vs. demokratische Selbstentfaltung (emanzipatorisch) ....................................................................................... 12

2. Die Schweizer Ausgangslage: Eine Gesellschaft sich überschneidender Segmente 12 Die staatsbildende Dynamik der Schweizer Geschichte: Gemeinsame Interessen an der Schnittstelle europäischer Nationen......................................................................................................... 12 Die sich überschneidenden Dimensionen der Segmentierung................................................... 12

3. Die politischen Folgen: Primat des Ausgleichs zentrifugaler Kräfte durch Konsens 12 31. Direkte Demokratie .................................................................................................. 12 32. Föderalismus............................................................................................................ 12 33. Konkordanz............................................................................................................. 12 34. Stärken - Schwächen................................................................................................ 12

4. Die Krise des politischen Systems der Schweiz 12 41. Die Überforderung der modernen Demokratie: Problemlösungs-Bedarf und Problemlösungs-Kapazität.................................................................................................... 12 42. Die Folgen: Verlust an Glaubwürdigkeit und Legitimation............................................. 12 421. Das Regulierungs-Lücken und Über-Regulierung......................................................... 12 422. Der „Verbändestaat“ und der Niedergang der Parteien: Interesse contra Ideologie ......... 12 423. Technokratie und Elite-Herrschaft .............................................................................. 12

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5. Lösungsansätze: Weniger Problemlösungs-Bedarf, mehr Problemlösungs-Kapazität 12 51. Reduktion des Problemlösungsbedarfs: De-Regulierung ............................................... 12 52. Steigerung der Problemlösungskapazität: "Technische" Reformen, Abbau der Demokratie, Dezentralisierung/Zentralisierung ......................................................................................... 12 53. Fazit: Das Dilemma der Reform zwischen staatlicher Effiienz und gesellschaftlicher Stabilität 12

Anhang 12

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I. Teil - Einführung Die Fachliteratur ist in der Bibliothek Dep.W greifbar. Sie versteht sich als vertiefende Lektüre für beson-ders interessierte Studierende. Die Zeugnisnote wird durch eine schriftliche Prüfung am letzten Seminarblock ermittelt. à Die Prüfung wird am 17. Februar 2002 stattfinden (Aufsatz mit Argumentationen zu drei Themen)

1. Weiterführende Literatur (Bibliothek ZHW)

Drechsler, Hanno; Hilligen, Wolfgang; Neumann, Franz (Hrsg.): Gesellschaft und Staat - Lexikon der Politik, 9. Auflage, München 1995 Böhret, Carl; Jann, Werner; Kronenwett, Eva: Innenpolitik und politische Theorie, 3. Auflage, Opladen 1988 Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z, Bonn 1997 (oder neuer) Betts, Richard. M (Herausg.): Conflicts after the Cold War, New York 1994 Linder, Wolf: Schweizerische Demokratie, Institutionen, Prozesse, Perspektiven, Bern 1999

2. Politologie als wissenschaftliche Disziplin

Polis = Stadt (z.B. Neapolis: die neue Stadt) à für Athen, wahrscheinlich 1. Ort, wo Gemeinschaft von Bürgern als Staat gebildet wurde (Athen war nicht demokratisch) Polis [grch. pólis »Stadt«] die, im antiken Griechenland der Stadtstaat; nach mykenischen Zeugnissen Bez. für die »Burg« und die damit verbundene Siedlung. In archaischer Zeit Bez. für das Siedlung und Umland umfassende Gemeinwesen. Die P. verstand sich als Gemeinschaft von Bürgern (Politen), für die es feste soziale und ethnische Zugehörigkeitskriterien gab (Abgrenzung z.B. gegen Sklaven und Fremde, die Metöken). Sie war gekennzeichnet durch Selbstverwaltung. und eine Verfassung, in der die politischen Rechte und Pflichten des Einzelnen festgelegt waren. Die Verf. konnte demokratisch oder oligarchisch sein. Die Vollbürger waren die Träger der Souveränität. Sie konnten in den Rat gewählt oder durch Los aufgenommen werden. Alle großen politische Fragen entschied die Volksversammlung; die Blütezeit lag im 6.?4.?Jh. v. Chr. © 1999 Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG Was ist Politik? Ø „Regelt das Zusammenleben einer Gemeinschaft.“ (Pascal Schwartz) Ø „Voraussetzung ist ein Territorium.“ (Beat Guntern) Ø „Begriff der ‚Nation’ zielt darauf ab.“ (Hans Vogel) Ø „Kirche nimmt ebenfalls Einfluss auf (weltliche) Politik.“ (Beat Guntern) Ø „Kirche und Parteien sind politische Akteure.“ (Hans Vogel) Ø Begriff „Staat“ erwähnt (Claudia Keller). à Menschen, Regeln, Territorium Ø Was regelt der Staat? à Regelt z.B. nicht, wer in unserer Klasse die Tafel putzen soll. à „Die Regeln bestimmt der Souverän (CH: Volk; Diktatur: Diktator).“ (HAC) à „Geregelt wird, was von allgemeinem Interesse ist.“ (Vogel)

Ø Tafelputzregelung ist nicht Politik, da nicht von allgemeinem Interesse [nur für unsere Klasse]

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Politik siehe auch Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Definition auf S. 12!

Was? (Gegenstände und Inhalte)

Eigentlich eine Sammlung von Negativa (Überall dort, wo das Zusammenleben nicht klappt, wird unter-sucht, warum das so ist und Therapiemöglichkeiten untersucht) - Internationale Beziehungen [Aussenpolitik]: Nachbardisziplinen: Geschichte, Völker-/Staatsrecht, Wirtschaftswissenschaft, Ethnologie, Geographie à Politik ist alles und nichts, deshalb gehört alles, was mit Sachproblemen verbunden ist, auch zur Politik. Die Politik taucht immer mit anderen Themen auf (Oec, Soziologie, Psychologie), sie ist interdisziplinär. Politische Akteure: Wer politisiert international?

o Bündnisse (IGOs – International Government Organisations), z.B. UNO, EU, NATO o NGOs (Non Government Organisations), z.B. Greenpeace; Amnesty International;

Religionen; Terror-Organisationen; IOC (Internationales Olympisches Komitee); FIFA

Wie und warum kommt es zu bewaffneten zwischenstaatlichen Konflikten? o z.B. Woodrow Wilson, US-Präsident vor dem 2. WK. Stellte Wissenschaftler ein, welche

Untersuchung über Ablauf, Auswirkungen etc. anstellten (Wie kann Krieg gewonnen werden?) = Geburtsstunde der Politikwissenschaft

o Heute lautet die Frage eher: Wie kann Krieg verhindert werden? Tatsache, dass man sich heute diese Frage stellt, ist schon ein grosser Fortschritt verglichen mit früher

o Siehe auch Beispiel ethische Frage, ob USA Krieg gegen Irak führen sollen

Welches sind Bedingungen und Folgen der internationalen Integration?

Welches sind die Mechanismen der ständig sich vergrössernden Entwicklungs-Disparität zwischen Nord und Süd? („Dritte Geissel des globalen Problems“)

Fazit: - Internationale Beziehungen und Verflechtungen werden immer komplizierter - Es gibt immer mehr „Weltinnenpolitik“, z.B. im Umweltschutz durch Greenpeace - Die globalen Interessen nehmen zu à „Globale Res Publica“ (Hans Vogel)

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Merkmale von Unterentwicklung

- Ungedeckte Grundbedürfnisse Hunger, Überleben etc. - Ungenügendes Gesundheitswesen Kindersterblichkeit, AIDS,

Trinkwasser, Spitäler - Korruption, Kriminalität - Ungenügende Bildung - Ungenügende Kapitalbildung Keine Investoren, fehlende poli-

tische Stabilität - Mangelnder Wohlstand - BIP/Kopf oder Einkommen/Kopf à Ist der „Kern“ einer unterentwickelten Volkswirtschaft

Produktivität einer VW: P/E x E/B Produktivität : Ewerbstätige mal Erwerbstätige : Bevölkerung

- Ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung à Kriminalität, Gewalt - Religiöse Voraussetzungen (teilweise wirtschaftsfeindlich) - Geografische Lage: Um den Äquator à Extreme Klimavoraussetzun-

gen, schlechte Böden, Wüsten - Geschichtlicher Hingergrund: ehem. kolonialer Status

Unterentwicklung (Modelle)

Regelkreis (Kausalitätsmodell)

à Fazit/Erkenntnis:

Der Regelkreis zeigt zahlreiche (positive oder negative Abhängigkeiten/Kausalitäten). Man erkennt zwei bis drei Teufelskreise („Devils-„ oder „Angels’ Circles“ oder ‚Doom Loops’) – Sollen wir kennen!

Formel: P / E * E / B

Finanzkraft Staat

Bildung

Kolonialstatus

Politische Instabilität

Auslandinvestitionen

Industrialisierung

Infrastruktur

Kapitalbildung

Innovations- fähigkeit

Sparen = +

+

+

+ +

+

-

- + +

+

+

- ? Negatives Klima

Steuern

+ + +

+

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Zeitdiagramm: Produktivität

Produktivität pro Kopf (P/B)

0 ca. 1750 2002 - Innenpolitik: Nachbardisziplinen: Geschichte, Staatsrecht, Soziologie, Sozialpsychologie, Wirtschaftswissenschaft Forschungsgebiete (z.B):

- Welches sind die Determinanten der Stimm- und Wahlbeteiligung (Politische Partizipation)? - Welches sind die Einflüsse der zunehmenden Staatstätigkeit auf die Leistungsfähigkeit eines

demokratischen Systems? – [z.B. CH: Direkte Demokratie – „Bremsklotz der Revitalisierung?“] - Wie entstehen militante politische Bewegungen?

1. Welt

3. Welt

Was ist hier passiert? - Aufklärung, Aufteilung 1. bis 3. Welt

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Wie? (Methodiken)

Erkenntnis-Instrument der Politikwissenschaft: Die empirisch-analytische Theorie: - Theorie:

System generalisierender [=gesetzmässiger] Behauptungen, wonach Variablen unter bestimmten Be-dingungen in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen stehen. à „Je ... desto ...“ oder „Wenn ...., dann ....“ Beispiele: „Wenn das amerikanische Volk ökonomische Probleme hat, dann wählen sie demokratisch.“ Aber: „Wenn der Bordeaux-Jahrgang gut ist, dann wählt das US-Volk demokratisch.“

à Kausalität nicht vorhanden, obwohl grosse Korrelation! à Korrelationen sind immer nur Indizien für Kausalitäten, aber keine Beweise!

- Empirisch-analytische Methode:

Methode der Theoriebildung, nach der jeder einzelne Erkenntnisschritt anhand von Beobachtungen der Wirklichkeit nachgeprüft wird und damit nachvollziehbar ist.

Die zwei Phasen der Theoriebildung: - Modellbildung:

System von auf Plausibilitätsüberlegungen basierenden Behauptungen, nach denen sich definierte Va-riablen gesetzmässig miteinander verändern. à zum Beispiel unser Regelkreis (Kausalitätsmodell), vgl. dieses Skript auf S. 5

- Modellfalsifikation:

Versuche, mit Hilfe bi- oder multivariater statistischer Verfahren (Korrelations- Regressions-Analysen usw.) die vermuteten Zusammenhänge zu widerlegen. à Achtung: Unterscheiden, ob mittels einer Korrelations wirklich Beweise oder lediglich Indizien

berechnet werden!

Wozu? (Einsatzgebiete, Hilfestellungen)

Berufe: Politikberatung, Ausbildung, Berichterstattung Betriebswirtschaftlicher Nutzen: Einbezug, Beeinflussung und Prognose der Entwicklung politischer Rah-menbedingungen unternehmerischen Entscheidens und Handelns

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Übung „Stimm-/Wahlbeteiligung“

à in % der Stimm-/Wahlberechtigten

- Wovon abhängig, wie hoch die ist (Variablen)? - Beschränkt auf eidgenössische Vorlagen (Referendum, Volksinitiative) - „Je...desto“-Sätze formulieren! - Möglichst komplex, mit vielen Variablen/Determinanten (Beziehungen, Rückkoppelungen, Ursa-

chen usw.)! Determinante / Variable: Überlegungen / Kausalitätserklärungen Bildung Je mehr Bildung, desto grösser die Stimm-/ Wahl-

beteiligung Wohlstand Empirische Studien zeigen: Je höher der

Wohlstand, desto kleiner die Beteiligung! Wirtschaftslage Je besser die W.-L., umso kleiner die Beteiligung Interesse (politisches Grundinteresse) Je höher, umso grösser die Beteiligung

à Was ist das politische Grundinteresse? à Kann durch Bildung und/oder Medien geför-

dert werden Medienresonanz Werbekampagnen Komplexität einer Vorlage Je komplexer, desto kleiner die Beteiligung Sättigungsgrad / Anzahl Vorlagen Je mehr Vorlagen, umso kleiner die Beteiligung System / Administrativer Aufwand Je grösser der Aufwand, umso kleiner.

Briefliche Stimmabgabe möglich à grössere Bet. Alter (Durchschnittsalter der Stimmbürger) Je höher, umso höher die Beteiligung Emotionalität Je grösser, umso höher die Beteiligung Regionale Zugehörigkeit Zum Beispiel: Glarner, Urner (kleine Kantone; agra-

risch und katholisch) sind sich ihrer „Stimmkraft“ bewusst und haben höhere Beteiligung

Fazit / Auswertungen:

Entscheidende Faktoren / Determinanten sind...

- Gewicht des Individuums in den gesellschaftlichen Werten - Alter - „Kleinheit der Gemeinschaft“ à meist konservative (kleine) Kantone - Wertvorstellungen

Man kann die Variablen unterteilen hinsichtlich ihrer zeitlichen Auswirkungen:

• kurzfristig: Medienaufwand, Emotionalität, Persönlicher Bezug, Komplexität, Anzahl Vorlagen

• langfristig: Wohlstand, Wissensstand, Bildung usw. Ø Sehr entscheidend ist auch die subjektive Betroffenheit (nicht, ob der Stimmbürger persönlich

wirklich betroffen ist, sondern, ob er sich betroffen fühlt).

Ø Polarisierungsgrad ist ebenfalls entscheidend. Führt zu Werbe-/Medienaufwand, grösserer Me-dienpräsenz und Spektakel. Die subjektive Komplexität wird dadurch reduziert.

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II. Teil – Die Grundlagen des modernen Staates

1. Einführung: Die Gesellschaft als Steuerungssystem und als Versorgungssystem

Was ist eine Gesellschaft? Gesellschaft, 1) allg.: vieldeutig gebrauchter Begriff, der im weitesten Sinne die Verbundenheit von Lebewesen (Pflanzen, Tiere, Menschen) mit anderen ihrer Art und ihr Eingeschlossensein in den gleichen Lebenszusammenhang bezeichnet; allein auf den Menschen bezogen meint G. die Menschheit schlechthin oder bestimmte begrenzte Teile davon (z.?B. die Menschen einer Nation) und weist auf deren Gliederung, (Rang-)Ordnung und bes. strukturiertes Beziehungssystem hin. Der Begriff G. wurde urspr. auch in vielerlei, z.?T. bis heute geltenden besonderen Zusammenhängen verwendet, z.?B. für gelehrte Vereinigung, Geheim-G. und Handelsgesellschaft. 2) Recht: Vereinigung mehrerer Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks, z.?B. als Handelsgesellschaft oder Gesell-schaftdes bürgerlichen Rechts. 3) Soziologie: Die menschl. G. bildet auf jeder ihrer Entwicklungsstufen sowie in ihren unterschiedl. Formen und Ordnungen versch. G.-Systeme . Alle höher entwickelten G.-Ordnungen zeigen eine Stufung nach Ständen oder Klassen. In neuerer Zeit deutet der Begriff »pluralist. G.« darauf hin, dass sich die herkömml. Strukturen zugunsten eines vielschichtigen Gruppen- und Wertsystems auflösen. Während im MA. die ständ. G. als Ausdruck der göttl. Weltordnung verstanden wurde und dem absoluten Staat zugeordnet war, entfaltete die in den bürgerl. Revolutionen seit 1789 entstehende bürgerl. G. eine Gegenbewegung, die im Wesentlichen durch wirtsch.-techn. Ursachen bedingt war (Klassenbildung, Industrialisierung, Verstädterung, Auflösung patriarchal. Ordnungen, Ratio-nalisierung u.?a.). Es entstanden dabei G.-Theorien von sehr unterschiedl. Ansätzen her (Soziologie). Von histor. Bedeutung war die vom Marxismus entwickelte These, die soziale Revolution werde, unter Aufhebung des Staats, naturnotwendig die klassenlose G. verwirklichen. Dem stehen im Rahmen der G.-Kritik und G.-Reform die Anhänger einer pluralist. »offenen« G. (K.?R. Popper) ge-genüber, nach denen Reformen schrittweise erfolgen sollen. © 1999 Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG Das Ziel gesellschaftlicher Systeme: Ein gemeinsamer Wert ist zum Beispiel das Christentum (z.B. Almosengeben à Sozialstaat/ALV; Verge-bung à Reintegration von Kriminellen; Welches sind die typischen Wertvorstellungen der Schweizer Gesellschaft? (Falls es nämlich keine gibt, bestehen keine Gründe, die gegen einen EU-Beitritt sprechen!)

- Direkte Demokratie: Mitsprache und Menschenbild des kompetenten Bürgers: CH stellt das Wohl des Volkes sogar über dasjenige der Verfassung!

- Politische Neutralität - ist an sich kein gesellschaftlicher Wert, lediglich ein aussenpolitischer Grundsatz, der aber Werte widerspiegelt - welche: Sicherheitsbedürfnis? Toleranz? à Idee der Unabhängigkeit und Freiheit als Wert! (Wilhelm Tell – Gessler – Brüssel!) Aber auch „Eigenbrötlerei“ – hat rel. grosse Toleranz inne in der CH!

Welche Werte haben in den letzten 10 bis 15 Jahren an Bedeutung gewonnen/verloren in der CH?

- Sicherheit: Hat an Bedeutung verloren, weil Bedrohungslage nicht mehr so kritisch ist à dadurch hat auch die Neutralität an Bedeutung verloren

- Familie: Schon Jeremias Gotthelf hatte Wichtigkeit erkannt (Familie als Grundgerüst einer ge-sunden Gesellschaft). Heute ist man nicht mehr auf Ehe und Familie angewiesen, damit man wirtschaftlich überleben kann!

à Wahrung gemeinsamer Güter und Werte ("Res Publica")!

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Verantwortlichkeit für die Zielerfüllung gesellschaftlicher Systeme: Der Staat als...

Rechtsstaat: - Recht auf Bildung durch den Staat - Sorgt dafür, dass Individuum von Staat selbst geschützt ist - Staat ist im Besitz von sehr vielen Daten, er hat dafür zu sor-

gen, dass diese nicht in falsche Hände geraten à Datenschutz - Es gehört zu einem Rechtsstaat, dass die Rechte, die ausgeübt

werden, transparent sind à keine Willkür - Die Rolle des Rechtsstaates ist die älteste Rolle,

fundamentaler Anspruch

Sozialstaat: - Eher neuere Rolle des Staates in Europa - AHV, IV u.ä. sind typisch für den Sozialstaat - Werte, die hinter der Altersvorsorge stecken, sind vor allem

Solidaridät mit alten Leuten in einer Gesellschaft - Umverteilung: Sozialstaat will sich um die Schwächeren küm-

mern mit dem Ziel, dass alle in einer Gesellschaft überleben können

- Auch Schutz von Kindern und Kleinkindern

„Oeko-Staat“: - Bsp: In der CH hatte in den 60er Jahren die Verschmutzung der Seen zur Folge, dass man Kläranlagen baute.

Die zwei zentralen Funktionen gesellschaftlicher Systeme:

Versorgung / öffentliche Güter (= Wirtschaft):

- Öffentliche Güter (Bsp. Wasser; Allmendeproblematik): Wenn ein Gut knapp ist und gleichzeitig alle davon profitieren sollen, dann mischt sich der Staat ein, um für eine gerechte Vertei-lung [Allokation] zu sorgen

- Wenn Konkurrenz besteht, drängt es sich nicht auf, Monopole zu verstaatlichen

- Res Publica ist ständig im Wandel, was öffentliche Güter sein sollen und was nicht

Steuerung

(= Politik): - Gesellschaftliche Werte, Regeln und Normen, Konflikt-

regelung = ursprüngliche Bereiche der Politik ...und deren Akteure als Bürgerinnen und Bürger:

Begriff „Bürger: - Geht zurück auf französische Revolution - Rechtsstaat war sehr wichtig - Bürger („citoyen“) sollte im Staat mitbestimmen

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Moderne westliche Gesellschaften und Staaten zeichnen sich dadurch aus, dass die beiden Bereiche Wirt-schaft und Politik getrennt sind: "Private" Akteure: "politische" Akteure:

"WirtschaftsbürgerInnen", StaatsbürgerInnen, Wirtschaftsorganisationen, Politische Organisationen, Anbieter (Unternehmen), Steuerungs-Subjekt (Staat), Nachfrager Steuerungs-Objekte Die Ausnahmen: Fremdrollen privater und politischer Akteure: Politische Akteure als Anbieter (öffentlicher Güter):

- Öffentliche Hand: Bildung usw. - Unternehmen nach öffentlichem Recht: SRG, ARD; Schienenverkehr; Wasserversorgung usw. - Elektrizität? Flugverkehr (z.B. Swissair)?

Private Akteure als Steuerungs-Subjekte ("subsidiärer" Vollzug):

- Verbände: Berufsausbildung usw. - Unternehmen: Obligatorische Versicherungen (Krankenversicherung?) usw.

2. Definitionen: Staat und Politik

Interessantes Phänomen: Beschimpfung der Staatsbür-ger zwischen Politikern und Wirtschaftlern – obwohl alles zusammengehört!

Definition „STAAT (moderner Territorialstaat)“:

Steuerungssystem einer durch ein Territorium definierten Gemeinschaft mit dem Zweck der Wahrung gemeinsamer Güter und Werte.

Definition „POLITIK“: Staatliches und auf den Staat bezogenes Handeln.

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Staat [lat.] der, Vereinigung vieler Menschen innerhalb eines abgegrenzten geograph. Raumes unter einer souveränen Herrschaftsgewalt. Der Begriff erscheint im 15.?Jh. erstmals bei Machiavelli, seit Ende des 18.?Jh. ist er auch im dt. Sprachraum üblich.?? Das S.-Volk bildet die Gesamtheit der durch dieselbe S.-Angehörigkeit verbundenen Mitgl. eines S. (National-S.), manchmal mehrere Nationen umfassend (Nationalitäten-S.). Das S.-Gebiet ist der geograph. Raum (einschließlich des Luftraums darüber und der Eigen- und Küstengewässer), in dem der S. seine Herrschaftsrechte ausübt.?? Die S.-Gewalt ist die Herrschaftsmacht des S. über sein Gebiet und über die auf ihm befindl. Personen sowie über die eigenen S.-Angehörigen.?? Die S.-Organe sind alle Personen, Körperschaften und Behörden, die im Namen und in Vollmacht des S. kraft eigener Zuständigkeit an der Ausübung der S.-Gewalt teilnehmen (Ge-waltenteilung).S.-Formen bzw. polit. Systeme: Da im MA. die Person und die von ihr ausgeübte öffentl. Herrschaft sowie privates und öffentl. Recht noch nicht getrennt waren, wurden die Stellung in der Hierarchie und die Ämter einer Person als rechtlich garan-tiertes und ihr zustehendes Eigentum angesehen. Diese mittelalterl. Form wird Personenverbands-S. im Ggs. zum modernen Flä-chen-S. genannt.?? Bei den Herrschaftsformen unterscheidet man seit dem grch. Altertum Monarchie, Aristokratie und Demokra-tie.?? Nach der Ausübung staatl. Hoheitsgewalt oder nach der Führungsgruppe unterscheidet man folgende Regierungsformen: den Absolutismus, den Feudalismus, den Ständestaat, den Parlamentarismus, das Präsidialsystem und daneben das Rätesystem. Die modernen westl. Demokratien kennen parlamentar. und präsidiale Verfassungen sowie versch. Mischformen; ihnen gemeinsam ist die Einbeziehung von Parteien bei der Repräsentation (sog. Parteien-S.). Parteien-S. können danach unterschieden werden, ob mehrere Parteien mit wechselnden Koalitionen die Macht anstreben (Mehrparteien-S.) oder ob es zwei Parteien sind, von denen jeweils eine Reg.- und die andere Oppositionspartei ist (Zweiparteien-S.). In Diktaturen wird häufig nur eine einzige Partei zugelas-sen (Einparteien-S.), bzw. andere Parteien stehen unter der Hegemonie der führenden Partei. Weiterhin werden zentral verwaltete S. (alle Entscheidungen werden von den obersten S.-Organen in der Hauptstadt getroffen, wie z.?B. in Frankreich) und föderative S. unterschieden: Nur bestimmte Aufgaben (z.?B. Außen- und Sicherheitspolitik) werden von der Regierung des Gesamt-S. wahrge-nommen, während andere Aufgaben von der Regierung der Glied-S. (Länder) selbstständig oder zugewiesen erfüllt und von Lan-desparlamenten kontrolliert werden.?? Im 19.?Jh. kam der Begriff des Rechtsstaats, im Laufe des 20.?Jh. der des Sozialstaats auf; vom Sozial-S. zu unterscheiden ist der Wohlfahrtsstaat.Als S.-Wissenschaften gelten 1. die allg. S.-Lehre, die als typologisierende und erklärende Wiss. von den Erscheinungsformen staatl. Gebilde Methoden und Erkenntnisse aus den Gebieten der Philosophie, Soziologie, Nationalökonomie, Rechtswiss. und Geschichte vereinigt; 2. die politische Wissenschaft oder Politologie (innerhalb dieser speziell die S.-Theorie); 3. die rechtswiss. S.-Lehre, die v.?a. verfassungsrechtl. Normen analysiert; 4. die S.-Soziologie, die v.?a. Verfassungsnormen und -wirklichkeit vergleicht, indem sie Funktionen des S. als Ordnungsmacht, Herrschaftsorganisation und ge- sellschaftlich-polit. Integrationsform überprüft.Gegenstand der S.-Philosophie oder polit. Philosophie ist die Reflexion über Wesen, Aufgabe, Zweck und eth. Berechtigung des S. sowie über dessen Entstehung, Rechtfertigung, Prinzipien und Formen.?? Exponenten der antiken S.-Philosophie waren Sokrates, Platon und Aristoteles sowie die Philosophen der Stoa. Die S.-Philosophie des MA. ging von der Zweischwerterlehre sowie von der Frage nach dem gerechten Herrscher und später nach dem Gottesgnaden-tum aus. Die bes. von Luther und Calvin vertretene reformator. S.-Philosophie verknüpfte die Zwei-Gewalten-Lehre mit der Aner-kennung der weltl. Obrigkeit (Zweireichelehre); im Rahmen der Reformation begründeten G.?Buchanan und F.?Hotmann später die Lehre vom Widerstandsrecht.?? Die S.-Philosophie der Aufklärung war an der Naturrechtslehre orientiert und betonte die Bedeu-tung der Vertragstheorien (Naturrecht, Vertragslehre).?? Zur Zeit des dt. Idealismus betonte die S.-Philosophie, dass sich der S. vom Zwangs- zum Rechts-S. entwickeln müsse sowie den Weg zum Staatenbund der Völker zu garantieren habe (KantJ.?G. Fichte, He-gel).?? Die S.-Philosophie des histor. Materialismus (Marx, Engels) propagierte die Lehre vom Klassenkampf, der (proletar.) Revolu-tion und der klassenlosen Gesellschaft.?? Grundsätzlich gibt es in der Neuzeit drei Positionen: die Ablehnung des S. (u.?a. F.?Nietzsche, M.?Bakunin), seine Anerkennung innerhalb bestimmter Grenzen seiner Wirksamkeit (u.?a. W.?von Humboldt) sowie die Verabsolutierung des Staatlich-Politischen (N.?Machiavelli, T.?Hobbes, C.?Schmitt). Politik [frz., von grch. politike (téchne) »Kunst der Staatsverwaltung«], auf die Durchsetzung bestimmter Ziele insbes. im staatl. Bereich und auf die Gestaltung des öffentl. Lebens gerichtetes Verhalten von Individuen, Gruppen, Organisationen, Parteien, Klassen, Par-lamenten und Regierung. Aus der Interessenbestimmtheit ergibt sich der Kampfcharakter der P. Ihre Legitimation findet P. in einem demokrat. System letztlich in der Zustimmung (der Mehrheit) der Betroffenen, in totalitären Systemen wird sie aus der herrschenden Ideologie abgeleitet. Nach dem Gegenstand oder Bereich des polit. Handelns unterscheidet man z.?B. Außen-, Wirtschafts-, Ge-sundheits-P., nach der jeweiligen Ebene z.?B. Bundes-, Landes- und Kommunal-P., nach dem Handlungs- und Interessenträger z.?B. Partei-, Verbands-P., nach den Grundsätzen des polit. Handelns z.?B. Macht-, Interessen-, Hegemonial-, Friedens-, Real-P. Zu den polit. Systemen Staat. Von der Antike (Platon, Aristoteles) über das MA. (Thomas von Aquin, Scholastik) bis ins 18.?Jh. war die P. der prakt. Philosophie zugeordnet. In Antike und MA. wurde sie als Lehre von der rechten Ordnung des Gemeinschaftswesens verstanden. Dagegen sind bei N.?Machiavelli Erwerb, Gebrauch und Verlust von Macht durch den Fürsten Hauptinhalt der P.; von hier aus entwickelte sich die Lehre der Staatsräson, nach der Machtgewinn Ziel und Hauptinhalt der P. bildet. Die moderne Naturrechtslehre (S.?von Pufendorf, J.?Locke) begreift P. als auf diesseitige Ziele ausgerichtetes Handeln zum Wohl des Gemeinwesens. Die Lehre von der Staatsräson setzte sich stärker im kontinentalen Europa durch, das seitdem das polit. Handeln vornehmlich dem Staat und seinen Organen zu-ordnete. Einflussreich für das P.-Verständnis des 20.?Jh. wurde M.?Weber, der unter P. v.?a. den Kampf um die Macht verstand. Diese Ansätze wurden radikalisiert von C.?Schmitt, der das Freund-Feind-Verhältnis als zentral für die P. begriff. Der Marxismus bestimmte P. wesentlich als Klassenkampf. Neuere Strömungen wenden sich gegen die Einengung des Politischen auf seine Macht-struktur und verweisen auf die gesellschaftl. Ordnung als Wirkungsbereich polit. und sozialen Handelns. In den angelsächs. Ländern wurde die Bindung an die Forderungen der prakt. Philosophie nie völlig aufgegeben; der Staat ist das Instrumentarium, das den Interessen der Gesellschaft dienlich zu machen ist. Quelle: Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, 1999

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3. Der Staat

31. Die Entwicklungsgeschichte gesellschaftlicher Steuerungssysteme

Es bestehen zwei Modelle/Prinzipien; Modell I ist Staat als „Familie“, Modell II die „Willensgesellschaft“: Modell I: Das Prinzip "Familie", basierend auf dem Bild des "unmündigen" Menschen: Familie hatte ursprünglich sehr wichtigen Wert und wichtige biologische Aufgabe - Was war das Ziel? à Überleben der Gene . Brut muss vor Feinden geschützt werden und mit Nahrung versorgt werden. Bei den Jägern und Sammlern war auch eher die Frau mächtig [matriarchalisch], da sie zu Hause war. Sippe und Stämme haben eigentlich die gleiche Res Publica. Stammeshäuptling hatte dort die [Konsensual-] Macht. Mut war ein wichtiges Kriterium, um Kompetenz zu beweisen, Häuptling zu wer-den. Man wollte wie eine Familie sein (Indianer: „Bruder“, „Schwester“) Feudalgesellschaft (Blütezeit im Mittelalter): Wesentliches Kriterium der Zugehörigkeit: Bereitstellung von Kriegstruppen, Steuern und Leistungen [Abgaben]. Der Lehenseid (war ein Tauschgeschäft) war das Ritual der Zugehörigkeit. Die Feudalgesell-schaft besteht vor allem aus Beziehungen und weniger aus Territorien [Rittertum]. Territorien zeichneten die Feudalgesellschaft nicht aus. Mitgliedschaft in einer Familie kann nicht ausgeschlossen werden – da-von ging auch die Feudalgesellschaft aus. Legitimation im Mittelalter bereitete Probleme: Es war schwie-rig, Beweise zu erbringen für seine Kompetenz à Fürsten reisten viel à Berichte über Legenden à Gnade Gottes entscheidend (z.B. Krönung eines Kaisers als Machtinstrument des Papstes) Warum sind die Feudalgesellschaften untergegangen?

- Unzufriedenheit der Menschen [„Die Erde war ein Jammertal.“ W. Siegenthaler, 1. SJ] - Ungleichheit (Adel in Frankreich bezahlte keine Steuern; 3. Stand hatte keine Rechte) à „Bruch“ (Französische Revolution!)

Napoleon war Mensch zwischen alter Feudalgesellschaft und modernem Staat (= Übergangszeit). Der Nationalstaat war eine Übergangserscheinung, Volonté Générale (J.-J. Rousseau). Völker sollten Ge-sellschaften und Staaten bilden aufgrund ihrer gemeinsamen Sprache und Kultur. Das Volk sollte auto-nom sein, Rousseau propagierte jedoch nicht die Demokratie. Politische Führung: Vollzieherin des abstrakten Volkswillens (Idee des mündigen Volkes). In der klassischen Industriegesellschaft hatten eher die Frauen das Sagen und die Macht in der Familie. Die Frauen während Industrialisierung entschieden über die Zukunft, sie erzogen die Kinder usw. Der Va-ter arbeitete in der Fabrik und verdiente das Geld. Heute sind Mann und Frau gleichberechtigt und gleichgestellt [Ausnahme: Löhne!]. Form: Ziel ("Res Publica"): Legitimation: Familie: Versorgung, Sicherheit Natürliche biologische Komptenz Sippe, Stamm: Versorgung, Sicherheit Bewiesene biologische Kompetenz Feudalgesellschaft: Versorgung, Sicherheit Gnade Gottes

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Modell II: Das Prinzip "Willensgemeinschaft", basierend auf dem Bild des mündigen

Menschen (Volk oder Individuum): Der Nationalstaat war eine Art Übergangsmodell zum Territorialstaat. Jeder war nun als mündiger Mensch angesehen, die Mündigkeit des Volkes jedoch verlor an Bedeutung. Moderner Territorialstaat [Zugehörigkeit nicht aufgrund ethnischer usw. Zugehörigkeit, sondern auf-grund Leben in gleicher Region – vgl. Umzug in der CH: Man hat sogleich Stimm- und Wahlrecht im neuen Kanton]. Moderner T.-Staat hat sich noch nicht überall durchgesetzt, in Europa jedoch schon. Schweizer waren Pioniere bei der Bildung von Territorialstaaten, in Europa kritisch beobachtet (Demo-kratie, multiethische Gesellschaft).„Die Aufklärung ist im Grunde genommen noch nicht abgeschlossen.“ (Vogel) Was kommt nach dem Territorialstaat? à Etwas anderes kann man sich nicht wirklich vorstellen. Man ist in einer Art von „Endstadium“. Form: Ziel ("Res Publica"): Legitimation: Nationalstaat: Versorgung, Sicherheit, "Volonté générale" Autonomie des Volkes Territorialstaat Versorgung, Sicherheit, Wille der Mehrheit, (Post-nationale Gesellschaft): individuelle Freiheit Meinung des Einzelnen

32. Der moderne Territorialstaat

Der moderne Territorialstaat soll in drei Etappen beschrieben werden: Ziel, Reichweite, Mittel.

321. Das Ziel: Wahrung gemeinsamer Güter und Werte: Sicherheit, Versorgung und Freiheit

Der Umfang der "Res Publica" und die Prioritätensetzung ändern sich über die verschiedenen politischen Ideologien hinweg. Die Auseinandersetzung um den politischen Konsens einer Gesellschaft dreht sich im Wesentlichen um den Inhalt der "Res Publica". Die Res Publica unterliegt einem ständigen Wandel, sie tendiert immer mehr, die Rechte des Individuums zu schützen und nicht mehr die der Familie (aktuelles Beispiel: Scheidungsrecht verkürzt Zeit von Kampfscheidungen von 5 auf 2 Jahre). 1848 bis 1960 führte das Ringen der Res Publica in der CH zu einem Graben: Liberale vs. sozialistische Ideen: Ideologische Position: Prioritäten in der „Res Publica“: Reihenfolge entscheidend!

Liberale Positionen: “Alle sind frei.“ [rechts]

1. Individuelle Freiheit, als freie Entfaltungsmöglichkeiten aller Individuen entsprechend ihren Fähigkeiten (Idee der freien Marktwirtschaft wird auf die Gesellschaft übertragen: Alle sind gleich geboren)

2. Sicherheit (Versorgung, als Folge der freien Entfaltungsmög-lichkeiten der WirtschaftsbürgerInnen steht damit ausserhalb der "Res Publica")

(3. Versorgung)

Sozialistische Positionen: “Alle sind gleich.“ [links]

1. Versorgung, im Sinne solidarischer Umverteilung nach dem Prinzip der Gleichheit, steht hier an erster Stelle

2. Sicherheit, als Resultat solidarischer Gemeinschaftlichkeit 3. Freiheit, als Folge der Gleichheit und damit als Resultat der

solidarischen Verantwortung gegenüber dem Schwächeren

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Ein Kampf um die Verteilung des Sozialproduktes ist entbrannt worden – warum? Quelle dieser Klasenkämpfe ist letztlich die Industrialisierung: Die Parteien haben sich in der Folge mit der gerechten Verteilung der Mehrwerte befasst. Heute besteht eine Art Kompromis zwischen Liberalismus und Sozialismus, die soziale Marktwirtschaft. Der Klassenkampf besteht nicht mehr. Die CH hat Proporzsystem, alle Parteien „überleben“ nebeneinander. Auch kleine Parteien haben eine Anspruchsgrundlage und können bestehen. In GB [und USA] zum Beispiel ist das Majorzsystem vorhan-den (nur zwei grosse Parteien bleiben bestehen) Ideologische Position (Forts.): Prioritäten in der „Res Publica“:

Radikal-demokratische Positionen: “Jeder soll völlig autonom sein und steht im Zentrum von Allem.“

1. Versorgung als Sicherstellung 2. Sicherheit 3. Freiheit:

à Der Begriff der individuellen Freiheit wird viel weiter ge-fasst als bei der liberalen Position (Ideologie der 68er Jahre, Studentenrevolten).

Der Generationenkonflikt in den 68ern führte zu Studentenrevolten, da die Elterngeneration sehr viel an-ders aufgewachsen war [2. WK] als ihre Kinder. Die 68er Bewegung war nicht fähig, Parteien zu grün-den, die ihre Interessen vertreten hätten. Im politischen Leben spielte sie deshalb nie eine wichtige Rolle. Was war die Wirkung und Folge? à Unser heutiges Leben ist anders in verschiedenen Bereichen dank der 68er Bewegung: Beispielsweise im Bereich Erziehung: Selbstbestimmungsrecht des Kindes Frauen und Kinder wurden [in politischen Meinungsbildungsprozess] einbezogen, Teamarbeit wichtig! Post-Industrielle Auseinandersetzung (ca. 1975 – heute):

• Sozial-liberale Positionen

• Ökologisch-sozial-liberale Positionen

• ("Sozial-ökologische Marktwirtschaft")

• Ökologische Positionen Ideologische Position (Forts.): Prioritäten in der „Res Publica“:

Ökologische Position („Grüne“): Ursprung der Grünen Partei: Das Auftauchen der ökologischen Problematik hat zum Aufkommen dieser Bewegung geführt. Die Grünen hatten – ähnlich einem Strohfeuer – grosse Anfangs-erfolge zu verzeichnen. Die Rezession in den Dreissiger[?] Jahren: Die ökonomischen verdrängten die ökologischen Probleme. Prioritäten wie üblich bei radikal-demokratischen Positionen: 1. Versorgung 2. Sicherheit: Nicht vor Kriegen, sondern als Prävention vor ei-

ner lebensbedrohenden Manipulation des Ökosystems durch den Menschen!

3. Freiheit als Folge der Erhaltung des Ökosystems und damit als Resultat solidarischer Verantwortung gegenüber der Natur und Umwelt

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(Neo-) Republikanische Positionen: „Rechtsradikalismus“

“Ist Folge der europäischen Integ-ration und der verstärkten Immi-gration.“

1. Sicherheit des Staates und des Volkes vor äusseren und inne-ren Bedrohungen (Wohl des Volkes zentral)

2. Freiheit als Autonomie des Volkes 3. Versorgung als Resultat der Volksautonomie

Repetition zum Vorangegangenen:

Man betrachtet die drei Grundsätze ‚Versorgung’, ‚Sicherheit’ und ‚Freiheit’ in unterschiedlicher Wichtigkeit. Warum gewinnen resp. verlieren Parteien?

– Ist ähnlich wie in einem Markt! Man kauft (wählt) das, was man als knapp empfindet (z.B. beim Eindruck, dass die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet seien, wählt man grün – wenn man Angst vor „dem Ausverkauf der Heimat“ hat, wird man eher rechts wählen usw.)

Die „Sonntagsfrage“

Welche Partei würde gewinnen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären?“ -- - 0 + ++ Anteile (1999):

1. SD ¦ ? ý ? 1.0%

2. SVP ? ¦ ? ý 22.5%

3. FDP ¦ ? ? ý 20.0%

4. CVP ? ý ¦ ? 16.0%

5. SPS ¦ ? ? ý 22.5%

6. GPS ¦ ? ? ý 5.0%

¦ = Tobi ? = Blacky ? = Beat (unsere Gruppe) ý = Besprechung mit Dozent H. Vogel Für welche Werte stehen die folgenden Parteien?

Ø SP: Soziale Sicherheit

Ø FDP: Liberale Position (Freiheit, Freies Unternehmertum, Nachtwächterstaat, d.h. der Staat soll nur dort eingreifen, wo es die Privatwirtschaft nicht mehr alleine schafft)

Ø SVP: („Ueli Maurer sagt: Das Potential der SVP liege bei 51%! Eine magische Grenze ist auch die 25%-Marke.“)

Ø CVP: Familie und Kirche – ist aber sehr heterogen (verzettelt) – könnte ev. ein Zusam-menschluss mit FDP geben (die extremen Teile der beiden Parteien wären aber nicht zu-frieden damit)

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Die Konvergenz-Theorie:

Fragestellung: Warum haben sich die grossen liberalen und die grossen sozialdemokratischen (ehemals sozialistischen) Parteien angeglichen? Die Angleichung politischer Ideologien im Ablauf regelmässiger periodischer Wahlgänge: Klassenkampf (Westeuropa 1850 - ca. 1960): Liberale Positionen

Sozial-liberale Positionen (Konvergenz: „Annäherung, ("Soziale Marktwirtschaft") Übereinstimmung“)

Sozialistische Positionen Die Folgen der Parteien-Konvergenz: Spielraum- und Einflussverlust der Parteien der Mitte Profilverlust der beteiligten Parteien und gleichzeitig Polarisierung in untergeordneten politischen Positio-nen Spielraum- und Einflussgewinn für Randparteien Gründe für diese Annäherung:

- Können isoliert (ohne die andere) nicht funktionieren (HAC) - Hat sich im Laufe der Geschischte so entwickelt – (z.B. Sozialismus: Proletariat gibt’s nicht mehr) - Gauss’sche Glockenkurve

Zeichnung 1: Gauss’sche Glockenkurve rot - blau

Erklärung: Auf der Suche nach zusätzlichen Wählerstimmen versuchen die „Roten“ und die „Blauen“, sich nicht nach aussen zu orientieren, sondern nach innen – dort ist der Anteil Wähler pro Schrittchen grösser – wollen „in die Mitte“!

links: sozialistisch /

sozial

rechts: liberal

rot (sozial) blau (liberal)

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Das hat folgende Effekte zur Folge: 1. Effekt: Die grossen Parteien dehnen sich nicht aus, sondern verschieben sich. Dadurch wird ganz rechts und ganz links Platz frei für neue Parteien (rechts: Autopartei / links: POCH) 2. Effekt: In der Mitte gräbt man den grossen Parteien das Wasser ab. Neue Parteien positionierten sich bewusst in der Mitte und boten an, über den Graben zu vermitteln = LdU (Landesring der Unab-hängigen – Duttweiler: Idee des „sozialen Kapitals“) 3. Effekt: Parteien bekriegen sich hart – Auseinandersetzungen werden typischerweise in einem „Verdrän-gungsmarkt“, denn man muss sich hartnäckig auf die kleinen Details konzentrieren, um sich in der Mitte noch voneinander zu differenzieren.

Mit der Gauss’schen Glockenkurve lässt sich auch der Erfolg der SVP erklären:

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Pakts sah die Situation hin-sichtlich Landesverteilung und Neutralität neu aus: Der Konsens begann sich aufzusplitten, die Parteien begannen, sich hinsichtlich Landesverteidigung und Neutralität zu positionieren:

Zeichnung 2: Erfolg SVP

Erklärung: à rechts gab es ein Vakuum (ein Teil der konservativen Bürger wurden im Regen stehen gelas-sen – diese begann die SVP nun abzuholen. Es wird teilweise durch Umfragen bestätigt, dass die SVP ihre Wähler mit der nationalen Position abholt (die untersten Einkommensklassen mit dem Ruf nach Steuersenkung abzuholen, wäre nicht sehr gescheit). Wenn sich die nationale Frage noch mehr beruhigt (UNO-Beitritt ist nun er-ledigt) und sich die Migrationsproblematik auch noch beruhigt, dann wird die SVP wohl wieder Stimmen verlieren, man wird wieder mehr FDP wählen.

SVP

FDP

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3. Zeichnung: links-rechts-Schema im Sinne von technik- vs. naturorientiert

Problem der Grünen Partei Schweiz:

Wenn das eine Thema einer 1-Themen-Partei verschwindet oder durch ein anderes, wichtigeres Thema überlagert wird, dann verliert diese Partei an Wichtigkeit oder sogar ihre Existenzberech-tigung!

Folgerung Dozent: à Das Links-Rechts-Schema ist eine zu einfache Darstellung unseres politischen Systems!

Ursprünglich war linke Seite für sozialistische Ansicht und rechte Seite für liberale Ansicht reser-viert. Für CH sollte man zumindest zwei Dimensionen einschliessen Zeichnung 4: Positionierungskreuz der Schweizer Parteien

GPS (Grüne Partei

Schweiz)

links: technologieorientiert, wachstumsfreundlich

rechts: naturorientiert,

wachstumsskeptisch

(Alle anderen Pareiten)

INTERNATIONAL

NATIONAL

LIBERAL SOZIAL

CVP

SD SVP

Klares Profil!

GPS

FDP SP

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Daraus ergeben sich folgende „natürlichen“ Koalitionen:

- hinsichtlich INTERNATIONAL: SP mit FDP (inkl. CVP)

- hinsichtlich NATIONAL: SD (Schweizer Demokraten) mit SVP

- hinsichtlich LIBERAL: FDP mit SVP

322. Die Reichweite: Territorium und Volk

Die Zugehörigkeit zum modernen Territorialstaat und die Reichweite des territorialstaatlichen Steuerungs-systems werden durch die territorialen Grenzen bestimmt. Andere Zugehörigkeiten ethnischer, reigiöser oder genealogischer (Familien, Sippen, Stämme, Aristokratien) Art spielen dabei keine oder eine unterge-ordnete Rolle. Das genealogische Zugehörigkeitsprinzip ist allgemein in der Weltgesellschaft weitgehend verschwunden (Reste zum Beispiel noch bei al-Qaida, Mafia). Das ethnisch-religiöse Zugehörigkeitsprinzip des Nationalstaates ist erst in fortgeschrittenen Gesellschaf-ten in Ablösung durch die bloss territoriale Zugehörigkeit begriffen (z.B. Israel!). Diese Gesellschaften zeichnen sich durch liberal-demokratisch geprägte politische und expansiv-kapitalistisch geprägte wirt-schaftliche Wertvorstellungen aus: Zurzeit sind in Europa reine Nationalstaaten, Mischformen und reine - d.h. "supranationale" - Territorial-staaten vertreten: "Supranationale" Territorialstaaten: z.B. Schweiz, EU Mischformen: z.B. Deutschland, Frankreich, auch Grossbritannien Nationalstaatliche "Renaissance": z.B. Republiken der ehemaligen Sowjetunion, Staaten des ehemaligen Jugosla-

wien, Tschechien, Slowakei (Symptome des übersteigerten Nationalismus: Eth-nische Säuberungen, Massenvergewaltigungen usw. – ähnlich denjenigen Pha-sen, die Territorial und Mischstaaten in Geschichte auch durchgemacht hatten.

à Je verflechteter Staaten sind, (Wirtschaft, Handel von demokratischen Staaten), umso grösser die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich nicht bekriegen, um sich dadurch nicht selber zu schaden! Die weltweit, aber phasenverschoben (von Kontinent zu Kontinent) stattfindenden Übergänge der staatli-chen Zugehörigkeitsprinzipien waren und sind mit erheblichen Destabilisierungen verbunden: 19. Jahrhundert: Aufstieg der Nationalstaaten in Westeuropa

(Deutschland, Italien usw.) und in Südamerika Grundlage: Rousseau – Volonté Générale

20. Jahrhundert: Aufstieg der Nationalstaaten in Afrika (z.B. Zaire, Ruanda, Burundi,

Liberia, Eritrea), im Nahen Osten (z.B. Israel/Palästina, Islamische Staaten, Kurdistan) und Asien (z.B. China, Vietnam, Indien, Pakistan) Renaissance des Nationalstaates in Osteuropa (z.B. Serbien, Kroa-tien, Weissrussland, Russland, Slowakei) Aufstieg des Territorialstaates in Westeuropa (EU)

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?. Jahrhundert (Vision): Aufstieg eines globalen Territorialstaates unter Führung der UNO

(oder ähnlicher Nachfolgeorganisation) im Rahmen aktueller Versu-che einer "Weltinnenpolitik" (einer globalen "Res Publica") entlang der drei Säulen: - Sicherheit: Peace-keeping, Peace-enforcement, Internationale

Gerichtsbarkeit, Anti-Terrorismus - Freiheit: Menschenrechte

(Basis: UN-Menschenrechtskommission) - Versorgung: Globalisierung der wirtschaftlichen Freizügigkeiten:

Güter (WTO), Dienstleistungen (WTO), Kapital (Weltbank-Gruppe), Personen – hier ist die globale Res Publica heute am meisten fortgeschritten: WTO, IWF (Internationaler Währungs-fond)

…oder neo-nationalistische Hegemonie der USA?

- theoretisch könnten die USA den Rest der Welt mit ihren Atomwaffen bekriegen (HAC: wird nicht auftreten, da de-mokratische Wurzeln und wirtschaftliche Verflechtung)

…oder andere Szenarien?

- USA wird in 100 Jahren nicht mehr führend sein (Tobi) Der Kampf um die Reichweite staatlicher Steuerung: Im Zeitalter des Nationalstaates (Übergang vom Feudal- zum Nationalstaat): Krieg und Eroberung Im Zeitalter des Territorialstaates (Übergang vom National- zum Territorialstaat): friedlicher, Konkurrenz um Standortvorteile und Einfluss im Rahmen von Kooperation und Integration

323. Die Mittel: Herrschaft, Legitimation und der Wille des Volkes - die Verfassung

Die politische Herrschaft des modernen Territorialstaates beruht auf der Verfassung, welche die zentralen Normen der „Res Publica“ zusammenfasst und über die ein gesamtgesellschaftliches Einverständnis be-steht. Diese Normen der Verfassung betreffen vor allem die folgenden zentralen Mittel der politischen Herr-schaft des Staates: Vollzugsgewalt des Staates: - Souveränität (Primat) des Staates:

Absolute Hoheit des Staates - Nach aussen: Völkerrechtliche Souveränität begrenzt durch die Normen des Völkerrechtes. - Nach innen: Staatsrechtliche Souveränität begrenzt durch die Normen der individuellen Grundrechte

- Gewaltmonopol des Staates:

Recht des Staates, als einziger gesellschaftlichen Akteur Gewalt innerhalb normierter Regeln anzu-wenden, um legitimierte Anliegen durchzusetzen (z.B. Polizei, Busse bei Armee-Dienstverweigerern)

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Legitimation (Rechtfertigung) des Staates - Der Wille des Volkes: „Der Wille des Volkes hat immer Recht!“ – vgl. auch USA: Rotary – hatte Wahl vor dem US-Supreme Court, sich aufzulösen oder Frauen zuzulassen – Wenn es darum geht, den Willen der Demokratie durch-zusetzen, kann die Demokratie ganz schön ihre Zähne zeigen! Formen der Realisierung des Volkswillens im modernen Territorialstaat: Legitimation Politik-„Stil“ Umfeld Stärke Menschenbild

Diktatur Charisma („Führerkult“)

affektiv bedrohend Effizienz unmündig

Plebiszitäre Diktatur

Leistung

Repräsentative Demokratie

Mehrheit

Referendums-demokratie

Mehrheit/Konsens

Direkte Demokratie

Konsens kognitiv sicher Stabilität mündig

Warum Begriff „Repräsentative Demokratie“? - Volk wird durch Parlament repräsentiert, vertreten. I.d.R. gilt: „The Winner takes it all!“ – siehe Deutschland: mit kleiner Mehrheit Gesamtregierung stellend „affektiv“: gefühlsbetont „kognitiv“: die Erkenntnis betreffend

Obligatorisches Referendum: Der Parlamentsentscheid ist lediglich ein Vorschlag (BV-Änderungen und Staatsverträge) Fakultatives Referendum: 50'000 Unterschriften können es verlangen. In einer Referendumsdemokratie tendiert man dazu, die Exekutive breit abzustützen (sog. „Koalli-tionsregierungen“ - so z.B. die bundesrätliche Zauberformel: Man hat 90% der Wählerstimmen und will so verhindern, dass es zu Referenden kommt.

Direkte Demokratie: Auf Gemeindeebene vorhanden – wenn ALLE (ohne Parlament) entscheiden - kognitiv heisst, man muss die Leute mit Sachargumenten überzeugen, nicht durch blendende geschliffene Rhetorik oder mit Militärparaden – siehe auch Blocher: er ist kein guter Rhetoriker, sondern ein Mann wie du und ich, bleibt nüchtern – wird geschätzt von den Wählern. Selbstinszenierer und Blender haben hier keine Platz! Damit lässt sich auch erklären, warum i.d.R. in der CH die Wahlbeteiligung tief ist, da alles ein bisschen langweilig ist.

CH ist ein Gemisch zwischen Repräsentativer und Referendumsdemokratie.

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III. Teil – Das internationale System (Konflikt und Kooperation – das internationale System nach dem Kalten Krieg)

1. Integration – Voraussetzungen und Prozesse am Beispiel der EU

[siehe auch Skript ZGS 04 Europäische Integration, 2. SJ ZHW sowie Handout der EU-Instanzen!] (Supranation = Zusammenschluss von zur Zeit 15 Staaten)

Zweck der Europäischen Union:

Ø Etablierung eines einheitlichen Binnenmarktes:

Seit Maastrichter Verträgen (1993) Etablierung Wirtschaftspolitik - Austausch von:

• Kapital • Gütern • Dienstleistungen • Arbeitskräften (Personen)

Später sind auch der aussenpolitische Bereich dazugekommen: Ø GASP (Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik) – läuft aber mit europ. Integration nur harzig Daneben gibt es noch einen dritten Bereich, der etwas weniger bekannt ist, nämlich Ø Gemeinsame Innen- und Justizpolitik Wirtschaft und die innere Politik sind sehr weit fortgeschritten. Der Trend der EU wird immer stärker (auch mit Rückschlägen). Europäische Union, Abk. EU, durch den am 1.?11. 1993 in Kraft getretenen Vertrag über die EU (Maastrichter Vertrag) gegründeter polit. und wirtsch. Zusammenschluss der Mitgl.staaten der EuropäischenGemeinschaften (EG). Ziele der EU sind die Förderung des sozialen und wirtsch. Fortschritts durch einen Raum ohne Binnengrenzen und eine Wirtschafts- und Währungsunion; eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Mitgl.staaten, zu der zu einem späteren Zeitpunkt auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik gehören soll; die Stärkung der Bürgerrechte der Angehörigen der Mitgl.staaten durch die Einführung einer Unionsbürgerschaft; die Wahrung und Weiterentwicklung des bisher im Rahmen der EG Erreichten. Zur Wahrung der Kontinuität und der Kohärenz der Maßnahmen der Union wurden die Zuständigkeiten der Organe der EG erweitert, sodass diese zugleich Aufgaben der EU wahrnehmen (einheitl. institutioneller Rahmen). Grundlage der EU sind die um die EWWU ergänzten EG (»erste Säule«), die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (»zweite Säule«) und die Zusammenarbeit der Mitgl.staaten in den Bereichen Justiz und Inneres (»dritte Säule«). Die beiden letztgenannten Bereiche machen die Polit. Union aus; sie verbleiben jedoch auf der Ebene der intergouvernementalen Zusammenarbeit, d.?h., die Staaten der EU arbeiten hier letztlich nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zusammen; im Ggs. zu den Maßnahmen im Rahmen der supranat. EG müssen Entscheidungen hier einstimmig getroffen werden und gelten nicht direkt im Recht der Mitgl.staaten. Die EU ist eine neuartige Staatenverbindung, die als Staatenbund oder Internat. Organisation eigener Art bezeichnet wird, in deren Rahmen sowohl die EG als auch die Mitgl.staaten ihre eigene Rechtspersönlichkeit bewahren.

Schengener Abkommen, internat. Abkommen zw. einigen Mitgl.staaten der EU über den schrittweisen Abbau der Grenzkontrollen sowie über eine gemein-same Sicherheits- und Asylpolitik; benannt nach dem luxemburg. Ort Schengen, in dem am 14.?6. 1985 zw. Belgien, der Bundes-rep. Dtl., Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden die Vereinbarung geschlossen wurde, ab 1.?1. 1991 (der Termin konnte nicht eingehalten werden) auf Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen zu verzichten (Schengen?I). Nähere Regelungen wurden im Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) vom 19.?6. 1990 (»Schengen II«) vereinbart, dem auch Griechen-land, Italien, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien beitraten, das aber erst am 26.?3. 1995 in Kraft getreten ist. Diese Zu-satzvereinbarung sieht Maßnahmen zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und zur Verbrechensbekämpfung nach Wegfall der Grenzkontrollen sowie die Einrichtung eines gemeinsamen polizeil. Fahndungs- und Informationssystems in Straßburg vor. Durch den Vertrag von Amsterdam wird der gesamte so genannte Schengen-Besitzstand in das Vertragswerk über die Europ. Union über-führt (Ausnahmeklauseln für Dänemark, Großbritannien, Irland). © 1999 Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG

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Integration - Ein allgemeines Modell:

Integrationsdynamik:

1. Phase: Entstehung (EU: Ziel Friedenssicherung nach dem 2. WK – “Kooperation statt Konfrontation“

– aber Problem EU: Grenzen wurden bei Gründung nicht definiert)

2. Phase: Erweiterung (z.B. geografische Erweiterung – dieses Problem hat die CH nicht mehr,

die EU jedoch schon mit der Osterweiterung: „Grosser, schwieriger Brocken!“ – einerseits Zuversicht, dass es schon einmal geklappt habe mit Griechenland usw.

- andererseits aber Problempunkte: Begehrlichkeiten; ständige Erweiterung unabsehbar)

3. Phase: Vertiefung (z.B. engere Zusammenarbeit – Voraussetzung: Muss aber zügig vorangehen - ist bei EU sehr problematisch, da Erweiterungsphase nicht abgeschlossen)

Konvergenz: Prozesse/Verfahren: [„Annhäherung, Übereinstimmung“] Zwei Prozesse, die wichtig sind und idealerweise ineinander greifen: Ähnlichkeit (Wirtschaft, Kultur/gemeinsame

Wertsysteme, v.a. aber politisches System!) Emergenz-Prozesse als Voraussetzung: mindestens ähnliche Verfassungen Auftreten neuer, nicht voraussagbarer à hier liegt Schwierigkeit bei allf. EU-Integr. der Türkei Qualitäten b. Zusammenwirken mehrerer Faktoren Gemeinsame Chancen / Risiken Konstitutionelle Prozesse In Bezug auf EU-Osterweiterung: Chancen Markt- Das, was den Bedürfnissen der

erweiterung /-transparenz/Technologietransfer, Chancen Bevölkerung entspricht, rechtzeitig der Stabilität bei wirtschaftlicher Verflechtung und (nicht zu früh oder zu spät) erkennen Durchmischung Risiken der Überschwemmung aus bis- (z.B. nach einer gemeinsame Währung) herigen EU-Staaten, neue Länder könnten zu „Absatzkolonien“ verkommen (CH: Ging auch etwa 500 Jahre bis

Bundesstaat geschaffen war) Cross-Cutting Cleavages

(= sich überschneidende Teilmengen Spill-Over-Prozesse = „Sachzwänge der Integration“, die aus einem Bereich in einem anderen von sich aus entstehen (Voraussetzungen, dass die Dynamiken funktionieren: Konvergenz = was Mitglieder mitbringen müssen) Cross-Cutting Cleavages (= sich überschneidende Teilmengen):

Zum Beispiel Kultur, Religion, wirtschaftliche Interessen, sprachliche Verteilung, welche in verschiedenen Ländern teilweise gleich sind (sich überschneidende Segmentierungen, die aber von Thema zu Thema nicht deckungsgleich sind) à je überschneidender diese Teilmengen sind, umso besser funktioniert eine Integration (Bsp. CH: Wenn Katholiken etwas erreichen wollen, müssen sie sich über die Kantonsgrenzen hinweg vereinen)

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In der EU funktionieren die Cross-Cutting Cleavages nicht. Eine der sich überschneidenden Teilmenge ist die Religion - „Katholische Kirche“ hat heute praktisch keinen Einfluss mehr. Ansonsten gibt es wenig Teilmengen, die sich über die EU-Länder hinweg überschneiden, sondern einen grossen Unterschied zwi-schen Nord- und Südeuropa (Sprachen, wirtschaftlicher Fortschritt usw.).

à Fazit: Funktioniert in EU nicht so ideal wie in CHF. Wenn der Osten dazukommt, dann sind weitere Probleme vorprogrammiert (auch wieder Sprachprobleme usw.). Allerdings gibt es keine dramatischen Kumulierungen. à Weiteres grosses Problem der EU: Einzelne Länder haben immer noch Vetorechte. Bei Vergrösserung der Union droht die Entscheidungsgewalt der EU aufgrund der zahlreichen Vetorechte unterzugehen. à Weiteres Problem: Verschiedene Geschwindigkeiten in gewissen Prozessen (z.B. Währungsunion: Dä-nemark und GB machen nicht mit) à Gefahr der Konfrontationen, gespaltene Lager usw.

Die Organe der Europäischen Union

Das europäische Parlament ist nicht gesetzgebend, es hat keine grosse Bedeutung. Ministerrat ist vergleichbar mit dem Schweizer Ständerat. Der Ministerrat ist das mächtigste Organ in der EU. Die EU ist sehr föderalistisch (Föderalismus [frz., zu lat. foedus »Bündnis«, »Staatsvertrag«] der, ein Ges-taltungsprinzip von Staaten, das der übergeordneten Gewalt nicht mehr Regelungsbefugnisse gegenüber nachgeordneten Gewalten einräumt, als im Interesse des Ganzen geboten ist. Typen des F. auf völker-rechtl. Grundlage (völkerrechtl. Staatenverbindungen) sind v.a. der Staatenbund (Konföderation, z.B. USA 1778?87, Dt. Bund 1815?66), aber auch Personal- und Realunion: Die Souveränität der Mitgl. bleibt unangetastet (keine gemeinsame Staatsgewalt), aber die Verbindung stellt ein völkerrechtl. Subjekt dar. Als dauerhafteste polit. Gestaltung des F. hat sich der F. auf staatsrechtl. Grundlage im Bundesstaat er-wiesen, der aus Gliedstaaten zusammengesetzt ist, die teilweise Staatsgewalt behalten (z.B. USA, Schweiz, Dtl., Österreich). Die Gesamtstaatsvertretung nach außen liegt stets bei der Zentralgewalt.). Das politische System der EU im Vergleich mit der Schweiz: EU: Exekutive Legislative Judikative Konkordanz Europäische Kommission (Es gibt ebenfalls eine Zauberformel)

Volk (Volkskammer): Europäisches Parlament (626 Abgeordnete = plafoniert, also maximale Zahl – Schlüssel aber noch nicht definiert) Länder: Europäischer Rat, Rat der Europ. Union

Europäischer Gerichts-hof [Den Haag]

Ausschuss der Regionen (AdR) Wirtschafts- und Sozial-ausschuss (WSA) Begriff in der EU für Konkordanz oder Hang zu Komitees: „Commitologie“

Schweiz: Exekutive Legislative Judikative Konkordanz Bundesrat Volk (Volkskammer):

Nationalrat (200) Länder: Ständerat (Konferenzen der Kantonsregierungen)

Bundesgericht [Lausanne]

Verbände und Kommissionen

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Gemeinsamkeiten – Unterschiede der politischen Systeme der EU und der CH: Die EU ist in Ihrem Integrationsprozess deutlich weniger weit fortgeschritten als die Schweiz. Ausserdem ist es eine „offene“ Integration, die gleichzeitig Vertiefung und Erweiterung anstrebt. Die Schweiz hat demgegenüber die Erweiterung mit dem Bundesstaat 1848 abgeschlossen. In der EU hat die einzelstaatliche Machterhaltung durch Autonomie und Beteiligung an der zentralen Führung und der Konkordanz (Zauberformeln, Kommissionen) grössere Bedeutung. Der Integrationsprozess ist aber in beiden Systemen noch im Gang (Schweiz: z.B. Koordination Fachhoch-schulen). (à Gewaltenteilung: Man sollte darauf achten, dass die Exekutive nicht allzu viel Macht hat.) Unterschied Legislative: EU-Parlament hat sehr wenig zu sagen, in der CH hat Parlament (Eidg. Bundes-versammlung = NR + SR) einen grossen Einfluss. Es kann alleine entscheiden, während dem das Europäi-sche Parlament nur Mitentscheidung, Abstimmung, Anhörung – das letzte Wort hat der Ministerrat. Die Mitgliedländer achten darauf, dass das EU-Parlament nicht zu viel zu sagen hat. Das ist darauf zurückzu-führen, dass die EU sehr föderalistisch ist, d.h. die Mitglieder der Mitgliedstaaten vertreten ihre eigenen Staatsinteressen und sind nicht eine Instanz der EU wie das EU-Parlament. Rat (vormals Ministerrat): Gehört ebenfalls zur Legislative. Sind die Fachminister einzelner Länder. Vorsitz hat jeweils der Minister des das Präsidiums führenden Landes: Zur Zeit Portugal, davor Dänemark – viel zu schneller Rhythmus („Jeder will mal.“ PYS): Sobald eingearbeitet, wechselt Vorsitz schon wieder, das ist problematisch! Lässt sich mehr oder weniger mit SR in der CH vergleichen (besser noch Deutscher Bundesrat – dort sitzen die Ministerpräsidenten der Bundesländer). Die beiden Räte (zusammenfassender Begriff „Ministerräte“) haben bremsende Wirkung. Entsprechen der Urschweizerischen Tagsatzung. Ist ein Indiz dafür, dass Integrationsstatus der EU etwa das Niveau der Schweiz von ca. 1830 hat – es gibt noch keine eigene Verfassung, die Exekutive hat noch nicht die volle Macht, wie das bei der Einführung des CH-Bundesrates der Fall war. Die Ministerräte existieren in der CH in informeller Art ebenfalls, nämlich als Eidg. Versammlungen der Erziehungsdirektoren, der Baudirekto-ren, der Justizdirektoren usw. Die EU ist nicht sehr demokratisch, was aber nicht darauf zurückzuführen ist, dass sie diktatorisch ist, sondern dass sie sehr föderalistisch ist. Gemeinsamkeit Exekutive: Zauberformel existierend, nach Ländern. Vorsteher (= Kommissionspräsident zur Zeit: Prodi (ITA). Unterschiede: Ist das einzige Gremium in der EU, welches Vorschläge zur Weiter-entwicklung der EU geben kann – die anderen können dazu ja oder nein sagen. Kommission ist also ein konstruktives, aber ein rel. schwaches Gremium. Das Parlament und die Kommission sind die einzigen beiden Institutionen der Europäischen Union. Ihre Mitglieder sind vereidigt auf Europa, und nicht auf ihre Herkunftsländer. Die Funktionsträger von Euro-päischem Rat und Ministerrat sind auf ihre eigenen Länder vereinigt und nehmen deshalb oft eine Ge-genposition zu Parlament und Kommission ein.

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Übersicht aus: Zbinden, Martin, Die Institutionen und die Entscheidungsverfahren der Europäischen Union nach Amster-dam, Stämpfli Verlag, Bern 1999 1. Die Europäische Kommission

a. Wesen und Mitglieder:

Die Kommission (bzw. die Hohe Behörde der EGKS) stellt als von den MS (Mitgliederstaaten) un-abhängige, supranationale Behörde die originellste institutionelle Schöpfung der Gemeinschafts-verträge dar. Sie besitzt teilweise weitreichende Legislativ- und Exekutivbefugnisse, die deutlich in die nationalstaatliche Souveränität eingreifen.

Das Kommissionskollegium setzt sich aus insgesamt 20 Mitgliedern zusammen, wonach die An-zahl vom Rat einstimmig geändert werden kann. Die Mitglieder der Kommission müssen Staats-angehörige der MS sein, auf Grund ihrer Befähigung ausgewählt werden und Gewähr für ihre Unabhängigkeit bieten. Die grossen MS (D, F, I, GB und E) stellen je zwei Staatsangehörige, die übrigen je einen.

Die Kommission ist als von den MS und anderen EG-Organen unabhängiges Kollegialorgan kon-zipiert. Die Kommissionsmitglieder müssen ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit ausüben, ins-besondere gegenüber ihren Heimatstaaten und –regierungen, und sind dem allgemeinen Wohl der EG verpflichtet.

b. Aufgaben und Funktionen:

Die Kommission hat das Initiativmonopol in Sachen Rechtsetzung und ist somit Initiatorin der Gemeinschaftspolitik oder der „Motor der Gemeinschaft“. Nur sie kann, von wenigen Ausnah-men abgesehen, dem Rat oder dem Rat und dem Parlament Rechtsetzungsvorhaben vorlegen – „La Commission propose, le Conseil dispose.“

Die Kommission ist zuständig für die Kontrolle, d.h. für die Einhaltung der vertraglichen Ver-pflichtungen durch die anderen Institutionen und durch die MS. Sie ist die „Hüterin der Verträ-ge“. Die Kommission kann auch gegen Rechtsverstösse von Rat, Parlament, Währungsinstitut oder Europäischer Zentralbank vorgehen, mittels Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklage vor dem EuGH. In bestimmten Gebieten kann sie ferner gegen Verstösse natürlicher und juristischer Per-sonen vorgehen, z. B. im Wettbewerbsrecht.

Grundsätzlich kommt die Exekutivgewalt auch für dem EU-Recht unterstehenden Bereiche den einzelnen MS zu. Nur in sehr wenigen Gebieten, z.B. im Wettbewerbsrecht, bei den staatlichen Beihilfen, [...] hat die Kommission eigene Exekutivkompetenzen.

Die EU-Kommission erstellt den Vorentwurf des Haushaltsplanes, der von Rat und EP entschie-den wird. Die Kommission verwaltet den grössten Teil der für die Gemeinschaftspolitiken vorge-sehenen finanziellen Mittel, inklusive der meisten Fonds (Landwirtschaft, Sozialfonds etc.).

Die Kommission ist zusammen mit dem Rat für die verschiedenen Politiken der Gemeinschaft verantwortlich, insbesondere der Aussenwirtschafts- und Entwicklungspolitik einerseits sowie der GASP andererseits.

2. Der Rat der Europäischen Union und der Europäische Rat

a. Wesen und Mitglieder:

Der Rat der Europäischen Union (nachstehend: der Rat) und der Europäische Rat sind die Ge-meinschaftsinstitutionen, in denen sich der Ausgleich zwischen den Einzelinteressen der MS und dem Gemeinschaftsinteresse vollzieht. Die Einzelinteressen der MS werden durch die Delegatio-nen der Regierungen der MS, das Gemeinschaftsinteresse durch die Kommissionsdelegation ver-treten. Doch auch der Rat und der Europäische Rat sind als EU-Verfassungsorgane als solche auf die Unionsziele verpflichtet. Der Rat der Europäischen Union ist die Institution, in der die Regie-rungen der MS vertreten sind.

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Ursprünglich waren nur die Aussenminister eigentliche Mitglieder des Rates. Doch bald gingen diese dazu über, bei eher technischen Fragen fallweise auch Fachminister beizuziehen. Heute tagt der Rat auf Ministerebene entweder als Allgemeiner Rat (Rat für allgemeine Angelegenheiten) oder als Fachministerrat. Der Allgemeine Rat setzt sich in der Regel aus den Aussenminsitern zu-sammen, die zur Zeit 22 verschiedenen Fachministerräte aus den jeweiligen Fachministern.

Ministerräte bestehen für die folgenden Bereiche: Binnenmarkt; ECOFIN; Landwirtschaft; Fische-rei; Energie; Verkehr; Haushalt; Umwelt; Soziale Fragen; Bildung; Kultur; Jugend; Gesundheit; Konsumentenschutz; Forschung; Entwicklungszusammenarbeit; Telekommunikation; Industrie; Tourismus; Zivilschutz; GASP sowie Rat Justiz und Inneres.

b. Präsidentschaft:

Die Präsidentschaft des Rates obliegt jeweils während 6 Monaten je einem Mitgliedstaat. Der Turnus der MS wird vom Rat einstimmig beschlossen. Als Präsident des Rates wird dabei der Vor-sitzende des Allgemeinen Rates bezeichnet, in der Regel also der Aussenminister des Vorsitzlan-des. Letzte Präsidentschaften hatten Spanien (1.1.-30.6.2002), Dänemark (1.7.-31.12.2002). Zur Zeit (1.1.-30.6.2003) liegt sie bei Griechenland.

c. Aufgaben und Funktionen:

Rechtsetzung (nur auf Initiative der Kommission, also nicht von sich aus legislativ); Haushalt (legt Einnahmen der EU fest und entscheidet, teilweise zusammen mit dem Parlament, über die Ver-wendung der Mittel); Kontrolle (mittels spezieller Ausschüsse, z.B. die Kontrolle über die Wahr-nehmung von delegierten Exekutivkompetenzen); Ernennungen (der Mitglieder der Kommission, des EuGH, des Gerichts Erster Instanz, des Rechnungshofes, des Wirtschafts- und Sozialausschus-ses und des Ausschusses der Regionen, auch Präsident und Direktoren der Zentralbank); Koordi-nation mitgliedstaatlicher Politiken; Aussenbeziehungen (Vertretung der EU gegen aussen); 2. und 3. Pfeiler (Hauptverantwortung für alle Aufgaben).

d. Der Europäische Rat:

Hat sich aus der Praxis der Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs entwickelt. Der Europä-ische Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der MS sowie aus dem Präsidenten der Kommission zusammen. In der Praxis entsendet jedoch nur Frankreich seinen Staatschef, alle an-deren MS ihren Regierungschef.

Aufgabe ist es in erster Linie, den Aktivitäten der Union die notwendigen Impulse zu verleihen sowie allgemeine politische Zielsetzungen und Richtlinien festzulegen.

3. Das Europäische Parlament

a. Wesen und Mitglieder:

Das EP dient insbesondere der demokratischen Legitimierung und Kontrolle der Europäischen Gemeinschaft. Es ist zu beachten, dass das EP zwar die direkteste, aber nicht die einzige Quelle der demokratischen Legitimität der Union ist. Das EP setzt sich aus delegierten Mitgliedern der nationalen Parlamente zusammen. Zum heutigen Zeitpunkt (EU mit 15 Mitgliedstaaten) besteht das EP aus 626 Sitzen. Die Sitzverteilung erfolgt nach der Grösse der MS (z.B. D = 99; UK/F/I = 87; E = 64 usw.).

b. Aufgaben und Funktionen:

Rechtsetzung; Allgemeine deliberative Funktion; Kontrollfunktion (Anfragen, Berichte, Misstrau-ensantrag gegen die Kommission, Klagerecht, Bürgerbeschwerden, Untersuchungsausschüsse); Ernennungen, Haushalt, Aussenbeziehungen (Zustimmung zu Beitritts- und Assoziierungsverträ-ge mit anderen Staaten). Sachgeschäfte werden durch (ständige) Ausschüsse vorbereitet. Das EP verfügt über ein Generalsekretariat (Generalsekretariat des Europäischen Parlamentes). Es verfügt über acht Generaldirektionen (DGs) und den Juristischen Dienst des EP.

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4. Die beratenden Ausschüsse und weitere Institutionen

4.1 Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA)

Ist ein beratendes

HIER WEITER IM EU-BUCH (grün)

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2. Konflikt – Eine Typologie des Krieges

Kalkulierter Krieg:

Typ Zweck Ende / Verlauf Beispiele Eroberungskrieg Häufigkeit: â

Aneignung strategi-scher Vorteile (hinsicht-lich Ressourcen)

(„rationaler Krieg“) Ende bei Zielerreichung / Ermü-dung / Vermittlung / Kosten-Nutzen nicht mehr adäquat

Irak-Kuweit, 2. WK

Präventivkrieg Häufigkeit: â

Verhinderung der An-eignung strategischer Vorteile durch den Gegner

Zielerreichung / Ermüdung / Ver-mittlung; Kosten-Nutzen

1. WK, USA-Vietnam, SU-Afghanistan, USA-Irak (?)

„Gerechter“ Krieg Häufigkeit: á

Erzwingen einer als gerecht empfundenen internationalen Ord-nung

Zielerreichung / wahrscheinlicher Misserfolg („vorsichtiger Krieg“), Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht mehr erfüllt; internationale. Legiti-mation nicht mehr vorhanden

NATO / UNO-Jugoslawien, UNO-Irak, USA-Afghanistan

Fazit: Es ist erfreulich, dass kalkulierte Kriege abnehmende Tendenz aufweisen. Zudem werden kalkulierte Kriege nur noch nach Absprache mit den Vereinten Nationen (UN) statt.

Nicht-kalkulierter Krieg:

Typ Zweck Ende / Verlauf Beispiel Ethnischer Krieg* Häufigkeit á

Schwächung, meist Vernichtung einer für die eigene Identität als bedrohlich empfunde-nen fremden Gruppie-rung (Ethnie, Religion).

Ende, wenn Vertreibung / Vernich-tung erreicht, Instrumente: „Vendetta“-Dynamik, Terrorismus, auch Angehörige/Zivilpersonen werden nicht geschont Vendetta [v-, italien.] die, v.?a. in Sizilien Bez. für Blutrache. (Blutfehden mit Ehre)

Problem: Vendetta-Dynamik über Jahre hinweg, kann durch Vermittlung praktisch nicht gestoppt werden!

Kosovo, Bosnien, Ruanda, Biafra, Afghanistan Israel - Palästina

* = Auseinandersetzungen zwischen gesellschaftliche Angehörigkeiten (eig. „Bürgerkriege“)

Krieg: Bewaffnete Auseinandersetzung von gezielt durch politischen Instanzen aufgebotenen militäri-schen und paramilitärischen Verbänden.

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Der Kalte Krieg und seine Folgen – Wie sieht die Welt in 100 oder 200 Jahren aus?

„Megatrends“ - Einige Hypothesen (zwei grundsätzlich entgegengesetzte Schulen):

Realismus („pessimistisch“)

Funktionalismus, Institutionalismus

Ansicht Länder seien getrieben von ihren nationalen Interessen

Es geben generellen Trend zu Kooperation aufgrund zunehmender wirtschaftlicher Verflechtung [Begründung Zum Glück in der Vergangenheit

bestätigt Zum Glück heute eher der vor-kommende Trend]

Vertreter USA (Condoleeza Ryce, George W. Bush)

EU (Joschka Fischer, Gerhard Schröder)

Image der Dynamik des Internationalen Systems

Prozesse: Konkurrenz und Anarchie, Null-Summen-Spiel-Charakter der Interaktionen. (Prisoner’s Dilemma = Man fällt Entscheide aufgrund eines “Worst Case Scenarios”, nach Einschätzung der Konkurrenten); Akteure: Nationalstaaten und Alli-anzen Realismus lehnt z. B. die europäische Union ab.

Prozesse: Konkurrenz und Koopera-tion; Null-Summen- und Positiv-Summen-Spiel-Charakter der Inter-aktionen, Akteure: Nationalstaaten, Territori-alstaaten, Allianzen, inter- und sup-ranationale Organisationen

Normative Richtlinien der Aussenpolitiken

Schutz der nationalen Interessen Schutz nationaler und internationa-ler Interessen – Bsp. reichere EU-Länder bezahlen höhere Beiträge als ärmere = internationales steht im Vordergrund

Normative Richtlinien der internationalen Politik

Stabilität durch oligo-, bi- oder uni-polares Gleichgewicht der Mächte (Kalter Krieg war also Optimalfall)

Optimale Stabilität durch multipola-re, supranationale Institutionen und globale Kooperation (= World Governance, „Informelles Regel-werk, das als Weltstaat angesehen wird, weil man sich freiwillig daran hält, z.B. Internat. Währungsfond IWF“; auch UNO kann man dazu zählen)

International determinierte Aussen-politiken

International und national determi-nierte Aussenpolitiken (z. B “Democratic Peace These”: Annahme, dass Demokratien ge-geneinander aufgrund Verflechtun-gen keine Kriege führen); vgl. auch UNO-Resolution gegen Irak)

Primat der Sicherheitspolitik als Es-senz des nationalen Interesses (= Paradigma des Nationalstaates)

Primat der Wirtschaftspolitik: Wachstum als gemeinsamer Nenner der individual- und Gruppeninteres-sen (= Post-Nationales Paradigma)

Hypothese

“Security Dilemma”-These: Erhöhung der Sicherheit/ Verteidi-gung führt automatisch zur Bedro-hung anderer. (stammt aus tiefster Zeit des Kalten Krieges). Kann man auch für Zivilschutzanlagen in der CH anwenden – ist sehr überspitzt!

“Liberal spill-over” These: D.h. eine marktwirtschaftliche Ge-sellschaft neigt dazu, von den Poli-tikern eine Öffnung der Grenzen zu verlangen; führt zu Verflechtungen; führt zu Kooperation (Recht, Stu-dienabschlüsse, auch Sicherheit) = “Collective Security” These

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(Fortsetzung) Realismus

(„pessimistisch“) Funktionalismus, Institutionalismus

Empirische Basis [das heisst, auf welche ge-schichtlichen Ereignisse stützen sich die Ansichten]

Zeitalter des europäischen National-staates, Weltkriege, Kalter Krieg, Untergang der Sowjetunion (Als Folge der Harten US-Politik), Insta-bilität des Osteuropäischen Über-gangs nach Öffnung

Europäische Integration; Übergang der Sowjetunion (Als Folge von Pe-restroika, Glasnost habe wirtschaft-liche Öffnung stattfinden können); UNO-Politik nach dem Kalten Krieg, inkl. IMF, World Bank als Pioniere der “World Governance”; relative Stabilität des osteuropäischen Über-gangs

Sowjetischer und osteuropäischer Übergang: Ein Fall des Realismus?

Sowjetischer und osteuropäischer Übergang: Ein Fall des Funktiona-lismus/Institutionalismus?

Fragen

Man kann so oder so argumentieren (Glas halb leer – halb voll), ist eine Ansichts- und Argumentationssache.

Die USA: Eine Hegemonialmacht? Die heutige Situation hat es so noch nie gegeben – USA haben ein so grosses Rüstungsbudget resp. eine so grosse militärische Streitmacht wie die nächsten ca. 15 Staaten! Haben also heute eindeutig eine He-gemonie und damit das Potential, den Rest der Welt zu kolonialisieren! Ähnlich wie in der Pax Romana kann man sagen, dass damit die Chance auf weltweiten Frieden besteht! In heutigen Diskussionen unterscheidet man zwischen hegemonialer Macht (kann zwingen, über etwas zu diskutieren) und imperialer Macht (kann im Gegensatz dazu auch einen Entscheid erzwingen). Ob hegemonial oder imperial kann man auf drei Ebenen der “Statecraft” messen: 1. militärisch:“ „First (nuclear) strike capability“, dazu weltweit einsetzbare konventionelle Überle-

genheit; d.h. die amerikanische Überlegenheit ist frappant!

2. wirtschaftlich: Grösse des Binnenmarktes und Weltmarktanteil sowie die Macht, Normen zu setzen; US-Wirtschaft ist zur Zeit grösser, nach abgeschlossener EU-Ost-Erweiterung werden beide gleich gross sein. Die Durchdringung/Verbreitung der EU-Volkswirtschaft ist aber grösser.

3. politisch: Nationale und internationale politische Legitimation: Die nationale Legitimation ist stark vorhanden (nach dem 11. September waren etwa 99% der US-Bevölkerung mit dem Vorgehen von Bush einverstanden). Demgegen-über ist die Europäische Union innen uneinig, wie sie sich aussenpolitisch verhalten soll – also militärisch/politisch ist EU schwach, wirtschaftlich schwach! Internationale Legitimation fehlt aber den USA – man hasst die Amis weltweit und billigt ihr hegemoniales Verhalten nicht.

Hegemonie: Ein Mass an staatlichen Machtmitteln (“Statecraft”), das es einem Land erlaubt, die internationale Politik unilateral zu prägen.

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Strategische Optionen (A, B, D) der USA: Isolationismus Internationalismus Unilateralismus A: Superpower:

(Bush und Rice haben Clinton im Wahlkampf stark kritisiert: USA hätten im Balkan und in einem Humanitären Krieg nichts zu su-chen - z.B. National Missile Defense

(NMD), Kündigung des ABM-Vertrages

- z.B. Wechsel von der 3- zur 2-“war doctrine”

- z.B. Ablehung des Kyoto-Agreement

B: Hegemonial-Macht: (Bush-Strategie seit 9-11) - z.B. NATO Erweiterung - z.B. Skepsis gegenüber

dem Ausbau des militäri-schen Armes der EU

- z.B. Hegemonialer Krieg (Afghanistan, Irak(?))

Multilateralismus C: ? [Diese Option gibt es nicht, Isolationismus ist nicht mit Multi-lateralismus zu kombinieren!]

D: “Indispensable Nation”: (Clinton) z.B. Support v. Organisatio-nen kollektiver Sicherheit (UNO/ OSZE) z.B. “Humanitärer” Krieg (Peace keeping, Peace Enforcement

Wie wird sich das weiter entwickeln? Krieg gegen Irak muss nicht stattfinden. Je länger keine neuen Anschläge in USA, umso ruhiger wird es wieder. Weltpolizist zu spielen liegt nicht in der Natur der USA – sind „Monroe-doktrinistisch“, also Opt i-on A ist eigentlich das Naturell von Amerika!

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IV. Teil – Das politische System der Schweiz

1. Einführung: Formen der Legitimation politischer Herrschaft im modernen Territorialstaat: Demokratie und Totalitarismus

Gruppenarbeit: Analyse der folgenden Texte nach den Kriterien

a) Welches ist das Menschen- und Gesellschaftsbild hinter der jeweiligen ideologischen Position?

b) Welches sind nach der jeweiligen ideologischen Position die Formen und Prozesse der Legitimation

der politischen Herrschaft? (= Wie wird Volkswille ermittelt und umgesetzt)

c) Beispiele: Historische Staaten, aktuelle Staaten oder Staatensysteme, welche entsprechende Vorstel-lungen teilweise oder vollständig umgesetzt haben; (z.B. Preussen, 3. Reich usw. aus Vergangenheit oder Gegenwart oder zukünftige Visionen/Schulen) Gruppierungen/Parteien/Ideologien, welche die jeweilige Position vertreten?

d) Welches sind die Unterschiede zum politischen System der Schweiz? (ähnlich – unterschiedlich?) (Nach (siehe Anhang – Handout vom 14.01.2003 „8.1 Konservative Positionen [...]“ und folgende): Böhret, Carl et al.: Innenpolitik und politische Theorie, Opladen 1988, S. 222 - 244)

1. Totalitäre Positionen: -Traditionelle Konservative

(S. 222ff.) [Gruppe Keller, Neresheimer, Schwartz, HAC] a) Welches ist das Menschen- und Gesellschaftsbild hinter der jeweiligen ideologischen Position?

- Mensch ist im Grunde unfähig, friedlich unter seinesgleichen zu leben - machtbesessen, korrupt und sündhaft - Freiräume nutzt er egoistisch aus („wildes Tier“)

b) Welches sind nach der jeweiligen ideologischen Position die Formen und Prozesse der Legitimation der politischen Herrschaft? (Wie wird Volkswille ermittelt und umgesetzt)

- Demokratie birgt Gefahr zum „Nein zu aller Ordnung“ - Von Demokratie gehen selbstzerstörerische, anarchische Impulse aus - deshalb sei Demokratie „für eine freiheitliche Gesellschaft in höchstem Masse gefährlich“. - Umsetzung Volk muss vor sich selber geschützt werden (vgl. Menschenbild) à Volk muss not-

falls zum Volkswillen gezwungen werden, Störfaktoren sollen verhindert, ev. sogar vernichtet werden (vgl. Rousseau)

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c) Beispiele: Staaten, welche entsprechende Vorstellungen teilweise oder vollständig umgesetzt haben; Vertretungen - Preussen - Drittes Reich - allg. Diktaturen - auch Kommunistische Diktaturen: = Proletarisches Klassenbewusstsein - Katholische Kirche (Mensch ist schwach, starke Hierarchie)

d) Welches sind die Unterschiede zum politischen System der Schweiz?

- Direkte Volksrechte (Initiative, Referenden) - Ideologie: Volkswille ist wichtig; Föderalismus = Konsensbildung - Sprachen- und Kulturvielfalt:

Heterogene Gesellschaft = Toleranz - z. B. Bundesrat als Kollegialgremium: Einheitliche Meinung = Kompromiss- und Diskussionskultur - Wirtschaft & Medien unterstützen politischen Meinungsbildungsprozess zusätzlich und bedeu-

tend à Zusammenfassung: In CH präzise Antithese zur totalitären Position

Traditionelle Konservative Ansicht funktionierte nicht. Grundsatz „Wir tun alles für das Volk, aber nichts durch das Volk“ brachte zwar Investitionen (Schulsystem, Industrie) und Boom. Dieser sehr aufwändige Kurs musste finanziert werden. Die Liberal-Konservativen bildeten eine Antithese: Staat soll sich möglichst zurückziehen, auf das Wesentliche (= Sicherheit beschränken) = das Bild des Nachtwächterstaates

Liberale Beispiele: GB (Manchester Liberalismus), F (Louis Philippe)à führte zu sehr kapitalisti-schen Systemen und grosser Verarmung der Arbeiter, Kinderarbeit usw.

Führte dazu, dass man wieder mehr Staat wollte (CH: ab 1874 mit Fabrikgesetz), aber nun in Richtung sozialer Unterstützung und Gerechtigkeit = Sozialstaat

2. Demokratische Positionen: - Liberale Konservative

(S. 227ff.) – [Gruppe 1. Reihe: Onabanjo, Diamante, Albrecht] a) Welches ist das Menschen- und Gesellschaftsbild hinter der jeweiligen ideologischen Position?

- Liberales Menschenbild, die Menschen sind nicht gleich (Der Stärkere gewinnt) - Eine aufgeklärte nach persönlicher Freiheit strebende Gesellschaft. - Grundsätzlich ist die Gesellschaft frei, der Staat stellt nur elementare Bedürfnisse zur Verfügung.

Macht und Ausbildung legitimiert zur Ausübung politischer Rechte. b) Welches sind nach der jeweiligen ideologischen Position die Formen und Prozesse der Legitimation der politischen Herrschaft?

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- Es herrscht eine "indirekte Demokratie", in welcher eine aufgeklärte Gruppe das Wohl des Vol-

kes repräsentiert. Der Staat und die Gesellschaft soll strikte getrennt sein - Es wird eine Demokratisierung des Staates angestrebt, nicht aber eine Demokratisierung im ge-

sellschaftlicher Bereich. Der Einfluss des Staates auf die Gesellschaft soll begrenzt werden und die Gesellschaft soll sich so ungestört wie möglich entwickeln

- Das Parlament sollte daher der Ort sein, wo die Repräsentanten des aufgeklärten, durch Besitz und Bildung zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen qualifizierten Bürgertums in offener Dis-kussion jeweils die rationalste Lösung für politische Probleme erarbeiten

c) Beispiele: Historische Staaten, aktuelle Staaten oder Staatensysteme, welche entsprechende Vorstel-lungen teilweise oder vollständig umgesetzt haben

- am ehesten USA - verschiedene Nationalstaaten des 19. Jh. - Gruppierungen/Parteien/Ideologien, welche die jeweilige Position vertreten - FDP, liberale Parteien, radikale in Frankreich

d) Welches sind die Unterschiede zum politischen System der Schweiz?

In der CH haben wir direkte Demokratie. Das Volk kann somit einen direkten Einfluss auf das politi-sche Umfeld nehmen.

- Pluralistische Demokratietheorie (S.231ff.) [Gruppe 2. Reihe: Kraft, Lienert, Wydler, Baumann] a) Welches ist das Menschen- und Gesellschaftsbild hinter der jeweiligen ideologischen Position?

In der pluralistischen Demokratietheorie wird der Mensch als Individium angesehen. Die Berücksichti-gung der eigenen Interessen hat zur Folge, dass es keinen einheitlichen Volkswillen geben kann. Die Menschen schliessen sich zu Gruppen zusammen, um eine Konsensmeinung durchzusetzen.

b) Welches sind nach der jeweiligen ideologischen Position die Formen und Prozesse der Legitimation der politischen Herrschaft?

Ein Zusammenschluss zu Interessensgemeinschaften findet statt, innerhalb dieser Gemeinschaften wird durch demokratische Spielregeln ein Konsens gesucht. Aufgrund des Konsenses werden Vertreter gewählt, welche diese Meinungen politisch durchsetzen. Die Wahl der Representanten können jeder-zeit durch Neuwahlen widerruft werden.

c) Beispiele: Historische Staaten, aktuelle Staaten oder Staatensysteme, welche entsprechende Vorstel-lungen teilweise oder vollständig umgesetzt haben

Moderne Industriegesellschaften; repräsentativ-parlamentarische Demokratie mit Parteien, Verbänden wie beispielsweise GB, USA, Deutschland

d) Welches sind die Unterschiede zum politischen System der Schweiz?

Die Möglichkeit eine Initiative zu ergreifen ist zusätzlich gegeben. à Typisch für den Sozialstaat ist, dass sich die Gesellschaft in verschiedenen Interessen gruppiert. Denn der Staat bietet nicht nur Geld, sondern auch Problemlösungen an à führt zu Begehrlichkeiten (Velofahrer wollen Velowege, Feministinnen wollen Kinderkrippen usw.). Man versucht über Verbän-de, Parteien, Lobbies beim Staat für seine Interessen Gehör zu finden. Es ist nun also ganz wichtig, dass es in der pluralistischen Gesellschaft etwas gibt, welches das Ganze zusammenhält!!! = Alles ist offen und darf diskutiert werden, aber die Spielregeln der Demokratie sind strikte einzuhalten! die unterlegene Partei muss die Niederlage in der Demokratie akzeptieren!)

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Die nächsten beiden Positionen stehen im Widerspruch zueinander:

- Theorie demokratischer Eliteherrschaft (S. 234ff.) – [Grp 3. Reihe: Stirnemann, Resele, Rohmer, Wittwer] a) Hier kommen beide Typen vor:

- Typ x: unmündiger, gleichgültiger Bürger mit mangelhaften politischen Interessen, träge, fügsam (ist in der Minderheit)

- Typ y: elitär, engagiert, abgeschottet, gebildet, interessiert, misstrauisch gegenüber Mehrheit ist Opinion Leader)

b) Legitimation:

- Die Fähigen, die’s verstehen, sollen entscheiden - in einem Konzern ruft man auch nicht alle zusammen, sondern das Management entscheidet

c) Beispiele:

Schreckensvision der „Wohlstandverwahrlosung“ (Hedonismus), d.h. er wird gleichgültig und küm-mert sich als Individuum um andere Bedürfnisse. Will gar nicht mitdenken. Staat versorgt die Bevölke-rung mit allem.

d) Unterschiede/Ähnlichkeiten CH:

In CH sind Eliten weniger ausgeprägt und zudem in 3 Gruppen einzuteilen: - sehr interessiert / durchschnittlich interessiert / gar nicht interessiert und nicht engagiert

- Theorie des reduzierten Demokratieverständnisses (reduktionistisch) vs. demokratische Selbstentfaltung (emanzipatorisch)

(S. 238ff.) – [Grp 4. Reihe: Aepli, Koller, Nägeli, Zinniker] Die Gruppe hat einen Vergleich angestellt: Reduktionistisch (= Reduzierte Demokratie)

Emanzipatorisch (= Demokratische Selbstentfaltung)

a) Menschen und Gesellschaftsbild Will die bestehende Form der Demokratie in der heutigen Form beibehalten.

Interessiert an der Entwicklung der Demokratie; nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“.

Wer beruflich nicht führt, ist politisch nicht aktiv. Wen es nicht betrifft, wir nicht aktiv (Desinteresse)

Demokratie ist nicht nur Staat, sondern Gesell-schaft. Menschliches Kollektiv im Mittelpunkt.

„Stammtisch-Verhalten“ – Viel reden, nichts tun. Auch teils egoistischer Ansatz.

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b) Legitimation der politischen Herrschaft Elite entscheidet Legitimation durch Mehrheit der Stimmen gege-ben.

Alle entscheiden (Stimmbeteiligung 100%) Legitimation durch Mehrheit der Gesamtgesell-schaft gegeben.

Demokratie als Staatsform Demokratie als Lebensform c) Beispiele Schweiz heute Steinzeitvolk Die einzelnen europäischen Staaten Die Europäische Union Landsgemeinde Appenzell Fazit: Die Schweiz bildet hier ein widersprüchliches Bild: Gemäss Verfassung eindeutig für mitwirkende Demokratie (keine Herrschaft von Menschen über Menschen möglich). Da Stimmbeteiligung aber tief. muss man sagen, das CH-Volk aber diese Rechte nicht wahrnehmen möchte.

2. Die Schweizer Ausgangslage: Eine Gesellschaft sich überschneidender Segmente

Ausgangslage der Schweiz?

Die staatsbildende Dynamik der Schweizer Geschichte: Gemeinsame Interessen an der Schnittstelle europäischer Nationen

1200 - 1515: Wirtschaftliche Nutzung des zentralen Alpenübergangs: Der Gotthard! CH ist also nicht aus ethischen, kulturellen oder sprachlichen Interessen, sondern materiel-len/wirtschaftlichen Interessen entstanden. Die Urner und übrigen Waldstätter hatten einen Saumpfad über den Gotthard gebaut. Bildete eine Quelle wirtschaftlichen Wohlstandes, dieser sollte gegen Aussen-stehende verteidigt werden. 1515 - 1945: Diplomatisch-militärische Selbstbehauptung des kleinen Pufferstaates: Zwischen grossen Reichen. Eine der ersten Amtshandlungen war die Eroberung des südlichen Passkopfes in der Leventina (siehe Burgen in Bellinzona – sind Zeugen der eidgenössischen Herrschaft). Eidgenossen war – verglichen mit umgliegenden Fürstentümern – kein Kleinstaat. Eidgenossen waren sehr gefürchtet wegen ihrer Militärkraft. Nach Marignano verloren Eidgenossen ihren Einfluss. Auch spielten andere Al-penübergänge nun zunehmend wichtigere Rolle. Gegen eine allfällige Auflösung der Eidgenossenschaft führte, dass eine neue wichtige Rolle wahrgenommen wurde, nämlich diejenige als „Zwischenpuffer-staat“. 1945 - 2000: Wirtschaftliche Selbstbehauptung des hochentwickelten Kleinstaates: Zwischen politi-scher Unabhängigkeit und ökonomischer Verflechtung. – Die Gefährdung als Zwischenpufferstaat war verschwunden (USA und UdSSR lagen zu weit auseinander). Wahrung der ökonomischen Vorteile und des Wohlstandes gegenüber übrigem Europa und EU. 2000 – (Zukunft?): Integration in Europa? Das Ende der Schweiz? Eine Vision ist, dass es keine ideellen Werte und gemeinsame Interessen mehr gibt, wenn die Schweiz einmal Mitglied der EU. Romands könn-ten zu einem französischen Teil gehören, Deutschschweiz zu einem alemannischen Teil der EU.

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Die sich überschneidenden Dimensionen der Segmentierung

Segmentierungen/Überschneidungen in der Region der Schweizerischen Eidgenossenschaft: - geografisch: Mediterran-/Nordeuropäische Kulturzugehörigkeit

- ethnisch-sprachlich: Deutsche-/Französische-/Italienische-/Romanische Sprachzugehörigkeit

- konfessionell: Katholisch-/protestantische Konfessionszugehörigkeit

- soziologisch: Städtisch-/ländliche Kultur-Zugehörigkeit

- wirtschaftlich: Zugehörigkeit zum Landwirtschafts-/Industrie-/Dienstleistungs-Sektor Über diese Überschneidungen hinweg hat sich der „Schweizerische Patriotismus“ herausgeprägt: Er un-terscheidet sich von anderen Patriotismen. Denn die Schweizer sind stolz, seit 700 Jahren einen Staat zu bilden, obwohl die Interessen/Segmente so verschieden sind. Man hat Konflikte, verschiedene Meinun-gen, schafft es aber dennoch immer wieder, Konsense zu finden. Es taucht ein Begriff immer wieder auf: „Willensnation“ (Wille zur Unabhängigkeit, Wille zur Demokratie) Warum hat es die CH geschafft zu überleben? à Der natürliche Ausgleich politischer Gegensätze: "Cross-Cutting-Cleavages":

Cross-Cutting-Cleavages als integrations-begünstigende Konstellation meint die sich überschnei-dende, mehrdimensionale Segmentierung einer Gesellschaft. Sie verhindert die mehrfache Benachteiligung/Diskriminierung eines einzelnen gesellschaftlichen Seg-mentes und begünstigt die Sensibilität der Gesamtgesellschaft gegenüber Benachteiligungen einzelner Gruppierungen, indem alle Segmente in Bezug auf einzelne Dimensionen der Segmentierung benach-teiligt sind.

Schweiz ist nicht immun gegen innere Streitigkeiten – das zeigt das nachfolgende Beispiel des Kantons Jura (60er Jahre): Das Fall-Beispiel „Die Gründung des Kanton Jura“: Phase I : Der Bezugsrahmen des Kantons Bern – Mehrfache Benachteiligung der Jurassier (Sprache [frz – deutsch], Konfession [JU = katholisch / BE = protestantisch] , Infrastruktur, wirtschaftliche Entwicklung [hinter den Bergen]) - Kumulierte Gegensätze - Gewalttätige Auseinandersetzung Phase II: Der Bezugsrahmen der Eidgenossenschaft - Cross-Cutting-Cleavages: Solidarität mit den übrigen Romands, Katholiken, infrastrukturell und wirtschaftlich Benachteiligten in der Gesamteidgenossenschaft - Einvernehmliche Problemlösung (Kanton JU per Volksabstimmung gegründet worden).

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3. Die politischen Folgen: Primat des Ausgleichs zentrifugaler Kräfte durch Konsens

Das Resultat der typisch schweizerischen politisch-kulturell-wirtschaftlichen Vielfalt: - Ein Potential zentrifugaler [auseinandertreibend] Kräfte, gemildert durch die zentripetalen [zusammen-bindend, zum Mittelpunkt hinstrebend] Kräfte der Cross-Cutting Cleavages.

[Zentrifugal, weil die Zentren Paris, München, Rom ausserhalb unserer Segmente liegen und diese deshalb dorthin streben könn-ten. Zentripetal wirken die Cross-Cutting Cleavages [cleavage: Spaltung, Zwiespalt, Teilung).]

Die Folgen für das politische System: - Institutionalisierte und nicht-institutionalisierte Mechanismen von Konflikt und Konsens, von

Autonomie und Integration: - Direkte Demokratie:

Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten für geografisch „nicht-konzentrierte“ Minderheiten - Föderalismus:

Gestaltungs- und Mitbestimmungs-Möglichkeiten für geografisch "konzentrierte" Minderheiten: - Konkordanz [„zusammen“; „Herz“ = gütliches Einvernehmen]

Der Hang zum Interessenausgleich und Kompromiss unter den gesellschaftlichen Segmenten als in-formelle, integrierende Korrektur der negativen Folgen der direkten Demokratie und des Föderalismus auf die Regierbarkeit des Systems = „Learning Organisation“. Typisches Beispiel dieser Konkordanz ist die Zauberformel: Ist nicht legal im System verankert, sondern mehr ein „Gentleman Agreement“.

31. Direkte Demokratie

Die Volksrechte (auf eidgenössischer Ebene) sind:

• Wahlrecht: aktiv (man kann wählen): à Legislative passiv (man kann gewählt werden): à alle Institutionen (Miliz-Parlamente)

• Stimmrecht : obligatorisches Referendum à Bundesverfassung

• "Antragsrecht": fakultatives Referendum: à Bundesgesetz Initiative: à Bundesverfassung

Nun Abstimmung „Direkte Volksinitiative“: Parlament entscheidet, ob eine Eingabe in die BV (= Volk entscheidet mit) oder in ein Bundesgesetz (= Parlament entscheidet alleine) kommt.

à Zunahmen der Bedeutung direktdemokratischer Elemente entlang der föderalistischen Gliederung (Bund – Kantone – Gemeinden) Trend:

• Abnahme der "anonymen" Partizipations-Formen (allgemeines Wahl- und Stimmrecht)

• Zunahme der "personifizierbaren" Partizipationsformen (Initiative, fakultatives Referendum, in-formelle Partizipations-Formen).

• Zunehmende Zweifel an der angemessenen Problemlösungs-Kapazität der direkten Demokratie

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32. Föderalismus

= Die dezentrale Verteilung staatlicher Hoheit - Bund, Kantone, Gemeinden

• Die Autonomie der geografischen Teile im Ganzen:

- Politische Kompetenzen der Kantone und Gemeinden (Steuern, Bildung, Gerichtsbarkeit, Kultur, Verkehr, Raumplanung usw.)

• Die Beteiligung der geografischen Teile an der Steuerung des Ganzen:

- Regional-paritätische Zusammensetzung des Bundesrates - Ständerat (2 Vertreter pro Kanton) - garantierter Nationalrats-Sitz aller Kantone (z.B. UR, AI: Bevölkerungszahl würde nicht ausrei-

chen für einen NR-Sitz) - Ständemehr (braucht es bei BV-Änderungen zusätzlich zum Volksmehr) - Standesinitiative (6 Kantone können eine „Volksinitiative“ starten - praktisch nie verwendet)

Eindeutiger Trend: Abnahme des Föderalismus (Zentralisierung politischer Funktionen [also eher weg vom Subsidiaritäts-prinzip], Vertiefung der Integration) infolge zunehmender Mobilität und wirtschaftlich-ökologischer In-terdependenz der geografischen Teile:

- Gemeinden à Kantone

- Kantone à Bund

- Bund à Internationale Organisationen (EU, UNO)

33. Konkordanz

Konkordanz der Institutionen:

Ständige Einbindung "referendumsfähiger" Oppositions-Gruppen [= Opposition von bestimmter Grösse & bestimmtem Einfluss] in die Exekutiven und die Verwaltungen:

• Proporzwahl der Exekutiven: All-Parteien-Regierungen

• Die "Zauberformel(n)" Zusammensetzung des Bundesrates und teilweise der Kantonsregierun-gen nach Kriterien der Parteizugehörigkeit, Sprache, geografischer Herkunft, Konfession, Ge-schlecht usw.

• Verwaltungs-"Proporz": Die "Zauberformeln" der Chefbeamten-Zusammensetzung Beispiel „Direktwahl des Bundesrates“:

Direkte Wahl durch das Volk ist aus politologischer Sicht nicht problematisch. Gegner haben Angst vor populistischen Kandidaten, die zu zweiten Hitlers werden könnten. Es gibt aber genügend Beispiele, die zeigen, dass man keine Angst vor der Demokratie haben muss – Kantonsregierungen werden schon seit Jahrzehnten direkt vom Volk gewählt!

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Konkordanz der Mechanismen:

Einbindung "referendumfsfähiger" Oppositions-Gruppen von Fall zu Fall: Entscheidungsverfahren (z.B. Bundesebene): Das Entscheidungsverfahren ist nicht gesetzlich festgeschrieben, hat sich aber so ergeben (Demokratie als „Learning Organisation“).

Anstoss: Volk (Initiative)

oder Parlament (Motion usw.)

oder Verwaltung (Departement)

Bundesrat (Entwurf)

Experten-Kommission (Bericht)

Vernehmlassung

Botschaft des Bundesrates an die eidg. Räte

Parlamentarische Kommissionen (Anträge)

National- / Ständerat

Obligatorisches Referendum /

Fakultatives Referendum

Ev. Experten-Kommission

Ev. nochmals Vernehmlassung

Vollzug durch Bund, Kantone, Gemeinden, Verbände

Der Trend: Zunehmende Kritik an den langsamen, undurchsichtigen und qualitativ nicht überzeugenden Entschei-dungsprozessen ("Zauberformeln" des Bundesrates, Verwässerung von Volksentscheiden im Vollzug, Intransparenz, „Innovationsfeindlichkeit“ usw.).

Vorparlamentarisches Verfahren:

Parlamentarisches Verfahren:

Volks- abstimmung:

Vollzug

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34. Stärken - Schwächen

Gruppenarbeit: Stärken-/Schwächen-Analyse des politischen Systems der Schweiz (20.1.2003) Funktionalität/Eignung... ... von

bezüglich...

Föderalismus: Direkte Demokratie: Konkordanz:

Entfaltungsmöglichkeiten ideologisch-politischer Minderheiten

0 ++ 0

Realisierung von nationa-len Verkehrsprojekten [auch NEAT]

– – – +

Gesamt-Reform des politischen Systems (Totalrevision BV)

– – +

Reduktion des Ausgaben-Budgets des Bundes

– / + – 0

System-Zufriedenheit + + + / – ++ grossen Einfluss, sehr geeignet / + guten Einfluss, grundsätzlich geeignet / 0 neutral / – behindernd / –– massiv negativ [Ergänzung HAC: + / – = beide Ansichten vertretbar] Begriff: Bemerkungen:

Föderalismus: Geographische „Aussenstellen“ können mitreden. Wirkt aber oft verlang-samend. Fördert Wettbewerb (z.B. zwischen Kantonen, Gemeinden hin-sichtlich Steuern).

Minderheiten: Minderheiten < 10% beklagen sich jeweils v.a. über die Konkordanz. Denn da das Konkordanzsystem nicht auf Gesetzen beruht, haftet ihm der Ruf der Willkürlichkeit an. Es besteht auch die Gefahr, dass sie abgeschwächt werden.

Konkordanz: Heisst, dass man sich vorgängig abspricht auf unformeller Basis. Bedeutet aber auch, dass Kosten oft hoch sind, um „Kirche im Dorf zu behalten“ (gutes Beispiel: NEAT). Minderheiten werden in der CH in die Regierung eingebunden (Gegensatz D: Dort muss Minderheit in die Opposition). Die Konkordanz bietet auch den Vorteil, dass „Gegengeschäfte“ stattfinden können (einmal geht die eine Interessensgruppierung einen Kompromiss ein, dafür das nächste mal die andere).

Reduktion Bundesbudget Hier kann man auch argumentieren, dass Subsidiaritätsprinzip zu Entlas-tung der Bundeskasse führt, da vieles durch Gemeinden/Kantone finanziert wird. Studien zeigen: Finanzdisziplin ist gross in einer direkten Demokratie!

Fazit: Es mangelt dem politischen System CH an Effizienz. Aber es ist beliebt, da

man mitbestimmen und mitwirken kann, deshalb akzeptiert und stabil!

à Demokratie darf man nicht messen an der Effizienz ihrer Resultate, sondern an der Tatsache, dass Minderheiten miteinbezogen werden!

Die Existenz einer Demokratie ist also schon ihr grösster Vorteil! Sie kann sogar beschleunigenden Charakter haben (Ökologie: z.B. Alpeninitiative)!

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4. Die Krise des politischen Systems der Schweiz

41. Die Überforderung der modernen Demokratie: Problemlösungs-Bedarf und Problemlösungs-Kapazität

Problemlösungs-Bedarf und Problemlösungs-Kapazität - Eine "Schere":

Problemlösungs- bedarf/ -kapazität

1848 2002

Problemlösungskapazität

Problemlösungs-Bedarf

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Ursachen des steigenden Problemlösungsbedarfs: Es sind im Wesentlichen die beiden Faktoren Technischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum, welche zu steigenden Ausgaben führen. Beispiel Strassenverkehr: Technischer Fortschritt (Auto löste Pferdefuhrwerk ab) und wirtschaftliches Wachstum (Leute werden wohlhabender und mobiler). Das führt zu einer grösseren Reichweite und Wirksamkeit und Risiko des Handelns Einzelner. Anderes Beispiel: Früher hätte ein Krimineller 3'000 Leuten einzeln die Kehle durchschneiden müssen. Heute reichen 20 Leute und ein paar Teppichmesser aus (= Angriff auf WTC, 911)! Technischer Fortschritt Wirtschaftliches Wachstum

Reichweite, Wirksamkeit und Risiko individuellen Handelns

Rechts- und sozialstaatlicher Regulierungsbedarf

Gewöhnung und Anspruch an den "staatlichen Problem-Löser"

Zunahme der rechts- und Sozialstaatliche Regulierungsdichte

Zunahme der Komplexität und der Anzahl politischer Entscheidungen

Diese Tendenz wird auch in Zukunft fortgeführt. Denn technischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum werden von allen angestrebt.

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Ursachen der stagnierenden Problemlösungs-Kapazität: Die Problemlösungs-Kapazität wurde zwar ebenfalls massiv ausgebaut. Aber sie konnte nicht mit dem Problemlösungs-Bedarf Schritt halten. Gründe: Zeitgeist verändert sich (man will mitwirken und mitstimmen). Deshalb ist es auch so schwierig, einen schlankeren Staatsapparat durchzusetzen: Die Leute wollen sich die Mitsprache nicht nehmen las-sen. Deshalb grosse Opposition gegen „Abbau der Demokratie“. Technischer Fortschritt Wirtschaftliches Wachstum

Steigender "Selbstverwirklichungs- Bedarf" und damit steigender Bedarf nach Mitbestimmung

Formelle und informelle Demokratisierung; Mitbestimmungsrechte als eigenständiger ethischer Wert; Opposition gegen Abbau der demokratischen Rechte auch in irrelevanten Breichen des Systems Steigende Partizipation am politischen Prozess ausserhalb der formellen Kanäle (Bürgerini- tiativen, Petitionen, Medien usw.)

Steigende Komplexität und Verlangsamung der politischen Entscheidungsprozesse

Prognose für Zukunft sieht also schlecht aus:

Einerseits steigt Komplexität im Staatswesen ständig.

Andererseits sind die Bürger nicht bereit, Mitbestimmungsrechte abzugeben.

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42. Die Folgen: Verlust an Glaubwürdigkeit und Legitimation

421. Das Regulierungs-Lücken und Über-Regulierung

Die moderne territorialstaatliche Demokratie leidet zunehmend sowohl an Regulierungslücken als auch an Überregulierung: Brisantes Problem der „Unterregulierung“ (Regulierungslücken): Regulierungslücken durch Verschleppung des Gesetzgebungsprozesses in neu auftauchenden politischen Aufgaben: à Beispiele von Regulierungs-Lücken:

- Gentechnologie - Datenschutz/Datenmissbrauch (Internet usw.) – z.B. Gebührenbelastungen auf undurchsichtige Art

und Weise; Kinderpornographie à Problem: Weltregulierung / Weltregierung wäre notwendig! - Asylgesetzgebung/Einwanderung à Bestehende Gesetze taugen nicht, die Probleme zu lösen! - Transnationale Politikbereiche (Verkehr, Kommunikation usw.) „Überregulierung“ durch Verschleppung des Gesetzgebungsprozesses bezüglich des Abbaus überholter Normen: Ein überforderter Staat hat keine Zeit, Regulierungen abzuschaffen. Deregulierungen werden jeweils nicht prioritär behandelt, sondern sind eben „unwichtiger“ als andere politische Probleme. à Beispiele von Überregulierung: - Wirtschaft und Gewerbe (Behördliche "Bewilligungen" aller Art (Bau- und Gastgewerbe usw.) - Landwirtschaft - Gesundheitswesen Phänomen: Die klassischen Akteure der Politik, die Parteien, verlieren zunehmend an Einfluss. Denn Verbände etc. (Lobbies) gewinnen zunehmend an Bedeutung und Einfluss:

422. Der „Verbändestaat“ und der Niedergang der Parteien: Interesse contra Ideologie

Verbände: Parteien:

Zusammenschluss von Personen gleicher, spezifi scher Bedürfnisse (Interessen).

Zusammenschluss von Perso nen gleicher, umfas-sender Weltanschauungen und Men schenbilder (Ideologien). Sind Laien („Milizorganisationen“)

Ist also ein Vorteil, nur in einem schmalen Bereich ein professioneller Experte zu werden (z.B. Radfah-rerbund):

Fachexpertentum

Laientum

Beschränkung der politischenTätigkeit auf die je-weiligen Interessengebiete

Politische Tätigkeit über alle Politik Gebiete hinweg

Beispiele: Economiesuisse (früher: Vorort), Bauernverband, Kaufmännischer Verband (KV)

Weiterer Vorteil: Bieten DL an (z.B. TCS) Nachteil: SP beispielsweise bietet „nur“ politische Ideologie an.

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423. Technokratie und Elite-Herrschaft Bemerkungen: CH hat ein Milizparla-ment, welches die Prob-leme des Landes in ein paar Wochen lösen will. Sitzungen dauern sehr lange, Aktenstudium muss ausserhalb dessen passieren. Man rechnet, dass Parlamentarier-Job jährlich 30 Wochen (= 50% Pensum) bean-sprucht. Man muss sich gut überlegen, ob man be-reit ist, nebst seiner (freiberuflichen Tätig-keit) noch Parlamenta-rier zu sein! à Beim Verbändler ist der Job schon in der Haupttätigkeit inbegri f-fen! Parlamentarier kümmern sich nur noch um be-stimmte Themen, bei anderen sind sie gar nicht mehr anwesend! à Möglichkeit der Ge-gengeschäfte ver-schwindet! = Starkes Misstrauen gegenüber der Politik! Man wählt eher sympa-thische Leute als solche, die ihre Sache wirklich verstehen und komplexe Problemlösungen anbie-ten!

Zunahme der Komplexität und der Anzahl politischer Entscheidungen; "Kalte Professionalisierung" des Parlamentes

Überforderung der Parteien und der Parteivertreter

Einfluss-Zuwachs der Verbände („Interessenpolitik“)

Abnahme der Konsensfähigkeit Zunahme der „Technokratie“ und der Distanz zwischen Volk und "politischer Klasse" (Elite-Herrschaft)

Verlust an Glaubwürdigkeit und Legitimation ("Staatsverdrossenheit")

Emotionalisierung und Personifizierung der Politik ("Sympathische Menschen statt komplexe Lösungen")

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5. Lösungsansätze: Weniger Problemlösungs-Bedarf, mehr Problemlösungs-Kapazität

51. Reduktion des Problemlösungsbedarfs: De-Regulierung

De-Regulierung (auch: „Neo-Liberalismus“) = Rückzug des Staates aus ausgewählten gesellschaftlichen Steuerungs-Funktionen ("Subsidiarität") und Versorgungs-Funktionen: z.B. Steuerung: z.B. Versorgung: Soziale Sicherheit Verkehr Wirtschaft Telekommunikation Es ist leichter, im Bereich der Versorgungsfunktion des Staates zu deregulieren als in der Steuerungs-funktion des Staates! Risiken:

• Deregulierung in der Versorgung:

Abbau von Leistung in quasi-monopolitischen Anbietern (gutes Beispiel für schlechte Entwicklung: British Rail mit Vernachlässigung der Sicherheit und des Komforts auf Kosten der Gewinnmaximie-rung) à Hier ist der Staat überlegen! Oder: Neue Belastung des Staates durch Regulierung des privatisierten Angebots „öffentlicher Gü-ter“ (Bsp. Elektrizität: Zusammenbruch der kalifornischen Stromversorgung als Folge der Kombinati-on von privatem Anbieter und unflexiblem reguliertem staatlichen Anbieter)

• Deregulierung in der Steuerung:

Verlust von politischer Stabilität in Rezessionsphasen durch Deklassierung des Mittelstandes. (In der CH ist der Mittelstand in der Mehrheit, ganz Arme und ganz Reiche sind die Minderheit. Wenn Mit-telstand absackt – z.B. durch Rezession oder Steuererhöhungen – dann ist politische Stabilität stark gefährdet!).

Den Deregulierungen sind also Grenzen gesetzt! Daneben gibt es die Möglichkeit, die Problemlösungskapazität zu erhöhen (also Effizienzsteigerung des Staates):

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52. Steigerung der Problemlösungskapazität: "Technische" Reformen, Abbau der Demokratie, Dezentralisierung/Zentralisierung

Organisatorische Reformen: -Betriebswirtschaftliche Rationalisierung der staatlichen Institutionen (EDV, Telekommunikation, Prozess-Reorganisation usw.) - Ausbau der Exekutiven und der Verwaltungen (z.B. Mehr Staatssekretäre, mehr Bundesämter, zusätzli-che Führungsebenen (Minister) usw.) Regierungsreform (Begriff von BR Ruth Metzler: „Staatsleitungsreform“): - Erhöhung der Zahl der Bundesräte und der Departemente

Wäre eigentlich legitim, gäbe aber Probleme mit Konkordanz und Zauberformel. Effizienzgewinn gin-ge wahrscheinlich durch endlose Debatten wieder verloren.

- Stärkung der Stellung des Bundespräsidenten (Amtszeit, Kompetenzen, Entlastung vom Departement) War v.a. eine Idee von Ogi, bevor er selber BP wurde. Bringt wahrscheinlich nicht sehr viel. - Konkurrenz-Demokratie (Regierung-Opposition) Vgl. aber Deutschland: Opposition würde aber durch Referenden usw. die Effizienz wieder verschlech-

tern. Parlamentsreform: - Professionalisierung Politisch undenkbar. - Teilprofessionalisierung (Erhöhung der Entschädigungen, Ausbau der Parlamentsdienste ( z.B. Ein-

führung von Fachreferenten, Sekretariaten) à Wäre wahrscheinlich die beste Variante. Könnte man wie bei Gemeinden machen: Der Gemeinde-präsident ist Milizler, sein Untergebener (der Gemeindeschreiber) ist aber ein professioneller Ökonom oder Jurist. Dieses System funktioniert erstaunlich gut, obwohl gewisse Gefahr besteht, dass der „Pro-fessionelle“ eigentlich den Ton angibt (à Kontrollmechanismus mittels Gemeindeversammlung be-steht und relativiert dieses Risiko wiederum).

Abbau der Volksrechte: à Keine Partei befürwortet den Abbau – auch wenn er teilweise unumstritten vorteilhaft wäre! Denn keine Partei will den Ruf als „Zerstörerin der Volksrechte/Demokratie“ erhalten. - Erhöhung der Unterschriftenzahl für fakultatives Referendum (von 50'000 auf 100'000) und Initiative (von 100'000 auf 200'000) (Gegen die Flut von Initiativen und Fakultativen Referenden:

- 1941 - 1970: 52; 1970 - 2000: ca. 140 (> Die Hälfte seit 1848) - 1848: 50'000 Unterschriften = ca. 10 % der Bevölkerung - 1996: 100'000 Unterschriften = ca. 2 % der Bevölkerung)

- Allgemeine Volksinitiative:

100‘000 Stimmberechtigte können Verfassungs- oder Gesetzesänderungen in Form einer allgemeinen Anregung verlangen (Erst das Parlament bestimmt über die Aufnahme der Norm in Verfassung oder Bundesgesetz)

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- Verfassungsgerichtsbarkeit des Bundesgerichts gegenüber der Gültigkeit von Initiativen

(Einheit der Form und der Materie, zwingende Bestimmungen des Völkerrechts) „Qualitative“ Reformen der Volksrechte: - Vorlage von Alternativ-Texten bei Verfassungsänderungen (Oblig. Referendum) - 200'000 Stimmberechtigte können eine Volksabstimmung über die Totalrevision der Bundesverfas-

sung verlangen: Nimmt das Volk an, werden die beiden Räte neu gewählt - Direktwahl des Bundesrates durch das Volk (SVP-Idee, die gar nicht so schlecht wäre. Denn die Tatsa-

che, dass das Volk den BR nicht direkt wählt, widerspricht der direkten Demokratie in der CH)) - Beschleunigung und Abbau der bundesrätlichen und parlamentarischen Stellungnahmen zu Volksiniti-

ativen („Maulkorbinitiative“) à Fristen verkürzen – in der Zwichenzeit aber abgelehnt worden. Dezentralisierung/Zentralisierung: Neuaufteilung der Aufgaben zwischen Gemeinden, Kantonen, Bund und internatonalen Organisationen: - Kantone Gemeinden

z.B. Zentralisierung der Versorgungsleistungen z.B. Finanzausgleich

- Bund Kantone

z.B. Militär, Bildung, Ausbildung, Steuerharmonisierung - Bund Supranationale Organisationen

z.B. Zentralisierung der Aussenwirtschaftspolitik: EU; Zentralisierung der Sicherheitspolitik: OSZE, NATO, UNO; Zentralisierung der Immigrationspolitik (EU); Zentralisierung der Entwick-lungspolitik (UNO)

53. Fazit: Das Dilemma der Reform zwischen staatlicher Effiienz und gesellschaftlicher Stabilität

Der "fürsorgliche , demokratische und föderalistische Staat" droht mehr und mehr zu einem "gelähmten Staat" zu werden! Jede einschneidende Effizienzsteigerung (insbes. durch De-Regulierung, Abbau der Volksrechte usw.) des Staates führt zu einer Abnahme seiner Fürsorglichkeit, seiner Demokratie und/oder seines Föderalismus zu Lasten bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Das Dilemma: - Mehr Effizienz und weniger gesellschaftliche Stabilität? oder - Mehr gesellschaftliche Stabilität und weniger staatliche Effizienz?

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Anhang Handouts:

- Buchkopien über verschiedene Staats-/Demokratietheorien; Dozent, 14.01.2003 (Böhret, Carl; Jann, Werner; Kronenwett, Eva: Innenpolitik und politische Theorie, Ein Studienbuch, Opladen 1988, S. 222 – 240)

- Die Organe der Europäischen Union; Dozent, 06.01.2003

- Direkte Demokratie, Carlo Strub; Dozent, Dezember 2002

- ...

Verfasser dieses Skripts: Grundgerüst und Ausführungen in den Lektionen:

Dr. Hans Vogel, Dozent Politologie, ZHW Notizen und Design:

Christian Hättenschwiler Obertor 14 8400 Winterthur Telefon 079 216 06 83 Email [email protected]