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Christian Peter Wilhelm Beuth (1781-1853)
und seine Haltung zum Judentum
Anonym, Christian Peter Wilhelm Beuth, um 1835
Eine historiographische Einschätzung
von
Jörg Rudolph, M.A. und Dr. phil. Christian Schölzel
[korrigierte und überarbeitete Neuauflage -
Stand: Juli 2019]
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2
Einleitung
Während des Jahres 2018 wurde die Haltung Christian Peter Wilhelm Beuths (1781-
1853) gegenüber dem Judentum untersucht. Ausgangspunkt hierfür waren und sind
antisemitische Äußerungen Beuths, die spätestens durch die
literaturwissenschaftlichen Untersuchungen von Stefan Nienhaus zur Geschichte der
Deutschen Tischgesellschaft von 2003 bekannt geworden sind. Der Text der
historischen Einschätzung in seiner damaligen Fassung enthielt eine
irrtümlicherweise Beuth als Autor zugeordnete Quelle; einen Entwurf des
Preußischen Staatsministeriums vom 29. März 1822. Dieses Dokument wurde Beuth
zur Begutachtung vorgelegt wurde, stammt aber nicht von ihm (vgl. S. 16ff. des
ursprünglichen Textes). Beschriftungen auf der Drucksache der staatsministeriellen
Vorlage haben zunächst zu diesem Irrtum geführt. Im Sinne einer korrekten
Einschätzung sind nun die Reaktionen Beuths auf die Vorlage vom 29. März 1822 für
ihn an diesem Punkt untersucht worden (vgl. ab S. 25 dieser korigierten Textversion).
Der nunmehr ein Jahr währende Diskussionsgang um Beuths Haltung gegenüber
dem Judentum ließ es bei dieser notwendigen Anpassung des Textes sinnvoll
erscheinen, 2018/19 neu gewonnene Fragen und Erkentnisse bei diesem
Überarbeitungsgang nicht zu ignorieren.
Welche Ergänzungen sind vorgenommen worden?
- Im Kapitel „Ausgangspunkte“ wurde die zitierte Literatur zum Thema Leben
und Verfolgung von Juden im deutschsprachigen Raum wesentlich erweitert.
Die umfangreicheren Hinweise bieten, über ihre Funktion als Belege
hinausgehend, bessere Einstiegs- und Vertiefungsmöglichkeiten für
Interessierte. Der bislang unbeachtet gebliebene Quellenfund des Historikers
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und Juristen Ismar Freund zu Anmerkungen Beuths an einem Entwurfstext
zum Juden-Edikt von 1812 bietet nun die zusätzliche Möglichkeit, bereits an
einer frühen Schrift im Kontext der preußischen Verwaltung das Bild Beuths
vom Judentum auszuleuchten.
- Im Abschnitt „Judenhass im deutschsprachigen Raum um 1800“ sind, sieht
man von kleinsten Ergänzungen ab, kaum Überarbeitungen vorgenommen
worden.
- Die Ausführungen zu „Christian Peter Wilhelm Beuth“ erfuhren die meisten
Ergänzungen und Zusätze. Bereits an der oben erwähnten für diese
Einschätzung neu entdeckten Quelle von Beuth im Vorfeld des Juden-Edikts
von 1812 lassen sich inhaltliche Spannungsverhältnisse seines Judenbildes
ausmachen, die sich auch in späteren Äußerungen von ihm strukturell
wiederfinden. Einerseits hat Beuth massive negative Vorurteile gegenüber
Juden, die sein politisches Urteil zur Behandlung von Juden beeinflussen.
Andererseits folgt der Patriot Beuth dem Ziel der Staatsräson: Bedarf es zum
Beispiel des Kapitals jüdischer Bankiers für den klammen Preußischen Fiskus,
so konzediert Beuth zuweilen liberalere Vorschläge zur preußischen
Judenpolitik. Auch in diesen vermeintlich „judenfreundlicheren“ Passagen ist
Beuth nicht tolerant. Lässt er nicht Gründe der Staatsräson erkennen, so
erliegt Beuth zeitweilig und zeittypisch dem Gedanken, Juden sollten sich
entwickeln und/oder erzogen werden. Entledigen sich Juden ihrer vermeintlich
jüdischen Eigenschaften, würden sie zu Christen, so wären sie willkommene
Mitglieder der Gesellschaft. Beuths „Erziehungsmodell“ ist zum Scheitern
verurteilt. Es fordert konfessionelle und kulturelle Selbstverleugnung und es
kollidiert mit seiner bioligistischen Sicht auf Juden: Wie sollen sich
beispielsweise Juden ihrer angeblich eingeborenen Unfähigkeit zu Ackerbau
und Handwerk entziehen, wenn diese doch im Denken Beuths biologisch
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unveränderlich sei? Die Enttäuschung am Scheitern des eigenen
Erziehungskobnstruktes führt erneut zu Judenhass.
Bei Fragen der Zuordenbarkeit des erhaltenen Manuskripts der Tischrede
Beuths kann im Angesicht der Diskussionen der letzten Monate eine klarere
Antwort zu Fragen nach seiner Mitgliedschaft in der Tischgesellschaft sowie
seiner inhaltlichen Urheberschaft an der Tischrede gegeben werden.
Über die bislang bekannt gewordenen Unterlagen des Staatsrates zu Beuth,
hinausgehend, haben sich zu seiner Arbeit im Staatsrat auch Akten gefunden,
die Beuths Wirken in den Abteilungen dieses Gremiums beleuchten. Diese
sind in den neruen Text eingearbeitet. - Angesichts einer irreführenden
Beschriftung wurde, wie oben ausgeführt, eine Vorlage des
Staatsministeriums irrtümlicherweise zunächst Beuth zugeschrieben.
Richtigerweise steht nun des Staatsrats Beuth Reaktion auf diese Vorlage im
Mittelpunkt der entsprechende Passage dieser Untersuchung.
Die Unterlagen im Staatsrat erweisen Beuths Unterscheidung zwischen
vermeintlichen Ost- und Westjuden. Sie zeigen an manchen Stellen zu den
Juden in Polen auch eine Überlagerung von Antisemitismus und
Antislawismus bei ihm. Diese Befunde bezeugen die Existenz
ausdifferenzierter Feindbilder in Beuths Denken und Wahrnehmung. Hantiert
Beuth einerseits mit biologistischen Zuschreibungen („Juden sind …“), so
vermag er andererseits die argumentative Tiefenwirkung seiner
Behapuptungen noch nicht auszuloten. Zu Beuths Zeit beginnt sich das
rassistische Denken zu entwickeln. Wenngleich auch er zuweilen in
rassistischer Weise etwas begründet, so fehlen ihm in seiner Zeit zugleich die
Worte, sein Tun zu kategorisieren.
Korrektur wie Aktualisierungen führen jedoch im Endergebnis, in der Gesamtschau,
nicht zu einer anderen Beurteilung als sie in der ersten Fassung dieser historischen
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Einschätzung 2018 abgegeben worden ist: Beuths Haltung zum Judentum ist von
einem - auch im zeitgenössischen Kontext – starken Antisemitismus geprägt.
Die vorliegende Ausarbeitung kann sich auf Originalquellen Beuths aus der
Bibliothek der Jagellionischen Universität, Krakau, aus dem Westfälischen
Wirtschaftsarchiv, Dortmund sowie aus der Sächsischen Landesbibliothek - Staats-
und Universitätsbibliothek, Dresden sowie Archivrecherchen im Historischen Archiv
der Beuth Hochschule für Technik, Berlin stützen. Vor allem aber umfangreiche
Studien im Geheimen Staatsarchiv PK, Berlin-Dahlem, in den Akten der Preußischen
Behörden und staatlichen Gremien, deren Mitglied Beuth war, können das Bild des
„politischen“ Beuths auf der Grundlage bislang unbekannter Quellenfunde wesentlich
erweitern.
Hob die bisherige Beuth-Rezeption vor allen Dingen auf den
Wissenschaftsorganisator, den Förderer von Technik und Bildung ab, so kann
neuerdings - vor allem auf der Grundlage der Protokolle und Unterlagen des
Preußischen Staatsrats - im Kontext seiner Zeit der politisch agierende Beamte
Beuth differenzierter gezeichnet werden. Seine Haltung gegenüber dem Judentum ist
dabei von einer Überlagerung konfessionell bedingter und rassisch argumentierender
antisemitischer Stereotype gekennzeichnet. An dieser im zeitüblichen Spektrum
rigide judenfeindlichen Haltung ändern pragmatische Zugeständnisse des
Freihändlers Beuth gegenüber Juden im Bereich der Wirtschaft nichts. Analoges
kann – wie im Folgenden dargelegt werden wird – für Beuths Auseinandersetzung
mit den vermeintlich von Toleranz geprägten Schriften des Juristen, Diplomaten und
Schriftstellers Christian Konrad Wilhelm von Dohm gesagt werden: Der
antisemitische Beuth sich auch auf Staatsräson, nicht aber auf Toleranz.1
1 Zu Dohm als "Mittel der Staatsräson": Kurt Nowak, Judenpolitik in Preussen. Eine Verfügung Friedrich Willhelms III. aus dem Jahr 1821, Leipzig 1998, S. 7.
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Beuths Einstellungen finden Eingang in die zentralen Diskussionsprozesse der
„Judengesetze“ des Preußischen Staates zwischen 1812 und 1847. Den Antisemiten
Beuth in eine „nach Auschwitz“ führende historische Zwangsläufigkeit stellen zu
wollen, würde ex post eine Verkürzung historischer Entwicklungsläufe bedeuten.
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Ausgangspunkte
Die bisherige Geschichtsschreibung zu Christian Peter Wilhelm Beuth (1781-1853)
konzentriert sich seit seinem Tod auf dessen Wirken als „genialem“ Organisator und
Netzwerker staatlicher Gewerbeförderung und technischer Bildungsentwicklung in
Preußen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Gelegentlich finden sich
weitere Fokussierungen auf Beuths Aktivitäten als „preußischem Wirtschaftsspion“ in
Großbritannien, Frankreich oder den USA oder auf seine Freundschaft mit Karl
Friedrich Schinkel.2
Bereits in der 1912 erschienen Quellenedition „Die Emanzipation der Juden in
Preußen“ veröffentlicht der Historiker und Jurist Ismar Freund (1876-1956) allerdings
schon ein Gutachten Beuths, welches eindeutige Rückschlüsse auf dessen
ablehnende Haltung zum Judentum zulässt, aber lange unbeachtet bleibt.3
Der aufstrebende preußische Beamte Beuth wird 1811 Mitglied der Deutschen
Tischgesellschaft. Vermutlich gelangt er über seinen Freund Schinkel in diese
Gesellschaft. In der bereits 2003 veröffentlichten literaturwissenschaftlichen
Habilitationsschrift von Stefan Nienhaus zur Geschichte der Deutschen
Tischgesellschaft wird in den Passagen zu Beuth ein neues Licht auf ihn geworfen.4
2 Grundlegend: Ilja Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806-1844, Berlin 1965. Vgl. Rudolph von Delbrück, Lebenserinnerungen. Erster Band, Leipzig 1905, S. 134ff.; Hans Joachim Straube, Chr. P. Wilhelm Beuth, Berlin 1930; Helmut Reihlen, Christian Peter Wilhelm Beuth. Eine geschichtliche Betrachtung zum 125. Todestag, Berlin u.a. 1979; Ders., Christian Peter Wilhelm Beuth. Eine Betrachtung zur preußischen Politik der Gewerbeförderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu den Drakeschen Beuth-Reliefs, Berlin 1992; Christiane Brandt-Salloum u.a., Klosterstraße 36. Sammeln, Ausstellen, Patentieren. Zu den Anfängen Preußens als Industriestaat, Berlin 2014. 3 Ismar Freund (Hg.), Die Emanzipation der Juden in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes vom 11. März 1812. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Juden in Preußen, Zweiter Band: Urkunden, Berlin 1912, hier: S. 350-353. Die Originalvorlage zu der hier edierten Quelle konnte bislang in dem Beständen des Geheimen Staatsarchivs spk, Berlin nicht ermittelt werden. 4 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003. Vgl. ebenfalls mit dem Hinweis auf Beuths Mitgliedschaft: Werner Treß, Deutsche Tischgesellschaft, in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 5. Organisationen, Institutionen, Bewegungen, Berlin u.a. 2012, S. 163f.
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Die “Deutsche Tischgesellschaft” versammelt zwischen 1811 und 1836 eine elitäre
Gruppe von Berliner Politikern, Künstlern, Militärs, Technikern und Unternehmern. Zu
dem Zirkel gehören Dichter wie Ludwig Achim von Arnim oder Clemens Wenzeslaus
Maria von Brentano, der Philosoph Johann Gottlieb Fichte oder der Militär Carl von
Clausewitz, um nur Einige zu nennen.
Beuth ist Mitglied in einem salonähnlichen Zirkel, der die Teilnahme von Juden –
auch getauften Juden5 – an Sitzungen in seiner Satzung a priori ausschließt. Er hält
hier, im Kreise von mehr als 70 Mitgliedern6 der konservativen politischen,
ökonomischen und kulturellen Elite des seinerzeitigen Preußens, 1811 eine
Tischrede, deren antisemitischer Gehalt auch für die Ohren von Zeitgenossen eine
ungewöhnliche Schärfe besitzt.
Vierzehn Jahre nach der Monographie von Nienhaus widmet sich Achim Bühl,
Professor am Fachbereich I der Beuth Hochschule für Technik, Berlin, in einem
internen Gutachten der Frage nach Beuths Haltung zum Judentum.7
Das vorliegende Gutachten zielt darauf ab, die durch die Forschungen von Nienhaus
aufgeworfene Frage nach der Haltung Beuths zum Judentum im zeitgenössischen
Kontext auf der Basis bislang unbekannter Archivdokumente in differenzierterer Form
zu beantworten.
Allzu leicht und nachvollziehbar erliegt man “rezeptionsgeschichtlichen Fallstricken”,
Arbeiten zu Beuth, die aufeinander bezogen - stets und zuweilen allzu
hagiographisch - alleinig den Topos des Technik- und Bildungspioniers bemühen.
5 Ungeklärt bleibt die Frage, ob sich diese Klausel des Statuts der Tischgesellschaft auch auf die Kinder getaufter Juden bezieht. 6 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 15. Vgl. ebenda, S. 14, Nienhaus macht in Listen 86 Mitglieder aus, allerdings haben diese nicht zwingend zeitgleich ihre Mitgliedschaft ausgeübt. 7 Achim Bühl, Stellungnahme zum Antisemitismus des Peter Beuth (1781-1853). Informations- und Diskussionspapier, Mskr., Berlin 2017.
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Ausgangspunkt der umfänglichen Archivrecherchen im Auftrag des Präsidiums der
Beuth Hochschule für Technik, Berlin ist daher die Frage nach dem „zoon politikon“
Beuth. Der Begriff des Politischen erstreckt sich im Ansatz dabei eben nicht nur auf
den eng gefassten Bereich der Wirtschafts-, Forschungs- und Bildungspolitik.
Vielmehr ist zu fragen, inwieweit Beuth über diese Themenfelder hinausgehend
quellenmäßig zu “erfassen” sei. Wo finden sich politische Quellenstücke zu/von
Beuth, die ihn als zum Thema Judentum reflektierend ausweisen?
Im Geheimen Staatsarchiv PK, Berlin-Dahlem, wurden zunächst sämtliche
Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes in Preußen von
1822 bis 1845, dem Jahr des altersbedingten Ausscheidens von Beuth,
durchgesehen. Intensiver geprüft wurden darüber hinaus die Aktenbestände der
Technischen Deputation (in unterschiedlichen Phasen verschiedenen preußischen
Ministerien zugeordnet), in der Beuth über viele Jahre eine leitende Funktion
bekleidet. In diesen Beständen findet sich lediglich eine Bestätigung des aus der
bisherigen Literatur bekannten Bildes vom Techniker und Bildungsnetzwerker Beuth.
Anders verhält es sich im Falle der Unterlagen des Preußischen Staatsrats, dessen
Mitglied Beuth seit 1821 ist.
Der in der Historiographie bisher wenig beachtete Preußische Staatsrat ist seit 1817
der höchste Beraterkreis des preußischen Herrscherhauses nach der
Verwaltungsreform von Stein und Hardenberg.8 Jedes Mitglied, auch der König, hat
grundsätzlich nur eine Stimme im Plenum. Alle Verwaltungen Preußens müssen dem
Staatsrat berichten, nahezu jedes Gesetz und wichtige Verordnungen werden hier
diskutiert. Später, also nicht mehr zu Lebzeiten Beuths unterliegt die Bedeutung des
Gremiums mit Blick auf die Zahl hier geprüften Normen einem zeitweiligen
Bedeutungsverlust. Qua Abstimmung positionieren sich die Mitglieder des
Staatsrates dann zu entscheidenden Fragen der Staatsführung.
8 Vgl. detailliert zu diesem Gremium: Hans Schneider, Der Preussische Staatsrat 1817-1918, München u.a. 1952.
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Angehörige der königlichen Familie, hohe Militärs sowie Ministerialbeamte gelangen
durch Geburt, Funktion oder Berufung in den Staatsrat. Zur Gruppe der Mitglieder,
die auf Vorschlag des Königs in den Staatsrat aufgenommen werden, gehört der
nichtadelige Beuth.
Das Gremium existiert mit Veränderungen und Brüchen bis zur Liquidation des
Preußischen Staates durch die Alliierten 1947. In seiner staatsrechtlichen Wirkung
wäre es vergleichbar mit dem heutigen Bundesrat.
Der Staatsrat fand, ob der seit 1866 eher auf die Geschichte des Reiches, weniger
auf die Preußens, fokussierten Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu wenig
Beachtung.
Beuths öffentliche Wirkung als hoher Ministerialbeamter geht weit über den
Schreibtisch des Gewerbeförderers hinaus, als er 1821 ordentliches Mitglied des
Preußischen Staatsrates wird. Im Staatsrat wirkt er an entscheidender Stelle im
Gesetzgebungsverfahren mit, in mindestens einem Fall prägt Beuth dies deutlich mit.
Als Wirtschaftsexperte lenkt an entscheidender Stelle den Staat mit. Er ist zudem in
verschiedenen Abteilungen des Staatsrats tätig. Als er 1845 dem König gegenüber
neben seinem Rücktrittsgesuch aus dem Verwaltungsdienst auch den Wunsch
äußert, den Staatsrat verlassen zu dürfen, verweigert der Monarch die Annahme des
Gesuchs. Die Stimme des greisen Beuths zählt jedoch auch weiterhin; so er an den
weiteren Sitzungen teilgenommen hätte. Analysiert wurden für dieses Gutachten
sämtliche Sitzungsprotokolle des Staatsrats von 1821 bis 1845, die ihnen
zugeordneten Drucksachen sowie eine Vielzahl an weiteren Aktenbänden dieses
Organs für die genannten Jahre.
Kleinere Konvolute an erhaltenen Korrespondenzen Beuths mit verschiedenen
Briefpartnern im Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Dortmund (= "Nachlass Beuth")
sowie in der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek,
Dresden konnten zudem herangezogen werden. Gleiches gilt für das vollständige
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Manuskript der von Beuth gehaltenen “Tischrede” aus der Handschriftenabteilung
der Bibliothek der Jagellionischen Universität in Krakau. Das Historische Archiv der
Beuth Hochschule für Technik, Berlin enthält keine Originaldokumente zu Beuth.
Vielmehr finden sich hier vor allem mit Hinweisen gespickte Kompilationen von
Material zur Rezeption Beuths (Sammluing Wefeld), die sich in den Bahnen der
bisherigen Wahrnehmung (vgl. oben) bewegen.
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Judenhass um 1800 im deutschsprachigen Raum
Um Beuths Haltung zum Judentum im zeitgenössischen Kontext angemessen
bewerten zu können, ist zunächst ein kurzer Exkurs zu Fragen des Antisemitismus in
dieser Zeit vonnöten. - Die umfangreiche und vielfältig ausdifferenzierte
Antisemitismusforschung unterscheidet grundsätzlich zwischen Antijudaismus und
Antisemitismus. Unter Antijudaismus werden dabei die seit dem Mittelalter im
deutschsprachigen Raum vorherrschenden Stereotypen und Feindbilder verstanden,
die mit der religiösen Unterschiedlichkeit zwischen Christen und Juden
argumentieren (“Jesusmörder”, “Hostienschänder” etc.). Hiermit einher gehen auch
negative soziale Konnotationen oder die Zuschreibungen von Krankheitsmetaphern
(“Wucherer”, “nicht-zünftisch”, “Verursacher der Pest” etc.).
Um 1800 - mit dem Beginn einer zunehmend “biologistischen” Sicht auf den
Menschen - wird der christlich motivierte Judenhass um den rasseideologischen
Antisemitismus “erweitert”. Juden werden als physisch und psychisch andersartig
beschrieben. Ihr vermeintliches Anderssein wird als biologisch unveränderlich
postuliert. Die Konstruktion einer jüdischen “Rasse” beginnt.9 Hierbei werden soziale
und politische Motive mit Antijudaismus wie Antisemitismus im jeweiligen
zeitgenössischen Kontext fort gesponnen.10 Die angebliche Krummbeinigkeit von
Juden – ein ikonographisches Motiv antisemitischer Bilder des frühen 19.
Jahrhunderts11 – wird zum Beispiel als Beleg ihrer Unfähigkeit zu Handwerk und
Militärdienst heran gezogen. Einerseits lässt sich der Ausschluss jüdischer
Handwerker aus den christlichen Zünften so begründen, andererseits kann
“bewiesen” werden, dass Juden als “Drückeberger” nicht mit Patriotismus das eigene
9 Hier nur: Shulamit Volkov, Die Juden in Deutschland 1780-1918, München 1994; Julius H. Schoeps u.a. (Hg.), Antisemitismus. Vorurteile und Mythen, München u.a. 1995. 10 Vgl. Johannes Heil, "Antijudaismus" und "Antisemitismus". Beriffe als Bedeutungsträger, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 6 (1997), S. 92-114. 11 Vgl.: Sander L. Gilman, The Jew´s Body, New York, London 1991.
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Land (gegen Napoleon Bonaparte) verteidigten. Die in der Ausformung als “in-group”
begriffene (preußische) Nation findet in “den Juden” ihre “out-group”.12
Das Leben des stark protestantisch geprägten Beuths vollzieht sich genau in der
Überschichtungsphase von konfessionell und von rassistisch “argumentierendem”
Antisemitismus13. Es sollen daher im Folgenden die Termini “Antisemitismus” und
“Judenhaß” synonym für jedwede Form der Judenfeindschaft verwendet werden. In
historiographischen wie literaturwissenschaftlichen Forschungen hat sich zudem der
Begriff des “romantischen Antisemitismus” etabliert. Dieser betrachtet den
Judenhass des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts. Hierbei werden die
geistesgeschichtlichen Überlagerungen von Aufklärung und Romantik zumeist
differenziert berücksichtigt.14
12 Gordon Allport, The Nature of Prejudice, New York 1954. Vgl. Hier nur zu Geschichte und Verfolgung von Juden im deutschsprachigen Raum: H. G. Adler, Die Juden in Deutschland. Von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus, , München u.a. 1987; Helmut Berding, Moderner Antisemitismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988; Werner Bergmann u.a., Die Nachtseite der Judenemanzipation. Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780-1860, Berlin 1989; Nachum T. Gidal, Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik, Gütersloh 1988; Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz (Hg.), Juden in Preußen. Ein Kapitel deutscher Geschichte, Berlin 1981; Heiko Haumann, Geschichte der Ostjuden, München 1990; Ludger Heid, Antisemitismus und “Ostjudenfrage”. Vom “Krawattenjuden” und “Kaftanjuden”, in: Antisemitismus. Erscheinungsformen der Judenfeindschaft gestern und heute. Herausgegeben von Günther B. Ginzel, Bielefeld 1991, S. 320-326; George L. Mosse, Die völkische Revolution. Über die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1991; Stefan Rohrbacher u.a., Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile, Reinbek 1991, Reinhard Rürup, Jüdische Geschichte in Deutschland. Von der Emanzipation bis zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, in: Dirk Blasius u.a. (Hg.), Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland, Frankfurt a.M. 1991, S. 79-101; Ders. (Hg.), Jüdische Geschichte in Berlin. Eassays und Studien, Berlin 1995. 13 Sander L. Gilman, Rasse, Sexualität und Seuche. Stereotype aus der Innenwelt der westlichen Kultur, Reinbek 1992. 14 Wolf-Daniel Hartwich, Romantischer Antisemitismus. Von Klopstock bis Richard Wagner, Göttingen 2005; Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 4; Marco Puschner, Antisemitismus im Kontext der politischen Romantik, Tübingen 2008; Cordula Grewe, Painting the Sacred in the Age of Romanticism, Surrey u.a. 2008, S. 258ff.
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Christian Peter Wilhelm Beuth
Wenngleich eine moderne, historisch-kritische Biographie zu Beuth aussteht, so
liegen doch zahlreiche biographische Studien zu ihm vor. Diese betrachten den im
preußischen Staatsapparat vernetzten “system builder”15 von Innovationen,
Wissenslandschaften wie auch den Techniker und Erfinder. Die Studien tragen teils
hagiographische Züge. Es überwiegt eine technikgeschichtliche Orientierung. Kaum
werden politische oder sozialhistorische Aspekte beleuchtet.
Wo lassen sich erstmals Äußerungen, die Beuths Haltung gegenüber Juden belegen,
finden? In Vorbereitung des Juden-Edikts von 1812 wird Beuth, zu jener Zeit in der
Abgabensektion im Preußischen Finanzministerium tätig, ein Gesetzentwurf zu
Begutachtung vorgelegt. Friedrich von Raumer, seit 1810 Rat in der Preußischen
Finanzveraltung, darauf Rat beim Staatskanzler Karl August Freiherr von
Hardenberg, stellt im Februar 1811 einen Entwurf für ein „Edict über die künftigen
Verhältnisse der Juden“ fertig.16 Dieser Text wird unter anderem Beuth zur
Begutachtung vorgelegt. Aus Beuths Anmerkungen vom 11. April 1811 zum von
Raumerschen Entwurf seien drei Dinge hervorgehoben:17
1. Bei der Frage, ob Juden in Preußen zukünftig Handel treiben dürften, schlägt
Beuth vor: „Kein Jude, der sich künftig etablirt, darf Handel treiben
ausgenommen das erste Kind (oder besser ein Kind) eines Naturalisirten,
15 Vgl. zur Begrifflichkeit, die sich auch schon auf eine Persönlichkeit des frühen 19. Jahrhunderts anwenden läßt: Thomas P. Hughes, Walther Rathenau: "system builder", in: Ders. u.a. (Hg.), Ein Mann vieler Eigenschaften. Walther Rathenau und die Kultur der Moderne, Berlin 1990, S. 9-31. 16 Ismar Freund (Hg.), Die Emanzipation der Juden in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes vom 11. März 1812. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Juden in Preußen, Zweiter Band: Urkunden, Berlin 1912, hier: S. 336ff. 17 Hierfür: Ismar Freund (Hg.), Die Emanzipation der Juden in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes vom 11. März 1812. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Juden in Preußen, Zweiter Band: Urkunden, Berlin 1912, hier: S. 351, 353.
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Generalprivilegirten oder Ordinarii für seine Person.“18 Beuth bewegt sich
hierbei in einem Spannungsverhältnis: Annehmend, dass Juden eine
besondere, negativ konnotierte Affinität zum Handel aufwiesen, will er
einerseits deren Einfluß in Handelsfragen staatlich kontrolliert limitiert wissen.
Andererseits war ihm, wie vielen anderen Mitgliedern des
Verwaltungsapparates in Preußen, klar, dass der bankrotte Staat, dass viele
verschuldete private Gutsherrschaften im Sinne einer umfassenden
Staatsräson nur durch zusätzliches Kapital privater (auch jüdischer)
Investoren und/oder Kreditgeber finanziell zu sanieren wären.19 Ausgehend
von diesem Zielkonflikt „Antisemitismus versus freihändlerische Staatsräson“
erklärt sich auch die ledigliche Freigabe von Handelsgenehmigungen an
staatlicheseits „kontrollierte“ und „privilegierte“ Juden.
2. Beuth fährt fort: „Die Zeit würde ich nicht bestimmen, in Frankreich waren die
Juden nach 20jähriger Freyheit um nichts besser als vorher.“20 Er bezieht sich
auf Napoleons tolerante Haltung gegenüber den Juden in Frankreich. Können
liberale Rechtsnormen, kann „Erziehung“ Juden „verbessern“? Beuth verneint
diese Frage. Es wird hier ein zweites Spannungsverhältnis deutlich, dass - wie
schon das zuvor geschilderte - Beuths Haltung zum Judentum für die
nächsten Jahrzehnte durchziehen soll. Jüdischsein wird zunächst a priori
negativ betrachtet. Erst die Ablegung vermeintlich „jüdischer Eigenschaften“
würde aus Juden eigentliche Staatsbürger werden lassen. Beuth ist also nicht
18 Ismar Freund (Hg.), Die Emanzipation der Juden in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes vom 11. März 1812. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Juden in Preußen, Zweiter Band: Urkunden, Berlin 1912, hier: S. 351. 19 Hierzu: Albert A. Bruer, Geschichte der Juden in Preußen (1750-1820), Fraunkfurt a.M. u.a. 1991, S. 226-256. Vgl. Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Nirdergang 1600-1947, München 2008, S. 365, 390. 20 Ismar Freund (Hg.), Die Emanzipation der Juden in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes vom 11. März 1812. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Juden in Preußen, Zweiter Band: Urkunden, Berlin 1912, hier: S. 351.
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der Vertreter eines aufklärerischen Neben- oder Miteinanders von
Angehörigen verschiedener Konfessionen wie etwa Moses Mendelssohn.21
Wie auch im Folgenden zu zeigen sein wird, bedient sich Beuth nicht nur
konfessionell argumentierender antijüdischer Einstellungen. Vielmehr geraten
ihm – nicht untypisch für seine Zeit – implizit auch biologistische Sichtweisen
gegenüber Juden in den Fokus. Der mithin vermeintlich biologistisch
manifestierten „Unveränderlichkeit“ von Juden steht bei ihm ihre denkbare
„Erziehbarkeit“ gegenüber. Christian Konrad Wilhelm von Dohm hatte bereits
1781 und 1783 sein Werk “Über die bürgerliche Verbesserung der Juden”
veröffentlicht.22 Juden hatten nach Dohm eine Chance ihren Weg in die
christliche Gesellschaft zu finden, wenn sie durch “Erziehung” ihr Judentum
und die diesem zugeschriebenen (negativen) Eigenschaften ablegten.
Zugespitzt formuliert: Ein guter Jude war ein Nichtjude.23 Beuth war dieses
Werk aller Wahrscheinlichkeit nach bekannt.
Zurück zu Beuth: Wie liess sich ein Jude erziehen, wenn er doch von außen
zunehmend als “biologisch unveränderlich” konstruiert wurde? Die
Enttäuschung am gescheiterten “pädagogischen Konzept” und damit die
Rückkehr zu rigideren Haltungen gegenüber Juden schien vorprogrammiert.
Im Falle der Notiz Beuths: Die liberalen Rechtssetzungen Napoleon
Bonapartes hatten es nicht vermocht, Juden zu einer “Besserung” zur
Erziehung von “innen” oder “außen” zu führen.
21 Hier nur: Shulamit Volkov, Die Juden in Deutschland 1780-1918, München 1994, S. 15. 22 Christian Konrad Wilhelm von Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, zwei Teile, Reprint, Hildesheim 2013 [zuerst: Berlin, Stettin 1781/1783]. - Es sei hier nur kursorisch darauf verwiesen, dass Dohm "Erziehungsgedanke" eine Entsprechung in Martin Luthers Haltung gegenüber Juden in seinen frühen Schriften um die Zeit des Bauernkrieges findet. 23 Diese Haltung auch bei dem als "aufgeklärt" geltenden Wilhelm von Humboldt: Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Nirdergang 1600-1947, München 2008, S. 391. Vgl. wenngleich mit zeitlich später liegenden Referenzen: Michael Brenner, Vorsicht, Antisemitismus-Falle! Aus der Abwehr der Judenfeindschaft allein läßt sich keine jüdische Identität schöpfen, in: Jüdische Allgemeine vom 1. August 2002, S. 1.
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3. Am Ende seiner Anmerkungen von 1811 denkt Beuth für Preußen über eine
strikte Begrenzung der Einwanderung ausländischer Juden nach: “Sonst bleibt
alles schon im Lande befindliche fremde Gesindel, unter dem Deckmantel der
Schutzjuden darinnen als Handlungsdiener.”24 Bereits hier zeichnet sich eine
Differenzierung seiner Einschätzungen innerhalb verschiedener Gruppen des
Judentums ab.
Etwa zeitgleich mit den Kommentaren im Vorfeld des “Juden-Edikts” von 1812, um
die Beuth gebeten wird, erfährt der aufstrebende Beamte ebenfalls im Jahr 1811 eine
Einladung, die nur mittelbar mit seinem beruflichen Wirkungsfeld verknüpft ist. Beuth
wird Mitglied der Deutschen Tischgesellschaft. –
Im Verlauf des Jahres 2018 und zu Beginn des Folgejahres ist mehrfach infrage
gestellt worden, ob Beuth denn überhaupt Mitglied dieses konservativ christlichen
Zirkels gewesen sei. Die Autoren der vorliegenden Stellungnahme folgen in ihrer
Argumentation den Quellenfunden von Stefan Nienhaus, denen zufolge Beuth
Mitglied der Deutschen Tischgesellschaft gewesen sei.25 Beuth taucht auf einer
Subskriptionsliste der Deutschen Tischgesellschaft auf. Der auf einer solchen
Aufstellung vorgesehene Verteiler umfasste ausschließlich Mitglieder der
Tischgesellschaft.
Die Studie von Stefan Nienhaus zur “Deutschen Tischgesellschaft”26 belegt nun
judenfeindliche Äusserungen von Beuth bei einer von diesem gehaltenen Tisch-Rede
in dem salonartigen Kreise.
24 Ismar Freund (Hg.), Die Emanzipation der Juden in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes vom 11. März 1812. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Juden in Preußen, Zweiter Band: Urkunden, Berlin 1912, hier: S. 353. 25 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 14, 354. 26 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003; zu Beuths Rede: S. 237ff.
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Es ist üblich, dass eines der Mitglieder die Treffen mit einer Tischrede belebt. Im
Falle Beuths ist der Text seiner Ansprache als Manuskript erhalten. - Gibt das
erhaltene Schriftdokument wirklich Beuths Rede wider?27 Diese an der Beuth
Hochschule jüngst ventilierte Frage ist u.E. wie folgt zu beantworten: Das überlieferte
Dokument weist mindestens Handschriften von vier Händen aus der Entstehungszeit
auf. Mag der Redetext vermutlich nicht von Beuth selbst aufgezeichnet sein, so
widerspricht dies nicht der Tatsache, dass er diese seine Rede wirklich ausgearbeitet
und gehalten hat. Nienhaus verweist auf zwei „Ämter“ in der deutschen
Tischgesellschaft, denen die Aufgabe von Aufzeichnung und/oder Abschrift
zugekommen sein dürfte.28 Dem „Sprecher“ oblag es, Sitzungsprotokolle zu führen;
neue Statuten ebenso wie gehaltene Reden waren von ihm aufzuzeichnen. Auf
Vorschlag des Clemems von Brentano wurde dazu auch ein „Schreiber“ eingeführt.
Dieser vermerkte in einem Buch die „beste Geschichte“ eines Sitzungstages. Zudem:
Das Manuskript weist zwei Beschriftungen mit Beuths Namen auf. Und: Nienhaus
zitiert eine Erwähnung der Rede Beuths bei Achim von Arnim.29
Es wurde in den vergangenen Monaten an der Beuth Hochschule gefragt: Weshalb
trägt das Manuskript den Zusatz „Aufsatz“? Die Beiträge aus den Zusammenkünften
der Deutschen Tischgesellschaft wiesen unterschiedlichste Textformen auf: als
Schwank, in Versform oder als sachliche Abhandlung etc. Gegebenenfalls ist Beuths
Rede für die Veröffentlichung geprüft worden. Das auf dem Manuskript des
Redetextes aufgeklebte Buchbindepapier könnte hierfür einen Hinweis darstellen.
Ein negativer Kommentar auf dem Redemanuskript zu dessen Inhalt (vgl. im
27 Hier und für das Folgende: Bibliothek der Jagellionischen Universität, Krakau, Sammlung Varnhagen, VS 29. 28 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, hier und für das Folgende: S. 57, 60. Ders, S. 71, 77 verweist selbst auf die fragmentarische Überlieferung vieler Quellen in Abschriften. 29 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 243.
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Folgenden) könnte einen weiter angedachten Publikationsprozess zunichte gemacht
haben.30
Beuth beginnt seine Tischrede 1811 mit dem Thema des seit den Finanzreformen in
Preußen möglichen Kaufs von Gütern durch Nicht-Adelige. Er erwägt, ob ein Jude
als Patronatsherr eines Gutes dann auch den dortigen Priester bestelle (ein Recht,
das traditionell dem Gutsherren obliegt). Beuth fährt fort: “Ich gehe weiter, da die
Juden uns wie gesagt für Schweine halten: So können sie selbst nicht verlangen
dass wir für sie beten; wir aber können es aber darum nicht, weil die Juden selbst
dies sind. Dies steht durch Urteil und Recht fest, denn ein Krist der im Jahre 1180
eine Jüdin geschwängert hatte, wurde wegen begangener Sodomiterey lebendig
verbrant.”31
In der Folge spekuliert der Redner Beuth, wie ein christlicher Priester denn
Beschneidungen an den Kindern eines jüdischen Grundherren vornehme: “Tröstend
ist diese Entscheidung einem Kristen, denn da von ihm nicht zu verlangen ist, dass
er das Beschneiden versteht: so wird das verbluten, und verschneiden manchen
Judenjungens die wahrscheinliche und wünschenswerte Folge davon seyn.”32
Während Achim von Arnim Beuths Rede begrüßt, urteilt - Nienhaus zufolge - der
ebenfalls anwesende Karl August Varnhagen von Ense: “Pöbelhaft und schal.
Traurige Verirrung!”33
Beuths antisemitische Vernichtungsphantasien mit dem ex post gewonnenen
“Wissen um Auschwitz”34 zu verknüpfen, wäre einerseits eine unzulängliche, weil
30 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 242f., vgl. S. 236. 31 Zitiert nach: Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 241. Die falsche Rechtsschreibung des Zitats wurde beibehalten. 32 Zitiert nach: Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 242. Die falsche Rechtsschreibung des Zitats wurde beibehalten. 33 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 242f., Zitat: S. 242.
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unhistorische Interpretation. Ebenso verkürzend schiene es andererseits hingegen
auch, wenn man gleichwohl verkennen wollte, dass der Antisemitismus des frühen
19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum durchaus auch bis hin zu Pogromen
handlungsleitend zu werden vermag. Erinnert sei beispielsweise an die gewaltsamen
“Hep-Hep-Krawalle” von 1819.35
Der durch Shulamit Volkov aus den Sozialwissenschaften in die
Antisemitismusforschung übernommene Begriff der “cultural codes”36 hilft am
ehesten bei der genaueren Einordnung: Beuths Äusserungen in der
Tischgesellschaft nehmen das Thema Juden zum Anlass, sich als Gegner der seit
den Zeiten Moses Mendelssohns einsetzenden Emanzipation von Juden37 zu
präsentieren. Gleichsam als Subtext wird darin für Zeitgenossen erkennbar, dass
Beuth sich hierin als patriotischer Preuße ausweist, der sich im Kreise von
Mitgliedern der preußischen Elite als einer der Ihren empfiehlt.38 Dies gilt umso mehr
für den aus dem Rheinland Stammenden, der nun in die Residenzstadt Berlin, das
Zentrum der Macht, gelangt ist. In diesem Sinne passt auch Beuths Motto: “Der
Gewerbefleiß ist die Grundlage der Nationalkraft.”39 Nationale Gesinnung vermag auf
34 Reinhard Rürup, Jüdische Geschichte in Deutschland. Von der Emanzipation bis zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, in: Dirk Blasius; Dan Diner (Hg.): Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland, Frankfurt a.M. 1991, S. 79-101, hier: S. 80. 35 Steffi Jersch-Wenzel, Rechtslage und Emanzipation, in: Dies. u.a. (Hg.), Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit. Zweiter Band, München 1996, S. 15-56, hier: S. 43-45; Nachum T. Gidal, Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik, Gütersloh 1988, S. 148f. 36 Shulamit Volkov, Antisemitism as a Cultural Code - Reflections on the History and Historiography of Antisemitism in Imperial Germany, in: YBLBI XXIII (1978), S. 25-46. 37 Hier nur: Michael A. Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 1749-1824, München 1994. 38 Vgl. eine frühe öffentliche Reaktion von jüdischer Seite auf den Zusammenhang von Patriotismus und Judenfeindschaft: Werner Bergmann, Die Germanomanie (Saul Ascher, 1815), in: Werner Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus. judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 6. Publikationen, Berlin u.a. 2013, S. 231-233. 39 Helmut Reihlen, Christian Peter Wilhelm Beuth. Eine geschichtliche Betrachtung zum 125. Todestag, Berlin u.a. 1979 Helmut Reihlen, Christian Peter Wilhelm Beuth. Eine geschichtliche Betrachtung zum 125. Todestag, Berlin u.a. 1979, S. 42.
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verschiedenen Wegen - wie die weitere Darstellung zeigen wird, außerordentlich
ambivalent - artikuliert zu werden.
Diese Deutung greift aus zwei Gründen zu kurz, wendet man zeitimmanent
gewonnene Bewertungsmasstäbe an:
1.) Der illustre Kreis der Berliner Tischgesellschaft, aus allen Teilen der
konservativen Eliten Preußens, schliesst in seinen Reihen - wie erwähnt - a priori
Juden als Mitglieder aus. Nicht genug damit: Auch getaufte Juden gelten als nicht
zugelassen, an den Vortrags- und Gesprächsrunden teilzunehmen.40 - Vorträge wie
etwa die Achim von Arnims oder Clemens von Brentanos verweisen in ihren
judenfeindlichen Inhalten auf das gleichsam konsensuale und als konstitutiv
anzusehende Element des Judenhasses in diesem Zirkel.41 Ausschlussklauseln von
Vereinigungen gegenüber Juden im deutschsprachigen Raum sind schon kurz nach
1800 gelebter Alltagsantisemitismus. Derartige Entwicklungen verstärken sich im
Laufe des 19. Jahrhunderts. Hinzu kommen schon zu jener Zeit die regional sehr
unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu Zünften, der Staatsverwaltung und dem
Militär.42
40 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 10. 41 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 51f., 54-56, 64, 80, 204ff., 324ff.; Wolf-Daniel Hartwich, Romantischer Antisemitismus. Von Klopstock bis Richard Wagner, Göttingen 2005, S. 154-168; Marco Puschner, Antisemitismus im Kontext der politischen Romantik, Tübingen 2008 Marco Puschner, Antisemitismus im Kontext der politischen Romantik, Tübingen 2008, S. 478; Cordula Grewe, Painting the Sacred in the Age of Romanticism, Surrey u.a. 2008, S. 282ff. 42 Steffi Jersch-Wenzel, Bevölkerungsentwicklung und Berufsstruktur, in: Dies. u.a. (Hg.), Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit. Zweiter Band, München 1996, S. 57-95, hier: S. 66ff.; Michael A. Meyer, Judentum und Christentum, Im selben Band, S. 177-207, hier: S. 202ff.; Peter Pulzer, Die Wiederkehr des alten Hasses, in: Ders. u.a. (Hg.), Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit. Dritter Band, München 1997, S. 193-248, hier: S. 218ff.; Steven M. Lowenstein, Anfänge der Integration 1780-1871, in: Marion Kaplan (Hg.), Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland. Vom 17. Jahrhundert bis 1945, München 2003, S. 125-224, hier: S. 221ff.; Walter Boehlich (Hg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt a.M. 1988.
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2.) Im Vergleich mit anderen Rednern in der “Deutschen Tischgesellschaft” fällt der
Befund zu den Inhalten der Ausführungen Beuths negativ aus.43 Seine Tischrede ist
gespickt mit sadistischen Phantasien zum Umgang mit Juden. Anders als bei Poeten
wie Arnim oder Brentano wird dies durch seine sachlichere Sprache noch
unterstrichen. In den Worten von Stefan Nienhaus: “Dummheit und Brutalität
ergänzen einander in der Beuthschen Argumentation…”44
Kurz: Beuth entscheidet sich explizit für die Mitgliedschaft in einem Zirkel, der sich
qua Statut dem antiemanzipatorischen Antisemitismus verschrieben hat; eine Wahl,
die nicht alternativlos war, denkt man etwa an den Salon der - jüdischen - Rahel
Varnhagen oder anderer zu jener Zeit. Anders, als eine Vielzahl weiterer Mitglieder
exponiert sich Beuth in diesem Kreise auch mit einer Tischrede. Zweifelsohne ist die
Übernahme einer solchen Verpflichtung auch eine ehrenvolle Aufgabe.45
Nienhaus hat den Einfluss der Tischgesellschaft auf die gesellschaftliche
Oberschicht Berlins analysiert, ohne jedoch deren “Rückkoppelung” in die politischen
Gremien zu hinterfragen. Beuth wäre hier als eine Schlüsselfigur anzusehen, zumal
er Teile seines persönlichen Netzwerkes, in dem sich immer höchste Beamte
preußischer Verwaltungen finden, auch später an einem sonntäglichen Mittagstisch
auf seinem Gut in Schönhausen oder im Winter in seiner Dienstwohnung
zusammenführt.46 Derartige Tischgesellschaften scheinen von Beuth als
geschlossene Reflexionszirkel seiner eigenen Gedankengebäude und Herleitungen
genutzt worden zu sein, ebenso dürfte er Kritik und Anregungen aus dem
Freundeskreis in seine berufliche Praxis übernommen haben. Treffen sich doch am
Tisch, Männer der Gesellschaft, welche quer und fern von Verwaltungshierarchien
43 Detailliert: Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 237ff. 44 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 241. 45 Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003, S. 79ff., zum Charakter einer Tischrede. 46 Hans-Joachim Wefeld, Christian Peter Willhelm Beuth. Ein Lebenswerk. Vortrag aus Anlaß des 200. Geburtstages, gehalten im Spiegelturm der Schwanenburg zu Kleve am 14. Mai 1982, Sonderdruck: Kleve 1982. (= Historisches Archiv der Beuth Hochschule, Beu 82).
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interagieren können, ohne “aktenkundig” werden zu müssen oder ministerialer
Kontrolle zu unterliegen.
Wie gelangt Beuth in den Fokus der preußischen Führungsriege? Seine schnelle
Auffassungsgabe, sein Kontakt zu Hardenberg, seine Mitwirkung an der Erneuerung
der rückständigen Wirtschaft Preußens lassen den jungen Beamten in
entscheidende Ämter eintreten, seit Sommer 1814 führt er die General-Verwaltung
für Gewerbe und Handel im Finanzministerium, um später im Ministerium des Innern
ebenfalls für Handel und Gewerbe verantwortlich zu zeichnen. An der großen
Steuerreform in Preußen von 1817 wirkt er erfolgreich mit. Ebenso reformiert er das
Patentwesen Preußens. 1821 beruft ihn Friedrich Wilhelm III. in den Preußischen
Staatsrat.
Im Wirkungszeitraum von Beuth als Staatsrat von 1821 bis nach 1845 kann in den
erhaltenen Unterlagen des Gremiums mehrfach eine wesentliche Mitwirkung Beuths
an Beratungen und Entscheidungen zur Gesetzgebung gegenüber Juden belegt
werden.
Das erste Gesetzgebungsvorhaben, an dem Beuth maßgeblich mit beteiligt ist,
nimmt, unter dem Eindruck der Aufklärung, von zwei Punkten seinen Ausgang:
1. Der Weg der Juden im deutschsprachigen Raum führt aus der Ghettoisierung hin
zu einer verstärkt integrierten Teilhabe an der Gesellschaft. Dieser Entwicklungsgang
führt auch zu Veränderungen innerhalb der jüdischen Lebenswelten.47 Personifiziert
wird dieser Prozess seit Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem durch den jüdischen
47 Hier nur: David Sorkin, The impact of emancipation on German Jewry. A reconsideration, in: Jonathan Fraunkel u.a. (Hg.), Assimilation and community. The Jews in ninetenth-century Europe, Cambridge 1992, S. 177-194; Michael A. Meyer, Jüdische Identität in der Moderne, Fraunkfurt a.M. 1992. Neuerdings für Preußen: Marion Schulte (Hg.), Über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in Preussen. Ziele und Motive der Reformzeit (1787-1812), Berlin u.a. 2014; Anne Purschwitz, Jude oder preußischer Bürger? Die Emanzipationsdebatte im Spannungsfeld von Regierungspolitik, Religion, Bürgerlichkeit und Öffentlichkeit (1780-1847), Göttingen 2018.
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Philosophen Moses Mendelssohn. Vor dem Hintergrund naturrechtlicher
Überlegungen und einer aufklärerischen Toleranz sucht Mendelssohn nach einer
Koexistenz von Angehörigen der christlichen und der jüdischen Religion.48
Einschränkend sei hinzu gefügt, dass sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch
viele Juden unter dem Druck des Antisemitismus und/oder
Säkularisierungsbestrebungen in einem breit aufgefächerten Verhaltensspektrum für
eine partielle Aufgabe jüdischer Glaubens- und Kulturtraditionen entscheiden.
2. Zum Anderen bildet sich ein Spektrum an Reaktionen der christlichen
Mehrheitsgesellschaft auf die zunehmende Emanzipation von Juden in Deutschland
aus. Neben einer Toleranzidee, wie sie sich etwa in der Ring-Parabel in Gotthold
Ephraim Lessings “Nathan der Weise” manifestiert, finden sich auch offene
Ablehnung oder der Wunsch, Juden seien “gute Juden”, wenn Sie sich ihrer
vermeintlich “jüdischen” Eigenschaften entledigten und sich ihren christlichen
Mitbürgern “anglichen”. - Ein zeitüblicher kognitiver Irrweg, dem auch Beuth, wie
schon erwähnt, verfallen soll.
Unter dem Eindruck der Niederlage Preußens gegen Napoleon Bonaparte 1806
beschleunigt sich eine Reformbewegung.49 In einer Mischung aus nationaler
Erneuerungsbewegung und aufklärerischen Einflüssen entstehen in Preußen
Regelungen zur schrittweisen Gleichberechtigung von Juden. Hinzu kommt, dass der
bankrotte preußische Fiskus hierbei auf das finanzielle Entgegenkommen jüdischer
Kreditgeber bei Staat und Privatwirtschaft hofft.
48 Michael A. Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 1749-1824, München 1994 Michael A. Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 1749-1824, München 1994. 49 Wilhelm Bringmann, Preußen im Jahr 1806. Jena und Auerstedt, Stuttgart 2019.
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In der Städteordnung von 1808 erhalten Schutzjuden, die unter dem Schutz des
preußischen Königs stehen, beispielsweise zeitweilig das aktive und passive
kommunale Wahlrecht zugestanden.
Mit dem Edikt von 1812 erfolgt eine weitergehende staatsrechtliche Gleichstellung
von privilegierten Juden mit ihren christlichen Mitbürgern. Sie unterliegen nun dem
Allgemeinen Preußischen Landrecht. Damit ist die richterliche Vormundschaft durch
Rabbiner oder Gemeindeälteste aufgehoben. Zum Erhalt des Staatsbürgerrechts ist
es geboten, sich bei der Verwaltung anzumelden und einen gemeinsamen
Familiennamen zu führen.
Das Edikt gilt nur in den Landesteilen die zur Zeit des Erlasses zu Preußen gehören;
also nicht in: Teilen Westpreußens, der Lausitz, Vorpommerns und im
Großherzogtum Posen – Territorien, die nach dem Wiener Kongress 1815 erneut
oder neuerdings unter die Herrschaft Preußens gelangen. Hier gilt weiterhin die seit
der französischen Besatzung herrschende Rechtslage. Das expandierte preußische
Königreich steht vor der Herausforderung, eine Vereinheitlichung der
unterschiedlichen Rechtsordnungen in seinen Teilgebieten herbeizuführen. Dies gilt
auch für die Sondergesetze gegenüber Juden: Bis 1847 existieren parallel etwa
zwanzig verschiedene „Judenordnungen“ in Preußen.50 Dies ist das Szenario, in
welchem Beuth zu einem der zentralen Diskutanten wird, die eine Weiterentwicklung
der preußischen Politik gegenüber Juden im Preußischen Staatsrat erörtern.
Christian Peter Wilhelm Beuth wird im Dezember 1821 in den Preußischen Staatsrat
aufgenommen.51 Beuth absolviert am 22. Januar 1822 erstmalig eine Sitzung des
Gremiums und nimmt fürderhin an den Plenarsitzungen teil.
50 Shulamit Volkov, Die Juden in Deutschland 1780-1918, München 1994, S. 20. 51 Geh. St.A. I. HA, Rep.80 I Gen. Nr. 7, Bd. 1, Bl. 78. Die Verfügung des Preußischen Königs stammt vom 19. Dezember 1821. Karl August Fürst von Hardenberg fertigt seine Bestätigung als Staatskanzler sechs Tage darauf aus.
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Am 29. März 1822 legt das Staatsministerium52 dem Preußischen König Friedrich
Wilhelm III. den Gesetzentwurf einer „Juden-Ordnung für das Großherzogthum
Posen“ vor. Der Monarch leitet diesen Text am 18. April 1822 an den Staatsrat zur
weiteren Begutachtung und folgend Beratung weiter.53
Der Entwurf des Staatsministeriums führt aus, es gelte nach den Gebietszuwächsen
Preußens infolge des Wiener Kongresses von 1815 eine Vereinheitlichung der
Gesetzgebung zum Umgang mit Juden herbeizuführen. Das „Juden-Edikt“ von 1812
solle, ob der schlechten Erfahrungen nicht auf die neu hinzu gewonnenen Territorien,
vor allem im Osten des Königreiches angewandt werden. Zu sehr seien Erwartungen
enttäuscht worden, das Edikt hätte zu einer moralischen Besserung der Juden
beitragen können: „Anstatt in ihrer Erhebung fast bis zur völligen Gleichstellung mit
den christlichen Unterthanen Eurer Königlichen Majestät einen kräftigen Antrieb zu
finden, sich dieser Wohlthat durch Gesinnung und Handlungsweise würdig zu
zeigen, zu dem Ende nach moralischer und intellektueller Vervollkommung zu
streben, sich von den tief eingewurzelten Lastern des Judenthums, besonders von
der rücksichtslosen Gewinnsucht und der Arbeitsscheu nach und nach loszureißen
und sich dagegen dem Betriebe gemeinnütziger bürgerlicher Gewerbe hinzugeben
… pflegen die bevorrechteten Juden, mit weniger Ausnahme, sich ganz anderen und
völlig entgegengesetzten Spekulationen zu überlassen. Nur bemüht, aus den ihnen
eingeräumten Freiheiten möglichst viele pekuniaire Vortheile zu ziehen und zu
diesem Behuf vorzüglich solche Gewerbe, wobei mit verhältnismäßig geringer
52 In heutiger Diktion wäre dieses Organ als Koordinationsstelle der in der Entstehung und Ausformung begriffenen Fachministerien zu begreifen. Vgl. hierzu und zur Bedeutung des Preußischen Staatsrats: Walther Hubatsch (Hg.), Grundriß der deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945. reihe A: Preußen. Band 12: Teil A Preußische Zentralbehörden bearbeitet von Friedrich Willhelm Wehrstedt. Teil B Unmittelbare Gebiete Preußens bearbeitet von Walther Hubatsch, Marburg/Lahn 1978, S. 81ff., 85ff. 53 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen, Nr. 100, S. 1-20 der Druckschrift. Das im Folgenden referierte Dokument, stellt einen wichtigen Referenzpunkt für Beuth dar, stammt jedoch nicht aus Beuths Feder wie ursprünglich angenommen. So: Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Inneres Nr. 31, Bll. 1-19.
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Anstrengung und Gefahr ein recht großer Gewinn zu erzielen ist, fast ausschließlich
an sich zu reißen, begründen diese Menschen, durch Gewandtheit und Ausdauer in
Verfolgung ihrer Pläne gleich ausgezeichnet, nicht selten auf den Ruin ihrer
christlichen Mitbürger, welche ihnen nicht weniger in dieser Beziehung, als meistens
auch in Rücksicht der stets bereiten Zahlungsmittel bei weitem nachstehen, ihren
täglich mehr und mehr anwachsenden Wohlstand.”54
Noch schlimmer stellt sich der Ausarbeitung zufolge die Lage der Juden in den jüngst
zu Preußen gelangten Gebieten Polens dar: „…indem diese notorisch bis jetzt auf
einer noch niedrigeren Stufe der geistigen und sittlichen Ausbildung stehen
geblieben sind…”55. Sollten also polnischen Juden die Rechte des Edikts von 1812
gewährt werden? „Die Gefährlichkeit eines solchen Versuches fällt in die Augen,
besonders bei dem Rückblick auf die im Eingange allerunterthänigst angegebene
große Zahl der polnisch=preußischen Juden, deren Vermehrung zu Folge der
bisherigen Erfahrungen nach einer Progression erfolgt, welche alle bekannten
Regeln hinter sich zurückläßt. Der Andrang dieser Juden nach den alten Provinzen
der Monarchie, welchem schon seither mit allem Nachdruck gesteuert werden
mußte, würde diese mit einer höchst verderblichen Ueberschwemmung bedrohen.”56
Das Papier bedient sich nahezu aller zeitgenössisch vorhandenen Vorurteile über
Juden. Sie seien habgierig, schaden und bedrohen Christen, scheinen schlechte
Staatsbürger zu sein, sind faul und weisen einen bedrohlichen Sexualtrieb auf
(“vermehren sich zu sehr”). Die als “polnisch” qualifizierten Juden gelten als noch
schlimmer als die mit dem Prädikat „westlich“ versehenen und derart konstruierten
Glaubensbrüder. Antislawische Stereotypen mischen sich hier mit Antisemitismus.57
54 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 5 der Drucksache. 55 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 6 der Drucksache. 56 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 6 der Drucksache. 57 Methodisch grundlegend für die Analyse der Verknüpfung verschiedener Feindbildtopoi miteinander: Sander L. Gilman, Rasse, Sexualität und Seuche. Stereotype aus dem Innenleben der westlichen Welt, Reinbek 1992.
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Beuth ist bereits 1822 als Referent eines Gutachtens der Abteilungen für Handel und
Gewerbe, derjenigen für Inneres, der für Justiz und der für Finanzen des Staatsrates
auf den Entwurf des Staatsministeriums bestimmt.58 Der bis Ende 1823 andauernde
Entstehungsprozess des von Beuth dann später zu präsentierenden Entwurfs der
genannten Abteilungen verzögert sich aus zwei Gründen: Zum Einen zeigt sich
Beuth überlastet von anderen dienstlichen Verpflichtungen; zum Anderen befindet er
sich, mit Genehmigung des preußischen Königs auf Reisen durch England und
Frankreich.59 Die Tatsache, dass Beuth, trotz dieser Hindernisse weiterhin als
Referent bestimmt bleibt, kann als Indiz gewertet werden, dass ohne die von ihm
persönlich ausgeübte zentrale Funktion des Referenten der Reflektionsprozess zur
erwähnten Judenordnung nicht durchführbar sei.
Am 23. Dezember 1823 legt Beuth als Referent seiner Abteilung für Handel und
Gewerbe sowie für die ebenfalls beteiligten Abteilungen für Inneres, Justiz- und der
Finanzen des Staatsrates ein eigenes Gutachten zum oben genannten Entwurf des
Staatsministeriums vor, eine “Juden-Ordnung” für das Groß-Herzogtum Posen und
die Landstriche Kulm, Michelau und Thorn”.60 Der bald darauf am 24. März 1824 von
58 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Inneres Nr. 31 a, Bl. 2. 59 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Inneres Nr. 31, Bll. 22, 27, vgl. Bl. 25; Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Inneres Nr. 31 a, Bll. 4f., 9, 126f. 60 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 53ff. der Drucksache; vgl.: Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Inneres Nr. 31, Bll. 29-49. Vgl. zum Prozess der Erstellung schon: Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 IV Abteilungen 4 Nr. 2, unfoliiert Aktenvermerk der Abteilung für Handel und Gewerbe vom 1. Mai 1822; Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 IV Abteilungen 4 Nr. 3, unfoliiert: Journal der Abteilung für Handel und Gewerbe 1817-1830, Beuth zeigt eine Abwesenheit im Juni 1822 und eine im April 1823 an; Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Inneres Nrn. 31, 31 a und 31 b; Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 IV Abteilungen 5 C Nr. 5, unfoliiert. (Journal der Abteilung Inneres des Staatsrats für die Jahre 1817-1840; Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 IV Abteilungen 4 Nr. 1, unfoliiert: Beuth teilt am 17. April 1823 mit, wegen einer Dienstreise nach England die Arbeit am Gutachten zum Entwurf des Staatsministeriums für eine "Judenordnung" zeitweilig nicht weiterführen zu können. Vgl. O.A., Handbuch über den Königlich=Preussischen Hof und Staat für das Jahr 1824, Berlin 1824, S. 33, Beuth als Mitglied der Handelsabteilung. Vgl. im Band dieser Serie für das Jahr 1828, S. 38. Im Handbuch für 1831, S. 40 ist Beuth Mitglied der Abteilung für Innere Angelegenheiten; eine Abteilung für Handel wird nicht mehtr aufgeführt. Im Band für 1838, S. 42 ist Beuth Mitglied der Finanzabteilung; 1839, S. 45 Mitglied der Innen- und der Finanzabteilung. Vgl.
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Beuth in der Sitzung des Staatsrates präsentierte Entwurf verweist auf das
Spannungsverhältnis zwischen dem Bemühen um eine der Staatsräson folgende
Vereinheitlichung des Rechts in ganz Preußen einerseits und Differenzierungen
zwischen den als unterschiedlich negativ betrachteten Juden im „Westen“ und im
„Osten“ andererseits.61
Beuth muß als wesentlicher Verfasser, als zentraler spiritus rector dieses Entwurfs
angesehen werden. Er ist es, der diesen Entwurf im Staatsrat 1824 vorstellt.62
Mehrere Gründe werden zunächst (durch Beuth unwidersprochen) innerhalb seines
Gutachten genannt, weshalb eine Sonderordnung für die östlichen Teile Preußens
durch das Staatsministerium zu beraten gewesen sei. Zum Einen habe das „Juden-
Edikt“ von 1812 nicht die gewünschte Wirkung erzielt.63 Zum Anderen wird auf die
vermeintlichen Charakteristika polnischer Juden abgehoben: „ … die auffallenden
Eigenthümlichkeiten, wodurch sich der polnische Jude in der Regel von seinen
Glaubensgenossen unterscheidet; die große Verschiedenheit seines Kultur- Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 IV Abteilungen 5 C Nr. 5, unfoliiert. (Journal der Abteilung Inneres des Staatsrats für die Jahre 1817-1840: Bereits im November 1822 bat Beuth darum zu allen Beratungen der Abteilung Inneres in Sachen der neuen "Judenordnung" für die östlichen neupreußischen Landesteile hinzu gezogen zu werden. - Vgl. Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Inneres Nr. 31 a, Bll. 15-44, Beuths abteilungsinterne Stellungnahme vom 7. November 1822, die Eingang in das Gesamtgutachten der Abteilungen des Staatsrats vom Dezember 1823 gefunden haben dürfte, ist nur bruchstückhaft entzifferbar. Nach diesem fragmentarischen Erkenntnisstand finden sich keine wesentlichen inhaltlichen Abweichungen gegenüber der Stellungnahme vom 23. Dezember 1823. Ein endgültiger Abgleich wird jedoch erst nach Abschluß des seit Anfang März 2019 andauernden Transskriptionsprojektes von Frau Christiane Brandt-Salloum vom Geheimen Staatsarchiv pk, Berlin möglich sein. 61 Vgl. Steven E. Aschheim, Brothers and Strangers: the East European Jews in German and German Jewish Consciousness 1800-1923, Madison, Wisc. 1983. Vgl. zur Fortführung der konstruktionsdiskurse von "östlichen" und westlichen" Juden bei Juden wie Nichtjuden die hier nur kursorisch erwähnten Arbeiten von Michael Brenner und John M. Efron sowie von Jack Wertheimer, zudem: Sander L. Gilman, Die Wiederentdecking der Ostjuden. Deutsche Juden im Osten 1890-1914, in: Michael Brocke (Hg.), Beter und Rebellen. Aus 1000 Jahren Judentum in Polen, Frankfurt a.M. 1983, S. 11-33. 62 Vgl. Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 65f. der Drucksache. 63 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 53 der Drucksache, hier und auch für das folgende Zitat.
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Zustandes; und abgesehen von der fremden Sprache seine Neigungen, Sitten,
Gebräuche und die fremde Tracht; …“. Beuth ist auch zuzurechnen, wenn
anschließend ausgeführt wird, diese Gründe müßten „…zunächst in Erwägung
gezogen werden...“.64 Es ist der Co-Autor Beuth, der Abstufungen in den
judenfeindlichen Vorbehalten in der Betrachtung von Juden in den östlichen und
westlichen Teilen Preußens nach dem Wiener Kongress für erwägenswert
erachtet.65
Ausgehend von den differierenden Meldungen der Provinzialstände über die
jeweiligen regionalen Erfahrungen mit Juden vor Ort heißt es weiter: „Wird der Jude
einer Gegend lästiger, als der anderen: so scheint uns dies seinen Grund darin zu
haben, daß der Kultur=Zustand des Landes, der Charakter oder die Bildung seiner
Einwohner die gewohnten Beschäftigungen der Juden mehr oder minder
begünstigen.“66 Man erkennt hier, wie die Judenfeindschaft Beuths und anderer sich
aus einer Überlagerung konfessionell und biologistisch argumentierender Stereotype
speist. Die Frage, ob hierbei auch Verknüpfungen zwischen Judenfeindschaft und
Antislawismus zu erkennen sein könnten, wird an dieser Stelle nicht weiter vertieft.
Für Beuth ist sein Verständnis von Staatsräson, ein wesentliches Kriterium seines
politischen Denkens, dass auch die Äußerungen zu Fragen der Stellung von Juden
in der preußischen Gesellschaft, trotz aller Vorbehalte mit zu bestimmen hat.
In diesem Sinne konstatiert er, dass „rückständige“ Juden nicht nur in den östlichen
Provinzen zu finden seien:67 Mit diesem Argument vermag er die für den
preußischen Staat nach 1815, nach den umfänglichen Gebietszuwächsen umso
dringlicher gewordene Unifizierung von Recht und Verwaltung auch beim Thema
Juden besser zu untermauern.
64 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 54 der Drucksache. 65 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 54 der Drucksache. 66 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 54 der Drucksache. 67 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 54f. der Drucksache.
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Beuth beginnt, rassistisch zu argumentieren. Wenngleich er schon 1811, wie oben
gezeigt, Hoffnungen auf eine „Besserung“ von Juden durch eine liberalere
Gesetzgebung und eine wie auch immer geartete damit einhergehende „Erziehung“
im Sinne Dohms enttäuscht sieht; bemüht er doch den „Erziehungsgedanken“: „Die
Mittel der Bildung dürften für die Juden und Christen dieselben seyn, und eine
gesetzliche Einwirkung auf die Juden, um diejenigen unter ihnen, die im eigentlichen
Sinne Juden geblieben sind, zu vermögen, ihre Fehler abzulegen, oder aber eine
neue Generation dazu zu bringen, dürfte für den ganzen Staat dieselbe seyn
müssen, da das Judenthum dasselbe ist, und die Resultate eines seit Jahrtausenden
erlittenen Drucks überall dieselben sind.“68 Es gelte, Juden zu Tätigkeiten in
Landwirtschaft und Handwerk zu führen. Sie müssten vom „Schacher“69 weg
gebracht werden. Allein die Wortwahl hier, wie auch an vielen anderen Stellen im
Gutachten, belegt wie tief verstrickt die scheinbar mit „Besserung“ und Ähnlichem
argumentierenden Autoren in judenfeindliche Vorannahmen verstrickt waren. Die
Absurdität der Anwendung des Dohm´schen „Erziehungsgedankens“ als einem
vermeintlichen Instrument der Toleranz offenbart die Betrachtung der konfessionellen
Aspekte im Gutachten Beuths und Anderer: „Wollte man ferner zugeben, dass die
Anhänglichkeit der Juden an den Talmud und an einzelne feindliche Lehren
desselben gegen Nichtjuden in Posen größer sey, als in andern Ländertheilen: so
bleibt das einzige Mittel dagegen eine bessere Erziehung, die Verminderung des
Ansehens und der Einwirkung der Rabbiner,…“.70 Mehr als bisherige Entwürfe, die
sich allzu sehr auf Privat- und Staatsrecht kaprizierten, gelte es die Glaubenslehre
anzugehen: „Zu einer besonderen Gesetzgebung für Posen dürfte sich der
Talmudismus überhaupt um so weniger eignen, als er im ganzen Staate seine
Anhänger hat, und als er nur durch dieselben Mittel verdrängt werden kann, die dem 68 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 55, vgl. für das Folgende: S. 55f. der Drucksache. 69 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 56 der Drucksache. Das Wort "Schacher" besitzt unter Nichtjuden zu Zeiten Beuths eine eindeutig antisemitische Konnotation. 70 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 56 der Drucksache.
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Juden die Eigenthümlichkeit des Juden nehmen, nämlich den Glauben einer
besondren reinen und gottgefälligen Abstammung, der deshalb nöthigen
Absonderung von andern Völkern, der Verachtung derselben, und der Hoffnung der
Wiederherstellung eines eignen Reiches.“71 Ein „erzogener Jude“ ist in diesem Sinne
ein Jude ohne Judentum. In diesem Sinne heißt es kurz darauf noch deutlicher:
„Maaßregeln … bringen, wie jedes Gefühl der Unterdrückung, Wiederstand hervor,
erschweren den Übergang der Juden zum Christenthum (dem einzigen Mittel, dem
Judenthum ein Ende zu machen), und stempeln die Juden nur zu hartnäckigen
Märtyrern ihres Glaubens.“72
Die Widersprüchlichkeit der aus Staatsräson angestrebten Unifizierung des
preußischen Rechts im Gegensatz zur auch als biologisch gedeuteten
„Charakteristik“ von Juden ließ sich durch „Erziehung“ nicht lösen: Biologische
Unveränderlichkeit stand der Hoffnung auf Veränderlichkeit qua Pädagogik
gegenüber. Die Hilflosigkeit der Mittel, diesen Widerspruch auflösen zu können,
machen, nach den oben erwähnten Passagen im Geiste Dohms die nachfolgenden
Sätze, gleichsam „Anti-Dohm“, deutlich. Beuth und seine Co-Autoren argumentieren:
„Eben so wenig können wir mit der Erblichkeit der Vorrechte naturalisirter Juden
einverstanden seyn. – Der Zweck der Maaßregel ist, den Juden durch den Reiz der
Naturalisation zu bessern, indem man den Besseren unter ihnen Vorzüge giebt. –
Dieser Vortheil geht durch die Erblichkeit verloren.“73 In heutiger Diktion:
Sozialisation durch „Erziehung“ vermag in jüdischen Familien intergenerativ nicht
wirksam zu werden. Mithin wurde hier von einem biologisch eingeborenen Kanon
vermeintlich „jüdischer Eigenschaften“ ausgegangen, der in jeder Generation neu zu
überwinden sei. In diesem Sinne wiederholte sich hier Beuths schon 1811
vorgebrachtes Argument in einer leichten Variation: Juden würden sich nach zehn
71 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 56 der Drucksache. 72 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 59 der Drucksache. 73 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 61 der Drucksache.
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Jahren liberalerer Gesetzgebung nicht ändern, wenn tausend Jahre Tradition dem
entgegenstünden.74 Und, im „Roll-back“ heißt es: „Ebenso ist nicht zu läugnen, dass
eine mildere Behandlung den Uebergang zum Christenthum in dem Maaße mehr
herbeigeführt hat, als sie freier geworden, und so das sicherste Mittel dargeboten
hat, den Untergang des Judenthums nach und nach zu bewirken.“75
Die immanente Widersprüchlichkeit der Zielbestimmung dessen, was Beuth und den
weiteren Autoren Staatsräson sei, spiegelt nach dem erstebten „Untergang des
Judenthums“ schließlich die Forderung wider, Juden sollten in Güter investieren,
ohne dort jedoch Patronatsrechte ausüben zu dürfen.76 Der Kreis zu Beuths
Ausführungen in der Deutschen Tischgesellschaft scheint an dieser Stelle gleichsam
geschlossen.
Am 23. März 1824 vertagt der Staatsrat - unter Anwesenheit Beuths, der die
Beschlußsache in dieser Sitzung vorstellt - Erörterung und Entscheidung zum
Gutachten der Abteilungen aus dem Vorjahr.77 Mit elf gegen drei Stimmen
beschliessen die anwesenden Mitglieder, dass keine Sonderrechte für die östlichen
Gebiete der Monarchie zu erlassen seien. Vielmehr gelte es, für Gesamt-Preußen
ein einheitliches Recht zu schaffen, da das Edikt von 1812 als unzureichend gelte.
Der Preußische Innenminister, Friedrich von Schuckmann, überweist die weiteren
Beratungen zunächst an die Provinzialstände.
Seit 1839 wird auf der Grundlage eines Gutachtens des Preußischen Kronprinzen,
des späteren Königs Friedrich Wilhelms IV., erneut eine Vereinheitlichung des
„Judenrechts“ diskutiert.78 Die Prüfung der rechtlichen Stellung von Juden hat die
74 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 62f. der Drucksache. 75 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 64 der Drucksache. 76 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Dubletten - Drucksachen , Nr. 100, S. 72 der Drucksache. 77 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Gen., Nr. 4a, Bd. 8, Bll. 48ff. 78 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 Nr. 69 und Nr. 69a sowie HA I. Rep. 80 Dubletten - Drucksachen Nr. 266. Vgl. Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Inneres Nr. 69, Bll. 24, 121f.
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Abteilung Handel und Gewerbe des Staatrates zu übernehmen, deren Mitglied Beuth
ist. Dieser wird in der Beratungsphase bis 1841 nicht mehr referieren, ggf. aus
Altersgründen. Allerdings zeichnet er den abschließenden Entwurf, nimmt also immer
noch eine wichtige Stellung im Entwicklungsverlauf von Gesetzen zum Thema
Judentum in Preußen ein.
In der Sitzung des Staatsrates vom 2. Dezember 1840 – Beuth ist anwesend – wird
ein erneuter Versuch unternommen, zu einer “Regulirung des Judenwesens” zu
gelangen.79 Während in den westlichen Gebieten der preußischen Monarchie,
gemäß königlicher Kabinetts-Ordre vom 8. August 1830, die liberalen “französischen
Judendekrete” gelten, ist 1833 eine Sonderregelung für Posen getroffen worden, die
Beuth implizit 1824 bejaht hat. Angestrebt wird eine preußenweite Vereinheitlichung,
gemäß dem Edikt von 1812. In den Sitzungen vom 12. und 19. Dezember 1840 wird
in Anwesenheit Beuths die mögliche Umsetzung eines unifizierenden Rechtes weiter
erörtert. Es gilt, im Rückgriff auf Dohms Schrift über die „bürgerliche Verbesserung”
von Juden, diese zu Christen zu “machen”. Hierzu sollten Juden etwa verstärkt
Gartenbau betreiben. Hintergrund der Überlegung ist erneut das Sterotyp, dass
Juden nicht zu Ackerbau und Handwerk befähigt seien.80
Am 6. Januar 1841 stimmt der Staatsrat über Detailfragen zur Behandlung von
Juden ab.81 Bei der Frage, ob Juden vom Erwerb von Rittergütern auszuschließen
seien, stimmt Beuth mit “Nein!” Erstaunt dieses Votum angesichts seiner
Äußerungen in der Deutschen Tischgesellschaft, so ist dem entgegen zu halten,
dass Beuths wirtschaftsliberale Haltung gegenüber seinen antisemitischen
Einstellungen an dieser Stelle offenbar überwiegt: Kapitalkräftige jüdische Käufer
sollen hochverschuldete Güter ökonomisch sanieren können, ohne als
79 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Gen., Nr. 4a, Bd. 24, Bll. 1ff. Vgl. Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Inneres Nr. 69 a, Bl. 139. 80 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Gen., Nr. 4a, Bd. 24, Bll. 267ff., 276ff. 81 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Gen., Nr. 4a, Bd. 25, Bll. 1ff.
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Gutseigentümer jedoch gutsherrliche Rechte auszuüben - jüdisches Kapital auf dem
Lande ist erwünscht, Juden als Gutsherren in den Standesvertretungen sind es nicht.
Für diese Interpretation spricht, dass Beuth, wie die Mehrheit des Gremiums für ein
Verbot der Ansiedlung von Juden in ländlichen Gemeinden stimmt. Die Ansiedlung
von Juden in Städten soll von der Zustimmung der jeweiligen kommunalen Behörden
abhängig gemacht werden.
Am 15. November 1843 erfolgen weitere Abstimmungen zum Thema Judentum, an
denen Beuth im Staatsrat beteiligt ist. Er stimmt zu, dass regionale Gerichte darüber
abstimmen dürfen, Juden schon mit 20, nicht aber erst mit 24 Jahren die
geschäftliche Volljährigkeit zu erteilen.82
Ähnlich wie schon bei Versuchen, sich 1833 und 1837 einiger seiner kräftezehrenden
Verwaltungsämter zu entledigen, wird Beuth auch bei seinem altersbedingten
Rückzug von allen Ämtern im Jahre 1845 nicht gänzlich entlassen. Er bleibt formal
Mitglied des Staatsrates und seiner entsprechenden Abteilungen.83
In diesem höchsten und zentralen Beratungsgremium des preußischen Staates prägt
er in der Zeit nach dem Erlass des Juden-Edikts von 1812 und bis zu einer
Unifizierung des Judenrechts 1847 die politischen Entscheidungen zum Umgang mit
der jüdischen Bevölkerung in den Territorien der preußischen Monarchie ganz
wesentlich mit (eine schrittweise Umsetzung der Emanzipation erfolgt erst nach der
Revolution von 1848). Beuths Haltung ist dabei im zeitgenössischen ableitbaren
Spektrum möglicher Haltungen als konservativ und rigide judenfeindlich zu
kennzeichnen84; durchbrochen lediglich von Vorschlägen zu wirtschaftsliberaleren
82 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Gen., Nr. 4a, Bd. 27, Bll. 107ff. 83 Geh. St.A. I. HA, Rep. 80 I Gen., Nr. 7, Bd. 4, Bll. 117. 84 Vgl. zum Begriff eines zeitgenössisch konservativen preußischen Beamten in Fragen der Judenemanzipation: Kurt Nowak, Judenpolitik in Preussen. Eine Verfügung Friedrich Wilhelms III. aus dem Jahr 1812, Leipzig 1998, S. 18. Vgl. zeitgenössisch: Karl Streckfuß, Ueber das Verhältniß der Juden zu den christlichen Staaten, Halle 1833; zu Streckfuß, selber Mitglied des Staatsrates: Karl Streckfuß, Adolph Friedrich Karl Streckfuß. * Gera 1779 + 1844 Berlin. Preußischer Staatsrat.
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Regelungen und einer Unifizierung des Rechts gegenüber Juden im Königreich
Preußen nach 1815.Diese sind jedoch nicht von einem aufklärerischen
Toleranzdenken durchzogen, sondern sollen einer „Staatsräson“ nützen, die sich der
Juden bedienen will und zugleich die Vernichtung ihres Glaubens und ihrer Kultur
anstrebt. Christlicher Judenhass wird dabei von Stereotypen schrittweise begleitet,
die eher biologistisch determinierten Haltungen folgen. Diese für Beuth und seine
Zeitgenossen noch sprachlich unzulänglich zu erfassende Diskurserweiterung zieht
einen nicht aufzulösenden Widerspruch nach sich, wenn man das auf
antisemitischen Prämissen basierende Erziehungskonzept Dohms85 anwenden will:
Wie können Juden sich erziehen oder erzogen werden, wenn sie doch in ihrem
Jüdischsein als biologisch unveränderlich definiert werden?
Wie nun angesichts dieses Befundes weiter verfahren?
Seit 1913 ist Beuth namensgebend für einen Vorläufer der heutigen Hochschule.86
Seit 2009 trägt die Beuth Hochschule ihren Namen. Beuth Schulen, Beuth
Hochschule, Beuth-Verlag … es scheint ratsam, gleichsam die Marke „Beuth“ als
Sinnbild einer vernetzten modernen Wissensgesellschaft zu bewahren. Zugleich ist
die zivilgesellschaftliche Einbettung aus heutiger Sicht derart zu erweitern, dass die
namensgebende Persönlichkeit Beuth nicht nur in ihren zeitgenössischen
Berliner ehrenbürger. Dante-Verdeutscher, Jena 1941; vgl. Andrea Ajzensztejn, Die jüdische Gemeinschaft in Königsberg. Von der Niederlassung bis zur rechtlichen Gleichstellung, Hamburg 2004, S. 177. 85 In diesem Sinne: Rarnon Hampe, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (Christian Willhelm Dohm, 1781 und 1783), in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 6. Publikationen, Berlin u.a. 2013, S. 703-705; Bjoern Weigel, Dohm, Christian Konrad Willhelm von, in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemtismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 2/1: Personen A-K, Berlin u.a. 2009, S. 180f. Anne Purschwitz, Jude oder preußischer Bürger? Die Emanzipationsdebatte im Spannungsfeld von Regierungspolitik, Religion, Bürgerlichkeit und Öffentlichkeit (1780-1847), Göttingen 2018, S. 84, greift zu kurz, Dohm nur als Aufklärer sehen zu wollen. 86 Vgl. Beuth-Schule (Hg.), 25 Jahre Beuth=Hochschule 1909-1934, Berlin 1934.
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Leistungen, sondern auch ihren seinerzeitigen antisemitischen Blickverengungen
betrachtet werden kann. Beuth hat beides verdient.
Die bisherige Erinnerungsgeschichte an ihn kann mit einer zukünftigen Beuth
Hochschule … oder mit einer anders benannten Hochschule nicht ungeschehen
gemacht werden. Sie sollte Anlass geben, an der Hochschule zukünftig weitere
nachhaltige Diskursorte (Vorlesungsreihen, Druckschriften, Arbeitsgruppen, museale
Präsentationen o.ä.) zu schaffen, an denen über Toleranz, Ausgrenzung u.ä.
verstärkt nachgedacht werden kann.