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Über den Sinn, die Bedeutung und das Wesen des Besitzes Christoph J. Lüttenberg Eine phänomenologische Annäherung Studien zum Zivilrecht 30 Nomos

Christoph J. Lüttenberg Über den Sinn, die Bedeutung und ... · d. Phänomenologische Betrachtung der Subjekt-Objekt-Subjekt-Beziehung 95 e. Pflichten aus dem Besitz 100 f. Überschießende

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Über den Sinn, die Bedeutung und das Wesen des Besitzes

Christoph J. Lüttenberg

Eine phänomenologische Annäherung

Studien zum Zivilrecht 30

Nomos

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Studien zum Zivilrecht

Herausgegeben von

Prof. Dr. Dr. h.c. Barbara Dauner-Lieb, Universität KölnProf. Dr. Christian Berger, Universität LeipzigProf. Dr. Florian Faust, Bucerius Law School, Hamburg

Band 30

BUT_Luettenberg_6421-1.indd 2BUT_Luettenberg_6421-1.indd 2 13.01.20 10:1313.01.20 10:13

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Christoph J. Lüttenberg

Über den Sinn, die Bedeutung und das Wesen des Besitzes

Eine phänomenologische Annäherung

Nomos

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2019

ISBN 978-3-8487-6421-1 (Print)ISBN 978-3-7489-0544-8 (ePDF)

1. Auflage 2020© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2020. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Meinen Eltern

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Danksagung

An erster Stelle gilt mein Dank meiner Doktormutter Frau Prof. Dr.Dr. h. c. Barbara Dauner-Lieb. Seit dem ersten Semester steht sie mir mitRat und Tat zur Seite. Ohne ihre Hilfe, ihre Anregungen und ihr uner-schütterliches Vertrauen in mich gäbe es diese Arbeit nicht. Ich danke zudem Herrn Prof. Dr. Dan Wielsch für die zügige Erstellungdes Zweitgutachtens. Danken möchte ich ferner Herrn Dr. Peter W. Tettinger. Sein Intellektund sein Humor waren mir zu allen Zeiten eine große Stütze. Danken möchte ich auch meinen übrigen Lehrstuhlkollegen für die vielenschönen und bereichernden Stunden, die wir gemeinsam verbracht haben.Mein Dank gilt insbesondere Eva, Nicki, Maren, Jan, Matthias, Alex, Hen-rike und Frau Gülich. Für die Durchsicht und konstruktive Kritik einzelner Passagen sowie fürdas mühselige Lektorat des Manuskripts danke ich Frau Dr. Ruth Weber,Frau Dr. Gaby Seelmann-Eggebert und Frau Dr. Brigitte Lüttenberg.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 13

Exordium 17ProblemaufrissI. 17

Bedeutung des Besitzes1. 22Sinn des Besitzes2. 24

Wissenschaftliche Einordnung und Methodik derUntersuchung

II.28

Rechtsdogmatische Untersuchung mit deduktiv-induktiver Methode

1.28

Erweiterung um phänomenologische Methode2. 32

Bedeutung des BesitzesKapitel 1: 37

Wörter und ihre BedeutungI. 37Semantischer Repräsentationalismus1. 38Arbitrarität von Zeichen und Bezeichnetem2. 41Konventionalistische Bedeutungstheorie3. 42Doppelrolle der tatsächlichen Gewalt im Verhältnis zumBesitz

4.43

Negierung der tatsächlichen Gewalt als deskriptivesTatbestandsmerkmal

II.45

Verkehrsanschauung versus Interessenabwägung1. 45Hinführung zu einer phänomenologischenBegriffsbestimmung der tatsächlichen Gewalt

2.49

Tatsächliche Gewalt als normatives TatbestandsmerkmalIII. 51Besitz als räumliche Beziehung1. 51Heideggers Begriff der Räumlichkeit2. 52Anwendung auf die tatsächliche Gewalt3. 54

Besitz als normatives TatbestandsmerkmalIV. 57Mittelbarer Besitz1. 57Durch einen Besitzdiener vermittelter Besitz2. 59Besitzerwerb gem. § 854 Abs. 2 BGB3. 63Erbenbesitz als bloße Rechtsfolgenerstreckung4. 63

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Sinn des BesitzesKapitel 2: 66Negierung des Besitzes als FaktumI. 67Nichtssagende Qualifikation des Besitzes als Rechtsposition,Rechtsstellung etc.

II.70

Besitz als RechtverhältnisIII. 73Definition des Rechtsverhältnisses1. 74a. Rechtsverhältnis als Quelle von Rechten und Pflichten 77b. Überschießende Funktionalität desRechtsverhältnisses 79c. Rechtverhältnis als Beziehung zwischen Personen 80Vorläufige Subsumption des Besitzes unter dieDefinition des Rechtsverhältnisses

2.83

a. Besitz als einzige Beziehung einer Person zur Sacheaufgrund der Unabhängigkeit vom Willen Dritter 84b. Besitzwille und Sorge 88c. Kein Vermittlungswille bei Besitzdienerschaft undmittelbarem Besitz 91d. Phänomenologische Betrachtung der Subjekt-Objekt-Subjekt-Beziehung 95e. Pflichten aus dem Besitz 100f. Überschießende Funktionalität des Besitzes 101g. Notwendigkeit eines subjektiven Rechts 102

Wesen des BesitzesKapitel 3: 104Unbestimmtes Verhältnis von Besitz und subjektivemRecht im positiven Normenbestand

I.105

Relativierung der grammatikalischen Auslegung durchdie Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers

1.105

Indifferenz systematischer Argumente2. 107a. Regelung des Besitzschutzes zu Beginn des drittenBuches 107b. Verhältnis von § 857 BGB zu § 1922 Abs. 1 BGB 108c. Besitzerwerb durch Geschäftsunfähige 108d. Besitz und Grundbuch 109e. Besitz im Grundbuch 110f. Besitzerwerb durch vermeintlich Bösgläubigen 111g. Stufenerwerb von Rechten 111h. Verhältnis von § 93 BGB zu § 865 BGB 112i. Zeitliche Begrenzung der Besitzschutzansprüche 113

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j. Übergang des Besitzes durch Rechtsgeschäft 114k. Der Besitz als sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB 114Beschränkte Wirkungsmacht gesetzlicher Exegese alsFazit

3.115

Definition des subjektiven RechtsII. 116Subjektives Recht als Willensäußerung1. 116Kritik des Willensprimats2. 119a. Der Wille Willensunfähiger 119b. Temporäres Paradox 119c. Rechtsverhältnis als Wiege des Willens 122Subjektives Recht als Mehr zur bloßenAusschlussmöglichkeit

3.122

Teleologisch-dogmatischer versus normativ-rechtstheoretischer Standpunkt

4.125

Genuss als Kern des subjektiven Rechts5. 126Genuss beim BesitzenIII. 128

Theoretische Betrachtung1. 128a. Persönlichkeit 128b. Eigentum 132c. Andere Rechte 134d. Frieden 134e. Kontinuität 137Phänomenologische Betrachtung2. 139a. Besitz als Voraussetzung der ästhetischen Erfahrungdes Luxus und das Scheitern dieser Idee an dermangelnden Interesselosigkeit des Besitzenden 140b. Phänomenologische Reduktion und ideierendeAbstraktion 146c. Empirisch-psychologisches Phänomen des Besitzens 149d. Eidetische Wesensanschauung des Besitzens 152

FazitIV. 155

Subsumption des Besitzes unter die positivenRechtsnormen

Kapitel 4:157

Besitz als sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGBI. 157Haftungsbegründender Tatbestand1. 157a. Kein Schutz des Besitzes 159b. Schutz des Besitzes 160c. Schutz des verdinglichten Rechts zum Besitz 161

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d. Schutz des Rechts zum Besitz als relativesHerrschaftsrecht 164e. Schutz des befugten Besitzes 166f. Schutz des berechtigten Besitzes 169g. Schutz des Rechts des Besitzes 171Haftungsausfüllender Tatbestand2. 173a. Recht und Substrat 173b. Ersatzfähige Schadensposten 175c. Immaterieller Wert des Besitzes 177

§ 858 BGB als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGBII. 181Anspruchsrichtung und KonkurrenzenIII. 185

Kumulierende besitzrechtliche Ansprüche1. 185Besitzer und Eigentümer2. 186

Besitz im BereicherungsrechtIV. 188

Peroratio 193

Literaturverzeichnis 203

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit nimmt ihren Ausgang mit der grundsätzlichen Fra-ge nach dem Inhalt und der Rechtsnatur des Besitzes. Darüber wird seit je-her gestritten. Ob Savigny, Jhering oder Heck: Viele haben versucht, demunfertigen Puzzle über den juristischen Besitz ein Teil hinzuzufügen. Eswurden diesbezüglich so viele unversöhnliche Standpunkte und Thesenvertreten, so viel Grundlegendes und Ideologisches in die Waagschale desDiskurses geworfen, dass der Gesetzgeber des BGB nicht das Zünglein ander Waage sein wollte und bewusst keiner der widerstreitenden Ansichtenzu ihrem Sieg verholfen hat. Die rechtsfolgenorientierte Gesetzgebungführte vielmehr dazu, dass verschiedene Besitztatbestände in das BGB auf-genommen wurden, die prima facie keinerlei Gemeinsamkeiten aufwei-sen: den unmittelbaren Besitz in § 854 BGB, den über ein Weisungsver-hältnis vermittelten Besitz in § 855 BGB, den Erbenbesitz in § 857 BGBund den mittelbaren Besitz in § 868 BGB. Demgegenüber erkennt§ 855 BGB dem Besitzdiener die Besitzerstellung ab, was zumindest imRahmen der §§ 929 ff. BGB bei wortlautgetreuer Anwendung wegen§ 935 BGB zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung des gutgläubi-gen Dritten führt. Für diesen ist in einer Vielzahl von Situationen nicht er-sichtlich, ob er einem Besitzer oder nur einem innehabenden Besitzdienergegenübertritt. In letzterem Fall sorgt § 935 BGB dafür, dass er nicht gut-gläubig Eigentum erwerben kann, wenn sich der Besitzdiener fernab derZustimmung des Eigentümers zum Besitzer aufschwingt. Die Einführungdes Besitzdieners zieht einen ideellen Graben zwischen den Besitzschutzund die Übereignungstatbestände. Die Wesensverschiedenheit der Nor-men des Besitzschutzes von der trügerischen Erkennbarkeit des Besitzes alsVoraussetzung des Eigentumserwerbs wurde besonders deutlich von Heckhervorgehoben. Aus dieser Einsicht zog er die seiner Meinung nach unaus-weichliche Konsequenz einer Spaltung und Relativität des Besitzbegriffs.1In neuerer Zeit hebt Ernst auf der Grundlage einer präzisen Analyse desGesetzgebungsverfahrens die scharfe Trennung zwischen Besitzschutz undÜbereignungstatbeständen besonders eindrücklich hervor.2 Wilhelm fasstdiese Abgrenzung wie folgt zusammen:

1 Heck, Grundriss des Sachenrechts, §§ 5, 6 u. 7.2 Monographisch Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb (1992).

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„Für die Diskussion um die Einordnung des Besitzes als Recht oderFaktum ist zunächst klarzustellen, dass es um die Einordnung des Be-sitzes als geschützter Position, d. h. um die Einordnung des Besitz-schutzes geht. Dass und inwieweit der Besitz als tatsächliche Herr-schaft einer Person über eine Sache ... Anknüpfungspunkt für die For-mierung von Verfügungstatbeständen sein (s. § 929) und unter be-stimmten Voraussetzungen zu rechtlicher Herrschaft umgewandeltwerden kann (§§ 937, 965, 973), ist ohne Zusammenhang mit derrechtlichen Einordnung des Besitzes als solchen.“3

Dieser Abgrenzung soll sich nicht verweigert werden. In Anbetracht derFragestellung, die dieser Untersuchung zugrunde liegt, wird sie sich daher– im Gegensatz zu der Monographie von Ernst, die den Fokus getreu ihremTitel auf Fragen des Mobiliarerwerbs legt – auf den Schutz des Besitzeskonzentrieren, wobei der Schwerpunkt auf der Ausarbeitung der geschütz-ten Position selbst liegen wird. Die so gewonnenen Erkenntnisse stehendem Besitz als Voraussetzung des Eigentumserwerbs – wie sich zeigen wird– allerdings nicht entgegen.

Dass der Besitz über die §§ 859 ff. BGB zumindest partiell geschützt ist,steht außer Frage. Hierfür bedürfte es keiner genaueren Bestimmung. An-deres gilt für den Schutz des Besitzes im Rahmen des § 823 BGB sowie imBereicherungsrecht. Auch diese Normen könnten Teil des Besitzschutzessein. Ob dem Besitz aber beispielsweise der deliktsrechtliche Schutz des§ 823 Abs. 1 BGB zuteil wird, ist maßgeblich davon abhängig, ob und wie-weit man den Besitz als subjektives Recht qualifiziert. Die Beantwortungder Frage nach Inhalt und Rechtsnatur des Besitzes hat daher nicht nurtheoretische Bedeutung, sondern konkrete Auswirkungen auf das geltendeRecht.

In Anbetracht dessen, was bereits Jhering eine „Superfötation“ der Besitz-literatur genannt hat,4 maßt sich diese Untersuchung dabei nicht an, dasPuzzle des Besitzes zu vollenden. Sie möchte lediglich ein weiteres kleinesTeilchen hinzufügen, indem sie eine bis jetzt noch nicht erprobte Heran-gehensweise an den Forschungsgegenstand wagt: eine phänomenologischeAnnäherung.

Zwar findet man in der Literatur allgemeingehaltene rechtsphänomeno-logische Abhandlungen im Sinne einer apriorischen Grundlagenlehre des

3 Wilhelm, Sachenrecht, S. 223 f., Rn. 445.4 Jhering, Über den Grund des Besitzschutzes, Vorrede S. VI.

Vorwort

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Rechts.5 Diese waren – gemessen an ihrem Einfluss auf die Rechtswissen-schaften – nicht von bleibendem Erfolg, was daran liegen mag, dass diephänomenologische Methode ihrer Art nach „... nur bei einfach struktu-rierten Gegenständen, nicht bei so etwas Komplexem, zudem Normati-vem, wie es das Recht ist ...“ funktioniert.6

In dieser Untersuchung soll es aber darum gehen, die von Edmund Hus-serl entwickelte phänomenologische Betrachtungsweise für den Besitzfruchtbar zu machen, indem sie ihn in seiner natürlichsten und wahrhaf-tigsten Form zur Anschauung bringt: dem Phänomen des Besitzens. DiePhänomenologie findet wahre Erkenntnis allein in der Beschreibung derGegebenheitsweisen von Gegenständen im menschlichen Bewusstsein. Siescheint daher eine angemessene Methode zu sein, dem Faktischen des Be-sitzes Rechnung zu tragen und eine gebündelte Bestandsaufnahme der Le-benswirklichkeit vorzunehmen, aus der der Besitz entlehnt wird.

Die Untersuchung bleibt dabei eine rechtsdogmatische. Die Phänome-nologie ist der rechtswissenschaftlichen Dogmatik untergeordnet und ver-sucht lediglich, an entscheidenden Stellen ihren Blickwinkel in zielführen-der Weise zu erweitern.

5 Als rechtsphänomenologisches Primärwerk gilt Reinachs, Zur Phänomenologie desRechts (1953); darauf aufbauend Schapp, Die neue Wissenschaft vom Recht, zweiBände (1930 und 1932), und im öffentlichen Recht und der Staatstheorie Stein,Eine Untersuchung über den Staat (2006); eine detaillierte historisch-systematischeEinführung bietet Loidolt, Einführung in die Rechtsphänomenologie (2011).

6 Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 102 f.; zuspitzend die Formulierung Binders, Phi-losophie des Rechts, S. 152: Jeder, der sich mit Reinachs apriorischer Grundlagen-lehre des Rechts auseinandersetzt, „... fasst sich unwillkürlich an den Kopf.“.

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