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Peter Sitte Chromoplasten - bunte Objekte der modernen Zellbiologie 1. Einleitung Plastiden sind erstaunlich vielgestaltig. Sie ubertreffen darin 2.B. die Mitochondrien bei weitem. Neben pigmentlosen Formen (Leukoplasten), die als Proplastiden in den Zellen der Bildungsgewebe, als Etioplasten in ergrunungsfahigem Gewebe, als Amylo- oder Elaioplasten in pflanzlichem Speichergewebe auftreten, sind vor allem die photosynthese- aktiven Chloroplasten und die zwar fast oder ganz chlorophyllfreien, aber durch Carotin- oide gelb bis rot gefarbten Chromoplasten (Bluten-, Fruchtblatter; Herbstlaub) jeder- mann bekannt. Aber wahrend iiber Feinbau, Funktion und Entwicklung der Chloropla- sten Berge von Literatur existieren, markie- ren die Chromoplasten, so sehr sie auch zur Farbigkeit unserer Umwelt beitragen, einen weii3en Fleck auf der Landkarte unseres Wis- sens. Ihre erste genauere Untersuchung ist bisher auch die letzte geblieben. Andreas Franz Wilhelm Schimper, dieser vielseitig begabte Sohn des Elsa& hatte um 1880 ihre Formenfiille mit den damals verfiigbaren Mitteln der Licht- und Polarisationsmikro- skopie durchstobert und eingehend beschrie- ben. Auch seither sind Chromoplasten immer wieder untersucht worden. Das gilt vor allem fiir ihre Pigmente, deren Papier- oder Diinn- schicht-chromatographische Auftrennung einfach und auch in asthetischer Hinsicht ver- lockend ist (zur Methode vgl. biuz 1/4, 1971, S 131 sowie ds Heft S 94) Aber diese Un- tersuchungen erbrachtenmeistnurpunktuelle Beitrage und keine systematische Bearbei- tung Wie wenig man von Chromoplasten tatsachlich weifl, zeigt ein Blick in moderne Cytologiebiicher Oft genug sucht man schon das Stichwort ,,Chromoplast" im Register vergeblich In dern Lehr- und Handbuch uber Plastiden [I] wird den Chromoplasten nur gut 1 % des Textumfanges gewidmet. Ein solches Ausmd von Ignoranz ware schon bei seltener vorkommenden Zellorga- nellen beschamend. Die Chromoplasten ge- horen nun aber zu den haufigsten Organellen iiberhaupt, ihre Pigmente - die Carotinoide - zu den mengenmsig bedeutendsten Natur- stoffen (Abbildung 1). Die Anlockungsfarben vieler Bliiten und Fruchte, der allherbstliche Farbenrausch laubwerfender Holzgewachse - das alles beruht auf dem Auftreten von Chromoplasten. Dazu kommt, d d schon das Lichtmikroskop eine Fiille unterschiedlicher Ausbildungsformen von Chromoplasten zeigt, deren Feinbau und Genese interessante Biologie in unserer Zeit / 7. Jahrg. 1977 / Nr. 3 0 Verlag Chemie GmbH, 0-6940 Weinheim, 1977 65

Chromoplasten — bunte Objekte der modernen Zellbiologie

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Peter Sitte Chromoplasten - bunte Objekte der modernen Zellbiologie

1. Einleitung

Plastiden sind erstaunlich vielgestaltig. Sie ubertreffen darin 2.B. die Mitochondrien bei weitem. Neben pigmentlosen Formen (Leukoplasten), die als Proplastiden in den Zellen der Bildungsgewebe, als Etioplasten in ergrunungsfahigem Gewebe, als Amylo- oder Elaioplasten in pflanzlichem Speichergewebe auftreten, sind vor allem die photosynthese- aktiven Chloroplasten und die zwar fast oder ganz chlorophyllfreien, aber durch Carotin- oide gelb bis rot gefarbten Chromoplasten (Bluten-, Fruchtblatter; Herbstlaub) jeder- mann bekannt. Aber wahrend iiber Feinbau, Funktion und Entwicklung der Chloropla- sten Berge von Literatur existieren, markie- ren die Chromoplasten, so sehr sie auch zur Farbigkeit unserer Umwelt beitragen, einen weii3en Fleck auf der Landkarte unseres Wis- sens. Ihre erste genauere Untersuchung ist bisher auch die letzte geblieben. Andreas Franz Wilhelm Schimper, dieser vielseitig begabte Sohn des Elsa& hatte um 1880 ihre Formenfiille mit den damals verfiigbaren Mitteln der Licht- und Polarisationsmikro- skopie durchstobert und eingehend beschrie- ben. Auch seither sind Chromoplasten immer wieder untersucht worden. Das gilt vor allem

fiir ihre Pigmente, deren Papier- oder Diinn- schicht-chromatographische Auftrennung einfach und auch in asthetischer Hinsicht ver- lockend ist (zur Methode vgl. biuz 1/4, 1971, S 131 sowie ds Heft S 94) Aber diese Un- tersuchungen erbrachtenmeistnurpunktuelle Beitrage und keine systematische Bearbei- tung Wie wenig man von Chromoplasten tatsachlich weifl, zeigt ein Blick in moderne Cytologiebiicher Oft genug sucht man schon das Stichwort ,,Chromoplast" im Register vergeblich In dern Lehr- und Handbuch uber Plastiden [I] wird den Chromoplasten nur gut 1 % des Textumfanges gewidmet.

Ein solches Ausmd von Ignoranz ware schon bei seltener vorkommenden Zellorga- nellen beschamend. Die Chromoplasten ge- horen nun aber zu den haufigsten Organellen iiberhaupt, ihre Pigmente - die Carotinoide - zu den mengenmsig bedeutendsten Natur- stoffen (Abbildung 1). Die Anlockungsfarben vieler Bliiten und Fruchte, der allherbstliche Farbenrausch laubwerfender Holzgewachse - das alles beruht auf dem Auftreten von Chromoplasten. Dazu kommt, d d schon das Lichtmikroskop eine Fiille unterschiedlicher Ausbildungsformen von Chromoplasten zeigt, deren Feinbau und Genese interessante

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Probleme bieten. Allein schon diese Formen- vielfalt hatte vor der. Klischeevorstellung warnen miissen, Chromoplasten seien ledig- lich pramortale Endstadien einer irreversiblen Entwicklung, ohne erkennbare Leistungen in der Zelle - sozusagen Indikator-Organelle der Zellseneszenz. Wir werden sehen, d d eine solche Vorstellung tatsachlich ganz un- zutreffend ist: Die Chromoplastenforschung kann durchaus wesentliches zur Zellbiologie unserer Zeit beiuagen. A propos Seneszenz: Wahrend Bliiten- und Fruchtchromoplasten der Tieranlockung und damit der Pollen- und Samenverbreitung dienen, kennt man keine okologische Funktion der herbstlichen Laubverfarbung. Im Herbstlaub markiert die Transformation von Chloro- zu Chromo- plasten tatsachlich die Endstation einer vor- programmierten Entwicklung, die zum Zell- und Organtod fiihrt, also eines Seneszenz- prozesses. Aber Seneszenz hat den Rang eines allgemeinen biologischen Problems, dessen Bedeutung bis tief in die Medizin hin- einreicht und dessen Erforschung gerade in unseren Tagen rasche Fortschritte zu machen beginnt.

2. Der Feinbau von Chromoplasten

Das Lichtmikroskop liefert von Chromo- plasten verschiedener Pflanzen und Gewebe oft recht unterschiedliche Bilder: Neben rundlichen Formen gibt es ,,arnoboide" mit unregelmagigen Fortsatzen, nadelformig zu- gespitzte und schliefllich kristallartige. Die beiden zuletzt genannten Formen erweisen sich irn Polarisationsmikroskop als doppel- brechend. Das deutet auf einen hochgeord- neten Feinbau hin. Seine Details erschlofl das Elektronenmikroskop [2]. Die Feinstruktur- Elemente, die das Innere der Chromoplasten fullen und als Trager fur die lipophilen Caro- tinoide dienen, konnen ganz verschieden

aussehen. In ihrer morphologischen Hetero- genitat spiegelt sich die Gestaltenvielfalt der Chromoplasten wider. Bisher wurden folgen- de Pigment-Tragerstrwkturen in Chromo- plasten gefunden:

1. Kugelige Lipidtropfchen mit Durchmes- sern zwischen 1/20 und 1 pm, sogenannte Plastoglobuli (Abbildung 2). Ihr Vorkom- men ist nicht auf Chromoplasten beschrankt. Man findet sie in praktisch allen Plastiden- formen [3]. In Leukoplasten und iiberra- schenderweise auch in Chloroplasten sind sie pigmentfrei. In Chromoplasten, wo sie oft massiert auftreten, speichern sie dagegen die Carotinoide.

2. Tubuli mit 20-50 nm Durchmesser [4]. Sie sind gewohnlich gestreckt oder schwach gekriimmt und bilden biindelige Aggregate (Abbildung 3). Diese Tubuli-Biindel sind es, die im Polarisationsmikroskop als doppel- brechende Bereiche erkannt werden konnen. Die Tubuli erinnern im elektronenmikrosko- pischen Schnittbild an cytoplasmatische Mikrotubuli (vgl. dam biuz 7/1, 1977, S. 21-27); sie haben aber mit diesen nichts zu tun. Das zeigt sich schon in ihren weniger regelmagigen Urnrigformen im Querschnitt, den relativ stark variierenden Durchmessern und ihrer tadellosen Erhaltung bei Fixierung mit Permanganat, bei der cytoplasmatische Mikrotubuli rasch zerstort werden. Wie wir noch sehen werden, ist auch ihre chemische Zusammensetzung eine ganz andere.

In relativ seltenen Fallen treten in Chromo- plasten auch Tubuli auf, die nicht gestreckt sind, sondern schlangelig verlaufen und bei denen Verzweigungen vorkommen.

3. Membrunen konnen ebenfalls als Carotin- oidtrager in Chromoplasten fungieren [5].

Membranstrukturen treten ja auch sonst haufig als Pigmenttrager auf. Bekannte Bei- spiele sind die Thylakoide der Chloroplasten, welche die Chlorophylle a und b sowie verschiedene Carotinoide enthalten, oder die rhodopsinhaltigen Membranscheiben der Lichtsinneszellen bei Wirbeltieren. Im Falle der Chromoplasten-Membranen, wie sie sich vor allem in den Bliiten der Gelben Narzisse finden (s. Umschlagbild), fallt eine konzentri- sche Anordnung auf: Bis zu iiber 20 hohlku- gelige Doppelmembranen sind dicht ineinan- dergeschachtelt und bilden so ein auffdliges Membrankonvolut. Ein Lichtstrahl, der quer durch einen solchen Narzissen-Chromopla- sten hindurchlauft, wird also bis zu 80mal gefiltert.

4. Kristalle in Chromoplasten konnen licht- mikroskopische Dimensionen erreichen, so im Fruchtfleisch der Wassermelone oder in den Wurzeln der Kulturmohre (Abbildung 4). (Dai3 .bei einem unterirdischen Organ iiberhaupt Chromoplasten vorkommen, ist das Ergebnis menschlicher Ziichterkunst: Gefarbte Karotten lassen sich besser ver- kaufen. Die Wurzel der Wildmohre ist un- pigmentiert.) Gewohnlich bleiben allerdings Chromoplasten-Kristalle submikroskopisch klein. Ein einziger Chromoplast kann dann bis iiber 100 Kristallite enthalten (gewisse Tomatenrassen; Physalis; Clivia). Diese Kri- stalle bzw. Kristallite sind stets von Mem- branen umschlossen [6 ] . Sie sind doppel- brechend und bestehen aus reinem Carotin (p-Carotin, Lycopin). Dementsprechend sind sie gewohnlich orange bis rot gefarbt.

Oft kommen in ein und demselben Chromo- plasten verschiedene Tragerstrukturen ne- beneinander vor, so z.B. Globuli neben Membranen in Narzissen-Chromoplasten, neben Tubuli in Chromoplasten der Hage-

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butte. Aber in jedem Fall dominiert eine bestimmte Tragerstruktur, so daf3 man die Chromoplasten in globulose, tubulose, mem- branose und kristallose einteilen kann. Die elektronenmikroskopische Untersuchung von iiber 50 plasmochromen" Pflanzenge- weben hat zu folgenden allgemeinen Aus- sagen gefiihrt:

Der globulose Chromoplastentyp ist der haufigste. Mit abnehmender Haufigkeit fol- gen tubulose, kristallose, schliei3lich mem- branose Chromoplasten.

Herbstlaub-Chromoplasten sind aus- nahmslos globulos.

Ein und dieselbe Pflanze vermag also Chromoplasten verschiedener Typenzugeho- rigkeit zu bilden. So haben Pflanzen mit tubulosen Bliiten- (Kapuzinerkresse) oder Frucht-Chromoplasten (Rose) dennoch glo- bulose Plastiden im vergilbten Herbstlaub. Bei Gurken und Kiirbissen sind die Bliiten- Chromoplasten tubulos, die Frucht- Chromoplasten globulos. Bei vielen gelbblii- henden Rosen verhalt es sich umgekehrt usw. Das hat eine wichtige Konsequenz: Die gene- tisch festgelegte Summe der Entwicklungs- moglichkeiten (Reaktionsnorm) lafit bei vielen Pflanzen die Ausbildung ganz unter- schiedlicher Chromoplasten zu. Welcher Typ in einem bestimmten Gewebe tatsachlich

'>Nach A. Seybold werden die lipophilen Pla- stiden-Pigmente (Chlorophylle, Carotinoide) als Plasmochrome, die hydrophilenvacuolen- Farbstoffe (Flavonoide: Anthocyane, Antho- xanthine) als Chymochrome bezeichnet. Blii- tenfiirbungen kommen in der heimischen Flora zu etwa 2/3 durch Chymochrome, nur zu 1/3 durch Plasmochrome, d.h. durch Chromoplasten zustande. Vielfach liegen auch Kombinationen vor. Bei den gelben Pri- meln sind beispielsweise die Epidermen der Kronblatter chymochrom, die orangen Saft- male vor dem Kronrohreneingang noch zu- satzlich durch Chromoplasten pigmentiert. Der relative Anteil von Plasmo- und Chymo- chromen kann in solchen Fallen durch ein- faches Ausschiitteln ermittelt werden: Das Pflanzenmaterial wird unter wenig Aceton zerrieben, der Extrakt mit gleichen Teilen Petrolather und Wasser kraftig durchge- schiittelt. Plasmochrome finden sich nach der Trennung dieser Fliissigkeiten in der oberen, nichtwdrigen Phase, Chymochrome in der unteren .

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gebildet wird, bestimmen organismeneigene, aber wahrend der Differenzierung nicht konstante Faktoren-Konstellationen. Die Typenwahl bei der Chromoplasten-Transfor- mation erfolgt nicht genetisch, sondern epi- genetisch. Die hier wirksam werdenden Fak- toren sind weitgehend unbekannt.

Auch in homologen Organen nahe ver-

wandter Pflanzen konnen unterschiedliche Chromoplasten-Typen auftreten. 2. B. sind die Kronblatter verschiedener Papaveraceen mit tubulosen (Schollkraut) oder globulosen Chromoplasten ausgestattet (Eschscholtziu = Californischer Goldmohn), oder sie sind iiberhaupt chymochrom (Mohnarten), besit- zen also Leukoplasten. Andererseits finden sich etwa tubulose Chromoplasten in ganz

verschiedenen Ordnungen der Angiosper- men. Durch solche Befunde wird eine ,,Fein- struktur-Systematik" auf Chromoplastenba- sis nicht eben ermutigt.

3. Die Biochemie der Chromoplasten-Fein- struktur

Lange Zeit wui3te man kaum etwas iiber die chemische Zusammensetzung der fur die Chromoplasten charakteristischen Struktur- elemente, also der Globuli und Tubuli, der internen Membranen und der Kristalle. Viel- fach wurde angenommen, dai3 diese Fein- struktur-Elemente einfach aus Carotinoiden bestehen, oder dafl dasPigment anprotein ge- bunden vorliege wie das Chlorophyll der Thylakoide oder das Retinal der Lichtsinnes- zellen von Tieren (vgl. biuz 4/5, 1974, S. 129- 137). Es ist im Sinne dieser Hypothese mehr- fach versucht worden, das Auftreten be- stimmter Feinstruktur-Elemente in Chromo- plasten mit dem Vorhandensein oder Fehlen von gewissen Carotinoiden zu korrelieren. Die Ergebnisse solcher Bemuhungen blieben aber widerspriichlich. SchlieBlich konnte fur Chromoplasten-Kristalle durch biochemi- sche Analysen und Elektronenbeugung uber- zeugend gezeigt werden, dai3 sie aus reinem Pigment bestehen. Gilt das auch fur die iibrigen, im Elektronenmikroskop sichbaren Struktur-Elemente von Chromoplasten?

Wir haben in unserer Arbeitsgruppe in den letzten Jahren Globuli, Tubuli und Mem- branen aus verschiedenen Chromoplasten isoliert (Abbildung 5) und mit biochemi- schen Methoden analysiert (Abbildung 6). Durch diese Analysen wurde die vorhin ge- schilderte Hypothese widerlegt: Die genann- ten Chromoplasten-Strukturen bestehen kei- neswegs nur aus Carotinoiden wie beim kristallosen Chromoplastentyp. Die Pig- mente treten mengenmai3ig sogarweit zuriick. Insoweit ist man tatsachlich berechtigt, Glo- buli, Tubuli und Membranen als ,,Carotin- oid-Tragerstrukturen " zu bezeichnen. Aber es handelt sich auch nicht einfach um Caro- tinoid-Protein-Komplexe, da stets auch andere Lipide beteiligt sind. Immerhin - Proteine sind ausnahmslos beteiligt. Es liegen also heterogen zusammengesetzte Lipopro- tein-Strukturen vor.

Der Proteinanteil variiert allerdings stark. Besonders gering ist er bei den Plastoglobuli. Sie konnen daher in erster Naherung als U1- tropfchen charakterisiert werden, in denen sich Carotinoide eelost haben. Tedenfalls

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hoher, wenn auch nie so hoch wie bei den Photosynthese-aktiven Thylakoiden, wo er etwa die Halfte des Trockengewichtes er- reicht. Das hat iibrigens eine in methodischer Hinsicht wichtige Konsequenz: Die Schwe- bedichte der Tragerstrukturen im Dichte- gradienten ist besonders gering (Tabelle I), so daf3 ihre Abtrennung von schwereren Ver- unreinigungen aus dem Gewebehomogenat in der Praparativen Ultrazentrifuge ieicht gelingt.

Die gelelektrophoretische Auftrennung der Proteine aus Tragerstrukturen liefert jeweils charakteristische Polypeptidmuster. Bei den Tubuli, wahrscheinlich auch bei den Globuli iiberwiegt jeweils ein bestimmtes Protein mit einer Molmasse von etwa 30000 dalt. Das legt den Gedanken an ein einheitliches Struktur- protein nahe. Bei den internen Chromopla- stenmembranen der Narzisse liegt dagegen ein komplexes Proteinmuster vor, das sich aber von jenem der Thylakoide und - weniger stark - auch von jenem der Pla- stiden-Hiillmembranen unterscheidet (Ab- bildung 7).

Unter den Lipiden der Tragerstrukturen treten - wenn wir von den Triglyceriden

iiberrascht es nicht, dai3 Elaioplasten (=fett- der Globuli einmal absehen - die Phospho- speichernde Leukoplasten) im Elektronen- lipide, vor allem aber die plastidenspezifi- mikroskop genau so aussehen wie globulose schen Galactolipide stark hervor. Dagegen Chromoplasten. Bei allen iibrigen Carotin- bleiben freie Fettsauren, Sterole und Plasti- oid-Tragerstrukturen ist der Proteinanteil denchinone gewohnlich unterder 2 70-Marke.

4. Ein Kapitel subzellulare Morphogenese: Der ,,Strukturquotient"

Zu den ungelosten Problemen der Zellbio- logie gehort auch das der Formgebung im subzellularen, aber iibermolekularen Dimen- sionsbereich. Niemand weii3, warum oder wozu das granulare ER gewohnlich in Form von flach ausgebreiteten Doppelmembranen (,,Zisternen") vorliegt, wahrend das agranu- lare ER normalerweise verschlungene Tubuli bildet, warum es fiir Mikrovilli so etwas wie einen Einheitsdurchmesser und eine Einheitslange gibt, warum Mitochondrien z.T. mit Cristae, z.T. mit Tubuli ausge- stattet sind usw. Dieses Problem stellt sich nun natiirlich auch fur Chromoplasten, und hier haben wir vielleicht ein besonders giinstiges Modellsystem in der Hand, weil es zwar mehrere, aber nicht beliebig viele Strukturtypen gibt, die sich - wie unsere Analysen zeigen - in ihrer chemischen Zusammensetzung erheblich, aber doch auch wieder nicht beliebig voneinander unterscheiden. Und dies alles bei der immer gleichen Funktion, die wasserunloslichen (weil unpolaren = lipophilen) Carotinoide in der wagrigen Stromamatrix der Chromo- plasten dispergiert zu halten.

Wenn man von den Carotinkristallen absieht, deren Gestalt eine Konsequenz ihres mole- kularen Gitterbaues ist, bleiben als pro- minente Tragerstrukturen Membranen,

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Tubuli und Globuli ubrig. Sie approximieren die einfachen geometrischen Gebilde Flache, Zylinder und Kugel, deren jedes - wenn man die realen Abmessungen der Trager- strukturen einsetzt - ein ganz bestimmtes Oberflachen/Volumen-Verhaltnis besitzt (Abbildung 8): Die relative, d.h. auf das Volumen bezogene Oberflache ist maximal bei flachigen Membranen, wesentlich kleiner bei Zylindern (Tubuli) und minimal bei den Globuli (Kugeln). Ein Maximum an entropen Wechselwirkungen zwischen po- laren Stroma-Komponenten und semi- bzw. unpolaren Komponenten der Tragerstruktu- ren (und damit ein stabiles thermodynami- sches Gleichgewicht) kann nur dann gegeben sein, wenn alle unpolaren Anteile im Inneren der Tragerstrukturen konzentriert sind, die semipolaren dagegen an ihrer Oberflache, die der polaren Stroma-Matrix zugekehrt ist. Das wiirde beispielsweise im Falle der Tubuli bedeuten, dai3 die im Elektronen- mikroskop stark kontrastiert erscheinende Mantelschicht aus Proteinen und Polarlipiden (Phospho-, Glycolipide) besteht, warend der nichtkontrastierte Innenraum die unpo- laren Carotinoide birgt. Dieses Struktur- modell lafit sich anhand der Analysendaten von Abbildung 6 priifen. Denn das Mengen- verhaltnis von oberflachlich liegenden semi- polaren Stoffen (Proteine, Polarlipide) und den von ihnen umschlossenen unpolaren Verbindungen (Pigmente, Fette) sollte dem OberflachenNolumen-Quotienten entspre- chen, wenn fur die polare Oberflachenschicht eine Dicke von 2 nm (halbe Elementar- membran) angenommen wird. Abbildung 9 zeigt, dai3 diese Erwartung in geradezu per- fekter Weise erfullt ist.

Wie perfekt, kann folgendes besondere Beispiel zeigen. Unter volumensgleichen Korpern hat bekanntlich die Kugel die kleinste relative Oberflache. Diese relative, auf das Volumen bezogene Oberflache ist nun aber abhangig vom Durchmesser der Kugel (des Globulus): Sie wird umso groi3er, je klei- ner der Globulus ist, weil das Volurnen der 3., die Oberflache aber nur der 2 . Potenz des Durchmessers proportional ist. In unserem konkreten Fall bedeutet das: Bei besonders kleinen Globuli wird ein OberflachenNolu- men-Quotient erreicht, der jenem von Chromoplasten-Tubuli entspricht. Tubuli sollten sich also aus Globuli bilden konnen, wenn diese sich verkleinern und dabei einen kritischen Durchmesser unterschreiten. Sol- che Umwandlungen wurden tatsachlich ge- legentlich beobachtet (vgl. 2.B. [7]). Wihrend

der Entwicklung der tubulosen Chromo- plasten in den Bluten der Kapuzinerkresse treten auch kleine, isodiametrische Trager- strukturen in groi3er Menge auf, die sich offenbar in Tubuli umwandeln konnen und mit diesen in einer Art Gleichgewicht stehen (,,Schollen", vgl. Abbildung 10). Es ist nun gelungen, diese ,,Schollen" und die Tubuli trotz ihrer sehr ahnlichen Schwe- bedichten voneinander zu trennen und jede Komponente fur sich zu analysieren [4].

Die ,,Schollen" stehen nun tatsachlich be- ziiglich des Mengenverhaltnisses semipolarer zu unpolaren Verbindungen genau an dem Grenzwert zwischen Globuli und Tubuli (Abbildung 9), so wie sie das auch hin- sichtlich ihrer OberflachenNolumen-Rela- tion tun. Das ist schwerlich ein Zufall.

Die strikte Korrelation zwischen Analysen- und Feinstrukturdaten stutzt jedenfalls das vorhin hypothetisch entwickelte Struktur- modell fur die Tragerstrukturen der Chro- moplasten. Wenn sich diese Korrelation auf breiterer Basis bestatigt, konnte man aus elektronenmikroskopischen Untersuchungen eines bestimmten chromoplastenhaltigen Pflanzengewebes auch schon eine allgemeine Aussage uber die chemische Zusammen- setzung der beobachteten Tragerstrukturen

ableiten, wenigstens uber das Mengenver- haltnis von semi- zu unpolaren Stoffen. Umgekehrt konnte man aufgrund von che- mischen Analysendaten allein schon voraus- sagen, welches elektronenmikroskopische Bild zu erwarten ist. Dem Mengenverhaltnis ,,semipolar zu unpolar", das dem Oberfla- chenNolumen-Quotienten so genau ent- spricht, kann dann mit Fug der Titel , , S ~ u k - turquotient "verliehen werden.

Aus diesen auffalligen Korrelationen lafit sich moglicherweise ein Kausalzusammen- hang ableiten. Wenn die Tragerstrukturen zumindest wihrend ihrer Bildung fluide oder semifluide sind, wurde das Mengen- verhaltnis der eingespeisten semipolaren und unpolaren Stoffkomponenten dariiber ent- scheiden, welche Gestalt die Tragerstruktur annimmt. Wir hatten damit eine sehr einfache Hypothese zur iibermolekularen, aber sub- zellularen Morphogenese, iibrigens eine der ersten Hypothesen dieser Art uberhaupt.

O b sie zutrifft, werden vor allem Modell- untersuchungen zeigen miissen. Erst wenn diese Untersuchungen eine Bestatigung er- bringen, scheint es sinnvoll, weitere subzellu- lare Strukturen auf ihre Bedingtheit durch ein iibermolekulares " Self -Assembly" hin zu priifen.

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5. Chromoplasten und Gerontoplasten

Chromoplasten entstehen oft aus Chloro- plasten oder Jungchloroplasten. Ersteres ist beim Herbstlaub der Fall, letzteres gewohn- lich bei Bliiten und Friichten. Die an der offenen Bliite (plasmochrom-) gelben Blu- menblatter der Sumpfdotterblume, des Scharfen Hahnenfuges, der Gelben Narzisse, der Forsythie und des Lowenzahns - sie alle sind in der Blutenknospe zunachst (blai3-) grun. Dai3 junge Tomaten und Hagebutten grun sind, ist jedermann gelaufig. Lamarck hatte daher schon 1787 spekuliert, dai3 bei Bliiten- und Fruchtblattern der physiologische Zustand des Herbstlaubes sozusagen vorzeitig erreicht, dai3 also bei diesen relativ kurzlebigen Organen viel friiher als sonst Seneszenz induziert wiirde. Dieser Gedanke ist sehr einleuchtend. Aber seien wir vorsichtig - auch gute Ideen sollen nicht iiberstrapaziert werden. Beispielsweise kennt man heute schon mehrere Falle, wo Bliitenchromoplasten aus Leukoplasten ent- stehen; Chloroplasten sind also keine not- wendige Zwischenstufe der Chromoplasten- Transformation. Oberhaupt ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden, d d zwischen den Chromoplasten von Bliiten und Friichten und jenen des Herbst- laubes deutliche Unterschiede bestehen. Die auffalligsten sind in Tabelle 2 zusammen- gestellt. Wir sprechen daher heute von ,,Chromoplasten" nur mehr dann, wenn sich an der Herausbildung dieses Plastiden- status in groi3em Umfang auch Synthese- prozesse (Anabolismus) beteiligen. ,,Geron- toplasten " (griechisch gCron, Greis) repra- sentieren dagegen im wesentlichen die Reste, die von einem Chloroplasten (allgemein: von einer Plastide) nach massivem Stoff- abbau (Katabolismus) iibrig bleiben. Der hier betonte Unterschied zwischen eigent- lichen Chromoplasten und Gerontoplasten a d e r t sich besonders deutlich in folgenden Umstanden: Erstens werden in Chromo- plasten neuer Definition Carotinoide, aber sicher auch andere Verbindungen (2.B. Galactolipide) in erheblichem Umfang neu synthetisiert. Im Herbstlaub bleibt dagegen maximal das an Carotinoiden zuriick, was schon im griinen Blatt vorhanden, dort aller- dings vom Chlorophyll iiberdeckt war. Zwar konnen wahrend der herbstlichen Laubverfarbung die Xanthophylle in unter- schiedlichem Ausmd mit Fettsauren verestert werden (Bildung von Sekundar- Carotinoiden, vgl. Abbildung I), und wie um diese Acylierungs-Kapazitat noch zu

erhohen, wird in manchen Fallen ein Teil des vorhandenen 6-Carotins in Xanthophyll umgewandelt:"; aber eine Neusynthese von Carotinoidmolekiilen findet im Herbstlaub nicht statt. Zweitens lauft die Chromopla- sten-Transformation in jugendlichen Zellen mit grogen, lockeren Kernen und einem ribosomenreichen Cytoplasma ab, wahrend sich Gerontoplasten in alternden Zellen mit allen Zeichen der Degeneration und des Abbaues bilden (Protein- und Ribosomen- Verarmung, pyknotische Kerne).

Wir sehen also, d d die alte Schimpersche Definition des Chromoplasten (keine Chlo- rophylle, wohl aber Carotinoide) heute nicht mehr geniigt, weil sich die so charak- terisierte Organellen-Population als he- terogen erweist. Wir werden allerdings im 9. Abschnitt sehep, dai3 zwischen Geronto- plasten und Chromoplasten doch eine phylo- genetische Beziehung bestehen diirfte, so dai3 also Lamarck wenigstens im Prinzip ge- rechtfertigt erscheint.

6 . Die Chromoplasten-Transformation

Schimper, der die verschiedenen Ausbil- dungsformen der Plastiden und ihre viel- faltigen Verwandlungen eingehend unter- sucht hatte, postulierte eine im Prinzip (!) unbeschrankte Umwandelbarkeit von Leu- ko-, Chloro- und Chromoplasten ineinander. Es war ihm dabei klar, dai3 Chromoplasten normalerweise nicht wieder in Chloro- oder Leukoplasten zuriickverwandelt werden und daher in den allermeisten Fallen Endstationen einer Entwicklung darstellen, die sozusagen in einer Einbahnstraae verlauft. Aber wie ausdifferenzierte, ja sogar seneszente Zellen unter gewissen Bedingungen doch wieder embryonalisiert werden konnen, so sollen nach Schimper eben auch Chrornoplasten unter geeigneten Umstanden wieder zu Chloroplasten oder Leukoplasten werden konnen (vergriinende Bliiten, Kallusbildun- gen an Karotten u.dg1.).

Als durch die ersten elektronenmikroskopi- schen Untersuchungen bekannt geworden war, wie sehr sich Chromoplasten in ihrem Feinbau von allen anderen Plastidenformen unterscheiden. wurden Zweifel am Schim-

x. 6-Carotin besitzt als reiner Kohlenwasser- stoff keine OH-Gruppen und kann daher keine Acylester, d.h. keine Sekundar-Caro- tinoide bilden.

perschen Reversibilitats-Postulat laut [9]. Man nahm an, daf3 im Zuge dieser Stoff- und Strukturumbauten ein Point of no return iiberschritten wiirde, so dai3 die Transfor- mation irreversibel, ,,monotrop" sei. Mittlerweile haben freilich genauere Unter- suchungen der Chromoplasten-Transforma- tion gezeigt, dai3 es sich dabei um einen wohlgeordneten Vorgang handelt, in dem Abbau und Neubildung prazise aufeinander abgestimmt sind. In einigen Fallen ist es auch gelungen, experimentell die Riickver- wandlung von Chrornoplasten in Chloro- plasten zu erzwingen und elektronenmi- kroskopisch zu verfolgen [lo]. In anderen Fallen exerziert uns die Natur dasselbe unaufgefordert vor, besonders eindrucksvoll beispielsweise bei den Kelchblattern der Gelben Teichrose, die im Knospenstadium griin, whrend der Bliitezeit durch globulose Chromoplasten gelb und zur Fruchtzeit wie- der griin sind. Alle diese Befunde sprechen dafiir, daf3 Schimpers Reverszbilitats-Postulat zu Recht besteht. So drastisch-dramatisch der mit der Chromoplasten-Transformation ver- bundene Strukturumbau auch sein mag - der Weg zuriick scheint niemals ganz ausge- schlossen.

7. DNA in Chromoplasten

Die von Schimper postulierte Reversibilitat auch der Chromoplasten-Transformation hat iibrigens eine iiberpriifbare Voraussetzung: dai3 namlich auch voll ausdifferenzierte Chromoplasten noch intakte Plastom-Kopien besitzen. Wie das Plastom - die Erbsub- stanz der Plastiden - aussieht, weii3 man seit einigen Jahren: 1971 gelang es erstmals der Gruppe um Manning, Wolstenholme und Richards, DNA-Ringe aus Euglena- Chloroplasten zu isolieren. Nach den seither durchgefiihrten Untersuchungen iiber die Chloroplasten-DNA hoherer Pflanzen steht heute fest, dai3 das Plastom von einer ring- formigen DNA-Duplex n i t einer Kontur- lange von knapp 45 yrn reprasentiert wird. Das entspricht einem Molekulargewicht von gut 90 Millionen und einem maximalen Informationsgehalt von 130 Kilobasen. Da Chloroplasten je knapp g DNA ent- halten, ergeben sich J'loidiegrade" zwischen 10 und 100 Plastomkopien pro Plastide in Abhangigkeit von Plastidengroge, Ent- wicklungszustand und Kulturbedingungen. Wie sieht es nun mit dem Plastom in Chro- moplasten aus? Um diese Frage beantworten zu konnen, mui3 man zunachst eine sehr saubere Fraktion intakter Chromoplasten

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haben. Denn wenn in der Fraktion auf 1000 Plastiden eines Ploidiegrades von 50 auch nur ein einziger Kern kommt, ist das Mengenverhdtnis von Kern-DNA (ncDNA) zu Plastiden-DNA @DNA) bereits 1 :1 ! Durch geeignete Isolierungs- und Fraktio- nierungsverfahren gelang es uns aber, die vorhin genannte Voraussetzung zu erfullen: Nach elektronenmikroskopischer Kontrolle waren die verwendeten Chromoplastenfrak- tionen frei von DNA-haltigen Verunreini- gungen (Kerne, Mitochondrien, Bakterien). Inzwischen konnten wir aus membranosen Narzissen-Chromoplasten, aus globulosen Tulpen-Chromoplasten und auch aus den tubulosen Chromoplasten der Kapuziner- kresse DNA-Ringe isolieren, die nach ihren Abmessungen ptDNA darstellen [ll]. Ein Beispiel gibt Abbildung 11 wieder. Man kann also wohl extrapolieren: Alle Chromoplasten enthalten intakte Plastomkopien.

Das provoziert die nachste Frage: Wieviele? Fur Narzissen-Chromoplasten ergab sich ein Ploidiegrad von 8, wahrend Narzissen-Chlo- roplasten etwa 50 Plastomkopien enthalten. Dieses 1 :6-Verhaltnis entspricht recht genau dem VerhPtnis der Chromo- und Chloro- plasten-Volumina. Wir wissen im Moment nicht, ob es sich blod um eine zufdlige Koinzidenz oder um den Ausdruck einer konstanten DNA-Volumens-Relation han- delt. Fur die zweite Alternative gibt es ge- wisse Hinweise in der Literatur. Wenn sie zutrifft, hatte das eine zellbiologisch sehr bedeutsame Konsequenz: Fur die volumens- schwachen Proplastiden ware dann namlich ein Ploidiegrad von 1-2 zu erwarten. Das liede im Prinzip verstehen, warum es bei Proplastiden eine Minimalgrode gibt, die etwas uber MitochondriengroBe liegt. Vor- erst ist das allerdings nicht mehr als ein heuristischer Aspekt.

Ob ptDNA in Chromoplasten noch aktiv ist, d.h. ob sie transkribiert wird, ist noch nicht geklart. Wir wissen heute immerhin, d d sich Chromoplasten im Gegensatz zu Gerontoplasten noch teilen konnen, und d d es in Bliitenblattzellen zu einer massiven, iibrigens prazise kontrollierten Vermehrung voll transformierter Chromoplasten kommen kann. Wenigstens dafur und auch fur den Fall einer Reversion der Chromoplasten- Transformation ist der Besitz des intakten Plastoms unerlafllich. Es ist aber durchaus moglich, dat3 auch verschiedene Biosynthese- leistungen in Chromoplasten [8] uber die ptDNA gesteuert werden.

8. Die Bildung der Trager-Strukturen

Ein wichtiger Teilaspekt der Chromoplasten- Transformation betrifft die Herkunft der Pigment-Trager. Beim kristallosen Chromo- plastentyp bilden sich die Carotinkristalle an oder in Membranen, die unmittelbar aus Thylakoiden hervorgehen [6]. Auch fur die ubrigen Carotinoid-Trager wurde daher ge- legentlich postuliert, dat3 sie aus einer Metamorphose von Thylakoiden hervorgin- gen [7]. Das stimmt nach unseren Untersu- chungen nicht. Denn selbst wenn vor der Chromoplasten-Transformation ein Thylak- oidsystem vorhanden war (was keineswegs immer der Fall ist), bilden sich 2.B. Chro- moplasten-Globuli bei manchen Pflanzen nicht synchron mit dem Thylakoidabbau, sondern entweder schon vorher (Cultha) oder erst nachher (Viota). Wenn Thylakoid- abbau und Globulibildung gleichzeitig ab- laufen, besteht nie ein raumlicher Kontakt zwischen diesen Strukturen: Die Globuli entstehen getrennt von den Thylakoiden in der Stroma-Matrix. Schliedlich ist auch die stoffliche Zusammensetzung von Thylako- iden und Tragerstrukturen ganz verschieden (vgl. die Abbildungen 6 und 7). Das gilt ubrigens sogar fur die internen Chromopla- stenmembranen der Narzisse, fur die eine unmittelbare Entstehung aus Thylakoiden besonders nahelage. Die Zusammensetzung dieser Membranen deutet eher auf eine Verwandtschaft mit der Plastiden-Hullmem- bran hin, mit der sie neben dem Carotinoid- gehalt und dem Fehlen von Chlorophyll 2.B. auch die Fahigkeit zur Galactolipid- Synthese (die den Thylakoiden abgeht) gemein hat. Dai3 das Membrankonvolut (s. Umschlagbild) aus lokalen Wucherungen der Plastidenhde entsteht, erscheint auch nach Feinstruktur-Untersuchungen nicht ausgeschlossen.

9. Die Phylogenie der Chromoplasten

Ein Uberblick uber das Pflanzenreich zeigt, dai3 sich das Vorkommen von Geronto- und Chromoplasten im wesentlichen auf die Samenpflanzen beschrankt. Man kann zwar bei Algen durch Stickstoff-Mange1 oder durch hohe Lichtintensitaten die Ruckbil- dung von Chloroplasten und die Synthese von Sekundar-Carotinoiden experimentell erzwingen. Das auBert sich makroskopisch in einer Rotverfarbung. Bezeichnenderweise werden aber die Carotinoidester oft gar nicht in den Plastiden selbst, sondern in cytoplasmatischen Lipidtropfchen (,,Plas-

moglobuli") gespeichert. (Das gilt iibrigens auch fur die ,,Augenflecken" von Euglena.) Erst bei den Nadelholzern treten dann echte Chromoplasten (roter Arillus der Eibe im Dienste der Samenverbreitung) und Geronto- plasten (Larche) in groi3em Stil auch unter natiirlichen Bedingungen auf. Zugleich f d t aber auf, dat3 sich die Nadeln von Fichte und Tanne, die nicht schubweise abgeworfen werden, vor dem Abfall nicht verfarben.

Offenbar macht es erst der synchrone Abwurf der gesamten Nadeltracht (Larche) erfor- derlich, vor dem Blattwurf aus den Nadeln bestimmte Elemente, die leicht ins Minimum geraten - vor allem Stickstoff (und damit Proteine) - zuruckzuziehen. Der Abbau von Proteinen und dem ebenfalls N-haltigen Chlorophyll bedeutet nun aber naturlich die Umwandlung von Chloroplasten in Geron- toplasten, und daraus resultiert die Herbst- verfebung. Denn die N-freien Carotinoide werden nicht ,,mobilisiert", sie bleiben liegen. Sie sind - wenigstens fiir Sonnenpflan- Zen, die keinen C-Engpd kennen - kaum von Wert, weil sie jederzeit leicht wieder synthetisiert werden konnen". Nun ist weiter anzunehmen, dai3 die Fahigkeit, leuchtend-gelbe Gerontoplasten zu bilden, erst sekundur whrend der weiteren Evolu- tion der Samenpflanzen in den Dienst der Tieranlockung trat. Aus der Not wurde dadurch, anthropomorph gesprochen, eine Tugend. Der Selektionsdruck, der sich in dieser Richtung ohne Zweifel bald massiv auswirkte, nachdem erste Tieranlockungen ,,gelungen" waren, fuhrte dann dam, dai3 sich neben der Gerontoplasten-Bildung im vege- tativen Bereich mit dem Einsatz zusatzlicher metabolischer Aktivitaten auch die Fhigkeit zur Bildung echter Chromoplasten in den generativen Zonen des Pflanzenkorpers entwickelte. Denn hier Johnt" sich fur Blutenpflanzen durchaus ein besonderer Einsatz - es handelt sich um eine ,Investition fur die Zukunft".

'$Tatsachlich fallt auf, dai3 intensiv gelbe Laubverf'kbung im Herbst nur bei ausge- sprochenen Sonnenpflanzen, vor allem also bei Baumen, entsteht, wahrend die Blatter vieler Schattenpflanzen nicht gelb, sondern bleich werden (Athyrium; Angelica; Ho- lunder u.v.a.). Bei diesen Pflanzen ist wegen der eingeschrankten Photosynthese auch Kohlenstoff Mangelware, so dat3 auch die N-freien Carotinoide und Fettsauren mo- bilisiert und abtransportiert werden.

Biologie in unserer Zei t / 7. Jaahrg. 1977 / Nr. 3 73

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Ein solches Konzept lafit es verstandlich erscheinen, dai3 Gerontoplasten (im Sinne seneszenter Chloroplasten) und Chromo- plasten bei allen Unterschieden (Tabelle 2) doch auch viele Gemeinsamkeiten aufweisen.

10. Ausleitung

Unsere kurze Obersicht uber den momenta- nen Stand der Chromoplastologie mag, trotz einiger Erfolgsfanfaren, auch deutlich gemacht haben, wie wenig wir im Grunde uber diese eigenartigen Organelle wissen. Welche Faktoren sind es denn, die Chromo- plasten-Transformation auslosen oder ver- hindern? Wie kann man diese Umwandlung experimentell in den Griff bekommen? Erfolgt der dabei notwendige Stoff- und Strukturumbau durch plastideneigene Enzy- me oder durch lytische und synthetische Aktivitaten von aui3erhalb der Plastiden? Warum ist ganz allgemein - nicht nur bei moribunden Pflanzenzellen - Seneszenz mit Lipidanhaufung verbunden (man denke etwa an das Lipofuszin, das Kohlenwasserstoff- reiche ,,Alterspigment" menschlicher Herz- muskel- und Nervenzellen)? Gibt es einen Lipiduberhang im Stoffwechsel als Symptom, vielleicht sogar als Ursache der Zell-Senes- zenz? Spiegelt sich im Mikrokosmos der Zelle die eigenartige Tatsache wider, daf3 (neben Karbonatgestein und Kohle) organo- gene Lipidmassen (Erdol) unter den Ober- resten fruherer Erd- und Lebensepochen mengenmaig so sehr hervortreten, weil sie eben - trotz ihres hohen Energiegehaltes - nur schwer verstoffwechselt werden konnen?

Fragen uber Fragen. Hoffen wir, d& die weitere Forschung uns nicht zulange auf Antwarren warren Jdr!

[3] Lichtenthaler, K.H.: Endeavour 27, 144- 149 (1968).

[4] Winkenbach, F., H. Falk, B. Liedvogel und P. Sitte: Planta 128, 23-28 (1976). - Falk, H.: Planta 128,15-22 (1976). - Wuttke, H.-G.: Z. Naturforsch. 31 c, 456460 (1976).

[5] Mollenhauer, H.H. und C. Kogut: J. Microscopie 7, 10451050 (1968). - Liedvo- gel, B., P. Sitte und H. Fdk: Cytobiologie 12,155174 (1976).

[6] Harris, W.M. und A.R. Spurr: Amer. J. Bot. 56, 369-389 (1969). - Kuhn, H.: J. Ultrastruct. Res. 35,332-355 (1970).

[7] Gronegress, P.: J. Microscopie 19, 183- 192 (1974).

[8] Liedvogel, B. und H. Kleinig: Planta 129,19-21 (1976); 133,249-253 (1977).

[9] Frey-Wyssbng, A., F. Ruch und X. Berger: Protoplasma 45, 97-114 (1955). - Frey-Wysshg, A. und E. Kreutzer: Planta 51, 104-114 (1958).

[lo] Gronegress, P.: Planta 98, 274-278 (1971). - Wrischer, M.: Acta Bot. Croat. 31, 41-46 (1972). - LjubeSiC, N.: Protoplasma 66, 369-379 (1968). - DevidC, 2. und N. LjubeSiC: 2. Pflanzenphysiol. 73, 296-306 (1 974).

[ I l l Falk, H., B. Liedvogel und P. Sitte: 2. Naturforsch. 29 c, 541-544 (1974). - Wuttke, H.-G.: Planta 132,317-319 (1976). - Liedvo- gel, B.: Naturwissensch. 63,248 (1976).

Literatur

[l] Kirk, J.T.O. und R.A.E. Tilney-Bassett: The Plastids. Freeman, London und San Francisco 1967.

[2] Sitte, P.: 2. Pflanzenphysiol. 73, 243-265 (1974).

Peter Sitte, 47, Professor der Zellbiologie an der Universitat Freiburg i. Br.; Studium der Biologie, Physik und Chemie in Innsbruck; a.0. Prof. fur Zellenlehre und Elektronen- mikroskopie, Heidelberg 1960; seit 1966 in Freiburg. Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. 1973-75 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft fur Elektronenmikroskopie, seit 1975 Prasident der Deutschen Gesellschaft fur ZeIIbiologie. Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und h z t e . Arbeitsgebiete: Zellbiologie der Pflanze (Plastiden, Zell- Das Titelbild ist im V-DIA-Verlag GmbH, wande, Membranen), Theoretische Zellbio- 6900 Heidelberg, Postfach 10 59 80, als Farb- logie; Elektronen- und Polarisadonsmi- diapositiv erschienen (Bestell-Nr.: 77-3-9). kroskopie. Preis pro Dia: DM 2,30 + 11 7'0 MwSt.

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