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Dr. Matthias Hengelbrock (Altes Gymnasium Oldenburg) Ciceros Philippische Reden im Lateinunterricht Zentralabitur 2016/17, Profil A, Leitthema 6 Arbeitskreis im Rahmen des Landestages des Niedersächsischen Altphilologenverbandes Wilhelm-Gymnasium Braunschweig, 13. November 2015 Die Philippischen Reden gelten als Höhepunkt der politischen Rede in Rom. Cicero versucht in der Bürgerkriegssituation der ausgehenden römischen Republik, den Senat zum Kampf gegen die Machtansprüche des Antonius zu mobilisieren. Polarisierend teilt er die politischen Kräfte in »verbrecherische Aufrührer« und »gute Bürger« auf, die bereit sind, die Ideale einer freien Republik zu verteidigen. Anhand dieser Reden gewinnen die Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die an- tike Rhetorik, die Cicero hier meisterhaft zur Anwendung bringt, und erkennen deren suggestive Kraft und manipulative Wirkung. Sie reflektieren die Funktion der Rede als Mittel der politischen Auseinandersetzung sowohl in der Antike als auch in der Neuzeit. Leitthema 6 Die Rede als Mittel der Politik (Cic. Phil.) Kulturkompetenz Die Schülerinnen und Schüler benennen zentrale Elemente der rhetorischen Theorie: Ziele der Redekunst, Genera und Teile (partēs) der Rede, Tätigkeiten (officia) des Redners. beschreiben die politisch-gesellschaftliche Situation nach Caesars Ermordung in Grundzügen, insbesondere der Jahre 44 und 43 v. Chr. erklären die Folgen der Reden für die Entwicklung des Staates und für Cicero selbst. Textkompetenz Die Schülerinnen und Schüler arbeiten die Zielrichtung der Philippischen Reden Ciceros heraus: Mobilisierung des Senats zum Kampf gegen Antonius durch Diskreditierung des Gegners und Appell an den Gemeinsinn. arbeiten Ciceros Kampf für die lībera rēs pūblica heraus. arbeiten die Invektive als Mittel der politischen Auseinandersetzung heraus. identifizieren und deuten spezifische sprachlich-stilistische Mittel der politischen Rede, z. B. Appell, Interjektion, rhetorische Frage, Polarisierung.

Cicero Philipische Reden im Lateinunterricht · 2020. 9. 23. · 2 │ Matthias Hengelbrock, Ciceros Philippische Reden im Lateinunterricht Didaktische Schwerpunkte und »Lernstoff«

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  • Dr. Matthias Hengelbrock (Altes Gymnasium Oldenburg)

    Ciceros Philippische Reden im Lateinunterricht Zentralabitur 2016/17, Profil A, Leitthema 6

    Arbeitskreis im Rahmen des Landestages des Niedersächsischen Altphilologenverbandes Wilhelm-Gymnasium Braunschweig, 13. November 2015

    Die Philippischen Reden gelten als Höhepunkt der politischen Rede in Rom. Cicero versucht in der Bürgerkriegssituation der ausgehenden römischen Republik, den Senat zum Kampf gegen die Machtansprüche des Antonius zu mobilisieren. Polarisierend teilt er die politischen Kräfte in »verbrecherische Aufrührer« und »gute Bürger« auf, die bereit sind, die Ideale einer freien Republik zu verteidigen.

    Anhand dieser Reden gewinnen die Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die an-tike Rhetorik, die Cicero hier meisterhaft zur Anwendung bringt, und erkennen deren suggestive Kraft und manipulative Wirkung. Sie reflektieren die Funktion der Rede als Mittel der politischen Auseinandersetzung sowohl in der Antike als auch in der Neuzeit.

    Leitthema 6 Die Rede als Mittel der Politik (Cic. Phil.)

    Kulturkompetenz Die Schülerinnen und Schüler … • benennen zentrale Elemente der rhetorischen Theorie:

    – Ziele der Redekunst, – Genera und Teile (partēs) der Rede, – Tätigkeiten (officia) des Redners.

    • beschreiben die politisch-gesellschaftliche Situation nach Caesars Ermordung in Grundzügen, insbesondere der Jahre 44 und 43 v. Chr.

    • erklären die Folgen der Reden für die Entwicklung des Staates und für Cicero selbst.

    Textkompetenz Die Schülerinnen und Schüler … • arbeiten die Zielrichtung der Philippischen Reden Ciceros heraus: Mobilisierung

    des Senats zum Kampf gegen Antonius durch Diskreditierung des Gegners und Appell an den Gemeinsinn.

    • arbeiten Ciceros Kampf für die lībera rēs pūblica heraus. • arbeiten die Invektive als Mittel der politischen Auseinandersetzung heraus. • identifizieren und deuten spezifische sprachlich-stilistische Mittel der politischen

    Rede, z. B. Appell, Interjektion, rhetorische Frage, Polarisierung.

  • 2 │ Matthias Hengelbrock, Ciceros Philippische Reden im Lateinunterricht

    Didaktische Schwerpunkte und »Lernstoff«

    Kulturkompetenz I

    Die Schülerinnen und Schüler stellen exemplarische Inhalte aus den Gegenstandsbereichen Sprache/Lite-ratur, Gesellschaft/Kultur, Politik/Geschichte und Philosophie/Religion dar und setzen sich mit diesen kritisch auseinander. – hier: Ciceros Philippische Reden (Reden gegen Antonius) • verfasst zwischen 2. September 44 und 21. April 43 v. Chr. • 14 Reden erhalten, außerdem nicht aussagekräftige Fragmente einer 16. und einer 17.

    Rede • 4. und 6. Rede vor dem Volk (wohl in einer spontan einberufenen cōntiō), 2. Rede

    nur angeblich, alle anderen tatsächlich im Senat gehalten • Datum und Art der Veröffentlichung unklar

    – Wilfried Stroh hat plausibel gemacht, dass Cicero die 3. bis 14. Philippika analog zu den zwölf Reden seines Konsulatsjahres (vgl. Cic. Att. II 1, 3) und mit Blick auf Demosthenes’ zwölf λόγοι Фιλιππικοί als Zyklus veröffentlichte → Exkurs I der classica-Ausgabe (= S. 24 der vorliegenden Broschüre)

    • Philipp kommt bei Cicero nicht vor; Titel der Reden (vgl. Cic. ad Brut. II 3, 4 Schütz = 18, 4 Tusculum; Cic. ad Brut. II 4, 2 Schütz = 3, 2 Tusculum) von Cicero selbst ge-wählt in Anspielung auf die Reden, die Demosthenes 351–341 v. Chr. gegen König Philipp II. von Makedonien gehalten hat. – Zählung der Demosthenes-Reden verwirrend, spielt aber für unsere Zwecke keine

    Rolle; Stroh geht davon aus, dass Cicero zwölf Demosthenes-Reden als Zyklus vor-liegen hatte, wenn auch nicht genau die zwölf im Wikipedia-Artikel genannten.

    – Gründe für Ciceros Wahl des Titels: ▪ Er, der sich als Philosoph mit Platon auf einer Stufe sah, wollte sich nun auch

    als Redner einem griechischen Vorbild ebenbürtig zeigen. ▪ Es gab Parallelen im Kampf beider Politiker gegen eine fundamentale Bedro-

    hung, deren Beseitigung die Bündelung und Eintracht (concordia) aller diver-gierenden innenpolitischen Kräfte notwendig machte.

    – Leitmotive bei Cicero und Demosthenes (von Schülern gut aus den Texten her-auszuarbeiten): ▪ Es herrscht zwar nicht formal, aber faktisch Krieg. ▪ Der Feind (hostis) ist eine Bestie (bēlua) (→ Diskreditierung). ▪ Es geht um die Alternative Freiheit oder Tyrannei (→ Polarisierung). ▪ Die Lage ist günstig, der richtige Moment (καιρός) zum Handeln ist da. ▪ Gefahr im Verzug – jetzt oder nie (→ Polarisierung)!

    • Die Philippischen Reden werden im KC dem Gegenstandsbereich Gesellschaft/Kul-tur zugeordnet, passen aber genauso gut in die Bereiche Sprache/Literatur (→ Rheto-rik) und Politik/Geschichte (→ »politisch-gesellschaftliche Situation nach Caesars Ermordung«, Untergang der römischen Republik). – Der Bereich Philosophie/Religion kommt insofern auch zum Tragen, als die Philo-

    sophie dem Staatsmann Cicero »im Sinne des Akademiegründers Platon zu einer in der Politik zu verwirklichenden Lebensaufgabe« (Stroh) wird. Hierauf wird in

  • Arbeitskreis im Rahmen des NAV-Landestages, Braunschweig, 13. November 2015 │ 3

    der classica-Ausgabe einerseits mit Strohs Epilog (s. u., S. 32 f.), anderseits mit ei-nem Schlenker zur Haltung der Stoa gegenüber politischer Betätigung eingegangen.

    • Möglichkeiten der kritischen Auseinandersetzung (erste Impulse für die Unterrichts-gestaltung): – historisch: Hat Cicero die Zeichen der Zeit nicht erkannt? Ist er gescheitert? In

    welcher Hinsicht ist ein Vergleich mit Stauffenberg zulässig, in welcher nicht? – ethisch: War Ciceros Vorgehen gegen Antonius, war die Wahl seiner Mittel in der

    damaligen Zeit gerechtfertigt? Welche Maßstäbe legen wir heute an eine politische oder überhaupt an eine öffentliche Auseinandersetzung an?

    – ästhetisch: Wie wirkt Ciceros Rhetorik auf uns (auch im Vergleich zu Rednern der Neuzeit und Gegenwart)? In welcher Hinsicht kann die Qualität seiner Rhetorik (→ virtūtēs dīcendī) uns zum Vorbild dienen?

    … beschreiben die politisch-gesellschaftliche Situation nach Caesars Ermordung in Grundzügen, insbeson-dere der Jahre 44 und 43 v. Chr. • Caesarmörder haben kein klares Konzept für die Zeit nach dem Attentat. In das

    Machtvakuum stößt zunächst Antonius, dann der junge Octavian vor. – Cicero kämpft vehement gegen Antonius’ Dominanzstreben und glaubt nach an-

    fänglichem Zögern (vgl. Cic. Att. XVI 8 Vulgata = 9 Tusculum; XVI 14 Vulgata = 16 Tusculum), Octavian vor den Karren des Senats spannen zu können.

    • Caesar hatte eine große Anhängerschaft im Senat (von ihm auf 900 Personen aufge-stockt), im Heer (→ Heeresklientel) und in der stadtrömischen plēbs (→ »Brot und Spiele«, außenpolitische Erfolge). Seine Diktatur wurde nicht (wie Sullas) als Terror-regime empfunden, daher war innenpolitisch ein schneller Ausgleich zwischen den Caesarianern und den Caesarmördern notwendig (→ Beschlüsse der Senatssitzung vom 17. März 44: Amnestie für die Caesarmörder, Bestätigung der ācta Caesaris). – Cicero bemüht sich um diesen Ausgleich und spielt z. B. Caesars Verantwortung

    für den Ausbruch des Bürgerkriegs 49–46 herunter. – Antonius und Octavian spitzen den Konflikt zu, indem sie zunächst jeder für sich,

    später als Triumvirn gemeinsam behaupten, für Caesars Erbe zu kämpfen. • Dramatis personae

    – Cicero: Konsular, Vorkämpfer der alten lībera rēs pūblica (im Sinne der Optimaten) – Marcus Antonius: Caesars letzter Mitkonsul, brachte dessen Erbe an sich und

    strebt nun offenbar nach Alleinherrschaft. – Octavian: Caesars Großneffe, geboren als Gaius Octavius

    ▪ nennt sich, nachdem er von Caesar testamentarisch adoptiert worden ist, Gaius Iulius Caesar (das übliche Adoptionssuffix -ānus hat er selbst nie benutzt, aber Cicero nennt ihn in seinen Briefen Octavianus, und zur Unterscheidung von seinem Großonkel bzw. Adoptivvater nennt man ihn heute Octavian);

    ▪ stellt als Achtzehnjähriger auf eigene Faust eine Privatarmee aus Caesars Vete-ranen auf, um sein Erbe gegen Antonius’ Ansprüche zu verteidigen;

    ▪ besiegt Antonius in den Schlachten von Forum Gallorum (14. oder 15. April 43) und von Mutina (21. April 43), schließt dann überraschenderweise mit ihm und Lepidus das Triumvirat, entzweit sich später wieder mit ihm, besiegt ihn erneut in der Seeschlacht bei Actium (2. September 31), begründet 27 den

  • 4 │ Matthias Hengelbrock, Ciceros Philippische Reden im Lateinunterricht

    Prinzipat (»Monarchie in republikanischem Gewand«), erhält vom Senat den Ehrentitel »Augustus«.

    ▪ Octavian spielt in den Philippischen Reden keine so bedeutende Rolle, wie man vor dem Hintergrund des weiteren Verlaufs der Geschichte vielleicht vermuten möchte. Cicero sieht in Octavian und seiner Privatarmee die aktuell stärkste Kraft, Antonius ein für allemal zu erledigen, weswegen er sich für eine Billigung von Octavians illegalen Maßnahmen ausspricht; wichtiger sind für ihn aber die legalen (oder zumindest legitimen) hohen Magistrate, weswegen er diesen in seinen Philippischen Reden mehr Aufmerksamkeit schenkt als Octavian.

    – Lepidus: Caesarianer ▪ versucht zwischen Antonius und dem Senat zu vermitteln, wird deswegen von

    Cicero kritisiert; ▪ bildet später mit Antonius und Octavian das Triumvirat, in dem er allerdings

    die schwächste Figur ist. ▪ In der classica-Ausgabe wird Lepidus mehrfach am Rande berücksichtigt, weil

    die Schüler ihn aus dem Geschichtsunterricht kennen müssten. – Dolabella: Suffektkonsul 44, schlägt sich nach den Iden des März zunächst auf die

    Seite der Caesarmörder, paktiert dann aber mit Antonius. ▪ Spielt in der classica-Ausgabe nur eine Nebenrolle. Rhetorisch interessant ist,

    wie Cicero seine Antipathie gegen seinen ungeliebten ehemaligen Schwieger-sohn verschleiert (Cic. Phil. 1, 29 = Text 3 der classica-Ausgabe).

    – Decimus Brutus: entfernter Verwandter des Caesarmörders Marcus Brutus ▪ geht nach den Iden des März als Statthalter wieder in seine Provinz Gallia

    cisalpina und verweigert gegen Jahresende 44 deren Übergabe an Antonius, obwohl dieser Provinztausch von einer Volksversammlung beschlossen wurde.

    ▪ Obwohl Decimus Brutus gegen die Anweisung eines formal rechtmäßig amtie-renden Konsuls und gegen den Beschluss einer Volksversammlung verstößt, sieht Cicero in diesem Verhalten eine wahrhaft republikanische Gesinnung, die es zu verteidigen gelte. Er ruft deshalb den Senat auf, Brutus’ Verhalten zu billi-gen und, da dieser von Antonius in Mutina belagert wird, ein Entsatzheer zu schicken. Im Senat gibt es aber viele, die lieber mit Antonius verhanden als ge-gen ihn militärisch vorgehen wollen. Das Ringen um eine diplomatische oder militärische Auseinandersetzung steht im Zentrum der 5. bis 9. Philippischen Rede (Schwerpunkt in der classica-Ausgabe).

    – Marcus Brutus: Caesarmörder ▪ zieht sich nach den Iden des März zunächst nach Kampanien, dann nach

    Athen zurück; ▪ stellt 43 aus eigener Initiative ein Heer auf und kämpft, vom Senat als Prokon-

    sul bestätigt, im Osten gegen Caesarianer (u. a. gegen Dolabella). ▪ Marcus Brutus ist in der (Rezeptions-) Geschichte prominenter als Decimus

    Brutus; bei Cicero spielt er aber nur in der 10. Philippischen Rede eine nen-nenswerte Rolle (Schwerpunkt in der Klettschen libellus-Ausgabe; in der classi-ca-Ausgabe ausgespart, um nicht noch ein neues Fass aufzumachen).

    ▪ Die historische Bedeutung des Marcus Brutus wird in der classica-Ausgabe numismatisch reflektiert.

  • Arbeitskreis im Rahmen des NAV-Landestages, Braunschweig, 13. November 2015 │ 5

    – Cassius Longinus: der andere namhafte Caesarmörder ▪ spielt bei Cicero nur in der 11. Philippischen Rede eine nennenswerte Rolle (in

    der classica-Ausgabe ebenfalls weitgehend ausgespart). – Hirtius und Pansa: Konsuln 43

    ▪ fallen beide in der Schlacht von Mutina, weswegen sie in der römischen Ge-schichtsschreibung immer wieder erwähnt werden.

    ▪ Cicero setzt auf sie große Hoffnungen, weil sie als reguläre Magistrate ein völlig rechtmäßiges imperium haben.

    • In der classica-Ausgabe wird der historische Kontext sukzessive im Vorspann zu den Übersetzungstexten sowie in Überleitungstexten (»Überblick über das weitere Ge-schehen«) erläutert. – Einen guten zusammenhängenden Überblick – wohl nicht zum Durcharbeiten en

    bloc gedacht – bietet die Klettsche libellus-Ausgabe S. 70–75. – Alternativ dazu bietet die classica-Ausgabe die stark verkürzte und nur mit Vor-

    kenntnissen oder mündlichen Erläuterungen ergiebige, aber in ihrer Dramatisie-rung deutlicher akzentuierte Übersicht »Eine Tragödie in fünf Akten« (s. u., S. 14 f.) nach einer Idee von Wilfried Stroh.

    … erklären die Folgen der Philippischen Reden für die Entwicklung des Staates und für Cicero selbst. • für den Staat: Mit seinen Philippischen Reden hat Cicero maßgeblich dazu beigetra-

    gen, dass Octavians illegale Maßnahmen vom Senat gebilligt wurden. Dadurch erhielt Octavian ein imperium, das er zum Ausbau seiner persönlichen Macht und letztlich zur Liquidierung nicht nur seiner politischen und persönlichen Gegner, sondern auch der alten rēs pūblica nutzte.

    • für Cicero selbst: Mit seinen Philippischen Reden hat Cicero sich Antonius zum Tod-feind gemacht. Dieser forderte im Zuge der Proskiptionen, die er als Triumvir durch-führen ließ, von Octavian das Zugeständnis, Cicero ermorden zu lassen.

    Textkompetenz I

    Die Schülerinnen und Schüler analysieren Texte im Hinblick auf autoren- und gattungsspezifische Merkmale / arbeiten die Invektive als Mittel der politischen Auseinandersetzung heraus. • Topoi der Invektive: S. 23 der classica-Ausgabe (= S. 23 der vorliegenden Broschüre) • Leitmotive: Antonius ist ein Staatsfeind (hostis) und eine Bestie (bēlua); er hat keine

    römischen und keine menschlichen Züge mehr (Verlust von virtūs und hūmānitās).

    … arbeiten die Zielrichtung der philippischen Reden Ciceros heraus: Mobilisierung des Senats zum Kampf gegen Antonius durch Diskreditierung des Gegners und Appell an den Gemeinsinn. • Diskreditierung des Gegners: siehe vorige Textkompetenz (zu »Invektive als Mittel

    der politischen Auseinandersetzung«) • Appell an den Gemeinsinn:

    – Leitmotiv der concordia ōrdinum (Eintracht von Ritterstand und Senatsaristokra-tie), erweitert zum cōnsēnsus omnium bonōrum (politische Übereinstimmung aller »Guten«, also patriotisch Gesinnten, egal ob Konsul oder Freigelassener) → S. 45 der classica-Ausgabe.

  • 6 │ Matthias Hengelbrock, Ciceros Philippische Reden im Lateinunterricht

    – Wenn der Senat nicht in Ciceros Sinne agiert, versucht dieser, ihn mit dem Hin-weis auf die vermeintliche Entschlossenheit der Konsuln, des römischen Volkes, ganz Italiens, der Heerführer und des Heeres unter Druck zu setzen.

    – Weitere Leitmotive der Mobilisierung (s. o., S. 5): ▪ Es herrscht zwar nicht formal, aber faktisch Krieg. ▪ Es geht um die Alternative Freiheit oder Tyrannei (→ Polarisierung). ▪ Die Lage ist günstig, der richtige Moment (καιρός) zum Handeln ist da. ▪ Gefahr im Verzug – jetzt oder nie (→ Polarisierung)!

    … arbeiten Ciceros Kampf für die lībera rēs pūblica heraus. • Kernbegriff lībertās (S. 31 der classica-Ausgabe)

    – ab Ende des 6. Jhs. v. Chr. Freiheit von der Königsherrschaft (rēgnum) – bis zum Ende der Ständekämpfe (287 v. Chr.) alle gegen die Allmacht der Patrizier

    angestrebten bzw. errungenen politischen, sozialen und persönlichen Rechte der Plebejer

    – in der späten Republik (ab 133 v. Chr.) politischer Kampfbegriff ▪ der Popularen: Gleichheit aller römischen Bürger vor dem Gesetz, Schutz vor

    magistratischer Willkür, Forderung fairer Existenzbedingungen ▪ der Optimaten: Wiederherstellung des traditionellen Ordnungsrahmens (freie

    und gleichberechtigte Möglichkeit, sich politisch zu entfalten, für alle nōbilēs), Gegenbegriff zu dominātiō oder dominātus (der unrechtmäßigen und unkon-trollierbaren Vormachtstellung eines Einzelnen)

    • Problematisierung: – War die Republik längst passé, musste alles auf den Prinzipat des Augustus hinaus-

    laufen? (Vorsicht: Keine teleologische Geschichtsauffassung wie z. T. im 19. Jh.!) – War Cicero unrealistisch, waren seine Ideale überholt? (Vergleich mit Stauffen-

    berg möglich: Ideale durchaus richtig und der Zeit angemessen)

    … arbeiten aus lateinischen Texten römische Wertbegriffe […] und die Stilisierung von Personen heraus und interpretieren diese. • Die classica-Ausgabe bietet kurze Sachtexte zu den Wert- bzw. Kernbegriffen pietās,

    potestās, imperium, lībertās, dignitās, gravitās, pāx und mōs māiōrum. Aus dem Mit-telstufenunterricht sollten v. a. die Kernbegriffe virtūs, auctōritās, honōs, glōria, fidēs und grātia wiederaufgegriffen und ausdifferenziert werden.

    • Stilisierung des Antonius: s. o., S. 5, zu »Invektive als Mittel der politischen Ausein-andersetzung« und »Diskreditierung des Gegners«

    • Stilisierung Octavians: Im Sinne der Polarisierung verharmlost Cicero die eklatanten Verfassungsbrüche des jungen Octavian und führt ihn in Phil. 3, 3 (= Text 8 der clas-sica-Ausgabe) als adulēscēns (paene potius puer) incrēdibilī ac dīvīnā quādam mente atque virtūte ein. → fatale Fehleinschätzung der Skrupellosigkeit des Caesarerben → überraschend optimistischer (oder riskanter) Versuch, Octavian vor den Karren

    des Senats zu spannen, um ihn nach Erledigung seiner Aufgaben wieder in Reih und Glied treten zu lassen

    • Stilisierung Ciceros: Ciceros ständiger Verweis auf seine edlen Absichten, aufopfe-rungsvollen Bemühungen und geschichtsträchtigen Leistungen kann aus heutiger

  • Arbeitskreis im Rahmen des NAV-Landestages, Braunschweig, 13. November 2015 │ 7

    Sicht penetrant wirken (keine christliche Demut, keine demokratische Égalité), ist aber zu verstehen, wenn man das Konzept des Begriffs dignitās berücksichtigt.

    Sprachkompetenz

    Die Schülerinnen und Schüler beherrschen einen Grundwortschatz von ca. 1600 (eA) bzw. 1400 (gA) Wörtern bzw. Wendungen und nach Maßgabe der gelesenen Originallektüre einen autoren- und themenspezifischen Aufbauwortschatz (→ Basiskompetenz). • Arbeit mit dem textchronologischen Lernwortschatz (824 Lemmata) • Reflexion einiger Phänomene der Wortbildungslehre (→ Basiskompetenz) im An-

    hang (s. u., S. 37) sowie in der Vokabelspalte der classica-Ausgabe • Erstellung von Wort- und Sachfeldern zum Leitthema

    – aus dem Übersetzungstext – Erweiterung z. B. durch Synonyme und Antonyme

    … identifizieren lektürebezogen Besonderheiten der Formenlehre. • Anhang der classica-Ausgabe (s. u., S. 35):

    – Gen. Sg. der o-Dekl. auf -ī statt -iī – Akk. Pl. der 3. Dekl. auf -īs statt -ēs – Kurzformen im Perfekt durch Ausfall von -v-, -vi- bzw. -ve- – keine Assimilation (Orthographie der Handschriften und damit auch der wissen-

    schaftlichen Textausgaben schwankt beträchtlich; Gewöhnung der Schüler an nicht assimilierte Formen empfohlen)

    – gelegentlich 2. Sg. Pass./Dep. auf -re statt -ris (kommt in den Philippischen Reden sehr selten vor, gehört aber zu den Basiskompetenzen)

    – (3. Pl. Ind. Perf. Akt. auf -ēre statt -ērunt und historischer Infinitiv für die Philippi-schen Reden irrelevant)

    … analysieren, erläutern und übersetzen 〈typische syntaktische Phänomene der Philippischen Reden〉. • komplexe Satzgefüge (u. a. Perioden → eher Text- als Sprachkompetenz)

    – in der classica-Ausgabe z. T. kolometrisch oder durch größere Spatien vorstrukturiert – im Lehrerband Kopiervorlagen mit feiner aufbereiteter Kolometrie

    • »Grammatikalische Stolpersteine« (s. u., S. 36) und spezielle S-Texte der classica-Ausgabe: – Relativsätze ohne Bezugswort – Verschränkung eines Relativsatzes mit AcI – Genitivus possessivus bei unpersönlich gebrauchtem est – Inversion von Konjunktionen (v. a. beim relativischen Satzanschluss)

    • Übung an Einzelsätzen nicht verwerflich (vgl. Etüden in der Musik, Bewegungsabläufe beim Sport) – Heinz Papenhoff / Hans Gappa, Exercitationes Novae, Übungsbuch für den lateini-

    schen Grammatikunterricht neben der Lektüre, Göttingen 41975. – Reinhold Koller / Friedrich Maier, Subsidia Latina, Autorenbezogene Begleitgram-

    matik – Mittelstufe –, Bamberg 1993. – Friedrich Maier, Die Version aus dem Lateinischen. Ein grammatisches Begleitbuch

    für den Lektüreunterricht, Bamberg 31990.

  • 8 │ Matthias Hengelbrock, Ciceros Philippische Reden im Lateinunterricht

    Kulturkompetenz II

    Die Schülerinnen und Schüler benennen zentrale Elemente der rhetorischen Theorie: Ziele der Redekunst, Genera und Teile (partēs) der Rede, Tätigkeiten (officia) des Redners. • Zu »Ziele der Redekunst« gibt es bei Cicero keine präzise Definition. In einem älteren

    thematischen Schwerpunkt (ZA 2006/07) gab es aber unter »Ziele der Redekunst« den Lektürevorschlag Cic. de orat. I 30–34. Was in diesen Paragraphen steht, ist eine Umschreibung der Aufgaben docēre, dēlectāre und movēre und wird in Cic. de orat. II 114 als omnis ratiō dīcendī bezeichnet. Mit etwas Bauchschmerzen wird in Abschnitt A der classica-Ausgabe (= S. 26 der vorliegenden Broschüre) der Begriff »Ziele« auf die Ebene von ratiōnēs (»Prinzipien«) gequetscht, damit die Schüler an dieser Stelle das wiederfinden, was im KC steht, auch wenn es keine Übersetzung ist.

    • Der Begriff genera ist doppeldeutig: Damit werden die Redegattungen (in DNP, LAW und KlP genera causārum genannt) und die Stilarten (in DNP, LAW und KlP genera dīcendī genannt) bezeichnet. Abschnitt B der classica-Ausgabe führt als »Genera der Rede« im Sinne des KC die drei Redegattungen genus iūdiciāle, genus dēlīberātīvum und genus dēmōnstrātīvum auf.

    • Auch der Begriff officia ōrātōris ist doppeldeutig: Damit werden die fünf Arbeitsgän-ge (inventiō, dispositiō …) und die o. g. Aufgaben (docēre, dēlectāre und movēre) be-zeichnet. Der Wikipedia-Artikel, auf den viele Schüler sicherlich zurückgreifen wer-den, legt den Schwerpunkt leider auf den zweiten Aspekt. Abschnitt D der classica-Ausgabe (= S. 27 der vorliegenden Broschüre) führt jedoch als »Tätigkeiten (officia) des Redners« im Sinne des KC die fünf Arbeitsgänge/-stadien (opera) des Redners auf.

    • Der Begriff »Teile (partēs) der Rede« ist klar → Abschnitt C der classica-Ausgabe (= S. 27 der vorliegenden Broschüre).

    • Die Präzisierungen der Abschnitt A, B und D sind von allen vier niedersächsischen Fachberatern abgesegnet worden. Sicherheitshalber werden in Abschnitt F der classi-ca-Ausgabe noch die genera dīcendī als drei Stilhöhen aufgelistet, außerdem in Ab-schnitt E die fünf Stilqualitäten (virtūtēs dīcendī), die für eine Beurteilung von Cice-ros rhetorischer Leistung und der rhetorischen Leistung heutiger Redner wichtig sind.

    Textkompetenz II

    Die Schülerinnen und Schüler erschließen einen lateinischen Originaltext sprachlich und inhaltlich und verfassen eine angemessene Übersetzung. • Für eine transphrastische Vorerschließung nach Willibald Heilmann eignen sich die

    Philippischen Reden besonders gut, weil bestimmte Leitmotive immer wieder auftau-chen und Ciceros generelle Intention den Schülern von vornherein klar ist. – Willibald Heilmann, »Textverständnis aus der Textstruktur bei der Lektüre latei-

    nischer Prosa«, in: Der Altsprachliche Unterricht 18.2 (1975), 5–22. – Der Altsprachliche Unterricht 56.6 (2013), Themenheft »Texterschließung«.

    • Ebenso eignen sich die Philippischen Reden besonders für das Thema-Rhema-Verfahren, weil Ciceros Gedankenführung i. d. R. sehr »logisch« und stringent ist (vgl. SB 6 der classica-Ausgabe = S. 35 der vorliegenden Broschüre).

  • Arbeitskreis im Rahmen des NAV-Landestages, Braunschweig, 13. November 2015 │ 9

    – Der Altsprachliche Unterricht 31.6 (1988), Themenheft »Grammatik – Semantik – Textverstehen«, darin v. a. Klaus Weddigen, »Thema und Rhema. Überlegungen zu einer Methode der Texterfahrung« (7–28).

    • Hilfen zur Satzerschließung: – Kolometrie – Konstruieren (Nachvollzug des grammatikalischen Aufbaus eines Satzes) – Analyse (Fragen nach dem Inhalt und den gedanklichen Zusammenhängen)

    • Übersetzung nach der Dreischrittmethode funktioniert bei Ciceros Perioden beson-ders gut. – Vorteil: klare Abbildung des originalen Gedankengangs – Nachteil: oft verschachtelter, für das Deutsche nicht idiomatischer Satzbau

    … benennen stilistische Gestaltungsmittel und erläutern ihre Funktion im Kontext / identifizieren und deuten spezifische sprachlich-stilistische Mittel der politischen Rede, z. B. Appell, Interjektion, rhetorische Frage, Polarisierung. • Liste der sprachlich-stilistischen Mittel (vgl. S. 34 der vorliegenden Broschüre) geteilt

    in Fundamentum (= Anhang 3 des KC = NAV-Liste) und Additum • exemplarische Interpretationsskizzen s. u., S. 34

    … vergleichen und bewerten Parallel- oder Kontrasttexte. • Beispiel für rhetorische Wucht: ’mal nicht Hitler oder Goebbels, sondern Adenauer

    (»Wir wählen die Freiheit!«, s. u., S. 25, einigen Schülern vielleicht aus dem Trailer der Serie 100 Jahre – Der Countdown bekannt)

    • zu Ciceros Tod: Internet-Blog von Uwe Walter (s. u., S. 30) • zu Ciceros politischer und literarischer Leistung: Epilog aus Wilfried Strohs Beck-

    Taschenbuch (s. u., S. 32)

    … vergleichen lateinische Originaltexte mit [selbstständig recherchierten] Rezeptionsdokumenten und arbeiten die spezifischen Darstellungsmittel heraus. • Historienmalerei von Carl Theodor von Piloty (Die Ermordung Caesars, s. u., S. 21)

    und Louis Jean François Lagrenée (Le Consul Popilius Lena entourant d’un cercle le roi Antiochus) mit Aufträgen zu methodischer Reflexion – Schüler können eher zu Ovids Metamorphosen als zu Cicero Reden Rezeptions-

    dokumente selbstständig recherchieren.

    Kulturkompetenz III

    Die Schülerinnen und Schüler beschreiben Ciceros Leben und Werk in Grundzügen. • tabellarische Übersicht mit Erläuterungen in der classica-Ausgabe (s. u., S. 13)

    – Akzentuierung der beiden Phasen politischer Bedeutungslosigkeit (→ Ausweichen auf theoretische Werke) wichtig

    … beschreiben exemplarisch Nachwirkungen der römischen Kultur und setzen sich kritisch mit ihnen auseinander. • Das von den Griechen entwickelte und von den Römern tradierte System der Rheto-

    rik gehört neben der Philosophie zum Bedeutendsten dessen, was uns die griechisch-römische Kultur hinterlassen hat.

  • 10 │ Matthias Hengelbrock, Ciceros Philippische Reden im Lateinunterricht

    • Die deutsche Redewendung »eine Philippika halten« bezieht sich in erster Linie nicht auf Demosthenes, sondern auf Ciceros 2. Philippische Rede.

    … vergleichen bei der Auseinandersetzung mit der römischen Kultur fremde und eigene Wertvorstellun-gen, überprüfen sie kritisch und modifizieren sie zukunftsfähig. • s. o. zu den Punkten

    – ethische Auseinandersetzung mit der Invektive als Mittel der Politik (S. 3) – Ciceros ständiger Verweis auf seine edlen Absichten, aufopferungsvollen Bemü-

    hungen und geschichtsträchtigen Leistungen (S. 6 f.)

    Weitere Anmerkungen zur classica-Ausgabe

    • Die Textausgabe ist so angelegt, dass man in der ersten Stunde ohne Vorgeplänkel sofort mit Text 1 (s. u., S. 16) beginnen und die Abschnitte des Einleitungsteils didak-tisch sehr variabel nachschieben kann.

    • 20 der 24 Übersetzungstexte sind am Alten Gymnasium Oldenburg bereits zweimal im Lateinunterricht der Jahrgangsstufe 10 durchgelaufen; die entsprechenden Voka-bel- und Grammatikhilfen sollten also praxiserprobt und entsprechend optimiert sein.

    • Die Übersetzungstexte umfassen zusammen 3306 lateinische Wörter, also etwas mehr, als man in einem Schulhalbjahr durchschnittlich schafft (Berechnungsgrund-lage: 15 Wochen à 2 Doppelstunden à 100 Wörter = 3000 Wörter). – Kürzungsmöglichkeiten: Text 3 (76 W.), Text 7 (212 W.), Text 11 (115 W.), Text 20

    (143 W.), Text 21 (165 W.), Text 24 (32 W.). – Zum Verständnis des weiteren Kontextes sollten aber die jeweiligen deutschen

    Ein- und Überleitungstexte gelesen werden. Ebenso ist eine Paraphrase der über-sprungenen Texte zu empfehlen, wenngleich nicht zwingend notwendig.

    • Die Abbildung von Münzen dient nicht bloß der Dekoration; vielmehr werden die Schüler schrittweise angeleitet, Münzen zu dechiffrieren und (in bescheidenem Um-fang) zu interpretieren (s. u., S. 19 und 29).

    Hinweise zum Urheberrecht · Impressum

    Es ist zulässig, aus der vorliegenden Broschüre zu Unterrichtszwecken analoge Kopien (d. h. Kopien in Papierform) der Seiten 1–10 herzustellen und kostenlos bzw. zum Selbstkostenpreis an Schüler weiterzugeben; dabei darf die Fußzeile nicht getilgt werden. Alle weiteren Seiten dürfen nicht kopiert werden. Die Herstellung und Verbreitung digitaler Kopien (z. B. durch Rundmails an Schüler oder durch Einstellung in ein Intra-net) ist ebenfalls nicht zulässig.

    Autor, Satz und Layout: Dr. Matthias Hengelbrock, [email protected]

    Druck und Herstellung: Expressdruck Oldenburg, www.expressdruck-ol.de

  • Inhalt │ 11

    Inhalt

    I. Einleitung

    Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Standards und Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Marcus Tullius Cicero und seine Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Eine Tragödie in fünf Akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

    II. Texte

    1. Ciceros Verhalten im März 44 (1, 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Antonius’ Verhalten im März 44 (1, 2–4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Ein wohlwollend-kritischer Blick (1, 29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4. Hoffnungen nach Caesars Tod (1, 31 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 5. Ein letzter Appell an Antonius (1, 33 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 6. Antonius’ Jugend (2, 44–47). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 7. Antonius’ erstes Auftreten als Staatsfeind (2, 51–53) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Exkurs I: Die Philippischen Reden als Zyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 8. Octavian als Retter in der Not (3, 3–5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 9. Freiheit oder Tyrannei (3, 28 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 10. Nutzt die Gunst der Stunde! (3, 34 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 11. Freiheit als höchstes Gut (3, 36) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 12. Aufruf zum gemeinsamen Kampf (4, 11–13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 13. Krieg oder Frieden (5, 1–3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 14. Ein Plädoyer für das SCU (5, 33 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 15. Umdeutung einer Niederlage (6, 3–5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 16. Cicero und der Konsens aller Gutgesinnten (6, 17 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 17. Das Proprium des römischen Volkes (6, 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Exkurs II: Zentrale Elemente antiker Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 18. Zwei Argumente gegen einen Frieden mit Antonius (7, 9. 19) . . . . . . . . . . . . 50 19. Ein drittes Argument (7, 21. 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 20. Das Exemplum des Gaius Popilius (8, 20–23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 21. Die Stimme der Weisheit (13, 5 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 22. Die Lage ist günstig (13, 15 f. 49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 23. Ciceros Tod (Liv. CXX frg. 61) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 24. Eine letzte Pointe (Auf. Bass. frg. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 25. Ein antiker Nachruf (Liv. CXX frg. 62) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

    III. Anhang

    Sprachlich-stilistische Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Sprachliche Besonderheiten (SB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Grammatikalische Stolpersteine (GS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Hilfen zur Worterschließung (HW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Lernwortschatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

  • 12 │ Standards und Kompetenzen

    Standards und Kompetenzen

    Sprache: Ich kann…

    – die Grundbedeutungen von mindestens 824 lateinischen Wörtern und Wendungen des Grund- und Aufbauwortschatzes angeben und im Kontext differenzieren,

    – Wort- und Sachfelder zu dem Thema eines Textabschnitts erstellen, – Kenntnisse der Wortbildungslehre zur Worterschließung anwenden, – morphologische und syntaktische Besonderheiten der ciceronianischen Rede identi-

    fizieren und angemessen übersetzen, – Phänomene der Standardgrammatik, über die man bisweilen zu stolpern droht (z. B.

    relativische Verschränkung), identifizieren, analysieren und angemessen übersetzen.

    Text: Ich kann…

    – den ciceronianischen Periodenbau analysieren, – elementare stilistische Gestaltungsmittel sowie spezifische sprachlich-stilistische Mit-

    tel der Rede (z. B. Appell, Interjektion, rhetorische Frage, Polarisierung) identifizie-ren und ihre Funktion im Kontext erklären,

    – aus einem Textabschnitt römische Wertbegriffe bzw. -vorstellungen sowie die Stili-sierung von Personen herausarbeiten und interpretieren,

    – einen Abschnitt der Philippischen Reden im Hinblick auf autoren- und gattungsspe-zifische Merkmale analysieren und dabei insbesondere typische Merkmale der Invek-tive als Mittel der politischen Auseinandersetzung herausarbeiten,

    – Themen, Aufbau und Gedankenführung eines Textabschnitts unter Nennung sinn-tragender lateinischer Begriffe beschreiben und dabei insbesondere die Intention der Philippischen Reden herausarbeiten,

    – aus einem Textabschnitt herausarbeiten, wie Cicero für die lībera rēs pūblica kämpft.

    Kultur: Ich kann…

    – zentrale Elemente der rhetorischen Theorie benennen, – das Konzept römischer Kernbegriffe, die in den Philippischen Reden vorkommen,

    erläutern, – Ciceros Leben und Werk in Grundzügen beschreiben, – die politisch-gesellschaftliche Situation und die historischen Ereignisse nach Caesars

    Ermordung (insbesondere der Jahre 44 und 43 v. Chr.) in Grundzügen beschreiben, – die Folgen der Philippischen Reden für die Entwicklung des römischen Staates und

    für Cicero selbst erklären.

  • Marcus Tullius Cicero und seine Zeit │ 13

    Marcus Tullius Cicero und seine Zeit

    Jahr Ereignis Erläuterung

    133 erster Reformversuch des Tiberius Gracchus

    Beginn des Jahrhunderts der Bürgerkriege; offene Spaltung der Nobilität in Optimaten und Populare

    106 Cicero am 3. Januar in Arpi-num (ca. 100 km ostsüdöstlich von Rom) geboren

    Vater begüterter römischer Ritter (eques); gute Beziehungen zur stadtrömischen No-bilität, jedoch keiner der Vorfahren selbst zu höheren Staatsämtern gelangt; Cicero also homō novus

    ab 91 88

    Elementarunterricht; Sprach- und Lektüreunterricht (Einzel-heiten nicht bekannt) weitere Ausbildung im Gefolge der Redner Crassus und Anto-nius sowie des Augurs Scaevola und des Pontifex Scaevola Philon von Larissa in Rom

    Bildung erfolgte grundsätzlich zweispra-chig; Rhetorik wurde nur auf Griechisch, Recht auf Latein unterrichtet; man lernte v. a. durch praktische Übungen und da-durch, dass man berühmte Männer ständig begleitete; der griechischen Philosophie be-gegnete man in Rom seit der Ausweisung der Philosophengesandtschaft (155) eher skeptisch.

    91 88–86 82–79 81/80

    Beginn des Aufstands der röm. Bundesgenossen (bis 89/87) Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla Sullas Diktatur erstes Auftreten als Gerichts-redner

    Die politische Turbulenz seiner Jugendjah-re mahnte Cicero zu Vorsicht und Zurück-haltung; schon hier ein erstes Ausweichen auf theoretische Werke (Dē inventiōne); den Hintergrund der ersten Prozessrede bildeten Sullas Proskriptionen (für Cicero ebenso heikel wie chancenreich).

    79–77 Studienaufenthalt in Athen und Kleinasien

    Aneignung einer neuen, effektiveren Rede-technik

    75 69 66 63

    Quästur in Lilybaeum (Sizilien) Ädilität Prätur Konsulat

    Cicero war immer besonders stolz darauf, jedes Amt suō annō, also im vorgeschriebe-nen Mindestalter bekleidet zu haben; die Gewissenhaftigkeit seiner Quästur empfahl ihn als Anwalt im Repetundenprozess ge-gen Verres.

    70 Repetundenprozess gegen Gaius Verres

    sensationeller Sieg über Hortensius, der bis dahin als bester Anwalt Roms galt; Cicero jetzt Nr. 1 auf dem Forum

    […]

  • 14 │ Eine Tragödie in fünf Akten

    Eine Tragödie in fünf Akten

    Personarum conspectus

    Marcus Tullius Cicero Republikaner, Konsul 63 S. 8 Marcus Antonius Caesarianer, Konsul 44, Prokonsul 43 S. 15 Marcus Iunius Brutus Caepio Caesarmörder, Prätor 44, Proprätor 43 S. 19 Decimus Iunius Brutus Albinus Caesarmörder, Prätor 45, Proprätor 44 S. 33 Gaius Cassius Longinus Caesarmörder, Prätor 44 S. 55 Gaius Iulius Caesar (Octavianus) Caesars Großneffe und Adoptivsohn S. 29 Marcus Aemilius Lepidus Caesarianer, Prokonsul 44, Konsul 46 und 42 S. 59

    Publius Cornelius Dolabella Caesarianer, Suffektkonsul 44, paktiert opportunistisch S. 17 Aulus Hirtius zunächst Caesarianer, später senatstreu, Konsul 43 S. 34 Gaius Vibius Pansa zunächst Caesarianer, später senatstreu, Konsul 43 S. 34 Quintus Fufius Calenus Caesarianer, Konsul 47 S. 38 Lucius Munatius Plancus Caesarianer, Konsul 42, paktiert opportunistisch S. 58 Servius Sulpicius Rufus Caesarianer, Konsul 51, Prokonsul 46 S. 42

    Argumentum

    Erster Akt: Der Konflikt bahnt sich an

    15. März 44 Caesar ermordet; M. Brutus ruft: »Cicero!« 17. März Senatssitzung auf dem Kapitol; Kompromiss: Caesars ācta gültig,

    Amnestie für die Mörder 21. April Octavian macht Cicero seine erste Aufwartung. 2. Juni Antonius lässt sich Gallia cisalpina (bisher in der Hand von

    D. Brutus) als prokonsularische Provinz zuweisen. 1. Juli Cicero bricht nach Griechenland auf (ist am 6. August aber noch

    in Rhegium). 20.–30. Juli Octavian erwirbt sich mit den lūdī victōriae Caesaris große Sym-

    pathien beim stadtrömischen Volk. 1. August Caesars Schwiegervater Lucius Calpurnius Piso kritisiert Anto-

    nius im Senat. 31. August Cicero wieder in Rom Zweiter Akt: Der Konflikt spitzt sich zu

    1. September Senatssitzung, der Cicero aus Sicherheitsgründen fernbleibt 2. September Cicero hält im Senat seine 1. Philippica (ursprünglicher Titel

    wohl: In Antōnium). 19. September Rede des Antonius gegen Cicero: offener Bruch der Freund-

    schaft; Cicero schreibt dagegen die 2. Philippica (vorläufig un-veröffentlicht).

    Oktober Octavian wirbt Truppen aus Caesars Veteranen an. ab 1. November Octavian sucht Ciceros Unterstützung gegen Antonius. 28. November Antonius bricht nach Gallia cisalpina auf.

  • Eine Tragödie in fünf Akten │ 15

    Dritter Akt: Mit Demosthenes gegen den Staatsfeind

    20. Dezember Edikt des D. Brutus trifft in Rom ein: Er werde seine Provinz gegen Antonius’ Ansprüche behaupten; damit Eröffnung des Mutinensischen Kriegs (bellum Mutinēnse).

    Senatssitzung mit Ciceros 3. Philippica: Verhalten des D. Brutus und Octavians gebilligt, Provinzzuweisung an Antonius annul-liert; anschließend 4. Philippica vor dem Volk

    1. Januar 43 Hirtius und Pansa Konsuln; 5. Philippica: Octavian Proprätor 4. Januar bis

    Anfang Februar Auseinandersetzungen um eine Gesandtschaft an Antonius; Ciceros 6. bis 9. Philippica

    Mitte bis Ende Februar

    10. und 11. Philippica: Einsatz für außerordentliche Kommanden von M. Brutus und Cassius

    März 12. und 13. Philippica 14. April Sieg über Antonius bei Forum Gallorum 21. April 14. Philippica: Ehrung für die Gefallenen von Forum Gallorum

    beantragt. Sieg über Antonius bei Mutina; die Konsuln Hirtius und Pansa fallen.

    Vierter Akt: Die Peripetie

    29. Mai Marcus Aemilius Lepidus, Prokonsul von Gallia Narbonensis, vereinigt Truppen mit Antonius.

    seit Juni Octavian fordert Konsulat für sich, Senat lehnt ab. Ende Juli 400 Zenturionen Octavians im Senat; Octavian marschiert gegen

    Rom. Fünfter Akt: Der Rest ist Schweigen

    19. August Octavian zum Konsul gewählt; Verfolgung der Caesarmörder eingeleitet

    Ende Oktober Octavian, Antonius und Lepidus beschließen Triumvirat; Pro-skriptionen

    7. Dezember Der proskribierte Cicero wird in der Nähe seines Formianum umgebracht.

    Nach einer Idee von Wilfried Stroh (Vortrag im Alten Gymnasium Oldenburg am 27. Februar 2009).

    Lesetipp

    Wilfried Stroh, Cicero. Redner, Staatsmann, Philosoph, München 22010 (12008). – Preis-günstiges Taschenbuch (128 S.), flüssig und mitreißend geschrieben, mit einem eigenen Kapitel über Ciceros Philippische Reden und seinen Kampf gegen Antonius.

  • 16 │ Gerundivum im AcI; Dat. auct.; rel. Verschränkung; rel. Satzanschluss; Optativ

    1. Ciceros Verhalten im März 44 (A/B)

    Nach Caesars Ermordung an den Iden des März 44 v. Chr. entsteht ein Machtvakuum, weil es sowohl bei den Caesarianern als auch bei den Republikanern an Persönlichkeiten mit Durchsetzungsvermögen und integrierender Kraft fehlt. In dieses Vakuum stößt Mar-cus Antonius, Caesars letzter Mitkonsul, vor, der sich zum Schein auf den Boden der Re-publik stellt, in Wahrheit aber die Alleinherrschaft anstrebt. Als dieses Ansinnen immer deutlicher wird, verlässt Cicero Rom, um auf bessere Zeiten nach dem Amtsantritt der beiden neuen Konsuln am 1. Januar 43 zu warten. – Nach dem Besuch mehrerer Freunde auf dem Land erhält er unterwegs die Nachricht, Antonius lenke ein und wolle sich mit dem Senat verständigen. Daraufhin kehrt Cicero um. Als er am 31. August wieder in Rom eintrifft, stößt er jedoch, anders als erwartet, auf eine weiterhin unnachgiebige Haltung des Antonius. Am 2. September hält er im Senat, der sich im Tempel der Concordia ver-sammelt hat, seine 1. Philippische Rede.

    5

    10

    15

    (1) Antequam de re publica, patres conscripti, dicam1 ea,

    quae dicenda2 hoc tempore arbitror,

    exponam3 vobis breviter consilium et profectionis4 et re-

    versionis5 meae.

    Ego cum sperarem

    aliquando ad vestrum consilium auctoritatemque rem

    publicam esse revocatam6,

    manendum7 mihi statuebam quasi in vigilia quadam

    consulari ac senatoria8.

    Nec vero usquam9 discedebam

    nec a re publica deiciebam10 oculos ex eo die,

    quo in aedem Telluris11 convocati sumus.

    In quo templo, quantum in me fuit, ieci fundamenta

    pacis

    Atheniensiumque12 renovavi vetus exemplum;

    Graecum13 etiam verbum13 usurpavi14,

    quo tum in sedandis discordiis usa erat civitas illa,

    atque omnem memoriam discordiarum oblivione sempi-

    terna15 delendam16 censui.

    1 dīcam: i. Dt. Ind.

    2 quae dicenda 〈esse〉 … arbi-

    tror: rel. Verschränkung 3 expōnam: Optativ 4 profectiō: → HW 2 5 reversiō: Umkehr 6 revocāre hier: zurückführen

    7 manendum 〈esse〉: → GS 1 8 senātōrius, a, um: senato-risch; eines Senators

    9 usquam hier: irgendwohin

    10 dēicere, -iciō hier: abwenden 11 Tellūs, Tellūris f.: Tellus (Göttin der Erde)

    12 Athēniēnsis, -is m.: Athener

    13 Graecum verbum: nämlich ἀμνηστία (Amnestie) – 14 ūsur-pāre: gebrauchen; in Anspruch nehmen

    15 sempiternus: ewig; immer-während – 16 dēlendam: → GS 1

  • Hendiadyoin; Hyperbel; Inversion; Polysyndeton │ 17

    1 Klären Sie mit Hilfe eines Wörterbuchs das Bedeutungsspektrum von cōnsilium und auctōritās

    (vgl. Z. 6); erstellen Sie hierzu ggf. eine Mindmap oder ein Rondogramm.

    2 Arbeiten Sie aus dem Text heraus, worauf Cicero bei seiner Selbstdarstellung besonderen Wert legt.

    3 Generelle Aufgabe für alle Übersetzungstexte dieser Ausgabe: Belegen Sie die in der rechten Fuß-

    zeile genannten (und ggf. noch weitere) sprachlich-stilistische Mittel am Text und erklären Sie de-

    ren Funktion im Textzusammenhang.

    S Relativische Verschränkung

    a) Cicerō, quī ōrātor praeclārus fuit, ōrātiōnēs XIV in Antōnium habuit. b) Cicerō – eum ōrātōrem praeclārum fuisse sciō – ōrātiōnēs XIV in Antōnium habuit. c) Cicerō, quem ōrātōrem praeclārum fuisse sciō, ōrātiōnēs XIV in Antōnium habuit.

    In (c) ist der Relativsatz von (a) mit dem AcI von (b) verschränkt. Übersetzungsmög-lichkeiten:

    1. »Cicero, von dem ich weiß, dass er ein sehr berühmter Redner war, hielt 14 Reden gegen Antonius.« (Übersetzung mit »von«, wobei das Relativpronomen zweimal übersetzt werden muss; geht immer, ist sprachlich aber etwas umständlich.)

    2. »Cicero, der – wie ich weiß – ein sehr berühmter Redner war, hielt 14 Reden gegen Antonius.« (Übersetzung mit Relativsatz sowie Parenthese des AcI-Auslösers.)

    3. »Cicero, der meines Wissens ein sehr berühmter Redner war, hielt 14 Reden gegen Antonius.« (Übersetzung mit Relativsatz sowie Substantivierung des AcI-Auslösers; geht nicht immer, ist aber besonders elegant.)

    K Tagungsorte des Senats

    Wenn der Senat tagen und gültige Beschlüsse fassen wollte, konnte er nur an »inaugu-rierten«, d. h. von Priestern geweihten Orten innerhalb des Stadtgebiets von Rom zu-sammenkommen. Eine zentrale Stätte dieser Art war die Curia Hostilia auf dem Forum. Daneben dienten aber auch regelmäßig diverse Tempel als Tagungsort, in denen der Senat sich unter den besonderen Schutz der jeweiligen Gottheit stellen wollte. – Am 17. März 44 hatte Antonius den Senat in den Tempel der Tellus einberufen. Dort wurde durch einen Senatsbeschluss (senātūs cōnsultum) auf Ciceros Antrag hin eine Amnestie für die Caesarmörder beschlossen; zugleich wurden aber auch Caesars Anordnungen (die ācta Caesaris) als rechtmäßig anerkannt.

    K Amnestie

    Nach dem Sturz der 30 Tyrannen hatten die Athener im Jahr 403 v. Chr. eine allgemeine Amnestie (ἀμνηστία: »Vergessen«) beschlossen, um einen Ausgleich zwischen den An-hängern der Oligarchie (mehr oder minder gesetzlose Herrschaft von Wenigen) und denen der Demokratie zu erreichen.

    S

    K

    K

  • 18 │ Attributives Part.; PC des Dep.; dopp. Akk.; Abl. abs.; NcI; Gen. expl.; explikatives quod

    4. Hoffnungen nach Caesars Tod (B)

    Cicero erinnert daran, welcher Anerkennung Dolabella sich wegen seines Verhaltens un-mittelbar nach Caesars Tod erfreuen konnte, und bedauert, dass der Konsul diese dignitās in der Folgezeit verspielt habe, ohne mit der Wimper zu zucken. Dann kommt er noch einmal auf die Senatssitzung vom 17. März zu sprechen und wendet sich Antonius zu.

    5

    10

    15

    20

    (31) Tu autem, M. Antoni – absentem1 enim appello –,

    unum illum diem,

    quo in aede Telluris senatus fuit,

    non omnibus his mensibus,

    quibus te quidam multum a me dissentientes beatum

    putant2,

    anteponis?

    Quae3 fuit oratio de concordia! Quanto metu senatus,

    quanta sollicitudine civitas tum a te liberata est,

    cum collegam tuum,

    depositis inimicitiis,

    oblitus auspiciorum a te ipso augure populi Romani

    nuntiatorum4,

    illo primum die collegam tibi esse5 voluisti: Tuus parvus

    filius in Capitolium a te missus pacis obses fuit!

    (32) Quo senatus die laetior, quo populus Romanus? Qui

    quidem6 nulla in contione umquam frequentior fuit.

    Tum denique liberati per viros fortissimos videbamur,

    quia, ut illi voluerant, libertatem pax7 consequebatur.

    Proximo, altero, tertio, denique reliquis consecutis

    diebus non intermittebas8 quasi donum aliquod cotidie

    adferre rei publicae – maximum9 autem illud10, quod11

    dictaturae nomen sustulisti.

    1 absentem: Antonius hatte die Senatssitzung des Vortages ge-leitet, der Cicero ferngeblieben war. Die Sitzung des 2. Septem-ber leitete Dolabella in Antonius’ Abwesenheit. 2 quibus … putant: in denen du nach Auffassung mancher, die völlig anderer Meinung sind als ich, glücklich bist; gemeint ist die Zeit nach dem 17. März, in der Antonius sich immer mehr Macht aneignete. 3 quae hier ≈ quālis

    4 oblītus auspiciōrum … nūn-

    tiātōrum: Antonius hatte ur-sprünglich als Augur gegen die Wahl Dolabellas zum Suffekt-konsul Einspruch erhoben. 5 collēgam tibī esse velle: als deinen Amtskollegen anerken-nen 6 quidem: hier nicht einschrän-kend, sondern bekräftigend

    7 pāx: hier innenpolitisch ge-meint (→ S. 51) – 8 intermittere m. Inf.: damit aufhören, etw. zu tun; Cicero spricht den abwesen-den Antonius an (Apostrophe).

    9 maximum: prädikativ → GS 9 10 illud 〈donum〉 11 quod: expl.

  • Anapher; Apostrophe; Archaismus; Enumeratio; Hyperbel; Polyptoton; rhet. Frage │ 19

    1 Fassen Sie zusammen, wie Cicero die Senatssitzung vom 17. März rückblickend charakterisiert.

    2 Arbeiten Sie aus dem Text heraus, wie Cicero versucht, Antonius auf seine Seite zu ziehen.

    3 Erklären Sie auf der Grundlage des K-Textes wesentliche Aspekte einer Münzinterpretation; halten

    Sie ihre diesbezüglichen Ergebnisse für die weitere Arbeit mit dieser Textausgabe strukturiert fest.

    4 a) Suchen Sie im Internet nach Varianten der hier abgebildeten Münze und benennen Sie auffällige

    Unterschiede. – b) Erörtern Sie, ob man von einer »Münzpropaganda« des Brutus sprechen kann.

    S Explikatives quod und ut

    Indikativische quod-Sätze und konjunktivische ut-Sätze können ein Substantiv, ein Pro-nomen oder einen ganzen Satz näher erklären. Wenn man diese explikative Funktion in der Übersetzung hervorheben will, kann man vor dem »dass« ein »nämlich« ergänzen.

    K Münzen als Medium der Politik

    Cassius Dio, Römische Geschichte XLVII 25, 1: »(Nach Caesars Ermordung) ließ (Marcus Iunius) Brutus Münzen schlagen und darauf sein Bild sowie eine Mütze mit zwei Dol-chen prägen. Dadurch und durch die beigefügte Inschrift wollte er sich und Cassius als Befreier des Vaterlands darstellen.«

    Denar, 42 v. Chr. (Foto: © Wikimedia Commons).

    Auf dem Avers (Vorderseite) ist oben ein Rest des Namens BRVT(us) zu erkennen, rechts der Titel IMP(erator), den Brutus nach einem Sieg im Frühjahr 42 v. Chr. vom Heer verliehen bekam, links der Name des Münzmeisters L(ucius)∙PLAET(orius)∙ CEST(ianus). Aus Trauer um die Republik hat Brutus sich einen Bart stehen lassen.

    Auf dem Revers (der Rückseite) verweisen die Dolche und die Legende EID(ibus)∙ MAR(tiis) auf die Ermordung Caesars an den Iden des März 44. Der pīleus in der Mitte ist die Filzkappe, die ein Sklave als Zeichen seiner Freilassung erhielt. Damit wird Cae-sars Ermordung als Befreiung von einer der Sklaverei ähnlichen Unterdrückung darge-stellt. »Caesar als Tyrann, seine Mörder als Tyrannenmörder – genau dies war die Ideo-logie der Verschwörer, die ihre Tat damit vor der Öffentlichkeit in einem besonders hellen Lichte strahlen lassen wollten« (Hans-Joachim Gehrke).

    S

    K

  • 20 │ PC; Inf. Präs. Pass.; rel. Satzanschluss; Deliberativ; RS als Subj.; Inf. als Subj. – mālle; quisquam

    5. Ein letzter Appell an Antonius (B)

    Im weiteren Verlauf seiner Rede kommt Cicero darauf zu sprechen, dass Antonius nach der Abschaffung der Diktatur nun doch offenkundig nach Alleinherrschaft strebe.

    5

    10

    15

    (33) Unde igitur subito tanta ista mutatio? Non possum

    adduci, ut suspicer te pecunia captum. […]

    Vereor, ne ignorans verum iter gloriae gloriosum1 putes

    plus te unum2 posse quam omnīs,

    et metui a civibus tuis quam diligi mālīs3. Quod si ita

    putas, totam ignoras viam gloriae. Carum esse civem,

    bene de re publica mereri, laudari, coli, diligi gloriosum

    est; metui vero et in odio esse invidiosum4, detestabile5,

    imbecillum, caducum6. […]

    (35) Sed quid oratione te flectam7? Si enim exitus C. Cae-

    saris efficere non potest, ut carus mālīs esse quam metui,

    nihil cuiusquam8 proficiet nec valebit oratio. Quem9 qui

    beatum fuisse putant10, miseri ipsi sunt. Beatus est nemo,

    qui ea lege11 vivit, ut non modo impune12, sed etiam cum13

    summa interfectoris14 gloria13 interfici possit. Quare flecte

    te, quaeso, et maiores tuos respice atque ita guberna rem

    publicam, ut natum esse te cives tui gaudeant! Sine quo15

    nec beatus nec carus nec tutus quisquam16 esse omnino

    potest.

    1 glōriōsum putāre m. AcI: es für ruhmreich halten, dass 2 ūnum: prädikativ → GS 9

    3 mālīs ≠ malīs (!)

    4 invidiōsus hier: widerwärtig 5 dētestābilis: abscheulich 6 cadūcus: hinfällig; unsicher

    7 flectam: deliberativ

    8 cuiusquam: Gen.-Attr. zu ōrātiō – 9 quem: rel. Satzan-schluss; gemeint ist Caesar. 10 quī … putant: RS als Subj. → GS 4a – 11 lēx hier: Art und Weise – 12 impūne Adv.: unge-straft – 13 cum glōriā: zum Ruhm – 14 interfector: → HW 1

    15 sine quō (rel. Satzanschluss) frei: denn ohne eine solche Einstellung – 16 nec … nec … quisquam: → GS 8

    1 Arbeiten Sie aus dem Text heraus, welches Herrschaftskonzept Cicero Antonius unterstellt und

    welches er dem entgegensetzt.

    2 a) Erläutern Sie die rhetorische Strategie, mit der Cicero Antonius auf den seines Erachtens rechten

    Weg zurückbringen will. – b) Beurteilen Sie die Erfolgsaussichten dieses Vorhabens.

    3 Informieren Sie sich (z. B. in Ihrem Geschichtsbuch der Sek. I) über Gattungsspezifika der Historien-

    malerei (speziell des 19. Jahrhunderts) und interpretieren Sie auf dieser Grundlage Pilotys Gemälde

    Die Ermordung Caesars (S. 21).

  • Antithese; Apostrophe; Appell; Archaismus; Enumeratio; Inversion; Klimax; Polyptoton; rhet. Frage │ 21

    K Tyrannenmord

    514 v. Chr. verübten die Athener Harmodios und Aristogeiton ein Attentat auf die Brü-der Hippias und Hipparchos, die seit dem Tod ihres Vaters die Tyrannenherrschaft in Athen fortgesetzt hatten. Hipparchos fiel dem Anschlag zum Opfer, Hippias entkam ihm und ließ die Mörder seines Bruders sofort töten. Dieses Ereignis wurde schnell zur Geburtsstunde der Demokratie hochstilisiert: Unmittelbar nach der Vertreibung des Hippias 510 v. Chr. stellte man Statuen der Attentäter auf der Agora auf, die 477/76 durch eine neue, heute noch in römischen Kopien erhaltene Statuengruppe ersetzt wur-den. Seitdem befassten sich die bedeutendsten Philosophen mit dem Problem des Ty-rannenmordes. Platon sah ihn durch die Ungerechtigkeit, Gesetzlosigkeit und Gewalt eines Herrschers gerechtfertigt, Aristoteles erhob die Ehrung der Mörder sogar zur Norm einer Polis. Später urteilte Cicero in seiner Schrift Dē officiīs (III 32): »Mit Tyran-nen haben wir nichts gemein, vielmehr trennt uns alles scharf von ihnen, und es ist nicht wider die Natur, denjenigen – falls möglich – seines Lebens zu berauben, den zu töten sittlich gut (honestum) ist.«

    Der kaiserzeitliche Biograph Sueton legt ausführlich die Gründe für den Mord an Caesar dar (Dīvus Iūlius 76–82): Anmaßung übertriebener Ehrungen, Verstoß gegen die traditionelle republikanische Ordnung durch Machtkumulation, Missachtung und De-mütigung des Senats, Willkür bei der Vergabe von Ämtern und Posten, Verletzung politisch-religiöser Kulte, Liebäugeln mit der Königswürde. Das Attentat stieß nicht nur in Rom auf breite Zustimmung; auch in Athen war man laut Cassius Dio (XLVII 20, 4) davon so begeistert, dass man beschloss, neben den Standbildern des Harmodios und Aristogeiton zwei weitere für die Caesarmörder M. Brutus und Cassius zu errichten.

    Carl Theodor von Piloty (1826–1886), Die Ermordung Caesars (1865), Öl auf Leinwand, 149 × 238 cm. Nie-dersächsisches Landesmuseum Hannover (Foto: © Wikimedia Commons).

    K

  • 22 │ Prädikativum; Adv.; Gen. der Zugehörigkeit; Abl. abs.; Abl. sep.; Hortativ – velle

    6. Antonius’ Jugend (A)

    Antonius ist über Ciceros 1. Philippische Rede empört und attackiert ihn am 19. Septem-ber in einer Senatssitzung, an der Cicero nicht teilnimmt. Dieser formuliert seine Replik als fingierte Stegreifrede, die unmittelbar nach Antonius’ Angriff im Senat gehalten sei. In Wirklichkeit ist die 2. Philippische Rede eine erst nachträglich ausgearbeitete Flugschrift, von der überdies unklar ist, ob sie zu Ciceros Lebzeiten tatsächlich veröffentlicht wurde. Nachdem er im ersten Hauptteil dieser Rede Antonius’ Vorwürfe widerlegt hat, geht Cice-ro zum Gegenangriff über, indem er Antonius’ Werdegang kritisch – wohl übertrieben kritisch und bewusst diffamierend – unter die Lupe nimmt.

    5

    10

    15

    20

    (44) Visne1 igitur te inspiciamus a puero? Sic opinor2; a

    principio ordiamur3! Tenesne memoriā praetextatum4 te

    decoxisse5? »Patris«, inquies, »ista culpa est«. Concedo6;

    etenim est pietatis plena defensio! Illud7 tamen audaciae

    tuae 〈est〉, quod7 sedisti in quattuordecim ordinibus8,

    cum esset lege Roscia9 decoctoribus10 certus locus

    constitutus, quamvis quis11 fortunae vitio, non suo

    decoxisset5. Sumpsisti12 virilem13, quam statim mulie-

    brem togam reddidisti. Primo vulgare14 scortum15 〈fuisti〉;

    certa 〈erat〉 flagitī merces16 – nec ea parva 〈erat〉. Sed cito

    Cŭrio17 intervenit, qui te a meretricio quaestu18 abduxit

    et, tamquam stolam19 dedisset, in matrimonio stabili et

    certo conlocavit. (45) Nemo umquam puer emptus

    libidinis causā tam fuit in domini potestate quam tu in

    Cŭrionis. Quotiens te pater eius domu20 sua eiecit,

    quotiens custodes posuit, ne limen intrares – cum21 tu

    tamen nocte socia22 (hortante libidine, cogente mercede)

    per tegulas23 demitterere24! […]

    (47) Sed iam stupra25 et flagitia omittamus! Sunt quae-

    dam, quae honeste non possum dicere. Tu autem eo libe-

    rior26 〈es〉, quod ea in te admisisti, quae a verecundo27 in-

    imico audire non posses.

    1 velle m. Konj.: wollen, dass (ugs.) – 2 sīc opīnor: meinetwe-gen; von mir aus – 3 ōrdīrī: an-fangen – 4 praetextātus: mit der Knabentoga bekleidet; als Kna-be – 5 dēcoquere: Pleite machen 6 concēdere hier: zugeben 7 illud … quod: Folgendes …, nämlich dass – 8 quattuordecim ōrdinēs: die ersten vierzehn Rei-hen, die im Theater den Rittern reserviert waren – 9 lēx Rōscia: das Roscische Gesetz d. J. 67 10 dēcoctor: Bankrotteur 11 quamvīs quis: selbst wenn jemand – 12 togam sūmere: die Toga anlegen 13 virīlem 〈togam〉 – 14 vulgā-ris: gewöhnlich – 15 scortum: Hure; Stricher – 16 mercēs hier: Preis; Tarif – 17 Gāius Scrībō-nius Curiō: Sohn des Konsuls d. J. 76 – 18 meretrīcius quaestus: Dirnengewerbe; Prostitution 19 stola: Stola (Frauengewand) 20 domū: Abl. sep. (archaisch) 21 cum hier: wobei (adversativ) 22 nocte sociā: »in verbündeter Nacht«; im Schutze der Nacht 23 tēgula: Dachziegel – 24 dē-mitterēre: → SB 4 (dēmittī: sich hinablassen)

    25 stuprum: Unzüchtiges

    26 eō līberior, quod: deswegen ziemlich unangreifbar, weil 27 verēcundus: sittsam; mit Schamgefühl

  • Anapher; Archaismus; Ellipse; Ironie; Metapher; Praeteritio; Hyperbel; Vergleich │ 23

    1 Arbeiten Sie aus dem Text typische Merkmale einer antiken Invektive heraus.

    2 a) Erläutern Sie, gegen welche römischen Wertvorstellungen Antonius laut Cicero verstoßen hat.

    b) Vergleichen Sie dies mit den Erwartungen, die man heute in der Öffentlichkeit an den Lebens-

    wandel und die Biographie eines Politikers stellt.

    3 Lesen Sie vor dem Hintergrund dieses Textes noch einmal die Texte 1–5 und erörtern Sie, ob der

    hier (in Text 6) offenkundig vollzogene Bruch sich dort schon abgezeichnet hat.

    S Genitiv der Zugehörigkeit (Genitivus possessivus)

    Damnātiō est iūdicum, poena lēgis. – »Die Verurteilung ist Sache der Richter, die Strafe die des Gesetzes.«

    In Verbindung mit einem unpersönlich gebrauchten est bezeichnet der Genitiv als Prä-dikatsnomen einen Tätigkeitsbereich oder einen Wesenszug. Für die Übersetzung bie-ten sich Wendungen wie »es liegt im Bereich (der Vernunft)«, »es ist Aufgabe (des Se-nats)«, »es ist ein Zeichen von (Klugheit)« oder »es ist charakteristisch für (einen Rö-mer)« an.

    K Kernbegriff pietās

    Die Wörter pius und pietās bezeichnen ursprünglich nur ein Verhalten, durch welches der Mensch seiner Pflicht und Schuldigkeit gegenüber älteren Familienmitgliedern in vollem Umfang gerecht wird. Cicero erweitert diese pietās ergā parentēs dann bezeich-nenderweise zur pietās ergā patriam (inv. II 66 und rep. VI 16). In seinem Spätwerk ist auch von pietās als iūstitia adversus deōs die Rede (nat. deor. I 116), was aber für die Philippischen Reden keine Rolle spielt. (Ohnehin bevorzugten die Römer hierfür den Begriff religiō.) Mit pietās wird sowohl eine Verhaltensweise als auch eine Haltung be-zeichnet. Im Familiären kann der Begriff – wie fidēs und grātia – reziprok sein, d. h. es gibt auch eine pietās der Eltern ergā līberōs. Im Politischen steht er bei Cicero oft in Verbindung mit anderen Wertbegriffen wie concordia, cōnstantia, fidēs oder virtūs.

    K Invektive

    Eine Invektive (invectīva ōrātiō → invehī »anfahren«) ist eine Schmährede oder -schrift, »deren Ziel es ist, mit allen geeigneten Mitteln eine namentlich genannte Person öffent-lich vor dem Hintergrund der jeweils geltenden Werte und Normen als Persönlichkeit herabzusetzen« (Severin Koster). In der antiken Rhetorik haben sich zehn Topoi heraus-gebildet (grch. tópos »Platz« im Sinne von »Versatzstück« oder »Argumentationsmus-ter«; Pl. tópoi): 1. unfreie/uneheliche Abstammung, 2. nichtgriechische/nichtrömische Herkunft, 3. entehrendes Gewerbe, 4. kriminelle Veranlagung, 5. sexuelle Perversion, 6. Hass auf Freunde oder die Vaterstadt, 7. überhaupt finsteres Wesen, 8. äußerliche Auffälligkeiten, 9. Feigheit, 10. finanzieller Ruin.

    S

    K

    T

  • 24 │ Exkurs I: Die Philippischen Reden als Zyklus

    Exkurs I: Die Philippischen Reden als Zyklus

    […]

    Manfred Fuhrmann (1993) Wilfried Stroh (2008)

    Drama in 14 Aufzügen 2 Reden In Antōnium

    1. Akt (Exposition): Bruch zwischen Cicero und Antonius

    I (2. Sept. 44) gemäßigter Ton II (angeblich 19. Sept. 44) Empörung und Hass

    I Kritik (unter Wahrung der »Freundschaft«) II Abrechnung mit dem Gegner

    12 Philippische Reden (Ōrātiōnēs Philippicae)

    2. Akt: Darlegung des grundsätzlichen Konzepts (Krieg zur Vernichtung des Staatsfeindes Antonius und zur Wiederherstellung der alten Staatsord-nung; dazu Bündnis mit Octavian notwendig) III (20. Dez. 44) vor dem Senat IV (20. Dez. 44) vor dem Volk

    Zementierung der Grundlagen für den Staat, Aufruf zum raschen Handeln III vor dem Senat IV vor dem Volk Ergebnis: widernatürliche Koalition aus Senat, Caesarmördern und Octavian

    3. Akt: Gesandtschaftsprojekt des Senats (retardie-rendes Element) V (1. Jan. 43) vehementer Widerstand gegen

    dieses Projekt, direkter Angriff VI (4. Jan. 43) Beeinflussung der öffentlichen

    Meinung, indirekter Angriff VII (Mitte Jan. 43) Kritik am Gesandtschafts-

    beschluss außerhalb der Tagesordnung VIII (3. Febr. 43) Polemik gegen jede weitere

    Verständigungsbereitschaft nach dem Schei-tern der Gesandtschaft

    IX (4. Febr. 43) Intermezzo: Ehrung eines ver-storbenen Gesandtschaftsmitglieds

    1. Binnenzyklus: Diskussion um die Gesandtschaft V VI VII Grundsatzerklärung VIII IX Totenehrung (Würdigung des auf der Ge-

    sandtschaftsreise verstorbenen Sulpicius Rufus)

    Ergebnis: Cicero scheitert mit seinem Widerstand gegen die Gesandtschaft, hat aber mit seinem Antrag auf ein imperium für Octavian Erfolg.

    4. Akt: Reaktion auf Nachrichten aus den östlichen Provinzen (beschleunigendes Element) X (Mitte Febr. 43) Legalisierung der Maßnah-

    men des M. Brutus (angenommen) XI (Ende Febr. 43) Bevollmächtigung des Cassius

    gegen Dolabella (abgelehnt)

    2. Binnenzyklus: Militärische Fragen

    Blick nach Osten: Einbindung der Caesarmörder X Schutz der Provinzen Makedonien und Illyri-

    cum durch M. Brutus (angenommen) XI Oberbefehl für Cassius im Kampf gegen

    Dolabella (abgelehnt)

    Blick nach Italien: XII Ablehnung einer zweiten Gesandtschaft

    (Grundsatzerklärung) XIII Auseinandersetzung mit Antonius’ Brief an

    Hirtius und Octavian XIV Totenehrung (Würdigung der Gefallenen von

    Forum Gallorum) und Warnung vor vorzeiti-ger Beendigung des Kriegs

    5. Akt: Beseitigung abermaliger Widerstände gegen Ciceros Kriegspolitik (westliche Sphäre) XII (Anf. März 43) Abwehr des Versuchs, die

    Taktik des Verhandelns zu erneuern XIII (20. März 43) Kritik an Lepidus’ und Plancus’

    Friedensverhandlungen XIV (21. April 43) Warnung vor allzu rascher

    Friedensbereitschaft

  • Brevitas; Hyperbaton; Inversion; Metonymie; Polarisierung; Sentenz │ 25

    17. Das Proprium des römischen Volkes (B)

    Seine 6. Philippische Rede schließt Cicero mit folgenden Worten:

    5

    10

    (19) Vēnit tempus, Quirites: serius omnino1, quam

    dignum populo Romano fuit2, sed tamen ita maturum, ut

    differri iam hora3 non4 possit. Fuit aliquis fatalis casus5 –

    ut ita dicam –, quem tulimus, quoquo modo6 ferendus

    fuit; nunc si quis7 erit, erit voluntarius8. Populum

    Romanum servire fas non est, quem di immortales

    omnibus gentibus imperare voluerunt. Res in extremum

    est adducta discrimen: De libertate decernitur. Aut

    vincatis oportet9, Quirites (quod profecto et pietate vestra

    et tanta concordia consequemini), aut quidvis potius

    quam serviatis10. Aliae nationes servitutem pati possunt –

    populi Romani est propria libertas!

    1 omnīnō hier: gewiss 2 fuit: i. Dt. irr. 3 hōra hier: die Stunde der Entscheidung; die Entscheidung 4 iam nōn ≈ nōn iam 5 cāsus hier: Unglück; gemeint ist Caesars Diktatur – 6 quōquō modō: auf welche Weise auch immer – 7 sī quis 〈cāsus〉 8 voluntārius hier: von uns selbst zu verantworten

    9 oportet vincātis: ihr müsst siegen; bloßer Konj. ohne Kon-junktion statt AcI (ugs.) 10 (oportet) quidvīs potius

    〈sit〉 quam serviātis: es muss irgendetwas anderes lieber geben, als dass ihr Knechte seid; frei: ihr müsst lieber tot als Knechte sein wollen

    1 Interpretieren Sie dieses Schlusswort vor dem Hintergrund Ihrer gesamten bisherigen Lektüre der

    Philippischen Reden.

    K Rhetorik im 20. Jahrhundert

    In der hitzigen Debatte um die Ratifizierung des höchst umstrittenen Deutschlandvertrags vom 26. Mai 1952 sagte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) am 3. De-zember 1952 im Deutschen Bundestag zum Schluss seiner Regierungserklärung:

    Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ich bitte Sie herzlichst und dringend: Prüfen Sie – prüfen Sie meinetwegen mit aller Schärfe –, aber ich bitte Sie: Denken Sie daran, worum es geht! Und das ganze deutsche Volk diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs muss wissen, worum es sich handelt. Es handelt sich bei diesen Verträgen um seine Freiheit, sein Leben, die Zukunft seiner Kinder und Kindeskinder. Das ganze deutsche Volk rufe ich auf, sich der Bedeutung dieser Entscheidung bewusst zu sein und bewusst zu bleiben. Es ist die Schicksalsfrage Deutschlands. Wir stehen vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit. Wir wählen die Freiheit!

    Sitzungsberichte des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode, 11144; Faksimile auf: dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01240.pdf;

    Videodokument auf: www.filmothek.bundesarchiv.de/video/586046 (ab 00'45").

    K

    5

  • 26 │ Exkurs II: Zentrale Elemente antiker Rhetorik

    Exkurs II: Zentrale Elemente antiker Rhetorik

    Als Rhetorik bezeichnet man einerseits die Kunst der Beredsamkeit (ars dīcendī), ande-rerseits die diesbezügliche Wissenschaft (scientia dīcendī). Sie gehört neben der Philoso-phie zum Bedeutendsten dessen, was uns die griechisch-römische Kultur hinterlassen hat. Ihren Ursprung hat die Rhetorik im griechischsprachigen Sizilien zu einer Zeit, als die politischen und sozialen Verhältnisse ein öffentliches Reden notwendig machten, das seine Überzeugungskraft nicht bloß aus individueller Erfahrung, sondern auch aus einer nachvollziehbaren und vermittelbaren Systematik schöpfte. Eine differenzierte Lehre der Rhetorik wurde dann im 5. Jh. v. Chr. im griechischen Mutterland entwickelt, vor allem in Athen, wo die junge Demokratie auf wirksame Mittel der politischen Mei-nungsbildung angewiesen war.

    Auch in Rom spielte die öffentliche Rede eine wichtige Rolle, wobei die Senatsaristo-kratie ihr tradiertes Erfahrungswissen lange Zeit höher schätzte als die griechische Rhe-torik. Diese hatte nämlich das Potential, einzelnen Talenten zu großen rednerischen und damit auch politischen Erfolgen zu verhelfen, was eine Elite, die sich lange Zeit vor allem über ihren Sozialstatus definierte, arg in Bedrängnis brachte. So ist der Wider-stand zu erklären, den konservative Kräfte dem Einzug griechischer Bildung in Rom ab dem 2. Jh. v. Chr. entgegenbrachten, aber auch die steile Karriere, die Cicero nach sei-nem spektakulären Sieg in einem politisch aufgeladenen Strafprozess gelang (→ S. 45).

    Im Folgenden werden einige zentrale Elemente antiker Rhetorik skizziert, deren Kenntnis für ein umfassenderes Verständnis der Philippischen Reden hilfreich sein und darüber hinaus einen Einblick in Ciceros Arbeitstechnik geben kann. A ratiōnēs dīcendī Prinzipien (und Ziele) der Redekunst 1. docēre, probāre Information, schlüssige Argumentation 2. dēlectāre, conciliāre Unterhaltung, Erzeugung von Wohlwollen 3. movēre, concitāre Beeindruckung, Erregung starker Gefühle

    Das Hauptziel der Rhetorik als Kunst der Beredsamkeit besteht darin, die Zuhörer von einer bestimmten Meinung zu überzeugen. Dazu muss der Redner ihnen auf rationaler Ebene Sachverhalte mitteilen (docēre) und Beweise darlegen (probāre); auf emotionaler Ebene muss er sie einerseits bei Laune halten (dēlectāre), damit sie ihm gern zuhören, andererseits muss er in ihnen starke Gefühle wie Begeisterung oder Hass wecken (conci-tāre), weil dies für die meisten Menschen die eigentliche Entscheidungsgrundlage ist. Das Ziel der Rhetorik als Wissenschaft besteht darin, die Mittel, mit denen der Redner diese drei Aufgaben (officia ōrātōris) bewältigen kann, systematisch zu erfassen. B genera causārum Redegattungen (Arten der Reden) 1. genus iūdiciāle Gerichtsrede 2. genus dēlīberātīvum Beratungsrede, politische Rede 3. genus dēmōnstrātīvum Lob- und Festrede

    In der Gerichtsrede wird über Vergangenes geurteilt, in der politischen Rede geht es um eine Frage, die für die Gegenwart oder Zukunft Bedeutung hat. Während das Publikum

  • Exkurs II: Zentrale Elemente antiker Rhetorik │ 27

    in diesen beiden Fällen am Ende der Rede eine konkrete Entscheidung in Form einer Abstimmung treffen muss, soll es bei einer Lob- und Festrede dem Redner nur gedank-lich zustimmen. (Die genera causārum werden auch genera dīcendī genannt.) C partēs ōrātiōnis Teile der Rede 1. exordium /prooemium Einleitung 2. nārrātiō Schilderung des Sachverhalts 3. dīvīsiō/partītiō Überblick über Fragestellung und Beweise 4. argūmentātiō Beweisführung a) cōnfirmātiō Stärkung der eigenen Position b) refūtātiō Widerlegung des Gegners 5. conclūsiō/perōrātiō Schluss

    Dieses Schema findet in Reinform vor allem im genus iūdiciāle Anwendung, wobei die Grenzen zwischen den einzelnen Redeteilen entweder deutlich markiert oder bewusst verschliffen werden. In den übrigen genera können einzelne Teile weggelassen, umge-stellt oder miteinander verschränkt werden. D officia (vel opera) ōrātōris Arbeitsgänge (Tätigkeiten) des Redners 1. inventiō Auffindung der Hauptgesichtspunkte 2. dispositiō Gliederung des Materials 3. ēlocūtiō Ausformulierung und Stilisierung 4. memoria Auswendiglernen 5. prōnūntiātiō /āctiō inszenierter Vortrag

    Reden wurden in der Antike grundsätzlich frei, also ohne Manuskript gehalten. Für die inventiō, aus der sich alles Weitere ergibt, bieten antike Handbücher zahlreiche Hilfs-mittel in Form von Topoi (→ S. 23). E virtūtēs dīcendī Stilqualitäten 1. Latīnitās Sprachrichtigkeit 2. perspicuitās Klarheit 3. aptum /decōrum Angemessenheit 4. ōrnātus Schmuck 5. brevitās Kürze

    Der Anspruch auf brevitās ist relativ zu verstehen: Eine Rede darf durchaus lang sein, soll aber Redundanzen vermeiden. F genera dīcendī Stilebenen 1. genus subtīle /humile schlichter Stil 2. genus medium/mixtum mittlerer Stil 3. genus grande /sublīme pathetisch-erhabener Stil

    Im genus subtīle verzichtet der Redner auf eine anspruchsvolle Wortwahl, einen kunst-vollen Satzbau und auffällige Stilmittel, während er im genus grande gerade dies sucht. Das genus medium liegt, wie der Name schon sagt, zwischen diesen beiden Stilebenen.

  • 28 │ Gerundium; Superl.; unpers. Pass.; Deliberativ – mālle

    22. Die Lage ist günstig (B/C)

    Cicero lobt den abwesenden Lepidus für die Verdienste, die dieser sich im vorigen Bürger-krieg nach der Entscheidungsschlacht bei Munda (20. April 45 v. Chr.) um den Friedens-schluss und die Integration der Verlierer in den Staat erworben habe. Indes sei die dama-lige Situation mit der gegenwärtigen nicht vergleichbar: Während Sextus Pompeius (der Sohn des Caesar unterlegenen Gnaeus Pompeius) damals durchweg von Ehrgefühl (pu-dor), Würde (gravitās), Selbstbeherrschung (moderātiō) und Lauterkeit (integritās) ge-kennzeichnet gewesen sei, sehe man heute bei Antonius und seinen Leuten nichts als Aus-schweifungen (libīdinēs), Verbrechen (scelera) und eine ungeheuerliche Skrupellosigkeit, die zu jeder Schandtat bereit sei (ad omne facinus immānis audācia). Außerdem müsse man die Gunst der Stunde nutzen.

    5

    10

    (15) Incensi1 omnes rapimur ad libertatem recuperan-

    dam. Non potest ullius2 auctoritate tantus senatūs popu-

    lique Romani ardor3 extingui4. Odimus, irati pugnamus,

    extorqueri5 e manibus arma non possunt, receptui signum

    aut revocationem a bello audire non possumus; speramus

    optima, pati vel6 difficillima malumus quam servire.

    (16) Caesar confecit invictum exercitum; duo fortissimi

    consules7 adsunt cum copiis; L. Planci8, consulis designa-

    ti, varia et magna auxilia non desunt; in D. Bruti8 salute

    certatur9; unus furiosus10 gladiator cum taeterrimorum11

    latronum manu contra patriam, contra deos penates,

    contra aras et focos, contra quattuor12 consules gerit bel-

    lum. Huic cedamus, huius condiciones audiamus, cum

    hoc pacem fieri posse credamus?

    1 incēnsus, a, um hier: voller Leidenschaft 2 ūllus hier: irgendein Mensch 3 ārdor: Glut; glühender Eifer 4 extinguī = exstinguī

    5 extorquēre ē m. Abl.: jdm. entreißen

    6 vel hier: sogar

    7 cōnsulēs: nämlich Hirtius und Pansa – 8 Lūcius Mūnātius Plancus: Proprätor im jenseiti-gen Gallien; zusammen mit De-cimus Brūtus noch von Caesar für das Jahr 42 als Konsul desig-niert – 9 certāre in m. Abl.: um etw. kämpfen – 10 furiōsus: → HW 4 – 11 taeter: abscheulich 12 quattuor: nämlich die beiden amtierenden und die beiden de-signierten

    Cicero ruft die berüchtigte Szene vom Luperkalienfest im Februar 44 in Erinnerung, bei dem Antonius Caesar das Königsdiadem aufzusetzen versuchte und damit seinen schlech-ten Charakter offenbart habe. Auch in der Folgezeit habe der Tyrann sich immer wieder als Inbegriff des Barbarischen und Bösen erwiesen. – Im zweiten Hauptteil dieser Rede (§§ 22–48) zitiert Cicero einen Brief des Antonius an Hirtius und Octavian wörtlich und kommentiert ihn Satz für Satz mit wüsten Beschimpfungen und bissiger Ironie. Hier wird noch einmal deutlich, wie unbeirrbar er an den Fortbestand der alten lībera rēs pūblica glaubt, während Antonius als Real- und Machtpolitiker (wie viele andere auch) davon ausgeht, dass es nur noch darum gehen kann, wer Caesars politisches Erbe antritt.

  • Anapher; Antithese; Asyndeton; Brevitas; Ellipse; Inversion; Litotes; Polyptoton; Trikolon │ 29

    15

    20

    (49) Moveri sedibus huic urbi melius est13 atque in alias,

    si fieri possit, terras demigrare, unde14 Antoniorum15

    »nec facta nec nomen audiat16«, quam illos Caesaris vir-

    tute eiectos17, Bruti retentos17 intra haec moenia videre.

    Optatissimum18 est vincere; secundum est nullum casum

    pro dignitate et libertate patriae non ferendum19 putare;

    quod reliquum est, non est tertium, sed postremum om-

    nium: maximam turpitudinem20 suscipere vitae cupiditate.

    13 melius est: es wäre besser

    14 unde hier: wo – 15 Antōniī, Antōniōrum Pl. m.: die Anto-nier (Marcus Antonius und seine Brüder Gaius und Lucius) 16 audiat hier: man hört (Zitat aus einer unbekannten Tragö-die) – 17 ēiectus/retentus: → GS 3 – 18 optātum hier: wün-schenswert – 19 nōn ferendus: unerträglich

    20 turpitūdō: → HW 3

    1 a) Arbeiten Sie aus dem Text heraus, wie Cicero den Senat zu einer sofortigen Entscheidung gegen

    Antonius drängt. – b) Erläutern Sie die Ihnen bereits geläufige Argumentation.

    2 Entziffern und entschlüsseln Sie die Averslegende der unten abgebildeten Münze unter Berücksich-

    tigung des K-Textes von S. 61 und der beiden Ligaturen. (Eine Ligatur ist die Verschmelzung zweier

    Buchstaben zu einem Schriftzeichen, z. B. Æ = A + E.)

    K Überblick über das weitere Geschehen

    Hirtius und Pansa gelingt es mit Hilfe Octavians und seiner Truppen, Antonius am 14. April 43 v. Chr. bei Forum Gallorum (südöstlich von Mutina) und am 21. April bei Mutina zu schlagen. Cicero beantragt am 21. April (noch in Unkenntnis des letzten Sieges) in seiner 14. Philippischen Rede ein Dankfest; seiner Forderung, Antonius zum Staatsfeind zu erklären, kommt der Senat am 26. April nach. – Für Ende Oktober 43 arrangiert Lepidus, der sich bereits im Mai Antonius angeschlossen hat, ein Treffen mit Antonius und Octavian. Das Ergebnis ist das sog. zweite Triumvirat (»Dreimännerherr-schaft zur Ordnung des Staates«), welches nicht nur das Ende der Republik besiegelt, sondern auch das ihres vehementesten Verteidigers.

    Bildnis des Lepidus und des Octavian auf einem Denar, 42 v. Chr. (Foto: © Wikimedia Commons). Revers-legende (rechts): CAESAR∙IMP∙PONT∙III∙VIR(= tresvir)∙R(ei)∙P(ublicae)∙C(onstituendae).

    K

  • 30 │ Abl. abs.; substantiviertes PPA; Irrealis

    24. Eine letzte Pointe (C)

    Unmittelbar nach dem Livius-Text (s. o., S. 60 f.) zitiert Seneca d. Ä. einen gewissen Aufi-dius Bassus (1. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr.), über den ansonsten sehr wenig bekannt ist und dessen Historiae fast vollständig verloren sind. Als Situation der folgenden Anekdote (Fragment 2) hat man sich wohl dies vorzustellen: Antonius’ Häscher haben Cicero un-terwegs eingeholt, und auf dessen Befehl setzen seine Sklaven die Sänfte ab.

    5

    Cicero paulum remoto velo1 postquam armatos2 vidit,

    »Ego vero consisto«, ait. »Accede, veterane, et, si hoc

    saltim3 potes recte facere, incīde cervicem4!« Trementi5

    deinde dubitantique5 »Quid, si ad me«, inquit, »primum6

    venissetis?«

    1 vēlum: Vorhang – 2 armātus: → GS 3 – 3 saltim Adv.: wenigs-tens – 4 cervīcem incīdere: den Nacken durchtrennen; Cicero bittet also um einen sauberen Schwerthieb – 5 tremēns/dubi-tāns: → GS 3 (tremere: zittern) 6 prīmum: prädikativ zu mē

    1 Ciceros Mörder war im Abschlachten eigentlich sehr erfahren. Erklären Sie vor diesem Hintergrund

    einerseits sein Verhalten in Ciceros Angesicht, andererseits dessen Reaktion darauf.

    K Aus dem Internet-Blog eines Geschichtsprofessors

    In der HBO-Serie Rome wird Ciceros Tod bebildert (sechste Folge der zweiten, insge-samt schwächeren Staffel). Von manchen Albernheiten abgesehen haben die Macher gut daran getan, die Überlieferung weitgehend zu ignorieren. In Rome wird die Szene in der Manier eines Gangsterfilms erzählt, mit einer der beiden Hauptpersonen der Serie als Killer. Titus Pullo, der schlichte und durchaus sympathische ehemalige Zenturio in Caesars Heer (vgl. den Zenturionenwettstreit Bellum Gallicum V 44) macht mit seiner Familie ein Picknick und entschuldigt sich; er habe noch etwas in der Nähe zu erledigen. Dann reitet er zu Ciceros Landhaus und findet den alten Mann (zu nervig und sehnig: David Bamber) im Garten. Dieser weiß, zu welchem Zweck der Besucher gekommen ist. Das Ende ist unabweisbar, man macht Konversation, es fällt kein böses Wort. Ein Beste-chungsversuch scheitert (»Du bist zu prominent, das könnte ich in Rom schlecht erklä-

    ren, musst du verstehen.«). Cicero versteht und kündigt dem Killer an, dessen Name werde mit dem seinigen unsterblich wer-den. Ach, nur der Name? Pullo bemerkt die reifen Pfirsiche an einem Baum und bittet Cicero, sich einige davon pflücken zu kön-nen, für die Familie. Cicero ist einen Mo-ment lang überrascht. Dann hat er sich gesammelt, Pullo zieht sein Schwert. Er solle sich hinknieen, dann sei es leichter.

    K

    Szenenbild aus der Folge »Philippi« der Serie Rome.

  • Pointe │ 31

    Cicero gehorcht. Pullo setzt das Schwert an, wie es von Gladiatoren am Unterlegenen geübt wurde: von oben zwischen Hals und Schlüsselbein. Ein kurzer Stoß, das Blut spritzt, Cicero fällt. Pullo kehrt zur Familie zurück, gleichmütig wie immer. Man freut sich über die Pfirsiche. In einer etwas späteren Szene sieht man kurz, wie er nächtens die Hände Ciceros an eine Tür (des Senatsgebäudes?) nagelt.

    Warum die weitgehend freie Erfindung, wo doch dieses Ereignis so gut überliefert ist und wir wahrscheinlich sogar die Namen der Mörder kennen (Gaius Popilius Laenas und ein Zenturio namens Herennius)? Das entscheidende Argument lautet: Weil die Szene funktioniert.

    Uwe Walter, »Den Kopf zu weit vorgestreckt – Ciceros Tod«, FAZ-Blog Antike und Abendland vom 5. Dezember 2009 (http://blogs.faz.net/antike/2009/12/05/den-kopf-zu-weit-vorgestreckt-ciceros-tod).

    2 a) Erklären Sie, worin sich die Inszenierung von Ciceros Tod in der Serie Rome von Livius’ Bericht

    (Text 23) unterscheidet. – b) Erläutern Sie Uwe Walters Begründung dieser Inszenierung. – c) Erklä-

    ren Sie vor dem Hintergrund von Text 10 die Entscheidung des Regisseurs bzw. Drehbuchautors.

    3 a) Beschreiben und erläutern Sie, wie William Warren Porter Ciceros Tod darstellt. – b) Nehmen Sie

    zu dieser Art der Darstellung und zu der Inszenierung in der Serie Rome Stellung; berücksichtigen

    Sie dabei auch Walters Kritik an der historischen Überlieferung, die er in seinem Text andeutet.

    William Warren Porter (1776–1804), The Death of Cicero. Mezzotinto (Schabdruck) von Samuel William Rey-nolds (1773–1835), ca. 33 × 46 cm.

  • 32 │ Ein antiker Nachruf (Livius)

    25. Ein antiker Nachruf

    Livius, Fragment 62 aus Buch CXX (zitiert bei Sen. suas. 6, 22).

    5

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    20

    Vixit tres et sexaginta annos, ut, si vis afuisset, ne immatura quidem mors videri possit. Ingenium et operibus et praemiis operum felix; ipse fortunae diu prosperae, sed in longo tenore felicitatis magnis interim ictus vulneribus: exilio, ruina partium, pro quibus steterat, filiae exitu tam tristi atque acerbo. Omnium adversorum nihil, ut viro dignum erat, tulit praeter mortem, quae vere aestimanti minus indigna videri potuit, quod a victore inimico nil crudelius passus erat, quam quod eiusdem fortunae compos victo fecisset. Si quis tamen virtutibus vitia pen-sarit, vir magnus ac memorabilis fuit, et in cuius laudes exsequen-das Cicerone laudatore opus fu-erit.

    Er wurde 63 Jahre alt, sodass sein Tod, wäre da nicht die Gewalt gewesen, nicht einmal als verfrüht angesehen werden kann. Ein in seinen Leistungen und der Anerkennung seiner Leistun-gen begnadetes Talent! Er war lange vom Schick-sal begünstigt; doch bei der Dauer seines Glücks wurde er bisweilen von Schlägen getroffen: der Verbannung, dem Zusammenbruch der Partei, zu der er gehalten hatte, und dem so traurigen und schmerzlichen Tod seiner Tochter. Von allem Unglück trug er nichts, wie es einem Manne ansteht – bis auf seinen Tod; und der könnte einem, wenn man die Dinge im rechten Licht betrachtet, weniger empörend vorkommen, weil er von seinem siegreichen Gegner nichts Grausameres erlitt, als was er in der gleichen Lage dem Besiegten angetan hätte. Wenn man jedoch seine Vorzüge und Schwächen gegeneinander abwägt, so war er ein großer und bemerkenswerter Mann und ein Mensch, dessen Lob zu künden, ein Cicero als Lobredner nötig wäre.

    Übers.: Hans Jürgen Hillen (© Walter de Gruyter GmbH)

    K Epilog eines Lateinprofessors

    Mit dieser Pointe [d. h. dem letzten Satz von Livius’ Nachruf] wird sich ein heutiger Betrachter nicht zufrieden geben. Und was ist mit Ciceros politischer Leistung? Ist er nicht mit all seinem Einsatz immer wieder und besonders am Ende kläglich gescheitert? Und war das nicht auch gut so? Hatte sich nicht die von ihm verteidigte alte Senatsre-publik überlebt, die auf einen Stadtstaat, nicht auf ein Weltreich zugeschnitten war? […]

    Wenn wir Erfolg nicht am Maßstab der Macht, sondern, nach Ciceros Kategorien, an der Leistung für die rēs pūblica mes