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Constanze Rossmann Fiktion Wirklichkeit

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Constanze Rossmann

Fiktion Wirklichkeit

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Constanze Rossmann

Fiktion WirklichkeitEin Modell der Informationsverarbeitung im Kultivierungsprozess

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1. Auflage 2008

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008

Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler

Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesonderefür Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-15575-3

Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Danksagung

Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Februar 2007 an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde.

Es wäre vermessen zu sagen, dass ein Buch wie dieses, die Dissertation, ohne die Hilfe anderer Menschen zustande kommen könnte. Selbst wenn es keine Hilfe ist, die direkt mit der Arbeit zu tun hat, so nötigt man durch Zeitmangel, schlechtes Gewissen und Launenhaftigkeit letztlich sein gesamtes Umfeld, vor allem aber das nähere, einem Geduld und Nachsicht entgegenzubringen.

An erster Stelle gilt mein Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Hans-Bernd Brosius. Er hat mir durch seine unterstützende und integrierende Art schon während des Studiums und somit lange vor Beginn der Dissertation die nötige Motivation und das nötige Vertrauen geschenkt, um mich an dieses Projekt heran-zuwagen. Auch wenn die Anzahl seiner Mitarbeiter am Lehrstuhl und damit die Zahl derer, die Anspruch auf seine Zeit erheben, im Laufe meiner Dissertations-phase von vier auf 16 Personen angestiegen ist, so stand er für wissenschaftliche Fragen und Anregungen doch stets hilfreich zur Verfügung.

Des Weiteren danke ich Sibylle Endres und Vera Peine, die mich vor allem während der Anfangszeit als Hilfskräfte mit Recherchen unterstützt haben. Beatri-ce Dossi, Johanna Hartmann, Constanze Mayer, Katharina Rajewski, Raphael Rossmann und Christine Wedler danke ich für ihre kurzfristige und schnelle Hilfe beim Korrekturlesen. Gudrun Heyduck hat die gesamte Arbeit Korrektur gelesen, das Schlusskapitel sogar noch im Krankenhaus. Ich hoffe, die Arbeit hat sie weder ins Krankenhaus gebracht noch den Genesungsprozess gehemmt. Mein werter Kollege Dr. Olaf Jandura hat mich nicht nur mit seiner nichtversiegenden Kaffee-quelle unterstützt, sondern vor allem mit letzten wertvollen Anregungen kurz vor dem Disputationsvortrag. Meine geschätzte Kollegin Katja Schwer hat sich die Mühe gemacht hat, die Arbeit zu lesen, um danach mit zahlreichen Anregungen und Hinweisen Licht in das Dunkel allzu verschlungener Gedankengänge zu bringen. Allen vielen Dank für die umsichtige und wichtige Hilfe.

Ganz besonders hervorheben möchte ich die Unterstützung von Stefanie Heyduck: Sie hat mir mit Formatierungsarbeiten genauso geholfen wie mit ihrer

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sprachlichen Kreativität. Fast noch wichtiger aber waren ihr geduldiges Ohr, Kartenspiele, Kinobesuche und „Gilmore Girls“ zur Ablenkung und nicht zuletzt Putenfleisch mit Austernsoße. Vielen Dank dafür!

Schlussendlich danke ich meiner Familie – meinem Bruder Raphael für seine Unterstützung, wann immer ich sie brauchte, meinen Eltern Almuth und Heinrich für ihre Gene, ein immer geborgenes Nest und die durch die Promotion noch länger währende finanzielle Stütze. Und nicht zuletzt danke ich meiner Großmutter Gertraud Rossmann. Sie hat trotz ihres stolzen Alters von 94 Jahren die Arbeit gelesen – nicht, um sie zu korrigieren, sondern aus schlichtem Interesse und um nachvollziehen zu können, womit sich ihre Enkelin die letzten Jahre beschäftigt hat. Ich verneige mich mit dem größten Respekt vor dieser Ausdauer und diesem nicht zu stillenden Wissensdurst.

München, im August 2007

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Inhalt

1 Einführung............................................................................................. 15

2 Die Ursprünge der Kultivierungsforschung .......................................... 21

2.1 Anlass und Hintergründe.............................................................................212.2 Vorläufer.........................................................................................................222.2.1 Einfluss des Kinos auf Kinder (Die Payne-Fund-Studien) ....................222.2.2 Einfluss des Fernsehens auf Kinder...........................................................232.3 Cultural Indicators: Die Begründung der Kultivierungsforschung .......262.3.1 Grundannahmen ...........................................................................................272.3.2 Grundhypothese............................................................................................282.3.3 Traditionelles Untersuchungsdesign ..........................................................292.3.4 Pionierstudie ..................................................................................................292.3.5 Mainstreaming und Resonanz .....................................................................302.4 Klassische Kritik............................................................................................312.4.1 Fehlgeschlagene Replikationen ...................................................................322.4.2 Interpretation der Fernsehbotschaft ..........................................................322.4.3 Mangelnde Kontrolle von Drittvariablen..................................................342.4.4 Operationalisierung der Realitätseinschätzung.........................................362.4.5 Nonlinearität der Zusammenhänge............................................................452.4.6 Zusammenhänge entgegen der erwarteten Richtung ..............................502.4.7 Asymmetrische Zusammenhänge...............................................................522.4.8 Kausalschluss .................................................................................................542.5 Metaanalyse von Morgan und Shanahan (1997).......................................63

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8 Inhalt

2.6 Eigene Metaanalyse.......................................................................................642.6.1 Stichprobe ......................................................................................................652.6.2 Analyse............................................................................................................692.6.3 Überblick über die Studien ..........................................................................70

3 Erste Überlegungen zum Kultivierungsprozess....................................77

3.1 Kultivierung als Zwei-Stufen-Prozess........................................................773.1.1 Lernen und Konstruktion............................................................................783.1.2 Kultivierung erster und zweiter Ordnung .................................................803.1.3 Lernen und Konstruktion von Einschätzungen und Einstellungen .....863.2 Kultivierung als Drei-Stufen-Prozess.........................................................873.3 Resümee: Subprozesse der Kultivierung ...................................................913.3.1 Zusammenfassung der vorgestellten Studien ...........................................913.3.2 Diskussion auf Basis aktuellerer Studien ...................................................95

4 Die Bedeutung der Fernsehbotschaft....................................................99

4.1 Differenziertheit der Fernsehbotschaft .....................................................994.1.1 Genreübergreifende Botschaften..............................................................1004.1.2 Genrespezifische Botschaften...................................................................1034.1.3 Metabotschaften und themenspezifische Differenziertheit..................1184.2 Darstellungsmerkmale ................................................................................1354.2.1 Episodische versus kontextreiche themenzentrierte Darstellung........1364.2.2 Akteursmerkmale (Identifikation) ............................................................1374.2.3 Bewertung.....................................................................................................1394.2.4 Realitätsgrad .................................................................................................1404.2.5 Glaubwürdigkeit ..........................................................................................1424.2.6 Humor...........................................................................................................1464.2.7 Auffälligkeit ..................................................................................................1484.2.8 Weitere Darstellungsmerkmale .................................................................1504.3 Zusammenfassung ......................................................................................152

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Inhalt 9

5 Die Bedeutung selektiver und aktiver Fernsehrezeption .................... 155

5.1 Selektion .......................................................................................................1555.1.1 Selektive Fernsehnutzung ..........................................................................1555.1.2 Selektivität und Kultivierung: Operationalisierung................................1615.2 Die Bedeutung von Nutzungsmotiven im Kultivierungsprozess........1665.2.1 Der Uses-and-Gratifications-Ansatz........................................................1665.2.2 Nutzungsmotive und Kultivierung...........................................................1745.2.3 Zusammenfassung ......................................................................................1825.3 Parasoziale Interaktion und Parasoziale Beziehungen...........................1845.3.1 Grundkonzept .............................................................................................1845.3.2 Parasoziale Interaktion und Kultivierung................................................1865.4 Identifikation................................................................................................1925.5 Involvement .................................................................................................1955.5.1 Allgemeines Begriffsverständnis ...............................................................1955.5.2 Themeninvolvement...................................................................................1975.5.3 Prozessinvolvement und Transportation ................................................2005.5.4 Zusammenfassung ......................................................................................2045.6 Wahrgenommener Realitätsgrad...............................................................2065.6.1 Hintergrund..................................................................................................2065.6.2 Konzeptionalisierung..................................................................................2075.6.3 Wahrgenommener Realitätsgrad und Kultivierungseffekte..................2105.7 Zusammenfassung ......................................................................................2155.7.1 Selektion .......................................................................................................2155.7.2 Aktive Rezeption.........................................................................................216

6 Psychische Prozesse............................................................................. 223

6.1 On-line-Urteile und erinnerungsgestützte Urteilsbildung.....................2246.2 Kultivierung erster Ordnung.....................................................................2266.2.1 Heuristische Informationsverarbeitung ...................................................2266.2.2 Systematische Informationsverarbeitung ................................................2396.2.3 Spreading Activation und chronisch verfügbare Konstrukte...............2486.2.4 Zusammenfassung: Kultivierung erster Ordnung .................................256

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10 Inhalt

6.3 Kultivierung zweiter Ordnung ..................................................................2606.3.1 Entstehung während der Rezeption (on-line).........................................2616.3.2 Erinnerungsgestützte Einstellungsbildung..............................................2716.3.3 Zusammenfassung: Kultivierung zweiter Ordnung...............................2756.4 Darstellungs- und Rezeptionsmerkmale im Kontext des

Prozessmodells ............................................................................................2786.4.1 Darstellungsmerkmale ................................................................................2786.4.2 Merkmale der Rezeption und Urteilsbildung..........................................283

7 Zusammenfassung und Diskussion .................................................... 291

7.1 Hintergrund..................................................................................................2917.1.1 Die Anfänge .................................................................................................2917.1.2 Defizite .........................................................................................................2927.1.3 Erste Überlegungen zum Kultivierungsprozess .....................................2957.2 Modell der Informationsverarbeitung im Kultivierungsprozesses ......2977.2.1 Informationsaufnahme...............................................................................2977.2.2 Informationsspeicherung ...........................................................................3037.2.3 Informationsabruf und Urteilsbildung.....................................................3087.3 Empirische Umsetzung des Modells........................................................3117.3.1 Mikroprozesse..............................................................................................3117.3.2 Makroprozess...............................................................................................3167.4 Anwendbarkeit auf andere Medienwirkungstheorien............................3227.4.1 Fallbeispieleffekt..........................................................................................3227.4.2 Agenda-Setting.............................................................................................3277.5 Limitationen.................................................................................................3287.5.1 Modell des Kultivierungsprozesses oder allgemeines

Informationsverarbeitungsmodell?...........................................................3297.5.2 Überprüfbarkeit des Modells.....................................................................3317.5.3 Mikro- und Makroebene ............................................................................3327.6 Schluss...........................................................................................................334

Literatur ....................................................................................................... 337

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Abbildungen

Abbildung 1: Prozessmodell und Bedingungen von Kultivierung........................17Abbildung 2: Visualisierung zur „offenen“ Abfrage von Prozentanteilen...........39Abbildung 3: Struktur der Antwortvorgaben zu Kultivierungsfragen erster

Ordnung.................................................................................................40Abbildung 4: Kausalitätsproblem...............................................................................55Abbildung 5: Logik der Kreuzkorrelation.................................................................60Abbildung 6: Anzahl von Kultivierungsstudien im Zeitverlauf.............................72Abbildung 7: Theoretische Perspektive der Kultivierungsstudien........................73Abbildung 8: Bestätigung des Kultivierungseffektes nach Zeitabschnitten ........74Abbildung 9: Prozessmodell zur Kultivierung erster und zweiter Ordnung.......81Abbildung 10: Zusammenhang zwischen Kultivierung erster und zweiter

Ordnung.................................................................................................84Abbildung 11: Allgemeines Modell als Grundlage für Potters (1988b) Studie......86Abbildung 12: Ergebnisse der Studie Potters (1988b) ..............................................87Abbildung 13: Prozessmodell der Kultivierung (Potter, 1991a)..............................88Abbildung 14: Ergebnisse der Studie Potters (1991a)...............................................90Abbildung 15: Vorläufiges Modell des Kultivierungsprozesses I............................95Abbildung 16: Vorläufiges Modell des Kultivierungsprozesses II ..........................97Abbildung 17: Unterschiedliche Aggregationsniveaus am Beispiel der

Darstellung von Attraktivität und Schönheitsoperationen...........125Abbildung 18: Vorläufiges Modell des Kultivierungsprozesses III –

Fernsehbotschaft und wahrgenommene Fernsehbotschaft.........153Abbildung 19: Uses and Effects-Modell ...................................................................172Abbildung 20: Vorläufiges Modell des Kultivierungsprozesses IV –

Selektion und Rezeption....................................................................221

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12 Abbildungen

Abbildung 21: Verfügbare Beispiele für Ärzte im Langzeitgedächtnis vonViel- und Wenigsehern von Arztserien (Prinzip des StorageBin-Modells) ........................................................................................231

Abbildung 22: Flussdiagramm des Modells heuristischer Informations-verarbeitung im Kultivierungsprozess (Shrum, 2002)...................238

Abbildung 23: Modell heuristischer und systematischer Urteilsbildung im Kultivierungsprozess ..........................................................................247

Abbildung 24: Konzeptionelles Modell des Kultivierungsprozesses: Hauptphasen und Einflussfaktoren (Tapper, 1995)......................255

Abbildung 25: Modell des Kultivierungsprozesses erster Ordnung: Speicherung und Urteilsbildung .......................................................257

Abbildung 26: Ausschnitt aus dem assoziativen Netzwerk des Langzeit-gedächtnisses – Aktivierungsschritte bei der erstmaligen Einstellungsbildung ............................................................................265

Abbildung 27: Schematische Darstellung der Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung, Einstellung, Intention und Verhalten..................272

Abbildung 28: Modell des Kultivierungsprozesses zweiter Ordnung: Online- und erinnerungsgestützte Urteilsbildung..........................277

Abbildung 29: Modell der Informationsverarbeitung im Kultivierungsprozess ..........................................................................298

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Tabellen Tabelle 1: Methodenexperiment I: offene vs. geschlossene Abfrage der

Realitätseinschätzung (Mittelwertvergleich) ............................................42 Tabelle 2: Methodenexperiment I: offene vs. geschlossene Abfrage der

Realitätseinschätzung (Partialkorrelationen) ...........................................43 Tabelle 3: Methodenexperiment II: offene vs. geschlossene Abfrage der

Realitätseinschätzung (Partialkorrelationen) ...........................................44 Tabelle 4: Top Ten der internationalen allgemein-kommunikations-

wissenschaftlichen Fachzeitschriften im Social Sciene-Index ..............66 Tabelle 5: Europäische und deutsche kommunikationswissenschaftliche

Fachzeitschriften in der Stichprobe..........................................................67 Tabelle 6: Verteilung der Studien auf die einzelnen Zeitschriften .........................71 Tabelle 7: Häufigkeit der untersuchten Realitätsbereiche .......................................73 Tabelle 8: Überblick über die Befunde zu den Subprozessen ................................92 Tabelle 9: Häufigkeit der untersuchten Genres in Kultivierungsstudien............118 Tabelle 10: Einfluss aktiver und passiver Fernsehrezeption auf Kultivierungs-

effekte: chronologischer Forschungsüberblick.....................................176 Tabelle 11: Einfluss parasozialer Beziehungen: Kultivierungseffekte erster

Ordnung .....................................................................................................190 Tabelle 12: Einfluss parasozialer Beziehungen: Kultivierungseffekte zweiter

Ordnung .....................................................................................................191 Tabelle 13: Einfluss von Involvement auf Kultivierungseffekte: Überblick ........205 Tabelle 14: Einfluss des wahrgenommenen Realitätsgrades auf Kultivierungs-

effekte (chronologischer Forschungsüberblick) ...................................210 Tabelle 15: Darstellungsmerkmale im Kontext des Prozesses ...............................282 Tabelle 16: Darstellungsmerkmale im Kontext des Prozesses ...............................289 Tabelle 17: Phase 1 – Determinanten der Informationsaufnahme und

Wahrnehmung von Fernsehinhalten......................................................303

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14 Abbildungen

Tabelle 18: Phase 2 – Determinanten der Speicherung von Fernseh- informationen ............................................................................................307

Tabelle 19: Phase 3 – Urteilsabruf und Urteilsbildung ............................................310

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1 Einführung

Beeinflusst das Fernsehen die Realitätswahrnehmung und Einstellungen der Zuschauer? Diese kommunikationswissenschaftliche Gretchen-Frage wird seit der Einführung des Fernsehens debattiert, seit 1976 im Rahmen der Kultivierungs-hypothese. Vor gut dreißig Jahren begründeten George Gerbner und Larry Gross diese Hypothese. Sie untersuchten den Einfluss des Fernsehens auf verbrechensbe-zogene Realitätsurteile und stellten fest, dass Vielseher die Welt gefährlicher wahrnahmen und die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Verbrechens zu werden, höher einschätzten als Wenigseher (Gerbner & Gross, 1976). Daher geht die Kultivierungshypothese davon aus, dass Vielseher die Realität eher so wahrneh-men, wie sie im Fernsehen dargestellt wird, während Wenigseher in ihrer Realitäts-wahrnehmung der tatsächlichen Realität näher kommen.

Mehr als einhundert in den wichtigsten Fachzeitschriften veröffentlichte Stu-dien haben sich mit der Kultivierungshypothese auseinandergesetzt. Forscher wandten die These auf die verschiedensten Themenbereiche an, prüften Einflüsse von Rezipientenmerkmalen, Rezeptionsmodalitäten und Selektivität und fanden immer wieder Kritik am Grundgedanken des Ansatzes. Noch immer ist die Kulti-vierung umhüllt vom Schleier der mangelnden Erklärungskraft auf der einen Seite und des Ungeklärten auf der anderen: Die Zusammenhänge zwischen Fernsehnut-zung und Realitätswahrnehmung sind meist klein, weshalb die Fernsehnutzung nur minimale Varianzanteile an der Realitätswahrnehmung der Zuschauer erklärt. Ungeklärt blieb lange, wie der Kultivierungsprozess überhaupt zu erklären ist: Was passiert in den Köpfen der Zuschauer, wenn sie fernsehen? Was geht im Gedächt-nis der Menschen vor, wenn sie Realitätsurteile fällen? Und wie kommt es zu Kultivierungseffekten, wo doch jedes Kind weiß, dass das Fernsehen die Realität nicht widerspiegelt?

„Das Schönste, was wir entdecken können, ist das Geheimnisvolle.“ Albert Einstein (1879-1955)

Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Geheimnisvollen. Sie beschäftigt sich mit jenen Prozessen, die sich während und nach der Fernsehrezeption im Gedächtnis der Zuschauer abspielen und dazu führen, dass Kultivierungseffekte entstehen. Es

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16 1 Einführung

handelt sich um eine theoretische Arbeit, denn ab einem gewissen Punkt kommt die Wissenschaft nicht mehr weiter, wenn eine empirische Studie auf die andere folgt und alle doch wieder nur Einflüsse von einzelnen mehr oder weniger bedeut-samen Faktoren untersuchen. Die Kultivierungsforschung hat den Punkt erreicht, an dem es sich lohnt, die bisherigen Befunde zu erfassen, zu überdenken und mit Befunden aus anderen Disziplinen zu vergleichen. Es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem empirische Studien weniger dazu beitragen, Kultivierungseffekte zu erklä-ren, als eine Systematisierung der bisherigen Forschung.

Grundsätzlich bieten sich zwei Traditionen an, aus deren Blickwinkel sich die Kultivierungsforschung betrachten lässt. Der ursprüngliche Kultivierungsansatz ist eher soziologisch geprägt, betrachtet die Zusammenhänge zwischen Fernsehinhal-ten und Realitätswahrnehmung als gesamtgesellschaftlichen Prozess, also aus einer Makroperspektive (vgl. Morgan & Shanahan, 1997) und konzentriert sich dabei auf unterhaltungsorientierte Fernsehinhalte. Auch wohnt der traditionellen Kultivie-rungsforschung eine gewisse medienkritische Haltung inne, die dem Fernsehen die Macht zuschreibt, soziale Wertvorstellungen zu verändern:

„The ‚Cultural Revolution’ is not only a Chinese slogan. It is also a fact of social life whenever a particular political-industrial order permeates the sphere of public mes-sage production. A change in the social bases and economic goals of message mass-production leads, sooner or later, to a transformation of the common symbolic envi-ronment that gives public meaning and sense of direction to human activity.” (Gerb-ner, 1969: S. 138)

Eine logische Weiterführung dieser Grundgedanken findet sich in den Cultural Studies wieder, die sich ebenfalls mit populärkulturellen Erzeugnissen, deren Bedeutungszuweisungen und ihrem Einfluss auf die soziale Umwelt beschäftigen (vgl. Fiske, 1987; Jäckel, Peter, 1997; Hepp, 1999). „Neben der Grundannahme, dass durch Sprache und ‚Text’ (=Medieninhalt) Realität konstruiert wird, spielt die Frage nach der bedeutungsgenerierenden Macht einen zentrale Rolle.“ (Wimmer, 2006: S. 35)

Die zweite Tradition hat sich Anfang der achtziger Jahre herausgebildet und versucht, Kultivierungseffekte als psychologischen Prozess zu verstehen, gerade weil die in der soziologischen Tradition der Kultivierungsforschung entstandenen Studien methodisch stark angreifbar waren und es meist noch immer sind (vgl. Kapitel 2.4). Die vorliegende Arbeit reiht sich daher in die Tradition derer ein, die die Kultivierung psychologisch zu erklären versuchen. Denn wenn wir verstehen, was in den Köpfen der Zuschauer vor sich geht, wenn wir zeigen können, dass das Fernsehen im Gedächtnis der Zuschauer Spuren hinterlässt, ist auch die Annahme

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1 Einführung 17

gesamtgesellschaftlicher Wirkungen nicht mehr so angreifbar (vgl. Hawkins & Pingree, 1990).

Als Ergebnis der Arbeit wird ein Prozessmodell vorgestellt, welches die De-terminanten des Kultivierungseffekts bei der Selektion, Rezeption, Informations-aufnahme und -speicherung und bei der Urteilsbildung erfasst, und welches die psychischen Pfade aufzeigt, die zu mehr oder weniger starken Kultivierungseffek-ten führen. Ausgangspunkt und Grundlage für die Gliederung der Arbeit bildet das erste Modell des Kultivierungsprozesses von Hawkins und Pingree (1982, vgl. Abbildung 1):

Abbildung 1: Prozessmodell und Bedingungen von Kultivierung

Quelle: Hawkins & Pingree, 1982: S. 244.

Es gliedert sich in drei Schritte: Der erste Schritt umfasst Fernsehbotschaft, Fern-sehkonsum und zufälliges Behalten von Fernsehinformationen. Dabei werden Einflussfaktoren wie Aufmerksamkeit, Aufnahmefähigkeit und Involvement wirksam. Die eigentliche Konstruktion der sozialen Realität findet im zweiten Schritt statt, bei dem die Rezipienten aus den zufällig behaltenen Fernsehinforma-tionen ihre soziale Realität rekonstruieren. Die konstruierte Realität beeinflusst im dritten Schritt das Verhalten der Zuschauer. Auf diesen Schritt gehen die Autoren jedoch nicht näher ein. Auch diese Arbeit lässt den Aspekt außen vor, um den Kultivierungsansatz, der die Beeinflussung des Verhaltens eigentlich nicht impli-ziert, nicht unnötig zu verwässern.

Die Arbeit gliedert sich gedanklich in zwei Teile. Kapitel zwei und drei stellen Ursprünge und Grundüberlegungen zum Kultivierungsprozess vor. Kapitel vier bis sechs beschreiben die einzelnen Bestandteile des Kultivierungsprozesses. Diese orientieren sich in ihrem Aufbau an den Hauptbestandteilen des von Hawkins und Pingree (1982) vorstellten Modells. So gehen sie zunächst auf die Bedeutung der

FernsehkonsumZufälliges

Behalten von Information

Soziale RealitätLERNEN KONSTRUKTION

Verhalten

Aufmerksamkeit, Aufnahmefähigkeit,

Konzentration, Involvement

Inferenz-Fähigkeit, Sozialer Hintergrund, andere

Erfahrungen

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18 1 Einführung

Fernsehbotschaft (Kapitel vier), auf Prozesse der Selektion und Rezeption (Kapitel fünf) sowie auf die Informationsspeicherung und Urteilsbildung (Kapitel sechs) ein. Konkret gliedert sich die Arbeit wie folgt:

Kapitel zwei stellt die Anfänge und Hintergründe der Kultivierungsforschung vor, erklärt die Grundgedanken der Hypothese und setzt sich mit den klassischen Kritikpunkten des Kultivierungsansatzes auseinander. Den Abschluss des Kapitels bilden zwei Metaanalysen: zum einen die vielzitierte Metaanalyse von Morgan und Shanahan (1997), zum anderen eine qualitative Metaanalyse, die für diese Arbeit durchgeführt wurde. 109 Kultivierungsstudien, die von 1976 bis 2005 in den wichtigsten internationalen und deutschsprachigen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, wurden nach ausgewählten Kriterien exzerpiert und tabellarisch zusam-mengefasst. Ziel war es, einen systematischen Überblick über die Kultivierungsfor-schung zu liefern. Daraus resultierende allgemeine Befunde werden noch im zweiten Kapitel vorgestellt. Weitere Analysen, etwa zum Einfluss von Rezeptions-merkmalen, folgen im jeweils relevanten Kapitel.

Kapitel drei setzt sich mit den ersten Überlegungen zum Kultivierungspro-zess auseinander. Dazu gehören u.a. die Arbeiten von Hawkins et al. (1987) und Potter (1991a; 1991c). Sie konnten ihre Modellannahmen nur bedingt belegen. Theoretisch waren die Überlegungen jedoch gar nicht so verkehrt. Einen wichtigen Beitrag leisteten Hawkins und Pingree (1982) durch die Unterscheidung von demographischen und wertebezogenen Maßen. Diese führte später zur Aufgliede-rung der Einflüsse in Kultivierungseffekte erster und zweiter Ordnung (vgl. Gerb-ner et al., 1986). Hawkins et al. (1987) vermuteten, dass es sich dabei um zwei aufeinanderfolgende Schritte handelt und Kultivierungseffekte erster Ordnung einen Zwischenschritt zwischen Fernsehnutzung und Einstellungen darstellen. Diese Annahme greift das hier entwickelte Modell zumindest in Teilen wieder auf.

Kapitel vier setzt sich mit der Fernsehbotschaft auseinander. Es geht auf die Bedeutung genreübergreifender und genrespezifischer Kultivierung ein, diskutiert die mangelnde Auseinandersetzung mit den Metabotschaften des Fernsehens und setzt sich mit dem Einfluss von Darstellungsmerkmalen auseinander. Hintergrund-gedanke ist, dass es nicht die dargebotene Fernsehbotschaft ist, die unsere Reali-tätswahrnehmung determiniert, sondern die wahrgenommene Fernsehbotschaft.

Kapitel fünf arbeitet die Befunde zur selektiven und aktiven Fernsehrezeption auf. In diesem Kontext wird zunächst diskutiert, weshalb Genres oder auch andere Aggregierungsniveaus als unabhängige Variable von Kultivierungseffekten meist besser geeignet sind als die allgemeine Fernsehnutzung. In den weiteren Abschnit-ten des Kapitels werden Rezeptions- und Rezipientenmerkmale, die die Wahrneh-mung, Interpretation und Speicherung von Fernsehinformationen beeinflussen,

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1 Einführung 19

behandelt: konkret Nutzungsmotivation, parasoziale Beziehungen, Identifikation, Involvement und wahrgenommener Realitätsgrad.

Kapitel sechs geht auf die Bedeutung psychischer Prozesse bei der Informati-onsspeicherung und Urteilsbildung ein. Da Kultivierungsurteile erster und zweiter Ordnung zumindest teilweise auf unterschiedlichen psychischen Prozessen basie-ren, werden die entsprechenden Prozesse getrennt dargestellt. Dabei geht das Kapitel jeweils auf psychologische Hintergründe ein und auf aktuelle empirische Belege aus der Kultivierungsforschung. Im letzten Abschnitt des Kapitels werden die Einflüsse von Darstellungs- und Rezeptionsmerkmalen nochmals vor dem Hintergrund der psychischen Prozesse diskutiert und ihr Einfluss in das Gesamt-modell eingeordnet.

Kapitel sieben fasst die dargestellten Überlegungen zusammen und stellt als Ergebnis ein Modell der Informationsverarbeitung im Kultivierungsprozess vor. Daran anschließend werden Operationalisierungsvorschläge erarbeitet (Mikro- und Makroebene) bzw. zusammengefasst: Vor allem im Zusammenhang mit der Bedeutung der dargebotenen und wahrgenommenen Fernsehbotschaft und bei der Selektion von Fernsehinhalten lassen sich theoretische Überlegungen und Operati-onalisierung nur schwer getrennt behandeln. Deshalb werden diese Aspekte bereits in den jeweiligen Kapiteln dargestellt. Zum Schluss des siebten Kapitels wird das Modell der Informationsverarbeitung im Kultivierungsprozess schließlich im Kontext anderer Medienwirkungstheorien verortet und seine Anwendbarkeit auf weitere kommunikationswissenschaftliche Wirkungstheorien diskutiert.

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2 Die Ursprünge der Kultivierungsforschung

2.1 Anlass und Hintergründe

1941 wurde das Fernsehen in den USA eingeführt. In den fünfziger Jahre verbrei-tete es sich so rapide, dass im Jahr 1960 bereits rund 150 Mio. US-Amerikaner ein Fernsehgerät besaßen. Mit dem Erfolg des neuen Mediums wuchs die Sorge um seine negativen Einflüsse. Dabei galt die Sorge zunächst hauptsächlich den Kin-dern. Die Dominanz gewalthaltiger Fernsehinhalte schürte die Sorge, dass die Rezeption medialer Gewalt Einstellungen und Verhalten negativ beeinflusst. Das erste große Forschungsprojekt, das sich in den USA der Frage nach dem Einfluss des Fernsehens auf Kinder annahm, wurde von Schramm, Lyle und Parker (1961) durchgeführt. Knapp zehn Jahre später erregte die ansteigende Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft, vor allem nach den Attentaten auf Martin Luther King und Robert Kennedy, erneut die Befürchtungen um negative Einflüsse von Gewaltdarstellungen im Fernsehen auf die Bevölkerung (vgl. Baker & Ball, 1969). Vor diesem Hintergrund wurde Ende der sechziger Jahre die „National Commissi-on on the Causes and Prevention of Violence“ gegründet, die die Verbreitung von Gewalt in Gesellschaft und Medien untersuchen sollte. Ein Teil dieser For-schungsprojekte war das „Cultural Indicators“-Projekt unter der Federführung von George Gerbner. Es untersuchte die institutionellen Prozesse, die der Produktion von medialen Inhalten vorgeschaltet sind, die Fernsehinhalte selbst und die Zu-sammenhänge zwischen Fernsehrezeption und Einstellungen der Rezipienten, woraus schließlich der Kultivierungsansatz hervorging.

Bevor jedoch auf die Entwicklung des Kultivierungsansatzes selbst eingegan-gen wird, sollen zunächst zwei Forschungsprogramme beleuchtet werden, die der Kultivierungsforschung nicht nur zeitlich vorausgehen, sondern in einigen Punkten als direkte Vorläufer der Kultivierungsforschung aufgefasst werden können. In manchen Aspekten erscheinen sie sogar fortschrittlicher als die anfänglichen Kultivierungsstudien selbst, weshalb ihre Überlegungen heute noch Aktualität besitzen und für die vorliegende Arbeit fruchtbare Ideen liefern.

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22 2 Die Ursprünge der Kultivierungsforschung

2.2 Vorläufer

2.2.1 Einfluss des Kinos auf Kinder (Die Payne-Fund-Studien)1

Die Situation nach der Einführung des Fernsehens war den zwanziger Jahren nicht unähnlich, als sich die Öffentlichkeit mit den negativen Einflüssen des damals neuen Mediums Kino konfrontiert sah. Schon damals hatte sich – angeregt durch die amerikanische Regierung und finanziell unterstützt von der „Private Phi-lantrophic Foundation“ (Payne Fund) – ein großes Forschungsprojekt diesen Befürchtungen angenommen und die Einflüsse von Kinofilmen auf Gesundheit, Einstellungen, Moral, Emotionen und Verhalten von Kindern in 13 Teilprojekten untersucht. Heute gelten die sogenannten „Payne Fund Studies“ als Meilenstein der Kommunikationsforschung. Das Forschungsprogramm war nicht nur eines der größten Projekte, das jemals durchgeführt wurde, um den Zusammenhang zwi-schen einem Medium und einem bestimmten Publikum zu untersuchen (Lowery & De Fleur, 1995), sondern zeichnet sich auch dadurch aus, dass ihm theoretische Überlegungen, methodische Herangehensweisen und Themen zugrunde liegen, die noch heute Gültigkeit und Relevanz besitzen:

„The Payne Fund studies were clearly the pioneer efforts that established the field of media research within the perspectives of science. They anticipated contemporary in-terest in meaning theory and the influence of models and focused the new field on such topics as attitude change, the sleeper effect, uses and gratifications, content analysis, modelling influences, and the social construction of reality. They placed an emphasis on quantitative, experimental, and survey methodologies, but they still made use of more qualitative approaches. (…) In these senses, the Payne Fund studies will remain one of the most significant milestones in the development of mass communication as a scientific field of study.” (Lowery & De Fleur, 1995: S. 42, Hervorh. d. d. Verf.)

Die 13 Teilstudien lassen sich grob in zwei Hauptbereiche untergliedern: (1) Studien, die den Inhalt der Filme sowie Größe und Zusammensetzung des Publi-kums untersuchten, und (2) Studien zum Einfluss der Kinofilme auf Informations-verarbeitung, Einstellungen, Emotionen, Gesundheit, Moral und Verhalten. Da sich die Kultivierungsforschung mit Realitätswahrnehmung und Einstellungen beschäftigt, seien an dieser Stelle lediglich die Studien von Peterson und Thurstone (1933, wiederabgedruckt 1970) zur Einstellungsänderungen durch Kinofilme herausgegriffen. Konkret untersuchten die Autoren den Einfluss kommerzieller Kinofilme auf die Einstellungen von Kindern und Jugendlichen gegenüber ver-schiedenen Nationalitäten und zu sozialen Themen wie Alkoholverbot, Krieg,

1 Für eine Zusammenfassung der Payne-Fund-Studien vgl. Lowery & De Fleur (1995: S. 21-43).

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2.2 Vorläufer 23

Verbrechen, Behandlung von Verbrechern und die Todesstrafe. Methodisch fußen die Studien auf Feldexperimenten: Im ersten Schritt wurde eine Nullmessung der Einstellungen durchgeführt. Danach erhielten die Versuchspersonen jeweils Kinokarten für 16 auswählte Filme. Etwa zwei Wochen nach der Nullmessung und in der Regel einen Tag nach der Filmrezeption wurden die Einstellungen erneut gemessen. Mit dieser Vorgehensweise wurden insgesamt 24 Experimente durchge-führt, die in Bezug auf die Anzahl der gezeigten Filme (einzelne vs. kumulative Effekte)2 und den zeitlichen Abstand der Nachhermessung (zwischen zwei und 19 Monaten) variierten. Auf diese Weise konnten bereits zu diesem Zeitpunkt Hinwei-se darauf gefunden werden, dass einzeln gezeigte Filme kaum, zwei oder mehrere Filme aber durchaus einen Einfluss auf die Einstellungen der jungen Rezipienten ausübten. Die Wiederholungsmessungen deuteten darauf hin, dass die Einstel-lungsänderungen teils noch eineinhalb Jahre später stabil blieben.

Auch wenn die Sozialforschung damals noch in ihren Kinderschuhen steckte und die Ergebnisse keinesfalls überinterpretiert, geschweige denn auf die heutige Situation übertragen werden dürfen, finden sich in den Payne-Fund-Studien durchaus fruchtbare Hinweise für die Messung des Einflusses von filmischen Unterhaltungsangeboten auf Einstellungen.3

2.2.2 Einfluss des Fernsehens auf Kinder

Knapp 30 Jahre später sah sich die amerikanische Bevölkerung erneut mit der Befürchtung negativer Einflüsse durch ein neues Medium konfrontiert: das Fern-sehen. Hier waren es Schramm, Lyle und Parker (1961), die sich in den Jahren 1958 bis 1960 in einem großen Forschungsprojekt der Frage annahmen, wie das Fernse-hen das Leben der Kinder in den USA beeinflusst.4 Das Forschungsprogramm

2 Somit kann man in diesen Studien sogar die ersten Prolonged-Exposure-Experimente (vgl. z.B.

Zillmann, 1989; Rössler & Brosius, 2001a; 2001b) wiederfinden. Methodisch waren diese der Kulti-vierungsforschung also weit voraus, die durch die mehrheitliche Anwendung korrelativer Quer-schnittdesigns stets unter dem Kausalitätsproblem leidet (vgl. Rossmann & Brosius, 2004; siehe auch Kapitel 2.4.8).

3 Thurstone nutzte die Experimente auch dazu, seine Skalen zur Einstellungsmessung weiterzuentwi-ckeln. Einige Skalen entwickelte er speziell für diese Experimente neu, wie etwa die „paired compari-son schedules“ zur Messung der Einstellungen gegenüber anderen Nationalitäten und Verbrechen. Nicht zuletzt entwickelte Thurstone innerhalb der Payne Fund Studien somit auch jene Skalen weiter, aus denen später die sogenannten Thurstone-Skalen hervorgehen sollten (vgl. Peterson & Thurstone, 1933; zur Skalenkonstruktion siehe auch Thurstone, 1959, insbes. S. 282-303).

4 Ähnliche Befunde und theoretische Perspektiven lieferten britische Studien aus derselben Zeit (vgl. Himmelweit, Oppenheim & Vince, 1958; Himmelweit, 1977). Exemplarisch sollen hier aber nur die Studien von Schramm et al. (1961) vorgestellt werden.

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24 2 Die Ursprünge der Kultivierungsforschung

„Television in the Lives of our Children” bestand aus insgesamt elf Teilstudien.5Methodisch reichten sie von Inhaltsanalysen des Kinderprogramms im Fernsehen über Befragungen und physiologische Messungen bis hin zu ‚Vocabulary Tests’ von insgesamt 5.991 Schülern, 1.958 Eltern und mehreren hundert Lehrern, Beamten u.ä. (vgl. Lowery & De Fleur, 1995). Untersuchungsgegenstand waren die Programminhalte selbst, die Medien- und Fernsehnutzung der Kinder (Fernseh-nutzungsdauer, Programmpräferenzen), ihre Nutzungsmotive, emotionale Reakti-onen, Einstellungen und Wissensstand. Noch vor der Begründung des Uses & Gratifications-Ansatzes (vgl. z.B. Blumler & Katz, 1974; Rosengren, 1974; siehe auch Kapitel 5.2.1) zogen die Autoren die Bedeutung von Nutzungsmotiven für die Medienwirkung in Betracht. Den Begriff des Einflusses fanden sie dabei missver-ständlich, denn

„ (...) it suggests that television ‘does something’ to children. The connotation is that television is the actor; the children are acted upon. Children are thus made to seem relatively inert; television relatively active. Children are sitting victims; television bites them. Nothing can be further from the fact. It is the children who are most active in this relationship. It is they who use television, rather than television that uses them.“ (Schramm, Lyle & Parker, 1961: S. 1)

Die Befunde zum Inhalt des Fernsehprogramms lesen sich ähnlich wie spätere Befunde der Cultural Indicators-Studien (Gerbner, 1969): Im Kinderprogramm (16 bis 21 Uhr) waren elf Prozent der Fernsehsendungen dem Krimigenre zuzuordnen. Zu sehen waren in der Zeit im Durchschnitt zwölf Morde, 16 größere Schießerei-en, 21 erschossene Personen, 21 kleinere Schießereien, 37 Raufereien, eine Stich-verletzung mit einem Schlachtermesser, vier versuchte Selbstmorde, drei erfolgrei-che etc. (Schramm et al., 1961: S. 139f.).

In mancher Hinsicht dachten die Autoren dieser Studie fortschrittlicher als später die Begründer der Kultivierungsforschung. So bezogen Schramm et al. (1961) die Nutzungsmotive der Kinder in die Analysen mit ein. Dabei identifizier-ten sie Motive wie Eskapismus, Identifikation mit aufregenden und attraktiven Menschen sowie das klassische Informationsmotiv – über Mode, Hairstyling und Kosmetik bei Mädchen, über Outfit und sportliche Tricks bei den Jungen. Auch wurden bereits Motive des sozialen Nutzens beobachtet wie Fernsehen als Gele-genheit, den Freunden näher zu kommen, Fernsehinformationen als Basis für Gespräche sowie – wenn auch damals noch nicht so bezeichnet – parasoziale Interaktionen bzw. Beziehungen (vgl. z.B. Horton & Wohl, 1956; Giles, 2002; Hartmann, Schramm & Klimmt, 2004; ausführlicher hierzu vgl. Kapitel 5.3): „It‘s

5 Für eine Zusammenfassung der Payne-Fund-Studien vgl. auch Lowery & De Fleur (1995: S. 239-263).

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2.2 Vorläufer 25

just as if they were your friends or your family. You miss them when you don‘t see them.“ (Schramm et al., 1961: S. 59) Auch erkannten die Autoren bereits damals, dass eine Sendung je nach Persönlichkeit unterschiedliche Funktionen erfüllen und unterschiedlich interpretiert werden kann, und erklärten dies am Beispiel eines Filmes über einen Mordversuch: Den einen diente der Film der reinen Unterhal-tung, für die anderen bedeutete er die Darstellung realer Zustände, wiederum andere konnten (im schlechtesten Fall) aus dem Film lernen, wie man jemanden umbringt (vgl. ebd.: S. 60).

Rezeptionsstil und Wahrnehmung der Inhalte dürften, so die Annahme der Autoren, auch deren Wirkung beeinflussen (vgl. ebd.: S. 143f.). Unterschiede in der Rezeption wurden daher in Abhängigkeit von unterschiedlichen Altersgruppen, von Intelligenz, sozioökonomischem Hintergrund und eben Nutzungsmotiven untersucht. Auch bildeten die Autoren unterschiedliche Nutzergruppen und unterschieden zum einen Viel- und Wenigseher („high users“, “low users“), zum anderen informationsorientierte („reality oriented“) und unterhaltungsorientierte („fantasy oriented“) Nutzer.6 Der Einfluss des Fernsehens variierte je nach Unter-suchungsebene: So stellten die Autoren nur geringe physiologische Einflüsse fest, beobachteten aber deutliche emotionale Folgen – positive Erregung genauso wie Angst – sowie kognitive Effekte. Letztere können auch als Kultivierungseffekte interpretiert werden: Die Kinder lernen aus dem Fernsehen, wie das Leben von Erwachsenen ist, was ihnen ohne das Medium verborgen bliebe. Aufgrund der vermuteten verzerrten Darstellung des Erwachsenenlebens im Fernsehen – z.B. „an abnormally high proportion of sexy women, violent acts, and extra-legal solutions to legal problems“ (ebd.: S. 155) – befürchteten die Autoren, dass das verzerrte Bild der Fernsehwelt einen negativen Einfluss auf den Sozialisationspro-zess haben könne: „If this is the case – if a child is absorbing a markedly erroneous picture of adult life – then obviously this is no positive contribution to socializing him“ (ebd.: S. 155). Damit formulierten die Autoren bereits einen der Grundge-danken der Kultivierungshypothese. Den Mechanismus, der hinter diesen Effekten steckt, erklärten die Autoren mit „incidental learning“, also „learning that takes

6 Den entscheidenden Schritt, Fernsehnutzungsdauer und Nutzungsmotive für die Bildung der

Nutzergruppen zu kombinieren, um die Einflüsse in Abhängigkeit von Nutzungsmotiven und Nut-zungsdauer zu untersuchen, machten die Autoren empirisch nicht. Allein die Formulierung der Zusammenhänge zeugt jedoch gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die statistischen Möglichkeiten noch in den Kinderschuhen steckten, von der Fortschrittlichkeit der Studien.

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26 2 Die Ursprünge der Kultivierungsforschung

place when a viewer goes to television for entertainment and stores up certain items of information without seeking them.“ (Schramm et al., 1961: S. 75)7

Insgesamt können somit Teile des dargestellten Forschungsprogramms von Schramm et al. (1961) als Vorläufer für die wenige Jahre später begründete Kulti-vierungshypothese gelten. Nicht nur Anlass und Hintergründe waren dieselben (erhöhte Gewaltanteile im Fernsehen und Verbrechenszahlen in der Realität); es finden sich auch methodische Parallelen (Kombination von Inhaltsanalyse und Befragung, Trennung von Viel- und Wenigsehern). Der Untersuchungsgegenstand war zumindest im Zusammenhang mit der Untersuchung von Realitätswahrneh-mung und Einstellungen derselbe, und beide Forschergruppen versuchten, die Effekte mit „incidental learning“ zu erklären. Zusätzlich kann man den Vorläufer-studien eine gewisse Vorreiterrolle zuschreiben, da sie bereits Aspekte einbezogen, die sich im Zusammenhang mit der Kultivierungshypothese erst später wiederfin-den, etwa wenn es um die Berücksichtigung von Nutzungsmotiven (vgl. Kapitel 5.2) oder die Bedeutung unterschiedlicher Fernsehgenres (vgl. Kapitel 4.1.2) geht.

2.3 Cultural Indicators: Die Begründung der Kultivierungsforschung

Die Kultivierungsforschung wurde von der Gruppe um George Gerbner an der Annenberg-School of Communications theoretisch begründet und nahm mit dem „Cultural Indicators Projekt“ in den USA ihren Ursprung. Anlass des Projekts war eine Auftragsstudie für die „National Commission on the Causes and Prevention of Violence“ – in den USA nach der Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy gegründet (vgl. Baker & Ball, 1969) – weshalb zunächst auch hier die Darstellung (vgl. Gerbner, 1969) und Wirkung (Gerbner & Gross, 1976) von Gewalt im Fernsehen im Zentrum des Forschungsinteresses stand. Auffallende Unter-schiede zwischen Fernsehdarstellung und objektiver Realität bei zahlreichen weiteren Themen (z.B. Darstellung von Geschlechter- oder Berufsrollen) veranlass-ten die Gruppe um George Gerbner in der Folgezeit, ein breiteres Themenspekt-rum in die Studien mit einzubeziehen: z.B. Geschlechterrollen (vgl. Morgan, 1982; Signorielli, 1989a), Altersgruppen (vgl. Gerbner, Gross, Signorielli & Morgan, 1980b), Gesundheit (vgl. Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1981d; Gerbner, Morgan & Signorielli, 1982), Wissenschaft (vgl. Gerbner, Gross, Morgan & Signo-

7 Die Autoren konkretisierten dabei Faktoren, die einen solchen Lernprozess begünstigen, womit sie

wiederum Aspekte nannten, die in der Kultivierungsforschung erst später Berücksichtigung fanden: z.B. Alter, Intelligenz, wahrgenommene Realität der Fernsehinhalte und Identifikation mit den Fern-sehcharakteren (Schramm et al., 1961: S. 78ff.)

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2.3 Cultural Indicators: Die Begründung der Kultivierungsforschung 27

rielli, 1981c), Erziehung (vgl. Morgan & Gross, 1982) und Politik (vgl. Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1982; 1984). Zur Geschichte der Kultivierungsfor-schung vgl. z.B. Weimann (2000) und Morgan (2002).

2.3.1 Grundannahmen

Der Kultivierungsansatz geht von der Annahme aus, dass die moderne Gesell-schaft einen Großteil ihrer Erfahrungen aus der Medienwelt zieht und aus den medial vermittelten Botschaften ihre Realität rekonstruiert (vgl. Weimann, 2000). Nach Ansicht Gerbners nimmt das Fernsehen unter den Massenmedien eine Sonder-stellung ein (vgl. z.B. Gerbner, Gross, Signorielli, Morgan & Jackson-Beeck, 1979; Kliment, 1994): Es zeichnet sich durch seine hohe Reichweite und zeitliche Inanspruchnahme aus, die sich darauf zurückführen lässt, dass das Fernsehen allgegenwärtig verfüg-bar ist, auditive und visuelle Sinne gleichzeitig anspricht und ohne spezielle Kom-petenzen (Literalität) verstanden werden kann. Zudem nutzen die Zuschauer, so die Annahme, das Fernsehen nonselektiv und werden über alle Sendungen und Sender hinweg mit den gleichen Botschaften konfrontiert. Auf diese Weise verbreitet das Fern-sehen „from penthouse to tenement“ (vgl. Gerbner & Gross, 1976: S. 177) diesel-ben Bilder und Botschaften an seine Zuschauer. Stärker als alle anderen Medien durchdringt die Fernsehrealität alle Gruppen, Schichten und Klassen der Gesell-schaft: „What makes television unique, however, is its ability to standardize, streamline, amplify and share common cultural norms with virtually all members of society.“ (Morgan & Signorielli, 1990: S. 14)

Nicht zuletzt zeichnet sich das Fernsehen durch seine Realitätsnähe aus, mit der es diese Botschaften präsentiert: Im Fernsehen verschwimmen die Grenzen zwischen Nachrichten und Unterhaltung sowie Fakten und Fiktion, so dass fiktio-nale Sendungen als Realität interpretiert werden: „The premise of realism is a Trojan horse which carries within it a highly selective, synthetic, and purposeful image of the facts of life.“ (Gerbner & Gross, 1976: S. 178)

Eine zentrale Rolle nehmen jene Botschaften ein, die im realen Leben nicht direkt erfahrbar sind. Es ist sogar der Großteil der Realität, zu dem wir keinen direkten Zugang haben. Walter Lippmann thematisierte dies schon im Jahr 1922:

„Denn die reale Umgebung ist insgesamt zu groß, zu komplex und auch zu fließend, um direkt erfasst zu werden. Wir sind nicht so ausgerüstet, dass wir es mit so viel Subtilität, mit so großer Vielfalt, mit so vielen Verwandlungen und Kombinationen aufnehmen könnten. Obgleich wir in dieser Umwelt handeln müssen, müssen wir sie erst in einfacherem Modell rekonstruieren, ehe wir damit umgehen können.“ (Lipp-mann, 1990: S. 18)

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28 2 Die Ursprünge der Kultivierungsforschung

Auch thematisierte Lippmann, „daß die Presse das Hauptkontaktmittel zur unge-sehenen Umwelt ist. Und praktisch überall wird die Meinung vertreten, daß die Presse (...) uns täglich und sogar zweimal am Tag ein getreues Bild der ganzen äußeren Welt entwerfen“ (ebd.: S. 219) soll. Dabei erkannte Lippmann bereits, „daß Nachrichten und Wahrheit nicht dasselbe sind und klar voneinander geschie-den werden müssen.“ (ebd.: S. 243) Lippmann konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal erahnen, dass seine Abhandlung vor dem Hintergrund der rasanten technischen Entwicklung, mit der Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen in einem so großen Ausmaß an Relevanz gewinnen sollte. Seine Beobachtung, dass ein Großteil der Realität lediglich aus den Bildern der Medien rekonstruiert werden kann, findet sich in der Kultivierungsforschung wieder:

„How many of us have ever been in an operating room, a criminal courtroom, a po-lice station or jail, a corporate board room, or a movie studio? How much of what we know about such diverse spheres of activity, about how various kinds of people work and what they do – how much of our real world has been learned from fictional worlds?“ (Gerbner & Gross, 1976: S. 179)

Die Kultivierungsforschung hebt sich nach Ansicht ihrer Begründer in einem wesentlichen Punkt von der traditionellen Medienwirkungsforschung ab. Anstatt kurzfristige Wirkungen in künstlichen Laborsituationen zu messen, impliziert der Kultivierungsansatz die Annahme, dass das Fernsehen Weltbilder, Normen und Werte der Gesellschaft langfristig formt. Das Fernsehen ist nach Ansicht der Gerb-ner-Gruppe also sekundäre Sozialisationsinstanz:

„Television is a centralized system of storytelling. Its drama, commercials, news, and other programs bring a relatively coherent system of images and messages into every home. (...) Transcending historic barriers of literacy and mobility, television has be-come the primary common source of socialization and everyday information (mostly in the form of entertainment) of otherwise heterogeneous populations.“ (Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1986: S. 18)

2.3.2 Grundhypothese

Aus diesen Annahmen leitet sich die Grundhypothese ab, dass Rezipienten, die viel fernsehen, ihre soziale Realität aus der fiktiven Realitätsdarstellung des Fernsehens rekonstruieren. Sie schätzen die Realität, so die Annahme, eher so ein, wie sie im Fernsehen dargestellt wird, während Rezipienten, die wenig fernsehen, in ihrer Realitätswahrnehmung der tatsächlichen Realität näher kommen. Als Hilfskon-struktion dient der Vergleich von Viel- und Wenigsehern. Während sich Wenigseher aus

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2.3 Cultural Indicators: Die Begründung der Kultivierungsforschung 29

vielen verschiedenen Quellen (sowohl medialer als auch interpersonaler Art) informieren, stellt das Fernsehen bei den Vielsehern die dominierende Informati-onsquelle dar. Dabei gehen Vielseher bei der Fernsehrezeption weniger selektiv vor, so dass sie über alle Programminhalte, Formate und Sendungen hinweg denselben Botschaften ausgesetzt sind (vgl. Morgan & Signorielli, 1990: S. 17). Diese Annahmen werden in der Regel wie folgt empirisch umgesetzt.

2.3.3 Traditionelles Untersuchungsdesign

Kultivierungsanalysen basieren traditionsgemäß auf zwei Untersuchungsschritten, die Gerbner und Kollegen „message system analysis“ und „cultivation analysis“ nennen. Im ersten Schritt, der message system analysis, werden wiederkehrende Fernseh-inhalte, d.h. dargestellte Bilder, Normen und Werte, die genreübergreifend stabil bleiben, identifiziert und mit Realitätsdaten verglichen, um somit Diskrepanzen zwischen den Fernsehinhalten und der Realität aufzudecken. Im zweiten Schritt, der cultivation analysis, werden die Zusammenhänge von Fernsehrezeption und Realitätswahrnehmung beim Publikum untersucht, indem die in standardisierten Befragungen ermittelten Antworten von Viel- und Wenigsehern einander gegen-übergestellt werden. Ziel der Gerbner’schen Kultivierungsanalysen ist der Nach-weis, dass die Vielseher eher die „Fernsehantwort“ geben, die den konstanten Mustern im Fernsehen entspricht, während Wenigseher in ihren Antworten den Realitätsdaten näher kommen (vgl. Morgan & Signorielli, 1990). Am Beispiel der Pionierstudie von Gerbner & Gross (1976) sei diese Vorgehensweise verdeutlicht.

2.3.4 Pionierstudie

Im ersten Schritt wurde das Fernsehprogramm auf seine Gewalthaltigkeit hin untersucht. Als Stichprobe diente jährlich eine Programmwoche, beginnend im Jahr 1967, in der alle fiktionalen Sendungen analysiert wurden, die zur Prime Time, am Wochenende auch tagsüber, ausgestrahlt worden waren. Die dargestellten Gewalthandlungen wurden auf jeweils drei Analyseebenen (Sendung, gewalthaltiger Akt, Akteur) erfasst. Daraus errechneten Gerbner und Gross (1976) drei Gewalt-maße: (1) Anteil gewalthaltiger Sendungen, (2) Häufigkeit und Anteil gewalthaltiger Szenen und (3) Anzahl von Akteuren, die eine Opfer- oder Täterrolle (oder beides) einnahmen. Die Befunde deuteten auf hohe Gewaltanteile hin: Acht von zehn Sendungen enthielten Gewalt, pro Stunde waren acht Gewaltakte zu sehen, 60 bis

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30 2 Die Ursprünge der Kultivierungsforschung

70 Prozent aller Akteure hatten mit Gewalthandlungen zu tun, zehn bis 20 Prozent mit Morden (vgl. ebd.: S. 187ff.).

Die über Jahre hinweg konstant hohen Gewaltanteile führten zu der Vermu-tung, dass das Fernsehen beim Zuschauer auf lange Sicht Misstrauen und Angst schüren könne. Dieser Frage gingen die Autoren in der „cultivation analysis“ nach. In Befragungen wurden zunächst Realitätseinschätzungen zu Verbrechensbekämp-fung, Vertrauen und Viktimisierungsangst erhoben. Die Befragten konnten jeweils zwischen zwei Antwortvorgaben wählen, wobei eine der Antworten in etwa der Fernsehantwort entsprach, die andere eher den Verhältnissen in der Realität.8 Die Ergebnisse zeigten, dass die Vielseher eher die Fernsehantwort gaben als die Wenigseher. Vergleiche der Unterschiede zwischen Viel- und Wenigsehern mit Gruppenunterschieden, die auf Alter, Bildung, Geschlecht und Zeitungsnutzung basierten, deuteten darauf hin, dass das Fernsehen oder die Nutzung anderer Medien für die Erklärung von Realitätswahrnehmung und Weltsicht des Publikums genauso wichtig sei wie soziodemographische Merkmale und andere Faktoren der Alltagserfahrung (Gerbner & Gross, 1976: S. 193). Daraus schlossen die Autoren: „Our chief instrument of enculturation and social control, television may function as the established religion of the industrial order, relating to governance as the church did to the state in earlier times.” (ebd.: S. 194).

2.3.5 Mainstreaming und Resonanz

In zahlreichen weiteren Studien replizierten Gerbner und seine Kollegen diese Befunde und zeigten, dass das Fernsehen eine Überschätzung des Ausmaßes von Gewalt in der Realität kultiviert (vgl. Gerbner, Gross, Eleey, Jackson-Beeck, Jeffries-Fox & Signorielli, 1977; Gerbner, Gross, Jackson-Beeck, Jeffries-Fox, & Signorielli, 1978; Gerbner, Gross, Signorielli, Morgan & Jackson-Beeck, 1979; für einen Überblick vgl. Morgan, 2002). Dennoch konnte sich die Gruppe um Gerbner dem Vorwurf, Artefakte zu messen, nicht entziehen. Häufig wurde kritisiert, dass die beobachteten Zusammenhänge auch durch andere Merkmale bedingt sein könnten. Doob & Macdonald (1979) zeigten beispielsweise, dass der Zusammen-hang zwischen Fernsehnutzung und Viktimisierungsangst nach Kontrolle des Merkmals „Wohngegend“ (Stadt- vs. Vorstadtbezirke) in fast allen Gruppen

8 Konkret fragten die Autoren: „What proportion of people are employed in law enforcement?”

(Antwortvorgaben „five percent“ als Fernsehantwort und „one percent“ als Realitätsantwort). Oder: „During any given week, what are your chances of being involved in some type of violence?” (Vorga-ben: „one in ten” als Fernsehantwort und „one in a hundred” als Realitätsantwort) (ebd.: S. 191f.).

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2.4 Klassische Kritik 31

verschwand: Menschen, die in gefährlichen Wohngegenden lebten, waren ängstli-cher, sahen gleichzeitig aber auch mehr fern als Menschen aus den sichereren vorstädtischen Wohnbezirken. Daraus schlossen die Autoren, dass die unterschied-liche Ängstlichkeit von der Wohngegend, allgemein ausgedrückt vom Einfluss verschiedener Drittvariablen, und nicht von der Fernsehnutzung herrührte (Doob & Macdonald, 1979). Dieser Vorwurf veranlasste Gerbner und seine Kollegen, die Theorie zu modifizieren und die unterschiedlichen Zusammenhänge in verschiede-nen Rezipientengruppen anhand von zwei Prozessen zu erklären: Mainstreaming und Resonanz (vgl. Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1980a; Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1986; Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1994).

Die erste Erklärung resultierte aus der Beobachtung, dass sich Menschen aus verschiedenen Einkommensgruppen im Hinblick auf ihre Verbrechensangst unterschieden, die Differenzen bei Vielsehern aber geringer waren als bei Wenigse-hern (vgl. Gerbner et al., 1980a: S. 15f.). Daraus schlossen die Autoren auf das sogenannte Mainstreaming: Unterschiedliche, durch soziale Voraussetzungen bedingte Vorstellungen werden durch die intensive Fernsehnutzung absorbiert und zu einer gemeinsamen Auffassung, dem Mainstream, homogenisiert.

Die zweite Erklärung beschreibt die entgegengesetzte Beobachtung: So ma-ßen Menschen in unterschiedlichen Wohngegenden der Angst vor Verbrechen unterschiedliche Bedeutung bei, wobei die Ansichten der Vielseher sogar noch stärker divergierten als die der Wenigseher. Dies erklärten Gerbner et al. (1980a) mit der Realitätserfahrung der Rezipienten: Wenn Vielseher die Realität so erleben, wie sie im Fernsehen dargestellt wird, wirkt die konsonante Fernsehbotschaft wie eine „Doppel-Dosis“ und verstärkt den Kultivierungseffekt. Diesen Prozess nannten Gerbner et al. (1980a: S. 15f.) Resonanz. Mit diesen Erweiterungen sah die Forschergruppe „the theory of pervasive cultivation of mistrust, apprehension, danger, and exaggerated ‚mean world‘ perceptions“ (ebd.: S. 25) weiterhin bestätigt.

2.4 Klassische Kritik

Die Kultivierung ist eine der bekanntesten Medienwirkungshypothesen geworden, gleichzeitig aber auch eine der umstrittensten. Neben die Kritik von Doob und Macdonald (1979) reihten sich zahlreiche weitere Kritikpunkte, die im Folgenden vorgestellt werden (für einen umfassenden Überblick vgl. z.B. Morgan & Shana-han, 1979; Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1981b; Rubin, Perse & Taylor, 1988). Die einzelnen Aspekte sollen jedoch nicht nur repliziert werden. Vielmehr werden sie vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse diskutiert.

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32 2 Die Ursprünge der Kultivierungsforschung

2.4.1 Fehlgeschlagene Replikationen

Einer der zentralen Vorwürfe bestand darin, dass andere Studien die Kultivie-rungseffekte nicht bestätigen konnten. So untersuchte Wober (1978) in England die Kultivierungshypothese anhand ähnlicher Fragen, wie Gerbner sie in seinen Kultivierungsstudien verwendet hatte, fand aber keine Effekte. Allerdings lassen sich die Divergenzen damit erklären, dass England und USA in kultureller und institutioneller Hinsicht nicht vergleichbar sind und somit fehlgeschlagene Replika-tionen in England nichts über die Validität der These in den USA aussagen (vgl. Gerbner, Gross, Morgan & Signorielli, 1979; Morgan & Shanahan, 1997). Vielmehr sei die Tatsache, dass das britische Fernsehprogramm größtenteils gewaltfreie Sendungen enthält – nur 38 von 380 untersuchten Sendungen wurden als gewalt-haltig identifiziert (vgl. Wober, 1978: S. 318) – und somit beim Vielseher konse-quenterweise keine erhöhte Viktimisierungsangst auslöst, eher eine Bestätigung der Kultivierungshypothese als eine Widerlegung (vgl. Gerbner et al., 1979: S. 123f.).

Gerbner und seine Kollegen kritisierten die Qualität der englischen Studie: Die von der „Independent Broadcasting Authority“ finanzierte Studie wurden den Befragten als Umfrage zur Einstellung britischer Bürger zum Rundfunk präsentiert (vgl. Wober, 1978: S. 317), womit den Befragten das Thema Fernsehen von Anfang an präsent war (vgl. Morgan & Shanahan, 1997: S. 11). Gerbner hatte die Fernseh-nutzung dagegen grundsätzlich erst nach Messung der Einstellungen und Meinun-gen abgefragt, um auszuschließen, dass die Probanden das Untersuchungsziel durchschauten und die Fragen im Bewusstsein des Fernsehens beantworteten (z.B. Gerbner & Gross, 1976, vgl. hierzu auch Shrum, Wyer & O’Guinn, 1998).

2.4.2 Interpretation der Fernsehbotschaft

Schon früh nach Veröffentlichung der ersten Kultivierungsstudie machte New-comb (1978) auf einen Kritikpunkt aufmerksam, der sich bis heute als relevant erweist, wenn es um die Wirkung medialer Botschaften geht. Unter dem Stichwort „humanistic critique“ bemängelte er die Grundannahmen der Kultivierungsfor-schung vor dem Hintergrund eines zentralen Problems: die unterschiedliche Wahrnehmung und Interpretation der Fernsehbotschaften durch Forscher und Zuschauer. Durch die Identifikation gemeinsamer Metabotschaften des Fernsehens lässt die Kultivierungsforschung die unterschiedlichen symbolischen Bedeutungen der Botschaften außer Acht: „The implications are that all viewers are ‚getting’ similar messages and that they get certain messages rather than others“ (Newcomb,