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Westdeutscher Rundfunk Köln Appellhofplatz 1 50667 Köln Tel.: 0221 220-3682 Fax: 0221 220-8676 E-Mail: [email protected] www.quarks.de Script zur wdr-Sendereihe Quarks & Co Das große Missverständnis: Wenn Tiere sprechen und Menschen flüstern

D as gro§ e M issverst n dn is: W en n T iere sprechen u n ... · D ie w ei§ h u b igen M n n - ch en m ssen sich etw as ein fallen lassen , u m ih rer A n geb eteten zu im p o

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Westdeutscher Rundfunk KölnAppellhofplatz 150667 Köln

Tel.: 0221 220-3682Fax: 0221 220-8676

E-Mail: [email protected]

www.quarks.de Script zur wdr-Sendereihe Quarks&Co

Das große Missverständnis:Wenn Tiere sprechenund Menschen flüstern

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Herausgeber: Westdeutscher Rundfunk Köln; verantwortlich: Öffentlichkeitsarbeit;Text: Ilka aus der Mark, Angelika Burkhard, Michael Fuhs, Ulf Marquardt, GeorgWieghaus; Redaktion: Tilman Wolff; Copyright: wdr, Oktober 2007; Gestaltung:Designbureau Kremer & Mahler, Köln

Bildnachweis: alle Bilder Freeze wdr 2007 außer S. 2 – Rechte: Elizabeth Derry-berry/WDR, S. 9 rechts / S.10/ S.11 – Rechte Morguefile, S. 21 – Rechte: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, S. 22 – Rechte: Simone Pika

Wenn Hunde mit dem Schwanz wedeln, freuen sie sich, und wenn Katzen schnurren, geht esihnen gut – zumindest ist das unsere Interpretation ihres Verhaltens. Aber was meint dasTier wirklich? Wie gut verstehen wir die Sprache der Tiere? Wie funktioniert die Kommu-nikation zwischen Mensch und Tier? Besteht sie tatsächlich aus lauter Missverständnissen,wie einige Forscher heute behaupten?

Quarks & Co erklärt, wie Tiere untereinander kommunizieren, warum sich Vogelgezwitschermanchmal wie ein Handyklingeln anhört und warum lachende Schimpansen in WirklichkeitAngst haben.

Außerdem besucht Quarks & Co eine Psycho-Sprechstunde für Tiere und eine Pferde-kommunikatorin, die behauptet: „Jeder hat das Zeug zum Pferdeflüsterer.”

4 Die Zwitscher-Charts: Sängerwettstreit unter Vögeln

7 Der depressive Goldfisch

12 Menschen und Pferde

15 Wörterbuch: Pferd und Mensch

20 Der lachende Schimpanse

23 Mit Tieren sprechen – Ein uralter Menschheitstraum

26 Höllenlärm im Reich der Stille

Weitere Informationen, Lesetipps und interessante Links finden Sie auf unseren Internetseiten. Klicken Sie uns an: www.quarks.de

InhaltInhalt

Tiere & MenschenDas große Missverständnis –

Wenn Tiere sprechen und Menschen flüstern

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Der Gesang hat sich nur in wenigen Nuancen verändert –aber auf den alten Sound von 1979 reagieren die modernenSperlingsweibchen nicht mehr

Bei den White-Crowned Sparrows, einer amerikanischenSperlingsart, haben die Männchen die besten Chancen,die den neuesten Song zwitschern

Weibchen bevorzugen die einfallsreichsten Sänger

Dass Vögel singen, ist ihnen angeboren. Was sieaber zum Besten geben, ist nicht nur genetischbedingt: Nachweislich lernen Vögel dazu und vari-ieren nach Kräften. So haben bei kalifornischenSperlingsdamen diejenigen Herren die größtenChancen, die den ungewöhnlichsten Song zwit-schern. Schick ist nicht etwa der süßeste Liebes-gesang, sondern der auffällig andere.

Oldies sind out

Gingen die Forscher bislang davon aus, dass sichweltweit das Spatzengezwitscher lediglich regio-nal etwas unterscheidet, zeigen neuere Forschun-gen der Duke University in Kalifornien, dass esGenerationsunterschiede bei den Vorlieben derSperlingsdamen gibt. Die weißhäubigen Männ-chen müssen sich etwas einfallen lassen, um ihrerAngebeteten zu imponieren. Zwitschern sie in derTonlage ihres Vaters oder gar Großvaters, kann essein, dass die Braut ihnen davon fliegt.

Brillant am Ende, moderat am Anfang

Herausgefunden hat dies Elizabeth Derryberry. Siespielte den liebestrunkenen Sperlingen Gesangs-aufnahmen aus den späten 70ern sowie aus demJahr 2003 vor. Die umworbenen Damen fanden dieOldies eindeutig langweilig, waren aber ganz auf-geregt bei der neuen Variante. Spatzendamenhaben offensichtlich ein feines Gehör. Denn zwi-schen dem in die Jahre gekommen Gezwitscherund dem hippen Sound junger Männchen gibt esnur subtile Unterschiede: der Oldie leitet miteinem höheren Ton ein und endet in einem schnel-len Tschilpen. Die modernen Sänger starten mode-rater, brillieren aber gegen Ende mit einer großenBandbreite von Tönen.

Der Nebenbuhler hört es nicht gern

Der moderne Gesangsvirtuose verführt die Vogel-damen zu neckischem Hinterteilwippen. Sie recken aufgeregt ihre Schwänze und Schnäbel undfächern einladend mit den Flügeln. Einige begin-nen gleich nach den ersten Tönen des erhörtenSängers aufreizend zu tänzeln, um ihn unter ihreFittiche zu locken.

Was dem umworbenen Weibchen imponiert, ge-fällt den männlichen Rivalen weniger. ElizabethDerryberrys Forschung zeigt, dass der neumodi-sche Gesangsvirtuose seine Nebenbuhler heftigbeunruhigt und zu hilflosem Machogebarenanstiftet.

Fahrradklingeln, Handytöne, Hühnergackern

Vögel zwitschern also nicht nur in der ewig ges-trigen Leier, sie lernen dazu und verändern ihreGesänge. Auf der Suche nach neuen Klängenklauen die modernen Vogelmännchen, was ihnennützlich erscheint. Der australische Leierschwanz-vogel ist der wohl erstaunlichste Imitator imVogelreich: zu seinem Repertoire gehören Geräu-sche von Alarmanlagen, Kreissägen und Spiegel-reflexkameras. Aber auch die europäischen Stareoder die Eichelhäher sind für ihren Tonklaubekannt: sie lieben schrille Handytöne, Fahrrad-klingeln oder Sirenen, manche auch das Gackernvon Hühnern.

Wenn die Nachtigall singt...

Berliner Nachtigallen-Forscher an der Freien Uni-versität haben herausgefunden, dass das Nachti-gallen-Männchen während einer einzigen Nachtmehrere Tausend Strophen produzieren kann. Einsolches Lied kann mehr als 200 verschiedeneStrophentypen umfassen. Wie die meisten Sing-vögel lernen Nachtigallen ihren Gesang währenddes ersten Lebensjahres von erwachsenen Tieren.Hören Vögel in dieser Zeit regelmäßig auch andereGeräusche, können sie diese in ihren Gesang ein-bauen.

Verführerische Frühaufsteher

Zum Glück für die weniger Begabten kommen nichtnur die virtuosen Sänger zum Zuge: Eine Unter-suchung von Bart Kempenaers am Max-Planck-Institut in Andechs/Seewiesen zeigt, dass Blau-meisenweibchen gerne mit Frühaufstehern anban-deln – obwohl diese nicht anders singen als dieSpätzünder. Der Erste ist in der Regel ein älteresMännchen. Offensichtlich trauen die Blaumeisen-damen dem Alten mehr gesunden Nachwuchs zu.

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Sängerwettstreit unter VögelnDie Zwitscher-Charts:Sängerwettstreit unter Vögeln

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Die Stunde der Tierflüsterer

Zahme Tiere haben den Menschen seit Jahrtau-senden durchs Leben begleitet. Etwa die Hälftealler Haushalte der industrialisierten Welt beher-bergt mindestens ein Haustier. Das öffentlicheInteresse an der Mensch-Haustier-Beziehung istgroß, aber ein wissenschaftliches Interesse hatsich erst vor wenigen Jahren entwickelt. WeilHaustiere von vielen als Wohlstandserscheinungund damit als nutzlos angesehen werden, gab eslange fast keine Forschung dazu. Das hat sichgeändert: In Deutschland bieten mittlerweile dreiUniversitäten eine Zusatzausbildung Verhaltens-therapie für Tiere an.

Depression, Trennungsangst, Lärmphobie

Für Esther Schalke von der Tierärztlichen Hoch-schule Hannover sind Hunde mit Depression,Trennungsangst oder Lärmphobie etwas ganzNormales. Sie hat einen Forschungsauftrag fürVerhaltenstherapie bei Hunden und Katzen und

bietet an der Hochschule selbst Therapiestundenan. Dabei hat sie zum Beispiel Hunde kennengelernt, die jedes Mal depressiv werden, wenn ihrBesitzer das Haus verlässt. Andere lecken sichdas Fell bis auf den Knochen auf – immer dann,wenn das Telefon klingelt: beides Fälle, in denender Hund verhaltensauffällig wird, wenn derBesitzer sich von ihm abwendet und ihm keineAufmerksamkeit mehr schenkt. Es gibt auch Tieremit Lärmphobie, die zum Beispiel bei einemGewitter plötzlich Türen zerkratzen oder in dieWohnung urinieren, obwohl sie eigentlich stuben-rein sind.

Verhaltensbiologie statt Psychologie

Die Tiertherapeuten an der Tierärztlichen Hoch-schule Hannover lehnen den Begriff Tierpsycho-loge ab. Denn anders als beim Menschen bauenDiagnose und Therapie beim Tier ausschließlichauf biologischen Verhaltensmustern auf, nichtetwa auf Einsicht, Verständnis oder anteilnehmen-der Kommunikation.

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Sprachgene wie Menschen

Neuere Forschungen haben gezeigt, dass derVogelgesang durch individuelles Lernen erworbenund entwickelt wird. Vögel besitzen ein Gen, dasauch Menschen haben und das wichtig für dasSprachvermögen ist: das sogenannte FoxP2-Gen.Es spielt auch beim Gesangslernen der Vögel eineRolle. Constance Scharff und Sebastian Haeslervom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik inBerlin haben herausgefunden, dass geschädigteFox-P2-Gene bei Vögeln in deren Gesang ähnlicheDefekte erzeugen, wie man sie bei der Sprachehirngeschädigter Menschen beobachtet.

Links:Nachtigallen-Männchen können in einer einzigen Nacht mehrere tausend Strophen singen

Mitte:Verhaltenstherapie für Tiere kann man mittlerweile auch studieren

Rechts:Tiertherapeuten arbeiten mit positiver und negativerVerstärkung, um das Verhalten des Tieres zu ändern

Sängerwettstreit Der depressive Goldfisch Der depressive Goldfisch

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Bei der Diagnose von verhaltensauffälligen Tierenachtet der Therapeut in erster Linie auf dieKörpersprache des Tieres. Im Fall des Hundes, dersich sein Fell bis auf den Knochen aufleckte, wenndas Telefon klingelte, veränderte Esther Schalkedie Bedeutung des Telefons für den Hund: sie ließes einige Tage ununterbrochen leise klingeln undbat den Besitzer, sich während des Klingelns demHund mal zuzuwenden, mal nicht. So hat dasTelefon seine Gefahr für den Hund verloren –Desensibilisierung nennt das die Verhaltens-forscherin. Der Hund wurde dann mit Aufmerk-samkeit belohnt, wenn er nicht leckte und mitDesinteresse bestraft, wenn er leckte. Tierthera-peuten nutzen angeborene Verhaltensweisen desTieres, indem sie erwünschtes Verhalten positivverstärken und unerwünschtes Verhalten unter-binden oder ignorieren. Das geht mit den meistenTieren recht einfach: für ein Leckerchen tun sie fastalles. Deshalb spielt die Belohnung in der Tier-Therapie auch eine große Rolle – bekanntermaßenist das bei der Psychotherapie des Menschen nichtimmer der Fall.

Hund, Katze...

Je nach Tierart gibt es in der Verhaltenstherapieunterschiedliche Schwerpunkte. Häufig liegen dieProbleme in einer nicht artgerechten Haltung. DieTiertherapeuten müssen daher erst neben derBehandlung des unerwünschten Verhaltens beimTier auch den Besitzer über seine Fehler aufklären.

Die Katze...

...ist eine Einzelgängerin und lebt mehr oder weni-ger eigenständig im Freien. Entsprechend geht eshier meistens weniger um Missverständnisse zwi-schen Tier und Mensch, sondern vorwiegend umHaltungsfehler. Diese zu beseitigen und damit dasKatzenverhalten ins Positive zu wenden, fälltebenfalls unter die Tiertherapie. Das Katzenklo istdabei immer wieder Thema. Viele Katzen brauchennämlich zwei: eins fürs kleine und eins fürs großeGeschäft. Das wissen die meisten Katzenbesitzernicht und wundern sich dann, dass eine eigentlichstubenreine Katze in die Wohnung macht. Katzen,die ausschließlich in der Wohnung leben, leiden

oft unter Langeweile. Dann bitten Therapeutenden Besitzer, Kletterbäume, Spielzeugmäuse undähnliche Beschäftigungsmaßnahmen anzuschaf-fen und sich vor allem auch die Zeit zu nehmen,mit der Katze zu spielen. Prozentual liegt der Anteilder therapierten Katzen im Vergleich zum Hund beinur ca. 10 Prozent.

Das Kaninchen...

...landet sehr selten in der Therapie. Wenn es dochmal vorkommt, ist der Ursprung der Ver-haltensstörung fast immer ein Haltungsfehler.Sehr oft haben Kaninchen einfach zu wenig Platz.Ein Kaninchen, das wochenlang in einem Käfigsitzt, in dem es sich gerade einmal umdrehenkann, wird verhaltensgestört gemacht. Das Tierwird apathisch oder sogar bissig. Auch Einzel-haltung kann bei Kaninchen zu Verhaltensstö-rungen führen, denn sie sind von Natur aus keineEinzelgänger. Und natürlich brauchen sie auchetwas zum Nagen. Wer ihnen ausschließlich wei-ches Futter gibt, muss sich nicht wundern, dasssein Kaninchen die Möbel anknabbert.

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Tierpsychologie als Fernstudium

Drei Veterinärmedizin-Studiengänge in Deutsch-land enthalten als Wahlfach die Verhaltens-therapie. Die Zahl der Studenten, die diese Kursewählen, hat in den letzten Jahren zugenommen,dennoch ist die Zahl der Absolventen nicht sehrhoch. Denn wer Verhaltenstherapie mit Tierenkompetent betreiben will, muss sich sehr viel Zeitnehmen und verdient oft weniger als ein normalerTierarzt. Die meisten Tiertherapeuten auf demfreien Markt sind aber gar keine voll ausgebilde-ten Veterinärmediziner, sondern haben sichnebenberuflich weitergebildet, meist an privatenAkademien für Tierpsychologie. Solche Ausbil-dungen gibt es sogar als Fernstudium – Expertensehen das eher kritisch: Esther Schalke ist derMeinung, dass ein Tiertherapeut in jedem FallTiermediziner sein muss, weil Verhaltensauf-fälligkeiten oft auch organische Ursachen haben.Dass der Trend zur Tiertherapie zunimmt, begrüßtsie. Kompetente Tiertherapeuten könnten, soEsther Schalke, die so häufigen tierisch-menschli-chen Missverständnisse beseitigen.

Der depressive Goldfisch

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Vögel...

...rupfen sich oft die Federn aus, wenn sie verhal-tensgestört sind. Auch das ist in der Regel aufHaltungsfehler zurückzuführen. Graupapageienzum Beispiel werden häufig alleine gehalten – unddas meist auch noch in einem zu kleinen Käfig. Dasie in der freien Wildbahn in Schwärmen leben, lei-den einzeln gehaltene Papageien stark unter derEinsamkeit, werden apathisch oder fangen an,sich die Federn zu rupfen – manchmal so stark,dass sie völlig nackt sind. An der TierärztlichenHochschule in Hannover gibt es für gerupfteGraupapageien einen Therapiekäfig, in dem meh-rere Tiere zusammen leben. Die Verhaltens-therapeuten in der Hochschule nennen das Grup-pentherapie und betonen, dass ein verhaltensge-störter Papagei nur mithilfe anderer Papageiengeheilt werden kann. Die Problemfälle sind dannin der Regel so beschäftigt mit den Artgenossen,dass sie das Rupfen vergessen.

Fische...

...die in einem zu kleinen Becken gehalten wer-den, entwickeln in der Regel ebenfalls Verhaltens-störungen: sie fressen nicht mehr, bewegen sichkaum oder schwimmen den ganzen Tag immerdieselbe Strecke an der Aquarienwand entlang –von links nach rechts und wieder zurück. DieseVerhaltensauffälligkeiten lassen sich in den meis-ten Fällen sehr leicht beheben, indem man denFisch einfach in ein größeres, artgerechteresBecken setzt. Die Wassermenge sollte auch beikleineren Fischarten 54 Liter nicht unterschreiten– je größer, desto besser.

Der Hund...

...ist das mit Abstand am meisten therapierte Tier.Bei der Hundetherapie geht es oft über reine Hal-tungsfragen hinaus. Sie dreht sich fast aus-schließlich um Missverständnisse zwischen Hundund Besitzer, die dazu führen, dass der Hundunerwünschte Verhaltensweisen entwickelt. Oftsteckt das Problem in der Unkenntnis und in fal-schem Verhalten des Hundebesitzers oder in der

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falscher Reaktion auf das Hundeverhalten. Diegrundlegenden Verhaltensweisen des Hundessind unabhängig von der Rasse. Unterschiede imVerhalten (aggressiv, beschützend etc.) zwischenden Hunderassen liegen denn auch keineswegs inden Genen, sondern entstammen der Dressurdurch den Menschen: Ein Kampfhund ist nur des-halb so aggressiv, weil er eine entsprechendeAbrichtung bekommen hat und nicht, weil ihm dieAggression angeboren ist.

Das Pferd...

...entwickelt ähnlich wie der Hund bestimmteVerhaltensauffälligkeiten meist aufgrund vonMissverständnissen. Ein so großes und starkesTier ist für den Menschen schwerer in Schach zuhalten als ein Hund oder eine Katze. Viele Besitzerwenden Gewalt an, um sich beim Pferd durchzu-setzen. Das macht dem Pferd Angst – es gewöhntsich an zu buckeln, auszuschlagen oder zu beißen.Aber auch das Gegenteil kann das Pferdeverhaltenaus den Fugen geraten lassen: Wenn der Menschzu nachgiebig ist und keine klare und bestimmteKörpersprache gegenüber dem Pferd einsetzt,

macht das Pferd mit ihm was es will. Beim Ausrittkann das lebensgefährlich werden. Die Pferde-therapie besteht also einerseits darin, den Pferde-besitzer zu korrigieren. Andererseits versucht derTherapeut, dem Pferd Dominanzgebaren oderÄngste abzugewöhnen. Ein Beispiel: ein Pferd hatpanische Angst vor Plastiktüten. Der Therapeutzeigt dem Pferd jetzt immer wieder eine Plastik-tüte – zuerst aus sicherer Entfernung, dann immernäher kommend, bis er das Pferd schließlich sogarmit der Tüte streicheln kann. Therapeuten nennendiese Methode Desensibilisierung.

Der depressive Goldfisch

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Sprache ohne Worte?

Die mit den Pferden spricht ist Andrea Kutsch,Schülerin des amerikanischen PferdeflüsterersMonty Roberts. Sie beschäftigt sich mit derSprache der Pferde, Pferdekommunikationswis-senschaft kann man bei ihr sogar studieren: in BadSaarow bei Berlin lehrt sie inzwischen in ihrereigenen Privat-Akademie. Das Ziel: der gewaltfreieUmgang mit Pferden. Zusammen mit ihrem LehrerRoberts hat Andrea Kutsch dazu eine nonverbalePferdesprache entwickelt, die auf verhaltensbiolo-gischen Studien beruht. Als Herdentier verfügt dasPferd über ein eigenes Kommunikationssystem.Laut Kutsch gibt es darin 177 Gesten, die sie glaubt,deuten zu können. Umgekehrt hat sie gelernt, mitihrem eigenen Körper dem Pferd Signale zu geben,die das Tier versteht. In Bad Saarow lehrt sie, wiePferde allein mit Blicken und Gesten dazu ge-bracht werden können, schnell oder langsam zulaufen, Gegenstände zu umkreisen oder sicheinem Menschen zu nähern.

Pferdeflüsterer kann jeder werden – oder?

Andrea Kutsch behauptet: Die Pferdesprache kannjeder lernen. Der Mensch muss dabei nur dienatürlichen Instinkte des Pferdes nutzen und dieeigene Körpersprache möglichst bestimmt undeindeutig einsetzen. Das Pferd nimmt die Gestennur dann wirklich ernst, wenn es den Menschenals Anführer akzeptiert hat. Denn als Herdentierbraucht das Pferd zum Überleben einen gutenFührer. Quarks & Co wollte testen, wie gut dasfunktioniert und hat vier Kandidaten ins Rennengeschickt: Innerhalb eines Tages sollen sie dieTricks der Pferdeflüsterer lernen und anwenden.

Die Kandidaten: Pferdekenner und Anfänger

Inga und Mario sind Pferdekenner: Sie reiten seitmehreren Jahren und haben sich schon öfter dar-über geärgert, dass sie ihrem Pferd nicht einfachmit Worten erklären können, was es tun soll.Rosemarie und Vincent haben noch nie in ihremLeben etwas mit Pferden zu tun gehabt. Schaffendie vier Kandidaten es, sich auf die Körpersprachemit dem Pferd einzulassen? Andrea Kutsch hat 2

Links:Pferde haben ihr eigenes Kommunikationssystem

Mitte:Andrea Kutsch sagt: Die Pferdesprache kann jederlernen

Rechts:Bringen unsere Kandidaten ein Pferd dazu, ihnenhinterherzulaufen? Nur mit wenigen Gesten?

Stunden Zeit, den Kandidaten die wichtigstenGesten zu erklären. Einmal die Gesten desKandidaten, die das Pferd deutet. Und dann dieGesten des Pferdes, die die Kandidaten deutensollen. Nur mit diesen Gesten und ohne dabei eineinziges Wort zu sprechen, sollen die Kandidatenein Pferd dazu bringen, ihnen hinterherzulaufen.

Nach dem Schreck soll das Vertrauen wachsen

Dass das Pferd dem Menschen folgt, ihm hinter-herläuft, nennt Monty Roberts Join Up – erbetrachtet es als Herstellung eines Vertrauens-verhältnisses zwischen Mensch und Pferd. SeineJoin-Up-Methode besteht darin, dem Pferd zu zei-gen, dass der Mensch am längeren Hebel sitzt,dass sich die Zusammenarbeit aber lohnt und demPferd nichts Schlimmes geschieht. Roberts ver-gleicht das mit einem Vertrag, den er mit demPferd schließt. Dazu behauptet er sich dem Tiergegenüber zunächst einmal als Chef: er begibtsich mit dem Pferd in ein abgezäuntes Rondell –hier ist das Fluchttier automatisch in einer ungün-stigen Situation. Roberts erschreckt das Pferddann mit aggressiven Gesten und durch das

Werfen einer langen Führleine, der Longe. DasPferd läuft von ihm weg, doch wird es bei seinerFlucht von der Barriere gestoppt. Es kann demPferdeflüsterer nicht ausweichen oder gar ent-kommen. Nach einigen Minuten dreht Roberts sei-nen Körper weg und nimmt eine defensive Haltungein. Langsam verliert das Pferd seine Angst undkommt schließlich zu ihm – Pferde sind sehr sozia-le Tiere, die fast immer die Gesellschaft demAlleinsein vorziehen.

Folgen die Testpferde den Kandidaten?

Roberts glaubt, dass das Pferd den Zweibeiner alsHerdenführer akzeptiert, weil er sich vorher durch-gesetzt hat. Der Höhepunkt als Vertrauensbeweis:das Pferd läuft Roberts hinterher. Angeblich funk-tioniert das auch bei verängstigten Problempfer-den irgendwann. Sein Join-Up benutzt der Pferde-flüsterer, wenn er noch nicht eingerittene Pferdean Sattel und Zaumzeug gewöhnen oder verhal-tensgestörten Pferden die Aggression nehmenwill. Jetzt sollen unsere vier Kandidaten die geradein der Theoriestunde gelernten Tricks an lebendenPferden ausprobieren. Prompt machen die beidenAnfänger Fehler: Rosemarie ist unsicher und in

Menschen und PferdeMenschen und Pferde

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Pferd und MenschMenschen und Pferdeihrer Körpersprache unklar – sie zögert mit ihrenBewegungen oder tut gar nichts. Das Pferd bleibteinfach stehen und rührt sich ebenfalls nicht. EinePattsituation: beide wissen eigentlich nicht, wassie tun sollen.

Vincent dagegen ist nervös und macht beimAntreiben wilde Bewegungen, springt selbst aufund ab, um seine aggressiven Gesten zu unter-streichen. Damit erschreckt er sein Testpferd sosehr, dass es steigt und nun selbst wild gewordenquer durch die Halle läuft. Doch das sind nur kurzeMomente, die die Pferde offenbar auch nicht nach-haltig verstören.

Das Ergebnis: Pferdeexamen bestanden, aber...

Am Ende haben es unsere vier Kandidaten allegeschafft, dass ihnen ein Pferd folgsam hinterher-gelaufen ist. Selbst Andrea Kutsch ist erstaunt dar-über, wie gut die Anfänger die Aufgaben ge-meistert haben. Alle vier Kandidaten haben bei derAufgabe die Gesten eingesetzt, die Andrea Kutsch

ihnen vorher erklärt hat. Aber unsere Kandidaten,besonders die Anfänger haben beim Test auchauf eigene Talente und Fähigkeiten zurückgegrif-fen. Manche haben das Pferd eher gebeten,ihnen zu folgen, als dass sie ein hierarchischesVerhältnis im Pferderondell herstellten, wieRoberts und Kutsch das in ihrer Theorie eigent-lich fordern. Es klappt also auch anders – undselbstverständlich waren die Pferde, die beimTest eingesetzt wurden, keine Problempferde mitschweren Verhaltensstörungen oder übermäßi-ger Angst vor Menschen. Das wäre für denVersuch zu gefährlich gewesen und unsere Kandi-daten hätten sicherlich keine Chance gehabt. DieRundhalle setzt auch besondere Bedingungen:Es gibt keine Ablenkung, etwa durch ein anderesPferd, oder durch sonstige Umweltgeräusche.Und die Pferde haben keine Wahl, denn davon-laufen können sie nicht. Auf einer Weide hätteder Test, vielleicht sogar das korrekte Join-Up,sicherlich nicht funktioniert. Aber zumindestunter Laborbedingungen scheint es möglich zusein, so etwas wie eine Verständigung zwischenMensch und Pferd zu erreichen – und das giltsogar für Pferdeanfänger.

Ein Lexikon für Pferdeflüsterer

Pferde zu verstehen ist nicht ganz einfach – siesprechen im Gegensatz zu uns Menschen fast aus-schließlich mit ihrem Körper. Die PferdeflüstererMonty Roberts und Andrea Kutsch haben eineMethode entwickelt, mit der sie die Kommu-nikation zwischen Pferd und Mensch verbessernwollen. Ihre Methode ist nicht die einzige und beivielen Kritikern nicht unumstritten. Fest steht aber,dass Roberts und Kutsch mit ihrer Arbeit eine neueSensibilität für die Befindlichkeit der Pferde insBewusstsein gerufen haben.

Einige Grundlagen ihrer Theorie haben wir für Siezusammengestellt. Dazu gehören menschlicheGesten, von denen Roberts und Kutsch annehmen,dass das Pferd sie versteht. Umgekehrt zeigen wirIhnen auch Gesten des Pferdes, die Ihnen helfenkönnen, dessen Gefühlslage einzuschätzen.

Mensch Pferd

Blickkontakt (M1)

Wer einem Pferd tief in die Augen schaut, treibt esvon sich weg – vorausgesetzt, er setzt in diesemMoment auch andere aggressive Gesten ein. EinBlick in Verbindung mit einer entspannten Kör-perhaltung wird das Pferd nicht beunruhigen – einBlick in Verbindung mit einer starken Körper-spannung, bei der der Mensch sich scheinbar großmacht, schon. Der starre Blick in die Augen ist fürPferde eine aggressive Geste, die auch Pferdeuntereinander verwenden, wenn sie einem Artge-nossen signalisieren wollen: Bleib weg! Damit ver-bunden sind meistens noch andere Körpersignale,wie zum Beispiel angelegte Ohren.

In freier Natur sind Pferde Beutetiere für Raubtiere– ihre Verteidigungsstrategie ist die Flucht. Dasbedeutet: Auf Gefahr reagiert das Pferd instinktivmit Wegrennen. Dieser Reflex ist in jedem Pferdfest verankert. Die meisten Pferde leben heutedomestiziert in der Obhut des Menschen, nur ver-einzelt gibt es noch wild lebende Herden. Dort

Aufgabe erfüllt: Das Pferd läuft Mario hinterher

Wörterbuch: Pferd und Mensch

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M1 M2

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d sind zum Beispiel Raubkatzen oder Wölfe ihrenatürlichen Feinde. Pferdeflüsterer glauben,dass das Ins-Visier-nehmen das Pferd an diesenatürlichen Feinde erinnert.

Ausgebreitete Arme (M2)

Wie der starre Blick sind auch die ausgebreitetenArme eine aggressive Geste, die das Pferd in dieFlucht schlagen kann. Auch hier kommt es wiederdarauf an, auf welche Art genau man die Armeausbreitet. Grundsätzlich sind es vor allem schnel-le Bewegungen, die einem Pferd Angst machen.Auch von dieser Geste nehmen die Pferdeflüstereran, dass sie das Pferd an seinen natürlichen Feinderinnert. Sie begründen das so: Eine Raubkatzemuss ein Pferd anspringen, wenn sie es erlegenwill – immerhin ist das Pferd ein ganzes Stück grö-ßer als sie. Kurz bevor die Raubkatze es anspringt,breitet sie ihre Vorderbeine auseinander, um mitihren Klauen den Körper des Pferdes zu reißen.Diese Geste heißt soviel wie Ich mache mich fertigzum Angriff! Genau diese bedrohliche Situation istes, die das Pferd assoziiert, wenn der Mensch vorihm die Arme ausbreitet – glauben die Schüler vonMonty Roberts.

Gespreizte Hand (M3)

Wenn ein Mensch die Finger an seiner Hand spreizt,wirkt die Handfläche insgesamt größer. Auch hiervermuten die Pferdeflüsterer, dass diese GestePferde an ihre Feinde in freier Wildhahn erinnert:sie ähnele der Tatze seines natürlichen Feindes,sagen sie. Die Reaktion des Pferdes ist auch hier:weglaufen. Allerdings nur, wenn der Mensch diegespreizte Hand wirklich in gespannter Haltungnach oben hält und diese Geste mit anderenaggressiven Gesten kombiniert. Es gibt auchPferdetrainer, die statt der gespreizten Hand einenGegenstand wie zum Beispiel eine Fahne hochhal-ten, um das Pferd von sich wegzutreiben. Ent-scheidend ist auch hier wieder die Gesamter-scheinung des Menschen – seine Körpersprachemuss von Kopf bis Fuß Spannung und Größe aus-drücken. Genau so drücken auch Pferde unterein-ander ihre Dominanz aus.

Gesenkter Blick (M4)

Der gesenkte Blick und der gebeugte Arm bedeu-ten das Gegenteil der oben beschriebenen aggres-siven Gesten – vorausgesetzt, diese Haltung gehteinher mit einer insgesamt entspannten Ausstrah-

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Pferd und Menschlung. Diese Gesten signalisieren dem Pferd: Ichhabe nichts Böses vor, du kannst ruhig zu mirkommen. Wenn das Pferd vorher, wie bei derMonty-Roberts-Methode, weggetrieben wurde,wird es nun Beschwichtigungsgesten zeigen, dieseine Bereitschaft demonstrieren, sich demMenschen zu nähern: Es senkt den Kopf RichtungBoden, kaut, leckt sich das Maul mit der Zunge. Esgibt an einem gesenkten Blick und einem gebeug-ten Arm nichts, was das Pferd verschrecken könn-te. Pferdeflüsterer glauben, dass auch dieseGesten das Pferd an seine natürlichen Feinde erin-nert – eine Raubkatze in dieser Haltung wird nichtangreifen. Aber auch Pferde untereinander signali-sieren sich mit gesenktem Blick in der RegelGelassenheit und eben nichts Bedrohliches. DenKopf abzuwenden, ist bei Pferden untereinandereine Beschwichtigungsgeste.

Dem Pferd den Rücken zudrehen (M5)

Auch diese Geste signalisiert dem Pferd genau wiedie vorherigen: Du kannst dich in meinerGegenwart sicher fühlen, ich führe nichts Böses imSchilde. Wer dem Pferd den Rücken zudreht, lädtes damit ein, zu ihm zu kommen. Die Wahr-scheinlichkeit dass es kommt, steigt, wenn Sie es

zuerst mit den drei beschriebenen aggressivenGesten weggeschickt haben. Das Pferd erst weg-zuschicken und es dann kommen zu lassen, hatder amerikanische Pferdetrainer Monty Roberts,bekannt als der Pferdeflüsterer (horse whisperer)entwickelt. Er nennt es die Join-up-Methode undwill damit die Unterordnung des Pferdes erreichenund sein Vertrauen gewinnen. Das Prinzip ist hie-rarchisch: Nur wenn das Pferd den Menschen alsHerdenführer akzeptiert, sieht es die Not-wendigkeit, sich ihm anzuschließen. Das ist beimJoin up der Zweck der aggressiven Gesten vorher.Übrigens ist es bei vielen Pferden auch dieNeugier, die sie anlockt, wenn ein Mensch sichvon ihnen wegdreht. Nach dem Motto: Man könn-te ja was verpassen!

Pferd Mensch

Sprechen mit den Ohren

Die Ohren eines Pferdes stehen fast nie still: Siebiegen sich mal in die eine, mal in die andereRichtung und erfassen dabei auch die leisestenGeräusche. Als Fluchttier geboren, hat das Pferdmit den Ohren eine gute Möglichkeit, eine Gefahrschon früh zu erkennen und sich, wenn nötig, aus

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dem Staub zu machen. Die Ohren des Pferdes sindalso eine Art Frühwarnsystem. Gleichzeitig sinddie Ohren eines Pferdes aber auch ein Stim-mungsbarometer. Pferde kommunizieren mitein-ander mit einer Art Ohrensprache. Allerdings mussman, um diese Ohrensprache richtig zu deuten,dabei auch auf die restliche Körperhaltung desPferdes achten. Man könnte sagen: Die Ohren-sprache der Pferde ist vergleichbar mit denVokalen in der menschlichen Sprache. Sie sind fürdas Verständnis grundlegend, funktionieren abernur im Zusammenspiel mit den Konsonanten.

Ohren in neutraler Stellung (P1)

Wenn das Pferd die Ohren ohne Anspannung auf-gerichtet hat und die Ohrmuscheln nach außenoder nach vorne weisen, handelt es sich um dieneutrale Grundhaltung – dabei ist das Pferd in derRegel entspannt und ruhig. Es kann sowohl vonvorne als auch von der Seite her alle Geräuscheder Umgebung wahrnehmen.

Gespitzte Ohren (P2)

Wenn beide Ohren stramm nach vorne gerichtetsind, ist das Pferd wachsam oder interessiert anallem, was in seiner Nähe passiert. Es horcht aufund richtet dabei die Ohrmuscheln genau nachdem Geräusch aus. Wenn sich das Geräusch alsbeunruhigend oder fremd erweist, dreht das Pferdmeistens zusätzlich den Kopf, manchmal sogarden ganzen Körper, in die Richtung, aus der dasGeräusch kommt. Die gespitzte Ohrstellung isttypisch für neugierige und zutrauliche Pferde. Siezeigt sich außerdem bei der freundlichen Be-grüßung der Pferde untereinander, vor allem,wenn sie sich noch nicht kennen.

Ohren fallen zur Seite (P3)

Experten nennen diese Ohrenstellung Flügel-ohren: Die Ohren fallen entspannt zur Seite unddie Ohrmuscheln sind der Erde zugewandt. DasPferd ist dann in Ruhestellung. Es döst vor sich hinund fühlt sich in Sicherheit. Sobald das Pferd aberdas kleinste Geräusch in seiner Umgebung wahr-nimmt, wird es die Position der Ohren sofort än-dern. Diese zur Seite fallenden Ohren sind auchtypisch für ein müdes, teilnahmsloses Pferd. Wenn

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Pferd und Menschdie Ohren auffallend kraftlos zur Seite hängen unddie Ohrmuschel in Richtung Erde zeigt, kann dasauch bedeuten, dass das Pferd Schmerzen hat oderjegliche Lebensfreude verloren hat. Wenn dieOhren seitwärts gerichtet sind und die Ohrmuschelnach rückwärts gerichtet, während ein Reiter aufseinem Rücken sitzt, kann das die Angst desPferdes vor einem autoritären Reiter demonstrie-ren. Das Pferd ist angespannt und möchte dannjeden Laut des Angst einflößenden Menschen aufseinem Rücken mitbekommen. Die Ohren stehenoft auch dann seitwärts, wenn ein Pferd in Ausein-andersetzungen mit Artgenossen seine Unterle-genheit signalisieren will.

Ohren leicht nach hinten gerichtet (P4)

Leicht nach hinten gerichtete Ohren signalisierenInteresse an etwas, das sich hinter dem Pferd be-findet. Manchmal ist ein Ohr nach vorne und gleich-zeitig eines nach hinten gerichtet. In dem Fall pas-siert sowohl vor als auch hinter dem Pferd etwasInteressantes. Die Ohren offenbaren, wo das Inter-esse des Pferdes liegt. Die Ohrmuschel zeigt immerin die Richtung, aus der das Geräusch kommt. DieOhren folgen den Augen und umgekehrt.

Ohren flach nach hinten gerichtet (P5)

Ein Pferd, das die Ohren flach nach hinten legt, istin der Regel nicht freundlich gestimmt. Im Gegen-teil: das Ohrenanlegen ist eine Drohgebärde, auchbei Pferden untereinander. Ein Pferd, das sichnicht wohl fühlt, das Angst hat, scheut oder flieht,legt ebenfalls die Ohren flach nach hinten.Verbunden mit anderen Signalen kann das aberauch eine Dominanzgeste sein. Verhaltensfor-scher glauben, dass das Ohrenanlegen im Laufeder Evolution zunächst eine Schutzhaltung beimKampf war: Wenn die Ohren flach nach hintenanliegen, sind sie vor Bissen geschützt. Später hatsich diese Ohrenposition dann zu einem konkre-ten Ausdrucksmittel entwickelt mit der BotschaftNimm dich vor mir in Acht! Keinen Schritt näher!

Ein Mensch sollte einem Pferd, das die Ohren flachanlegt, lieber nicht näher kommen – er läuftGefahr, gebissen oder getreten zu werden. BeiPferden untereinander kann die Geste unnützesBeißen und Kämpfen verhindern, denn es ist gutmöglich, dass ein Pferd sich direkt zurückzieht,wenn sein Gegenüber die Ohren anlegt.

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Wie Primaten kommunizieren

Wenn ein Schimpanse ins Bild kommt, ist guteStimmung programmiert: die Menschenaffen ver-ziehen in Zirkus, Werbung oder Film ihre Gesichterzum Lachen, Sie scheinen unglaublichen Spaß zuhaben und auch ihre Gesten und Mimik scheinenauf große Fröhlichkeit zu deuten. Doch der Scheintrügt: die Affen, wissen Tierverhaltensforscher,haben keinen Spaß an solchen Auftritten. Sie lei-den unter großem Stress und haben Angst. Auchwenn sie scheinbar lachen, ist das kein Ausdruckvon Freude – meist ist das Gegenteil der Fall. DerAusdruck, den sie zeigen, heißt bei Verhaltens-forschern Angstgrinsen und bedeutet Unterwer-fung – das Gegenteil von Spaß.

Lachen bei Schimpansen

Wenn Schimpansen lachen, bedeckt die obere Lippe die Zähne und die

untere Lippe ist entspannt. Dabei machen sie ein sehr sanftes Geräusch.

Es klingt nicht wie das Lachen von Menschen, sondern mehr wie ein

Husten. Schimpansen lachen meist, wenn sie spielen.

Grinsen bei Schimpansen

Wenn Schimpansen grinsen, ziehen sie die Mundwinkel zurück. Sie

spannen auch die Lippen an, so dass Zähne und Zahnfleisch frei liegen.

Mit dem Grinsen zeigen sie ihrem Gegenüber friedliche Absichten

und Unterwerfung an, zum Beispiel nach einem Streit oder unter

Druck durch sogenannte Film-Tiertrainer. Den Ausdruck des

Angstgrinsen zeigen Schimpansen in vielen populären Filmen und

Fernsehserien, wie etwa Mein Charly, Tarzan oder Werbespots.

Schimpansendame Fifi im Intelligenztest

Um die wirkliche Bedeutung der Gesten und derMimik von Menschenaffen zu begreifen, beob-achten Verhaltensforscher und PsychologenPrimaten in ihrer natürlichen Umgebung. Und siestellen ihnen Aufgaben und analysieren die Artund Weise, wie sie die Aufgaben lösen. Dadurcherfahren sie, was und wie Menschenaffen wirklichkommunizieren. Vor einen solchen Test stellt JosepCall vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolu-tionäre Anthropologie die Schimpansendame Fifi.Sie sitzt durch eine Plexiglasscheibe getrennt vondem Psychologen in einem Beobachtungsraumdes Leipziger Zoos. Der Aufbau erinnert an ein Ver-kaufshäuschen für Fahrkarten. Doch der durch-sichtige Kasten ist vorne geschlossen, Luken gibtes nur an den Seiten. Und statt Fahrkarten gibt esBananen – ein Leckerbissen für Fifi, die sonst mitweniger süßer Nahrung, etwa Karotten, vorliebnehmen muss. Im Versuch testet Joseph Call, obFifi ihn überlisten kann: zuerst macht er deutlich,dass er das Obst nicht herausrücken will. Er legt

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Der lachende SchimpanseDer lachende Schimpanse

mehrmals links und rechts vor die seitlichen Öff-nungen Bananenstücke – und zieht sie weg,sobald Fifi Anstalten macht, nach ihnen zu grei-fen.

Listige Tricks

Im eigentlichen Test legt Call Bananen nach linksund nach rechts und blickt dann, anders als beider Vorbereitung, demonstrativ nach rechts. WeißFifi, dass das ihre Chance ist? Fifi weiß es. Siegreift nicht nach rechts, sondern wendet sich nachlinks, wo sie sich unerkannt an ihre Beute heran-schleichen kann. Tests mit acht Schimpansenhaben gezeigt, dass diese in rund 80 Prozent allerVersuche die richtige Seite wählen. In mehr alsjedem zehnten Versuch täuschten sie sogar zuerstvor, in die falsche Richtung zu gehen – vielleichtkönnen sie also sogar lügen.

Schimpansen erkennen Intentionen

Für einen anderen Versuch verkleinerten dieWissenschaftler die Öffnungen in der Plexiglas-scheibe, so dass Weintrauben nicht mehr hindurchpassten. Zuerst unternimmt der Experimentatorden aussichtslosen Versuch, eine Weintraube

durch das Loch hindurch zu quetschen. Der Schim-panse macht den Eindruck, als kümmerte er sichintensiv um das Problem: er schaut denkend undbesorgt zu, kurzum: er macht einen sehr koope-rativen Eindruck. Im zweiten Teil des Versuchsdrückt Experimentator die Weintraube wiedergegen das Loch, zieht sie jedoch immer wiederzurück, was jedes Kind sofort als gezielte Provo-kation begreifen würde. Ebenso der Schimpanse.Seine Reaktion ist eindeutig: Ärger. Auch erscheint die Absicht des Experimentators zu verste-hen.

Zielgerichtete Kommunikation

Dieser Versuch zeigt, dass Schimpansen bestimm-te Intentionen erkennen können – die Frage, ob sieselbst Intentionen haben, liegt nahe. Simone Pikavon der Universität Manchester untersucht, wieMenschenaffen sich miteinander verständigen.Bei Gorillas hat sie beobachtet, dass sie zumin-dest mit Absicht kommunizieren: die Tiere nehmengezielt mit Gesten Kontakt zu ihren Artgenossenauf, zum Beispiel in dem sie sich auf die Brustklopfen und auf eine Antwort warten. Bleibt dieseaus, wiederholen sie die Geste. Abgeschlossenwird das Gespräch durch einen Schlag auf denBoden.

Links :Josep Call vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Mitte:Schimpansendame Fifi muss zeigen, wie clever sie ist

Rechts:Der Schimpanse denkt mit

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Menschenaffen haben keine Sprache

Im Gegensatz zu vielen anderen Tieren nutzenAffen dieselbe Geste je nach Kontext mit unter-schiedlichen Bedeutungen. Wenn sie ihr Kommu-nikationsziel nicht erreichen, verändern sie ihreZeichen. Wie beim Menschen ist nicht von Geburtan festgelegt, wie die Gesten im Detail aussehen.Ein gutes Beispiel ist das Zeigen: Menschen nut-zen den Zeigefinger, um andere auf Dinge hinzu-weisen. Schimpansen nutzen ihn normalerweisenicht. Aber sie können diese Geste lernen, obwohlsie nicht zu ihrem natürlichen Repertoire gehört.Eine Sprache im menschlichen Sinne stellen dieGesten der Affen jedoch nicht dar. Anders alsMenschen nutzen sie keine Symbole, um etwaüber Probleme nachzudenken und sich über mög-liche Lösungen auszutauschen.

Angstgrinsen: Lächeln aus Verlegenheit

Was das Grinsen und das Lachen angeht, sindMensch und Schimpanse jedoch nicht so weit von-einander entfernt. Beide nutzen für diese Aus-drücke ähnliche Gesichtsmuskeln. Menschen grin-

sen – wie Schimpansen – oft aus Verlegenheit, undlachen im Spiel, wenn sie entspannt sind. Die mei-sten Menschen können das Lachen nicht gut vor-täuschen, es sei denn, sie sind Schauspieler.Schimpansen können das gar nicht – das ist derGrund, warum die Affen vor der Kamera nur grin-sen, nicht lachen: da es nicht gelingt, die Tiere aufBefehl zum Lachen zu bringen, setzen Tiertrainersie für den Auftritt vor der Kamera oft unter Druck.Dann lachen die Schimpansen nicht, sondern zei-gen das Angstgrinsen, das der Zuschauer für einfreudiges Lachen hält. Auch deshalb fordern vieleWissenschaftler und Tierschützer, dass Menschen-affen weder im Film noch in der Werbung oder imFernsehen eingesetzt werden.

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Mit Tieren sprechenMit Tieren sprechen – Ein uralter Menschheitstraum

Zumindest in vielen Märchen und Legenden gelingtes Menschen, mit Tieren zu sprechen – demHeiligen Franz von Assisi zum Beispiel. Er soll einesTages vor Vögeln gepredigt haben. Und diese, soheißt es, hätten ihm aufmerksam zugehört.Trotzdem hat man lange Zeit geglaubt, dass es eineklare Abgrenzung zwischen Mensch und Tier gibt –schließlich hatte der Mensch in der christlichenWeltanschauung in der Schöpfung eine Sonder-position. Erst Charles Darwin machte Mitte des 19.Jahrhunderts klar: Der Mensch ist eine Art untervielen, entstanden in der Evolution so wie alleanderen Arten auch. Seitdem ist die Grenze immerunklarer und durchlässiger geworden: Die For-schung entdeckt immer mehr Ähnlichkeiten zwi-schen Menschen und Tieren.

Charles Darwin

1859 erschien in England das bahnbrechende Werk des englischen

Naturforschers Charles Darwin (1809 – 1882): On the Origin of

Species, deutsch: Über den Ursprung der Arten. Hier führte Darwin

seine Vorstellung von der Evolution aus. In The Descent of Man (Die

Abstammung des Menschen) aus dem Jahr 1871 stellte er den

Menschen in eine Reihe mit den Säugetieren, mit Affen als nächsten

Verwandten.

Die Nachfolger des Heiligen: Konrad Lorenz und Jane Goodall

Auch über Konrad Lorenz (1903 – 1989) wurdegesagt, er habe die Fähigkeit besessen, mit Tierenzu sprechen. Er redete mit dem Vieh, den Vögelnund den Fischen, heißt eines seiner populärstenBücher (erschienen 1949), in dem er sein Arbeits-gebiet, die Verhaltensforschung, seinen begeister-ten Lesern vorstellt. Lorenz beschrieb das Verhaltender Tiere nicht aus distanzierter Forschersicht, son-dern er versuchte, sich in sie hineinzudenken, mitihnen zu fühlen. So gelang es ihm besser als denmeisten Zoologen vor ihm, Tiere zu verstehen. „Umeine Graugans zu verstehen, muss man als Grau-gans unter Graugänsen leben“, sagte er einmal.

Mit einer ähnlichen Einstellung hat Jane Goodalljahrelang die Schimpansen im Gombe Nationalparkin Tansania beobachtet und 1960 eine erstaunlicheEntdeckung gemacht: Schimpansen benutzen Werk-zeuge. Goodall beobachtete, wie Schimpansen beider Termitenjagd Grashalme einsetzten. So etwaswar bei wild lebenden Primaten zuvor noch niefestgestellt worden. Schlagartig wurde klar, wienah sie den Menschen sind – wie wenig uns von

Links :Zwei Gorillas kommunizieren mit Gesten

Mitte:Schimpansen können neue Gesten lernen

Rechts:Der heilige Franz von Assisi soll mit Tieren geredethaben; hier abgebildet auf einem Fresko

Der lachende Schimpanse

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ihnen trennt. Jane Goodall ist als Mutter der Schim-pansen weltberühmt. Sie hat viel zu unserem Ver-ständnis der Menschenaffen beigetragen. Aberkann man auch sagen, dass sie sich mit ihnen ver-ständigt hat?

Sprachtraining mit Affen

Der Versuch, mit einem Schimpansen zu reden,stößt schnell an Grenzen. Vor allem, wenn man er-wartet, dass sich unser nächster Verwandter imTierreich der Lautsprache bedient. Wissenschaftleraus den USA haben in den vierziger Jahren dieseErfahrung gemacht. Die Schimpansin Vicki sollteVokale und Konsonanten bilden. Nach vier JahrenTraining beherrschte sie nur vier kurze Worte:mama, papa, cup und up. Der Versuch scheitertebereits an der Anatomie: Schimpansen habeneinen anderen Stimmapparat als Menschen. Wasnicht heißen muss, dass eine Kommunikation mitihnen völlig ausgeschlossen ist – schließlich gibt esunterschiedliche Kommunikationskanäle. „Tiereverstehen bedeutet ja nicht, dass wir uns überabstrakte Formeln mit den Tieren unterhalten, son-dern auf einer emotionalen Ebene“, sagt derWiener Evolutionsbiologe Franz M. Wuketits.

Affenweibchen lernt Zeichensprache

Charakteristisch für Menschen ist eine hoch kom-plizierte Symbolsprache: Wir setzen an die Stellevon realen Gegenständen Worte und abstrakteZeichen. Wir benutzen Schriften und mathemati-sche Formeln. So etwas hat man bei Schimpansenin freier Wildbahn bisher noch nicht beobachtet.Allerdings sind sie auch in dieser Hinsicht lernfä-hig. Das berühmteste Beispiel ist wohl das Schim-pansenweibchen Washoe, das Ende der sechzigerJahre als erstes Tier die Zeichensprache erlernte.Washoe verwendete schließlich 130 Gesten deramerikanischen Gebärdensprache ASL, verstandaber noch weit mehr. Die schlaue Schimpansinrevolutionierte das Urteil der Wissenschaft überdie Intelligenz der Affen.

Brauchen Schimpansen den Kölner Dom?

Trotzdem wurde Washoe durch das Erlernenmenschlicher Gebärden und Gesten nicht zumMenschen. Allerdings brauchen die Tiere unterein-ander eine menschliche Sprache gar nicht – ihr

Sozialleben funktioniert anders und hat sich in derEvolution auch so bewährt. Franz M. Wuketits sagtdazu: „Als ich einmal sehr die Ähnlichkeiten zwi-schen Mensch und Schimpanse betont habe, hatjemand entgegnet: „Ja, aber Schimpansen habendoch nicht den Kölner Dom errichtet.“ MeineAntwort darauf, damals wie heute, ist: „Wozu auchbräuchten Schimpansen den Kölner Dom? Siehaben ihre eigene Lebensweise, ihre eigenenProbleme, ihre eigenen Sorgen, ihre eigenen kultu-rellen Fähigkeiten.“ Es bleibt also eine schwerüberwindbare Grenze, obwohl Mensch und Schim-panse sich über 98 Prozent der Gene teilen. Dierestlichen zwei Prozent machen den ganzenUnterschied – weithin sichtbar am Kölner Dom.

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Die Lautsprache kann man ihnen nicht beibringen, Gebärden und Gesten schon

Prof. Franz M. Wuketits sagt: „Eine Verständigung ist möglich,wenngleich auch schwierig.“

Mit Tieren sprechen

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Marinesignale töten Wale und Delfine

Viele Jahre lang hatte der amerikanische Meeres-biologe Ken Balcomb in den Gewässern vor denBahamas ganz besondere Tiere beobachtet:Schnabelwale. Diese delfinähnlichen Tiere sehenselbst Wissenschaftler nur selten, denn ihr haupt-sächlicher Lebensraum ist die Hochsee. Balcombhatte Glück: einige Schnabelwale suchten regel-mäßig die Küstengewässer der Bahamas auf. Erfolgte den Walen per Boot, schoss tausende vonFotos und gab ihnen Namen. Balcombs Schnabel-wal-Studie war einzigartig und für die Fachwelteine kleine Sensation.

Tätersuche mit Skalpell

Am 15. März 2000 war es damit jedoch vorbei. Andiesem Tag strandeten einige von BalcombsSchnabelwalen, dazu Delfine und ein Minke-Wal;die Tiere starben. Andere verschwanden spurlos.Was war geschehen? Für Balcomb begann einWissenschaftskrimi: die Suche nach der Todes-ursache – und nach einem Täter. Der Meeresbio-loge sezierte einige Tiere noch direkt am Strand.Von Anfang an hatte er einen Hauptverdächtigen:seit einigen Tagen führte die amerikanischeMarine mit großen Kriegsschiffen Manöver vor denBahamas durch. Und Balcomb wusste, dass es

schon früher nach solchen Manövern zu Massen-strandungen von Walen und Delfinen gekommenwar – viele starben. Das Ergebnis von BalcombsUntersuchungen erschütterte nicht nur die Fach-welt, sondern auch Tier- und Naturschützer in allerWelt: das gesamte Gehörsystem der gestrandetenTiere war blutig – offenbar hatten starke Verlet-zungen im Innenohr der Wale zu den Strandungengeführt. Verletzungen, die nur entstehen, wenn einTier extrem lautem Lärm ausgesetzt ist. Und einensolchen Lärm konnte eigentlich nur eines verursa-chen: die Sonargeräte der Kriegsschiffe.

Unter Wasser: tödlicher Krach

Aktives Sonar, oder Echoortung, ist ein uraltesWerkzeug der Natur. Fledermäuse finden so ihreBeute, aber auch Delfine und Wale. Das Prinzip:Ein Pottwal stößt ein sehr lautes Geräusch aus,Klick genannt. Stößt dieser Klick auf ein Hindernis,etwa einen Tintenfisch, wird das Geräusch reflek-tiert. Mit Hilfe einer Serie dieser Klicks verschafftsich der Wal dann einen genaueren Überblick: wiegroß ist das Objekt? Bewegt es sich? Wohinschwimmt es? Ein Schiffssonar funktioniert ähn-lich: Die Sonargeräte erzeugen extrem lauteGeräusche, Pings genannt, deren Echo von Objek-ten unter Wasser zurückkommt. So erkennt dieMarine zum Beispiel feindliche U-Boote. Es

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Höllenlärm im Reich der Stillescheint, als wäre das Leben im Ozean bis 1963 vondiesen aktiven Sonaren unbeeinträchtigt geblie-ben. Doch dann änderte sich die Situation. Die US-Marine führte ein neues Sonar ein, das Pings inFrequenzen zwischen 1.000 und 10.000 Hertzabgab. Es war der amerikanische MeeresbiologeJames G. Mead, der feststellte: erst mit der Ein-führung dieses Mittelfrequenz-Sonars kam es zuMassenstrandungen von Schnabelwalen. Und dasimmer öfter; mittlerweile sind überall auf der WeltMassenstrandungen nach Marinemanövern zubeobachten.

Sonar lässt Körperzellen platzen

Die Massenstrandung vor den Bahamas war dererste Fall, bei dem den Militärs unzweifelhaftnachgewiesen werden konnte, dass ihre Sonarge-räte die Meerestiere töten. Ken Balcombs Schna-belwale waren offenbar zu nah an den Kriegs-schiffen vorbei geschwommen: der Höllenlärm ausden Sonar-Schallkanonen hatte sie mit vollerWucht erwischt, der Krach war so laut, dassGewebe des Innenohres platzte. Orientierungslosund mit Schmerzen steuerten die Tiere auf dasLand zu, strandeten und starben. Nach einerMassenstrandung vor den Kanarischen Inseln fandder Tierarzt Eduard Degollada in den Blutadernvon Schnabelwalen Anzeichen für eine Fettembo-

lie. Das Sonar hatte Körpergewebe zum Platzengebracht, Fettzellen waren in die Blutbahn einge-drungen und hatten den Blutfluss verstopft.

Wale mit Taucherkrankheit

Und immer wieder finden Wissenschaftler Gas-bläschen im Blut gestrandeter Wale – Anzeichenfür die sogenannte Taucherkrankheit: Die Taucher-oder Dekompressionskrankheit tritt auf, wenn einTaucher zu schnell an die Oberfläche kommt. Derschnell nachlassende Druck lässt im Blut gelöstenStickstoff Blasen bilden, so, wie Blasen entstehenwenn man eine Sprudelflasche öffnet. Bewusstlo-sigkeit, Atemlähmung, heftige Schmerzen, Läh-mungen können die Folgen sein. Doch wie könnenTiere, die für das Tauchen in Tiefen von bis zu1.400 Metern geschaffen sind, ausgerechnet ander Taucherkrankheit sterben? Man vermutet,dass tief tauchende Wale, die einen lauten Sonar-Ping hören, vor Schreck viel zu schnell auftauchen– mit tödlichen Folgen. In den USA habenNaturschützer immer wieder gegen die Navy undihre Sonar-Experimente geklagt – manchmal sogarmit Erfolg. Regelmäßig schränken US-Gerichte denEinsatz von Sonargeräten ein. Doch dieseEinschränkungen gelten meist nur in amerikani-schen Gewässern und nicht in Kriegszeiten.

Links:Schnabelwale lassen sich nur schwer beobachten: sie lebenmeist auf hoher See und sind recht scheu

Mitte:Diese Schnabelwale starben nach einem NATO-Manöver vor den Kanarischen Inseln

Rechts:Im Jahr 2001 gab die US-Navy zum ersten Mal zu, dass ihr Sonar Wale tötet

Höllenlärm im Reich der Stille