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aufschiebende Wirkung, weil Gemeinden auch »Dritte« i.S.d. § 212a BauGB sind. 390 Falls die Gemeinde die Nutzung der Genehmigung durch den Bauherrn vor einer rechtskrȨfti- gen Entscheidung in der Hauptsache verhindern will, muss sie einen Antrag auf GewȨh- rung vorlȨufigen Rechtsschutzes nach §§ 80a III, 80 V VwGO stellen. – Solange die zustȨndige Behçrde das Einvernehmen nicht ersetzt, ist die Genehmigungsbe- hçrde an die Versagung des Einvernehmens gebunden und kann die Genehmigung nicht er- teilen. Dann kommt fɒr den Antragsteller nur eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung in Betracht. Diese ist spruchreif, wenn eine Pflicht zur Erteilung der Ge- nehmigung bestand; andernfalls kommt nur ein Bescheidungsurteil nach § 113 V 2 VwGO in Betracht. In diesem Prozess ist die Gemeinde gem. § 65 II VwGO notwendig beizula- den. 391 Die verwaltungsgerichtliche Entscheidung ersetzt dann das Einvernehmen. Die Notwendigkeit der Beiladung sollten Sie in einem evtl. Anwaltsgutachten im Abschnitt »ZulȨssigkeitserwȨgungen« ansprechen. Zudem gehçrt der Antrag ggf. in den praktischen Teil (Verpflichtungsklageschriftsatz). Falsch wȨre es, auf eine Ersetzung des Einverneh- mens zu klagen: Das Einvernehmen ist ein bloßes Internum ohne individualschɒtzende Wirkung. 392 Ebenso wenig besteht ein subjektiver Anspruch auf Ersetzung des Einverneh- mens, da es sich bei der Ersetzung um eine spezialgesetzliche Form der Aufsicht handelt. Aufsichtsrechtliche Maßnahmen stehen aber nur im çffentlichen Interesse und sollen keine individuellen Rechte des Einzelnen vermitteln. Da hierzu (wegen anderslautender Andeu- tungen in den Gesetzesmaterialien 393 ) im Aktenauszug mçglicherweise andere Auffassun- gen vertreten werden, kann diese Frage in der Klausur diskussionswɒrdig sein. Sie sollten den vorstehenden GrundsȨtzen folgen. D. Rechtsschutz im baurechtlichen Nachbarstreit Klausurhinweis: Nachbarstreitigkeiten haben im Assessorexamen eine außerordentlich hohe Klau- surrelevanz. Dieses gilt auch fɒr die Nachbarklage im Baurecht. Die typischen Klausurprobleme wie- derholen sich jedoch hȨufig vielfach. Bitte prȨgen Sie sich zunȨchst folgende Rechtsschutzkonstella- tionen ein: I. Rechtsschutz des Nachbarn im Hauptsacheverfahren Im Grundfall wendet sich der KlȨger gegen eine dem beigeladenen Nachbarn erteilte Baugeneh- migung. 1. ZulȨssigkeitsprobleme bei der baurechtlichen Nachbarklage In der ZulȨssigkeit der baurechtlichen Nachbarklage stellen sich typischerweise Probleme bei der Klagebefugnis, der Klagefrist bzw. prozessualen Verwirkung des Klagerechts und dem Rechtsschutzbedɒrfnis. Die ɒbrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen sind in aller Regel un- problematisch. 390 OVG Lɒneburg NVwZ 1999, 1005; OVG Mɒnster BauR 1998, 93; Ortloff NVwZ 1998, 581 (585). 391 BVerwG NVwZ 1986, 556. 392 BVerwG NVwZ-RR 1992, 529. 393 Vgl. BT-Drucks. 13/6392, S. 60. 166 3. Kapitel. Ȕffentliches Baurecht 139

D. Rechtsschutz im baurechtlichen Nachbarstreit...{luchterh_neu}20100042_Kaiser_koester/kap02.3D 10.08.2010 S. 139 aufschiebende Wirkung, weil Gemeinden auch »Dritte« i.S.d. 212a

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aufschiebende Wirkung, weil Gemeinden auch »Dritte« i.S.d. § 212a BauGB sind.390 Fallsdie Gemeinde die Nutzung der Genehmigung durch den Bauherrn vor einer rechtskr�fti-gen Entscheidung in der Hauptsache verhindern will, muss sie einen Antrag auf Gew�h-rung vorl�ufigen Rechtsschutzes nach §§ 80a III, 80 V VwGO stellen.

– Solange die zust�ndige Behçrde das Einvernehmen nicht ersetzt, ist die Genehmigungsbe-hçrde an die Versagung des Einvernehmens gebunden und kann die Genehmigung nicht er-teilen. Dann kommt f�r den Antragsteller nur eine Verpflichtungsklage auf Erteilung derBaugenehmigung in Betracht. Diese ist spruchreif, wenn eine Pflicht zur Erteilung der Ge-nehmigung bestand; andernfalls kommt nur ein Bescheidungsurteil nach § 113 V 2 VwGOin Betracht. In diesem Prozess ist die Gemeinde gem. § 65 II VwGO notwendig beizula-den.391 Die verwaltungsgerichtliche Entscheidung ersetzt dann das Einvernehmen. DieNotwendigkeit der Beiladung sollten Sie in einem evtl. Anwaltsgutachten im Abschnitt»Zul�ssigkeitserw�gungen« ansprechen. Zudem gehçrt der Antrag ggf. in den praktischenTeil (Verpflichtungsklageschriftsatz). Falsch w�re es, auf eine Ersetzung des Einverneh-mens zu klagen: Das Einvernehmen ist ein bloßes Internum ohne individualsch�tzendeWirkung.392 Ebenso wenig besteht ein subjektiver Anspruch auf Ersetzung des Einverneh-mens, da es sich bei der Ersetzung um eine spezialgesetzliche Form der Aufsicht handelt.Aufsichtsrechtliche Maßnahmen stehen aber nur im çffentlichen Interesse und sollen keineindividuellen Rechte des Einzelnen vermitteln. Da hierzu (wegen anderslautender Andeu-tungen in den Gesetzesmaterialien393) im Aktenauszug mçglicherweise andere Auffassun-gen vertreten werden, kann diese Frage in der Klausur diskussionsw�rdig sein. Sie solltenden vorstehenden Grunds�tzen folgen.

D. Rechtsschutz im baurechtlichen Nachbarstreit

Klausurhinweis: Nachbarstreitigkeiten haben im Assessorexamen eine außerordentlich hohe Klau-surrelevanz. Dieses gilt auch f�r die Nachbarklage im Baurecht. Die typischen Klausurprobleme wie-derholen sich jedoch h�ufig vielfach. Bitte pr�gen Sie sich zun�chst folgende Rechtsschutzkonstella-tionen ein:

I. Rechtsschutz des Nachbarn im Hauptsacheverfahren

Im Grundfall wendet sich der Kl�ger gegen eine dem beigeladenen Nachbarn erteilte Baugeneh-migung.

1. Zul�ssigkeitsprobleme bei der baurechtlichen Nachbarklage

In der Zul�ssigkeit der baurechtlichen Nachbarklage stellen sich typischerweise Probleme beider Klagebefugnis, der Klagefrist bzw. prozessualen Verwirkung des Klagerechts und demRechtsschutzbed�rfnis. Die �brigen Sachentscheidungsvoraussetzungen sind in aller Regel un-problematisch.

390 OVG L�neburg NVwZ 1999, 1005; OVG M�nster BauR 1998, 93; Ortloff NVwZ 1998, 581 (585).391 BVerwG NVwZ 1986, 556.392 BVerwG NVwZ-RR 1992, 529.393 Vgl. BT-Drucks. 13/6392, S. 60.

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3. Kapitel. �ffentliches Baurecht

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a) Klagebefugnis des klagenden NachbarnDie statthafte Drittanfechtungsklage (§ 42 I VwGO) setzt insb. die Klagebefugnis gem. § 42 IIVwGO voraus. Hierbei m�ssen Sie die Frage beantworten, ob sich der Kl�ger auf eine ihn sch�t-zende Rechtsposition st�tzen kann. Ausgehend von der Schutznormtheorie ist dies der Fall,wenn die in Rede stehende Norm nicht lediglich den Interessen der Allgemeinheit dient, sonderndaneben auch den Schutz des Einzelnen bezwecken soll. Die Frage der Klagebefugnis sollten Siezweistufig aufbauen: Zun�chst kl�ren Sie den drittsch�tzenden Gehalt der in Rede stehendenVorschriften und fragen anschließend, ob der Kl�ger als »Nachbar« in diesen Schutz einbezogenist.394

�bersicht: Klagebefugnis des Nachbarn gem. § 42 II VwGO im baurechtlichen Nachbarstreit

I. Vermittelt einfachgesetzliche Norm, die bei der Genehmigung des geplanten Vorhabens zu pr�-fen ist, �berhaupt Drittschutz?1. Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans (§ 30 BauGB): (+) bzgl. Festsetzungen �ber Art der

baulichen Nutzung; grds. (–) bzgl. Maß, Bauweise und �berbaubare Grundst�cksfl�chen2. Im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) Drittschutz �ber Einf�gungsgebot in die n�here

Umgebung (R�cksichtnahmegebot als Bestandteil des Einf�gungsgebots)3. Im Außenbereich (§ 35 BauGB) Drittschutz ggf. (+), wenn Ausnutzbarkeit der Privilegierung

gef�hrdet ist (heranr�ckende Bebauung)4. Bauordnungsrechtliche Vorschriften grds. (–), es sei denn Individualschutz ist bezweckt; da-

her u.a. zugunsten der unmittelbaren Grundst�cksnachbarn (+) bei Vorschriften �ber Brand-schutz- und Abstandsfl�chen; (P) Verunstaltungsverbot

5. Nicht nachbarsch�tzend sind grds. Verfahrensvorschriften, sofern Verfahrensfehler keineAuswirkung auf materielle Position haben kann

II. Ist der Kl�ger gesch�tzter Nachbar?1. Wegen Grundst�cksbezogenheit gem. Art. 14 GG (+), beim Grundst�cks(mit-)eigent�mer

und sonstigem Inhaber einer eigentums�hnlichen Position;2. Gemeinden (+), wenn Verletzung eigener Rechte mçglich; (+) beim interkommunalen Ab-

stimmungsgebot (§ 2 II BauGB); zudem (+) wenn Genehmigung ohne Einholung des Einver-nehmens (§ 36 BauGB) erteilt wird;

3. Nach h.M. (–) beim bloß obligatorisch Berechtigten, obwohl Besitzrecht des Mieters vonArt. 14 I 1 GG gesch�tzt wird

Damit pr�fen Sie zun�chst das Vorliegen einer drittsch�tzenden Vorschrift:

� Festsetzungen �ber die Art der baulichen Nutzungen im Geltungsbereich eines Bebauungs-plans (§ 30 BauGB) sind generell nachbarsch�tzend, weil den Gebietsfestsetzungen derBauNVO per se nachbarsch�tzende Wirkung zukommt.395 Hieraus folgt, dass der Betroffeneeinen Anspruch auf Einhaltung des Gebietscharakters (Gebietsgew�hrleistungsanspruch)geltend machen kann, soweit und sobald ein gebietsfremdes Vorhaben zugelassen wird,ohne dass es auf eine tats�chliche oder sp�rbare Betroffenheit ankommt. Auf die Pr�fungdes Gebots der R�cksichtnahme kommt es hier also nicht an. Demgegen�ber sind die Festset-zungen �ber das Maß der baulichen Nutzug (§§ 16–21a BauNVO) grds. nicht nachbarsch�t-zend, da diese in erster Linie der st�dtebaulichen Ordnung dienen. Nur ausnahmsweise ver-mitteln sie Nachbarschutz, wenn die Festsetzung nach dem planerischen Willen der Ge-meinde auch den Grundst�ckseigent�mern im Plangebiet dienen soll.396 Ebenso vermittelndie Regelungen �ber die Bauweise und die �berbaubaren Grundst�cksfl�chen grds. keinenDrittschutz, es sei denn, die Nachbarbebauung wird gesch�tzt. Zu bejahen ist dies z.B. beiFestsetzung einer offenen Bauweise oder Baugrenzen und -linien.397 Wichtig ist im Geltungs-bereich eines Bebauungsplans § 15 I 2 BauNVO (Gebot der R�cksichtnahme), wenn in demBaugebiet keine besonderen Festsetzungen gelten. Dann vermittelt das Gebot der R�cksicht-

394 Die klausurrelevanten Fragen des Nachbarschutzes, insb. der Klagebefugnis finden Sie im Kopp/Schenke unter § 42 VwGO Rn. 97.

395 BVerwG D�V 1994, 263.396 VGH Mannheim NVwZ-RR 2000, 348.397 Dietlein/Burgi/Hellermann § 4 Rn. 318.

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2. Teil. Klausuren aus dem besonderen Verwaltungsrecht

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nahme Nachbarschutz, wenn in qualifizierter und zugleich individualisierender Weise aufsch�tzenswerte Interessen Dritter R�cksicht zu nehmen ist (sog. plan�bergreifender Nach-barschutz). Dieses Gebot ist verletzt, wenn eine unzumutbare Beeintr�chtigung vorliegt.

� Im bauplanungsrechtlichen Innenbereich gew�hrt § 34 I BauGB Nachbarschutz mittelbardurch das Tatbestandsmerkmal »Einf�gen« in die n�here Umgebung. Einf�gen kann sichdas Vorhaben n�mlich nur, wenn es die gebotene R�cksicht auf die vorhandene Nachbarbe-bauung nimmt. § 34 II BauGB ist unmittelbar nachbarsch�tzend. Auch insoweit besteht einGebietsgew�hrleistungsanspruch.

� Dem Außenbereich nach § 35 BauGB kommt grds. kein Individualschutz zu. Dieses wirdgrammatisch durch die Wçrter »çffentliche Belange« sichtbar. Allerdings kann Inhabern pri-vilegierter Vorhaben nach § 35 I BauGB ein Abwehranspruch dahingehend zustehen, dass dieZulassung eines anderen privilegierten oder sonstigen Vorhabens die Ausnutzbarkeit der ei-genen Privilegierung nicht wesentlich beeintr�chtigt. Dieses sind z.B. die klausurrelevantenF�lle der heranr�ckenden Wohnbebauung.

� Neben diesen bauplanungsrechtlichen Vorschriften stellt sich h�ufiger die Frage, ob bauord-nungsrechtlichen Vorschriften Nachbarschutz zukommt. Dieses kann ausnahmsweisedann der Fall sein, wenn die bauordnungsrechtlichen Bestimmungen nachbarsch�tzendenCharakter entfalten, indem sie individuelle Interessen wie Leben, Kçrper oder Gesundheitder Anlieger sch�tzen sollen.398 Dieses betrifft in erster Linie Abstandsfl�chenregelungen,denen nach wohl h.M. Nachbarschutz zukommt. Auch die bauordnungsrechtlichen Gestal-tungsvorschriften dienen nach h.M. grds. nicht dem Individualschutz, sondern allein demçffentlichen Interesse an einem unbeeintr�chtigten Straßen- und Ortsbild.399 Die landesbau-ordnungsrechtlichen Vorschriften bzw. Stellplatzanforderungen und Garagen sind nur aus-nahmsweise drittsch�tzend, wenn und soweit sie normieren, dass die Umgebung nicht gestçrtwerden darf.400

� Auch sonstige çffentlich-rechtliche Vorschriften kçnnen ausnahmsweise subjektivenRechtsschutz vermitteln. Dieses betrifft z.B. die nachbarsch�tzenden Vorschriften der§ 22 BImSchG oder der 18. BImSchV (Sportanlagen).

Liegt danach eine drittsch�tzende Norm vor, ist als »Nachbar« der Grundst�ckseigent�mer undder Inhaber einer eigentums�hnlichen Rechtsposition erfasst.401 Letzterer kann z.B. eine Personsein, zu deren Gunsten eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen wurde und aufdie Besitz, Nutzungen und Lasten �bergegangen sind.402 Daneben sind auch Nießbrauchberech-tigte gesch�tzt.403 Klausurrelevant ist auch der wegen § 1011 BGB ebenfalls klagebefugte Mit-eigent�mer eines Grundst�cks, der sich gegen eine Baugenehmigung auf einem Nachbargrund-st�ck wendet. Wohnungseigent�mer sind wegen der mçglichen Beeintr�chtigung des Sonder-eigentums (§ 13 I WEG) gegen eine f�r das Nachbargrundst�ck erteilte Baugenehmigungklagebefugt. Dieses gilt auch zugunsten von Wohnungseigent�mergesellschaften f�r Baugeneh-migungen auf dem Nachbargrundst�ck (vgl. § 10 VI WEG n.F.). Demgegen�ber sind bloß ob-ligatorisch Berechtigte (z.B. Mieter, P�chter) grds. nicht klagebefugt. Hieran �ndert auch derUmstand nichts, dass das Besitzrecht des Mieters an einer Wohnung nach der Rspr. des BVerfG404

von Art. 14 I 1 GG gesch�tzt wird, da der Mieter in den Ausgleich mçglicher Bodennutzungs-konflikte nicht einbezogen ist.405

Klausurhinweis: F�r die mçgliche Nachbarrechtsverletzung durch eine Baugenehmigung kommt esdarauf an, inwieweit Rechtsvorschriften missachtet wurden, die von der Genehmigungsbehçrde beiihrer Genehmigungsentscheidung zu pr�fen waren. Wurde eine Baugenehmigung im vereinfachtenGenehmigungsverfahren erteilt, folgt hieraus, dass nur die Verletzung solcher Vorschriften eine Kla-

398 Oldiges in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2003, S. 386.399 VG Hamburg, Urt. v. 17.04.2008 – 6 K 4218/06 (Kein Nachbarschutz gegen »mongolische Jurte« in

einem Wohngebiet).400 Kaplonek/Mittag JA 2006, 664, 667.401 Eingehend hierzu Kintz Rn. 156 ff.402 OVG L�neburg NVwZ 1996, 919.403 OVG M�nster NVwZ 1994, 696.404 BVerfGE 89, 1 (7).405 Kaplonek/Mittag JA 2006, 664 (665).

3. Kapitel. �ffentliches Baurecht

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gebefugnis gem. § 42 II VwGO begr�nden kann, die auch nach dem jeweiligen Pr�fungs- und Entschei-dungsprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zu pr�fen waren.406 Gegen die Verlet-zung von Vorschriften außerhalb dieses Pr�fungsprogramms kann der Nachbar allenfalls im Wege ei-nes Antrags nach § 123 I VwGO vorgehen.

b) Prozessuale Verwirkung des Klagerechts bei baurechtlichen NachbarklagenIst dem Kl�ger die Genehmigung nicht bekanntgegeben worden, wird nach h.M. die Klagefristnach § 74 I VwGO nicht in Gang gesetzt. Auch § 58 II VwGO greift nicht, da auch diese Normzumindest die Bekanntgabe voraussetzt. Denkbar ist aber eine dem Rechtsgedanken des § 242BGB entnommene prozessuale Verwirkung, wenn der Kl�ger bzw. sein Rechtsvorg�nger eineVertrauensgrundlage geschaffen hat, einen bestimmten Anspruch nicht mehr geltend machenzu wollen und der Betroffene hierauf tats�chlich vertraut hat. Eine solche Verwirkung des Klage-rechts sollten Sie aber nur ausnahmsweise bejahen. Regelm�ßig scheitert es an einer von dem Kl�-ger gesetzten objektiven Vertrauensgrundlage.

Außerdem kommt eine Verwirkung in Betracht, wenn der Kl�ger von der Baut�tigkeit Kenntniserlangt, aber dennoch erst deutlich sp�ter Klage erhebt. Hier wird der Beklagte oder Beigeladeneauf die aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverh�ltnis folgende Obliegenheit verweisen,zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile fr�hzeitig evtl. Abwehranspr�che geltend zu ma-chen. Aus dem Gemeinschaftsverh�ltnis erw�chst dem Kl�ger aber erst dann eine solche Ver-pflichtung, wenn er erkennen kann, dass das Vorhaben seine Nachbarrechte beeintr�chtigenkann. Damit kann eine prozessuale Verwirkungs»frist« erst in Gang gesetzt werden, wenn derklagende Nachbar von der Nachbarrechtsbetroffenheit sichere Kenntnis erlangt hat oder dieseh�tte erlangen kçnnen (z.B. durch massive Bodenaushubarbeiten; Hinweisschilder �ber Artdes Vorhabens etc.). Ab dieser Kenntnis muss der Kl�ger etwa binnen eines Jahres Klage erheben,wobei Sie vorsichtig an dem Rechtsgedanken des § 58 II VwGO ankn�pfen d�rfen. Nochmals:Unmittelbar oder entsprechend gilt diese Norm aber nicht.407

c) Verzicht auf Nachbarrechte durch ZustimmungIn der Praxis kommt h�ufiger ein Verzicht auf Nachbarrechte in Betracht. In den Landesbauord-nungen ist z.T. vorgesehen, dass Nachbarn durch ihre Unterschrift auf dem Lageplan und denBauzeichnungen die Zustimmung zum Vorhaben erteilen. Mit einer vorbehaltlosen Unterschriftbringt der Nachbar zum Ausdruck, dass er wegen des konkreten Bauvorhabens, wie es sich ausLageplan und Bauzeichnungen ergibt, auf seine subjektiv çffentlich-rechtlichen Nachbarrechteverzichtet.408 Nur ein wirksamer Verzicht f�hrt zur Unzul�ssigkeit der Klage, was im Exameneher unwahrscheinlich ist. Aus diesem Grund wird der dahingehende Einwand des Beklagtenoftmals ins Leere gehen. Ein wirksamer Verzicht setzt n�mlich voraus, dass der Nachbar aufdem Lageplan und den Bauzeichnungen des Bauherrn seine Zustimmung zu dem konkretenBauvorhaben gegeben hat. Wegen der weitreichenden Konsequenz des Verlusts der Klagerechtewird der Verzicht in analoger Anwendung des § 130 I 1 BGB erst mit Zugang bei der Behçrdewirksam und ist erst ab diesem Zeitpunkt nicht mehr widerrufbar.409 Beachten Sie, dass der Ver-zicht zudem nicht greift, wenn das Vorhaben nach Abgabe der Verzichtserkl�rung noch wesent-lich ge�ndert und der Nachbar dadurch st�rker belastet wird.

2. Begr�ndetheit der Nachbarklage

Die Anfechtungsklage des Nachbarn ist begr�ndet, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist undden Kl�ger in seinen subjektiven Rechten verletzt (§ 113 I 1 VwGO). Hieraus folgt, dass das Ge-richt die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung nicht umfassend hinsichtlich der objektivenRechtm�ßigkeit zu pr�fen braucht, sondern in reduziertem Umfang nur dahingehend, inwieweitder Kl�ger durch die Baugenehmigung in seinen subjektiven Nachbarrechten verletzt wird. Die-ses m�ssen Sie bei der Einleitung der Entscheidungsgr�nde deutlich machen:

406 OVG Saarlouis NJOZ 2008, 3317.407 BVerwG DVBl. 1987, 1276 ; Troidl NVwZ 2004, 315 ff.408 VGH M�nchen, Beschl. v. 03.11.2005 – juris (Rn. 10).409 VGH M�nchen BayVBl. 2006, 246; Schrçer/Dziallas NVwZ 2004, 134, 135.

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Die als Anfechtungsklage gem. § 42 I VwGO statthafte Klage ist zul�ssig. Der Kl�ger ist insb. auchnach § 42 II VwGO klagebefugt. Er kann n�mlich geltend machen, in den ihn als Nachbarn sch�tzen-den §§ (. . .) verletzt zu sein. (. . .).

Die Klage ist jedoch nicht begr�ndet, da die Baugenehmigung von (. . .) in Gestalt des Widerspruchs-bescheides des (. . .) vom (. . .) den Kl�ger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 I 1 VwGO). Hierbeikonnte die Kammer offen lassen, inwieweit die dem Beigeladenen mit dem angefochtenen Bescheiderteilte Baugenehmigung objektiv rechtm�ßig ist; jedenfalls sind vorliegend keine Rechtsnormenverletzt, die den Kl�ger in seinen individuellen Rechten sch�tzen sollen. (. . .).

In der Begr�ndetheit der Klage pr�fen Sie sodann die Verletzung subjektiver Rechte des klagen-den Nachbarn.

a) Begr�ndetheit der Nachbarklage im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungs-plans

Handelt es sich um eine gegen ein Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungs-plans (§ 30 I BauGB) gerichtete Anfechtungsklage, stellt sich zun�chst die Frage der Verletzungdes Bauplanungsrechts. Hierbei spielt der aus §§ 9 I Nr. 1, 30 BauGB i.V.m. §§ 1 III, 2–11BauNVO folgende Gebietsgew�hrleistungsanspruch eine große Rolle. Hiernach hat die indem Bebauungsplan erfolgte Festsetzung �ber die Art der baulichen Nutzung nachbarsch�t-zende Funktion zugunsten der Grundst�ckseigent�mer im jeweiligen Baugebiet.410 Damit hatder Nachbar eines in demselben Gebiet liegenden Grundst�cks einen Anspruch darauf, dassdie Art der bauplanungsrechtlichen Festsetzungen eingehalten wird.

Folglich m�ssen Sie zun�chst untersuchen, ob das geplante Vorhaben allgemein oder ausnahms-weise nach den §§ 2–11 BauNVO zul�ssig ist. Hierzu m�ssen Sie das geplante Vorhaben unter dieRegelbebauung (jeweils Absatz 2 der vg. Normen) bzw. unter die zul�ssige Ausnahmebebauung(jeweils Absatz 3 der vg. Normen) subsumieren. Dabei ist zu ber�cksichtigen, dass sich der Um-fang der zul�ssigen Nutzung auch an dem konkreten Gebietscharakter orientiert (sog. Gebietsver-tr�glichkeit). Deshalb kann auch in allgemeinen Wohngebieten (§ 4 BauNVO), wo Anlagen f�rgesundheitliche Zwecke nach § 4 II Nr. 3 BauNVO allgemein zul�ssig sind, ein besonders großesGesundheitszentrum (Dialysezentrum) gebietsunvertr�glich sein, wenn es dem Charakter einesallgemeinen Wohngebiets, das ungestçrtes Wohnen ermçglichen soll, nicht entspricht.411

Verneinen Sie die Zul�ssigkeit des Vorhabens nach den §§ 2–11 BauNVO, pr�fen Sie anschlie-ßend §§ 13 und 14 BauNVO. Eine untergeordnete Nebenanlage i.S.d. § 14 I BauNVO stelltz.B. ein Container-Standplatz f�r einen Altglascontainer dar.412 Beachten Sie, dass zu den fern-meldetechnischen Nebenanlagen (§ 14 II 2 BauNVO) auch Mobilfunksendeanlagen gehçrenkçnnen. Ist auch dieses nicht der Fall, sollten Sie noch die Mçglichkeit der Befreiung nach§ 31 II BauGB pr�fen, da diese den Gebietsgew�hrleistungsanspruch zu Fall bringen kann. Liegtein Verstoß gegen solche drittsch�tzende Vorschriften nicht vor, m�ssen Sie dann (und erstdann!) eine Verletzung des Gebots der R�cksichtnahme untersuchen (§ 30 I BauGB i.V.m.§ 15 I 1 und 2 BauNVO). Nach § 15 I 2 BauNVO ist ein (an sich zul�ssiges) Vorhaben auchdann unzul�ssig, wenn hiervon Bel�stigungen oder Stçrungen ausgehen kçnnen, die nach der Ei-genart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind oder wennes solchen Bel�stigungen ausgesetzt wird. In der anschließenden umfassenden Pr�fung s�mt-licher Umst�nde des Einzelfalles werden Sie ggf. die Punkte sammeln. Hierbei m�ssen s�mtlicheim Aktenauszug befindlichen Angaben zur Schutzw�rdigkeit der Kl�ger und dem berechtigtenInteresse des Beigeladenen w�rdigen. Nochmals: Denken Sie daran, dass sich § 15 I 1 und 2BauNVO nur auf die Art der baulichen Festsetzungen bezieht.

b) Begr�ndetheit der Nachbarklage im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB)Wendet sich der Kl�ger gegen ein Bauvorhaben im unbeplanten Innenbereich, ist die Klage be-gr�ndet, wenn sich dieses Vorhaben nicht in die von dem Kl�ger bewohnte »n�here Eigenart der

410 BVerwG NVwZ 2008, 427.411 BVerwG, Beschl. v. 28.02.2008 – 4 B 60/07 jurisPR BVerwG 14/2008 Anm. 1 (Dialysezentrum mit 33

Behandlungspl�tzen und 17 Kfz-Stellpl�tzen im allgemeinen Wohngebiet unzul�ssig).412 Z.B. VG Saarlouis, Urt. v. 17.03.2010 BeckRS 2010 47636.

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Umgebung einf�gt«. In der Klausur werden Sie das Gebot der R�cksichtnahme zu pr�fen haben.Beachten Sie dass wegen § 34 II BauGB die Einf�gung hinsichtlich der Art der baulichen Nut-zung bei einem faktischen Bebauungsplangebiet nach der BauNVO erfolgt; § 34 II BauGB ver-dr�ngt insoweit die Regelungen des § 34 I BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung.An dieser Stelle m�ssen Sie das Gebiet im unbeplanten Innenbereich systematisch einem der inder BauNVO genannten Gebiete zuordnen und sodann die bauplanungsrechtliche Zul�ssigkeitpr�fen. Hinsichtlich dessen, was nicht Art der baulichen Nutzung ist, also bzgl. des Maßes derbaulichen Nutzung und der Bauweise ergibt sich das Gebot der R�cksichtnahme aus dem Merk-mal des § 34 I BauGB (»einf�gen«).

c) Begr�ndetheit der Nachbarklage im Außenbereich (§ 35 BauGB)Der Inhaber eines privilegierten Vorhabens im Außenbereich kann sich nur auf das Gebot derR�cksichtnahme berufen. Dieses ist ein çffentlicher Belang im Sinne des § 35 III 1 BauGB.Nach Nr. 3 der Vorschrift liegt eine Beeintr�chtigung çffentlicher Belange vor, wenn ein Vor-haben bezogen auf die Nachbarschaft »sch�dliche Umwelteinwirkungen« hervorrufen kann.

Denkbar ist auch die Nachbarklage gegen einen Bauvorbescheid.413 Mit diesem kann ein Bau-herr bereits vor Einreichung eines Bauantrags zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens entschei-dungserhebliche Fragen vorweg kl�ren lassen. Der Bauvorbescheid hat wie die Baugenehmigungeinen feststellenden Teil und stellt einen Verwaltungsakt dar. Bei dieser spezifischen Klausurkon-stellation ergeben sich jedoch keine Besonderheiten gegen�ber der normalen Anfechtungsklagegegen eine Baugenehmigung.

II. Vorl�ufiger Rechtsschutz des Nachbarn

Klausurhinweis: Neben dem Rechtsschutz des Nachbarn im Hauptsacheverfahren spielt auch imExamen der vorl�ufige Rechtsschutz des Nachbarn eine mindestens genauso große Rolle. Problemeergeben sich hier insb. aus der Parallelit�t der Verfahren nach §§ 80a III, 80 V VwGO auf der einen Seiteund dem Rechtsschutz gem. § 123 I VwGO auf der anderen Seite. Bei der Frage, welches Rechtsschutz-verfahren statthaft ist, kommt es maßgebend darauf an, ob der Nachbar eine erteilte Baugenehmi-gung suspendieren mçchte (was zur Anwendbarkeit der §§ 80a III, 80 V VwGO f�hrt) oder Rechts-schutz auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine nicht genehmigte bauliche Anlage erstrebt (dann§ 123 VwGO). Schwierigkeiten ergeben sich in diesem Zusammenhang insb. dann, wenn die dem i.d.R.im Aktenauszug beigeladenen Bauherrn erteilte Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren erteiltworden ist. Dieses wird nicht selten im Bearbeitervermerk ausdr�cklich vorgegeben. In solchen F�llenmuss der Anwalt ggf. sowohl auf §§ 80a III, 80 V VwGO als auch auf § 123 VwGO zur�ckgreifen.414

Oftmals werden jedoch auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren die nachbarsch�tzenden Vor-schriften zu pr�fen sein, so dass das Verfahren nur nach §§ 80a III, 80 V VwGO zu lçsen ist.

1. Vorl�ufiger Rechtsschutz gegen eine dem Nachbarn erteilte Baugenehmigung

Falls eine Baugenehmigung erteilt worden ist, muss der Antragsteller – sofern er gerichtlichenRechtsschutz anstrebt – zu deren Suspendierung grds. nach §§ 80a III, 80a I Nr. 2, 1. Hs.,80 V 1 VwGO vorgehen, da Rechtsbehelfe Dritter gegen bauaufsichtliche Entscheidungengem. § 212a I BauGB keine aufschiebende Wirkung haben (Antrag auf Anordnung der aufschie-benden Wirkung).415 Alternativ kommt ein Antrag auf behçrdliche Aussetzung der sofortigenVollziehung in Betracht (§§ 80a I Nr. 2, 80 IV VwGO). In der Praxis ist allerdings ein Antraggg�. der Behçrde nach § 80a I Nr. 2 VwGO eher die Ausnahme. Dies ergibt sich u.a. daraus,dass der gerichtliche Beschluss rechtsschutzintensiver ist (vgl. § 80 VII VwGO). Diese �ber-legung ist insb. auch f�r die Zweckm�ßigkeitserw�gungen in der Anwaltsklausur wichtig.

413 Z.B. VG Karlsruhe, Urt. v. 12.05.2009 – BeckRS 2009, 34084 (Erfolglose Nachbarklage gegen Vor-bescheid zur Errichtung einer Moschee).

414 Eingehend zum vorl�ufigen Rechtsschutz f�r den Nachbarn Finkelnburg/Domberg/K�lpmannRn. 1291.

415 Im Einzelnen hierzu: Kaiser/Kçster Die çffentlich-rechtliche Klausur im Assessorexamen, Rn. 370 ff.

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2. Teil. Klausuren aus dem besonderen Verwaltungsrecht

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�bersicht: Zul�ssigkeit des Antrags gem. §§ 80a III 1, I Nr. 2, 80 V 1 VwGO

� Statthaftigkeit des Antrags (§§ 80a III 1, I Nr. 2, 80 V 1 VwGO)– Vorliegen eines adressatenbeg�nstigenden, aber drittbelastenden Verwaltungsakts– Hauptsacherechtsbehelf ist eingelegt worden– Hauptsacherechtsbehelf hat keine a.W. (insb. § 212a I BauGB)

� Antragsbefugnis analog § 42 II VwGO (P) Antragsbefugnis in Dreieckskonstellation (+), wennVerletzung drittsch�tzender Vorschrift geltend gemacht werden kann (i.d.R. Schwerpunkt der Zu-l�ssigkeitspr�fung)

� Rechtsschutzbed�rfnis– (P) bei Fertigstellung des Vorhabens– (P) vorheriger behçrdlicher Aussetzungsantrag wegen § 80a III 2 VwGO erforderlich? Nach

h.M. (–), da zu weite Fassung Redaktionsversehen; kann offen bleiben, wenn i.S.v. § 80 VI 2Nr. 2 VwGO Vollziehung droht, etwa weil der Bauherr weiterbauen will (i.d.R. nach Aktenaus-zug zu bejahen)

Im Rahmen der Antragsbefugnis stellen sich die Fragen des Individualschutzes (s.o.). Bzgl. desRechtsschutzbed�rfnisses merken Sie sich, dass wegen der nach h.M. zu weiten Fassung des§ 80a III 2 VwGO ein vorheriger Antrag gem. § 80 IV VwGO bei der Behçrde nach h.M. nichterforderlich ist. Jedenfalls dann, wenn durch den Weiterbau »Vollziehung droht« bedarf es we-gen des Rechtsgedankens des § 80 VI 2 Nr. 2 VwGO keines vorherigen behçrdlichen Ausset-zungsantrags.

Der Antrag ist begr�ndet, wenn nach dem Ergebnis einer vom Gericht vorzunehmenden Inte-ressenabw�gung das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse des beg�nstigten Bauherrn(Beigeladener) �berwiegt. Hierbei kommt es maßgeblich auf die voraussichtlichen Erfolgsaus-sichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache an. Ist die Baugenehmigung offensichtlich recht-m�ßig oder verletzt sie zumindest keine Nachbarrechte, bleibt der Antrag erfolglos, zumal derGesetzgeber grds. von einem Vorrang des Vollzugsinteresses ausgeht (§ 80 II 1 Nr. 3 VwGOi.V.m. § 212a I BauGB).

Verletzt die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung hingegen nachbarsch�tzende Vorschrif-ten, �berwiegt in der Regel das Aussetzungsinteresse des antragstellenden Nachbarn. In diesemFall ist – insb. als Anwalt – daran zu denken, dass das Gericht befugt ist, zur Sicherung der Rechtedes belasteten Nachbarn einstweilige Sicherungsmaßnahmen zu treffen.416 Wie weit diese rei-chen kçnnen, ist im Einzelnen streitig. Jedenfalls kann das Gericht (bei entsprechendem Antragauf Erlass einer solchen Sicherungsanordnung) die Behçrde verpflichten, dem Dritten (also demBauherrn) gegen�ber vorl�ufige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Antragstellers zu ver-f�gen.417 Nach der Rspr. ist das Gericht aber auch befugt, bei einem dahingehenden Antrag z.B.die genehmigte Nutzung selbst vorl�ufig zu untersagen oder die Einstellung der Bauarbeiten an-zuordnen. Gleichzeitig kann das Gericht auch dem Bauherrn ein Zwangsgeld androhen.418 DieVerbindung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit einem solchen Antragauf Erlass einer Sicherungsanordnung ist aus anwaltlicher Perspektive auch deshalb zweck-m�ßig, weil die Sicherungsanordnung im Gegensatz zur Anordnung der aufschiebenden Wir-kung analog § 172 VwGO vollstreckt werden kann.419

2. Vorl�ufiger Rechtsschutz gegen nicht genehmigte Vorhaben

Begehrt der Antragsteller Rechtsschutz gegen ein nicht genehmigtes Vorhaben, weil

� landesrechtlich eine Genehmigung ausdr�cklich nicht vorgesehen ist (z.B. im Freistellungs-verfahren) oder

416 Finkelnburg/Dombert/K�lpmann Rn. 1295.417 Wolff/Decker/Decker § 80a VwGO Rn. 17 m.w.N.418 Kuhla/H�ttenbrink K 103a m.w.N.419 OVG M�nster, Beschl. v. 27.10.2.008 – 7 B 1368/08; Finkelnburg/Dombert/K�lpmann Rn. 1295

m.w.N.

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3. Kapitel. �ffentliches Baurecht

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� weil der Bauherr das genehmigungsbed�rftige Vorhaben ohne vorherige Genehmigung oderin wesentlicher Abweichung von der erteilten Genehmigung errichtet

ist ein Antrag gem. §§ 80a III, 80a I Nr. 2, 1. Hs., 80 V 1 VwGO nicht mçglich. Eine zu suspen-dierende Genehmigung ist schließlich nicht existent. In diesem Fall kommt nur vorl�ufigerRechtsschutz gem. § 123 I VwGO mit dem Ziel in Betracht, die Behçrde zu einem bauaufsicht-lichen Einschreiten zu verpflichten.

�bersicht: Vorl�ufiger baurechtlicher Nachbarrechtsschutz gem. § 123 I VwGO

I. Zul�ssigkeit1. Verwaltungsrechtsweg2. Statthafter Antrag (§§ 122 I, 88, 123 V VwGO)

a) §§ 80a III, 80 V VwGO (–), da es an Baugenehmigung fehlt; (P) Genehmigung im verein-fachten Verfahren

b) (P) Sicherungsanordnung (§ 123 I 1 VwGO) oder Regelungsanordnung (§ 123 I 2 VwGO);str.

3. Antragsbefugnis analog § 42 II VwGO4. Rechtsschutzbed�rfnis (P) Rechtsschutzbed�rfnis (–), wegen mçglichem zivilrechtlichen Un-

terlassungs- u. Beseitigungsanspruch? (–), da zivilrechtlicher Rechtsschutz wohl nichtschneller realisierbar ist und wohl nicht effektiver.

II. Begr�ndetheit1. Anordnungsanspruch (+), wenn materieller Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten

glaubhaft gemacht werden kann (P) Nach h.M. aber nur, weil subjektive Nachbarrechte be-eintr�chtigt werden (wie bei §§ 80a III, 80 V VwGO)420

a) Anspruchsgrundlage: Bauordnungsrechtliche Generalklauselb) Tatbestandliche Voraussetzungen f�r Stilllegungsverf�gung

aa) Vorliegen bzw. Errichtung einer baulichen Anlagebb) Verstoß gegen çffentlich-rechtliche Bestimmungen

(1) Formelle Illegalit�t(2) Materielle Illegalit�t grds. bei Stilllegungsverf�gung entbehrlich, anders aber bei

Baugenehmigungsfreiheitcc) richtiger Adressat

c) (P) Auf Rechtsfolgenebene sieht bauordnungsrechtliche Generalklausel Ermessen vor:TdRspr: intendiertes Ermessen, wenn tatbestandliche Voraussetzungen erf�llt; TdRspr.: Er-messensreduzierung auf Null nur bei hoher Gefahrenintensit�t; Streitentscheidung i.d.R.entbehrlich

2. Anordnungsgrund (Eilbed�rftigkeit)

3. Vorl�ufiger Rechtsschutz im vereinfachten Genehmigungsverfahren

Schwieriger ist der vorl�ufige Rechtsschutz, wenn sich der Nachbar gegen eine im vereinfachtenGenehmigungsverfahren ergangene Baugenehmigung wendet.

Im Normalfall werden in diesem Verfahren – je nach landesrechtlicher Ausgestaltung – bauord-nungsrechtliche Vorschriften nicht im Detail, sondern nur rudiment�r gepr�ft. Angesichts dereingeschr�nkten Pr�fung des Bauordnungsrechts scheidet eine subjektive Rechtsverletzungdes Nachbarn i.S.v. § 42 II VwGO aus, soweit der Dritte nicht »durch den Verwaltungsakt (. . .)in seinen Rechten verletzt« sein kann. Dann ist ein Antrag gem. § 123 I VwGO statthaft (weil inder Hauptsache eine Verpflichtungsklage statthaft w�re), der auf ein baubehçrdliches Einschrei-ten gerichtet ist. Falls im Examen der Antragsteller einen Antrag gem. § 80a III 3 VwGO stellt,w�re dieser entsprechend § 88 VwGO umzudeuten. Werden demgegen�ber auch im vereinfach-ten Verfahren bauordnungsrechtliche Vorschriften gepr�ft, kommt insoweit ein Antrag nach§§ 80a III, 80a I Nr. 2, 80 V 1 VwGO in Betracht.

420 Finkelnburg/Dombert/K�lpmann Rn. 1296 m.w.N.

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2. Teil. Klausuren aus dem besonderen Verwaltungsrecht

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