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»Romantik, Realismus, Revolution – Das 19. Jahrhundert« Tag des offenen Denkmals 2011 60

Da 19. Ja ˆ ˇ - Stadtplanung · Der »Tag des offenen Denkmals« ist eine der wenigen Veranstaltungen, die dem Gedanken der europäischen Einigung folgend in allen Staaten Europas

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»Romantik, Realismus, Revolution –

Das 19. Jahrhundert«

Tag des offenen Denkmals 2011

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Tag des offenen Denkmals 2011

Der »Tag des offenen Denkmals« ist eine derwenigen Veranstaltungen, die dem Gedankender europäischen Einigung folgend in allenStaaten Europas durchgeführt werden. Zieldieses jährlichen Veranstaltungstages ist es,den Bürgern Europas die Schätze ihrer ge-meinsamen Kultur zu zeigen und ins Bewusst-sein zu rufen.

Zurück geht der Denkmaltag auf den früherenfranzösischen Kulturminister Jacques Lang,der 1984 den »Tag des offenen Denkmals« insLeben rief; seit 1993 wird er auch in Deutsch-land begangen. Traditionell findet er jeweilsam zweiten Sonntag im September statt, heu-er also am 11. September 2011. Seit 2001 wirdder Denkmaltag von der Deutschen StiftungDenkmalschutz, die deutschlandweit die Prä-sentationen koordiniert, unter ein gemeinsa-mes thematisches Dach gestellt – in diesemJahr: »Romantik, Realismus, Revolution – Das 19. Jahrhundert«

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verlor Augs-burg seine Reichsfreiheit und wurde bayeri-sche Provinzstadt. Die einstigen Rechte undFreiheiten gingen unter. Nach der eher ruhi-gen Zeit des Biedermeiers folgten die Deut-sche Revolution und der Durchbruch der Industrialisierung. Damit einher ging die Nie-derlegung der Stadtbefestigung, der Bau vonEisen- und Straßenbahn. Nicht zu vergessensind die weiten Felder der Daseinsvorsorge,um die sich Stadt und Staat nun kümmerten,wie Wasserversorgung, Abwasserentsorgung,

Straßenbau, Bau von Schulen, Theater oderSchwimmhalle. Viele dieser richtungsweisen-den Institutionen sind heute noch von größterBedeutung für die Stadt. Umso wichtiger istes nun, diese Einrichtungen auch zukünftigenGenerationen vorzuhalten, um ein gesundesund lebenswertes Wohnen, Arbeiten und auchErholen in Augsburg zu gewährleisten.

Neben diesen öffentlichen Einrichtungen, wur-den auch viele private Vorhaben errichtet, dieheute stadtbildprägend sind. Hierzu gehörendie vielen repräsentativen Fabrikbauten ausder Gründerzeit. Zu erwähnen sind auch be-deutende prachtvoll gestaltete Bauten, welchedie Bedeutung ihrer Bauherren unterstreichensollten. Fabrikantenvillen gehören hierzu,prachtvolle Bürgerhäuser in den Vorstädtenund auch die Gesamtanlage der Hessingklinikmit dem Kurhaus in Augsburg-Göggingen.

Der alljährliche »Tag des offenen Denkmals«ist die beste Gelegenheit, den Bürgerinnenund Bürgern unserer Stadt gerade dieses kul-turelle Erbe in einer thematischen Auswahlund Vielfalt zu vermitteln. Wir hoffen, dass dadurch nicht nur das Verständnis für die Be-deutung der einzelnen Denkmäler wächst,sondern auch die ihres überzeitlichen Wertes.

Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüredieser Informationsschrift wie auch beim Besuch der Denkmäler, der Teilnahme an Füh-rungen und historischen Entdeckungsreisen!

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Dr. Kurt GriblOberbürgermeister

Gerd MerkleStadtbaurat

Augsburg im 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert gilt nicht als GlanzzeitAugsburgs und doch hat kaum eine Epochedas Bild dieser Stadt so geprägt. Ihr Struktur-wandel von einem Ort des Handels und derKünste zu einem Zentrum der Industrialisie-rung verlief teilweise ohne eine Regulierungder Siedlungsentwicklung und ist am Stadt-bild bis heute ablesbar. Vor allem das »Image«dieser Stadt wurde von den Betrachtern des19. Jahrhunderts bestimmt.

Romantik – Augsburg und die blaue Blume

Bereits um 1800 wurde Augsburg zum literari-schen Thema. Novalis (1772–1801) etwa lässtseinen Protagonisten »Heinrich von Ofterdin-gen« vom Schicksal geleitet in die Stadt amLech reisen, um dort der erträumten GeliebtenMathilde zu begegnen. Der beschriebene »alt-deutsche« Sehnsuchtsort hatte allerdings mitdem realen Augsburg nur wenig gemein; zusachlich muteten vor den Gotik-verliebten Augen der Romantiker die großflächigen Bau-ten an, zu streng die ganze, weit in der ebenenLandschaft ausgebreitete Stadt. Augsburgschien bald geradezu ein »Anti-Bild« zu sein –die »Stadt ohne Romantik« (Ulrich Christoffel)oder auch das »Pompeji der deutschen Renais-sance« (Wilhelm Heinrich Riehl).

Realismus – Augsburg als bayerische Provinzstadt

Im 19. Jahrhundert lag Augsburg am Randedes politischen Geschehens. 1806 war dieFreie Reichsstadt dem Königreich Bayern ein-gegliedert worden – mit weitreichenden Fol-gen für die soziale, wirtschaftliche und kultu-relle Struktur. Die zentralistische AusrichtungBayerns unter dem kühlen Strategen Maximi-lian von Montgelas (1759–1838) machte Augs-burg zur Provinzstadt, 1817 wurde sie zurHauptstadt des Oberdonaukreises erklärt. DasEnde der Reichsfreiheit brachte eine staatlichverordnete Aufklärung, obgleich die Gepflo-genheiten der »Parität« zwischen Katholikenund Protestanten lange nachwirkten. Mit derVerstaatlichung des kirchlichen und städti-schen Besitzes ging auch der Verlust kulturellerInstitutionen wie der 1670 von Joachim von

Sandrart gegründeten privaten und ab 1710reichsstädtisch öffentlichen Kunstakademieeinher. Ein gewisser Ausgleich war zwar durchdie Königliche Special-Kunstschule (1813–1820),die Königliche Höhere Kunstschule (1820–1835),die Polytechnische Schule (1833–1864) undschließlich durch die Städtische Höhere Kunst-schule (ab 1881), die Maschinenbauschule(1864–1870 ) sowie die Industrieschule (1870–1907) gegeben, doch erwiesen sich die meistendieser Bildungseinrichtungen als kurzlebig.Zudem schwand ab ca. 1835 die Bedeutungder Augsburger Börse. Das Engagement derBürger in Vereinen oder als Mäzene wurde im-mer wichtiger, wie dies zum Beispiel der 1833gegründete Kunstverein belegt. So konntenbildende Künstler wie Johann Geyer (1807–1875), Liberat Hundertpfund (1806–1878), Ferdi-nand Wagner (1819–1881) oder Franz MichaelVeith (1799–1846) in Augsburg ihr Auskommenfinden. Die hiesigen Großbürger engagiertenaber auch gefeierte Münchner Maler wie Franzvon Lenbach (1836–1904) oder Friedrich Augustvon Kaulbach (1850–1920).

Von der revolutionären deutschen Nationalbe-wegung (1848) ließen sich nur wenige Augs-burgerinnen und Augsburger mitreißen. Nurab und an, zum Beispiel als 1866 die Bundes-versammlung des Deutschen Bundes aus Frank-furt ins gemütlichere Augsburger Hotel DreiMohren flüchtete und sich dort am 24. Augustauflöste, wehte ein Hauch von politischemUmsturz in die bayerisch-schwäbische Provinz.

Revolution – Augsburg als Schauplatz der Industrialisierung

Revolutionen spielten sich in Augsburg aller-dings auf ganz anderem Gebiet ab: Die Stadtwurde neben Nürnberg zum wichtigsten Schau-platz der Industrialisierung in Bayern. Seit derGründung der ersten Industriebetriebe – derAugsburger Kammgarnspinnerei (AKS) 1836und der Mechanischen Baumwollspinnereiund -Weberei Augsburg (SWA) ein Jahr späterwurde eine Fabrik nach der anderen gebaut.Die Voraussetzungen waren einmalig günstig:Noch immer gab es in Augsburg kapitalstarkeBankiers, die ihr Geld nun in Aktiengesell-

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schaften einbrachten und die zahlreichen Stadt-bäche bildeten eine unschätzbare natürlicheEnergieressource. Zudem wurde das Bahn-netz ausgebaut. Der Zollverein (1834) brachteschließlich den erhofften großen Absatzmarkt.Seitdem bestimmten vor allem erfindungsrei-che Unternehmer mit ihren Angestellten undArbeitern das Geschick der Stadt. Diese wurdezum Schauplatz so epochaler Erfindungen wieder des Diesel-Motors oder des Luftschiffs Par-seval. Die Riedinger, Buz, Merz, Forster, Scha-ezler, Frölich, Martini, Haag oder Silbermannherrschten als Patriarchen und forderten un-bedingten Gehorsam. Als Gegenleistung ge-währten sie soziale Absicherung und günstigeWohnungen.

Veränderungen im Stadtbild blieben nicht aus:»riesenhafte Fabrikkasernen« (Wilhelm Hein-rich Riehl), Arbeiterkolonien und Eisenbahn-trassen wucherten um die immer noch befes-tigte Stadt und die »Industriedörfer« desUmlands. Die Einwohnerzahl wuchs sprung-haft an, zwischen 1830 und 1910 von 29 000auf 102 000 Einwohner. Teile der Handwerker-viertel stiegen zu hoffnungslos überbevölker-ten Elendsquartieren herab. Die StadtbauräteBalthasar von Hößlin (1759–1845, Amtszeit1806-1832), Franz Joseph Kollmann (1800–1894,Amtszeit 1834-1860) und Jakob Graff (1820–1884, Amtszeit 1860-1865) konnten keine ge-plante Stadterweiterung verfolgen, da fürAugsburg bis 1866 die Festungseigenschaftgalt: Alle Gebäude außerhalb der Mauern hät-ten im Kriegsfall entschädigungslos abgebro-chen werden müssen, ein Risiko, das nur dieGroßindustriellen eingingen. Auch im engen Stadtzentrum wurden aller-dings Bauwerke errichtet, die von der neuenZeit kündeten: Die Börse (1828–30) von JosephPertsch (1806–1841), das Hauptkrankenhaus(1856–59) von Franz Joseph Kollmann (1800–1894) und zwei Stadtpaläste der Oberschicht,das Wohnhaus Forster (1850–52) von Franz Jakob Kreuter (1813–1889) und das WohnhausRiedinger (1862–65) von Gottfried von Neu-reuther (1811–1887). Was die öffentlichen Bau-ten betrifft, blieb es häufig bei Luftschlössernwie dem Stadttheater-Projekt des als Kreis-bauinspektor in Augsburg gestrandeten Archi-tekten Johann Michael Voit (1771–1846), derhierfür den Abbruch der Fuggerhäuser im Visierhatte. Ebenso amüsiert wie resigniert notierteVoit in sein »Merkbuch« (1812–1846): »Augs-burg ist in dem negativen Besitz eines Schau-spielhauses, oder es giebt hier / 1) kein Schau-

spielhaus. Alle Opern, Kommödien und diehöheren Künste des Jongleurs und Seiltän-zers werden im Kommödienstadel gegeben.Ferner positiv / 1) einen steinernen Mann / 2)zwei Gymnasien. / 3) drei Lümmel; / 4) vier aktive Klöster […] / 5) fünf evangelische Kir-chen, für rationelle und fromme Christen / 6)sechs Apotheken / 7) sieben Kindeln und s.w.«

Weitaus einschneidender veränderte sich dasStadtzentrum zunächst durch das Freilegenneuer Plätze und Straßen: Aus dem Kloster-garten von St. Katharina wurde das »Forum«der neuen Hallstraße, aus dem Weinmarktdurch Abbruch der Mittelbebauung der »Pro-spekt« der Maximilianstraße. Die letztgenann-te Anlage einer »Prachtstraße« für Augsburgstand allerdings schon seit dem Ende des 18.Jahrhunderts auf dem Wunschzettel der Stadt-oberen. Sie bot nun auch Platz für den Auf-marsch der Soldaten zwischen der Kaserne imUlrichskloster und dem Exerzierplatz anstelledes alten Domfriedhofes. Kasernen und militä-rische Anlagen sollten im 19. Jahrhundert be-sonders wichtige Bauaufgaben werden.

Die Aufhebung der Festungseigenschaft 1866wirkte für die Stadtentwicklung wie ein Fanal.Der im gleichen Jahr zum Stadtbaurat berufe-ne Ludwig Leybold (1833–1891) nutzte dieGunst der Stunde und überplante die Flächezwischen dem Stadtgraben und der 1846 west-lich an der Stadt vorbeigeführten Bahntrasse.Ausgerichtet auf den Bahnhof (1843/46 und1877) von Friedrich Bürklein (1813–1872) ent-standen nun großzügige Alleen, Plätze mitGrünflächen und eine offene Bebauung; aufden geschleiften Stadtmauern wuchsen diePrachtbauten der bürgerlichen Stadtgesell-schaft empor – gleichsam eine Mini-Ausgabeder Wiener Ringstraße. In die neuen Miets-häuser und Villen zogen die wohlhabendenAugsburger während die alten Wohngebieteder Oberschicht wie die Maximilianstraße, dieAnnastraße oder die Ludwigstraße zum Ge-schäftszentrum avancierten oder verödeten.Im Kontrast hierzu standen die schnell über einem durchnummerierten Raster hochgezo-genen Wertachvorstädte – ein Ausdruck derspekulativ erstellen »Profitopolis«.

Historismus und Ingenieurarchitektur

Bestimmend für das Repräsentationsbedürf-nis der Bourgeoisie wurde der Rückgriff aufdie Geschichte – der Historismus. Nicht von

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ungefähr entstanden im 19. Jahrhundert fastalle Institutionen, die Zeugnisse der Augsbur-ger Stadtgeschichte bewahren: das Antiquari-um Romanum (1822, heute Römisches Muse-um) die Königliche Filial-Gemäldegalerie(1835, heute Staatsgalerie) und das kommu-nale Maximilianmuseum (1855, das Stamm-haus der Kunstsammlungen und MuseenAugsburg). Die Geschichte des Stadtarchivsund der Staats- und Stadtbibliothek reichtzwar wesentlich weiter zurück, beide Institu-tionen erhielten aber 1885 beziehungsweise1893 repräsentative Bauten. Durch das Sam-meln von Antiquitäten und Kunst unterstrichauch der Industrie-Adel seinen gesellschaftli-chen Rang – der einzige vollständige Muse-umsneubau in Augsburg, die Parseval-Halle,entstand 1890 für die Kollektion August Rie-dingers (1845–1919). Nicht umsonst bildetenRelikte aus der Vergangenheit einen Teil derSchwäbischen Kreisausstellung von 1886 – einer kleinen Schwester der Weltausstellun-gen. Die Gebäude der Kreisausstellung vonLudwig Leybold und Jean Keller (1844–1921)wurden später als Stadtgarten genutzt. Nebendiesen großen, repräsentativen Kulturbautenentstanden zahlreiche Schulen, um die Alpha-betisierung und Allgemeinbildung voran zutreiben.

Im Bauwesen schlug sich der Historismusdurch den Rückgriff auf die architekturge-schichtlichen Epochen nieder. Der Bautypusbestimmte die Wahl des Stils. Ludwig Leyboldverlieh seinen Wohnhäusern feine Neorenais-sance-Fassaden à la Semper, und auch dieumschwärmten Theaterspezialisten HermannGottlieb Helmer (1849–1919) und FerdinandFellner (1847–1916) wählten diesen würdigenStil für das Augsburger Stadttheater (1876/77).Dagegen zeigte sich der Justizpalast (TheodorReuter, 1872-75) in klassizistischer Strenge,die Staats- und Stadtbibliothek (Martin Dülferund Fritz Steinhäußer, 1893) in barockemSchwung. Die Kirchen schließlich wurden meistin Formen der Romanik oder Gotik errichtet.Man schreckte auch nicht davor zurück, ältereBauten in den »Ursprungszustand« zurückzu-versetzen, wie das Beispiel des AugsburgerDomes zeigt, dessen barocke Ausstattung einer »gotischen« weichen musste. Besonders die Ingenieurbaukunst aber verän-derte das Stadtbild. Schornsteine überragtenbald die Kirchtürme. Die zunächst nüchternenFabrikanlagen wurden zunehmend ergänztdurch schlossartige Gebäude, die als Blickfän-

ger dienten. In Augsburg waren es vor allemdie großen Spinnereien und Webereien diesich prestigeträchtige Bauten (SWA – WerkeProviantbach von 1896–1898 und Aumühlevon 1909) renommierter Ingenieur-Architektenwie Karl Arnold Séquin-Bronner (1845–1899)oder Philipp Jakob Manz (1861–1936) leisteten.Das Büro von Alfred Thormann (1845–1895)und Jean Stiefel (1842–1907) reifte durch dieAufträge aus der Großindustrie zum riesigenBauunternehmen heran. Auch die Kommunehatte lukrative Aufträge zu vergeben: Sie sorg-te sich um die Hygiene und ließ das Kanalisa-tions- und Abwassersystem ausbauen. Es ent-standen Anlagen zur Strom- und Nahrungs-mittelversorgung oder zur Körper- und Ge-sundheitspflege. Das Straßenbahnnetz wurdeausgebaut und seit 1898 elektrifiziert.

Obwohl sie dem Historismus frönten, gingendie örtlichen Architektur-Stars Jean Keller oderKarl Albert Gollwitzer (1839–1917) nicht zim-perlich mit der historischen Bausubstanz um:In der Innenstadt wurden die Bürgerhäuser zuGeschäftsbauten mit Schaufenstern und Pas-sagen umgebaut – die modernen Materialienversteckte man hinter den immer gleichen,zum Teil seriell hergestellten Schmuckformen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schließlichkonnten alle europäischen Stilformen an einund demselben Bauwerk gemischt werden (Eklektizismus/Stilpluralismus/Stilsynkretis-mus). Nicht einmal dies schien den Auftrag-gebern zu genügen, denn nun mussten es zu-sätzlich noch orientalische Ornamentformenwie bei den Gollwitzer-Häusern (1885) seinund auch die brandneue Jugendstil-Zierkunstwurde begeistert aufgenommen. Die Bauun-ternehmer Albert Jack (1856–1935) und Maxi-milian Wanner (1855–1933) sowie ihre jünge-ren Konkurrenten Walter Krauss (1873–1951)und Hermann Dürr (1875–1930) spielten ge-schickt auf der Klaviatur unterschiedlicher Stileum Auftraggebersehnsüchte zu erfüllen.

Zur gleichen Zeit, also um 1900, erreichtenIdeen einer Architekturreform Augsburg. Derzum Schema erstarrte Historismus wie erlandauf landab entstanden war, wurde nunzum Feindbild – jetzt sollte es eine Architekturrichten, die stärker an die regionalen Traditio-nen und die Landschaft gebunden war (Hei-matstil). Man wünschte geschwungene oderhakenartige, also »malerische« Straßenbilder.Dies zeigte sich, als der Königsplatz 1905 zumzentralen Umsteigepunkt der Straßenbahn de-

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klariert wurde und eine Verbindung in die In-nenstadt geschaffen werden musste: Die neueBürgermeister-Fischer-Straße wurde von1904–1913 in sanftem Schwung eingefügt. DieBeethovenstraße im damaligen Neubaugebietmündet nicht direkt in den Königsplatz sondernschlägt vorher eine Kurve. Mehr noch aberspricht das Thelott-Viertel (ab 1907) SebastianBucheggers (1870–1929), eine Gartenvorstadt,von dem reformerischen Ansatz, gesundesWohnen im Grünen und doch in Stadtnähe zuverwirklichen. In der Amtszeit Fritz Steinhäu-ßers (1852–1929) und seines Nachfolgers OttoHolzer (1874–1933) entstanden weitere großekommunale Bauten wie der Schlacht- und Vieh-hof (1898–1899), das Stadtbad (1900–1903),der Ludwigsbau (1913–1914) und das Gas-werk (1913–1915) – nun in einem an Elias Hollgeschulten »Augsburger Stil«. Unmittelbar vordem ersten Weltkrieg, der dem »langen 19.Jahrhundert« ein Ende setzt, wurden noch-mals beeindruckende Sakralbauten wie dieStadtpfarrkirche Herz Jesu (1907–1918) vonMichael Kurz (1876–1957) und die Synagoge(1914–1917) von Fritz Landauer (1883–1973) inAngriff genommen.

Gemordete Stadt – der Umgang mit denBauten des 19. Jahrhunderts

Die baulichen Spuren des 19. Jahrhundertssind also reichhaltig. Im Gegensatz zu Mün-chen, das nach 1806 zum »Isar-Athen« aus-gebaut wurde, entwickelte sich Augsburg zur Industriestadt. Es entstanden nicht nur dieBoulevards und Prunkbauten eines selbstbe-

wussten Bürgertums, sondern eben auch rie-sige Fabriken und die Wohngettos der Arbei-ter. Gleichzeitig wurde ein sehnsüchtiger Blickzurück auf das »Pompeji der deutschen Re-naissance« gepflegt. Es kann deshalb nichtverwundern, dass die Bauten des 19. Jahrhun-derts hier lange nicht »populär« waren: WeilAugsburg die Stadt der Renaissance ist, galtenspätere Veränderungen als Verunstaltung. Soschrieb Norbert Lieb der Industrialisierung inerster Linie die Zerstörung der »ursprüngli-chen« Stadtgestalt zu. Erst Matthias Arnoldnahm 1979 in seinem Katalog der Architektur-pläne in der Grafischen Sammlung Augsburgeine Neubewertung vor. Er rückte die gar nicht»provinzielle« Qualität einzelner Gebäude inden Blickpunkt. Zu diesem Zeitpunkt hatte abermehr noch als das Schadensbild des ZweitenWeltkrieges die Abrechnung der Nachkriegsar-chitekten mit dem verhassten Historismuszahlreiche Bauten dieser Epoche vernichtet.Eine Aufzählung nur der wichtigsten Objektezeigt das Ausmaß der »zweiten Zerstörung«:Das Haus Forster von Franz Jakob Kreuterwurde von 1949–1952 radikal purifiziert, imJahr 1965 demontierte man Otto Holzers Lud-wigsbau, es folgten im Jahr 1971 das HotelKaiserhof (Martin Dülfer, 1892) und schließlich,1981 und 1982, das Bahnhofshotel (LudwigLeybold, 1871) sowie die Carl-Villa (Jean Keller,1907). Einen noch schwereren Stand hattendie Ingenieurbauten. Abbrüche führten zumVerlust des Werks Rosenau der SWA (Thor-mann und Stiefel, 1887–1888) sowie der Spin-nerei und Weberei Kahn und Arnold (Thormannund Stiefel 1885–1925) im Jahr 1972, derSchrannenhalle (Ludwig Leybold, 1871–1872)im Jahr 1986, ferner der Spinnerei und Webe-rei Haunstetten (Thormann und Stiefel, 1889–1890) im Jahr 1996. Um die Jahrtausendwendeschließlich wurde das Werk Aumühle von Philipp Jakob Manz durch den Abbruch derWebereishedhalle verstümmelt.

Gerade in Zeiten eines erneuten wirtschaftli-chen und demografischen Strukturwandelsmag der Schutz alter Bausubstanz, vor allemsehr großer Anlagen wie der Fabriken des 19. Jahrhunderts unbequem erscheinen. Jedehistorische Architektur ist aber eine für allesichtbare Brücke in die Vergangenheit. Siestellt ein »Kapital« dar, das zur Unverwechsel-barkeit Augsburgs beiträgt und damit »Hei-mat« stiftet. Auch hieran soll die vorliegendeBroschüre erinnern.

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Caféhaus im Stadtgarten (Jean Keller)

Geschichte

Durch die Industrialisierung des alten DorfesHaunstetten und die Kultivierung der Mehrin-gerau (Siebenbrunn) kam es im 19. Jahrhun-dert zu einem starken Zuzug von Protestanten –1905 waren es in Haunstetten 400 von 2 300Einwohnern, in der Mehringerau 150. Ab 1887begannen die Gemeindemitglieder Geld füreine eigene Kirche zu sammeln, zwölf Jahrespäter gründeten sie den Verein »Bethaus fürHaunstetten Mehringerau« an. Der Bauplatzwar ein Geschenk der Spinnerei und WebereiHaunstetten. Zudem spendete eine Katholikin4 000 Mark für den Neubau, so dass 1905 einWettbewerb ausgeschrieben werden konnte.Die Pläne des im Augsburger Umland viel be-schäftigten Architekten Ferdinand Schildauerfanden den größten Anklang. Im Jahr 1909wurde der Bau der Kirche unter der Leitungvon Ludwig Hebeisen in Angriff genommen,noch im gleichen Jahr fand am 12. Dezemberdie Weihe statt. Seitdem wurden mehrere Re-novierungen vorgenommen: 1937 wurde dasInnere durch Fresken von Karl Nicolai verän-dert. Nach Kriegsschäden 1944, von denen

das Dach, die Fenster, das Portal, die Orgelund die Sakristei betroffen waren, wurde dieKirche 1952 und 1955 renoviert. Dabei fassteFriedrich Hummel die vorher leeren Felder inder Empore durch Malereien. In den Jahren1972-1974 gestaltete Hubert Distler (1919-2004)den Altarraum neu, u.a. wurde das Kruzifix inden Chorbogen gehängt. Weitere Veränderun-gen waren der Einbau einer neuen Orgel so-wie 1986 zweier Holzreliefs mit DarstellungenJohannes des Täufers und des Apostels Paulusvon Christian Angerbauer (1925-2008). Dievorerst letzte Renovierung unter der künstleri-schen Leitung von Anne Hitzker-Lubin wurde1999 begonnen und 2006 abgeschlossen.

Architektur

Der Saalbau erhebt sich über kreuzförmigemGrundriss mit einer Apsis im Westen, wobeidie Seitenarme im Aufriss niedriger sind. DasMotiv der Dachkreuzung mit vier nach denHimmelsrichtungen weisenden Giebeln, das

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Christuskirche,

Blick zur Orgel

Evangelisch-Lutherische ChristuskircheHaunstetter Straße 2461909 von Ferdinand Schildauer und Ludwig Hebeisen

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den Hauptbau kennzeichnet, wiederholt sichan der Spitze des seitlich stehenden Glocken-turms. Letzterer schließt mit einem aufgesetz-ten Türmchen mit Zwiebelhaube ab. Schon vonAußen dominiert das Bogenmotiv der großenFenster die Architektur; es ist auch in der Dach-form des vorgebauten Eingangsbereichs auf-gegriffen.

Das Innere besticht durch seine Helligkeit so-wie durch die klare, beinahe ungegliederteund schmucklose Architektur. Drei Emporen inden Kreuzarmen sind auf die Apsis ausgerich-tet. Insbesondere aber verleihen die sich kreu-zenden, kassettierten Tonnendecken demRaum Monumentalität und Würde. Aus der Erbauungszeit stammen die hölzernen Wan-gen des Gestühls, die mit stilisierten Rankenim Sinne des Jugendstils gestaltet sind.

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Christuskirche um 1930 (oben)

Gestühlwange (links)

Geschichte

Im Jahr 1885 ließen sich die Diakonissen inAugsburg nieder, litten jedoch bald unter derEnge ihres Domizils, des sog. »Marthaheims«im Inneren Pfaffengässchen. Durch das Erbeder Gräfin Guiot du Ponteil (geb. von Frölich)im Jahr 1886 konnten die Diakonissen dasehem. »Wohnlich´sche Gartengut« erwerben.Der Inspektor und Kirchenrat Friedrich Boeck,konzipierte die Grundstruktur der Anlage miteinem Mutterhaus und dem rechtwinklig an-gefügten Krankenhaus. Um die Option künfti-ger Erweiterungen zu haben, schlug er vor,die Bauwerke in die Nordost-Ecke des Grund-stücks zu setzen. Im Jahr 1888 legte Jean Kel-ler (1844-1921) ein Gutachten für das Diako-nissenhaus vor. Die Planungsphase erwiessich allerdings als äußerst schwierig, da derAugsburger Magistrat kein Krankenhaus im»bevorzugtesten und gesündesten Teile« (FritzSteinhäußer 1902) der Stadt dulden wollte.

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Mutterhaus der EvangelischenDiakonissenanstalt mit KapelleFrölichstraße 171891–1893 von Jean Keller

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Diakonissenhaus um 1910

Die Diakonissen drohten damit, das Projekt inMünchen zu realisieren, 1890 versuchte sogarFriedrich Hessing zu vermitteln und bot seineGögginger Klinik zum Tausch an. Ein Jahr spä-ter schließlich lenkte der Magistrat ein, eskonnte mit dem Bau des neuen Diakonissen-hauses begonnen werden. 1893 wurde dieKapelle geweiht, 1899 eröffnete man eineKleinkinderbewahranstalt und 1901-1902 ent-stand schließlich die sog. »Paulinerpflege«.Gleichzeitig umgab Jean Keller das gesamteAreal auf Drängen der Kommune mit einer re-präsentativen Umfriedung in Backstein undGusseisen, insbesondere zum neu angeleg-ten Prinzregentenplatz. Das Diakonissenhauswurde mehrfach erweitert, 1910 und 1929 ver-größerte man das Krankenhaus, 1912 wurdeein »Feierabendhaus« für die alten Schwes-tern errichtet. Die schweren Kriegszerstörun-gen 1944 machten den Wiederaufbau zwi-

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Kapelle im Diakonissenhaus

schen 1948 und 1954 notwendig. In den Jah-ren 1989 und 1990 wurde das »Paulinerhaus«abgebrochen, in jüngster Zeit auch das »Feier-abendhaus«. An ihrer Stelle und im Park ent-standen zahlreiche Neubauten.

Architektur

Jean Keller wählte für die aus Düsseldorfstammenden Diakonissen eine »norddeut-sche« Backsteinarchitektur – ganz im Sinne eines signalartig eingesetzten Eklektizismus.Das erhaltene Mutterhaus ist ein dreistöckigerBlankziegelbau, wobei das Treppenhaus durcheinen Risalit (Vorsprung) hervortritt. Ein seitli-cher Giebel verleiht der Anlage einen kräfti-gen asymmetrischen Akzent. Nach Westenragt zudem das angebaute Kapellenhaus mitmehreckigem Abschluss und einem Dachrei-ter mit Spitzhelm heraus. Die Formensprachedes Mutterhauses ist zurückhaltend; die seg-mentbogigen Fenster sind durch Kämpfer-steine aus Haustein akzentuiert und im zwei-ten Obergeschoss verdoppelt. Das Hauptge-

sims ist mit einer Frieszone versehen. ZumMittelrisalit ist der architektonische Aufwandmerklich gesteigert: Das Hauptportal mit Säu-len, Fialen (kleine Türmchen), Wimperg (Gie-bel) und Tympanon (Bildfeld über dem Ein-gang) ist eine Mischung aus gotischen undromanischen Elementen. Darüber öffnet sichdas Gebäude mit großen, fein profiliertenTreppenhausfenstern. Hohe, spitzbogigeMaßwerkfenster und Strebepfeiler kennzeich-nen das Kapellenschiff. Das Mutterhaus botPlatz für eine Küche im Souterrain, eine Pfor-te, ein Arztzimmer, die Wohnungen der Oberinund des Inspektors, ein Nähzimmer sowie dieGarderobe und die Schlafzimmer der Schwes-tern, ferner für ein Sitzungszimmer und eineBibliothek. Die Innenräume sind an einemzentralen Mittelgang aufgereiht, wobei derSpeisesaal im Erdgeschoss und die darüberliegende Kapelle auf das Treppenhaus ausge-richtet sind.

Der Innenraum der Mutterhauskapelle mit sei-ner zum Teil an den Seitenwänden herumge-führten Empore im Osten ist kaum gegliedert.Die Spitzbogen der Decke sitzen auf Konsolen,im Chor sind sie über Dienste (Stützen an derWand) zu Boden geführt. Das Gewölbe desChores ist in Blau gehalten und mit Sternenüberzogen. Im Hauptschiff reicht die mehr-eckige, kassettierte Holzdecke nicht bis zu denAnsatzpunkten der Spitzbögen herunter, son-dern lässt Platz für die Fenster. Maßgeblichbestimmen die ornamentalen, teppichartigenWandmalereien den Raumeindruck, wobei dieSockelzone durch Quader abgesetzt ist. AmTriumphbogen mit der seitlich sitzenden, spä-ter vereinfachten Kanzel, sind in zwei Bändernmehrere Sprüche zu lesen: »Meine Seele ver-langt / nach Deinem Heil / und hoffe auf DeinWort / Jesus Christus gestern und heute / Erhat ein Gedächtniß / gedenke Seiner Wunder /der barmherzige Herr / Selig sind die / zumAbendmahl des Lammes / berufen sind / der-selbe auch in Ewigkeit / Selig sind die / GottesWort hören / und bewahren.«

Die bunt verglasten Chorfenster stammen von1954 und greifen die Ornamentik der Malereienauf. Auch das im Altarbereich frei aufgestellteKruzifix zählt nicht zur Erstausstattung.

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1877 das Brautportal. Auch die Kreuz- und Josephskapelle aus dem 18. Jahrhundertmussten weichen.

Die Bischöfe Petrus von Richartz (1783-1855,Bischof von 1836-1855) und Pankratius vonDinkel (1811-1894, Bischof von 1858-1894)wollten die würdige Geschichte des Gottes-hauses mit seinem Langhaus aus dem 10. und11. Jahrhundert und dem Kathedralchor ausdem 14. und 15. Jahrhundert zudem durch eine entsprechende Raumfassung und Aus-stattung unterstreichen. Beginnend mit demOstchor wurde seit 1852 die »gotische Restau-rierung« des Doms vorangetrieben, zur Finan-zierung des Vorhabens wurde der »St.-Ulrichs-Verein« gegründet. Die barocke Ausstattungdemontierte man fast vollständig, Teile davonwurden an die Umlandgemeinden verkauft.Zunächst schufen die Bildhauer Joseph Knabl

Hohe Domkirche Mariä HeimsuchungFrauentorstraße 1Neuausstattung zwischen 1852 und 1863

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Geschichte

Die Augsburger Bischofskirche wurde in ihrerlangen Baugeschichte stetig verändert, ver-größert und neu ausgestattet. Ausschlagge-bend hierfür waren meist Reformen der Litur-gie oder ein Wandel der Architekturästhetik.Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigte sichder Mariendom noch in einer Fassung des 17. und 18. Jahrhunderts. Bereits 1808 kam esaber zu massiven Eingriffen: Der gesamteDomfriedhof und die Dompfarrkirche St. Jo-hannes wurden niedergelegt, um einen Exer-zierplatz zu schaffen. Die Eingliederung desBistums in das Königreich Bayern im Zuge derSäkularisierung (Verstaatlichung) hätte keindeutlicheres Signal finden können. Die nunfreigelegte Südseite der Kathedrale musstevon den Spuren der abgebrochenen Gebäude»bereinigt« werden. Im Jahr 1809 wurde des-halb die barocke Johann-Nepomuk-Kapelleniedergelegt, an ihrer Stelle entstand 1863/

Dom um 1900, Blick zum Chor mit den Tafeln von Jörg Stocker im Vordergrund

Tag des offenen Denkmals 201111

(1819-1881) und Anselm Sickinger (1807-1873)einen neuen Hochaltar. Die königlich bayeri-sche Glasmalereianstalt unter Max EmanuelAinmiller (1807-1879) lieferte neue Buntglas-fenster nach Entwürfen Johann Schraudolphs(1808-1879), u.a. eine Marienkrönung im gro-ßen Ostchorfenster.

Unter Pankratius von Dinkel änderte sich dieAusrichtung der »Domrestaurierung«. Sie war nun stärker orientiert an zeitgenössischenVorstellungen von Denkmalpflege, wie sie Eugène Viollet-le-Duc (1814-1879) verfochtenhatte und unter König Ludwig I. (1786-1868)auch in Bayern zur gängigen Praxis wurden –allerdings ohne die genauen Bauuntersuchun-gen des Franzosen. Maßgeblich wurde eine»Idealvorstellung« von Gotik. Die Wände desDoms wurden in einem bräunlich-gelben Tongestrichen, um den »mittelalterlichen«, »alter-tümlichen« Raumeindruck zu festigen. Mankaufte nun »altdeutsche« Kunstwerke der Zeitum 1500 aus Kirchen des Bistums oder demKunsthandel an und integrierte sie in die neu-gotische Ausstattung: Aus der Pfarrkirche Unterknörringen kamen die Tafel des »Marien-altars« (1484 von Jörg Stocker, (nachweisbarvon 1484-1514)), aus Wiener Privatbesitz dieFlügel des berühmten »Weingartener Altars«(1493) von Hans Holbein d.Ä. (1460/65-1524),für die Konradkapelle im Umgang wurde die»Freisinger Heimsuchung« (um 1475) erwor-ben – um nur drei wichtige Beispiele zu nen-nen. Andreas Eigner (1801-1870), Carl Glockerund Johannes Kagler behandelten die Kunst-werke restauratorisch, Joseph Otto Entres(1804-1870) stellte neugotische Altargehäuseher. Die neuen Altäre wurden annähernd an-stelle der abgebauten Barockaltäre u.a. anden Seitenpfeilern des Hauptschiffes errichtet,Caspar von Zumbusch (1830-1915) lieferte eineneue Kanzel.

Die düstere »schmutzige« Raumfarbigkeit wieauch die neugotischen Altargehäuse wurdenbereits in den 1920er Jahren kritisiert – Georg

Dehio (1850-1932) hatte der Denkmalpflegemit seiner Devise »Konservieren, nicht restau-rieren!« einen neuen Leitspruch geliefert. Deshalb wurde der Augsburger Dom ab 1934einer weiteren Umgestaltung unterzogen, dienun verstärkt auf bauhistorischen Befundenbasierte. Die neugotische Ausstattung wurdein dem Ringen um »Ursprünglichkeit« zum Teilradikal vereinfacht.

Erhaltene Ausstattung

Dennoch blieben die beiden Orgelgehäuse imOstchor sowie einige Altäre des 19. Jahrhun-derts erhalten. Der Thekla-Altar und der Mariä-Schmerzen-Altar im Westquerhaus sowie dieAltäre in den Kapellen im Ostchorumgang sindimmer nach einem ähnlichen Schema gestal-tet: In die diffizil mit Maßwerk verzierten undvergoldeten neugotischen Rahmen wurdenoriginale oder nachempfundene Reliefs undTafelbilder der Zeit um 1500 eingefügt. Für dieGertrudkapelle sicherte sich Pankratius vonDinkel sogar einen vollständigen gotischen Altar aus der Heilig-Kreuz-Kirche in Augsburg(ca. 1510) und verhinderte so einen Verkaufnach München für die Restaurierung der Frau-enkirche. Gut erhalten sind die neugotischeRahmung des Altars in der Augustinuskapelle,die Tafeln nach Holzschnitten Albrecht Dürers(1471-1528) aus der Zeit um 1579 einfasst, so-wie das Gehäuse des Altars in der Wolfgang-kapelle mit Christoph Ambergers (1505-1561/62) Dombild von 1554. Der Mariä-Schmer-zen-Altar (im südlichen Arm des Westquerhau-ses) birgt dagegen die um 1860 entstandenefreie Replik einer um 1510 entstandenen Be-weinungsgruppe aus der Pfarrkirche in Hösel-hurst bei Neuburg an der Kammel.

sich ein Kirchenraum von machtvoller Weiteauf. Das breite Hauptschiff ist von einer reichgegliederten und ornamentierten Flachdeckeüberfangen und öffnet sich durch Bogen zumBereich unter der Orgelempore, zu den Quer-armen, zum ebenfalls flachgedeckten Chorund zu den gewölbten Seitenschiffen. Aller-dings fehlt der Vierung ein vierter Bogen zumHauptschiff, was den Raum noch großzügigererscheinen lässt. Den Pfeilern sind Säulen mitPhantasiekapitellen vorgestellt. Die Dienste(vorgelagerte Stützen) zum Hauptschiff tragenlediglich die 1909 angekauften Holzskulpturender zwölf Apostel (1742) von Josef MatthiasGötz (1696-1760).

Ausstattung

Der sehr klare Raum ist maßgeblich bestimmtvon seiner Ausstattung, die gestalterisch imChor kulminiert. An den Wänden der Seiten-schiffe und des Querhauses zieht sich ein be-schrifteter Kreuzweg von Theodor Baierl ent-lang. Ursprünglich waren die Wandzonendarunter im gleichen Violett gefasst wie deruntere Chorbereich. Im Zentrum des Bildpro-gramms, das von Pfarrer Anton Schwab mit-entwickelt und zum Großteil von ChristophBöhner ausgeführt wurde, steht der Glaubean eine Erlösung durch Christus, wie die In-schrift im Schildbogen der Apsis verrät: »Kom-met zu mir alle die ihr mühselig und beladenseid«. Darüber streben der ehrliche SchächerDismas mit dem Kreuz, Maria Magdalena mitdem Salbgefäß, Petrus mit den Schlüsselnund David mit der Harfe von der einen Seite,mehrere Hilfe suchende Menschen von deranderen Seite einem Kreuz mit dem HerzenJesu zu. Über ihnen kommen Engel mit Krän-zen und Lampen herbei. Beginnend mit Adamund Eva zieht sich ein zweiter Prozessionszugin die Apsis hinein, bis zur thronenden Chris-tusfigur im Zentrum. Sogar ein Indianer hatsich den Mühseligen und Beladenen ange-schlossen. In den Feldern darunter verheißt

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Katholische Stadtpfarrkirche Herz JesuAugsburger Straße 23a1907-1910 von Michael Kurz

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Geschichte

Pfersee entwickelte sich durch seine Nähe zuAugsburg im 19. Jahrhundert zum »Industrie-dorf«, das im Jahr 1911 eingemeindet wurde.Es kam zu einer regelrechten Bevölkerungs-explosion: Lebten hier im Jahr 1850 noch 900Einwohner, so waren es 60 Jahre später 11000.Die alte Pfarrkirche St. Michael war der gro-ßen Kirchengemeinde nicht mehr gewachsen.Deshalb fasste man seit Ende des 19. Jahrhun-derts einen zusätzlichen Neubau ins Auge,1892 wurde ein Kirchenbauverein gegründet.1907 konnte schließlich der Grundstein für dievon Michael Kurz (1876-1957) entworfeneHerz-Jesu-Kirche gelegt werden, drei Jahrespäter weihte Bischof Maximilian von Lingg(1876-1957) das Gotteshaus. Die Arbeiten ander Innenausstattung von Christoph Böhner(1881-1914), Theodor Baierl (1881-1932), HansBockhorni, Karl Baur (1881-1968) und JakobRehle (1870-1934) zogen sich hin: Die ange-baute Marienkapelle wurde erst 1930-1931 aus-gemalt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgtein Etappen eine komplette Restaurierung.

Architektur

Die Herz-Jesu-Kirche liegt zurückversetzt vonder Augsburger Straße und steht zu dieserleicht schräg – ein geschickter Schachzug desArchitekten, um einen Vorplatz zu gewinnen.Die wuchtige Basilika mit Querhaus und ange-fügter Apsis (Altarnische) im Osten weist imWesten einen 72 m hohen Turm auf. Dessencharakteristisch geschwungene Turmhaubedominiert die umliegenden Stadtteile Augs-burgs. Die Vierung ist durch einen kleinenTurm markiert. An den Chor sind die Sakristeiund die Marienkapelle gebaut. Mehrere kleineAnnexe rhythmisieren die großflächige neu-romanische Architektur. Unter dem Westturm liegt im Innern eine Vor-halle, seitlich davon eine Beicht- und eine Tauf-kapelle. Beim Betreten des Langhauses tut

die Inschrift Errettung: »Euer Gott selbst wirdkommen und Euch erlösen«. Auch das Zitatunter den Fenstern zielt in diese Richtung:»Geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen,glimmenden Docht nicht auslöschen«. In derChorwölbung schwebt, umgeben von orna-mentalen goldenen Strahlen, die Taube desHeiligen Geistes. An den Seitenwänden desChores sind die sieben klugen und die siebentörichten Jungfrauen, das Lamm Christi aufdem Buch mit den sieben Siegeln sowie dieweißen Hirsche am goldenen Brunnen mit densieben Quellen zu sehen. Das Bildprogrammumfasst auch Moses, Elias, Joachim und Annaüber den Seitenaltären, die Evangelistensym-bole in den Apsisfenstern sowie die symbo-lisch untermalten Seligpreisungen in den Sei-tenschifffenstern.

Frei in der Apsis steht der wuchtige Hauptaltarmit seinem goldenen Ziborium (Kuppel) aufacht Säulen aus Calcatta-Marmor. Auf dem Tabernakel von Jakob Rehle sind vier SymboleChristi zu sehen: Das Osterlamm steht für denOpfertod, der Vogel Phoenix für die Auferste-hung, das Einhorn für Unüberwindlichkeit undReinheit und der Pelikan für hingebende Liebe.Auf dem Ziborium sitzt das namensgebendeHerz Jesu, direkt vor dem zentralen Welten-richter der Apsisbemalung. Der linke Seiten-altar zeigt ein Engelsfries und im Bogen darü-ber den ungläubigen Thomas; auf dem rechtensieht man Christus als Kinderfreund sowie dieJugendpatrone Aloisius und Agnes und im Bogen darüber die Geburt Christi. Karl Baur

widmete das Kanzelrelief Christus, der Brotverteilt, u.a. an Soldaten des Ersten Welt-kriegs. Reliefs auf dem Kanzelkorb zeigen dieArche Noah sowie die Evangelistensymbole.Dagegen ist der Schalldeckel mit der Taubedes Heiligen Geistes sowie mit dem guten Hir-ten besetzt.

Zur Ausstattung zählen ferner zahlreicheLeuchter, die von der Bronzewarenfabrik L.A.Riedinger gestiftet wurden. Die Verkabelungist sichtbar und in ein Geflecht aus Jugendstil-Ornamenten eingebunden.

Insgesamt zeigt die Herz-Jesu-Kirche den Ver-such, eine angemessene Form für den Sakral-bau jenseits eines strengen Historismus zufinden. Die Ikonografie (Bildersprache) solltedurch Anspielungen auf damals aktuelle Er-eignisse wie die Verfolgung der Indianer oderden Ersten Weltkrieg auch für Gläubige desfrühen 20. Jahrhunderts zugänglich sein.

Marienkapelle

Die Stuckdecke der Kapelle zeigt Symbole ausder Lauretanischen Litanei (Mariengebet), diegemalten Bildfelder von Theodor Baierl Szenenaus dem Marienleben. Die Figuren sind unver-mittelt vor den flächigen Hintergrund gesetzt.Auf dem Altar thront ein Bildwerk Mariens mitdem Christuskind.

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Herz Jesu um 1920 Herz Jesu, Hauptaltar um 1920

Geschichte

Georg Käß (1823-1903) kam 1844 nach Haun-stetten, das gerade zu einem wichtigen Indus-trie-Standort heranwuchs. Er wurde 1847 zu-nächst Teilinhaber der Haunstetter Bleiche, dieer 1860 vollständig erwarb und schließlich imJahre 1888 wieder an Clemens Martini ver-kaufte. Wie viele andere Unternehmer wurdeGeorg Käß auch sozial aktiv und errichtete eine Stiftung zur Errichtung eines Armen- undKrankenhauses und einer Kleinkinder-Bewahr-anstalt. Nach seinem Tod wurde 1904 ein prachtvollesMausoleum nach Entwürfen des Ulmer Müns-terbaumeisters Karl Bauer (1883-1914) errichtet.

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Gebäude

Die Käßsche Grabstätte steht an der nördli-chen Umfassungsmauer des Alten Haunstet-ter Friedhofes und ist durch eine Umfriedungabgegrenzt. Das aus Kalkstein errichtete Mau-soleum erinnert an byzantinische Kreuzkup-pelkirchen. Es besteht aus einem zentralenquadratischen Baukörper mit aufgesetzterachteckiger Kuppel, an den sich zwei seitlicheAnbauten anschließen. Auch der Eingangsbe-reich ist durch eine vorgeblendete Portalwandhervorgehoben. Das Giebelrelief zeigt in einerMandorla (Glorienschein) Christus als Welten-herrscher umgeben von musizierenden En-geln. Darunter verweist ein Jesaias-Zitat auf

Käßsches Mausoleum, Decke von Wilhelm Köppen

Käßsches MausoleumBürgermeister-Widmeier-Straße 551904 von Karl Bauer

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die Bestimmung des Bauwerks als Ort der To-ten: »Die der Herr erlöset hat kehren zurückund kommen nach Sion unter Lobgesang /ewige Freude krönet ihr Haupt«. SchmaleRundbogenfenster mit farbigen Scheiben las-sen das Licht nur gedämpft in den Innenraumdringen. Von dem zentralen Kuppelraum sinddie Seitenarme durch Dreierbögen und schmie-deeiserne Gitter getrennt; auf der westlichenSeite führt eine Treppe in die Gruft hinunter.Die Innenausstattung zeugt formal und ikono-grafisch von einer ausgesprochen sensiblenBeobachtung frühchristlicher und byzantini-scher Architektur; hieran wird die Absicht deut-lich, den Historismus zu reformieren. Höhe-punkt der Ausstattung ist die Mosaikdeckevon Wilhelm Köppen (1876-1917) mit den vierEvangelisten und vier Engeln in klarer Frontal-ansicht. Der Zenit des Gewölbes ist mit einemvon den Buchstaben Alpha und Omega einge-fassten Pax-Zeichen besetzt – Symbole für dieVergänglichkeit und das ewige Leben.

Ansonsten dominiert die Architekturgliede-rung, weil die Wände steinsichtig belassenwurden. Letztere sind durch drei Ädikulen(vorgeblendete Häuschen) akzentuiert, dieüber dem Altar Christus sowie seitlich das Opferlamm einmal mit Kreuz und einmal mitPalme zeigen. Die Reliefs sind Arbeiten desBildhauers Bruno Diamant (1867-1942) undwerden ergänzt durch Ausschnitte aus demJohannes-Evangelium. Neben der Christus-darstellung ist zu lesen: »Ich bin die Auferste-hung und das Leben / Wer an mich glaubt wirdewig leben«. Die seitlichen Reliefs sind flan-kiert von den Zitaten »Ich bin der Weg, dieWahrheit und das Leben / Niemand kommtzum Vater ausser durch mich« und »Im Hausemeines Vaters sind viele Wohnungen / Ich ge-he hin für euch einen Ort zu bereiten«. Seitlichdes Altars wurden Gedenksteine für GeorgKäß und seine Tochter Marie Gräfin von Tatten-bach eingelassen.

Die gesamte Bildsprache im Innern, an denAußenfassaden und an den Stelen der Einfrie-dung kreist um die Todes- und Wiederauferste-hungssymbolik. Für die emblematischen Dar-stellungen wurden wiederum frühchristlicheVorbilder wirksam: Weinreben versinnbildli-chen die Auferstehung Christi, ferner stehenPfaue für das ewige Leben, da ihr Fleisch lautAugustinus nicht verwesen soll. Schließlichverkörpert der Hirsch die nach Gott verlangendeund das Pferd die zu Gott aufsteigende Seele. Zum Mausoleum gehören die beiden seitli-chen Grabstellen, die für verdiente Angestellteder Familie Käß angelegt wurden.

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Käßsches Mausoleum

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SynagogeHalderstraße 6, 81914 - 1917 von Fritz Landauer und Heinrich Lömpel

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Geschichte

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Augs-burgs reicht bis ins Mittelalter zurück. Eineerste Synagoge ist bereits im 12. Jahrhunderterwähnt. Mitte des 15. Jahrhunderts musstenlaut Magistratsbeschluss sämtliche Juden dieFreie Reichsstadt verlassen, konnten in Augs-burg aber weiterhin Handel treiben. Sie sie-delten zum größten Teil in die nahen DörferPfersee und Kriegshaber im damaligen Vor-derösterreich über. An der Landstraße nachUlm wurde 1750 eine Synagoge errichtet, diehundert Jahre später neu gebaut wurde; inKriegshaber lag zudem ein großer jüdischerFriedhof. Als Folge der Judenemanzipation im19. Jahrhundert bildete sich auch in Augsburgwieder eine Gemeinde. Durch das Engage-ment von Jakob Obermayer und seines Soh-nes entstanden ein Betraum am Obstmarktund schließlich eine Synagoge an der Winter-gasse. Bald jedoch benötigte die stetig wach-sende jüdische Gemeinde ein größeres Bau-werk und rief 1896 einen Synagogenbauvereinins Leben.

Im Jahr 1903 konnte das Degmair´sche Gar-tengut an der heutigen Halderstraße erwor-ben werden, es dauerte allerdings noch achtJahre, bis ein Wettbewerb zum Neubau einerrepräsentativen Synagoge ausgeschriebenwerden konnte. Die siegreichen Entwürfe derArchitekten Fritz Landauer (1883-1968) undHeinrich Lömpel (1877-1951) wurden ab 1914in die Realität umgesetzt, am 4. April 1917wurde das prächtige Bauwerk eingeweiht.

Die NS-Zeit bedeutete das Ende des blühen-den jüdischen Lebens, zahlreiche AugsburgerJuden wurden Opfer des Holocaust, die meis-ten konnten rechtzeitig fliehen. In der Reichs-pogromnacht 1938 schändete der NS-Mob dieSynagoge, löschte das bereits gelegte Feueraber wieder, da in unmittelbarer Nachbar-schaft eine Tankstelle lag. Bis 1945 diente derSakralbau als Kulissenlager des Stadttheaters.Nach dem Zweiten Weltkrieg formierte sich er-neut eine jüdische Gemeinde, erst 1963 konn-

te allerdings die Kleine Synagoge wieder ihreralten Bestimmung zugeführt werden. Am 1. September 1985 schließlich wurde diesanierte Große Synagoge eingeweiht, nun er-gänzt um ein Jüdisches Kulturmuseum.

Architektur

Der Baukomplex ist streng axial aufgebaut.Zwei Gemeindebauten direkt an der Halder-straße fügten sich in die ehemals offene Villen-bebauung ein und rahmen die zurückversetzteGroße Synagoge. Zur Straße öffnet sich mitdrei Bogen eine Eingangshalle. Zwei niedrigereTrakte verbinden die Gemeindebauten mit derGroßen Synagoge und fassen einen Innenhofmit Sphinxbrunnen. Der östliche dieser Seiten-flügel für die Werktagssynagoge mit dem Trau-saal ist nach Osten mit einem zusätzlichenBrauttor versehen, der westliche nimmt dasFoyer mit der Garderobe und dem Davidbrun-nen für die rituelle Handwaschung vor demGottesdienst auf. Die daran anschließendeGroße Synagoge erhebt sich über dem Grund-riss eines gleicharmigen Kreuzes. Der kubischeMittelteil ragt über die vier Kreuzarme mit ihrenSatteldächern hinaus und schließt mit einervon Löwen flankierten Eisenbetonkuppel ab.Das Innere des Zentralbaus mit seiner an dreiSeiten umlaufenden Frauenempore ist dunkelgefasst. Es ist klar nach Osten orientiert, wodie Mosaik-geschmückte Nische für die Thora(die fünf Bücher Mose) und das Ewige Licht lie-gen, zudem eine erhöhte Predigerkanzel unddavor ein Lesepult für den Kantor (der Leiterdes Gottesdienstes). Kantor und Synagogen-vorstand finden während des Gottesdienstesseitlich auf zwei thronartigen Sitzen Platz. EineInschrift über der Thora-Nische verkündet dieMahnung »Wisse, vor wem Du stehst». DieEmpore darüber nahm ursprünglich eine Orgelauf – Zeichen der progressiven Ausrichtung derAugsburger jüdischen Gemeinschaft, die diedeutsche Predigt sowie Orgelspiel und Chor-gesang in den traditionellen jüdischen Gottes-

dienst einführte. Im Jahr 1940 wurde die Orgelnach Weßling verkauft, heute steht hier einsiebenarmiger Leuchter. Fünf Medaillons überder Orgelempore symbolisieren die fünf hohenFeste der mosaischen Religion: Pessach mitGerste, Sukkot mit Traube, Jom Kippur mit derhebräischen Inschrift »Sabbat der Sabbate«,Rosch ha-Schana mit Widderhorn und Scha-wuot mit Weizenähre. Seitlich stehen die beiden Greife mit den sie-benarmigen Feiertagsleuchtern. Der Bereichder Gemeinde ist durch Medaillons mit Sinn-bildern für die zwölf Stämme Israels auf derBrüstung der Frauenempore auch symbolischcharakterisiert. An den vier Übergängen vonden Tonnengewölben der Seitenarme in dieKuppel sind vier sechseckige emblematischeReliefs angebracht, deren Inhalt von demAugsburger Rabbiner Richard Grünfeld (1862-1931) entwickelt wurde. Die unterschiedlichenBäume stehen für die Thora. Der geflügelteLöwe mit der Thora und den Gesetzestafelnbezeichnet die Lehre des Judentums. Dage-gen weist der Brandopferaltar auf die Gebets-praxis seit der Zerstörung des Tempels hin.Die vier Kronen symbolisieren einen Spruchaus den »Sprüchen der Väter« demzufolge die Krone des guten Namens die Kronen der

Gelehrsamkeit, des Priestertums sowie desKönigtums überstrahlt. Schließlich zeigt dasletzte Bildfeld die Wirkung der Gottesfurcht,die als Lebensquelle zum Aufblühen des Ge-rechten (der datteltragenden Palme) und zumFrieden (der Taube) führt. Über dem Raum,der durch seine gedämpfte Beleuchtung bei-nahe entrückt wirkt, wölbt sich die Kuppel, de-ren netzartiges Ornament den Sternenhimmelabbildet. Zahlreiche Leuchter verstärken die-sen Effekt.

Es ist bezeichnend für die Zeit vor dem ErstenWeltkrieg, dass Fritz Landauer und HeinrichLömpel auf ihrer Suche nach einem dem jüdi-schen Ritus würdigen Baustil ähnlich wie Michael Kurz bei der Pferseer Herz-Jesu-Kircheauf byzantinische Formen zurückgriffen. Dieklare Verteilung der Baumassen und die flächi-ge, »ursprüngliche« Gestaltung byzantinischerArchitektur kamen dem Streben nach einer Reform des überladenen Eklektizismus ent-gegen.

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Synagoge um 1985

Geschichte

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde Augs-burg von mehreren Pestepidemien heimge-sucht. Die Kranken wurden von Kapuziner-mönchen betreut, die seit 1601 in der Stadtansässig waren. Im Jahr 1612 ließ die Stadtdurch Elias Holl (1573-1646) außerhalb derMauern einen katholischen Pestfriedhof samtKapelle und Hospiz für die betreuenden Ordensleute anlegen. Diese Bauten wurdenbereits im Schwedenkrieg 1632 zerstört, elfJahre später aber wieder errichtet. In den Jah-ren 1722/23 wurde eine größere Kapelle samtMesnerhaus errichtet, die 1809 durch dasbayerische Königreich geschlossen wurde. Bereits ein Jahr später wurde die Kirche aufDruck der Bevölkerung wieder geöffnet undseit 1843 erneut von den Kapuzinern genutzt.Die heutige Anlage geht auf das Jahr 1906 zu-rück, als das Kloster unter P. Bernardin Bühlervergrößert wurde. Hans Benedikt Schurr(1864-1934) schuf gemeinsam mit den MalernSebastian Wirsching (*1864) und LeonhardThoma (1864-1921) sowie dem Dekorateur Josef Guntermann (1856-1932) den Neubau,der 1909 geweiht wurde. Im Jahr 1968 wurdedie Klausur aufgehoben, es entstand das

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Sankt Sebastian

um 1910

Sankt SebastianSebastianstraße 261906-1907 von Hans Benedikt Schurr

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»Franziskanische Zentrum«, das bis 2008 exis-tierte. Nunmehr zählt die Sebastianskirche zurPfarrgemeinde St. Georg. Bei Renovierungen1931/32 und 1953 wurde die Raumfassung desSakralbaus vereinfacht; im Zuge weiterer Sa-nierungsarbeiten zwischen 1983 und 1999 wur-den insbesondere die Dekorationsmalereienwieder hergestellt.

Architektur

Der Sakralbau steht umgeben von den Fabrik-hallen der M.A.N. an der Sebastianstraße. Eshandelt sich um einen wuchtigen Längsbaumit mächtigem Satteldach, integrierter Vorhallezur Straße, einem Langchor, einem Seiten-schiff, sowie zwei angefügten Kapellen. DieDreigliederung der Hauptfassade mit ihrenPortalen und Blendbögen spiegelt den Innen-raum nicht wider: Zunächst betritt man die Vor-halle, über der die Orgelempore liegt. DasLanghaus ist eine große Halle, deren Tonnen-decke von Wandpfeilern und Gurtbögen aufge-spannt wird. Das Stützensystem teilt das Schiffin drei Joche (Abschnitte), die mit Stichkappen

in das Tonnengewölbe stoßen, wodurch Platzfür die Fenster bleibt. Pro Joch öffnen sichzum Seitenschiff im Norden zwei Bögen, imSüden dagegen ist eine entsprechende Glie-derung nur vorgeblendet. Die hölzerne Kanzelbildet hier einen deutlichen Akzent. Die Chor-mauer wirkt raumbestimmend, da der zwei-jochige, ebenfalls tonnengewölbte Chor starkeingezogen ist. Zudem ist das Bodenniveaugegenüber dem Langhaus leicht angehoben.

Ausstattung

Der klare, neuromanische Raum wird vor allem von seiner leuchtenden Bemalung be-stimmt. Alle Architekturglieder sind mit einerMarmortextur oder mit Ornamentbändernhervorgehoben. Die Langhauswände sind vonstilisierten Ranken überzogen, eingefügt sindBildfelder mit dem von Josef Guntermann aufLeinwand gemalten Kreuzweg sowie Darstel-lungen der Propheten. In der Fensterzone da-rüber sind die zwölf Apostel zu sehen.

Das Bildprogramm ist auf Josef GuntermannsSebastianslegende in der Apsis ausgerichtet,die in eine prachtvolle Gesamtkompositioneingebunden ist. Gleichsam als Rahmen dientdie Chormauer mit Darstellungen Christi undder apokalyptischen Maria von Sebastian Wir-sching. In das bogenförmige Bildfeld darübermalte Leonhard Thoma Gottvater mit demLamm Christi, umgeben von mehreren Engeln,den vier Wesen als Symbole der Evangelistenund den 24 Ältesten. Seitlich stehen Johannes

der Täufer und Johannes der Evangelist. Kom-positorisch ist Gottvater auf Sebastian Wir-schings thronenden Christus in der Wölbungder Chorapsis bezogen. Maria, Josef, Petrus,Paulus und Johannes der Täufer, ferner dieBistumspatrone Ulrich und Afra sowie Notbur-ga und Sebastian haben sich um den Gottes-sohn versammelt. Zwei Schriftbänder unter-streichen das auf den Gedanken der Erlösungausformulierte Bildprogramm: Direkt überdem Chorbogen, dessen Laibung mit Symbo-len der sieben Sakramente besetzt ist, stehtder folgende Schriftzug: »Sanctus, sanctus,sanctus, dominus deus omnipotens qui erat et qui est et qui venturus est (heilig, heilig,heilig, Herr, allmächtiger Gott, der war, der istund der kommen wird)«. Auf dem Bogen vorder Apsis dagegen steht: »Venite benedicti patris mei, percipite regnum quod vobis para-tum est a Christi tutine mundi (Kommt, Ge-segnete meines Vaters, gewinnt das König-reich, das Euch bereitet ist)«.Die drei Altäre fügen sich in das Gesamtbildein. Auf dem freistehenden Hochaltar verwei-sen Engel auf Leben und Passion Christi, dieSeitenaltäre sind Antonius von Padua undFranziskus gewidmet und enthalten Reliquiender Heiligen Luzius und Wolfhard.

Direkt neben dem Durchgang zur angebautenMarienkapelle an der Stirnwand des Seiten-schiffes steht ein vierter Altar. Dieser ist demGatten Marias, dem heiligen Josef gewidmet,der als zentrale Skulptur zu sehen ist; die seit-lichen Heiligen sind Berardin von Siena undTheresa von Avila. Auf dem Bildfeld darübersteht das Sterben Josefs exemplarisch für den»guten Tod« des redlichen Menschen.

Zur beweglichen Ausstattung zählt insbeson-dere eine Muttergottesstatue in der Vorhalle(um 1630) von Hans Degler (1564-1632).

Marienkapelle

Der einfache längsgerichtete Raum mit einge-zogenem Chor und stuckierter Tonne ist weißgekalkt. Eine Nachbildung des Gnadenaltarsvon Altötting bildet das Zentrum der Kapelle.

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Sankt Sebastian um 1985

Geschichte

Weil die reichsstädtischen Friedhöfe nichtmehr ausreichten, erweiterte die Stadt in denJahren 1914-1915 den alten Pferseer Gottes-acker zum ersten kommunalen Friedhof inAugsburg. Nach dem Vorbild des 1905 ent-standenen Münchner Waldfriedhofes vonHans Grässel (1860-1939) entstand unter derRegie von Josef Weidenbacher (*1886) eingroßzügiger »Totenhain«, in den ein angren-zendes Wäldchen einbezogen wurde.

Anlage

Die Grundstruktur des Westfriedhofes ist vonder zentralen Achse zwischen dem Eingangs-gebäude und der Aussegnungs- und Aufbah-rungshalle bestimmt. Alle anderen Wege ver-laufen unregelmäßig und geschwungen, alsoscheinbar natürlich. Ihre Kreuzungspunktesind durch repräsentative Grabdenkmälermarkiert. Modern waren in den 1910er Jahrenraue Natursteine wie Muschelkalk, Travertinoder Nagelfluh, die im Gegensatz zum glän-zend polierten Marmor der älteren Grabmals-kunst standen. Als Bildhauer für die Bronzefi-guren wurde häufig Jakob Rehle (1870-1934)engagiert.

Eingangsgebäude

Von der Stadtberger Straße durch ein Auf-fahrtsrondell deutlich zurückversetzt liegt daseinstöckige Eingangsgebäude, das durch einen Schneckengiebel Holl´scher Prägungund ein zentrales dreibogiges Tor gekenn-zeichnet ist. Im Giebel steht eine Figur Christials Erlöser (Salvator).

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Westfriedhof und AussegnungshalleStadtberger Straße 80a1914-1915 von Hans Weidenbacher und Otto Holzer

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Westfriedhof, Aussegnungshalle

Aussegnungshalle und Krematorium

Wie das Entree wurde auch die Aussegnungs-halle von dem damaligen Augsburger Stadt-baurat Otto Holzer (1874-1933) errichtet. Siebesteht aus einem Kubus mit abgeschrägtenEcken, Eingangsloggia, Rundbogenfensternund mächtigem Mansarddach mit Tambour-kuppel sowie dem niedrigeren basilikalen Anbau mit Dachreiter für die Leichenhalle. Der betonte »Heimatstil« mit Elementen einer»süddeutschen« Architektur wurde zu dieserZeit von Theodor Fischer (1862-1938) als Ge-genentwurf zum schematischen Historismuspropagiert.

Der Innenraum der Aussegnungshalle ist aufein konvex vorspringendes Bronzegehäuseausgerichtet, das den Mittelpunkt der Trauerin-szenierung bildet: Hier kann der Sarg lautlosheraus- und für die Feuerbestattung ins Kre-matorium weitergeschoben werden. Dassüberhaupt ein Krematorium angelegt wurde,war für die Erbauungszeit höchst progressiv,da sich die katholische Kirche lange gegen dieFeuerbestattung gewehrt hatte.

Im Innern der Aussegnungshalle wurde auf eine konfessionell gebundene Bilderspracheverzichtet. Entlang der Raumkanten und Ge-simse verlaufen abgesetzte Streifen mit Ran-kenornamenten. Die Architekturgliederungmit ihren Dreiecksgiebeln ist aus Kieseln, Mu-scheln und Schneckenhäuschen zusammenge-setzt. In den schrägen Ecken scheinen vierweiß gekleidete Frauen zu schweben, die aufdas Jenseits verweisen. Den Durchbruch zumKuppelfenster fassen ein netzartiges Orna-ment und ein Ring mit den Tierkreiszeichen.Die insgesamt gedeckte Farbigkeit und dasdurch die Buntglasfenster nur gedämpft ein-dringende Licht verleihen dem Raum einemystische Atmosphäre.

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Westfriedhof, Aussegnungshalle um 1920

Westfriedhof,

Aussegnungshalle,

Decke (oben)

Wandverkleidung (links)

Hessing Kliniken und Kurhaustheater1880-1893 von Jean Keller und Karl Albert Gollwitzer

a) Orthopädische Heilanstaltb) Kurhaustheater

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Milchkuralpe und eigenem Kurhaustheaterverhalf. Nach dem Tod Hessings 1918 ging die Orthopä-dische Klinik in eine Stiftung über, bedingtdurch die Auswirkungen des Ersten Weltkrie-ges blieben aber die wohlhabenden Patientenaus. In den Jahren 1954/55, 1959-1962 sowie1980-1995 wurden die Kliniken erneuert, dabeifiel leider ein Großteil der Bausubstanz demAbbruch zum Opfer. Auf dem Areal entstandenin jüngster Zeit zahlreiche Neubauten.

Dramatischer verlief die Geschichte des Kur-haustheaters. Sein chronisch defizitärer regel-mäßiger Spielbetrieb wurde 1925 eingestellt,es traten aber weiterhin Theatergruppen auf,im Jahr 1942 erfolgte der Umbau zum Kino.Unter der künstlerischen Leitung Ralph MariaSiegels erlebte der Theaterspielplan eine Renaissance, das Gebäude wurde nochmalsumgebaut. Nach der erneuten Nutzung als Kino kam 1963 das Aus für die Kurhaus-Licht-spiele, in den 1970er Jahren drohte dem Kur-haus gar der Abbruch. 1972 brannte es voll-ständig aus, wodurch die bis dahin umbauteEisenkonstruktion wieder sichtbar wurde. Zwi-schen 1988 und 1996 erfolgte eine Sanierungund Rekonstruktion der Raumfassung. Seit-dem wird das Kurhaus von der »ParktheaterGöggingen GmbH« genutzt.

Tag des offenen Denkmals 2011 22

Hofrat Friedrich von

Hessing (1838–1918)

Jean Keller

(1844-1921)

Geschichte

Friedrich Hessing (1838-1918) aus Schön-brunn bei Rothenburg ob der Tauber machteeine für das 19. Jahrhundert bezeichnendeKarriere. Er stammte aus ärmlichsten Verhält-nissen und erlernte zunächst das Schreiner-handwerk. Zum Wendepunkt wurde eine Be-gegnung mit dem Orgelbaumeister GeorgFriedrich Steinmeyer (1819-1901), der demjungen Friedrich eine Ausbildung zum Har-moniumbauer in Stuttgart ermöglichte. ImAnschluss führte Hessing eine Anstellung alsGehilfe bei der Pianoforte-Fabrik Schramm1862 nach Augsburg. Dort machte er sichselbständig und entwickelte bald ein Interessefür orthopädische Hilfsapparate. 1868 grün-dete er eine orthopädische Heilanstalt amJakobertor, die schon ein Jahr später in dasehemalige Landgerichtsgebäude von Gög-gingen übersiedelte. Hessing trat mit zahlrei-chen Erfindungen hervor, dazu zählen dasHessingkorsett, der verbesserte Schienen-Hülsen-Apparat zur Führung gelähmter odergeschwächter Gliedmaßen, ein speziellerLeimverband, eine Tragbahre mit Rad für denErsten Weltkrieg sowie einen Kriegsrucksackmit Hüftgurt. Obwohl seitens der Ärzteschaftkritisch beäugt, war der Erfolg der GöggingerHessing-Klinik nicht mehr aufzuhalten. Bis 1903 kamen 60 000 meist wohlhabendePatienten, die bis aus Amerika, Ägypten undPeru anreisten; darunter waren zum Beispieldie Gemahlin Kaiser Wilhelms II. AugusteVictoria oder der Schriftsteller Max Brod.

Gleichzeitig behandelte der 1904 zum bayeri-schen Hofrat und 1913 zum Ritter ernannte»Wunderdoktor« Hessing auch mittellose Patienten kostenfrei. Zum »Hausarchitekt«avancierte Jean Keller, der der Orthopädi-schen Klinik zwischen 1880 und 1893 zu einemeleganten baulichen Rahmen mit Gästehaus,Wandelhalle, Kapelle, Ökonomiegebäuden,

Der »Urbau« der Gögginger Hessing-Klinik,die »Alte Klinik« war unter dem AugsburgerFürstbischof Clemens Wenceslaus als Priester-altersheim errichtet worden und diente seit1805 als Landgericht. Das kubische Bauwerkmit seinem Walmdach und der aufwändig ge-schmückten Schaufassade mit Mittelgiebelblieb äußerlich auch nach der Umnutzungzum Krankenhaus durch Friedrich Hessing imJahre 1869 unangetastet.

In den Jahren 1887-1889 ließ Hessing durchJean Keller eine Neue Klinik errichten. Vonden ehemals drei zweigeschossigen Flügelndes Krankenhauses mit angebautem Winter-garten blieben nach Abbrüchen 1954-1961 nurdie zwei 1986 sanierten Seitentrakte mit ihrenSchweifgiebeln und der kräftigen Neorenais-sance-Gliederung. Ebenfalls bis heute hat sichdie 1890-1893 an die Klinik angebaute, 1906geweihte Anstaltskirche St. Johannes erhal-ten. Eine Spende des russischen Zaren ermög-lichte ihren Bau. Die Saalkirche weist einenmehreckigen Chor im Osten und einen aufdem Dach sitzenden offenen Turm mit ge-schwungener Haube auf. Nach Außen ist sie in

eine Sockelzone mit Segmentbogenfensternund einen von Lisenen gegliederten Bereichmit hohen Rundbogenfenstern darüber unter-teilt. Drei Eingänge – einer von der Klinik, einweiterer von der Wellenburger Straße und einletzter von der im Westen liegenden Parkanlageführen ins Innere. Zur Straße und zur Grünan-lage sind deshalb Vorhallen angebaut. Während die Außenansicht einer barocke Archi-tektursprache rezitiert, zog Keller im Innern alle Register der Neugotik. Ein dreijochigesKreuzrippengewölbe spannt sich auf Dienst-bündeln über den Saal. Der Chor ist erhabenund weist eine gemalte Maßwerkdecke auf.Sämtliche Wände sind mit geschnitzten Panee-len, einem gemalten Quadermuster sowie vonOrnamenten überzogen. Der Boden ist mit de-korierten Fliesen aus Steinzeug ausgelegt. AmChorbogen sieht man kleine Felder, die dieEvangelisten mit ihren Attributen (Kennzeichen)zeigen – Johannes mit dem Adler, Lukas mitdem Stier, Markus mit dem Löwen und Mat-thäus mit dem Engel. Darüber steht die In-schrift »Ich bin das Brot des Lebens / Wer zumir kommt, der wird nicht hungern und weran mich glaubt, der wird nimmermehr dürs-

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9aOrthopädische Heilanstalt

Hessingstraße 2, 6a, 17 / Buzstraße 25 / Wellenburger Straße 12

Hessingburg um 1900

ten. Joh. 6.35.« Sämtliche Fenster sind mitGlasmalereien des Gögginger GlasermeistersLeo Eichleitner (1854-1917) versehen, im Chorsieht man Barbara und eine Heilige ohne Attri-but. Den Sakralraum dominieren eine Orgel-empore und eine Loge über dem Klinikzugang,beide mit virtuos geschnitztem, geradezu zer-klüftetem Maßwerk. Am Chorbogen sitzt linksdie Kanzel mit Schalldeckel, während im Chorein überbordender Altarschrein mit zentralerKreuzigungsgruppe, Petrus, Paulus und Gott-vater aufgestellt ist. Eine Besonderheit stelltdas Barbara-Relief an der Nordwand dar, weiles sich um ein fränkisches Stück von ca. 1520handelt.Die Kirche ist perfekt auf ihre Funktion hin aus-gerichtet und simultan für den katholischenund den protestantischen Ritus nutzbar. In denRaum können Betten und Rollstühle geschobenwerden, die Bänke sind mobil, ihre Sitzflächeneinzeln aufklappbar. An die Hessingkircheschloss sich bis zu ihrem Abbruch 1961 eineschmiedeeiserne Kolonnade mit zwei Pavillonsan, die den kleinen Park umgab.

Zur Klinik gehört eine weitere, größere Grün-anlage, die auf das Gästehaus, die sogenann-te »Burg« ausgerichtet ist. Die phantastischekleine »Ritterburg«, die um 1880 von Karl Albert Gollwitzer im »Rothenburger Stil« er-richtet wurde, erhebt sich über L-förmigemGrundriss. Während die asymmetrische Rück-

front einfach gegliedert ist, sind den Parkfas-saden drei übereinander gestaffelte, mit Zin-nenbalustraden versehene Terrassen und dreiturmartige Anbauten vorgestellt. Unterschied-lichste Fensterformen bestimmen die maleri-sche Kulissenarchitektur mit zentraler Wasser-grotte. Im Erdgeschoss liegt ein Gartensaalmit bunt verglasten Fenstern in geschwunge-nen Jugendstilformen. Die ehemaligen Gäste-zimmer dienen heute als Wohnungen, die voneinem Haupttreppenhaus im Südtrakt erschlos-sen werden. Auf die unterste Terrasse der Burgführte früher eine um den Park herumlaufendeWandelhalle. Nur ihr Ostteil (1896-1899) zurHessingstraße blieb erhalten. Die Kolonnadeist durch vier Pavillons akzentuiert, wobei diebeiden Äußeren geschwungene Hauben, diemittleren Zeltdächer aufweisen. Die Wandel-halle verband im Norden auch die Alte Klinikmit dem dreistöckigen Ärztehaus. Der kubi-sche Bau mit Walmdach, Risaliten und Eck-turm mit geschuppter Zinkblechhaube wurdeca. 1890/1900 errichtet. Im Westen der Parkanlage schlossen sich ent-lang der Singold die orthopädischen Werkstät-ten und Ökonomiegebäude an. Die umfang-reichen Anlagen wurden nach und nach abge-brochen, die Werkstattgebäude von 1892mussten 1993 einer Geriatrischen Rehabilitati-onsklinik weichen. Nur das zugehörige kleineWasserkraftwerk über der Singold blieb erhal-ten.

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Hessingkirche,

Detail der Schnitzereien (oben)

Blick zum Altar (links)

Neben dem ausgedehnten Klinik-areal erwarb Hessing zusätzlicheGrundstücke im Herzen Göggin-gens am Klausenberg. Schon 1880-1885 beauftragte er Jean Keller mitdem Bau eines dreiflügeligen Öko-nomiegebäudes. Es bot Platz für ei-nen Kuh- und einen Pferdestall imWesttrakt, einen Stadel im Südenund – im heute einzig erhaltenenOstflügel – für eine Milchkuranstalt.

ein niedrigerer Umgang mit Emporen geführtist. Nach Außen zeichnet sich der fast völligverglaste Zuschauerraum ähnlich wie beiGottfried Sempers (1803-1879) erstem Dresd-ner Hoftheater (1838-1841) ab. Der Bereich derBühne kann aber zum Innenhof geöffnet undauch bespielt werden. Sämtliche Eingängesind durch turmartige Anbauten hervorgeho-ben, über dem Zuschauerraum ragt ein Dach-reiter empor. Die Transparenz der Skelettarchi-tektur tritt im Innern noch deutlicher hervor,weil dort die vergoldeten, ornamentbelade-nen Stützen aus Gusseisen nicht verkleidetsind. Hier ist die Ausrichtung an den großenWeltausstellungsbauten aber auch an Gewächs-hausarchitektur augenscheinlich. Tatsächlichdiente das Kurhaustheater auch als Palmen-haus. Schablonenmalereien überziehen Decken und Wandflächen der Innenräume, die Glasflächen sind durch ornamentale Bunt-glasscheiben akzentuiert.

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Kurhaus-

theater,

Stahlstich

um 1910

Kurhaustheater,

Blick vom Park

9bHessingsche Ökonomie undKurhaustheater

Klausenberg 6, 8a

Sie diente der »ganzheitlichen« Heilung derPatienten durch Verpflegung mit frischer Kuh-milch. Ähnlich wie die Klinikgebäude ist diezweistöckige Milchkuranstalt mit ihrem Zier-giebel und der Eckrustika an die AugsburgerSpätrenaissance-Architektur angelehnt. Hes-sing wollte seinen Patienten zudem die Mög-lichkeit zu standesgemäßer Unterhaltung bie-ten und ließ zwischen 1885 und 1886 durchJean Keller ein Kurhaustheater errichten. DieZufahrt fügt sich noch relativ bescheiden indie Bebauung des Klausenbergs ein. Zunächsttrifft der Besucher auf die Billardhalle. Auf denWesttrakt des Ökonomiegebäudes mit ange-fügter Blumenhalle ist das dahinter liegendeKurhaus ausgerichtet. Die seit der Erbauungs-zeit rollstuhlgerechte Anlage besteht aus zweiFoyerflügeln mit grottenartiger Steinverklei-dung und dem angebauten Theater. Letzteresist eine mit Neorenaissance-Fassaden verklei-dete Eisenkonstruktion, um deren Mittelteil

Logenhaus AugustaSchießgrabenstraße 301896 - 1897 von Jack & Wanner

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Tag des offenen Denkmals 2011 26

Geschichte

Die Freimaurer-Bewegung entstand im 18. Jahr-hundert und war maßgeblich an der Verbrei-tung der Aufklärung beteiligt. Grundlegendwar die Vorstellung, dass durch stetige Selbst-reflexion eines jeden die ideale Gesellschaft inFreiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranzund Humanität realisiert werden könne. Bis1850 war das Freimaurertum in Bayern verbo-ten, danach kam es in Augsburg zunächst zuinformellen Zusammenkünften. Erst im Jahr1872 wurde auf Betreiben des Fabrikanten Wil-helm Ammon die Loge »Augusta« gegründet,der zu Beginn insgesamt 23 Brüder angehör-ten. Nachdem zunächst Räume der TextilfabrikNagler angemietet werden mussten, beauf-tragte man das Büro Jack & Wanner mit demBau eines repräsentativen Logenhauses, 1896-1897 verwirklicht im vornehmen Viertel an derSchießgrabenstraße. Die Architektur wurde

mehrfach umgebaut und erweitert. Nach einerZäsur in der NS-Zeit gründete die Loge sich1946 erneut und bezog drei Jahre später wie-der ihr angestammtes Bauwerk, das in denJahren 1974 und 1977 saniert wurde.

Architektur

Die zweigeschossige Architektur mit ihrerSchaufassade zur Schießgrabenstraße täuschtim Erdgeschoss große Steinquader (Rustika)vor, während der erste Stock von Pilastern ge-gliedert ist, die ein Gebälk (mehrteiliger Fassa-denabschluss) tragen. Über dem abschließen-den Gesims liegt eine Attika (Brüstung) mitder zentralen Inschrift »AUGUSTA«. Die großenRundbogenfenster im Obergeschoss beleuch-ten u.a. den Versammlungssaal für den zentra-len Ritus der »Templerarbeit«, einer monatli-chen Zusammenkunft aller Mitglieder der Loge.

Logenhaus »Augusta« um 1900

Dem gleichen Typus entspricht das ehemalselfklassige ältere Schulhaus der »Wittelsbacher-Volksschule« aus dem Jahr 1890. Die zugehö-rige Turnhalle weist eine reiche Fassadenglie-derung auf. Auf dem besonders großzügigenPausenhof-Grundstück mit repräsentativerEinfriedung entstand 1907 auch ein zweitesSchulhaus, nun jedoch in einer ganz anderenBaugestalt: An die Stelle der strengen Neore-naissance traten »heimatliche« Architekturfor-men wie Putzgliederung, Mansardendächerund Turmaufbauten, die den Baukörper asym-metrisch auflockern. Besonders hervorgeho-ben ist der Eingangsbereich mit Reliefs vonSchulkindern. Am Geländer des Treppenhau-ses finden sich gemütvolle Darstellungendeutscher Märchen, auf Wandreliefs sind u.a.Eichhörnchen und ein Fuchs zu sehen.

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Schulbauten des 19. Jahrhundertsa) Mädchenschule am Stadtpflegerangerb) Wittelsbacher Volksschulec) Ulrichsschuled) Schulhaus Siebenbrunn

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Geschichte

Seit der Einführung der allgemeinen Schul-pflicht (in Bayern 1802) wurde das Schulsys-tem massiv ausgebaut mit dem Ziel, die Alpha-betisierung voran zu treiben und die Schüle-rinnen und Schüler zu treuen Staatsbürgernzu erziehen. Die Verbreitung von Wissen wur-de zum Schlüssel für die gesellschaftliche Ent-wicklung – Deutschland nahm hier mit neuenSchultypen, dem Gymnasium und der Real-schule eine Vorreiterstellung ein.

11aMädchenschule am Stadtpflegeranger

St. Anna-VolksschuleSchaezlerstraße 26

11bWittelsbacher Volksschule

Elisenstraße 5

Auch in Augsburg wurden – vor allem nachder Reichsgründung 1871 – zahlreiche Schu-len neu errichtet. Ludwig Leybolds (1833-1891) Mädchenschule am Stadtpflegeranger(1872-1873) wirkte vorbildlich, was ihre Archi-tektur betrifft: Die symmetrische Anlage be-steht aus einem Mittelbau und zwei Seiten-trakten für die Treppenhäuser. Im Innernlagen 17 beheizbare Klassenzimmer mit Gar-deroben sowie eine Hausmeisterwohnung.1875 wurde zusätzlich eine Turnhalle errichtet,denn dem Sportunterricht wurde eine förder-liche Wirkung auf die Entwicklung der Kinderzugeschrieben. Die eleganten, streng hierar-chischen Fassaden mit ihren Renaissance-Elementen unterstreichen den Stellenwert,der dem Schulbau beigemessen wurde, sa-gen aber auch viel über das strikte Gesell-schaftssystem aus, das hier vermittelt wurde.Ähnlich ist die Gestaltung der OberhauserVolkschulen I (1872) sowie II und III (1898).Die beiden letzten wurden auf demselbenGrundstück mit einer gemeinsamen Turnhalleerrichtet. Sie waren erstmals auch konfessio-nell gemischt. Wittelsbacher Volksschule

Etwas früher entstanden die Rote-Tor-Schule(Rote-Torwall-Straße 14, 1900-1901 von GeorgMüller), die St-Georgs-Schule im ehem. Jesui-tenkasernenhof (Auf dem Kreuz 25, 1900-1901von Fritz Steinhäußer) und die St.-Ulrichs-Schule (Maximilianstraße 52, 1905 von CarlHocheder und Joseph Schempp). Die innereKonzeption aller dieser Bauten ist ähnlich: Es wurden separate Eingänge und Treppen-häuser für Mädchen und Jungen erstellt; diean zentralen Gängen aufgereihten Klassen-zimmer für durchschnittlich 40 Schüler warenmit Garderoben ausgestattet. Zudem gab esOberlehrer-, Lehrer- und Lehrerinnenzimmer,Lehrmittelräume bisweilen Schul- und Sup-penküchen sowie Turnhallen und Brausebä-der. Als Auswirkung der Reformansätze GeorgKerschensteiners (1854-1932), der zeitweilig inAugsburg tätig war, wurden unter anderemeigene Zeichensäle eingerichtet, denn geför-dert werden sollte nun auch die bildnerischePraxis.

Beispielhaft für die Gestaltung dieser Schul-bauten ist die Ulrichs-Schule. Der durch dasMüller´sche Volksbad (1897-1901) und das Ver-kehrsministerium (1905-1913) in München be-kannte Carl Hocheder (1854-1917) bewältigtedie Einfügung in das sensible Umfeld der Ma-ximilianstraße durch die Staffelung der Bau-körper und die reiche Dachlandschaft. Seinmalerischer Stil war damals als »Hocheder-Barock« in aller Munde. In der Ulrichs-Schule waren nicht nur Mäd-chen- und Knabenvolks-schule, sondern auch dieStädtische Kunstschuleuntergebracht, wovonnoch die geschwunge-nen Atelierfenster imDachgeschoss zeugen.

Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, schonin der Ära des Stadtbaurates Otto Holzer(1874-1933), wurden nochmals zahlreicheSchulneubauten realisiert. An der inneren Ein-teilung änderte sich wenig, wie Holzers 1918errichtetes Schulhaus im 1910 eingemeinde-ten Stadtteil Mehringerau (Siebenbrunn)zeigt: Der Dreiflügelbau barg eine zentralesTreppenhaus mit Vestibül im Haupt- und Klas-senzimmern in den Seitenflügeln. Mit seinenPutzfassaden, dem Mansardendach und demUhrtürmchen mit Zwiebelhaube trägt er einen»süddeutschen« Anstrich. Nur die großenFensterfronten deuten auf den Zweck.

Weitere Beispiele für die Schulhausarchitekturdes 19. Jahrhunderts in Augsburg sind u.a.das ehemalige Anna-Gymnasium (1894-1895,Fuggerstraße 10), das Maria Theresia-Gymna-sium von Otto Holzer (1912-1914, Gutenberg-straße 1), die Volkschule Hochzoll von OttoHolzer (1915, Neuschwansteinstraße 23), dieMädchenschule in Lechhausen (1855, Blücher-straße 11), die Hans-Adlhoch-Schule von Sebastian Buchegger und Heinrich Sturzen-egger (1914-1916, Hans-Adlhoch-Straße 34),die Schubert-Schule (um 1900, Von-Cobres-Straße 5), die Schillerschule (1905-1910, ÄußereUferstraße 11), sowie die Kapellenschule(1910/1914, Kapellenstraße 20).

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11dSchulhaus Siebenbrunn

Siebenbrunner Straße 22

11cSchulbauten der Jahrhundertwende

Ulrichs-Schule um 1910

Geschichte

Die Geschichte der Staats- und Stadtbiblio-thek reicht bis in das Jahr 1537 zurück, als imZuge der Glaubenskämpfe alle KatholikenAugsburg verlassen mussten. Der Rektor vonSt. Anna, Sixtus Birck (1501-1554) stellte imAuftrag der Stadt eine Kollektion der wichtigs-ten Bücher aus den verlassenen Klöstern zu-sammen. Bereits 1538 sind erste Ausgabenfür die kommunale Bibliothek dokumentiert,1562 erhielt sie neben der St.-Anna-Kirche einrepräsentatives Gebäude von Jakob Zwitzel(1470-1540). Es musste 1893 abgebrochenwerden, weil es zu klein für den riesigen undwertvollen Bestand an Handschriften, Inkuna-beln, Wiegendrucken und grafischen Blätterngeworden war. Der aufstrebende junge Archi-tekt Martin Dülfer (1859-1942) konzipierte das1892-1893 errichtete Bibliotheksgebäude ge-meinsam mit dem Augsburger StadtbauratFritz Steinhäußer (1852-1822). In den Jahren1914-1920 erfolgte nach Westen ein einstöcki-ger Anbau für den Lesesaal und die Volksbü-cherei. Gleichzeitig wurde der Vorgarten neugestaltet, dabei der erhaltene niedrige schmie-deeiserne Zaun errichtet.

Architektur

Das Gebäude ist ein Längsbau mit einem Mit-tel- und zwei Eckrisaliten. Das Gliederungssys-tem der Hauptfassade im Osten mit aus-schwingenden Gesimsen, ionischen Kolossal-pilastern (über die Obergeschosse reichendeWandvorlagen) und kurviertem Prunkportal istdem Barock entlehnt – vorbildlich wirktenwohl die Wiener Hofbibliothek (1722-1726) desJohann Bernhard Fischer von Erlach (1656-1723) und die nach Plänen Joseph EmanuelFischer von Erlachs (1693-1742) durch GeorgChristian Unger (1743-1799) 1775-1781 errich-tete Königliche Bibliothek in Berlin.Hinter dem Mittelrisalit liegen das Vestibül,das dreiarmige, an die Prunkstiege (1786) derEichstätter Residenz von Mauritio Pedetti(1719-1799) angelehnte Treppenhaus sowieder Lesesaal für die kostbarsten Bücher undInkunabeln, die »Zimelien«. Während der Katalogsaal ebenfalls reich ausgestattet ist,sind die Verwaltungs- und Archivräume sowieder Lesesaal im Erdgeschoss nüchtern.Die stockwerksübergreifenden Rundbogen-fenster in den Obergeschossen wirken zu-nächst ungewöhnlich für einen Bibliotheksbaudes 19. Jahrhunderts, finden sich aber zumBeispiel auch bei der Marienbibliothek (1887-88von Reinhard Knoch und Friedrich Kallmeyer)in Halle/Saale. Im Innern liegen in beiden Fäl-len die Büchermagazine, die bei der Staats-und Stadtbibliothek Augsburg in vier niedrigeGeschosse unterteilt sind. Die Bücher konntenso ohne Leiter erreicht werden, zudem war eine natürliche, d.h. nicht brandgefährlicheLicht- und Luftzufuhr gewährleistet. Eine sol-che Konstruktion war möglich, weil nicht dieAußenwände die Decke tragen, sondern eininneres, feuersicheres Eisenbetonskelett, des-sen verstrebte Stützen auf Granitblöcken mitdarauf sitzenden Betonsockeln basieren. Derstützenlose Dachstuhl in Eisenkonstruktionwurde vorausschauend für einen künftigenAusbau vorgesehen.

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Staats- und Stadtbibliothek AugsburgSchaezlerstraße 251892-1893, Fritz Steinhäußer und Martin Dülfer

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Staats- und -Stadtbibliothek um 1910

Das Augsburger Rathaus wurde von Elias Holl1615-1620 als Sitz der reichsstädtischen Regie-rung errichtet und bildete somit die politischeSchaltzentrale.

Während der Napoleonischen Kriege wurdeAugsburg 1805 zunächst von französischenTruppen besetzt. Im Oktober strömten 30 000Soldaten in die Stadt, Napoleon selbst kamam 10. und 22. Oktober. Die Truppen des mitFrankreich verbündeten Kurfürstentums Bay-ern zogen im Dezember des gleichen Jahresnach Augsburg ein; mit dem Frieden vonPreßburg wurde die Freie Reichsstadt in dasneue bayerische Königreich eingegliedert, am4. März erfolgte die Zivilbesitzname: Der eher-ne Reichsadler im Giebelfeld des Rathauseswurde als Symbol für das Ende der politischenUnabhängigkeit Augsburgs entfernt. Er wurdeallerdings später wieder aufgemalt.

Kein zweites Augsburger Bauwerk wurde vonReisenden, Kunsthistorikern und Architektenim 19. und frühen 20. Jahrhundert so verehrtwie das Rathaus. Der markante, blockhafteBau mit seinem klaren Grundriss, der schlich-ten Fassadengestaltung, der Dachkreuzung,den beiden Türmen und dem Schweifgiebelwurde geradezu als Inbegriff Augsburgs gese-hen.

Die Formensprache des Rathauses wurdehäufig zitiert, insbesondere der Fensterrhyth-mus des Mittelteils. So weisen Ludwig Ley-bolds Erweiterungsbau des Rathauses (1889/99,Am Hinteren Perlachberg), die Rückfront derStaats- und Stadtbibliothek und das Gaswerkgenau wie Holls Rathaus Langfenster mit da-rüber liegenden Ovalfenstern auf. Ähnlich be-tonte Otto Holzer den mittleren Bereich desMaria-Theresia-Gymnasiums (1912-1914, Gu-tenbergstraße 1), hier fallen besonders die ge-sprengten Segmentgiebel über den Fensternauf. Besonders während der Amtszeiten FritzSteinhäußers und Otto Holzers als Stadtbau-räte waren Schneckengiebel (Volutengiebel)und Zwiebelhauben in Mode, um einen Bezugzur Augsburger Architekturgeschichte herzu-stellen. Sie kamen bei sämtlichen Bauaufga-ben vom Geschäftshaus bis zum Industriebau,vom Arbeiterhaus bis zur Villa zum Einsatz.Sogar die Farbfassung in Weiß und Grau galtals besonders »süddeutsch« – und wurde des-halb vom Baubüro »Gebrüder Rank« beimGaswerk aufgegriffen.

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Augsburger RathausRathausplatz 21615-1620 von Elias Holl

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Rathaus um 1900

Geschichte

Seitdem es der »Chartered Gaslight and CokeCompany« 1813 gelungen war, die Westmins-terbrücke mit Gas zu beleuchten, entwickeltesich die Gasindustrie zu einem wichtigen Fak-tor der Industrialisierung. Im Jahr 1848 grün-dete August von Eichthal die »AugsburgerGasbeleuchtungs-Gesellschaft«. Ein erstesGaswerk entstand an der heutigen Johannes-Haag-Straße und versorgte 335 Straßenlater-nen. Es wurde stetig vergrößert, war aber 15Jahre später dem Bedarf nicht mehr gewach-sen. Deshalb errichtete die »Gesellschaft fürGasindustrie« unter der Federführung vonLudwig August Riedinger (1809-1879) einzweites Gaswerk an der Badstraße. Beide Gas-werke gingen 1907 in kommunalen Besitzüber. Angesichts eines Gutachtens, das der Ingenieur E. Schilling erstellt hatte, verzichtetedie Stadt auf eine Erweiterung der bestehen-den Anlagen und ging 1910 einen Neubau aufeinem Grundstück in Oberhausen an, das ver-kehrsgünstig, nämlich direkt an der Bahnlinienach Ulm lag. Die Grundkonzeption basiertevor allem auf den Überlegungen Schillingsund des Regierungsbaumeisters H. Allwang,

die auf Effektivität zielten. Für die Architektur-gestaltung wurde dagegen das MünchnerBaubüro »Gebrüder Rank« engagiert. Die Architekten erstellten zwischen 1913 und 1915die Produktionsbauten, die 1954 um einengroßen Gasbehälter ergänzt wurden. EinzelneGebäude wurden später verändert oder abge-brochen. Nachdem im Jahr 1968 die Leucht-gaserzeugung eingestellt wurde, diente dasGaswerk bis zur Einstellung des Betriebs imJahr 2001 als Übernahmestation für russi-sches Erdgas.

Bauten

Die Anlage des Gaswerks ist maßgeblich vomBahngleis im Norden bestimmt. Hier wurdedie Kohle, die zur Erzeugung von Leucht- oderStadtgas notwendig ist angeliefert, und diedabei anfallenden Nebenprodukte abtranspor-tiert. Direkt an den Gleisen stand das Kohlen-silo, das später jedoch abgebrochen wurde.Das basilikale Ofenhaus ist dagegen erhalten.Außen ist seine Architektur von dem gewalti-gen Tonnendach und dem Rhythmus der un-terschiedlichen Fenster bestimmt. Die Haupt-

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Ehemaliges GaswerkAugust-Wessels-Straße 30 c1913-1915 vom Baubüro »Gebrüder Rank«, H. Allwang, E. Schilling

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Gaswerk,

Kohlensilo,

Ofenhaus

und Behäl-

terturm

um 1915

fassade im Süden hat einen konvex vorsprin-genden Mittelteil, der durch das Holl´sche Mo-tiv der Langfenster mit darüber liegendenOvalfenstern gekennzeichnet ist. Hier standendie riesigen Öfen zum Erhitzen der Kohle, wo-bei das Rohgas entwich und der Koks übrigblieb. Letzterer wurde sofort mit Wasser ge-kühlt und in den Kokszwischenbehälter unddie Koksaufbereitungsanlage weitergeleitet.Beide Gebäude sind mittlerweile abgebrochenworden. Das Gas wurde aus dem Ofenhaus abgesaugtund im Kühlerhaus mit Luft und Wasser ge-kühlt. Die umlaufende Galerie im Innern ge-währleistete, dass von oben an den Kühlag-gregaten gearbeitet werden konnte. Außen istdie Architektur durch Vorsprünge (Risalite) mitTonnendächern, große Glasfronten sowie dasWalmdach mit aufsitzendem Türmchen (Dach-reiter) geprägt. Das Kühlerhaus ist mit demBehälterturm verbunden. Dort befanden sichinsgesamt vier Kessel mit Wasser, das u.a. zurEnergiegewinnung und zum Kühlen des Koksund des Rohgases benötigt wurde. Im Behäl-terturm wurde zudem Teer- und Ammoniak-wasser gespeichert. Die Behälter zeichnen sichnach Außen anhand des kastenartigen So-ckels mit seinen kleinen Fenstern ab, auf demein ovaler Aufsatz (Tambour) mit Uhr und ab-schließender Kuppel gebaut ist. Direkt an den Behälterturm schließt sich dieElektrozentrale an, in der sich ursprünglich eine Dampfmaschine, später ein erhaltenerM.A.N. Dieselmotor befand. War das Gas ge-

Tag des offenen Denkmals 2011 32

kühlt, wurde es im Reinigergebäude durch ei-ne Masse geleitet, die den Schwefel herausfil-terte. Während im Innern die Stahlbetonkon-struktion klar hervortritt, ist das Äußere durchdie teilweise geschwungenen Anbauten, Risa-lite und Langfenster mit darüber liegendenOvalfenstern (Okuli) geprägt.Mehrere Gasbehälter dienten zum Speicherndes Gases: Von einem blieb lediglich die archi-tektonische Hülle, die mit ihrer geschwunge-nen Kuppel an einen Sakralbau erinnert. Be-reits 1910 und 1913 wurden zwei Reservoirserrichtet, die mit dem hereinströmenden Gasteleskopartig in die Höhe wuchsen. In derNachkriegszeit überschritt der Verbrauch dieFüllmenge der beiden Teleskopgasbehälter, sodass 1953-1954 ein Scheibengasbehälter er-richtet wurde. Eine Scheibe im Innern wurdehier vom Gas nach oben gedrückt, sie ist heuteauf dem Fundament abgelegt. Direkt an derBahnlinie stehen mehrere Werkstätten und Labore in denen Maschinen repariert und dieQualität der Kohle, des Gases und der Neben-produkte geprüft werden konnten. Das Gas-werk, das den Charakter einer Kleinstadt hat,ist zur Straße von einem Torbau mit Büros, einem Direktorenwohnhaus sowie Arbeiter-wohnhäusern abgeschlossen. Zur Erbauungs-zeit waren die Putzfassaden grau und weiß getüncht, was das heitere »süddeutsche«Erscheinungsbild unterstreichen sollte. Umsogrößer war der Kontrast zu den völlig funktio-nalen, betonsichtigen Innenräumen.

Gaswerk – Behälterturm und Scheibengasbehälter

Im Jahr 1927 fusionierte die RiedingerscheMaschinen- und Bronzewarenfabrik mit derM.A.N., wurde aber bis 1967 fortgeführt. Heu-te ist die Parseval-Halle im Besitz des Druck-maschinenherstellers M.A.N.-Roland.

Architektur

Das Bauwerk liegt in der Ecke des Fabrik-grundstücks im Zwickel der Heinrich-von-Buzund der Otto-Straße. Im Nord-Westen verläuftder Senkelbach. Der Haupteingang, ein Doppelportal mit Frei-treppe, ist zum Firmengelände ausgerichtet.Die zweigeschossige Architektur erhebt sichüber rechteckigem Grundriss, ihre Baumassensind vor allem im Dachbereich malerisch durchVor- und Rücksprünge, Erker und Aufbautengegliedert. Von Außen ist die zentrale Halle somit nicht sichtbar. Sie erstreckt sich überbeide Etagen und wird überfangen von einerkassettierten Tonnendecke mit Blüten, Mu-scheln und Bukranien (Rinderschädeln) alsDekor. In die Halle ist eine an drei Seiten um-laufende Galerie eingebaut, die das untereStockwerk in Kabinette einteilt. Eine Treppeführt in einem kompliziert barocken Systemauf die Galerie. Die kulissenartige Architektur

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ParsevalhalleHeinrich-von-Buz-Straße 23Um 1890 von Oskar Dedreux und Felix Mader

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Parsevalhalle

um 1890

Geschichte

Das Gebäude gehörte zum Gelände der vonLudwig August Riedinger (1809–1879) 1850/1851 gegründeten Maschinen- und Bronzewa-renfabrik, die 1887 in eine Aktiengesellschaftumgewandelt wurde. Vorsitzender der AGwurde August Riedinger (1845–1919), derSohn des Firmengründers. Der jüngere Rie-dinger war ein begeisterter Kunstsammlerund ließ sich für seine ab 1870 heranwachsen-de Kollektion 1890 ein eigenes Privatmuseumdurch Oskar Dedreux (1854–1929) errichten –der einzige vollständige Museumsneubau, derin Augsburg je entstand. Bereits ab 1894 wur-de die reichhaltige Sammlung sukzessive auf-gelöst, sie ist aber durch die Versteigerungs-kataloge nahezu lückenlos dokumentiert. Dasehemalige Museumsgebäude wurde nun alsFabrikhalle für die 1897 von August Riedingergegründete Ballonfabrik genutzt. Hier konstru-ierte August Franz Max von Parseval (1861-1942) das nach ihm benannte, erste volltaugli-che und lenkbare Prall–Luftschiff, das 1906erstmals in Berlin gezeigt wurde. Die Muse-umshalle wurde angesichts der epochalen Er-findung seither »Parseval-Halle« genannt.Mehrere Umbauten führten zu Vereinfachun-gen der ehemals geschmückten Architektur.

zielt also auf den großen Theatereffekt. Ihr Ur-heber Oskar Dedreux war in erster Linie alsKunstgewerbler tätig und stellte für die »Bron-zewarenfabrik L.A. Riedinger« und späterauch für die »Bronzewarenfabrik Paul Stotz«in Stuttgart v.a. Kandelaber her, u.a. für denBerliner Reichstag. Vermutlich gemeinsam mitdem Kunsthistoriker Felix Mader (1867-1941)entwickelte Dedreux die ausgesprochen insze-nierte Ausstellungskonzeption für August Rie-dingers Privatsammlung, die aus Antiken,Kunstgewerbe, Malerei, Grafik und Bildhaue-rei bestand. Ein zeitgenössischen Kommenta-tor lobte die »schöne übersichtliche Aufstel-lung« und konstatierte außerdem, die »hoch-gewölbte Halle« besäße die »richtige Beschaf-fenheit einer Schatzkammer: reiches Seiten-licht, breite Wände zur Aufstellung der zumTheil in Glaskästen geborgenen Gegenständeder verschiedenen Jahrhunderte und allent-halben so viel Spielraum, dass jeder Gegen-stand zur Betrachtung und vollen Geltung gelangen kann; die Wände durch herrliche Tep-piche belebt, an den Pfeilern schöne Ölgemäl-de – dazu eine malerische Gruppierung soschöner Arbeiten – dies alles erweckt in unseine so erhebende Stimmung, wie wohl keinanderes Museum zu erregen vermag«.

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Parsevalhalle um 1890

Gemälde aus der Sammlung Riedingers

(Augsburg um 1606), heute Kunstsamm-

lungen und Museen Augsburg

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Sudhausgebäude

Sudhaus innen

Brauerei Riegele – SudhausFrölichstraße 261911 von Theodor Ganzenmüller

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Geschichte

Im Jahr 1884 erwarb Sebastian Riegele(†1908) die auf das Jahr 1396 zurückgehendeBierschänke »Zum goldenen Roß« am Königs-platz und gründete eine Brauerei. Ihre Leitungübernahm 1904 sein Sohn, der spätere Kom-merzienrat Sebastian Riegele (†1947). Im Zugedes Durchbruchs der Bürgermeister-Fischer-Straße musste die Brauerei verlegt werden,deshalb erwarb Riegele 1911 ein Grundstückdirekt am Bahngleis nach Donauwörth undließ daraufhin durch Theodor Ganzenmüller(1864-1937) ein Sudhaus, eine Flaschenabfül-lerei, Werkstätten und einen Fuhrpark errich-ten. Gleichzeitig wurde das Gelände an derBürgermeister-Fischer-Straße arrondiert undvon Hans Schnell mit den »Riegele-Bierhal-len« überbaut. Durch den Erwerb der »Mälze-rei Huß« 1919 und der »Brauerei AlexanderStötter AG« 1928 expandierte die Brauerei. Siebefindet sich bis heute in Familienbesitz;2005-2006 wurde das Betriebsgelände saniert.

Architektur

Das Sudhaus steht direkt am Kreuzungspunktder Frölichstraße mit der Bahnlinie. Die innereEisenbeton-Konstruktion wurde mit Backstein-wänden umhüllt. An den turmartigen Bau mitsteilem Schopfwalmdach, aufgesetzten Gie-beln und einem Dachreiter schließt sich einlanggestreckter niedriger Trakt an. Die Putz-gliederung der Fassaden entstammt der re-gionalen Bautradition. Schon von Außen istanhand der großen Rundbogenfenster dieHalle mit den Sudkesseln sichtbar. Ihr Stellen-wert als Herzstück der Anlage tritt Innen auchanhand der auffälligen Gestaltung mit farbi-gen Kacheln, Rundpfeilern, die sich zur Kas-settendecke schirmartig öffnen, und der Lam-pen in Jugendstil-Formen hervor.

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Geschichte

Die Geschichte der Straßenbahn in Augsburgreicht bis 1880 zurück, als eine »AugsburgerTrambahn AG« gegründet wurde. Bereits einJahr später nahm eine Pferdebahnlinie vomPerlachturm über den Königsplatz zum Haupt-bahnhof den Betrieb auf; weitere sollten fol-gen. 1898 wurde die Elektrifizierung des Stra-ßenbahnbetriebs durch die Firma »Schuckert& Co« vorangetrieben, die zwei Jahre späterdie »Augsburger Elektrische StraßenbahnAG« gründete. Deshalb war der Bau einerStraßenbahnzentrale (Betriebshof I) am Sen-kelbach notwendig. 1908 ging der Straßen-bahnbetrieb mit der Gründung der städti-schen Verkehrsbetriebe in kommunale Regieüber, seit 1916 wurde er durch die »Lech-Elek-trizitätswerke« mit Strom versorgt, 1921 ent-stand deshalb sogar ein eigenes Wasserkraft-werk am Wertachkanal (Schießstättenstraße9). Als 1920 ein großer Betriebshof an derBaumgartnerstraße 9 gebaut wurde, wurdeder alte Betriebshof I am Senkelbach bis indie 1960er Jahre als Depot weitergenutzt. Da-nach wechselten die Nutzungen, u.a. wurdehier eine Restaurierungswerkstatt für dieAugsburger Brunnenbronzen eingerichtet.

Gebäude

Die ehemalige Straßenbahnzentrale bestehtaus mehreren Bauten, die sich entlang desSenkelbachs erstrecken. Direkt an der Wert-achstraße liegt das Verwaltungsgebäude mitseinen aufwändig gestalteten Fassaden ausroten und gelben Sichtziegeln. Der rechtecki-ge Bau erscheint durch Vorsprünge (Risalite)mit geschwungenen Giebeln, einem Eckerkermit steilem Helm und Dachgauben mit spit-zen Dächern äußerst malerisch. Die Fenstersind von Rund- und Segmentbogen mitSchlusssteinen überfangen. Im Jahr 1936wurde zur Straße ein niedriger Anbau errich-tet, der die vordere Schmalseite verstellt.

Nach Norden sind an das Verwaltungsgebäu-de ein Trakt für Werkstätten sowie ein Kessel-haus mit Kamin angefügt. Im Werkhof liegt ei-ne basilikale Wagenhalle, die nach Beschädi-gungen 1944 vereinfacht wiederaufgebautwurde. Weiter nach Norden, zur Emilienstraßeschließt sich ein Maschinenhaus an, in demsich Dampfmaschinen, später auch Dieselmo-toren zur Stromerzeugung für den elektrischenStraßenbahnbetrieb befanden. Das hallenarti-ge Gebäude ist mit Blankziegeln verblendetund durch große Rundbogenfenster gekenn-zeichnet.

Ehemalige Straßenbahnzentraleam SenkelbachWertachstraße 29, 29 a1898

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Straßenbahnzentrale, Fassade zur Wertach-

straße

Geschichte

Die nachweisbare Geschichte der Augsbur-ger Wasserversorgung beginnt 1412, als einerstes Pumpenwerk errichtet und mehrere Leitungen verlegt wurden, die zu den öffent-lichen »Röhrbrunnen« führten. Durch die Be-rufung des Nördlingers Hans Felber zum Brun-nenmeister 1416 konnte das Leitungssystemerheblich verbessert werden, ausgehöhlteFöhrenstämme wurden in den Untergrund ge-legt und beim Roten Tor ein hölzerner Turmmit »ain Kasten darauf, der das Wasser in sichfasset« errichtet. Für die Wasserzufuhr wardurch den Brunnenbach gesorgt. Der Werkhofam Roten Tor wurde stetig erweitert, umge-baut und technisch auf den neuesten Standgebracht. Auch an anderen Stellen in derStadt richtete man neue Brunnenwerke ein, so am Mauerberg, in der Jakobervorstadt,beim Vogeltor, beim Kloster Maria Stern undbeim Schnarrbrunnen.

Bereits 1558 konnte jeder Bürger einen An-schluss an das öffentliche Wasserleitungs-system erwerben, daneben gab es weiterhinöffentliche Fließwasserbrunnen, deren Nut-zung kostenlos war. Obwohl die Wassertürmeund Pumpwerke im 19. Jahrhundert stetignachgerüstet wurden – 1846 existierten 90städtische und 1825 private Pumpbrunnen –waren sie der mit der Bevölkerungszahlsprunghaft steigenden Nachfrage nach Lei-tungswasser nicht mehr gewachsen. Nachmehreren Cholera-Epidemien, die durch ver-unreinigtes Trinkwasser ausgelöst worden wa-ren, verabschiedete der Magistrat 1878 eine»Wassersatzung«, die den Anschluss an neueLeitungen für alle Anwesen vorschrieb. DasWasser sollte nun direkt aus dem Grund desSiebentischwaldes gewonnen werden. 1878-1879 wurden deshalb ein modernes Rohrnetzund ein neues Wasserwerk am Hochablaß ge-baut.

Die Zentrale der städtischen Wassserversor-gung war bis 1879 der Werkhof des Brunnen-meisters am Roten Tor. Er besteht aus einemWohnhaus, dem Werkstattgebäude an derStadtmauer sowie drei Wassertürmen. Die bisheute gut erhaltene Anlage zählt sicher zu denherausragenden Denkmalen der europäischenTechnikgeschichte.

Direkt am Brunnenbach, über eine Brücke er-reichbar, steht das Obere Brunnenmeisterhausfür die Dienstwohnung, ein Mansarddachbaumit Putzgliederung. Die geschnitzte Tür deutetmit zwei kleinen Mischwesen aus Mensch undFisch (Tritone) symbolisch auf den Beruf desBewohners hin, seitlich sind zwei Wasserspeierin Fischform angebracht.

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Wasserversorgunga) Werkhof des Brunnenmeistersb) Unterer St. Jakobs Wasserturmc) Unteres Wasserwerkd) Wasserkraftwerk am Hochablaß

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Wassertürme um 1900

18aWerkhof des Brunnenmeisters

Am Roten Tor 1

Direkt vom Wohnhaus aus sind zwei ange-baute Wassertürme zu erreichen. Der größereist älter, seine Geschichte reicht bis 1416 zu-rück. Später erfolgten mehrere Umbauten,1669 wurde der quadratische Turm um einenachteckigen Baukörper mit kräftig gerahmtenRechtecksfenstern und darüber liegendenOchsenaugen aufgestockt. Dadurch sollte inerster Linie die Druckhöhe vergrößert werden.Die hölzerne Balustrade der Dachterrasse (Al-tane) wurde 1746 durch eine steinerne ersetzt.Den notwendigen Druck zum Hochpumpendes Wassers erzeugten Wasserräder und Pum-pen im Erdgeschoss. Das Wasserreservoir imobersten Stock speisten vier heute nicht mehrerhaltene Aufstiegsröhren, die durch alle Eta-gen reichten, weshalb die Decken durchbro-chen sind. Ein dickeres Ablaufrohr führte seit-lich durch die Geschosse hinunter. Über dashölzerne Treppenhaus (bez. am Mittelpfeiler1726 oder 46) gelangt man nach oben in dieBrunnenstube, in der bereits der reichsstädti-sche Brunnenmeister mehrere Modelle undSchautafeln präsentierte, die heute zum Teilwieder zu sehen sind.

Direkt mit seinem größeren Pendant verbun-den ist der Kleine Wasserturm, der 1470 überquadratischem Grundriss errichtet wurde. ImJahr 1559 setzte Bernhard Zwitzel (1486-1570)zwei sechseckige Geschosse darauf. Zur Siche-rung der Statik war der Bau eines seitlichenStrebepfeilers notwendig, denn das Gebäudewurde hier durch die Bewegungen der Pum-pen erschüttert. Ein weiteres Geschoss sowieeine kupferne Kugel-Haube wurden 1672 er-richtet. Die Architekturgestaltung – Rustika, Triglyphengebälk und Dreiecksgiebel – erin-nert wie die des Großen Wasserturms an Bau-ten Elias Holls (1573-1646). Der berühmtesteAugsburger Brunnenmeister, Caspar Walter(1701-1769), fügte 1744 eine hölzerne Wendel-treppe zum obersten Raum mit seiner Stuck-decke von Matthias Schmuzer d.J. (1634-1686)ein. Der sechseckige Wasserbehälter mit denAufstiegs- und Fallrohren ist nicht erhalten,sichtbar sind aber noch die Aussparungen inden Decken.

Im Werkhof lehnt sich das Untere Brunnen-meisterhaus direkt an die Stadtmauer an. Esbesteht aus einem Hauptflügel mit Walmdachund Uhrengaube und einem schmalen Seiten-trakt mit Pultdach und beinhaltete die Werk-statt. Die freskierte Fassadengliederung gehtauf einen Entwurf von Christian Dominikus Erhart (1731-1805) von 1777 zurück. Etwas abseits steht an der Außenmauer des Heilig-Geist-Spitals der Kasten- oder Neue Spital-turm, ein Wehrturm, der 1599 zum Wasser-reservoir umgebaut wurde. Dabei stockte manden zylindrischen Turm um zwei sechseckigeGeschosse mit abschließender hölzerner, seit1703 steinerner Balustrade auf. Die Gestal-tung erinnert an die der beiden anderen Was-sertürme. Auch das Innere war ähnlich aufge-baut, eine Besonderheit ist jedoch CasparWalters doppelläufige »Schnecken-Stiege«(1742 datiert und signiert) bei der laut Aussa-ge des Brunnenmeisters zwei Personen »à parte diß- und jenseits hinauf gehen« kön-nen. In der Brunnenstube ergoss sich dasWasser aus der Muschel des Brunnenjüng-lings (1599, heute im Maximilianmuseum)von Adriaen de Vries (1545/1556-1626).

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Wassertürme

Der Untere St. Jakobs Wasserturm wurde1609 von Elias Holl (1573-1646) zur Wasserver-sorgung der nördlichen Jakober-Vorstadt er-baut. Er funktionierte ähnlich wie die Türmeam Roten Tor: Im rechteckigen Sockelbau lagenWasserrad und Pumpe, die Obergeschossenahmen Leitungen, Treppe und Reservoir auf.Das Äußere ist mit Wandvorlagen, Dreiecks-giebeln und gerahmten Fenstern gestaltet undwurde vorbildlich für alle anderen Wassertürme.1999 erfolgte die Renovierung des Gebäudes.

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Unterer St. Jakobs Wasserturm

18b Unterer St. Jakobs Wasserturm

Gänsbühl 32

18cUnteres Wasserwerk

Unterer Graben 1Springergässchen 4

Eine weitere wasserbauliche Anlage ausreichsstädtischer Zeit war das Untere Was-serwerk am Graben, das vor allem die Wohn-viertel der Handwerker versorgte. Es ist seit1538 an dieser Stelle belegt. Während dasHochreservoir in einem ehemaligen Wehr-turm am Mauerberg entstand, lagen das höl-zerne, nicht erhaltene Gebäude für die Was-serräder, das Pumpenhaus und das Werk-stattgebäude direkt am Graben. UnterirdischeRohre führten von dort den Berg hinauf zumWasserturm. 1737 wurde die Anlage von Cas-par Walter umgebaut und um eine Dienstwoh-nung für den Obmann ergänzt. Bereits 1762und 1781 erfolgten weitere Veränderungen.In den Jahren 1819 und 1865 wurde die Anla-ge nochmals auf einen neueren technischenStand gebracht. In das Pumpenhaus wurdeeine Jonval-Turbine samt Pumpenwerk ein-gebaut. Aus dieser Zeit stammt auch die heu-tige Fassadengestaltung, zum Teil mit Blank-ziegeln. Vom Unteren Wasserwerk aus führteine 1758 in Stein ausgeführte Brücke, dersogenannte »Neue Gang« über den Stadt-bach und den mit einer Kanalbrücke (1848)darüber geleiteten Brunnenbach. Im Jahr 1988 wurde das Pumpenhaus zum»Liliom-Filmtheater« umgebaut.

Unteres Wasserwerk um 1910

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Das 1878-1879 errichtete, von der M.A.N. tech-nisch ausgestattete Wasserwerk am Hochab-laß löste schließlich alle älteren Anlagen ab.Von einem Zentralbrunnen im Siebentisch-wald führte eine gusseiserne Leitung zum Maschinenhaus am Hochablaß, das auf einemPfahlrost über dem zugehörigen Kanal errich-tet wurde. In das Gebäude wurden drei Jonval-Turbinen eingebaut, die Ergänzung um einevierte war projektiert, wurde jedoch nie ausge-führt. Die von den Turbinen erzeugte Kraftwurde über eine Königswelle auf die Pumpenübertragen, die das Wasser aus dem Bassin invier sogenannte Druckwindkessel übertrugen.Letztere ersetzten ein Hochreservoir. Diesesausgeklügelt konstruierte »Augsburger Sys-tem«, bei dem eine relativ gleichmäßige Was-serförderung möglich war, erregte Aufsehenin der damaligen Fachwelt und funktioniertefast 100 Jahre. 1885 wurde zur zusätzlichenEnergieversorgung ein Kesselhaus mit Dampf-maschine gebaut, ab 1935 wurde die Energieüber einen Dieselmotor gewonnen. Heutedient das Wasserwerk als technisches Museum.Entsprechend ihrer Bedeutung für die Wasser-versorgung war die Anlage auch architekto-nisch repräsentativ. Es entstand ein einstöcki-ger, rechteckiger Bau mit flachem Zeltdach

18dWasserwerk am Hochablaß

Am Eiskanal 50

und zwei zweistöckigen Flankentürmen. AlleFassaden sind mit genutetem Verputz verse-hen, die Ecken rustiziert. Die Hauptfront weistein tempelartiges Mittelportal (Ädikula-Portal)mit geschnitzten Türflügeln und schmiedeei-sernen Gittern auf. Sämtliche Rundbogenfens-ter haben gusseiserne Profile. Das Innere istmit einem ornamentalen Terrazzoboden, guss-eisernen Stützen und gemaltem Dekor eben-falls aufwändig gestaltet. Die in die Ornament-bänder eingefügten Fische deuten auf dieFunktion des Gebäudes hin. Während derstädtische Oberingenieur Endres für die tech-nische Konzeption verantwortlich zeichnet, istnicht geklärt, wer der Architekt des Gebäudeswar. Wilfried Burgner brachte 2004 ein Werkver-zeichnis Karl Albert Gollwitzers (1839-1917) insSpiel, auf dem für die Jahre 1878-1879 einstädtisches Brunnenwerk verzeichnet ist. Aller-dings ist damit nicht klar, ob auch die Entwür-fe von Gollwitzer stammen, oder er nur dieBauleitung inne hatte. Die dezidiert klassisch-antike Motivik des breit gelagerten Bauwerksmit der Ädikula, sowie Palmetten-, Mäander-und Eierstabdekor wäre in Gollwitzers Werk,das durch Höhendrang und orientalische For-men geprägt ist, zumindest ungewöhnlich;das Repertoire an Formen entspricht eher denBauten des Augsburger Stadtbaurates LudwigLeybold (1833-1891, vgl. zum Beispiel Stetten-straße 6,8).

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ProviantbachquartierProviantbachstraße / Otto-Lindenmeyer-Straße1891-1909 von Thormann & Stiefel

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Bauten

Die bis 1909 errichteten 21 dreigeschossigenWohnhäuser in Blankziegelbauweise zum Teilmit Tür und Fensterstürzen aus Beton solltenPlatz für 1000 Bewohner bieten. Hier waren300 Wohnungen mit zwei bis maximal fünfZimmern in Größen von 32 bis 54 m2 unterge-bracht. Die meisten Wohnungen verfügtenüber eine Küche, Aborte befanden sich aufdem Gang. In den ausgesprochen großzügigbemessenen Grünflächen lagen mehrere ge-meinschaftlich genutzte Waschhäuser. DasBauwerk im Zwickel der Proviantbach- undder Otto-Lindenmeyer-Straße beherbergte zu-dem im Parterre ein Ladengeschäft. Im nähe-ren Umfeld gab es ein Altenheim, einen Sport-verein und ein Kinderheim – alles firmeneigeneEinrichtungen der SWA.

Um auch den Arbeitern ein lebenswertes Um-feld zu bieten, wurde bei der Konzeption desProviantbachquartiers eine übermäßig einför-mige Gestaltung vermieden: Die Straßen ver-laufen nicht als Raster, sondern schräg zuei-nander und werden von Alleebäumen beglei-tet. Vor- und Rücksprünge, Giebel und eineeinfache Architekturgliederung bestimmendas Äußere der Arbeiterhäuser.

Geschichte

Die Mechanische Baumwoll-Spinnerei und -Weberei Augsburg (SWA) erlebte währenddes 19. Jahrhunderts einen rasanten Anstiegder Produktion. Um eine loyale und produktiveStammbelegschaft aufzubauen, gewährte dieSWA ihren Arbeitern und Angestellten zahlrei-che Sozialleistungen und errichtete firmenei-gene Wohnungen. Da aber Arbeits- und Miet-vertrag gekoppelt waren, hatte die Firmenlei-tung ein »Anpassungs- und Disziplinierungs-element« (Ilse Fischer) in Händen.

Für die Arbeiter des Werks »Proviantbach« (Fabrikschloss) ließ die SWA durch das Bau-büro Thormann & Stiefel zwischen 1891 und1910 eine Kolonie in unmittelbarer Nähe zumFabrikgelände errichten. Nachdem 1909-1910das Werk »Aumühle« (Glaspalast) gebaut worden war, plante dessen Architekt PhilippJakob Manz im Auftrag der Firmenleitung eineErweiterung des Proviantbachquartiers in Formeiner »süddeutschen Kleinstadt«. Sie wurde allerdings nie realisiert. Vordergründig war esder SWA mit dem Proviantbachquartier gelun-gen, »billige und gesunde Wohnungen« zu er-richten. Die Mieten betrugen zwischen 52 und202 Mark und waren um die Hälfte billiger alsin Augsburg üblich. Der Jahreslohn einesSpinnereiarbeiters lag damals bei 560 Markbei einer Wochenarbeitszeit von 65 Stunden.Um finanziell über die Runden zu kommen,mussten einige Bewohner trotzdem »After-mieter« (Untermieter) aufnehmen oder ihreBetten während sie arbeiteten »Schlafgängern«zur Verfügung stellen, was zum Teil zu prekä-ren Wohnbedingungen führte. Nach demZweiten Weltkrieg warb die Textilindustriezahlreiche Arbeiter aus Italien, später auch ausJugoslawien und der Türkei an; sie stellten1980 zwei Drittel der Bewohner im Proviant-bachquartier. Nachdem die SWA 1988 endgül-tig ihren Betrieb einstellen musste, verkamdie Bausubstanz der Arbeiterhäuser zuneh-mend. Seit 2010 werden sie einer grundlegen-den Renovierung unterzogen.

Proviantbachquartier, Luftbild um 1905

Das Mehrparteienhaus wurde zu einem be-stimmenden Bautypus des 19. Jahrhunderts.Boten die älteren Bürger- und Handwerker-häuser oft Raum für Wohnen und Arbeiten un-ter einem Dach, so wurden diese Lebensberei-che mit der Industrialisierung deutlich getrennt.Nicht nur die Arbeiter, sondern auch wohlha-bende Augsburger lebten nun in Etagenwoh-nungen und arbeiteten in Büros oder Fabriken.Während die Wertachvorstädte oder das Klau-ckeviertel mit einfachen, spekulativ erstelltenWohnblöcken besetzt wurden – die Straßenerhielten zuerst nicht einmal Namen, sondernnur eine Nummerierung – galten das Bahn-hofsviertel und die daran angrenzenden Quar-tiere (heute Beethoven- und Bismarckviertel)sowie das Westend (heute Antonsviertel) alsdie guten Lagen. Architekturbüros wie Jack &Wanner, Krauss & Dürr oder Buchegger &Sturzenegger kauften um die Jahrhundert-wende ganze Gevierte auf und bebauten siemit großzügigen Mehrfamilienhäusern. InAugsburg wurde ein von Ludwig Leybold(1833-1891) konzipiertes offenes Bebauungs-

system eingehalten, bei dem keine Binnenhöfeentstanden. Nur an einigen wenigen Stellen,zum Beispiel an der Bahnhofstraße, wurdengeschlossene Häuserzeilen gebaut. Ansonstenkam besonders häufig der Zweispänner zumEinsatz, bei dem die Leitungen an der mittle-ren Trennmauer liegen. Bei der Fassadenge-staltung griffen die Architekten auf vergange-ne Stilepochen zurück (Historismus) odermischten diese (Eklektizismus) je nach Käufer-interesse – zur Standardfrage der Poliere wur-de somit: »Der Rohbau ist fertig Meister. Wassoll nun für ein Stil `ran?« Das Spektrum reichtevon Formen der italienischen Renaissance(Hochfeldstraße 2, 1889) wie sie Ludwig Ley-bold auch für die Bebauung der vornehmenStettenstraße einsetzte, über Barock- und Ro-koko-Motive (Konrad-Adenauer-Allee 25, 1888),bis hin zur orientalischen Architektursprache(Volkhartstraße 10/12 und 14/16, um 1885) KarlAlbert Gollwitzers (1839-1917). Im Inneren konn-ten sich die Wohnungen über ganze Etagen er-strecken, man legte besonderes Augenmerkauf das gemeinschaftlich genutzte Treppenhaus.

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Repräsentative Wohn- und Geschäftshäuser derJahrhundertwende

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20aMehrparteienhaus –Treppenhaus mit Wandmalereienorientalischer Landschaften

Neidhartstraße 27

Im Mehrparteienhaus Neidhartstraße 27 (um1900) mit seiner durch An- und Aufbauten ma-lerisch-asymmetrischen Außengestaltung inSichtziegelbauweise blieb ein solches Trep-penhaus erhalten. Die Wände sind mit gemal-ten Ornamenten und einer Marmortextur über-zogen. Große Bildspiegel bieten scheinbareinen Ausblick auf exotische Landschaften –ein Hinweis auf den Bauherrn, ein ägyptischerTeppichhändler.

Neidhartstraße 27,

Bildspiegel im Treppenhaus

Ganz anders zeigt sich das Treppenhaus im1944 beschädigten Wohngebäude Prinzregen-tenstraße 2 (1902) von Jack & Wanner: Die ovalen Holzstiegen sind mit hölzernen Balustern und schmiedeeisernen Gittern ver-sehen, deren Schmuck an verschlungene Pflan-zen erinnert. In die Linestra-Tapete (Kunstle-der-Tapete) im unteren Bereich der Wändesind fleischige Blütenblätter geprägt. Die vomJugendstil inspirierten Blumenmotive wieder-holen sich auch in den Buntglasfenstern vonLeo Eichleitner (1854-1917), die vermutlichnach 1945 falsch zusammengesetzt wurden.

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Prinzregentenstraße 2,

Treppenhaus

Theresien-Apotheke,

Gesamtansicht (oben)

Detail (links)

20bRepräsentatives Mehrparteienhaus

Prinzregentenstraße 2

20cMehrparteienhaus mitTheresien-Apotheke

Gögginger Straße 38

Einige der Wohnhäuser beherbergten imErdgeschoss auch Ladenlokale. Ein spre-chendes, wenn auch nicht authentisches Bei-spiel findet sich in der Gögginger Straße 38:In das Parterre des neubarocken Doppel-mietshauses von ca. 1890 wurden 1965 diehölzernen Wandschränke und die Decke ei-ner aufgelösten Apotheke an der MünchnerTheresienstraße aus der Zeit um 1890 einge-baut. Auf einem der reich mit Renaissance-und Barock-Elementen verzierten Schränkeerblickt man das Wappen des PrinzregentenLuitpold.

Umgehungstraße, die »Schleifenstraße«, überdas Firmengelände zu führen. Deshalb wurdeder Betrieb 1983 nach Gablingen verlagert.Die Fabrikgebäude wurden verkauft, 1992 ab-gebrochen und an ihrer Stelle Wohnungen er-richtet. Dagegen blieben Direktorenvilla undPark in Familienbesitz, waren aber von derSchleifenstraße bedroht. Erst der 1984 erlang-te Status als Landschaftsschutzgebiet sicherteden Erhalt der Grünanlage. Daraufhin wurdedie Villa 1988 durch Eva Silbermann, die Enke-lin des Firmengründers, instand gesetzt. Nachihrem Tode ging die gesamte Anlage in eine fa-miliäre Stiftung über. 2010 erfolgte erneut eineRestaurierung.

Architektur

Von der Fabrikanlage blieb nur das Büroge-bäude erhalten. Im Kern geht seine Architek-tur auf ein Wohngebäude des 18. Jahrhundertszurück. Über der Eingangstüre zeugen die Ini-tialen von Anna Barbara Gignoux noch vonder ehemaligen Besitzerin. Die heutige neo-klassizistische Fassung des Gebäudes mit er-höhtem Eckrisalit entstand 1875. Eine ähnliche,sicherlich an den Bauten Ludwig Leybolds(1833-1891) orientierte, klare Formensprachezeigt auch die Direktorenvilla: Sie besteht ausdem quadratischen, dreistöckigen Hauptge-bäude mit je einem Mittelrisalit zur Straßeund zum Park und dem seitlich angebauten,

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Geschichte

Die Geschichte der Anlage reicht bis in das 18. Jahrhundert zurück, als Johann FriedrichGignoux (†1760) auf dem am Brunnenlech ge-legenen Grundstück eine Färberei und Blei-cherei betrieb. Sie wurde später von seinerWitwe Anna Barbara weitergeführt. 1796 er-warb Johann Gottfried Dingler (1778-1855)das Anwesen und richtete hier eine chemischeFabrik ein, die für den Bedarf der Kattundru-ckereien und Färbereien produzierte. VonDinglers Nachfolger Otto Bärlocher erwarbFranz Baptist Silbermann (1848-1924) das Ge-lände. Silbermann war 1863 nach Augsburggekommen und hatte eine Handelsfirma ge-gründet. Bald spezialisierte er sich auf ein zu-kunftsträchtiges Produkt, den Kunstdüngermit dem die Bauern versuchten, ihren Ertragzu steigern, um der hohen Nachfrage zu be-gegnen. Daneben hatte Silbermann auch mitseiner chemisch gereinigten Putzwolle Erfolg.Ab 1875 ging er daran, die alten Gebäude um-bauen zu lassen; ein ehemaliges Wohnhauswurde zum Bürogebäude, über dem alten Tro-ckenrechner entstand eine Villa, zur Bahnlinienach München die Fabrikbauten, die stetig er-weitert wurden. Es wurden mehrere Firmenfi-lialen eingerichtet. Silbermann wurde nunauch auf dem sozialen Sektor aktiv, er rief1916 eine Stiftung für Kriegsinvaliden und-hinterbliebene des Ersten Weltkriegs ins Leben. Nach 1945 plante die Kommune, eine

Villa des KunstdüngerfabrikantenKommerzienrat Franz Baptist SilbermannHaunstetter Straße 35, 35 a1875

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Relief des Kelches

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ebenerdigen Gartenflügel. Die Putzgliederungdes Hauptgebäudes ist zurückhaltend – Eck-rustizierung, Architrave, Pilaster sowie Drei-ecksgiebel mit Palmakroteren (Blattornamen-te). Der Gartenflügel (bezeichnet 1898), derursprünglich den Park von den Fabrikbautenseparieren sollte, besteht aus einzelnen Pavil-lons, die durch eine zum Garten offene Kolon-nade verbunden sind. Im Innern war hierPlatz für eine Raumfolge großbürgerlichenZuschnitts: Auf eine Garderobe folgen ein Kamin- und ein Billardzimmer sowie eineTeenische. Bis heute hat sich die gesamte Innenausstattung mit offenem Kamin, Holz-paneelen, Bibliotheksschränken sowie demBillardtisch und dem Klavier erhalten. Selbstdie Gemälde mit typischen Themen des 19. Jahrhunderts wie Landschaft, Genre oderStadtansicht, gehören zum Originalbestand. Von der Kolonnade führt eine Freitreppe inden 1,5 Hektar großen Park. Der Übergang ist durch einen Springbrunnen und zwei Stelen mit Bronzebildwerken inszeniert: Aufder einen Seite steht der »Löwenreiter« vonAlbert Wolff (1814-1892), auf der anderen die»Amazone« von August Kiss (1802-1865). Eshandelt sich um verkleinerte Repliken nachden Originalen am Eingang des Neuen Muse-ums in Berlin.Auf die Mittelachse der Kolonnade ist zudemeine Terrasse ausgerichtet, die von einem gro-ßen Kelch dominiert wird. Das gusseiserne

Bildwerk zeigt ein Relief, das thematisch umden Verkauf der Liebesgötter kreist. Seit 1759in Stabiae bei Pompeji ein römisches Wand-bild gefunden wurde, das eine Verkäuferin ge-flügelter Eroten (Liebesgötter) zeigt, erfreutesich dieses Motiv großer Beliebtheit. Es wur-de u.a. von der Künstlerin Angelika Kaufmann(1741-1807) aufgegriffen; Goethe (1749-1832)widmete dem Thema ein Gedicht. Komposito-risch griff der Urheber des Augsburger Bild-werks auf ein 1824 entstandenes Steinrelief(»Der Liebe Alter«) Berthel Thorvaldsens(1768-1844) zurück. Während der Bereich vorder Villa geometrisch gestaltet ist, sind weiteTeile des Parks im Sinne des englischen Land-schaftsgartens angelegt. Zur malerischen Wir-kung trägt nicht zuletzt der Brunnenbach bei,der von mehreren Brücken überquert wird. Im Gartenhäuschen des Parks lebte zeitweiligRudolf Diesel. Die Silbermann-Villa ist das Paradebeispiel einer Direktorenvilla des 19. Jahrhunderts inAugsburg. Der Patriarch war stetig präsentund konnte seine Arbeiter und Angestelltenminutiös überwachen, da die Villa auf demFirmengelände lag. Architektonisch wurdendie Machtsymbole des Adels eingesetzt, umden neuen sozialen und kulturellen Status derGroßbürger zu dokumentieren. Augenschein-lich ist im Falle der Silbermann-Villa die An-lehnung an italienische »ville suburbane«(Landvillen), wie sie zum Beispiel Andrea Palladio für die venezianische Oberschicht errichtet hatte. Silbermann wusste zudem um den Effekt theatralisch platzierter Replikenberühmter aktueller und klassischer Kunst-werke – auch dies eine Erscheinung bürgerli-cher Selbstdarstellung im 19. Jahrhundert.

Silbermann-Villa

Löwenreiter

von Albert

Wolff

Das Denkmalwurde 1876 aufdem Fronhof er-richtet. SeinSchöpfer, Kasparvon Zumbusch(1830-1915) hattesich auf öffentli-che Standbilderspezialisiert. Vonihm stammen einBronzedenkmalKönig Maximili-ans II. von Bayern

(1866-1872) sowie das Maria-Theresia-Denk-mal vor dem Kunsthistorischen Museum inWien (1874-1807). Die Bestimmung des Augs-burger Siegesdenkmals verrät die Sockelin-schrift: »Zur Erinnerung an die Kämpfe undSiege der Jahre 1870 und 1871, an die Wieder-herstellung des Deutschen Reiches und an diefür das Vaterland damals gestorbenen Gemein-degenossen errichtet von der Stadt Augs-burg.« Es zeigt einen bronzenen Krieger dernach gewonnem Kampf sein Schwert in dieScheide steckt. Vier Kinderfiguren symbolisie-

ren die Geschichte, die Wehrkraft, den Fleißsowie die Medizin. Auf dem Sockel hebt einGenius eine Kaiserkrone empor. Eine zweiteInschrift lautet: »Aus Kampfes Nacht – Siegauf mit Macht – der Sonne gleich – das Deut-sche Reich.«

Den Brunnen widmete die Stadt Augsburg Edmund Freiherr von Schaezler, der 1907durch eine Geldspende die Erweiterung desSiebentischparks ermöglicht hatte. Als Bild-hauer wurde Jakob Rehle (1870-1934) enga-giert, der an der Höheren Kunstschule inAugsburg Bildhauerei lehrte und die Künstler-vereinigung »Die Ecke« mitbegründete. Hinterdem Wasserbecken ragt eine Wand aus Mu-schelkalk empor, die von einem Bogen mitzentraler Zirbelnuss überfangen ist. Der Schaezlerbrunnen ist genau auf den som-merlichen Sonnenuntergang ausgerichtet undbildete quasi den Altar einer »grünen Basilika«:Die umgebenden Bäume wurden auf demGrundriss einer Kirche gepflanzt. Diese Anla-ge ist nur fragmentarisch erhalten.

Augsburg war in reichsstädtischer Zeit (bis1806) an öffentlichen Denkmalen arm, siehtman von den prächtigen Brunnen einmal ab.Dies änderte sich im 19. Jahrhundert: Diebayerischen Könige und später die deutschenKaiser förderten das Aufstellen von Brunnenund Denkmalen, die an vorbildliche Personenoder wichtige Ereignisse erinnerten. So wur-de ein bedacht gewählter Ausschnitt von Ge-schichte glorifiziert, um die Bürger im Sinnedes noch jungen Staates zu »bilden«. Denk-male dieses Typs sind zum Beispiel das vonFriedrich Brugger (1815-1870) gestaltete Denk-mal für den als Förderer der Wissenschaft ge-feierten Hans Jakob Fugger (1857, Fuggerplatz),Franz Bernauers (*1861) Prinzregentenbrun-nen (1901, Prinzregentenplatz), der dem aktu-

ellen Herrscher und seinen Vorgängern gewid-met ist, Georg Albertshofers (1864-1933)Denkmal Kaiser Maximilians I. (1912/13, Stein-gasse 13) sowie Eugen Boermels (1858-1932)Standbild für den »Wunderdoktor« FriedrichHessing (Hessingklinik, 1908). Der Gold-schmiedebrunnen (Martin-Luther-Platz 12,1912) von Hugo Kaufmann (1868-1919) solltedagegen an die Bedeutung dieses Berufs-zweigs für Augsburg erinnern. Zwei weitereBrunnen, der Kesterbrunnen (Schießgraben-straße, 1908) von August Pausenberger sowieder kleine Herkulesbrunnen (Kirchhof von St.Stephan) von Georg Busch (1862-1943) steheneher in der Tradition Augsburger Bronzebild-werke mit Bezug zur antiken Mythologie.

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Denkmale und Brunnen22

22aSiegesdenkmal (Fronhof)

1876 von Kaspar von Zumbusch

22Schaezlerbrunnen (Siebentischpark)

1908 von Jakob Rehle

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22bRegimentsdenkmal bei St. Ulrich undAfra (Chevauleger-Regiment)

Nach der Aufhebung der Klöster (in Augsburg1802) wurde in die Baulichkeiten des Klostersvon St. Ulrich und Afra das 4. Chevauleger-Re-giment »König« verlegt (1808). Dieses Leibka-vallerie-Regiment, auch liebevoll »Königs-Schwolleschee« genannt, war bereits am 1. April 1744 gegründet worden und existiertebis zu seiner Auflösung am 21.08.1919. DasRegiment verzeichnete im Ersten Weltkrieg einebesonders große Zahl an Verlusten. Freiherrvon Hammerstein brachte im Felde in Polen1917 den Gedanken auf, an die gefallenen Kameraden – worunter selbstverständlichauch ihre Pferde zu verstehen sind – durch einEhrenmal zu erinnern. Die Finanzierung er-folgte durch die überlebenden Regimentsmit-glieder. Das Standbild schuf der Steinmetz-meister und Bildhauer Franz Schmid. Ergänzt wurde das Reiterdenkmal mit den Gedenktafeln für 543 gefallene Kavalleristendes Regiments; das Denkmal an der Nord-wand der Basilika St. Ulrich und Afra wurde1923 eingeweiht. Betreut wird es jetzt von derAugsburger Traditionsvereinigung ehemaliges

Königlich-Bayerisches Chevauleger-Regi-ment »König« und anderer Kavallerie-Regi-menter von 1891 e.V..Aufgrund von Witterungseinflüssen wurdees abgenommen und restauriert. Seinenneuen Platz erhielt es nun an der Südwandder Basilika. Die Denkmalsweihe erfolgt zum»Tag des offenen Denkmals« 2011.

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Ehem. Maschinenhaus der Zwirn- undNähfadenfabrik Göggingen (ZNFG)/Ackermann Göggingen AGDöllgaststraße 7-91911 von Philipp Jakob Manz

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Bauwerk

Neben dem von Thormann & Stiefel wohl nachPlänen von Hermann Dürr in Betonskelett-Bauweise mit Blankziegelfassaden errichtetenHochbau (1909) blieb auf dem Firmengeländevor allem das ehemalige Maschinenhaus er-halten. Es wurde 1911 nach Entwürfen desStuttgarter Ingenieurarchitekten Philipp JakobManz (1861-1936) errichtet. Manz konzipierteauch das Werk »Aumühle« (»Glaspalast«) fürdie Spinnerei und Weberei Augsburg (SWA)und war aufgrund seines zügig arbeitendenBaubetriebs als »Blitzarchitekt« bekannt. »Billig, rasch, schön« – so lautete Manz’ Unter-nehmensdevise, die auch an seinem Maschi-nenhaus für die Gögginger Nähgarnfabrik er-sichtlich ist: Der Architekt fügte an eine Hallevon 1889 das asymmetrische Gebäude mitWalmdach und Türmchen an. Seine Fassadensind durch Lisenen (Vorlagen) gegliedert undvom Rhythmus der unterschiedlich großenFenster bestimmt. Auch im Inneren wird dieBedeutung des Maschinenhauses – immerhinwurden über die hier erzeugte Energie dieProduktion in Gang gehalten – anhand derkassettierten Decke deutlich. Die anschließendeältere Halle wies im Innern sogar eine Farbfas-sung auf, von der heute noch Fragmente zeu-gen.

Das Maschinenhaus, das stark an die Kraftzen-trale des Glaspalastes erinnert, wird heutevon einem Verlag genutzt. Deshalb wurdenBürozellen in sehr offener Konstruktion einge-fügt, ein Beispiel für eine behutsame Umnut-zung.

Geschichte

1855 gründete Eusebius Schiffmacher (1818-1893) im alten Augsburger Handwerkervierteleine Garnzwirnerei, deren Teilhaber 1861 Wil-helm Butz (1836-1903) wurde. Zwei Jahrespäter wurde der Betrieb nach Göggingenverlegt und 1873 in eine AG umgewandelt.Bis 1912 stieg die Zahl der Beschäftigten von178 (1870) auf 1481 an. 1937 erwarb die ZNFGdie Kapitalmehrheit der »Nähfadenfabrik vor-mals J. Schürer«, 1957 entstand durch Zu-sammenschluss mit der Heilbronner Zwirne-rei Ackermann der größte NähgarnherstellerEuropas. Die Krise der Textilindustrie traf auchdie Gögginger Nähfaden-Fabrik: Bereits 1988hatte eine Vermögensverwaltungs-AG dieMehrheit der Aktien an der Ackermann Gög-gingen AG erworben, 1994 ging die Produkti-on an die Amann & Söhne GMBH & Co. KGüber. In jüngster Zeit wurden die meistenProduktionsbauten abgebrochen, andere zuWohnungen und Büros umgebaut. Teilweisesind die frei gelegten Flächen mit Wohnun-gen überbaut. Die zugehörigen Arbeiterkolo-nien sind weitgehend erhalten.

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Glossar

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Glossar

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Hundert Jahre Mechanische Baumwoll-Spinnerei und -Weberei Augsburg, Augsburg 1937.

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Literatur

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Siegfried Kerpf (S.22 (links), 32, 38, 39 (links))

Untere Denkmalschutzbehörde(S. 42)

Gregor NaglerTitelbild, S. 6, 7 (unten), 9, 14, 15, 20, 21 (unten 2 x), 24, 25(oben), 27, 35, 36, 43 (Prinzregentenstraße 2), 45, Glossar49, 50)

Sammlung Gregor Nagler(S. 5, 21 (oben), 23, 25 (unten), 29, 30, 33, 37)

Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Bildarchiv (S. 8, 10, 13, 17, 18, 19, 26, 28, 31, 34, 39 (rechts), 46)

Eckhart Matthäus (S. 43 (Theresienapotheke, 2 x))

Architekturmuseum Schwaben, Archiv, Stiftung Debold-Kritter(S. 41)

Pfarrarchiv der Christuskirche(S. 7 (oben))

Das Kurhaustheater in Augsburg-Göggingen(Arbeitsheft, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege),1982, S. 22, rechts)

Augsburg in kunstgeschichtlicher, baulicher und hygienischer Beziehung, 1902(S. 40)

Hagen, Wegener-Hüssen, Denkmäler, 1994 (S. 44)

mk publishing GmbH (S. 48)

mk publishing GmbH (1 x), Gregor NaglerFarbbilder (hintere Umschlaginnenseite)

Literatur

Bildnachweis

Tag des offenen Denkmals 2011

Tag des offenen Denkmals 2011

Impressum

Herausgeber

Stadt Augsburg, Referat 6,

Hochbauamt, Bauordnungsamt /

Untere Denkmalschutzbehörde

Programmzusammenstellung,

Recherche und Texte

Gregor Nagler (M.A.)

Redaktion

Hochbauamt, Christian Jonathal

Gestaltung

Medien- und Kommunikationsamt

Auflage

2000 Exemplare

Druck

Schroff Druck und Verlag GmbH

Die Stadt Augsburg dankt allen, die an der

Entstehung dieser Broschüre mitgewirkt haben.

September 2011